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Versinnlichung
Versinnlichung
Actus
Band XX et I mago
Versinnlichung
Kants transzendentaler Schematismus
und seine Revision in der Nachfolge
Publiziert mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
im Rahmen des Exzellenzclusters "Bild Wissen Gestaltung.
Ein Interdisziplinäres Labor" der Humboldt-Universität zu Berlin.
ISBN 978-3-11-047513-5
e-ISBN (PDF) 978-3-11-047617-0
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047521-0
Printed in Germany
Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706
www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis
Danksagung IX
Einleitung 1
1. Die transzendentale Semantik des Schematismus 10
2. Aufbau der Untersuchung 16
3. Forschungsstand und Methodik 20
renden Gespräche ist all denjenigen zu danken, denen ich in diesen Jahren im
Rahmen des Forschungsnetzwerks begegnet bin.
Mirella Capozzi gilt ein herzlicher Dank für die langjährige Betreuung
an der römischen Fakultät für Philosophie an der Universität Sapienza. Ich danke
ihr für all die langen Gespräche über die Philosophie Kants, ihre Grenzen und
Potentiale.
Für ihre anhaltende Unterstützung und den lebendigen Austausch ist
Sara Fortuna, Tullio Viola und Giuseppe Di Salvatore herzlich zu danken. Auch
an alle Freunde, die hier nicht einzeln genannt werden können und die meine
Arbeit aus der Nähe und Ferne fachlich und freundschaftlich unterstützt haben,
richtet sich mein herzlicher Dank. Insbesondere möchte ich mich bei Philippe
Merz, Frank Steffen, Max Winter und Simon Gabriel Neuffer bedanken, die mit
mir die Freigeist-Akademie ins Leben gerufen haben, und bei allen, die an der
Akademie teilgenommen haben. Ich danke ihnen allen, Teil dieses philosophi-
schen und didaktischen Experiments zu sein. Danken möchte ich auch Matthias
Ballestrem, der mit mir im Rahmen der Akademie zusammen unterrichtet hat
und mit dem ich über die Anwendbarkeit einiger Aspekte dieser Arbeit auf den
architektonischen Entwurf nachgedacht habe.
Meinen Eltern und meiner Tante gilt ein besonderer Dank. Sie haben
mich in diesen Jahren in meinen Entscheidungen unterstützt und an meine
Arbeit geglaubt. Sie haben mir immer den Weg von Italien nach Deutschland
offengehalten und die Wichtigkeit der Neugier, des kritischen Geistes und der
freien Initiative beigebracht.
Mein letzter Dank richtet sich an meinen Mann, Max Winter, der mit
dieser Arbeit mindestens ebenso intensiv gelebt hat, wie ich. Ich danke ihm für
die Liebe, die er mir und dieser Arbeit entgegengebracht hat. Ohne seine sprach-
liche Hingabe und seine philosophische Genauigkeit wäre dieses Buch nicht
möglich gewesen. Für den philosophischen Austausch und die treue Auseinan-
dersetzung, in denen wir einander seit dem Studium begegnen und begleiten,
bin ich ihm sehr dankbar. Dieses Buch ist meiner Familie und meinem Mann
gewidmet.
E inleitung
den Begriff des Schemas zurück, wenn es um die Form einer Synthesis geht.
Beispiele dafür sind die Verwendung von Schemata in der Beschreibung von
mentalen Modellen, in der Hirnforschung für Prototypen oder sogar Hirnkon-
struktionen, und im Allgemeinen für Datenstrukturen. Der Schematismus
zeigt eine formale Strukturierung an, die unterschiedliche Bestandteile ver-
bindet, um so ein Drittes zu realisieren, welches das einzig erscheinende Resul-
tat des Prozesses darstellt. Das Dritte ist kein Aggregat von distinkten Bestand-
teilen, sondern Resultat des Prozesses selbst, in dem die Bestandteile lediglich
gedanklich unterschieden werden können.
Die meisten Erklärungsansätze des Schemas sind darauf konzentriert,
seinen prozessualen Charakter hervorzuheben. Das Schema ist folglich nicht
mit dem Inhalt seiner Darstellung oder Vorstellung zu verwechseln, sondern
deutet einen Mechanismus, Vorgang oder Prozess an, der bestimmte Inhalte
vermittelt, ohne sie dabei zu fixieren.4 Das Schema umfasst sowohl die Methode
des Gebrauchs schon gegebener Sachverhalte als auch die Transformation und
Erzeugung neuer Sachverhalte. Das Schema legt keine Interpretation im Vor-
hinein fest, sondern ermöglicht sie in ihrer Vielfalt und unter Berücksichtigung
ihrer bestimmten Inhalte in kulturellen, interpersonellen, sprachlichen und
wissenschaftlichen Kontexten. Seine gestalterische, reaktivierende und dyna-
mische Funktion ist daher das Grundmerkmal des Schema-Begriffs in der
Geschichte der Philosophie: Unter ‚Schema‘ und ‚Schematisierung‘ ist bereits
bei Platon die dynamische Bestimmung allgemeiner Begriffe, bei Aristoteles
der Prozess der Gestaltung im Allgemeinen und bei Paulus derjenige der Ver-
wandlung in den Leib Christi zu verstehen. Bei Bacon steht der Schema-Begriff
für die Umgestaltung der Gegenstände der Erfahrung, während er bei Fichte
eine Totalisierung erfährt und in Beziehung zum Bild gesetzt wird. Später setzt
sich diese dynamische Konnotation fort im motorischen Schema von Bergson,
dem Verhältnis zwischen Schematismus und Anblick bei Heidegger und dem
Bildschema von Johnson und Lakoff.5 Unter den unterschiedlichen Bedeutun-
gen des Schema-Begriffs in der Geschichte der Philosophie sind meines Erach-
tens zwei weitere hervorzuheben, die von Stegmaier in dieser Form nicht
behandelt werden und an denen sich die Vermittlungsfunktion des Schemas
verdeutlichen lässt: Erstens seine Stellung in der Antike und zweitens seine Rol-
le in der phänomenologischen Beschreibung der Aspekte bei Roman Ingarden.
An dieser Erweiterung lässt sich zugleich herausstellen, inwiefern dem Schema
6 Lallot 2004, S. 160: „Le dérivé σχήμα se rattache sémantiquement à cette valeur
intransitive du verbe: il ne désigne jamais une possession, un avoir, mais toujours
et seulement un maintien, une manière d’être“. Vgl. Casewitz 2004.
7 Catoni 2008, S. 3–9. Die Vermittlungsfunktion des Schema-Begriffs in der Antike
vor allem bezüglich der Verbindung zwischen Schema und Rhythmus wird auch
von Silvana Borutti (2006, S. XLI–XLIII) hervorgehoben.
8 Catoni 2008, S. 76.
9 Vgl. ebd., S. 125.
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Einleitung
bestimmter sinnlicher Formen bedient, die jedoch nicht empirisch, weil nicht in
der Erfahrung zu finden sind.17 Dieser Mangel einer transzendentalen Perspek-
tive führt meines Erachtens letztlich auch zur inhaltlichen Interpretation des
Schemas in Davidsons Dualismus von Schema und Welt, in dem das Schema als
verkürzter Inhalt verstanden und daher dessen prozessuale Bedeutung aus-
geblendet wird. Der prozessuale Charakter kann hingegen nicht mit dem ver-
kürzten Inhalt gleichgesetzt werden. Es scheint daher angebracht, kurz auf
Davidsons Kritik am Schema-Welt Dualismus einzugehen.
Davidson bezeichnet den Dualismus zwischen Schema und Inhalt als das
dritte Dogma des Empirismus.18 So verbindet er den Schema-Begriff mit dem
Problem des conceptual relativism, dessen Definition gerade lautet: „The reality
itself is relative to a scheme“.19 Davidson interpretiert die Schemata als Bezeich-
nungen natürlicher Sprachen und geht von einem konstitutiven Relativismus
aus, der unter anderem die relative Unübersetzbarkeit einzelner Bedeutungen
impliziert.20 Das Schema steht dabei für einen Vermittler im Sinne einer Ver-
mittlungsfunktion, die den semantischen Zugang zur Realität gewährleistet.
Zeigt sich nun dieser Vermittler als mit einer kulturellen und sprachlichen Rela-
tivität behaftet, so ergibt sich daraus das Problem von Bedingtheit und Relativi-
tät des Inhalts des Denkens selbst.21 Auf dieser inhaltlichen Ebene ist das Pro-
blem der so genannten conceptual schemes also mit demjenigen des Relativismus
verbunden. Dabei wird das Schema auf den Inhalt reduziert, den es überträgt,
und seine Funktion liegt hauptsächlich darin, eine bestimmte Auffassung einer
Theorie zu bezeichnen – so hätten etwa Euklid, Newton und Einstein unter-
schiedliche Schemata des Raumes entwickelt. In diesem Sinne gibt es unter-
schiedliche Schemata, die Zugang zu unterschiedlichen Sachverhalten schaffen;
das Problem liegt darin zu verstehen, ob es Sachverhalte gibt, die nur durch
bestimmte Schemata zugänglich sind.22 Durch die Überwindung des Dualismus
wird für Davidson der unmittelbare Zugang zur Welt wiederhergestellt.23 Der
17 Das ist ein Aspekt, den Eco hervorragend ans Licht bringt, wenn er schreibt (2000,
S. 146): „Tatsächlich findet man eine Spur des kantischen Schematismus (in Ver-
bindung mit einer konstruktivistischen Vorstellung von der Erkenntnis) in vielen
Spielarten der heutigen Kognitionswissenschaft, auch wenn sie diesen Zusammen-
hang zuweilen nicht zur Kenntnis nimmt. Freilich darf man, wenn man heute auf
Begriffe wie Schema, Prototyp, Modell, Stereotyp trifft, diese ganz gewiß nicht
mit Kants Begriff gleichsetzen (beispielweise implizieren sie keinen Transzenden-
talismus), und man darf sie auch nicht als Synonyme betrachten“.
18 Davidson 1973, S. 11.
19 Davidson 1973, S. 20.
20 Vgl. Davidson 1973, S. 7.
21 Vgl. Davidson 1973, S. 7 und 11f.
22 Zum Relativismus begrifflicher Schemata siehe Marconi 2007, S. 62.
23 Davidsons Schlusswort liest sich wie folgt (1973, S. 20): „Given the dogma of a
dualism of scheme and reality, we get conceptual relativity, and truth relative to a
7
Einleitung
skizzierte Relativismus basiert auf der Gleichsetzung von Schemata und Inhal-
ten – im Fall von Davidson von Schemata und Sprachen, wobei unter ‚Sprache‘
nicht der Typus der Sprache, sondern der einzelsprachliche Ausdruck, nicht der
sprachliche Prozess, sondern sein Inhalt zu verstehen ist. Somit übersieht
Davidson die Möglichkeit, nicht so sehr den Dualismus zu überwinden, son-
dern vielmehr ihn ‚zu unterlaufen‘, wie Abel aus Sicht der Interpretationsphi-
losophie gezeigt hat.24 Eine transzendentale Untersuchung dagegen hätte auf die
prozessuale Strukturierung der Bedeutung zu zielen, die vom spezifischen
Inhalt der Bedeutung absieht und vor einem solchen Relativismus anzusiedeln
wäre. Es geht ihr um die sinnliche Artikulation und den transzendentalen
Gebrauch, um über diese die Bedeutungserfahrung zu beschreiben. Davidsons
Kritik am Schema vernachlässigt folglich die prozessuale Bedeutung des Schema-
Begriffs.25
Der prozessuale Ansatz entgeht meines Erachtens auch der Kontroverse
über den konzeptualistischen oder nicht-konzeptualistischen Charakter der
Schemata – möchte jedoch ebenso wenig im Sinne der Kritik McDowells am
Dualismus verstanden werden.26 Das Schema steht nicht selbst für eine inhalt-
liche Vielfalt, sondern ermöglicht, dass sich überhaupt eine kulturelle und
scheme. Without the dogma, this kind of relativity goes by the board. Of course
truth of sentences remains relative to language, but that is as objective as can be. In
giving up the dualism of scheme and world, we do not give up the world, but re-
establish unmediated touch with the familiar objects whose antics make our sen-
tences and opinions true or false“.
24 Insbesondere Günter Abel hat die Perspektive des Interpretationismus in Bezug auf
die Kritik Davidsons an dem Schema als drittes Dogma des Empirismus deutlich
gemacht (1993, S. 328): „Davidson möchte auf alle epistemischen Vermittler ver-
zichten, dadurch den Dualismus überwinden […]. Der Interpretationist dagegen
möchte den Dualismus nicht so sehr überwinden als ihn vielmehr unterlaufen und
darin nicht eine vermittlungslose Unmittelbarkeit zwischen Interpretation und
Welt etablieren, sondern vornehmlich auch das, was hier überhaupt als eine So-und-
so Welt und des näheren als die darin vertrauten Objekte und Ereignisse gelten
kann […] kurz: als eine Interpretationswelt auffassen“.
25 So könnte Davidson Kritik am Schema auch als ein Missverständnis des conceptual
scheme Quines angesehen werden, das gerade auch Transformations- und Ver-
schiebungsprozesse miteinschließt. Siehe dazu Quine 1960, S. 275. Dazu auch
Stegmaier, 1992, S. 1258.
26 Siehe McDowell 2009, S. 121: „My claim that the dualism is incoherent depends on
the thought that the domain of rational interrelatedness is coextensive with the
domain of the conceptual“. Und weiter: „Scheme-content dualism is incoherent,
because it combines the conviction that world views are rationally answerable to
experience – the core thesis of empiricism – with a conception of experience that
makes it incapable of passing verdicts, because it removes the deliverances of the
senses from the domain of the conceptual. According to the dualism, experience
both must and cannot serve as a tribunal. […] But I am suggesting that this basic
empiricism is not easy to dismiss“ (S. 125f.).
8
Einleitung
logische Bedeutung der Begriffe – die ohne Schemata nur Funktionen sind –
kann sich daher nur in der Schematisierung realisieren: die Bedeutung kommt
ihnen zu durch „Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich
restringiert“.29
Der Schematismus wird somit als Synthesis zwischen Begrifflichkeit
und Sinnlichkeit eingeführt. Das Schema ist dabei als ein Versinnlichungspro-
zess zu verstehen, der hingegen nicht mit einem Verkörperungsprozess ver-
wechselt werden sollte. Ich möchte die Aktualität der Schematismuslehre Kants
dadurch stärker hervorheben, dass ich in ihr die genannte Gestaltungsfunktion
der Sinnlichkeit als eine Versinnlichung auslege. Unter Transzendentalphiloso-
phie werde ich dabei die allgemeine Frage der Bedingungen unserer syntheti-
schen Erkenntnis verstehen, ohne deshalb die Grenzen dieser Erkenntnis, ganz
im Sinne Kants, als Schranken anzusehen. In der Untersuchung der Schema-
tismuslehre werde ich insbesondere die Sphäre der anschaulichen Erkenntnis
mit der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen in Verbin-
dung bringen, die sich Kant zufolge jenseits der Erkenntnis im Reich der Sym-
bole, Metaphern, künstlerischen Ausdrücke und Zeichen bewegen. Dass die
Erkenntnis eine begrenztere Sphäre im Vergleich zum Denken und dem Gefühls-
ausdruck ist, wird von Kant selbst als Grundlage der Schematismuslehre voraus-
gesetzt, wenn er sie als Restriktionslehre einführt, durch die der Gebrauch der
Begrifflichkeit auf die Sinnlichkeit begrenzt und zur gleichen Zeit realisiert
wird. Diese Realisierung hat jedoch keine bloße Abbildfunktion; im Gegenteil
ist sie Bedingung der Bedeutung selbst, die im sinnlichen Gebrauch der Begriffe
entsteht. Hierbei ist das Schema als Bedingung der Entstehung von Bedeutung
fundamental, woraus sich die Frage ergibt, ob die Schematismuslehre tatsäch-
lich als transzendentale Lehre der gesamten Bedeutungserfahrung gelten kann.
Diese Frage sprengt unmittelbar den systematischen Rahmen der Schematis-
muslehre innerhalb der Kritik der reinen Vernunft, da sie die weitergehende
Frage aufwirft, was Bedeutung überhaupt ist. Somit gerät der Schematismus
ungewollt in Verbindung mit anderen Ebenen der Bedeutungserfahrung, die
zwar aus orthodoxer Sicht zu keiner Erkenntnis führen, sich jedoch trotzdem als
unentbehrlich erweisen – und sei es auch nur in regulativer Hinsicht. Ange-
sprochen sind etwa die Funktionen des symbolischen Denkens und die des
Gebrauchs von Zeichen und Metaphern für die Bildung der Begrifflichkeit und
der Strukturierung unserer Erkenntnis. Während innerhalb der Kantforschung
die allgemeine Problematik der Entstehung von Bedeutung oft auf die bloße
Rekonstruktion des Übergangs von den Deduktionen zu den Grundsätzen inner-
halb der Kritik der reinen Vernunft herabgesetzt wird, lassen sich außerhalb
1. D ie t ra nszendent a le Sema nt i k
des Sc hemat ismus
Im Gebrauch erfolgt die Vermittlung von Bedeutung stets durch sinnliche
Gestalten, wie etwa durch die Wörter einer Sprache. Die Bedeutung erweist sich
somit im Gebrauch als sinnlich bedingt. Ohne ihre sinnliche Form könnte
Bedeutung schlechthin nicht vermittelt werden. Dass Bedeutung trotz Missver-
ständnissen im praktischen Gebrauch mitgeteilt werden kann, ist kein Grund,
nicht nach den Bedingungen dieses Gebrauchs selbst zu fragen. Eine pragmati-
sche Perspektive, welche die Bedeutung auf den Gebrauch zurückführt, kann
meines Erachtens die Bedingungen der Möglichkeit einer Bedeutung nicht ver-
stehen, die sich im Gebrauch realisiert, weil gerade diese Realisierung erklä-
rungsbedürftig bleibt. Die Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit von
Bedeutung erweist sich somit als Aufgabe einer Transzendentalphilosophie, die
aus der deskriptiven Untersuchung des Denkens heraus die Möglichkeit seiner
Entstehung zu erklären versucht.
Die gesamte Bedeutungserfahrung hat eine sinnliche Struktur, in der
unser Denken erscheint. Diese sinnliche Form ist nicht nur Träger von Bedeu-
tung, sondern impliziert deren aktive Gestaltung. Wir denken in Bildern und
Lauten, und diese sinnlichen Medien sind derart konstitutiv für unser Denken,
dass wir eigentlich oft direkt Bilder und Laute denken. Daher erscheint die Fra-
ge berechtigt, ob Bilder und Wortlaute nicht einfach nur als beliebige sinnliche
Ausgestaltungen unseres Denkens, sondern als spezifische Bedingungen des
Denkens zu bezeichnen sind, das sich notwendigerweise zwischen Bildern und
Wortlauten artikuliert. Daraus entsteht die systematische Frage, ob die Bedin-
gung dieser Artikulation nicht als eine transzendentale, zugleich aber sinnliche
Struktur der Bedeutung zu beschreiben ist.
Im vertrauten Gebrauch erscheint die Bedeutung zunächst als gegeben,
doch in der Tat kann sie erfunden, überliefert und transformiert werden. Die
Gegebenheit erweist sich jeweils dann als ein Konstrukt, wenn die Veränderbar-
keit der Bedeutung erfahren wird. Die Grenze zwischen Bedeutung und
Gebrauch ist sicherlich schwer zu fassen. Die Bedeutung eines Wortes oder eines
Bildes realisiert sich im konkreten Gebrauch, und sie kann in vielen Fällen
inhaltlich unterschiedlich bestimmt werden. Selbst wenn sie genau festgelegt
ist, scheint die Bedeutung von einer strukturellen Unbestimmtheit charakteri-
siert zu sein, die auch im Gebrauch nicht vollkommen aufgehoben wird. Wir
erleben alltäglich die provisorische Natur des begrifflichen Gebrauchs, indem
wir den Umfang unserer Begriffe erweitern, Neues dazulernen und eventuelle
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Einleitung
30 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (PU) 43: „Man kann für eine große
Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle
Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist
sein Gebrauch in der Sprache“.
31 Wittgenstein, PU 381: „Wie erkenne ich, dass diese Farbe Rot ist? – Eine Antwort
wäre: ‚Ich habe Deutsch gelernt‘“.
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Einleitung
32 Simon 2005, S. 23. Siehe auch Simon 2003, S. 561: „‚Das Gewöhnliche‘ der soge-
nannten normalen Sprache besteht darin, dass die Frage nach einer von den gege-
benen Zeichen verschiedenen Bedeutung sich ‚gewöhnlich‘ nicht stellt und nur
‚gelegentlich‘ gestellt werden muss. Die Philosophie beginnt, wo ‚etwas‘, z.B. der
Begriff der Vernunft, sich nicht mehr von selbst versteht“.
33 Ich möchte hier nur kurz an Hogrebes Kritik der empirischen Semantik erinnern
(1974. S. 76): „Denn jeder Versuch einer empirischen Semantik, dem Problem der
Intension empirisch durch Beobachtung des Sprachgebrauchs beizukommen, muss
notwendig scheitern, weil die Intensionalität von empirischen Intensionen sich
prinzipiell nicht durch Rückgang auf Intensionen desselben Intensionalitätscharak-
ters angehen lässt“.
13
Einleitung
34 Vgl. Hogrebe 1974, S. 80f.: „Somit kann die bedeutungsvolle Materialität von Zei-
chen als das wirkliche caput mortuum aller semiotischen Semantik, ja der Semiotik
überhaupt angesehen werden. Mithin ist auch die Frage beantwortet, ob Bedeutung
überhaupt im Rahmen der Semiotik zureichend bestimmt werden kann. Keines-
wegs. Vielmehr erweist sich die Semantik der allgemeinen Zeichentheorie als vor-
aussetzungsvolle Semantik eines schon als Etwas semantisch zugerichteten Etwas;
und sie bleibt auf diese semantische Zurichtung stets angewiesen, wenn Zeichen
unter den Bedingungen von ‚semantical rules‘ überhaupt als anwendbar auf Gegen-
stände oder Situationen gedacht sollen werden können“.
35 Hogrebe 1974, S. 81.
36 Siehe Hogrebe 1974, S. 117.
37 Dieser Aspekt wird von Hogrebe ausführlich hinsichtlich der Konstitution der
Erfahrung behandelt, siehe dazu 1974, S. 118–140. Gerade deswegen gehe ich hier
auch nicht weiter der Frage nach, ob die synthetischen Grundsätze der Erfahrung
die objektive Realität der Bedeutung gewährleisten können. Stattdessen soll die
Gestaltung selbst hinterfragt werden, die sich meines Erachtens nicht auf die
Bedeutungsart reduzieren lässt.
14
Einleitung
der Versuch, die Bedeutung von ihren konkreten Darstellungen abzulösen und
somit den Gegenstand systematisch vom Sinn und von den Interpretations-
praktiken zu trennen.38 Dies ist ausdrücklich nicht die Richtung, in die ich
gehen möchte. Denn bei der Untersuchung der Bedeutung handelt es sich um
eine transzendentale sinnliche Strukturierung, die im Gebrauch immer schon
intentional zugerichtet ist. Die gesamte Bedeutungserfahrung artikuliert sich
durch sinnliche Gestalten, welche dazu dienen, unsere einzelnen Erfahrungen
zu konstituieren. Daraus folgt, dass es nicht einfach unterschiedliche, wenn
man will sogar unendlich viele Gebrauchsweisen gibt, sondern dass diese Viel-
falt eine transzendentale Strukturierung voraussetzt, welche die Bedeutung im
subjektiven Gebrauch bereits potentiell bestimmt. Der Gebrauch ist somit eine
Aktualisierung der Bedeutung, die ohne ihn lediglich potentiell bleiben würde.
Im Gebrauch der Sprache lässt sich eine weitere Auffassung der Bedeutung –
etwa in Anschluss an Humboldt als Denkstil – ausmachen, wie sie zum Beispiel
das Weltbild einer Einzelsprache prägt. Hierbei handelt es sich also nicht nur um
den Gebrauch des einzelnen Individuums, sondern einer gesamten Kultur, die
jene Sprache spricht. Wenn die Verschiedenheit der Sprachen eine Verschieden-
heit der Denkstile ist, lässt sich dies meines Erachtens gerade auf die sinnliche
Gestaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut zurückführen, wie sie
im Gebrauch erscheint. So ließe sich etwa erklären, warum einige Denkstile sich
stärker als andere auf den symbolischen Gebrauch von Bildern und Wortlauten
stützen – ohne damit eine Beurteilung vorzunehmen.39 Und trotz einer gewis-
sen Abhängigkeit vom gängigen Gebrauch einer Sprachgemeinschaft bleiben
wir in diesen Denkstilen nicht komplett befangen: so gibt es viele sinnliche
Schnittstellen, die Raum für relative Übersetzungen und Übertragungen eröff-
nen und somit eine Vermittlung von semantischen Sachverhalten ermöglichen.
Um die Entstehung von Bedeutung zu erklären, ist ein Prozess der Syn-
thesis anzunehmen, der keine Vermittlung zwischen etwas für sich Bestehen-
dem anzeigt, sondern als umfassender Gestaltungsprozess zu bestimmen ist.
Denn die Auffassung der Synthesis im Sinne einer Gestaltung ist transzenden-
talphilosophisch und muss von einem rein empirischen Verständnis der Syn-
thesis abgegrenzt werden. Ihr Unterschied kann meines Erachtens über eine
Kritik des Verkörperungsbegriffs erklärt werden. Dass unser Denken und Han-
deln immer verkörpert ist, beschreibt die Tatsache, dass unsere semantische
Erfahrung nicht von unserem Körper und von der Synästhesie unserer Wahr-
38 Eine ähnliche Kritik wird auch von Abel (1999, S. 75f.) in Bezug auf die Interpreta-
tionstheorie der Referenz vorgebracht.
39 Gerade aus der Frage nach dieser Denkdifferenz entstand meines Erachtens die gro-
ße Faszination Heideggers für die japanische Denkart des Wortes ‚Sprache‘, die im
Text ‚Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem
Fragenden‘ (GA, 12) hervortritt.
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Einleitung
nehmung zu trennen ist. Diese Verkörperung kann jedoch nicht als ein neu-
trales physiologisches Instrument unseres Denkens verstanden werden, sie
bleibt immer kulturell eingebunden. Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen
analysiert die Transzendentalphilosophie diese Synthesis anhand gedanklicher
Unterscheidungen und versucht so, ihr gesamtes Potential ans Licht zu bringen.
Sie schafft somit überhaupt erst die Voraussetzungen der Rede von einer Ver-
körperung. Eine Revision der Schematismuslehre im Sinne einer Theorie der Ver-
sinnlichung kann dazu beitragen, diese Voraussetzungen explizit zu machen.
Die vorliegende Untersuchung stellt somit den Versuch dar, ausgehend
von der kantischen Schematismuslehre die Transzendentalphilosophie als eine
Versinnlichungslehre der Bedeutungserfahrung aufzuzeigen. Dabei wird es
insbesondere darum gehen, eine prozessuale Dimension der Sinnlichkeit
herauszuarbeiten, die Bedingung der Artikulation der Bedeutungserfahrung
zwischen bildlichen und diskursiven Bestimmungen ist. Der Schematismus ist
bei Kant die transzendentale Bedingung der Entstehung von Bedeutung. Ohne
diesen Prozess kann die Begrifflichkeit keinen Gebrauch haben und keiner Rea-
lität entsprechen. Dieser Synthesisprozess, in dem Begrifflichkeit und Sinnlich-
keit heuristisch unterschieden werden, ist nicht nur Bedingung der Herstellung
des semantischen Bezugs zur Realität, sondern auch Methode der Gestaltung
dieses semantischen Bezugs. Das erlaubt es Kant, die entscheidende Differenzie-
rung zwischen Bild, Figur und transzendentalem Begriff einzuführen, indem er
den drei Weisen des sinnlichen Gebrauchs von Begriffen drei unterschiedliche
Arten von Schemata zuordnet: Die empirischen Begriffe können mit Bildern,
die sinnlichen Begriffe mit konstruierten Figuren und die transzendentalen
Begriffe nur durch Wörter dargestellt werden. Die Gemeinsamkeit dieser drei
Arten von Begriffen ist ihre Synthetisierung in der Zeit, die Kant vor allem in
den anthropologischen Schriften mit der diskursiven Funktion der Zeichen in
Verbindung bringt.
Die Gestaltung der Schemata ist bestimmend, weil ihre Begriffe eine
direkte Entsprechung in den Anschauungen haben können, während alle
Begriffe, denen dies nicht möglich ist, sich nur indirekt darstellen lassen. Diese
andere Art der Darstellung verfährt daher durch Analogie. Sie wird von Kant
als symbolisch bezeichnet und von der bloßen Bezeichnung abgegrenzt. Schon
aus diesen einführenden Worten lässt sich ablesen, dass die Darstellungstheorie
Kants nicht von den Anschauungen absehen kann, welche die eigentlichen sinn-
lichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung sind, die – direkt oder indirekt
– insgesamt als Versinnlichung zu bezeichnen ist.
Mit der Auslegung als Versinnlichungslehre geht zugleich eine Umge-
staltung der Schematismuslehre einher, die durch die Revision ihrer systematischen
Stellung bei Maimon, Hamann, Herder, Humboldt und Hegel vorgenommen
wird, von denen sie mit symbolischen, bezeichnenden, expressiven und sprach-
16
Einleitung
durch Zeichen zu begleiten, damit die Begriffe ins Gedächtnis gerufen werden
können.
Die ersten fünf Kapitel sind dem Schematismus im Erkenntnisvermögen
gewidmet. Hier werde ich zeigen, wie ausgehend von der Schematismuslehre
Kants dessen Erkenntnistheorie umstrukturiert werden kann. Diejenigen
Aspekte, die meines Erachtens mittels der Schematismuslehre verdeutlicht wer-
den können, sind erstens die isolierende Methode (Kap. I), die in der Unter-
suchung der Erkenntnisvermögen angewandt werden kann, und zweitens die in
dieser enthaltene Auffassung der Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit ist entsprechend
als eine spezifische Gestaltungsfunktion aufzufassen, die ich durch die Einfüh-
rung des Versinnlichungsbegriffs erklären und vom Verkörperungsbegriff
abgrenzen möchte (Kap. II). Der Schematismus betrifft nur die sinnliche Gestal-
tung von Bedeutung, in der eine klare Trennlinie zwischen Bild, konstruierter
Figur und Wortlaut gezogen werden kann. Diese Aspekte lassen sich anhand
einer Versinnlichungslehre erklären, in der sich die Bedeutung zwischen Bild
und Wort erstreckt und dabei die unterschiedlichen Methoden der Figuration
und Verlautlichung einbezieht, die sich an der transzendentalen Funktion der
Sinne zeigen (Kap. III). Der Schematismus ist ein Vermögen der Urteilskraft,
d.h. ein Vermögen der Anwendung von Regeln, die inhaltlich nicht vorgegeben
sind (Kap. IV). Die Begrifflichkeit kann, wie zu zeigen sein wird, nicht vom
sinnlichen Gebrauch absehen, der sich in einen empirischen, einen rein sinn-
lichen und einen kategorialen untergliedert. Durch die schematische Synthesis
ergibt sich bei Kant eine dreifache Strukturierung der Schemata als empirische,
rein sinnliche und reine, die Kant wiederum mit den spezifischen Gestalten des
Begriffs, der Figur und des Bildes verbindet (Kap. V).
Die zwei weiteren Kapitel des ersten Teils sind der genannten indirekten
(symbolischen) Darstellung (Kap. VI) und der Bezeichnung (Kap. VII) gewid-
met. Es gilt hier vor allem zu klären, ob Kant diese Vermögen vom Schematis-
mus getrennt hält oder ob das Schema umgekehrt etwa auf das Symbol oder das
Zeichen reduziert werden kann. Was die symbolische Darstellung angeht, so ist
sie eine nur indirekte Darstellung, die eine Analogie zwischen einer Idee und
einem sinnlichen Begriff und somit eine Übertragung von sinnlichen, erkenn-
baren Eigenschaften auf die Idee ermöglicht, die an sich nicht empirisch ist.
Diese symbolische Darstellung bedient sich indirekt der Sinnlichkeit zum Aus-
druck von Ideen und Gefühlen, obwohl diese für Kant eine angemessene Ent-
sprechung weder in der sinnlichen Erfahrung noch in der begrifflichen Bestim-
mung erreichen können. Es ist folglich bei Kant von einer dreifach gegliederten
Versinnlichungslehre auszugehen, in der zwischen einer schematischen, einer
symbolischen und einer expressiven Darstellung unterschieden werden kann.
Ihr Zusammenhang mit der Schematismuslehre besteht darin, dass es in letzte-
rer auch um die Frage nach der Genese der Begriffe geht, die bei genauerem
18
Einleitung
eminent sprachlich erscheint. All diese Ansätze setzen sich demnach auf unter-
schiedliche Weise mit dem Problem der Spontaneität des Denkens in dem Ver-
such auseinander, diese zu begründen und bis in ihre sinnlichen Gestaltungen
hinein zu verfolgen.
Der dritte Teil zeichnet den letzten Schritt der Umgestaltung der kanti-
schen Schematismuslehre nach, indem die im zweiten Teil dargestellte, meta-
kritische Umgestaltung insgesamt auf den Versinnlichungsbegriff bezogen und
somit erneut mit der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants konfrontiert wird.
Dabei wird sich zeigen, dass die transzendentale Bedeutung der Versinnlichung
ihre Wurzeln in Kants Sinnlichkeitslehre hat, wie sie insbesondere von Herder
und Hegel umgestaltet und von Humboldt noch in sprachlicher Hinsicht ergänzt
wird. Die bereits erwähnte Abgrenzung des Versinnlichungsbegriffs vom
Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff soll in diesem
Zusammenhang erneut thematisch und unter Rückgriff auf die Ästhesiologie
Plessners systematisch präzisiert werden (Kap. I). Die Untersuchung wird zei-
gen, inwiefern der Versinnlichungsbegriff dazu geeignet ist, als transzendenta-
le Bedingung der Verkörperung zu gelten.
Im Anschluss daran (Kap. II) soll mein eigenes Verständnis des Schema-
tismus als transzendentale Versinnlichung präsentiert werden, welche die Arti-
kulation unserer gesamten Bedeutungserfahrung durch Gestalten und Gestal-
tungsprozesse umfasst. Gestalten sind darin reine Formfunktionen, die ich in
Bilder, Figuren und Laute unterscheiden möchte. Die Gestaltungsprozesse hin-
gegen betreffen transzendentale Gebrauchsweisen, die ich als zeichenhaft, sym-
bolisierend und ausdrückend kennzeichne. Am Ende wird sich die Versinnlichung
als die eigentliche transzendentale Bedingung aller Arten der Verkörperung
erweisen, die als intentional wahrgenommene oder hervorgebrachte Synästhe-
sien immer kulturell bedingt und somit relativ bleiben.
3. For sc hu ngsst a nd u nd Me t ho d i k
Der Debatte um das Schema und den Schematismus fehlt es bis heute an einer
systematischen und historischen Untersuchung, die sie abgesehen von ihren
verstreuten Verwendungen innerhalb der Philosophiegeschichte als systemati-
sche Grundbegriffe rekonstruiert. Ihre historische Entwicklung lässt sich in
groben Zügen den entsprechenden Lexika entnehmen.40 Zur Verwendung in der
Antike ist insbesondere auf die bereits genannte, wegweisende Arbeit von Maria
Luisa Catoni zu verweisen, die zugleich Anlass für eine Wiederbelebung der
Debatte um den Schema-Begriff vornehmlich im Kontext der Bildtheorie war.41
Die Untersuchung steht vor der Aufgabe, die Aktualität der Schematis-
muslehre Kants herauszustellen, indem das Schema als prozessuale Bedingung
der Entstehung und Darstellung von Bedeutung erwiesen wird. Prozessual
heißt dabei, dass es nicht lediglich um die Vermittlung zwischen zwei getrenn-
ten Vermögen geht, sondern sich Bedeutung in diesem Prozess überhaupt erst
realisiert. Die Aktualität besteht – so lautet die Grundthese – darin, dass das
Schema als Prozess der Versinnlichung interpretiert werden kann, in dem sich
Bedeutung zwischen Bildern und Begriffen im Gebrauch artikuliert. Damit
wird insbesondere seine produktive Funktion in der Strukturierung der Bedeu-
tung hervorgehoben.42
Die Interpretation des Schematismus als Versinnlichungsprozess der
gesamten Bedeutungserfahrung geht auf eine Revision der Schematismuslehre
Kants zurück. Der damit verfolgte Ansatz versteht sich von Beginn an als eine
durchaus kritische Würdigung der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants. Es
geht nicht primär um eine minutiöse Rekonstruktion, sondern um eine Umge-
staltung, die sich jedoch weiterhin der transzendentalphilosophischen Perspek-
tive verpflichtet weiß. Eines sollte bereits jetzt deutlich geworden sein: Es wird
nicht primär um eine Untersuchung der Schematismuslehre als systematischer
Schnittstelle in der Kritik der reinen Vernunft gehen. Stattdessen wird der Blick
auf den Gesamtzusammenhang der kantischen Transzendentalphilosophie
gerichtet, die in der Kritik der reinen Vernunft ihr Fundament hat.
Ich möchte also genau dort beginnen, wo viele Untersuchungen der
Kantforschung enden, und zwar an der systematischen Stelle, die vielen als die
unschlüssigste und rätselhafteste Stelle der Philosophie Kants gilt. Daraus folgt
zugleich, dass ich mich bei diesem Unterfangen auf Forschungslinien berufe, die
über eine rein immanente Interpretation des kantischen Werks in dem Interesse
hinausgehen, die spezifisch semantische und semiotische Kraft des Schematis-
mus herauszustellen. Dabei fällt auf, dass beide Traditionslinien im Wesentlichen
nebeneinander existieren, ohne miteinander ins Gespräch gekommen zu sein.
Und sie sind in der Tat auf den ersten Blick schlecht zu vereinbaren, weil sie aus
41 Siehe Catoni 2004 und 2005. Zum Schema-Begriff in der Antike siehe auch Celen-
tano/Chiron/Noël 2004. Zur Bedeutung des Schema-Begriffs für die Bildakt-Theo-
rie siehe Bredekamp 2010, S. 104.
42 Aus diesem Gesichtspunkt werden in Heideggers Interpretation des Schematismus
gerade die poietischen Aspekte des Versinnlichungsprozess und weniger die
Betrachtung des Bildes für das Sein in den Vordergrund gestellt. Die vorliegende
Interpretation der sinnlichen Gestaltungen des Schematismus erfolgt daher eher
im Horizont der Deutung Cassirers.
22
Einleitung
43 Vgl. Chiodi 1961, Chipman 1972, Pippin 1976, Obergfell 1985, Guyer 1987, Longue-
nesse 1998, Ameriks 2000 und Aportone 2009.
44 Zur Einbildungskraft siehe Mörchen 1930, Gibbons 1994, Düsing 1995 und Mak-
kreel 1997. Zum Bild siehe Bennett 1987 und Haag 2007.
45 Siehe dazu Lamacchia 1970 und 1972, Riedel 1976, Schönrich 1981, Villers 1997, La
Rocca 2003 und Capozzi 2012.
46 Vgl. Heidemann 2004, Hanna 2005 und Grüne 2009.
47 Hogrebe 1974. Vgl. auch Brandi 1960 (2010), Kaulbach 1968, Butts 1969, Garroni
1979, Eco 2000, Simon 2003, Fortuna 2005 und Formigari 2007.
23
Einleitung
48 Siehe dazu Simon 1966, Gessinger 1994, Di Cesare 1996, Trabant 1998 und 2012,
Bayer 2002, Bertram 2006, Borsche 2006 und 2010, Formigari 2007, Stetter 2010
und Forster 2012.
49 Siehe Gaier und Simon 2010.
24
Einleitung
50 Siehe Oschmann 2002 und 2007. Zum Versinnlichungsbegriff bei Kant siehe Gasché
1994 und 2003.
51 Zum Verkörperungsbegriff bei Kant siehe Shell 1996, Svare 2006 und Nuzzo 2008.
52 Insbesondere wird der Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff
in Betracht gezogen, die sich in ihrer kognitiven Semantik explizit auf Kant bezie-
hen. Siehe Johnson 1980 und zusammen mit Lakoff 1987 und 1999.
D ie S chematismuslehre
im L ichte K ants
Der Schema-Begriff erfährt bekanntlich seine erste und ausführlichste Behand-
lung in der Kritik der reinen Vernunft, ohne dabei ein Unikum in Kants Schrif-
ten zu bleiben, in denen das Problem des Schemas eine weitere Entwicklung und
Spezifikation erhält. Noch im berühmten Entwurf zu einem Brief an Tieftrunk
von 1797 bemerkt Kant: „Überhaupt ist der Schematism[us] einer der schwie-
rigsten Punkte […]. Ich halte dieses Kapitel für eines der wichtigsten“.1 Trotz
dieser Bemerkung finden sich neben dem kurzen Passus der Kritik der reinen
Vernunft insgesamt wenige ausdrückliche Hinweise auf die systematische
Funktion des Schematismus. Was in der Folge vielen – denken wir etwa an Her-
der, Heidegger, Cassirer – und offenbar auch Kant selbst als Kernstück seiner
Transzendentalphilosophie gilt,2 soll hier jedoch nicht anhand ihrer Rekon-
struktion behandelt, sondern umgekehrt als Dispositiv verwendet werden, um
die Transzendentalphilosophie so umstrukturieren zu können, dass der Schema-
tismus als Theorie der gesamten Bedeutungserfahrung gelesen werden kann.
Viele Aspekte des Schematismus hat Kant nicht erschöpfend behandelt.
Trotzdem ist unzweifelhaft, dass dieser in der Kritik der reinen Vernunft skiz-
zierte Prozess für Kant die Entstehung von Bedeutung umfasst. Meines Erach-
tens hat Kant als einziger in der Geschichte der Philosophie den Schematismus
als systematische Bedingung für die Entstehung und Artikulation von Bedeu-
tung angesehen, womit er zugleich die Bedingungen von Begrifflichkeit und
Sinnlichkeit grundsätzlich hinterfragt. Dem Schema wird in dieser Arbeit eine
systematische Funktion zugeschrieben, die Kant später in der Kritik der prakti-
schen Vernunft, der Kritik der Urteilskraft sowie in der Anthropologie durch
3 In der Reflexion 5612 (AA XVIII: 253) zur Metaphysik bemerkt Kant in Bezug auf
die Handlungen der Vernunft, das Wort ‚Erscheinung‘ bedeute an sich schon Sche-
ma. Für den Hinweis auf diese Reflexion danke ich Mirella Capozzi.
4 Kant, KrV, B 151.
29
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
zeigt sich eine transzendentale Semantik, die als Konsequenz der kopernika-
nischen Wende angesehen werden kann, nach welcher es nicht die Anschauung
ist, die sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten muss, sondern der
zufolge der wahrgenommene Gegenstand selbst gemäß der Beschaffenheit unse-
res Anschauungsvermögens gestaltet wird, ohne deshalb rein subjektiv zu sein.5
Das synthetische Potential des Denkens wird so zur bewegenden Kraft des
Erkenntnisprozesses, in dem der Gegenstand gleichzeitig species und figura,
Begriff und Gestalt ist. Die Erkenntnis ist somit versinnlichende und gleichzei-
tig versinnlichte Gestaltung des Denkens.
Wenn Kant von ‚figürlicher Synthesis‘ redet, handelt es sich wohlgemerkt
nicht um diejenige symbolische Erkenntnis, die Lambert im Neuen Organon
auch als „figürlich“ bestimmt, „und zwar vornehmlich in so fern die Zeichen,
wodurch sie vorgestellt wird, sichtbar oder Figuren sind“.6 Trotz Lamberts Fest-
stellung des zweideutigen Charakters des Figürlichen, das auch Metaphern und
Worte von abstrakten Begriffen kennzeichnet, ist Kants Bestimmung der Syn-
thesis als figürlich nicht mit der indirekten Zurschaustellung der Begriffe zu
verwechseln. Denn der Schematismus agiert zunächst nicht symbolisch, d.h. er
ist keine bloß indirekte Darstellung, die eine Vorstellung zur Sichtbarkeit bringt,
sondern primär eine direkte Darstellung, die die Vorstellung selbst gestaltet und
dadurch erst ermöglicht – was wiederum nicht bedeutet, dass diese Darstellung
ein bloß subjektives Produkt der Vorstellung ist, das den Anspruch auf objektive
Realität nicht erfüllen kann.7 Im Schematismus erfolgt die Darstellung im
Bereich des anschaulich Bestimmbaren. Es handelt sich um eine subjektive
Bedeutung, die sich dennoch in Anschauungen als möglich, als wirklich und als
notwendig beweisen lässt, und mithin um eine Bedeutung, die eine direkte Dar-
stellung in der anschaulichen Realität haben kann, die von einer indirekten
Darstellung unterschieden werden sollte, der eine direkte Entsprechung in den
sinnlichen Anschauungen fehlt.
5 Es handelt sich um eine Paraphrasierung der Stelle aus der Vorrede zur zweiten
Auflage der KrV (B XVIf.).
6 Lambert, NO, II, S. 473f. (§22).
7 Hans Lenk (2001, S. 18) zufolge ist Kant die Einführung des Schema-Begriffs zu
verdanken: „Es war Kant, der in seiner Kritik der reinen Vernunft den Schemabe-
griff in die Erkenntnistheorie einbrachte. Und zwar sah er in dem Schemabegriff
bzw. in der Funktion von Schemata des Verstandes die mögliche Verbindung zwi-
schen der Sinnesrezeption, der Sinneswahrnehmung (genauer: der reinen Formen
und Gestalten) einerseits und begrifflicher Erfahrung andererseits; Sinneswahr-
nehmung wird durch eine schematische, besser: schemagebundene oder schemati-
sierende, Strukturierung und eine entsprechende – bei Kant insbesondere zeitliche
– Deutung von dem Material, das in den Sinnen vorliegt, zur Erkenntnis gebracht“.
Vgl. auch Bahr (2004, S. 177): „Das kritische Unternehmen Kants beginnt da, wo
Darstellung zum Problem wird“.
30
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Die Sinnlichkeit ist gerade die zwischen der Erkenntnis und dem Denken
bestehende Grenze, welche die Erkenntnis und das Denken folgendermaßen
voneinander unterscheidet: das Feld der Erkenntnis wird genau dann überschrit-
ten, wenn eine sinnliche Anwendung der gedachten Begriffe nicht möglich ist.
Die Sinnlichkeit stellt eine Restriktion der Anwendung der Kategorien dar, die
als logische Funktionen sowohl vom Verstand (als Kategorien) als auch von der
Vernunft (als Ideen) verwendet werden. Nur diejenige Erkenntnis aber, die
einen Bezug auf die Sinnlichkeit hat, kann den Anspruch auf objektive Realität
erheben. Im Gegensatz dazu bilden Begriffe, Urteile und Schlüsse, die diesen
Bezug nicht aufweisen, die viel weitere Region des Denkens, die im weitesten
Sinne Domäne der Vernunft ist. Ohne Bezug zu einem Gegenstand ist keine
bestimmende, sondern lediglich eine symbolische Darstellung möglich, die durch
Analogie erfolgt.
Wenn sich das Schema als Bedeutung mit Anschauung und Begriff
erweist, dann ist die Idee als eine (begriffliche) Bedeutung ohne (direkte)
Anschauung anzusehen und das Gefühl als (intuitive) Bedeutung ohne Begriff.8
Dementsprechend ist die gesamte Bedeutungserfahrung bei Kant durch Schema-
ta, Ideen und Gefühle charakterisiert, während die Darstellung in eine schema-
tische, eine symbolische und eine schematische ohne Begriff unterschieden
werden kann. Die schematische Darstellung ist eine direkte Darstellung der
Begriffe durch die Anschauungen und die Subsumption dieser unter erstere.
Die symbolische Darstellung verbindet bestimmte Kenntnisse analogisch, um
eine Idee oder ein subjektives Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Die Schema-
tisierung ohne Begriff ist schließlich ein rein sinnlicher Ausdruck, der ohne
Begriffe erfolgt. Ohne die symbolische Darstellung aber würde sich die Bedeu-
tung nur auf die bekannten Begriffe und Anschauungen beziehen. Die Analogie
ermöglicht dagegen die Darstellung neuer Denkbestimmungen, die nicht empi-
risch gegeben sind, weshalb sie auch die Problematik der Kreativität umfasst,
die sich der erkennenden Regulierung entzieht. Wollte man diesen Komplex als
eine Theorie der Darstellung auffassen, so würde sie sich auf die gesamte Bedeu-
tungserfahrung beziehen. Die Darstellungsweisen (schematische, symbolische
und schematische ohne Begriff) umreißen die Semantik Kants und sind von der
Ebene der Bezeichnung zu unterscheiden, bei der es primär um das Verhältnis
zwischen Begriffen und Zeichen und im weitesten Sinne um das Verhältnis von
Darstellung und Ausdruck geht. Diese Unterscheidungen werden jeweils in den
nächsten Kapiteln in Betracht gezogen, um das Potential und gleichzeitig die
problematischen Aspekte zu erklären, die eine Darstellungslehre mit sich bringt,
in der der Schematismus als eine Ebene der Darstellung gedeutet wird – und
zwar als die Ebene der Erkenntnis, auf der eine direkte Verbindung zwischen
Begriffen und Anschauungen erzeugt wird, die von anderen Ebenen der Bedeu-
tungserfahrung zu unterscheiden sein wird. Diese Überlegung gilt es im Fol-
genden schrittweise zu entwickeln in der Überzeugung, dass die Interpretation
zunächst des Schematismus, dann der symbolischen Darstellung und schließ-
lich der Bezeichnung eine Reihe von Aspekten und Problemen freilegt, welche
im Schematismus-Kapitel nur angedeutet werden.9
Wenn also der Schematismus in gewisser Hinsicht eine Antwort auf die
transzendentale Frage der Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit
darstellt, impliziert ihre Erweiterung auf die symbolische und sprachliche
Dimension des Denkens eine Transformation der transzendentalen Frage nach
der Vermittlung selbst. Vermittlung wird so zur Versinnlichung als dem Pro-
zess der Entstehung von Bedeutung.
Dieser erste Teil der Untersuchung ist der Schematismuslehre im gesamten
Werk Kants gewidmet, mit besonderer Aufmerksamkeit auf ihre sprach- und
erkenntnistheoretischen Implikationen. Die ersten Kapitel (I bis V) beschrän-
ken sich auf den Schematismus im Erkenntnisvermögen, wie Kant ihn in der
Kritik der reinen Vernunft behandelt. Das Kapitel VI wird dagegen die sym-
bolische Darstellung als eine Ebene des Denkens ‚jenseits‘ der direkten sinn-
lichen Darstellung der Begriffe untersuchen. Und das Kapitel VII wird schließ-
lich kurz auf die Unterscheidung zwischen Darstellung und Bezeichnung
eingehen.
In der Kritik der reinen Vernunft leistet der Schematismus die Vermittlung
zwischen den zwei heterogenen Vermögen des Verstandes und der Sinnlichkeit,
die im Erkenntnisprozess zwar immer schon zusammenwirken, jedoch auf
transzendentaler Ebene als getrennte untersucht werden. Die schematische
Bestimmung betrifft, wie bereits erwähnt, nicht das Denken im Allgemeinen,
sondern nur eine besondere Region desselben, die Kant als Erkenntnis kenn-
zeichnet. Schematisiert werden nur Begriffe, die mit den Anschauungen syn-
thetisiert werden können. Diese Synthesis ist jedoch nicht nur empirisch, son-
dern betrifft auch Begriffe, die keine direkte Entsprechung in den empirischen
Anschauungen haben – wie etwa die Kategorien, die mit den reinen Anschau-
ungen synthetisiert werden. Die im Schematismus entstehende Bedeutung
umfasst also die Darstellung und Subsumption des gesamten Bereichs des
Sinnlichen, d.h. aller Sachverhalte, die in Zeit und Raum möglich sind.
Bei Kant ist das Schema die systematische Bedingung für die Entstehung
von Bedeutung, welche in den unterschiedlichen Vermögen von Sinnlichkeit
und Verstand ihr Fundament hat.10 Verstand und Sinnlichkeit ergänzen sich
gegenseitig, und erst ihre Synthesis ermöglicht die Erkenntnis eines Gegen-
standes. Daher „haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkennt-
nisse der Dinge, als nur so fern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung
angenommen werden“.11 Dieser Aspekt wird auch in §34 der Prolegomena von
10 Siehe Kant, KrV, B 145–146. Zweifellos ist hier auch an folgende, berühmte Behaup-
tung Kants zu denken (B 76f., A 52): „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegen-
stand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt
sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“.
11 Kant, KrV, B 148. Vgl. auch B 166: „Wir können uns keinen Gegenstand denken,
ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne
durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen. Nun sind alle unsere
Anschauungen sinnlich, und diese Erkenntnis, so fern der Gegenstand derselben
33
I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen
Kant zusammenfasst, der betont, dass „die Sinne nicht die reinen Verstandes-
begriffe in concreto, sondern nur das Schema zum Gebrauche derselben in die
Hand geben“, und es „über das Feld der Sinnlichkeit hinaus ganz und gar keine
Anschauung gibt, jenen reinen Begriffen es ganz und gar an Bedeutung fehle,
in dem sie durch kein Mittel in concreto können dargestellt werden“.12 Erkenntnis
besteht entsprechend heuristisch aus zwei Bestandteilen: Begriff und Anschau-
ung; und ohne Vermittlung zwischen ihnen entsteht nach Kant keine auf die
Erfahrung beziehbare Bedeutung, also keine Erkenntnis.13
Diese Erkenntnis ist dennoch in keinerlei Weise als bloße adaequatio
zwischen Anschauung und Vorstellung anzusehen, d.h. als vollständig abbil-
dende Wiedergabe der sinnlichen Mannigfaltigkeit. Im Gegenteil erhält diese
Mannigfaltigkeit erst im Prozess der schematischen Erfahrung eine erkennbare
Bedeutung. Die spezifische Funktion des Schemas erschließt sich erst, wenn
sowohl von einer physiologischen Auffassung der Sinnlichkeit als auch von
einer rein fiktionalen und instrumentellen Auffassung der Begrifflichkeit
Abstand genommen wird, wie Adorno treffend ausdrückt: „Der Begriff muss in
gewisser Weise nach dem Anschauungsmaterial sich richten. Er darf es nicht
zurichten; er darf nicht willkürlich damit verfahren, sondern er muss selber so
beschaffen sein, dass er in einem gewissen Sinn dem entspricht“.14
Die Hypostasierung entweder der Begriffe oder der Sinnesdaten redu-
ziert den Schematismus dagegen von vornherein auf ein mechanisches und
statisches Verfahren der Vermittlung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlich-
keit, d.h. auf eine bloße Prozedur, in der die Bedeutung in einem gewissen Sinn
schon von der Seite der Begrifflichkeit oder Sinnlichkeit vorgeschrieben ist. Der
Schematismus jedoch – so die hier vertretene Interpretation – dient gerade dazu,
diese Polarisierung zu vermeiden und daher die Entgegensetzung zwischen
Empirismus und Rationalismus zu überwinden: Die Erkenntnis kann nämlich
weder bloße Wiedergabe der Sinnesdaten noch reine Projektion einer fiktiven
Begrifflichkeit sein. Im Gegenteil ist die Erkenntnis bei Kant deshalb produktiv,
weil sie eine besondere Dimension des Synthetischen darstellt, das mit den
Worten Adornos auch als das ‚Nichttautologische‘ bezeichnet werden kann, als
„der Gedanke, dass die Erkenntnis mehr erkennen soll als eigentlich bloß sich
selbst“.15 Dass dieser Gedanke sich bei Kant rekonstruieren lässt, bedeutet hin-
gegeben ist, ist empirisch. Empirische Erkenntnis aber ist Erfahrung. Folglich ist
uns keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich von Gegenständen möglicher
Erfahrung“.
12 Kant, AA IV: 316f.
13 Kant, KrV, B 147: „Sich einen Gegenstand denken, und einen Gegenstand erken-
nen, ist also nicht einerlei“.
14 Adorno 1959, S. 199.
15 Adorno 1959, S. 197.
34
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
gegen nicht, er sei bei ihm unproblematisch. Im Gegensatz dazu bedarf es einer
eingehenden Reflexion auf die Bedingungen der Entstehung synthetischen
Wissens, aus dem Bedeutung entsteht. Die synthetische Aktivität des Erken-
nens hat demnach als produktiv, aber nicht als schöpferisch zu gelten und soll es
gerade ermöglichen, die Realität interpretieren zu können, ohne sie dabei auf
eine rein subjektive Fiktion zu reduzieren. Die leitende Frage des Schematismus
ist meines Erachtens die, inwieweit den unterschiedlichen Konkretisierungen der
Bedeutung ein allgemeiner Prozess zugrunde liegt: Können sie auf einen rein
empirischen oder rein logischen Beweis zurückgeführt werden? Diese Frage greift
zugleich auf die Unterscheidung zwischen Empirismus und Rationalismus
zurück, die Kant in ihrer Ausschließlichkeit überwinden möchte. Der Schema-
tismus lässt sich in dieser Lesart nicht auf die Funktion einschränken, lediglich
Begriffe mit Sinnesdaten zu verbinden, sondern er stellt die Regel dieser Ver
bindung dar.16 Daher ist genauer die prozessuale Bedingung der Bedeutung zu
untersuchen, die Begriffe überhaupt erst realisiert und die Sinnesdaten in
Erkenntnisse transformiert. Das Schema erweist sich damit als Vollzugsform.17 Es
erscheint als die Grundstruktur der Erkenntnis und ihre spezifische Grundregel.
Die Grundelemente, die sich heuristisch trennen lassen, sind die Dimen-
sion der Begrifflichkeit als abstrakte Funktion der begrifflichen Bestimmung
sowie die Dimension der Sinnlichkeit, in der die Sinnesdaten empfunden wer-
den. Erst im Schematismus aber können die Sinnesdaten von der reinen Emp-
findung zur Wahrnehmung gelangen und können die Begriffe in concreto
angewendet werden – so grenzt Kant die schematische Darstellung von solchen
Empfindungen ab, die bloß subjektiv bleiben, keine direkte Entsprechung in den
Begriffen haben und daher als Gefühle bezeichnet werden. In diesem Sinne ist
der Schematismus ein Prozess der Bestimmung und der Restriktion zugleich, in
dem die Bedeutung auf einige Bedingungen eingeschränkt wird, welche tat-
sächlich in den Anschauungen ein Korrelat haben.
16 Alberto Peruzzi betont, Kant gelinge es mit der Schematismuslehre, zwei entschei-
dende Fehler zu vermeiden: der erste bestehe in der Auffassung der Denkprozesse
als begriffliche Kalküle; der zweite in der Interpretation derselben als ein Assozia-
tionsnetz: „In quanto mediati da schemi, i concetti non sono entità autonome di
un’ontologia formale, ma non sono neppure una somma di ‚rappresentazioni’ sog-
gettiva che si sedimenta per induzione“ (2004, S. 577).
17 Friedrich Kaulbach bezeichnet das Schema als eine Vollzugsform und dabei ist es
ihm gelungen, die bewegende Kraft des Schemas zu beschreiben, dem er nichtsde-
stotrotz eine ontologische (und keine funktionale) Rolle zuschreibt. So ist bei ihm
die Rede von einem ontologischen Verhältnis zwischen Begriff und Bild, das er auf
die Auffassung von der gefesselten Natur bei Kant bezieht. Die Bewegung des
Schemas geht auf diese Weise eher in die Richtung einer Vorschrift als in die eines
Schreibens, womit die Interpretation Gefahr läuft, den Schematismus zu ontologi-
sieren und so dessen funktionale und produktive Bestimmung zu unterlaufen. Vgl.
Kaulbach 1973, S. 109–111.
35
I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen
Ohne die Schematisierung würden sowohl die Begriffe als auch die Sin-
nesdaten keine Bedeutung haben. Das grundlegende Problem des Schematismus
ist es, die Heterogenität dieser Bestandteile nicht aufzuheben, sondern die
Bedingung ihrer Verbindung transzendental zu erörtern. Ihnen liegen mit den
Kategorien einerseits, sowie Raum und Zeit andererseits jeweils reine Formen
zugrunde. Seit der Dissertatio ist der Schema-Begriff bei Kant eng mit dem
Problem der Bestimmung der Sinnlichkeit verbunden und deutliches Kennzei-
chen der kopernikanischen Wende, die eine Gleichstellung von Sinnlichkeit und
Verstand impliziert.18
Die Vermittlung von Begriffen und Anschauungen hat mehrere Ebenen,
die ich kurz einführen möchte, um den Rahmen der einzelnen Schemata bei
Kant zu verdeutlichen, bevor dann der Schematismus allgemein als Bedingung
dieser sinnlichen Erfahrung untersucht werden kann.19 Im Schematismus kön-
nen drei Ebenen unterschieden werden: eine empirische, eine rein sinnliche und
eine kategoriale. Die empirische Ebene betrifft Begriffe, die in den Anschau-
ungen zu einer empirischen Darstellung gelangen und unter die empirische
Anschauungen subsumiert werden können. Hiermit ist der empirische Gebrauch
von Begriffen angesprochen, die durch Bilder artikuliert werden können. Die
zweite, rein sinnliche Ebene umfasst Begriffe wie zum Beispiel den eines Drei-
ecks, die in den Anschauungen konstruiert werden können. Die Konstruktion
stellt dabei eine vollkommene Entsprechung zwischen Begriff und Anschauung
her und entspricht in erster Linie der Methode der Mathematik. Wir werden
jedoch sehen, inwiefern diese Konstruktion nicht nur die geometrische Figur,
sondern auch das Schriftzeichen charakterisiert, das als konstruierte Gestalt zur
schriftlichen Bezeichnung gelten kann. Die dritte, kategoriale Ebene betrifft
hingegen die Schematisierung der reinen Begriffe. In ihrem Fall entfaltet sich
der transzendentale Prozess der Synthesis zwischen Kategorien und reinen
18 Die Frage nach dem Schema entsteht schon in den vorkritischen Schriften Kants.
Der Schema-Begriff taucht zum ersten Mal in Nova Dilucidatio (1755) auf, wo er
für das „Schema intellectus divini“ (AA I: 414) steht, d.h. für das Schema des gött-
lichen Verstandes, der die Koexistenz und Verbindung der Substanzen gewährlei-
stet. In der Dissertatio (1770) dann wird der Schema-Begriff in unterschiedlicher
Bedeutung verwendet: In §4 wird das Schema mit einem Schattenriß (adumbratio)
gleichgesetzt (AA II: 393). In §13 (AA II: 398) hingegen werden die Schemata auf
Zeit und Raum als Formen der Sinnlichkeit bezogen, die als Schemata und Bedin-
gungen beschrieben werden: „Haec principia formalia universi phaenomeni abso-
lute prima, catholica et cuiuslibet praeterea in cognitione humana sensitivi quasi
schemata et conditiones, bina esse, tempus et spatium, iam demonstrabo“. An die-
ser Stelle wird somit zum ersten Mal die Verbindung zwischen den Schemata und
den reinen Formen der Anschauungen hergestellt.
19 Die Untersuchung einzelner Schemata wird in Kap.V ausgeführt.
36
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Anschauungen. Dieser Prozess ist die eigentliche Bedingung der Erfahrung und
der Realisierung der Begrifflichkeit selbst.
Die drei Ebenen stellen mithin unterschiedliche Arten der Schematisie-
rung dar, die sich zwar alle als Synthesis der Begrifflichkeit und Sinnlichkeit in
einem Dritten erweisen, trotzdem aber als drei verschiedene Schematisierungs-
prozesse zu beschreiben sind. Denn Kant führt den Schematismus als das erste
Hauptstück der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft ein, „welches von
der sinnlichen Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffen
allein gebraucht werden können“,20 und daher primär die Anwendung der Kate-
gorien auf Anschauungen und die Subsumption der letzteren unter die ersteren
betrifft. Hierin folgen wir dem internen Leitfaden der Kritik der reinen Vernunft,
der die isolierte Untersuchung der Sinnlichkeit und der Kategorien sowie die
Beschreibung ihrer Verbindung anzeigt. Aus dieser Vermittlung werden dieje-
nigen Grundsätze der Erfahrung bestimmt, welche synthetische Urteile a prio-
ri sind und aus denen sich andere Urteile herleiten lassen, die „selbst aber kei-
nem anderen subordiniert werden können“. Gerade wegen dieses ursprünglichen
Charakters können sie nach Kant „Prinzipien (Anfänge)“ genannt werden.21 Die
Schemata reiner Verstandesbegriffe stellen damit die Grundlage für den Über-
gang zwischen den Kategorien und den Grundsätzen dar, die als Bedingungen
der Erfahrung die objektive Realität der Synthesis zwischen Kategorien und
reinen Anschauungen gewährleisten.
Die Schematismuslehre umfasst aber ebenso sinnliche und empirische
Begriffe, die nicht in gleicher Weise heterogen sind wie Verstandesbegriffe und
Anschauungen. Die Schemata sinnlicher und empirischer Begriffe sind weder
überflüssig noch gänzlich unproblematisch, sondern gerade deshalb von heraus-
ragendem Interesse, weil sie eine Systematik der Begriffsbildung erkennen lassen,
die von Kant im eigentlichen Schematismus-Kapitel jedoch lediglich angedeutet
wird. Sie rücken dann in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn die Bedingun-
gen der Erfahrung in Beziehung gesetzt werden zu Problemen der Sprach- und
Erkenntnistheorie – und vor allem zu der Konzeption eines semantischen Pro-
zesses, der das Problem der Bestimmtheit als solcher in der Erfahrung zum
Thema hat.22 Damit wird zwar der engere Bereich synthetischer Urteile a priori
und der Grundsätze verlassen, nicht jedoch die Sphäre eines synthetischen
Erkenntnisprozesses, der die Gestaltung von Bedeutung sowie die Anwendung
und Subsumption jeder Art von Begriffen umfasst. Es wird also die These ver-
treten, dass jede Art der Schematisierung einen semantischen Prozess beschreibt
und dieser daher nicht auf die Anwendung nur der Kategorien reduziert werden
kann, die für Kant vermeintlich die Kernproblematik des Schematismus-Kapitels
darstellt.23
Die Unterscheidung der drei Ebenen der Schematisierung hängt eng
zusammen mit der Unterscheidung unterschiedlicher Arten von Begriffen, die
Kant in der Logik Jäsche erörtert, in der er es als Fehler bezeichnet, die Begriffe
in allgemeine, besondere und einzelne einzuteilen; Begriffe seien vielmehr per
definitionem allgemein: „nicht die Begriffe selbst[,] nur ihr Gebrauch kann so
eingetheilt werden“.24 Doch bereits innerhalb der Kritik der reinen Vernunft ist
die Frage nach der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen
„die Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig
macht“.25 Und es ist gerade dieser Gebrauch, der die Verstandesbegriffe seman-
tisch realisiert.
Die Frage nach der Heterogenität zwischen Begriffen und Erscheinun-
gen wird von Kant auf zweierlei Weise beantwortet: die erste Antwort betrifft
das Vermögen der Urteilskraft, die das Wie der Subsumption ermöglicht; die
zweite betrifft die Methode selbst, die durch ein Drittes verfährt, „was einer-
seits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit
stehen muss, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht“.26
Das Schema als ‚Drittes‘, das Kant als das transzendentale Schema bezeichnet,
ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: es muss rein (was für Kant „ohne alles
Empirische“ bedeutet), intellektuell und sinnlich sein.27 Dass das Schema nicht-
empirisch, aber zugleich sinnlich sein soll, ist dabei der zentrale Punkt, der Kants
Ansatz noch heute erkenntnistheoretisch relevant erscheinen lässt und im Mit-
telpunkt der nun folgenden Untersuchung des Schematismus stehen soll. Kant,
so die Vermutung, erkennt zwar den irreduziblen Charakter von Sinnlichkeit
und Begrifflichkeit, ohne dabei jedoch das Problem der Bedeutungsgebung zu
einem eigenständigen Thema zu machen.
Das Schema ist nicht als ein Konkretes in der Erfahrung zu finden, ist
aber mit der Sinnlichkeit, d.h. mit der sinnlichen Dimension der Erkenntnis ver-
23 Vgl. Pendlebury (1995, S. 780): „The question of how intuitions can be subsumed
under categories raises the more general question of how they can be subsumed
under concepts of any type. […] The truth is that Kant rightly thinks that the sub-
sumption of intuitions under categories is more problematic than their subsump-
tion under mathematical and ordinary empirical concepts“.
24 Kant, AA IX: 91. Die Spezifizierung der Begriffe ihrem Gebrauch nach wird später
noch Gegenstand einer ausführlicheren Analyse anhand der Unterschiede zwi-
schen den einzelnen Schemata sein. Siehe unten, Kap. V.
25 Kant, KrV, B 177, A 138.
26 Ebd.
27 Kant, KrV, B 178f., A 139.
38
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
bunden und hat daher einen anschaulichen Charakter.28 Es lässt sich durchaus in
Wahrnehmungsprozessen erkennen – was hingegen nicht bedeutet, dass es für
etwas empirisch Gegebenes gehalten werden dürfte. Vielmehr stellt es auf näher
zu bestimmende Weise die Bedingungen der Artikulation und Gestaltung von
Bedeutung dar, die als gegeben erscheinen kann, jedoch genau genommen in
Wahrnehmungsprozessen jeweils erst erzeugt wird. Ebenso kann die Unter-
scheidung zwischen reinen, sinnlichen und empirischen Begriffen als gegeben
erscheinen, obwohl sie sich letztlich auf ihre jeweilige Schematisierung zurück-
führen lässt. Auf das Spannungsverhältnis zwischen Gegebenheit und Gemacht-
Sein der Begriffe wird noch häufiger zurückzukommen sein.
Der empirische Gebrauch von Begriffen, die für Kant von Wörtern
begleitet werden, wird von ihm nicht geleugnet und mit dem Begriff der Bedeu-
tung in Verbindung gebracht, wenn er etwa in Bezug auf §445 der Vernunft-
lehre Meiers anmerkt: „Der […] gewöhnliche Gebrauch bestimmt die Bedeutung
der Worte“.29 Das Schema aber entspricht wohlgemerkt nicht dem gewöhnlichen
Gebrauch, sondern steht für dessen transzendentale Strukturierung.30 Denn der
Gebrauch der Begriffe durch Worte bedarf einer schematischen Gestaltung, die,
sofern sie die Bedingungen des Gebrauchs anzeigt, als transzendental bezeich-
net werden muss. Diese transzendentale schematische Strukturierung ermög-
licht somit die Artikulation der Bedeutung von sinnlichen Gestalten wie Bildern
und Wortlauten im Gebrauch. Innerhalb dieser transzendentalen Strukturie-
rung möchte ich die Funktion der Sinnlichkeit hervorheben, die meines Erach-
tens bei Kant nicht nur eine rezeptive, sondern auch eine aktive Funktion hat
und nicht empirisch herzuleiten ist.
Diese aktive Funktion der Sinnlichkeit wird von Kant insbesondere auf
die Vermittlungsfunktion der Zeit bezogen. Das Schema ist primär eine Zeit-
bestimmung, die sich als „die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inne-
ren Sinnes“ als einerseits intellektuell und andererseits sinnlich erweist.31 Durch
28 Mit den Worten von Josef Simon ausgedrückt (1971, S. 30): „Der kantische tran-
szendentalphilosophische Ansatz kann durchaus als Versuch gesehen werden, die
Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer ‚Bedeutung‘ als Möglichkeit des Bezuges
auf einen Gegenstand von einem universalen Gesichtspunkt aus zu bestimmen
wäre“.
29 Kant, AA XVI: 818f. (R 3409): „Der [bekannte] gewöhnliche Gebrauch bestimmt
die Bedeutung der Worte. Man muß keine eigne Bedeutungen alter Worte, auch
nicht neue Worte statt alter aufbringen. Verba valent sicut numi; a nomos: Gesetz“.
Zum Vergleich zwischen Kants Bemerkung und dem Satz Baumgartens, nach dem
„verba valent sicut nummi“, siehe Capozzi 2002, S. 510.
30 Vgl. Aportone 2009, S. 328: „Das Schema verändert oder bestimmt nicht den
Begriff, sondern gehört zu ihm als Verfahren seiner Anwendung bzw. Bestimmung
seiner Bedingungen“.
31 Kant, KrV, B 178f., A 139.
39
I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen
die Befreiung aus der Unterwerfung unter den Verstand bei Leibniz und Wolff,
die Kant vornimmt, ergibt sich eine eigentümliche Funktion der Sinnlichkeit,
und wird die Frage nach der schematischen Vermittlung zwischen Sinnlichkeit
und Verstand dringlich. Später wird zu problematisieren sein, wie diese sinn-
liche, zeitlich-räumliche Dimension auch die Sinne als solche involviert.
Die interne Schwierigkeit bei der Interpretation des kantischen Schema-
tismus liegt darin, den Prozess von seinen einzelnen Bestandteilen zu unter-
scheiden – was bei Kant die isolierende Methode leisten soll, auf die ich kurz
eingehen möchte. Kant zielt mit ihr darauf, die einzelnen Bestandteile der
Erkenntnis je getrennt zu betrachten, um die spezifischen Eigenschaften auf-
zuzeigen, die sie charakterisieren. Durch die isolierende Analyse der Vermögen,
die schon Aristoteles in De Anima 32 als die zentrale Schwierigkeit bei der
Beschreibung von Wahrnehmungsprozessen ausmacht, geht Kant die Gefahr
einer statischen Beschreibung der Erkenntnis ein, die sich lediglich als Kom-
bination von Bestandteilen und nicht als Prozess erweist. Daraus ergibt sich die
Frage, ob die angezeigte Vermittlung letztlich auf einem ontologischen oder
einem rein heuristischen Dualismus basiert. Dieses Problem lässt sich anhand
der Behandlung sowohl der Methode als auch ihrer einzelnen Bestandteile ent-
falten. Die Vorgehensweise der Transzendentalen Ästhetik beschreibt Kant wie
folgt: Wir würden „zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch, daß wir alles
absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als
empirische Anschauung übrig bleibe“. Zweitens würden wir „alles, was zur Emp-
findung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße
Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlich-
keit a priori liefern kann“.33
Diese isolierende Methode wird von Kant in der Methodenlehre noch
spezifiziert und mit der Vorgehensweise eines Chemikers verglichen, der die
Materie zuschneidet, um die Werte der einzelnen Substanzen zu bestimmen. Es
ist demzufolge wichtig, die Vermögen voneinander zu isolieren, damit sie „nicht
mit anderen, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein
Gemische zusammenfließen“.34 Hans Vaihinger behandelt in seinem Kommen-
tar zur Kritik der reinen Vernunft diese isolierende Methode und deutet eine
kurze Rezeptionsgeschichte des Problems unter den Nachfolgern Kants an –
insbesondere bei Reinhold, Hamann, Herder und Jacobi. In deren Debatte
kommt die wichtige Frage auf, ob die so gekennzeichnete Methode materiell
oder abstrakt, d.h. ob die Isolierung zwischen den Vermögen ontologisch oder
lediglich heuristisch zu verstehen sei. Für Vaihinger selbst ist sie „zunächst eine
logische, abstrakte Sonderung“, und das Bestreben Kants wäre es „zu zeigen,
wie das Ganze der Erkenntnis aus diesen verschiedenen Elementen entstehe“.
Weiterhin hätte Kant damit gezeigt, „was die Sinne, was Verstand und Ver-
nunft bei der Erkenntnis thuen und wie durch das Zusammenwirken derselben
ein Ganzes – Erkenntnis entstehe“.35
Obwohl die Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit folg-
lich mit Vaihinger zunächst als rein heuristisch gedeutet werden kann, sind
zugleich kritische Einwände gegen diese Lesart ernst zu nehmen. Nach Herder
etwa macht die isolierende Methode die Sinnlichkeit zu einer „sonderbaren
Wissenschaft“36 und das Schema zu „einer ‚dritten Fiktion‘ zwischen zwei ver-
schwundenen Fiktionen“.37 Und obwohl Hegel die Verbindung der Vermögen
durch den Schematismus als „eine der schönsten Seiten der kantischen Philoso-
phie“ bezeichnet, „wodurch reine Sinnlichkeit und der reine Verstand, die als
absolut entgegengesetzte Verschiedene vorhin ausgesagt wurden, vereinigt
werden“, macht er Kant den Vorwurf, den Sinn dieser Verbindung als Einheit
nicht begriffen zu haben: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlichkeit
ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden, wie
ein Holz und Bein durch einen Strick“.38 Laut Hegel „macht das Isolieren der
Tätigkeiten den Geist ebenso nur zu einem Aggregatwesen und betrachtet das
Verhältnis derselben als eine äußerliche, zufällige Beziehung“.39 Und auch Deleuze
problematisiert anhand der Auslegungen Maimons und Fichtes den statischen
Charakter der Vermögen bei Kant: Dieser habe die Anforderungen einer gene-
tischen Methode ignoriert und die transzendentale Untersuchung auf „fix und
fertige Vermögen“ gegründet. Dabei würde Kant die Harmonie der Vermögen
vernachlässigen, die er erst in der Kritik der Urteilskraft im Zuge der Unter-
suchung zur Genese der Vermögen in deren freier Übereinstimmung erörtere.40
Diese Kritik an Kant stellt für die vorliegende Untersuchung eine beson-
dere Herausforderung dar, weil sie den Kern des Schematismus berührt: Auch
wenn es stimmt, dass Kant durch die isolierende Methode zur Untersuchung der
spezifischen Aspekte der einzelnen Vermögen kommt, läuft er damit zugleich
Gefahr, den Schematismus auf eine bloß mechanische Vermittlungsfunktion zu
reduzieren, bei der die eigentümliche Hervorbringung von Anschauungen und
Begriffen zwar deskriptiv auftaucht, aber letztlich nicht erklärt werden kann.
Kant geht mithin das Risiko ein, lediglich die theoretische Beschreibung einer
möglichen Überwindung der Kluft zwischen Begriffen und Anschauungen zu
leisten – ohne aber deren spezifische Genese zu erklären. Herders Etikettierung
des Schemas als ‚Fiktion‘ steht insofern paradigmatisch für das Risiko, die Ver-
mittlungsfunktion aufgrund ihres statischen Charakters überflüssig werden zu
lassen.
Der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand wird von Kant in
der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft noch verschärft, indem er
die Funktion der Einbildungskraft einschränkt.41 Die isolierende Methode kann
dazu führen, die Rolle der Einbildungskraft innerhalb der Synthesis herab-
zumindern, um das Risiko zu vermeiden, sie auf empirische und psychologische
Elemente reduzieren zu müssen. Dabei würde die Einbildungskraft in ihrer
Eigenständigkeit gefährdet und die Synthesis an die Spontaneität zurückver-
wiesen. Die Dynamisierung des Erkenntnisprozesses läuft damit Gefahr, als
willkürlich wahrgenommen zu werden. Dieser schwierige Aspekt tritt auch in
Bezug auf das Problem der unbekannten Wurzel der zwei Stämme der Erkennt-
nis auf,42 das Kant in der Anthropologie wiederum am Beispiel der chemischen
Methode als die Frage formuliert, „wie das Ungleichartige aus einer und dersel-
ben Wurzel entsprossen sein könne“.43 Dies ist die Stelle, an der Kant in einer
Anmerkung das Problem der Zusammensetzung der Vorstellungen durch den
Unterschied zwischen der mathematischen Vergrößerung und der dynamischen
Erzeugung erklärt, „wodurch ein ganz neues Ding (wie etwa das Mittelsalz in
der Chemie) hervorkommt“, und mit der Frage schließt: „In welchem Dunkel
verliert sich die menschliche Vernunft, wenn sie hier den Abstamm zu ergrün-
den, ja auch nur zur errathen es unternehmen will?“.44 Wenn Kant demnach in
Bezug auf die Einbildungskraft einen Schritt zurück macht, so sind es seine
Nachfolger, die einen Schritt nach vorne versuchen – was, wie sich zeigen wird,
wiederum mit anderen Risiken verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist der Versuch
Maimons, einen Monismus der Einbildungskraft zu etablieren und die Diffe-
renz zwischen Verstand und Sinnlichkeit durch ein rationales Prinzip der
Bestimmbarkeit aller Gegenstände des Denkens einzuebnen.45
41 Die Unterschiede zwischen den zwei Auflagen der ersten Kritik sind hier nicht
Gegenstand und werden nur erwähnt, um zu signalisieren, inwiefern Kant grund-
sätzlich empfänglich für das Problem eines dynamischen, spontanen Erkenntnis-
prozesses ist. Einige Aspekte des Problems der zwei Auflagen der Deduktion und
ihrer Unterschiede werden in II.5 erneut in Betracht gezogen, um die Funktion der
Einbildungskraft zu erörtern.
42 Siehe Kant, KrV, B 30, A 16.
43 Kant, AA VII: 177.
44 Ebd.
45 Siehe dazu Kap. I des zweiten Teils.
42
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
46 Jürgen Villers (1997) behandelt sowohl das Problem der Sprachlosigkeit als auch
das Potential der latenten Sprachlichkeit der Philosophie Kants.
47 Villers 1997, S. 319f.: „Gute Gründe sprechen dafür, bei der Interpretation des kan-
tischen Schematismus-Begriffs die A-Auflage der Deduktion zugrunde zu legen:
Denn das Schematismus-Kapitel wurde 1787 von Kant ohne Änderungen in die
zweite Auflage übernommen. Deshalb können sich wichtige, gegenüber 1781 neue
terminologische Unterscheidungen – wie die zwischen ‚Form der Anschauung‘ und
‚formaler Anschauung‘ oder zwischen ‚figürlich‘ und ‚intellektueller Synthesis‘ –
im Schematismus-Kapitel weder finden, noch seiner Deutung zugrunde gelegt
werden. Ebenso baut die grundlegende Unterscheidung zwischen schematisieren-
der reiner und bildergebender empirischer Einbildungskraft auf einer Stelle auf, die
sich nur in der A-Deduktion findet (vgl. Kant, KrV, A 120). Wie auch das Triangel-
Beispiel (Paradigma eines reinen empirischen Begriffs) an zwei Stellen der
A-Deduktion anknüpft (vgl. Kant, KrV, A 105 und 124), die sich nicht mehr in der
B-Auflage finden. […] Kant scheint mit dem Schematismus-Kapitel eine systema-
tische Lücke der ersten Deduktion schließen zu wollen, und wieder steht die Einbil-
dungskraft im Mittelpunkt“.
43
I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen
48 Siehe Kant, AA XV: 83: „Der logische Unterschied des Sinnlichen und intellectu-
alen. Der reale Unterschied. Genesis“.
49 Kant, AA XV: 82.
50 Kant, KrV, B 149.
45
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
Das Ziel der folgenden Überlegungen ist es, zu zeigen, inwiefern aus-
gehend von einer in heuristischer Perspektive isolierten Betrachtung der Ver-
mögen eine Spezifizierung ihrer jeweiligen Funktionen gelingen kann, durch
die sich der Prozess der Synthesis als ein immer schon sinnlich bestimmter
beschreiben lässt. Damit wird insbesondere die aktive, gestalterische Funktion
der Sinnlichkeit hervorgehoben, die für Kant wohlgemerkt ein Vermögen sowohl
der Sinne als auch der Einbildungskraft ist. Letztere ermöglicht als Vermögen
der Anschauungen die Darstellung vom Gegenstand auch ohne dessen Gegen-
wart51 und erfolgt stets als genetische Synthesis, was die eigentümliche Gestal-
tungsfähigkeit der Sinnlichkeit unterstreicht.52 Insbesondere zwei Momente der
Sinnlichkeit müssen mit Blick auf den Schematismus in der Sprach- und Erkennt-
nistheorie bei Kant (wie auch später bei seinen Nachfolgern) hervorgehoben
werden: erstens die Aktivität der Sinnlichkeit und zweitens ihr transzenden-
taler Charakter.
Um die so skizzierte Auffassung der Sinnlichkeit zu vertreten, ist es
zunächst wichtig, die Reichweite des Schemas zu spezifizieren, das sich zwischen
Begriff und Bild artikuliert und für Kant von Symbolen und Zeichen abzu-
grenzen ist. Die Interpretation des Schematismus hat zu zeigen, inwiefern das
Verständnis der Sinnlichkeit als ein Vermögen, das nicht auf die Begrifflichkeit
reduziert werden kann, die semantische und semiotische Relevanz des Schema-
Begriffs hervorhebt. Wenn unter Schematismus nur die Synthesis zwischen
reinen Anschauungen und Kategorien verstanden würde, dann wären – wie
Kant am Anfang der Transzendentalen Ästhetik erläutert – zunächst die Prin-
zipien der Erkenntnis a priori und anschließend deren Synthesis a priori zu
untersuchen. Und zu den Prinzipien der Erkenntnis a priori rechnet Kant auf
Seiten der Sinnlichkeit nur die reinen Formen der Anschauung (Zeit und Raum),
die zum Zwecke der Synthesis mit den Kategorien die sinnliche Mannigfaltigkeit
zu einer Einheit a priori bringen. Wird hingegen unter dem Schematismus der
Prozess des Gebrauchs empirischer, sinnlicher und reiner Begriffe verstanden,
dann ist die Sinnlichkeit insgesamt – und nicht nur ihre reine Form – involviert,
wie sie gerade in den Sinnen und in der Einbildungskraft gestalthaft tätig ist.
Wenn der Schematismus als semantischer und semiotischer Prozess verstanden
werden soll, dann sind meines Erachtens die sinnlichen und empirischen
Schemata – die im Schematismus-Kapitel selbst nur durch Beispiele (das des
Dreiecks und des Hundes) erwähnt werden – von systematischem Interesse. Um
den sinnlichen Umfang des Schematismus zu bestimmen, richtet unsere Unter-
suchung ihre Aufmerksamkeit daher auf den Gesamtzusammenhang der Sinn-
lichkeit bei Kant. Dabei wird es insbesondere um die synthetische Funktion der
Gestaltung gehen, die aus der Kritik der reinen Vernunft allein nicht hervor-
geht. Nur deshalb kann Kant auch die rein subjektive Empfindung aus seiner
Analyse ausklammern und zu einer vermeintlich unproblematischen Einord-
nung der empirischen Anschauungen gelangen. Im Gegensatz dazu werde ich
versuchen, die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in den Vordergrund zu stel-
len, um dadurch einem möglichen Riss zwischen Figuration und Gestaltung
vorzubeugen, den etwa Stephan Otto folgendermaßen beschreibt:
„Durch Kants ‚figürliche Synthesis‘ zieht sich somit ein Riss: eine selber
figurierende Synthese – wie jene der vormodernen Denker – darf sie
nicht werden; folglich muss sie zu einer Synthese geraten, die einzig vom
Verstand ‚bestimmt‘ und kraft eben dieser ‚Bestimmung‘ figuriert wird.
Wenn nun aber Figuration mit Veranschaulichung einhergehen soll, wie
könnte dann ein Verstand, der in den Sinnen die Anschauung erst
‚suchen‘ muss, jetzt anschaulich figurieren?“.53
Die Hervorhebung der Synthesis speciosa kann als Versuch angesehen werden,
einerseits die Spontaneität des Denkens nicht auf eine intellektuelle Anschau-
ung zu reduzieren und andererseits die Sinnlichkeit nicht zur Magd der Spon-
taneität zu degradieren. Der angezeigte Riss wird damit zur transzendentalen
Herausforderung. Es wird sich zeigen, dass dieser Versuch sich gerade in einer
eingehenden Deutung der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlich-
keit entfalten kann, die sich als Versinnlichung auffassen lässt.
53 Otto 2007, S. 106. Dieser Riss wird in Kap. VI erneut und dort gerade in Bezug auf
die Auslegung von Stephan Otto diskutiert, der ihn im Zusammenhang mit der
Erinnerung problematisiert.
47
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
54 Zur Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand aus logischer Sicht siehe
Capozzi 2002, S. 368–376.
55 Kant, AA XVIII: 25.
56 Kant, AA XV: 94.
57 Kant, AA VII: 140. Siehe auch AA IX: 33–36 und AA XXIII: 23: „[…] Sinnlichkeit
ist nicht Verworrenheit der Vorstellungen, sondern subjektive Bedingung des
Bewußtseins“. Vgl. auch La Rocca 2003, S. 131.
48
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Für Kant ist deshalb gerade die Vorstellung eines passiven Charakters
der Sinnlichkeit, die nur affiziert würde, „eigentlich die Ursache alles des Übels,
was man ihr nachsagt“.58 Und obwohl die Passivität nach Kant durchaus ein
strukturelles Merkmal der Sinnlichkeit ist, „was wir doch nicht ablegen kön-
nen“, sollte sie nicht als Passivität dem Verstand gegenüber, sondern zunächst
lediglich als Charakterisierung dafür angesehen werden, dass die Sinnlichkeit
affiziert und stimuliert wird. Dieser Aspekt betrifft vor allem nur die Sinne, die
durch die Berührung mit äußeren Gegenständen die Wahrnehmung konstitu-
ieren. Und passiv ist dabei nur diese Berührung, weil – wie im Folgenden durch
die Untersuchung der einzelnen Sinne gezeigt werden soll – schon die bloß
sinnliche Wahrnehmung immer eine Umformung der Sinnesdaten mit sich
bringt.59 Aktivität und Passivität können dabei zwar in abstracto getrennt wer-
den, sind jedoch in der Erfahrung selbst beide involviert und insofern nicht
trennbar.60
Die Sinnlichkeit ist daher keine neutrale Aufzeichnung der Sinnesdaten,
die mittels der Begrifflichkeit zur Darstellung gelangen, sondern sie ist selbst
die Bedingung der Wahrnehmung, die in sich die sinnliche Gestaltung enthält
und sich weder auf die Spontaneität des Verstandes noch auf eine rein empiri-
sche Bestimmung reduzieren lässt. Die transzendentale Gleichstellung der
Sinnlichkeit, die Kant im Zuge seines Gegenentwurfes zur Leibniz-Wolffischen
Schule vornimmt, geht also mit einer Kritik an der physiologischen Perspektive
Lockes einher, bei der die Sinnlichkeit auf die rein empirische Ebene reduziert
wird.61 In diesem Sinn kann man mit Eco zu dem Schluss kommen, dass Kant,
with Locke’s ‘physiology’ was that it was empirical, that is, that it attempted to
determine both the contents of human knowledge and its boundaries through a
purely empirical investigation of the human capacity for cognition […] Kant, by
contrast, supposes that he could provide what he called a ‘transcendental’ determi-
nation of the fundamental structures of our cognition, and therefore that he could
also provide a transcendental rather than an empirical determination of its limits“.
62 Eco 2000, S. 85.
63 Cassirer, ECW, 3, S. 598.
50
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Auf der deskriptiven Ebene – also vor der Betrachtung des genetischen Erkennt-
nisprozesses selbst, in dem sich Bedeutung erst realisiert – wird das Verhältnis
zwischen Gefühl, Begriff und Idee mittels der isolierenden Methode untersucht,
durch welche erstens die subjektive von der objektiven Empfindung unterschie-
den und zweitens die letztere von der Idee abgegrenzt wird. In der objektbezo-
genen Empfindung, die die Bedingung einer Bedeutungserfahrung mit Anschau-
ung und Begriff ist, ergibt sich eine Differenz zwischen Sinnlichkeit und
Verstand, die keinesfalls als eine Zurückführung eines Vermögens auf das ande-
re erklärt werden kann. Wie schon am Beispiel der Methode der Chemie ersicht-
lich,65 ist es Kant durch eine getrennte Untersuchung der Vermögen möglich,
deren jeweilige Eigenschaften zu spezifizieren und die Nichtreduzierbarkeit des
einen auf das andere aufzuzeigen. Das Risiko einer solchen Vorgehensweise ist
bereits erläutert worden; es besteht darin, dass auf diese Weise die Synthesis selbst
als eine bloß statische Zusammensetzung erscheinen kann. In einer isolierten
Betrachtung der Sinnlichkeit kann diese von vornherein als eine Gestaltung
verstanden werden, die im Gebrauch der Begriffe immer schon impliziert ist.
Der Untersuchung der Sinnlichkeit ist der erste Teil der Elementarlehre
der Kritik der reinen Vernunft gewidmet, weil „die Bedingungen, worunter
allein die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen
vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden“.66 Ist hingegen keine objektbe-
zogene sinnliche Bedingung gegeben, handelt es sich um einen bloßen Gedan-
ken, der nur analogisch zur Darstellung gelangt oder eine rein subjektive Emp-
findung ist. Dem Schematismus liegen daher zwei Differenzierungen zugrunde:
die erste betrifft den Unterschied zwischen Begriffen und Ideen, die zweite den
nämlich die sinnliche Bedingung wegnimmt, so fällt damit „alle Bedeutung, d.i.
Beziehung aufs Objekt“ weg, weshalb man „durch kein Beispiel sich selbst fass-
lich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding
gemeint sei“.69 Weiter heißt es: „Fehlt diese Bedingung der Urteilskraft (Schema),
so fällt alle Subsumption weg; denn es wird nichts gegeben, was unter den
Begriff subsumiert werden könne“.70
Das Fehlen sowohl reiner als auch empirischer Anschauungen ist daher
das Kriterium, mit dem die transzendentale Bedeutung der Kategorien von ihrem
rein logischen Gebrauch unterschieden wird. Die Kategorien haben zwar ihren
Ursprung nicht in den Anschauungen und sind nicht auf Anschauungen zurück-
führbar, aber ausgehend von diesen logischen Formen kann der Verstand auch
andere mögliche Dinge, „die gar nicht Objekte unserer Sinne sind“,71 als Gegen-
stände denken.72 So schließt Kant:
„Die Lehre der Sinnlichkeit ist nun zugleich die Lehre von den Noume-
nen im negativen Verstande, d.i. von Dingen, die der Verstand sich ohne
diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß als
Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß“.73 Und wei-
ter: „was also von uns Noumenon genannt wird, muß also als ein solches
nur in negativer Bedeutung verstanden werden“.74
Auf dieser Ebene können die transzendentalen Ideen ein Schema nur im Sinne
eines regulativen und nicht die Erkenntnis bestimmenden Prinzips sein;75 und
sie können in keiner Weise eine konstitutive Erweiterung unserer Erkenntnis
Zustandes dienen. Das Gefühl kann jedoch eine besondere Art der Schematisie-
rung erfahren, die – wie Kant in §35 der Kritik der Urteilskraft erklärt – eine
Schematisierung ohne Begriff ist, d.h. eine Schematisierung, die keinem Begriff
angepasst werden kann und dadurch zum rein sinnlichen Ausdruck führt. Wir
werden diese Schematisierung noch in Betracht ziehen, um an ihr die Bedeu-
tung einer expressiven Schematisierung bei Kant zu klären.81
Anhand der Bestimmung des Gefühls lässt sich bei Kant die Grenze
zwischen Subjektivität und Objektivität erkennen, die eine grundlegende Funk-
tion in der Unterscheidung einzelner Sinne ausübt. Denn obwohl alle Sinne von
außen affiziert werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Grades an Objek-
tivität und Subjektivität, die in der Wahrnehmung ineinanderfließen. Somit ist
die Grenze selbst im Urteilen nur kritisch zu ziehen. Man kann sich über inne-
re und äußere Empfindungen äußern, jedoch kann das nur im Bewusstsein des
Grads an Subjektivität der eigenen Urteile geschehen. Deswegen zieht Kant eine
klare Grenze zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen: Erstere sind
bloß subjektiv, die zweiten objektiv. Wahrnehmungsurteile können daher keine
Bestimmungsurteile über den Gegenstand sein: „zum Beispiel bei der Berüh-
rung des Steins empfinde ich Wärme, ist ein Wahrnehmungsurteil, hingegen:
der Stein ist warm, ein Erfahrungsurteil. Es gehört zum letzteren, daß ich das,
was bloß in meinem Subject ist, nicht zum Object rechne“.82
Zweifellos ist bei vielen Urteilen der Übergang vom Wahrnehmungs-
zum Erfahrungsurteil möglich; nämlich immer dann, wenn die Empfindung
auf ein Objekt beziehbar ist und anschauliche Gründe angenommen werden
können, um das Urteil zu beweisen und es für ein Bestimmungsurteil über den
Gegenstand zu halten. Wenn aber diese Bedingung nicht erfüllt wäre, bliebe das
Urteil bloß subjektiv möglich und könne nicht objektiv unter Begriffe gebracht
werden.83
Die rein subjektive Empfindung lässt sich daher nicht schematisieren
und kann nicht in einem Erfahrungsurteil ausgedrückt werden, weil die sub-
jektive Wahrnehmung sich nicht so auf das Objekt übertragen lässt, als ob sie
eine Bestimmung des Objektes selbst wäre. Die damit angezeigte Spannung
zwischen Subjektivität und Objektivierung bloß subjektiver Urteile lässt sich
nicht kritisch auflösen, sondern nur eingrenzen; ihr kommt eine grundlegende
Funktion in den Reflexionsurteilen als einem Denken zu, das sich außerhalb
objektiver Grenzen bewegt.
Begriffe, Ideen und Gefühle werden zwar einerseits von Kant darüber
unterschieden, ob sie jeweils eine Entsprechung in der Sinnlichkeit haben oder
nicht. Deshalb kann es scheinen, als hätten zumindest die Ideen gar nichts, und
die Begriffe nur bedingt etwas mit der Sinnlichkeit zu tun. Andererseits aber
sind alle drei insofern auf die Sinnlichkeit angewiesen, als sie einer Versinn-
lichung bedürfen. Und zwar werden selbst Ideen versinnlicht, indem sie sym-
bolisch dargestellt werden. Das ist aus kantischer Sicht zunächst weitestgehend
unproblematisch, weil es der Konzeption der indirekten Entsprechung folgt, die
– wie wir sehen werden – durch Analogie verfährt.84 Doch diese indirekte, sym-
bolische Versinnlichung basiert streng genommen auf einer direkten, die zwar
nicht den Gegenstand bestimmt, den Ideen aber eine sinnliche Form verleiht,
die unerlässlich ist, damit sie gedacht werden können. Es ist diejenige bestim-
mende Versinnlichung, kraft der die Idee einen Wortlaut erhält. Die Annahme
dieser zweiten Form der Versinnlichung, der bei Kant lediglich die Schema-
tisierung der Kategorien entspräche, ist im Vergleich zur ersten wesentlich
voraussetzungsreicher, insofern sie über die kantische Systematik hinausweist:
Kant selbst ist nämlich an einer strikten Trennung zwischen Begriffen und Ideen
interessiert, weshalb eine sinnliche Realisierung dieser Art von ihm unterbe-
wertet bleibt. Denn diese Versinnlichung setzt zugleich eine Erweiterung der
transzendentalphilosophischen Perspektive auf Themen voraus, die Kant ledig-
lich in der Anthropologie – und damit außerhalb des kritischen Unterfangens
– abhandelt. Daher wird es im folgenden Kapitel darum gehen müssen, die sys-
tematische Kompatibilität zwischen kritischen und anthropologischen Schrif-
ten zu plausibilisieren.
von einer Kontinuität zwischen anthropologischen Schriften und den drei Kri-
tiken vertritt, so wie er auch die transzendentale Psychologie als legitimen Teil
der Transzendentalphilosophie behandelt.87 Das Schema wird dabei von Svare
ausdrücklich als „embodied practice“ bezeichnet, obwohl das Embodiment im
engeren Sinne als Körperbewegung verstanden wird: „My main thesis, howev-
er, is that in Kant’s theory of schematism the cognitive agent must be perceived
as an embodied agent, and the cognitive acts ascribed to this agent as embodied
acts or practices“.88
Dieser Ansatz schließt sich an die Auffassung des Schemas als Hand-
lungsschema an, und ist daher mit der von Piaget vertretenen Position ver-
gleichbar.89 Svare hingegen sollte das Verdienst zugerechnet werden, die Verkör-
perung mit dem Begriff der Praxis verbunden zu haben und die anthropologischen
Untersuchungen der Sinne in der Transzendentalphilosophie eingeführt zu
haben.90 Dennoch werden hier unter Verkörperung ausdrücklich körperliche
Praktiken angezeigt und wird nicht der Versuch unternommen, die Aktivität
der kantischen Sinnlichkeit in Bezug auf die Sinne und die Einbildungskraft als
Prozesse der Verkörperung selbst zu untersuchen, wie sie in der Anthropologie
vorkommen.
Ein Versuch, einen solchen nicht-reduktionistischen Ansatz durch eine
Neugewichtung der Opposition zwischen den anthropologischen Schriften und
der Transzendentalphilosophie Kants zu etablieren, wird von Angelica Nuzzo in
ihrem Buch Ideal Embodiment. Kant’s Theory of Sensibility unternommen.91
Die Sinnlichkeit wird von ihr aktivisch bestimmt und zum Körper in Beziehung
gesetzt, der damit nicht nur – wie in der Physiologie oder Psychologie – den
Gegenstand der Erfahrung, sondern die Bedingung der Erfahrung selbst dar-
stellt:
Critique, constantly reflect upon the fact that human life is embodied, but he is also
occupied in exploring the philosophical implications of this fact. […] Bringing this
aspect of Kant’s philosophy into the light is important, not only because it has too
long been generally ignored, but also because it is highly relevant to contemporary
discussions in philosophy about, for example, embodiment, learning and practice.
By taking his philosophy of embodiment into account, we discover that far from
being outdated, Kant stands out as a true contemporary“.
87 Svare 2006, S. 140 und S. 148: „[…] the cognitive theory defined in the anthropol-
ogy is, roughly, the same as the one we find in the Critique“.
88 Svare 2006, S. 178.
89 Svare (2006, S. 300) vergleicht den Ansatz von Kant mit dem von Piaget: „I think
that what Piaget calls sensorimotor intelligence is more or less the same as what
Kant calls understanding (…) Kant’s understanding is associated with our capacity
to act regularly in the world“.
90 Gerade dieser Aspekt dient am Ende des Buchs von Helge Svare (2006, S. 309) zur
kritischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz von John McDowell.
91 Vgl. Nuzzo 2008, S. 5.
57
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
Dem Versuch, die transzendentale Funktion des Körpers als eine Dimension der
Sinnlichkeit zu deuten, die nicht die gleiche Ausdehnung wie der empirische
Körper hat, sollte man das Verdienst zurechnen, eine Auffassung von Verkörpe-
rung zu vertreten, die sich nicht auf eine rein empirische und physiologische
Perspektive reduzieren lässt. Um die aktive und selbständige Dimension des
Körpers bei Kant zu erklären, rekurriert Nuzzo zutreffenderweise auf die Rea-
lität des äußeren Sinns anhand der Beispiele der entgegengesetzten Gegenstän-
de im Raum und des Orientierungsgefühls.93 Der Körper steht daher nicht nur
mit der Sinnlichkeit im engeren Sinne in Verbindung, sondern auch mit der
übersinnlichen Vernunft, die durch den Verkörperungsprozess zugänglich wird.
Entsprechend bemerkt Nuzzo: „Human rationality is embodied rationality“.94
Somit wird eine Dimension des Körpers sichtbar, die sich nicht auf einen bloßen
Mechanismus zurückführen lässt.95 Und gleichzeitig wird auf diese Weise eine
Dimension des Denkens beschrieben, die selbst verkörpert ist. Die anthropologi-
schen Schriften werden jedoch letztlich von Nuzzo nicht in Betracht gezogen,
vor allem nicht in Bezug auf die epistemischen Aspekte der Bestimmung der
einzelnen Sinne und der Einbildungskraft, welche die hier vertretene Interpre-
tation einer aktiven Funktion der Sinnlichkeit im Schematismus nahelegen. Die
erwähnten Erweiterungsversuche, die Rationalität innerhalb einer Verkörpe-
rungslehre zu erklären, drücken zwar das Desiderat aus, eine Transzendental-
philosophie des Menschen als Ganzem zu entwickeln, können jedoch die spezi-
fisch semantische wie semiotische Form der Versinnlichung nicht erklären, die
dem Schematismus meines Erachtens zugeschrieben werden muss. Auch dieje-
nigen Versuche, die im Gegenteil auf das Disembodiment der kantischen Phi-
losophie hinweisen, blenden die Funktion der Sinnlichkeit in Verbindung mit
Kapitels ist die Auslegung Heideggers, der die Schemabildung ausdrücklich als
„die Versinnlichung von Begriffen“99 bezeichnet. Sie wird im dritten abschlie-
ßenden Teil erneut in Betracht bezogen, wenn es um die systematische Entfal-
tung eines Ansatzes der Versinnlichung geht.100 An dieser Stelle werde ich mich
vorerst auf eine deutliche Unterscheidung zwischen Verkörperung und Ver-
sinnlichung bei Kant beschränken. Es kann demnach festgehalten werden, dass
die Versinnlichung die Bedingung der Bedeutung ist, während die Verkörpe-
rung die Bedeutung als Faktum voraussetzt und nicht nach der Bedingung
ihrer Entstehung fragt, kurz: Versinnlichung ist transzendental, Verkörperung
schon immer empirisch. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wird somit
im Schematismus radikalisiert.
Wir müssen also zunächst von der Versinnlichung ausgehen, wie Kant
selbst sie auffasst. Er schreibt in Hinsicht auf das höchste Gut: „Ohne diese Ver-
sinnlichung ist es ein Gedanke ohne Gegenstand“.101 Würden wir jedoch ver-
suchen, eine Idee wie die des höchsten Guts zu versinnlichen, indem wir ihr eine
Realität zuschreiben, so handelte es sich dabei aus kantischer Sicht um eine
unzulässige Ontologisierung. Dennoch muss sie, um überhaupt gedacht werden
zu können, versinnlicht werden, aber eben auf andere Weise. Diese Weise nun
ist näher als symbolische bzw. im weiteren Sinne als analogische Versinn-
lichung zu bestimmen. Diese zwei Formen der Versinnlichung – die für die
folgenden Analysen wegweisend sein werden – erhalten ihre paradigmatische
Ausformulierung in der Kritik der Urteilskraft:
Versinnlichung steht somit bei Kant für zweierlei: es gibt einerseits Begriffe, die
eine direkte Entsprechung in den Anschauungen finden und andererseits Begrif-
fe, die nur indirekt in den Anschauungen zur Darstellung gelangen können.
Diese letzteren erfordern die Reflexion durch Analogie. Beide Versinnlichungen
sind intuitiv, weil sie sich Anschauungen bedienen und in dieser Hinsicht
bestimmte Begriffe und Ideen sinnlich machen können, was für Kant heißt, „die
allgemeine Idee im Beispiele zeigen und das Abstracte in concreto“.103 Ohne diese
versinnlichende Darstellung wäre jede allgemeine Bestimmung ohne Bedeu-
tung, denn sie kann sich nur durch Anschauungen überhaupt verständlich
machen. Die Sinnlichkeit gibt insofern den Begriffen Realität, während im Fall
bloßer Gedanken – die keine direkte Entsprechung in der Sinnlichkeit haben –
das Sinnliche als Substrat einer Analogie für die Reflexion dient.104
Die Versinnlichung trägt zum Prozess der Bedeutungsgebung bei, obwohl
sie oft auch von Kant selbst als bestimmende Versinnlichung (wie im Schema-
tismus) auf eine bloß visuelle Darstellung oder als reflektierende Versinnlichung
(wie im analogischen Denken) auf einen sinnlichen Ausdruck reduziert wird,
der keine objektive Realität erlangen kann. In Bezug auf die Versinnlichung
eines Begriffes, dem ein Objekt entsprechen kann, wird mit der Versinnlichung
ein Prozess konstitutiver Bedeutungsgebung angezeigt, der nur in der Mathe-
matik für Kant zur anschaulichen Konstruktion der Begriffe gelangen kann.
Und im Fall eines reflektierenden Urteilens ermöglicht die analogische Versinn-
lichung – in der die Anschauungen zu Symbolen (und nicht zu Schemata) der
Begriffe werden – den künstlerischen Ausdruck und im Allgemeinen den meta-
phorischen Diskurs. Wie Stephan Otto in Bezug den Hypotypose-Begriff rich-
tig beobachtet hat, greift „Kant mithin gar nicht auf Ciceros und Quintilians
‚Anschaulichkeit‘ zurück, er spielt vielmehr an auf das griechische Verbum hypo-
typoun, das ‚Erstellung eines Entwurfs‘ oder ‚Umrisses‘ bedeutet […]. Nicht im
Gefälle also einer ‚Veranschaulichung‘, sondern im Sinne eines ‚Entwurfskon-
zepts‘ eignet der kantischen Hypotypose ihre Kontur“.105 Dabei dient die Anschau-
ung nicht als Anpassungs- und Nachahmungsmuster, sondern markiert einen
bildenden Ausdrucksprozess, durch den die Begriffe überhaupt erst realisiert
werden.
Diese bildende Kraft des Ausdrucksprozesses ist prägendes Merkmal der
Verwendung des Versinnlichungsbegriffs in der Aufklärung. Hier wird die Ver-
sinnlichung hauptsächlich auf die ästhetische Macht einer Steigerung der
mimetischen Erkenntnis bezogen, die Oschmann als ein Prinzip der aufkläreri-
„Durch die Schemata und die Symbole erhalten die Gemütskräfte den
Schwung, ohne den der Geist leblos bliebe. Es stellt sich also heraus, dass
Kant den philosophischen Begriff der Hypotypose völlig umgestaltet,
indem er ihn mit Eigenschaften ausstattet, die dem rhetorischen Gebrauch
des Begriffs entstammen“.108
Somit dehnt die Versinnlichung nach Gasché die bildende Kraft der Einbil-
dungskraft bis hin zur Dichtung aus – sie wird „nicht einfach Fiktion im Sinne
von Täuschung, sondern ein Formen, Gestalten oder Prägen im Sinne der Ety-
mologie von fingere. Eine solche Dichtung der Einbildungskraft ist Komposition
oder Erfindung“.109
Versinnlichung soll im Folgenden als Kennzeichen der aktiven Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit angesehen werden, um so eine Theorie der
Sinnlichkeit bei Kant anzudeuten. Um diese zu verstehen, ist es essentiell, den
Punkt zu markieren, an dem meines Erachtens über Kant hinauszugehen ist.
Wie bereits angedeutet wurde und an der Schlüsselstelle der Kritik der Urteils-
106 Oschmann 2002, S. 295: „Der Prozess der Versinnlichung transformiert die Sprache
vom bloßen Medium gleichsam zum Organon der Erkenntnis. Sobald darüber hin-
aus die Sprache derart von ihrer repräsentationalen Funktion entbunden und als ein
unverfügbar Vorgängiges begriffen wird, vermag sie selbst neue Ordnungen zu
generieren, und dies wiederum wird am Ende die Bedingung dafür sein, dass die
Dichtung aus dem Stadium der Nachahmung allmählich heraustreten und zur
Präsentation, das heißt zur Darstellung übergehen kann“. Für eine ausführlichere
Erklärung der Versinnlichung bei Lessing, Schiller und Kleist siehe auch Oschmann,
2007.
107 Gasché 1994, S. 163 „Im Unterschied zu dem rhetorischen Gebrauch des Begriffs,
der ihn als Bezeichnung für das lebhafte Malen einer Vielzahl von ästhetisch oder
moralisch interessanten Szenen noch immer recht weit faßt, faßt Kant neuer und
origineller Gebrauch von ‚Hypotypose‘ diesen Begriff viel enger: Bei ihm benennt
er die Produktion der Realität unserer Begriffe und damit der Lebendigkeit unseres
Gemüts und seiner Vermögen. Die Hypotypose wird daher am besten als eine tran-
szendentale Darstellung bezeichnet“.
108 Gasché 1994, S. 169.
109 Gasché 1994, S. 171.
62
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
kraft ersichtlich ist, spricht Kant selbst von einer zweifachen Versinnlichung
und unterscheidet sie in eine schematisch-bestimmende und eine symbolische.
Um eine aktivische Lesart der Sinnlichkeit zu stützen, muss daher der Problem-
kontext der symbolischen Versinnlichung zunächst eingeklammert werden,
damit die schematische Versinnlichung als Bestimmungsverfahren der Erkennt-
nis herausgestellt werden kann.
Damit verbunden ist eine Revision seiner Erkenntnistheorie durch die
Berücksichtigung sowohl seiner anthropologischen Schriften als auch – im
zweiten Teil – des transzendentalen Versuchs Maimons und der metakritischen
Revision Herders. Der Versinnlichungsbegriff stellt meines Erachtens die Spur
dar, der man zu folgen hat, um den Schematismus als semantischen Prozess
einer sinnlichen Gestaltung zu bestimmen. In dieser Hinsicht ist die Kompati-
bilität zwischen den anthropologischen Schriften und den Kritiken hier nicht
als eine problemlose Überschneidung zu deuten, sondern als Folge eines kriti-
schen Erweiterungsversuchs anzusehen, die sprach- und erkenntnistheoretische
Problemstellung in ihrer Komplexität und Fülle von Referenzen zu betrachten.
Aus diesem Blickwinkel werden auch die Revisionsversuche in der Nachfolge
Kants untersucht; vor allem Herder ist es, der Kant in seiner Auslegung des
Schematismus dazu bewegen möchte, einen „neuen Metaschematismus tönen-
der Gedankenbilder“ einzuführen.110 Das soll bereits hier erwähnt werden, um
die herausragende Bedeutung der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit im
Schematismus anzudeuten, die meines Erachtens von Kant zwar gesehen,
jedoch nicht systematisch in die Transzendentalphilosophie eingeführt wird. Im
Folgenden sollen diese Aspekte nun schrittweise entwickelt und zum Schema-
tismus in Beziehung gesetzt werden. Zunächst hat es dabei um die Spezifizie-
rung der einzelnen Sinne zu gehen, um anschließend die Synthesis der Einbil-
dungskraft untersuchen zu können.
Die Untersuchung der einzelnen Sinne wird in der Kritik der reinen Vernunft
nicht unternommen, da es dort nur um die Form der Sinnlichkeit geht, die –
anders als die Materie der Erscheinung, die nur a posteriori gegeben ist – a
priori bereit liegt.112 Und diese Form ist die reine Anschauung, die durch ihre
Isolierung von Begriffen und von empirischen Empfindungen erörtert wird. Die
reinen Formen der Anschauung, Zeit und Raum, sind im Schematismus mit den
reinen Begriffen verbunden. Sie stellen somit die sinnliche Bedingung der
Grundsätze der Erfahrung dar – soweit gibt es die innere Struktur der Kritik
der reinen Vernunft bis zur Erläuterung der Grundsätze vor. In diesem Rahmen
ist der Schematismus – wie schon erwähnt – nur ein notwendiger, jedoch nicht
ausführlich entfalteter Schritt, der zur Überbrückung des Dualismus zwischen
Sinnlichkeit und Verstand dient, und dessen synthetisierende Macht in den
Sinnen keinen direkten Ursprung hat.
Bei der Erkenntnis handelt sich nach Kant nur um eine gegenstands-
bezogene Empfindung, und deshalb heißt „diejenige Anschauung, welche sich
auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, empirisch. Der unbestimmte
Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung“.113 Die Emp-
findung stellt nur die Materie der Erscheinung, abgesehen von ihrer Form dar,
welche ermöglicht, „dass das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Ver-
hältnissen geordnet werden kann“.114
Die Formen der sinnlichen Anschauungen sind Zeit und Raum, deren
Bestimmung nicht begrifflich erfolgen kann – die transzendentale Ästhetik
dient gerade dazu, ihren formalen, anschaulichen Charakter zu erklären. Ohne
die Formen der Anschauungen wäre die Sinnlichkeit deshalb nur passiv, dem
Verstand gegenüber leidend, während sie eben durch diese Formen eine Vorbil-
dung erfährt: Die sinnliche Mannigfaltigkeit bekommt damit einen schon syn-
thetischen Charakter, der Bedingung für ihre Subsumption unter Begriffe ist,
wie Kant anmerkt: „Raum und Zeit sind die Formen der Verbindung in der
Anschauung und dienen, die Categorien in concreto anzuwenden“.115 Ihre Vor-
bildung ermöglicht den Übergang von der Materie zur Form der sinnlichen
Anschauungen, die durch den Schematismus mit den Begriffen vermittelt wer-
den. Sowohl die Zeit als auch der Raum sind im Schematismus impliziert, und
dieser Aspekt wird in Bezug auf die Betrachtung einzelner Sinne noch deutlicher
werden.116 Diese sind nämlich die ersten Rezeptoren des unbestimmten Gegen-
standes einer empirischen Anschauung, den Kant als Erscheinung definiert:
Die Gegebenheit wird schon durch die Sinne zur Gestalt gemacht, und Kant
bezeichnet die Anschauungen in der Anthropologie selbst als „Gestalten der
Dinge“.118 Die leitende These meiner Interpretation besteht deshalb darin, diese
Gegebenheit immer schon als eine Versinnlichung zu deuten und die quaestio
facti von der Klage über die Passivität der Sinnlichkeit zu befreien. Der passive
Aspekt der Sinnlichkeit kann nur auf die Rezeptivität bezogen werden, indem
die Sinne auf einen äußeren Reiz reagieren. Ohne eine transzendentale Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit hätte jedoch diese Stimulation keine sinnliche
Form, in der sich die Bedeutung realisieren könnte. Daher zielt die vorliegende
Untersuchung nicht darauf ab, den Ursprung des synthetischen Verfahrens des
Schematismus in den Sinnen zu begründen, sondern die Gestaltungsfunktion
der Sinnlichkeit als zentrales Merkmal in den Prozess der Schematisierung zu
integrieren, der damit nicht empirisch oder physiologisch, sondern rein trans-
zendental zu bestimmen ist.119 Es wird somit der Versuch unternommen, die
116 Das Problem der unterschiedlichen Funktionen der Zeit und des Raumes im Sche-
matismus hat eine umfangreiche Debatte ausgelöst, die sich insbesondere an der
Anmerkung zur Analytik der Grundsätze in der zweiten Auflage entzündet hat,
wo Kant den Raum zur Bedingung der Wahrnehmung äußerer Gegenstände
erklärt. Diese Debatte, die hier nicht eingehend untersucht werden kann, wird zum
Teil von Johannes Haag (2007, S. 280–281) zusammengefasst. Vgl. außerdem auch
Strawson 1966, S. 30f., und Guyer 1987, S. 167f.: „The spatiality of objects of appear-
ances will be the ultimate condition of the objective validity of the categories, even
if it does not figure in the actual schematization of them“. Vgl. dazu auch die
Zusammenfassung dieser Problematik von Hughes 2007, S. 229–237. Im abschlie-
ßenden dritten Teil werde ich erklären, inwieweit von einer transzendentalen
Bedeutung von Zeit und Raum in der Schematisierung bezüglich des Bildes und des
Lautes auszugehen ist.
117 Kant, KrV B 34, A 19f.
118 Kant, AA VII: 191.
119 Siehe dazu Karl Hepfer (2006, S. 103–105), der bezüglich der kantischen Lehre zu
Recht darauf besteht, dass der Schematismus als ein Verfahren zu verstehen ist,
„das durch die Sinne gegebene Daten anhand eines bestimmten Merkmals ordnet
und strukturiert, und Kant behauptet an keiner Stelle, dass dieses Verfahren seinen
65
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
Ursprung in den Sinnen habe. Im Gegenteil: er weist wiederholt darauf hin, dass es
zu den apriorischen Voraussetzungen unserer Erkenntnis zu zählen ist“.
120 Vgl. dazu Erdmann 1882, S. 11–16.
66
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
sind.121 Zu ersteren zählt der Tastsinn, das Gehör und das Gesicht; zu letzteren
der Geschmack und der Geruch. Die Spannung zwischen Objektivität und Sub-
jektivität bringt jedoch keine starre Trennung zwischen den Sinnen mit sich,
sondern zeigt eine komplexe Synästhesie in der Wahrnehmung an – deren
Bedeutung als „Sensorium commune“122 Kant jedoch nur einmal erwähnt und
die erst für Herder entscheidend ist.
Die Sinne sind demnach nicht starr als objektiv oder subjektiv zu cha-
rakterisieren: Sie besitzen vielmehr eine physiologische Natur, die im ganzen
synästhetischen Prozess variieren kann und moduliert wird; sie schwanken
sozusagen zwischen Objektivität und Subjektivität. Kant bemerkt, dass wir in
einigen Fällen sogar eine Umkehrung oder besser: eine Umwandlung einer äuße-
ren Beziehung in eine innere erleben können, wenn zum Beispiel die Empfin-
dung so stark wird, „dass das Bewusstsein der Bewegung des Organs stärker
wird“.123 Das Verstehen von Bedeutung ist also eine äußere Beziehung, die durch
eine starke Empfindung zu einer inneren wird, weil so die Aufmerksamkeit
gewissermaßen auf das empfangende Organ gerichtet wird. Erklärt wird das am
Beispiel des Sprechens: Wenn eine Person so laut redet, dass es in den Ohren
schmerzt, dann tritt das Verstehen der Bedeutung in den Hintergrund, das nor-
malerweise die primäre Funktion des Hörens einer sprechenden Person ist.
Abgesehen von der als synästhetisch deutbaren Formulierung, „Gedan-
ken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“,124 die den
notwendigen Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit und Verstand ausdrückt,
behandelt Kant die Synästhesie nicht explizit, bzw. nur teilweise mit Blick auf
die Frage nach dem Vikariat der Sinne: Wenn ein Sinn fehlt, kann ein anderer
seine Stellung einnehmen und ihn ersetzten. Über diese Ersatzfunktion bestimmt
er die Eigenschaften einzelner Sinne. Das Problem lässt sich am besten anhand
des Beispiels von Personen erklären, denen bestimmte Sinne fehlen – wie etwa
diejenigen, die stumm sind und sich durch Gebärdensprache ausdrücken. Die im
Schematismus angelegte Synästhesie kommt allerdings erst bei Herder zu ihrer
vollen Entfaltung und soll zudem später auf den Ansatz Plessners bezogen wer-
den, der meines Erachtens eine mit Kant kompatible, ‚isolierende Ästhesiologie‘
vertritt, in der jene Synästhesie immer schon a posteriori ist.
Was in der anthropologischen Untersuchung der Sinne in Bezug auf den
Schematismus betont werden sollte, ist ihre Funktion in der Wahrnehmung und
die genaue Bestimmung einer Gestalt. Für Kant sind es gerade die äußeren Sin-
ne, die an der Hervorbringung der Gestalt beteiligt sind. Der Tastsinn dient
dazu, eine physische Gestalt zu erfassen und wird deswegen als „der wichtigste
und am sichersten belehrende, dennoch aber der gröbste“ bezeichnet: „Ohne
diesen Organsinn würden wir uns von einer körperlichen Gestalt gar keinen
Begriff machen können“.125
Die Grobheit des Tastsinnes liegt nach Kant in seiner Unmittelbarkeit,
die ihn vom Sinn des Sehens unterscheidet: dieser ist nämlich „ein Sinn der
mittelbaren Empfindung“, die durch das Licht affiziert wird, was dennoch so
wenig und so sanft geschieht, dass er als der edelste Sinn beschrieben wird, dem
eine besondere Feinheit bei der Bestimmung einer Gestalt zukommt. Unter den
äußeren Sinnen unterscheidet sich davon das Gehör, weil es keine Gestalt des
Gegenstandes hervorbringt. An der Bestimmung des Gehörs kann abgelesen
werden, inwieweit die Anschauung bei Kant visuell konnotiert ist. Das Hören
ist nämlich eine „Empfindung ohne Erscheinung und Gefühl in der Entfernung“,
während mit dem Sehen die Erscheinung „in der Entfernung“126 gemeint ist.
Die Funktionen der Sinne lassen sich als transzendental bestimmen, weil
sie nicht nur zur Artikulation der Bedeutung dienen, sondern zugleich in enger
Verbindung mit den reinen Anschauungen von Zeit und Raum stehen – die für
Kant keinesfalls auf die Begrifflichkeit zu reduzieren sind.127 Diese Problematik
betrifft insbesondere das Verhältnis zwischen dem Hören und der Zeit sowie
dem Sehen und dem Raum, wie es in den Reflexionen über die Anthropologie
ausdrücklich wird. Diese Deutung der Sinne vollzieht sich im transzendentalen
Horizont Kants, der die „subjektive Beschaffenheit der Sinnesart“,128 die an
die subjektive Empfindung von Farben, Tönen, Wärme usw. gebunden ist, in der
Betrachtung der Anschauungen ausklammert. Dieser Zusammenhang soll im
Folgenden über eine Analyse der Gestaltungsfunktion der Sinne bei Kant ver-
tieft werden.
In diesem Zusammenhang ist die jeweilige Funktion der Zeit und des
Raumes im angezeigten Gestaltungsprozess von besonderem Interesse. Die
Schematismuslehre betrifft die Konstitution (und nicht die Konstruktion) des
Gegenstandes der Bedeutungserfahrung – und die Gestalt wird zum Kern-
begriff dieses Konstitutionsprozesses. Auf der Ebene der Wahrnehmung ist sie
primär eine visuelle Gestalt, während die Gestalt für das Gehör näher am
Begriff und daher weniger visuell konnotiert ist. Es geht daher bei dieser Gestalt
mehr um ein abstraktes Ganzes von Merkmalen, das sich sinnlich-akustisch
realisiert. Sowohl Gesicht als auch Gehör sind formale Sinne, d.h. sie gehen auf
die Form des Gegenstandes, auf den sie bezogen sind: „Die Sinne sind entweder
obiektiv oder subiektiv. Die erstere gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder
Form (Gesicht und Gehör). Die letztere entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht
und Gehör“.129
Die Gestalt spielt bei Kant deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie als
Medium die Vorstellung eines Gegenstandes nach den Verhältnissen des Rau-
mes ermöglicht, während die Zeit keine Gestalt hervorbringen kann. Die Zeit ist
vielmehr die „Bedingung a priori aller Erscheinungen“130 und bezieht sich nach
Kant unmittelbar auf das Innere und nur mittelbar auf die äußeren Erschei
nungen, deren unmittelbare Bedingung der Raum ist. Und „weil diese innere
Anschauung keine Gestalt gibt“ – bemerkt Kant in der Transzendentalen Ästhe-
tik –, „suchen wir auch diesen Mangel durch Analogie zu ersetzen, und stellen
die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor“.131 Die Gestalt ist
deshalb das eigentliche Erkenntnismittel aller Gegenstände, weshalb auch die
zeitliche Reihe in der räumlichen Gestalt eine – wenn auch bloß analogische –
Darstellung erhält.132 Und nicht zufällig wird die Dimension der Zeit von Kant
oft mit dem Begriff des Spiels beschrieben, um sie so vom gestalthaften Cha-
129 Kant, AA XV: 108. Vgl. dazu auch die späteren Vorlesungen Kants, AA XXV, II:
1242–1245 und 1452–1454.
130 Kant, KrV, B 50, A 34.
131 Kant, KrV, B 50, A 34.
132 Diesbezüglich siehe die wichtige Reflexion 683 (AA XV: 304): „Die Vorstellung
eines Gegenstandes nach den Verhaltnissen des Raumes ist die Gestalt und deren
Nachahmung das Bild. Die Form der Empfindungen Erscheinung ohne Vorstellung
eines Gegenstandes besteht blos in der Zusammenordnung der Empfindungen nach
Verhältnis der Zeit und die Erscheinung heißt ein Gefolge (oder Reihe oder das
Spiel). Alle Gegenstände können sinnlich oder anschauend erkannt werden nur
unter einer Gestalt“.
69
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
rakter des Raumes zu differenzieren.133 Das Denken einer Linie – das immer
schon mit dem gedanklichen Ziehen einer Linie einhergeht – stellt dabei exem-
plarisch die Gestaltungsfunktion der Einbildungskraft dar: „Wir können uns
keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.134 Und die Reflexion 6359
schließlich bezieht diese Wechselbestimmung auf den Begriff des Schematis-
mus: „Dass die Zeit durch eine Linie (die doch ein Raum ist) und der Raum
durch eine Zeit (eine Stunde gehens) ausgedrückt wird, ist ein Schematism der
Verstandesbegriffe“.135
Auf die Ebene des visuell-räumlichen Ziehens einer Linie, das die Nähe
zwischen schematischer und diagrammatischer Methode anzeigt, wird später
noch einzugehen sein.136 Zunächst soll hier die akustisch-zeitliche Gestaltung
näher beleuchtet werden, weil sie für Kant die Bedingung der Artikulation von
Bedeutung zwischen Bild und Begriff darstellt. Gerade weil das Gehör keine
visuelle Gestalt hervorbringen kann, ist es so wichtig für die Schematisierung,
in der Gehör und Zeit eng verbunden sind: „Weil das Gehor auf die Zeit ein-
schlägt, so begleitet es alle Verstandesvorstellungen vom obiect, bringt aber
keine Vorstellung des obiects hervor“.137 Und kurz darauf: „Weil das Gehör keine
Gegenstände vorstellt, so dient es vortreflich zum Zeichen der Sache (Worte)“.138
Gerade wegen der mittelbaren Distanziertheit vom Gegenstand (durch die Luft)
sind die Laute „die geschicktesten Mittel der Bezeichnung der Begriffe“, weil sie
mit dem Begriff die Allgemeinheit teilen. Dieser Aspekt wird für Kant exem-
plarisch durch den Fall des Taubgeboren verdeutlicht, der „nie zu etwas Mehre-
rem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“139 kann. Er kommt daher „nie
zu wirklichen Begriffen, weil die Zeichen, deren er dazu bedarf, keiner Allge
meinheit fähig sind“.140 Diese Allgemeinheit macht die Zeichen zu Wächtern –
und nicht zu Symbolen – der Begriffe, die an sich nichts bedeuten und nur der
Bezeichnung dienen: „Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umge-
133 Die allgemeine Unterscheidung zwischen Gestalt und Spiel, die eine wichtige Rolle
in der Klassifizierung der Künste spielt, wird in der Kritik der Urteilskraft folgen-
dermaßen erörtert (KU, B 42, A 42): „Alle Form der Gegenstände der Sinne (der
äußern sowohl als mittelbar auch des innern) ist entweder Gestalt, oder Spiel: im
letztern Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume, die Mimik und der Tanz);
oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)“. Der Spiel-Begriff ist wesentlich
für die Bestimmung der Musik, die Kant als „Spiel der Empfindungen“ oder „Spiel
der Eindrücke“ beschreibt. Siehe zum Beispiel die Reflexion 806 (AA XV: 356).
134 Kant, KrV, B 154.
135 Kant, AA XVIII: 687.
136 Dieser Aspekt wird später in Bezug auf die diagrammatische Auslegung des Mono-
gramms betrachtet (siehe Kap. V.2.1).
137 Kant, AA XV: 99. Vgl. Capozzi 2006 und 2012.
138 Kant, AA XV: 101.
139 Kant, AA VII: 155.
140 Kant, AA VII: 159.
70
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
kehrt die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache,
dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“. Die Bezeichnung
würde anders gesagt ohne die Funktion des Gehörs nicht erfolgen und wäre auf
den beispielhaften und einzelnen Charakter einer Bild-Gestalt fixiert. Das
Gehör ermöglicht somit zugleich eine Verinnerlichung wie auch eine Äußerung
der Bezeichnung, die zur Artikulation der Allgemeinheit beiträgt.141
Der innere Sinn ist daher in Bezug auf den engen Zusammenhang zwi-
schen Zeit, Gehör und Zeichen eine Verinnerlichung des Gegenstandes, die
gleichzeitig einen innerlichen Bezug zu den Gegenständen des äußeren Sinnes
herstellt. Die Zeit ermöglicht demnach die Verinnerlichung der Bedeutung, die
sich sprachlicher Zeichen bedient, wohingegen der Raum die Veräußerlichung
der Bedeutung ermöglicht, die sich durch Bilder und konstruierte Figuren arti-
kuliert.142 Gerade weil die innere Anschauung für Kant keine Gestalt ‚gibt‘, ist
es eine bloße Analogie, wenn die Zeitfolge „durch eine ins Unendliche fort-
gehende Linie“ vorgestellt wird, „in welcher das Mannigfaltige eine Reihe aus-
macht“.143 Daher kann es nicht verwundern, dass Kant schreibt: „Das Schema
der Zeit [ist] eine Linie“.144 Die Gestalt im Sinne eines Bildes ist immer nur kon-
kretes Beispiel eines Begriffes, das – wie sich zeigen wird – in der Kritik der
Urteilskraft als Definition der empirischen Anschauungen vorkommt.
Das Sehen ist gerade an das Hier und Jetzt des Bildes gebunden und kann
nicht zur Bezeichnung dienen, die vom Bild abstrahiert: „Wenn man den Begriff
nicht von Bildern absondern kann; so wird man niemals rein und fehlerfrey
denken können“.145 Dieser Satz wird in der Metaphysik Volckmann auf die Dar-
stellung abstrakter Begriffe durch Bilder vor allem bei Heraklit und Pythagoras
bezogen. Aristoteles hingegen sei derjenige unter den Griechen, der diese Dar-
stellung weiter entwickele, indem er „für die abstractesten Ideen Wörter“ erfun-
141 Diesbezüglich sind die Collegentwürfe über Anthropologie aus den 70er und 80er
Jahren sehr aufschlussreich (AA XV: 802). Die Definition des Gehörs liest sich wie
folgt: „Mittelbar (mehr subiectiv). Theilt die Zeit ein, stellt die Gestalt des Gegen-
standes gar nicht vor. Der Eindruk ist innigst“.
142 Das ist der Sinn derjenigen Übersetzung, die Henry Allison „temporalese“ nennt,
was mehr als eine bloße Übersetzung der reinen Begriffe in zeitlichen Ausdrücke
sei, wie er (2004, S. 221) erklärt: „It is rather more like a matter of translating what
is thought in a pure concept into temporal terms, into ‘temporalese’, if you will. But
this way of putting it may easily lead to misunderstanding, since it glosses over the
crucial point that a thought is being ‚translated” from its natural discursive form
into a non-discursive one. Thus, the model of the translation of a sentence or term
from one natural language to another cannot be applied here without significant
qualifications“.
143 Kant, KrV, B 50, A 34.
144 Kant, AA XXIII: 27.
145 Kant, AA XXVIII: 369.
71
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
den habe.146 Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel in Bezug auf das Schema
als Artikulation von Bedeutung zwischen Begriff und Bild genauer zu unter-
suchen sein.147
Die Sinne sind also durch spezifische Funktionen charakterisiert, die
sich in der Artikulation der Bedeutung niederschlagen, weshalb sie nicht auf
ihre psychologischen und physiologischen Aspekte reduziert werden können. Es
geht bei ihnen weder um die Beurteilung psychischer Zustände,148 noch lassen
sie sich ausschließlich mittels einer experimentellen, physiologischen (heut-
zutage: neurophysiologischen) Methode analysieren, da sie schon immer einen
semantischen Bezug herstellen. Die Sinnlichkeit ist zwar zweifellos empirisch
und physiologisch verankert, impliziert aber eine transzendentale Ebene, dank
der sie Bedingung der Artikulation von Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild
ist. Denn ohne die Sinne – die immer schon eine Versinnlichung darstellen –
wäre eine solche Artikulation nicht möglich.
Die Sinnlichkeit ist insofern nicht nur Bedingung einer bestimmten
Vorbildung der sinnlichen Mannigfaltigkeit, sondern auch einer Gestaltung
derselben zwischen Begriff und Bild, wobei den Sinnen eine transzendentale
Funktion zukommt, die – wie sich im Anschluss an die Untersuchung des Schema-
tismus bei Kant zeigen wird – nicht nur rein semiotisch, sondern genetisch und
vorsprachlich ist. An dieser Stelle muss zunächst hervorgehoben werden, dass
die Anschauungslehre nicht in ihrer ontologischen Bedeutung behandelt wird.
Es wird daher auch nicht um das Problem der ontologischen Realität von Zeit
und Raum gehen, das den Ausgangspunkt für Kants Auseinandersetzung mit
den Raumtheorien von Newton und Leibniz darstellt und prägend für die
Bestimmung der Anschauungen ist, insofern sie nicht auf begriffliche Bestim-
mungen zurückführbar sind. Ob nun alle Gegenstände der Sinne sich notwen-
digerweise in zeitlichen und räumlichen Verhältnissen befinden,149 ist eine Frage,
die eine ebenso lange wie komplexe Rezeptionsgeschichte hat und eine Aus-
einandersetzung mit der Relativitätstheorie und der zeitgenössischen Quanten-
physik impliziert. Sie soll hier zugunsten einer Untersuchung der transzenden-
talen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit nicht weiter verfolgt werden.
Diesbezüglich sind zwei Aspekte hervorzuheben, die Kant zwar anführt, aber
systematisch und terminologisch nicht weiter zuordnet: Einerseits ist eine
gewisse Reduktion des Schemas auf die figurative Bestimmung zu verzeichnen.
Kant hebt die Funktion der lautlichen Formung in Bezug auf das Verhältnis
zwischen Wörtern und Begriffen zwar hervor, aber er bezeichnet sie nicht als
eine Gestalt, deren Begriff er für das Sehen und den Tastsinn reserviert. Im
Gegensatz dazu ist es meines Erachtens angemessen, auch in Bezug auf die For-
mung des Lautes von einer (akustischen) Gestalt zu reden – wie es in paradig-
matischer Weise von Bühler im Sinne des Klanggesichts und Wortbildes
beschrieben wird.150 Und obwohl Kant diese Auffassung nicht systematisch ver-
tritt, bin ich der Meinung, dass die von seiner Schematismuslehre ausgehende
Annahme einer Versinnlichung mit der Definition des Wortes als Gestalt kom-
patibel ist. Andererseits möchte ich kurz darauf hinweisen, dass bei Kant auch
eine kinästhetische Bestimmung der Gestalt zu finden ist, die er mit Blick auf
den Tastsinn und auf inkongruente Gegenstände im Raum einführt151 und die
für die Verkörperungstheorie von besonderer Bedeutung ist.152
Die Sinnlichkeit umfasst neben der Hervorbringung von Gestalten
durch die Sinne eine weitere Ebene der Synthesis, auf welcher der Gegenstand
auch ohne dessen Gegenwart vorgestellt werden kann. Alle Empfindungen sind
nach Kant „unwillkührlich“,153 weil sie die Gegenwart des Gegenstandes erfor-
dern, welche als eine Abhängigkeit vom physiologischen Reiz (Stimulus) erklärt
werden kann: Sie rezipieren den Gegenstand so, wie er durch die Empfindungen
gegeben wird, obwohl diese Gegebenheit – wie sich zuvor gezeigt hat – immer
schon durch die Sinne gestaltet wird. Dass jedoch die Sinnlichkeit nicht nur
Eindrücke liefert, sondern auch eine Synthesis derselben hervorbringt, kann das
Problem der Gestaltung als solcher noch nicht lösen. Denn die Gestaltung ent-
hält zugleich die begrifflichen Komponenten, die in der reinen Rezeption der
Sinne nicht enthalten sind. Damit ist die spezifische Funktion der Einbildungs-
kraft als einer Synthesis angesprochen, die nicht direkt von physiologischen
Reizen abhängt:
150 Dieser Aspekt kann hier nicht näher untersucht werden. Siehe Bühler 1999, §18,
S. 276f. und 283f. Vgl. auch Albano Leoni (2009, S. 181), der die Funktion des
Klanggesichts in der Wahrnehmung der Wörter hervorhebt.
151 Siehe insbesondere die Abhandlung Kants Von dem ersten Gründe des Unterschie-
des der Gegenden im Raum (1768), AA II: 375–383 und vgl. dazu Scaravelli 1951,
S. 389–421. Darauf werde ich Zusammenhang der diagrammatischen Auslegung
des Monogramms zurückkommen (siehe Kap. V.2.1)
152 Im dritten Teil unserer Untersuchung werden einige Andeutungen in Bezug auf die
Funktion der Kinästhesie im Gestaltungsprozess bei Merleau-Ponty und Plessner
zu diskutieren sein (siehe Kap. I.1).
153 Kant, AA XV: 103.
73
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel, außer der Empfäng-
lichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr, nämlich eine Funktion der
Synthesis derselben erfordert wird“.154
Die bloße Rezeption der Sinne allein schafft demnach keine Synthesis im Sinne
einer Bedeutungserfahrung, wie sie im Allgemeinen die Wahrnehmung kenn-
zeichnet, die immer zugleich eine begriffliche Komponente enthält. Das darf
jedoch nicht so gedeutet werden, als ob die gesamte Bedeutungserfahrung auf
der begrifflichen Komponente gründete – dagegen spricht die bereits untersuch-
te Funktion der subjektiven Empfindung.
In Abwesenheit eines Gegenstandes erfolgt ein indirekter Bezug auf die
Anschauungen. Eine durch die Synthesis der Einbildungskraft hervorgebrachte
Vorstellung ist nämlich eine sinnliche, aber nicht notwendigerweise aktuell
erfahrene Vorstellung. Darauf deutet das ‚auch‘ im oben zitierten Ausdruck
Kants „auch ohne die Gegenwart“ hin. Die Einbildungskraft ist also – wie Kant
selber betont – „jederzeit sinnlich“.155
Im Fall der Schematisierung der Kategorien, in der die Bedingungen der
Erfahrung und der Konstitution des Gegenstandes selbst beschrieben werden,
sind Kategorien und Anschauungen vermittelt. Die Funktion der Einbildungs-
kraft wird in der Kritik anhand der Problemstellung der transzendentalen
Deduktion der Kategorien entwickelt. Weil das Schematismus-Kapitel in den
beiden unterschiedlichen Auflagen der Kritik unverändert bleibt, weist es
potentiell Bezüge sowohl zur ersten als auch zur zweiten Auflage auf, die hier
anhand der Funktion der Einbildungskraft im Schematismus untersucht wer-
den sollen. Damit werden die erkenntnistheoretischen Motive für die gewichti-
gen Veränderungen der Deduktion in der zweiten Auflage ausgeklammert.156
Die Problematik der isolierten Beschreibung der Vermögen und ihrer jeweiligen
Funktionen geht nicht zuletzt auf die Veränderung zwischen den beiden Auf-
lagen der Deduktion zurück: In der ersten Auflage wird der Einbildungskraft
die Funktion einer Synthesis der Reproduktion zwischen Apprehension und
Rekognition zugeschrieben, die Kant jeweils mit den Vermögen der Sinnlich-
keit und des Verstandes verbindet. In der zweiten Auflage dagegen übernimmt
die Synthesis der Einbildungskraft die Funktion einer figürlichen Synthesis
speciosa, die „eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste
Anwendung desselben […] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung“
ermöglicht.157
Zwei der von Kant vorgenommenen Unterscheidungen sind für die
Schematismuslehre von großer Bedeutung: Einerseits wird in der zweiten Auf-
lage der Deduktion die Synthesis speciosa von der Synthesis intellectualis
unterschieden,158 die eine nur logische Verstandesverbindung ist und zur objek-
tiven Realität die erste, anschauliche Synthesis erfordert.159 Andererseits wird in
beiden Auflagen der Unterschied zwischen produktiver und reproduktiver Ein-
1. Auflage gezeigt hatte, zusammen. 5. Gleichwohl muss auch die Interpretation der
2. Auflage auf das Verhältnis von Einbildungskraft und Zeit führen, zumal da jetzt
der Einbildungskraft das Vermögen der Selbstaffektion zuerkannt wird“. Ein wich-
tiger Aspekt ist von Klaus Düsing (1995, S. 66) betont worden, der ein Indiz für
diese Veränderung in der Tatsache sieht, dass „Kant in seiner Spätzeit in der Regel
nicht mehr vom Schematismus der Einbildungskraft, sondern vom Schematismus
der Urteilskraft spricht“. Siehe dazu auch Bennett 1966 (insbesondere §34, Imagi-
nation in the Transcendental Deduction, S. 134–138), Gibbons 1994, Longuenesse
1998, Wunsch 2007 und Haag 2007. In Bezug auf die Behandlung der Einbildungs-
kraft auch Hepfer 2006, S. 73–83 und 111–199.
157 Kant, KrV, B 152. Gerade die veränderte Auffassung des Verhältnisses zwischen
Verstand und Einbildungskraft in der zweiten Auflage liegt der Kritik Heideggers
zugrunde (GA, 3, S. 82–84).
158 Siehe Haag 2007, S 263: Die Synthesis speciosa „ist mit anderen Worten, die Spe-
zialisierung der Synthesis intellectualis, die synthetische Wirkung der Spontanei-
tät des Verstandes hinsichtlich Anschauungen überhaupt bezeichnet, auf die
Bedingungen, unter denen das Mannigfaltige in unserer Sinnlichkeit gegeben ist“.
Zum Problem des Verhältnisses zwischen den beiden Arten der Synthesis siehe
Mörchen 1930, S. 358 und Chiodi 1961, S. 256. Letzterer bezieht sich auf den Auf-
satz von Enzo Paci über die Schematismuslehre, in dem Paci die Interpretation Hei-
deggers in dem Versuch heranzieht, die Hierarchisierung der Vermögen zu über-
winden (1955, S. 387–414, und 1956, S. 37–56).
159 Vgl. Hepfer 2006, S. 107: „Die Einbildungskraft stellt hier, in einem produktiven
Akt der temporalen Indizierung und durch eine spontane Abstraktionsleistung von
der empirisch kontingenten Reihenfolge ihres Auftretens, eine Verbindung der
gegebenen Daten der Sinne her und schafft so die Voraussetzung dafür, dass diese,
gemäß den Erkenntnisbedingungen des Subjekts, in eine Form gebracht werden, in
der sie sich als Grundlage für Erkenntnisse eignen“. Vgl. dazu auch Mörchen (1930,
S. 141), der sich anhand der Logik Pölitz auf den zeitlichen Charakter der Einbil-
dungskraft bezieht.
75
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
bildungskraft hervorgehoben. Die erste dient der reinen Anwendung der Spon-
taneität der Begrifflichkeit auf die Anschauungen, während die zweite durch
Assoziation verfährt und empirischen Gesetzen folgt.160
Die Trennung von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft lässt
sich auf die Konzeption beider in §28 der Anthropologie beziehen. Hier wird
zunächst noch einmal betont, dass die Einbildungskraft ein „Vermögen der
Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes“ ist, und die Unter-
scheidung ihrer produktiven und reproduktiven Funktionen wird als diejenige
zwischen einer exhibitio originaria und einer exhibitio derivativa beschrieben:
Während die erste „vor der Erfahrung vorhergeht“, bringt letztere „eine vorher
gehabte empirische Anschauung ins Gemüt“ zurück: „Die Einbildungskraft ist
(mit andern Worten) entweder dichtend (produktiv), oder bloß zurückrufend
(reproduktiv)“.161 Die dichtende Einbildungskraft wird den reinen Raum- und
Zeitanschauungen zugeordnet,162 weshalb ihr produktiver Charakter nicht als
schöpferische Macht verstanden werden sollte, eine bestimmte Sinnesvorstel-
lung hervorzubringen, die „vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war“.163
Gerade auf dieser Ebene sind für Kant die Sinne entscheidend, und nichts kann
bestimmte Mängel an Sinnen ersetzen, wie er anhand von Beispielen anthro-
pologischer Natur erklärt.
160 Kant, KrV, B 152. Für einen Vergleich mit der ersten Auflage der Deduktion siehe
A 117f., wo von produktiver und reproduktiver Synthesis die Rede ist, sowie A 120f.,
wo Kant sich explizit auf das Vermögen der reproduktiven Einbildungskraft bezieht.
161 Kant, AA VII: 167. Heidegger deutet in den Davoser Disputationen die exhibitio
originaria in Bezug auf die Endlichkeit des Menschen (GA, 3, S. 280): „Kant
bezeichnet die Einbildungskraft des Schematismus als exhibitio originaria. Aber
diese Originalität ist eine exhibitio, eine solche der Darstellung, des freien Sichge-
bens, worin eine Angewiesenheit auf ein Hinnehmen liegt. Also diese Originalität
ist zwar in gewisser Weise da als schöpferisches Vermögen. Der Mensch als endli-
ches Wesen hat eine gewisse Unendlichkeit im Ontologischen. […] Diese Unend-
lichkeit, die in der Einbildungskraft herausbricht, ist gerade das schärfste Argu-
ment für die Endlichkeit. Denn Ontologie ist ein Index der Endlichkeit. Gott hat sie
nicht. Und dass der Mensch die exhibitio hat, ist das schärfste Argument seiner
Endlichkeit. Denn Ontologie braucht nur ein endliches Wesen“.
162 Siehe Kant, AA VII: 167: „Reine Raumes- und Zeitanschauungen gehören zur
erstern Darstellung; alle übrige setzen empirische Anschauung voraus, welche,
wenn sie mit dem Begriffe vom Gegenstande verbunden und also empirisches
Erkenntniß wird, Erfahrung heißt. – Die Einbildungskraft, so fern sie auch unwill-
kürlich Einbildungen hervorbringt, heißt Phantasie. Der, welcher diese für (innere
oder äußere) Erfahrungen zu halten gewohnt ist, ist ein Phantast. – Im Schlaf
(einem Zustande der Gesundheit) ein unwillkürliches Spiel seiner Einbildungen zu
sein, heißt träumen“.
163 Kant, AA VII: 167f.: „Die productive aber ist dennoch darum eben nicht schöpfe-
risch, nämlich nicht vermögend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sin-
nesvermögen nie gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu
derselben immer nachweisen“.
76
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Die Produktivität der Einbildungskraft besteht darin, den Stoff der Sinne
in Form zu transformieren und zu erhalten. Diese Gestaltung ist die transzen-
dentale Bedingung der reproduktiven Einbildungskraft, die auf einer empiri-
schen (zurückführenden) Ebene agiert.164 Die notwendige Verbindung, die Kant
zwischen den Sinnen und der Einbildungskraft herstellt, kann jenseits der
anthropologischen Nuancierung in ihrer transzendentalen Dimension betrach-
tet werden:
„Eben so ist es mit jedem besonderen aller fünf Sinne bewandt, dass
nämlich die Empfindungen aus denselben in ihrer Zusammensetzung
nicht durch die Einbildungskraft können gemacht, sondern ursprünglich
dem Sinnesvermögen abgelockt werden müssen“.165
Und weiter: „Wenn also gleich die Einbildungskraft eine noch so große Künst-
lerin, ja Zauberin ist, so ist sie doch nicht schöpferisch, sondern muss den Stoff
zu ihren Bildungen von den Sinnen hernehmen“.166 Das produktive Vermögen
ist daher primär eine Synthesis, die in Bezug auf die Sinne eine Transformation
ermöglicht. Sie impliziert genauer eine Präformation der Sinne, die zum Erschei-
nen der Sinnesdaten führt; insofern schließt das Phänomen immer schon eine
Versinnlichung mit ein. Die gestalterische, transzendentale Potentialität der
Sinne wird durch die Einbildungskraft ausgeführt.
Die Einbildungskraft steht also für eine Versinnlichung, welche Bedeu-
tung zum Erscheinen bringt und bei der Sinn und Gedanke schwer zu trennen
sind, gerade weil „die Einbildungskraft, welche dem Verstande Stoff unterlegt,
um den Begriffen desselben Inhalt (zum Erkenntnisse) zu verschaffen, vermöge
der Analogie ihrer (gedichteten) Anschauungen mit wirklichen Wahrnehmun-
gen jenen Realität zu verschaffen scheint“.167 Die Einbildungskraft wirkt dabei
nur auf die Form und nicht auf den Stoff der Sinne, was jedoch nicht so zu ver-
stehen ist, als ob sie nur reine Einbildung wäre; sondern ihre Aktivität dient der
164 Siehe folgende Stelle der KU (A 234): „Es ist anzumerken: dass, auf eine uns gänz-
lich unbegreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe
gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückführen, sondern auch das Bild und
die Gestalt des Gegenstandes aus einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen
verschiedener Arten, oder auch einer und derselben Art, zu reproduzieren […]“.
Vgl. dazu Mörchen 1930, S. 382: „Die produktive Einbildungskraft ist Bedingung
der reproduktiven; d.h. es muss zuvor möglich sein, Erscheinungen überhaupt
‚hervorzuführen‘, ehe es möglich ist, diese und jene bestimmte Erscheinung, die
einmal gewesen ist, ‚wieder hervorzuführen‘“.
165 Kant, AA VII: 168.
166 Ebd.
167 Kant, AA VII: 169. Kant bemerkt hier die Bedeutung einer gewissen Gleichsetzung
zwischen Sinn und Gedanken in den sprachlichen Ausdrücken.
77
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
Formierung von Sinnesdaten.168 Das betrifft auch die Ebene der Reproduktion
– die wichtige Bezüge zum Gedächtnisproblem enthält169 –, vor allem aber die
Ebene der transzendentalen Produktion im Schematismus, der als Versinn-
lichung zu konzipieren ist. Zusammenfassend kann diese Produktion also als
versinnlichende Gestaltung bezeichnet werden.
Im Allgemeinen kann der Prozess des Schematismus selbst als eine Neu-
orientierung der Problemstellung der Deduktion gedeutet werden,170 weil er
eine operative Lösung des Gebrauchs der Begriffe in Zeit und Raum voran-
bringt. Er stellt einen weiteren, prozessualen Schritt gegenüber der Deduktion
der Kategorien dar, insofern einerseits die Kategorien nur durch den Schema-
tismus eine objektive Bedeutung erlangen, dem Schematismus aber andererseits
nicht nur die Kategorien, sondern auch sinnliche und empirische Begriffe zuge-
ordnet sind, womit er einen breiteren Aktionsradius als die Deduktion hat und
sogar Aufschluss darüber geben kann, wie das Verhältnis von Deduktion und
sinnlichen wie empirischen Begriffen zu bestimmen wäre. Darauf wird später
noch einzugehen sein.171 Damit wären die isolierten Vermögen der Sinnlichkeit
und des Verstands in eine vielschichtige Bedeutungserfahrung überführt, die
immer schon Versinnlichung ist, sich der Begriffe bedient und gleichzeitig
Begriffe gestaltet.
Die Einbildungskraft ist die Synthesis selbst und kann daher als der Pro-
zess schlechthin und ferner als Ausweg aus dem Dualismus zwischen Sinnlichkeit
und Verstand angesehen werden. Wie sich im weiteren Verlauf der Untersu
chung zeigen wird, ist diese Hinsicht auch zentrales Merkmal der Revisionsver-
suche in der Nachfolge Kants. Ich möchte damit nicht behaupten, dass das
Schematismusproblem in der Kritik der reinen Vernunft in jedem Fall grund-
legender als das der Deduktion sei, obwohl sich diese Möglichkeit in systemati-
scher Hinsicht nicht ausschließen lässt.172
168 Die Wirkung der Einbildungskraft auf die Form der Dinge begründet nach Her-
mann Mörchen (1930, S. 330) ihre Bedeutung als reine Einbildung.
169 Diesbezüglich vertritt Stephan Otto (2007, S. 112f.) den Ansatz einer deutlichen
„Aussparung der Theorieprobleme der Erinnerung und ihrer Anschaulichkeit“
und kritisiert den Zusammenhang zwischen der Synthesis der Reproduktion in der
ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und dem Gedächtnis.
170 Der Begriff einer Neuorientierung wird der Untersuchung von Sarah Gibbons
(1994, S. 58) entnommen: „My contention is that the Schematism provides a reori-
entation of the problems and solutions offered in the Transcendental Deduction“
(Hervorhebung L.G.).
171 Siehe unten, Kap. V.
172 Insbesondere Matthias Wunsch (2007, S. 10–14) hat diesen Aspekt eines grundle-
genderen Charakters des Schematismusproblems gegenüber dem Deduktionspro-
blem diskutiert und behandelt diese zwei Probleme als die Wie-Frage und die Dass-
Frage. Die Lösung der letzteren würde die Betrachtung der ersteren begründen:
„Aus diesen Gründen ist m.E. davon auszugehen, dass die Schematismuslehre für
78
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Kant selbst vom Erfolg der transzendentalen Deduktion abhängig ist. Demnach ist
aber das Deduktionsproblem in Kants Problemarchitektur in systematischer Hin-
sicht grundlegender als das Schematismusproblem“.
173 Kant, KrV, B 151.
174 Kant, AA VII: 169.
175 Vgl. dazu Chiodi 1961, S. 255.
176 Mit dieser Interpretation geht zugleich eine revidierte Auffassung der von Kant in
der Anthropologie vollzogenen Differenzierung zwischen den drei verschiedenen
Arten des sinnlichen Dichtungsvermögens und derjenigen Sinne einher, die als
mehr objektiv denn subjektiv beschrieben werden. Siehe dazu Kant, AA VII: 174:
„Diese sind das bildende der Anschauung im Raum (imaginatio plastica), das bei-
gesellende der Anschauung in der Zeit (imaginatio associans) und das der Ver-
wandtschaft aus der gemeinschaftlichen Abstammung der Vorstellungen vonein-
ander (affinitas)“. Bei Kant lässt sich nicht von einer kinästhetischen Gestalt
sprechen, obwohl die Bewegung eine wichtige Rolle sowohl in der Erläuterung des
Tastsinns als auch in der Beschreibung des Raumes spielt. Die Betastung – wie
schon oben in der Untersuchung der einzelnen Sinne erwähnt – erfordert nämlich
Bewegung, damit man (AA VII: 154) „von allen Seiten sich einen Begriff von der
Gestalt eines Körpers machen könne“. In Bezug auf die Bewegung schreibt Kant
(KrV B 155): „Bewegung eines Objektes im Raume gehört nicht in eine reine Wis-
79
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
sich mithin die Konturen der Synästhesie zwischen den einzelnen Sinnen aus-
machen: Durch sie erfolgt eine allgemeine, übertragende Synthesis zwischen
Sinnlichkeit und Begrifflichkeit, die beide stets in der Bedeutungserfahrung
involviert sind. Und diese Synästhesie zwischen akustischen, figurativen,
kinästhetischen und – wenn auch in geringerem Maße – geruchlichen und
geschmacklichen Aspekten lässt sich nicht vom Schematismus trennen. Ihr
dynamisches Geflecht muss mittels der transzendentalen Beschreibung schema-
tischer Bildungen entwirrt werden, indem ausgehend von Kant ihre Gestal-
tungsfunktion hervorgehoben und somit versucht wird, einer Hypostasierung
der Frage nach dem Ursprung der Verwandtschaft zwischen den Vermögen vor-
zubeugen. Darin liegt letztlich die Chance, die tieferen Wurzeln des vermeint-
lichen Dualismus freizulegen. Die angenommene Reinheit sowohl der Anschau-
ungen als auch der Kategorien wäre demnach primär als ein heuristisches
Hilfsmittel zu verstehen, das dazu dient, die wahre Breite der Artikulation von
Bedeutung zu erfassen. Reine Anschauungen und reine Kategorien sind folglich
Grenzbegriffe einer Erkenntnis, die immer sinnlich ist, und eines Denkens, das
immer intuitiv ist.
Die Problematik, die unter anderen auch Kaulbach gesehen hat, dass das
„Produzieren objektiver Gegenstandsgestalten durch Einbildungskraft zugleich
auch eine Leistung des Denkens und Sprechens ist“,177 wird im Anschluss an die
Untersuchung der Schematismuslehre und ihrer Abgrenzung zum Symbol-
begriff zu thematisieren sein. Für Kant ist diese produktive Darstellung ohne
Gegenwart des Gegenstandes der Einbildungskraft zuzuschreiben, die in die-
sem Sinne im Schematismus als eine „exhibitio originaria“ im Unterschied zu
der von ihr abgeleiteten Darstellung einer „exhibitio derivativa“ angesehen wer-
den kann, die bereits empirische Anschauungen voraussetzt und damit von der
ersten Ebene der schematischen Bestimmung abhängt. Um diese Aktivität der
Urteilskraft – die auch mit dem Begriff der energeia178 bezeichnet werden kann
– zu erklären, vergleicht Kaulbach das Schema mit der Unterschrift, die all-
senschaft, folglich auch nicht in die Geometrie; weil, daß etwas beweglich sei, nicht
a priori, sondern nur durch Erfahrung erkannt werden kann. Aber Bewegung, als
Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der sukzessiven Synthesis der
Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbil-
dungskraft, und gehört nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transzen-
dentalphilosophie“. In Bezug auf die Bewegung diskutiert Alexandra Makowiak
(2009, S. 146) den originären Charakter des Raumes und der Zeit: „De ce point de
vue, à travers le caractère transcendantal du mouvement, Kant insiste sur le carac-
tère non moins originaire de l’espace et du temps en tant que représentations
acquises – invalidant ainsi toute interprétation, qui tendrait à faire valoir le carac-
tère plus originel de l’un ou de l’autre“.
177 Kaulbach 1981, S. 98.
178 Zum energeia-Begriff bei Humboldt siehe Kap. IV des zweiten Teils.
80
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
gemeiner als die einzelnen Schriftzüge ist.179 Vor der Behandlung des Schema-
tismus als konstitutivem Prozess der Begrifflichkeit (Kap. IV), soll die Relevanz
der Versinnlichung für die Hervorbringung von ‚Gestalten‘ im Schematismus
erklärt werden.
179 Kaulbach 1968, S. 296: „Die reine Einbildungskraft würde im Schema ihre ‚Unter-
schrift‘ ausbilden: was man ‚Unterschrift‘ nennt, fällt nicht mit dem hier und jetzt
vollzogenen Schriftzug zusammen, sondern ist viel allgemeiner. Die ‚Unterschrift‘
verliert sich ebenso wie auch das Schema nicht in dem Hier und Jetzt eines einzel-
nen Schriftzuges, sondern ist eine allgemeine und zugleich aktive Form, welche in
der schreibenden Hand wirksam ist, wenn sie jeweils zur Realisierung beliebig vie-
ler einzelner Schriftzüge ansetzt. In diesem Sinne darf das Schema als Unterschrift
der reinen Einbildungskraft gelten“.
I I I . D ie ‚G estalt ‘ im
V ersinnlichungsprozess:
Das S chema zwischen
Bild und Wort
Die Gestalt hat sich als Schlüsselbegriff für die Konzeption der Sinnlichkeit
erwiesen. Das Gehör hingegen kann nach Kant keine Gestalt hervorbringen und
ist transzendental mit der Zeit verbunden, die konstitutiv für den inneren Sinn
ist. Damit wird die Gestalt zu einer bloß visuellen Figurierung, die sich von
einer rein akustischen Darstellung unterscheidet, die Kant folglich auch nicht
als Gestalt bezeichnet.180 Im Gegensatz dazu soll hier auch im Fall des akus-
tischen Verfahrens von einer Gestalt die Rede sein, und zwar im Sinne eines
Ganzen, das zur Realisierung des Wortlautes führt. Das Schema selbst wird so
zu einer Versinnlichungsgestalt, die sich nicht ausschließlich visuell konkreti-
siert. Auf diese Weise lässt sich eine bestimmte Funktion des Gehörs andeuten,
die in der anthropologischen Charakterisierung einzelner Sinne nicht aufgeht,
welche Kant etwa zu der erwähnten Behauptung verleitet, dass Taubgeborene
die Abstraktheit der Begriffe nicht erreichen könnten. Zugleich aber unterschei-
det sich die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in visuelle und nicht-visuelle
Aspekte, welche die sinnlichen Bedingungen des Schematismus als Artikula
tion von Bedeutung zwischen Bild und Wort deutlich machen. Das Wort ist also
auch eine Gestalt, aber nicht im visuellen Sinn. Nur unter Berücksichtigung
dieser Unterscheidungen kann von einer umfassenden transzendentalen Ver-
sinnlichung die Rede sein, welche die Funktion der Sinnlichkeit im Gestaltungs-
prozess anzeigt. Wie sich im zweiten Teil unserer Untersuchung erweisen wird,
motiviert genau dieser prozessuale Charakter der Sinnlichkeit Humboldts
Beschreibung der vielfältigen sinnlichen Manifestationen der Sprache.181
Ohne diese Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wäre Abstraktions-
fähigkeit im Ausdruck und im Gebrauch streng genommen nicht möglich und
nicht darstellbar. Die Transformation und Realisierung der Begriffe setzt daher
eine Versinnlichung voraus, und das obwohl sie nicht unmittelbar von der
Gegenwart eines Gegenstandes abhängt: Denn es handelt sich um eine prozes-
suale Bestimmung der Sinnlichkeit, die in der Bildung der Gestalt am Werk ist.
Diesen Aspekt hat Kant gesehen, wenn er die Einbildungskraft als einen Teil der
Sinnlichkeit bestimmt, deren Darstellung auch unabhängig von der Gegenwart
des Gegenstandes möglich ist. In der Realisation von Bedeutung ist die Gestal-
tungsfunktion frei von der Rezeptivität der Sinne. Wenn man jedoch annimmt,
dass schon die Sinne in ihrer transzendental-prozessualen Funktion diese Trans-
formation der bloß rezipierten Sinnesdaten ermöglichen, ist es gerade die
Gestalt, die den Prozess und das Resultat dieser Emanzipation bezeichnet.
Der prozessuale Charakter der Sinnlichkeit bringt eine Transformation
mit sich, die sich in einer nicht-sprachzentrierten Gestaltung entfaltet, in der
Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild artikuliert wird – d.h. eine Gestaltung,
in der die Gestalt insbesondere in Bezug auf akustische und visuelle Aspekte
hervortritt. Durch die so angezeigte Auslegung der Sinnlichkeit – welche mei-
nes Erachtens bei Kant in den anthropologischen Schriften vorbereitet wird –
ändert sich der Status des Dualismus und somit auch der isolierenden Methode,
die sich als eine lediglich heuristische Unterscheidung erweist, in der die Sinn-
lichkeit zur Architektur eines Prozesses wird, der sich semantisch im Gebrauch
realisiert.
Der vorgeschlagene prozessuale Ansatz hinsichtlich der Sinnlichkeit
kann meines Erachtens auch als ein Perspektivenwechsel innerhalb der Debatte
um den non-konzeptualistischen oder konzeptualistischen Charakter der
Erkenntnistheorie Kants angesehen werden, wie er etwa von Robert Hanna und
John McDowell vertreten wird. Denn bereits Hanna beschreibt, inwiefern bei
Kant einige Aspekte der Sinnlichkeit als derart unabhängig erscheinen, dass sie
nicht auf begriffliche Bestimmungen reduziert werden können. Er vertritt daher
gegen McDowell und mit Evans eine nicht-inferentielle Auffassung der erkennt-
nistheoretischen Bedingungen, der eine nicht-begriffliche Phänomenologie
zugrunde liegt, die er jedoch anhand der kantischen Form der Anschauungen
erklärt.182 Damit spezifiziert er denjenigen intuitiven Gehalt der Erkenntnis, der
182 Siehe dazu Hanna 2005, S. 247: „I will argue that Kant not only defends the exis-
tence and meaningfulness of nonconceptual content, but also offers a fundamental
explanation of nonconceptual content that can be directly transferred to the con-
temporary debate and significantly advance it“. Siehe auch S. 249f.: „The crucial
point grasped by Kant, Dretske, and Evans alike is that nonconceptual cognitive
capacities are ‘sub-rational’ or ‘non-rational’ capacities only in the sense that they
are necessary but not sufficient for our rational cognitive capacities, not in the sense
that they are irrational or arational. So nonconceptual content does not exclude
rationality: on the contrary, on the Kant-Dretske-Evans picture, nonconceptual
cognition and its content constitute the proto-rationality of all minded human or
non-human animals“.
83
III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess
nicht begrifflich ist und eine Art ‚proto-Rationalität‘ als Grundlage der Rationa
lität konstituiert. Ihre Dimension erstreckt sich vom Gefühl bis zur Einbildungs-
kraft und umfasst somit unterschiedliche Aspekte der kantischen Sinnlichkeit.
McDowell vertritt das Gegenkonzept eines konzeptualistischen Ansatzes, dem-
zufolge „we should understand what Kant calls ‚intuituion‘ – experential entake
– not as a bare getting of an extra-conceptual Given, but as a kind of occurrence
or state that already has conceptual content“.183 Somit sieht McDowell in der
Unterscheidung zwischen Formen der Anschauungen und formalen Anschau-
ungen den Beweis dafür, dass die Sinnlichkeit immer schon die Aktivität des
Verstandes voraussetzt. Der hier vertretene Versinnlichungsansatz hingegen
kann meines Erachtens diese kurz skizzierte – aber in der Kantforschung sehr
ausführlich dokumentierte184 – Debatte weiterbringen, weil er sich gerade der
jenigen fehlenden systematischen Stelle annimmt, die sowohl Non-Konzep
tualisten als auch Konzeptualisten nicht näher untersuchen: nämlich der pro
zessualen Bestimmung der Sinnlichkeit, die an sich zwar eine potentielle
Gestaltungsfunktion enthält, jedoch den Gebrauch formal strukturiert und sich
im Gebrauch materiell realisiert. Aus dieser Perspektive erscheinen die Formen
der Anschauungen als eine potentielle, transzendentale Strukturierung des
Gehaltes. Die Form wird somit zur prozessualen Bedingung der Materie. Der
Schematismus erweist sich hierbei als die prozessuale Darstellung jeder Bedeu-
tungserfahrung. Die Sinnlichkeit übt eine Präformation aus, die von Kant
lediglich angedeutet wird und deren weitere Zuspitzung ich anhand des Revi
sionsversuchs von Herder diskutieren werde.185 Dabei ist jedoch darauf zu ach-
ten, dass es nicht zu einer Substanzialisierung des sinnlichen Gehaltes kommt,
sondern im Rahmen der transzendentalen Heuristik bei der Beschreibung des
Prozesses bleibt. Und das bedeutet wiederum keine Konzeptualisierung der
Sinnlichkeit, sondern lediglich die Hervorhebung ihres prozessualen Charakters
in der Wahrnehmung.
Sicherlich könnte man die non-konzeptualistischen und konzeptualisti-
schen Ansätze noch ausführlicher auf den Versinnlichungsprozess beziehen,
was jedoch eine umfangreiche Diskussion erforderlich machen würde, die hier
nicht unternommen werden kann; und zwar nicht nur aufgrund der mit ihr
183 McDowell 1996, S. 9. Und noch deutlicher (1996, S. 39): „We find ourselves always
already engaging with the world in conceptual activity within such a dynamic sys-
tem. (…) conceptual capacities are not exercised on non-conceptual deliverances of
sensibility. Conceptual capacities are already operative in the deliverances of sensi-
bility themselves“.
184 Für eine erste Übersicht über diese Debatte und insbesondere für einen systemati-
schen Vergleich zwischen McDowell und Sellars in Bezug auf die Einbettung der
Formen der Anschauungen in die Aktivität des Verstandes siehe Heidemann 2003,
S. 14–43.
185 Siehe Kap. III des zweiten Teils.
84
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Funktion des Schemas darin, den Übergang zwischen Bildern und Begriffen zu
ermöglichen. Zugleich dient seine Einführung dazu, den Fall derjenigen Kate-
gorien aufzuklären, die gar nicht in Bildern dargestellt werden können, jedoch
nichtsdestotrotz eine Versinnlichung erfordern. Als zentraler Punkt der hier
vertretenen Auslegung hat demnach die Annahme zu gelten, dass Begriffe sich
generell ihrer diskursiven (akroamatischen) Gestaltung nicht entziehen können.
Das Verhältnis zwischen Begriffen, Schemata und Bildern steht im
Fokus derjenigen Interpretationen des Schematismus-Kapitels, welche die Frage
nach der Bedeutung und ihrer Ausdrucksform in den Vordergrund stellen. Kant
ist zunächst einmal das Verdienst anzurechnen, das Schema nicht auf das Bild
reduziert und im Gegenteil das Problem des Schematismus vom Gesichtspunkt
des partikulären Charakters des Bildes her betrachtet zu haben, das in einem
heterogenen Verhältnis zum Begriff steht. Hierbei darf nicht vergessen werden,
dass es im Schematismus sowohl um unterschiedliche Arten der sinnlichen
Darstellung eines Begriffes geht – wie zum Beispiel im Fall des Hundes, der in
Form eines Wortes, einer Umschreibung, eines Bildes, einer Skizze usw. vor-
kommen kann – als auch um den transzendentalen Prozess der Darstellung
reiner Begriffe. Diese zwei Ebenen, die im Laufe der Betrachtung immer deutli-
cher unterschieden werden, markieren die interne Schwierigkeit des Schema-
tismus.
Auf der ersten Ebene – die noch nicht im engeren, ‚reinen‘ Sinn trans-
zendental ist – geht es nicht um die Bedingung der Entstehung von Bedeutung
in Form eines Bildes oder eines Wortes, sondern mehr um die empirisch-syn-
thetische Aktivität der Schematisierung, die immer schon synästhetisch ist.
Auf der zweiten Ebene hingegen betreten wir das Feld einer prozessualen Syn-
thesis als Bedingung der Bedeutung selbst. Diese unterschiedlichen Ebenen
können auch als deskriptiv und genetisch beschrieben werden: Deskriptiv ist
die Versinnlichung insofern, als sie unseren semantischen Bezug zur Welt
bestimmt. Marconi bezeichnet diese Perspektive daher als naiv:
Genetisch dagegen lässt sich die Referenz als solche im Verhältnis zwischen
Wörtern und Bildern erkennen, die nicht auf eine bloße Assoziation zurück-
geführt werden kann, sondern einen Wahrnehmungsprozess impliziert, der –
wie mit Blick auf die Urteilskraft bereits erläutert werden konnte – dynamisch
und immer mit dem Gebrauch verbunden ist. Gerade die Einsicht in diesen pro-
zeduralen Charakter des Schematismus190 war bei Kant – nach Auffassung von
Marconi – deutlicher als bei vielen gegenwärtigen Erkenntnistheoretikern aus-
geprägt.191 Dabei lässt sich der Unterschied zwischen Bildern und Wörtern an
einem spezifischen Mangel an Allgemeinheit der Bilder festmachen, welche die
Regel ihrer eigenen Anwendung nicht in sich enthalten: „the concept exceeds in
generality both the object of experience and its image“.192
Ein eindeutiger Beleg für diese Interpretation ist die Bedeutung, die
Kant dem Gehör und dem Wort für das diskursive Denken beimisst. Insbeson-
dere das Wort ist für Kant eng mit dem diskursiven Charakter des Denkens
verbunden und ermöglicht die Absonderung des Begriffes von Bildern. Es ist
sogar so, dass, „wenn man den Begriff nicht von Bildern absondern kann“, man
„niemals rein und fehlerfrey denken können“ wird.193 Gerade weil der Begriff
dem Bild nicht entspricht, entwickelt sich zwischen ihnen eine Bezeichnung, die
sinnlich ist und trotzdem keine eigene Bedeutung hat, sodass sie zur Gestaltung
der Begriffe geeignet ist. Somit realisiert sich im Schematismus der Übergang
vom Bild zum Begriff, was den Raum einer Versinnlichung eröffnet, die keines-
wegs als eine bloß empirische Verbildlichung, sondern als transzendentale
Gestaltung verstanden werden muss, in der der Begriff sich zwischen Bildern
und Wörtern artikuliert. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass Schemata nicht nur im
Sinne der figürlichen Realisierung verstanden werden sollten. Denn die
Schemata – und das ist ein wichtiger Gedanke Kants – können weder auf Bilder
noch auf das Figurative reduziert werden, obwohl beide im Schematismus eine
konstitutive Funktion ausüben. Die figürliche Realisierung ist sicherlich eine
wichtige Dimension des Schematismus, die insbesondere in Bezug auf die Funk-
tion der Diagramme im Denken weiter entwickelt worden ist.194 Aber diese
190 Siehe Butts 1969, S. 290–300. Vgl. Bennett 1966, p. 141: „Instead of associating each
concept with a single image, or with a set of exactly similar images, Kant’s theory
associates each concept with a rule for image-production“.
191 Vgl. Marconi 1997, S. 146–147: „Interestingly, Kant saw more clearly than some
modern theorists that the interface of language and perception has to be procedural
in nature. Such an insight is embedded in his doctrine of the schematism in the
Critique of Pure Reason. The doctrine is intended to solve many different problems
at the same time, which makes it difficult and at time confused“.
192 Marconi 1997, S. 148.
193 Kant, AA XXVIII: 369.
194 Das gedankliche Ziehen einer Linie zur Darstellung der Zeit spielt dann auch eine
wichtige Rolle in Sybille Krämers Auslegung des Schematismus (2012, S. 84), die
87
III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess
semiotischen Natur des Denkens, die später in der Kritik der Urteilskraft spezi
fiziert und in der Rezeptionsgeschichte des Schematismus oft übersehen wird.199
Mit dem Schematismus spricht Kant unterschiedliche Ebenen der Her-
vorbringung von Bildern anhand von Begriffen und Anschauungen an, was in
der Untersuchung der einzelnen Schemata zu klären ist.200 Im Allgemeinen ist
es die Absicht Kants, Schemata nicht auf die bloße Assoziation von Bildern und
Begriffen einzuschränken, sondern mit ihnen einen Prozess der Hervorbrin-
gung eines figurativen Elements des Denkens zu beschreiben. Dabei sollte das
Figurative nicht mit einer bildhaften Vorstellung gleichgesetzt werden. Es han-
delt sich mehr um die mögliche Artikulation des Figurativen.201 Eco übersetzt
Sellars‘ ‚Imaging‘ mit ‚Figurare‘ als Vorstellung „sowohl im Sinn des Konstru-
ierens einer Figur, des Zeichnens eines Strukturschemas, als auch in dem Sinn,
in dem man beim Anblick eines Steins sagt, ‚ich stelle mir vor‘, dass er innen
hart ist“. Und weiter:
Es ist nun an der Zeit zu erklären, inwieweit die Ebenen des Schematismus die-
ses transzendentale Figurative im Unterschied zur akroamatischen Bestimmung
entfalten. An dieser Stelle möchte ich erneut für den Versinnlichungsbegriff
argumentieren, der meines Erachtens die Dichotomie von Sinnlichkeit und
Begrifflichkeit überwindet und sich vor allem von den visuellen Konnotationen
emanzipiert, durch welche – wie gerade gezeigt wurde – die Reichweite der
Gestaltung im Schematismus nicht erfasst werden kann. In der Folge wird nun
untersucht, inwiefern die Begrifflichkeit zu dieser Gestaltung beiträgt.
199 Umberto Eco spricht an dieser Stelle (2000, S.88) von der „semiosischen Natur der
Erkenntnis“.
200 Siehe Kap. V.
201 Gasché 2003, S. 214f.: „When Kant, in the Critique of Pure Reason, says that sche-
mata are what make images possible, it becomes clear that, even though they can be
numbered and identified, they are not empirical figures but modifications of the
transcendental possibility of figures“.
202 Eco 2000, S. 98. Der Originaltext auf Italienisch behält den Sinn dieses Übersetzens
bei, das in der deutschen Version nicht als bewusste Entscheidung von Umberto Eco
selbst präsentiert wird (1997, S. 63): „Per ragioni che saranno chiare tra poco, pro-
pongo di tradurre imaging con ‘figurare’ (sia nel senso di costruire una figura, di
tracciare un’ossatura strutturale, che nel senso in cui si dice, vedendo la pietra, ‘mi
figuro’ che sia dura all’interno. […] Questo figurare per comprendere e comprende-
re figurando è cruciale nel sistema kantiano“.
I V. Begrifflichkeit im G ebrauch :
Das S chema als ‚ Drittes‘
der U rteilskraft
Die hier vertretene Auffassung der Sinnlichkeit verändert den Blick auf das Pro-
blem der Anwendung von Begriffen, da diese definitiv nicht mehr als bloße
Verdeutlichung einer verworrenen Sinnlichkeit angesehen werden können. Es
ist somit kein gradueller Übergang zwischen Begriffen und Anschauungen
möglich; im Gegenteil: ihre Verbindung ist zum Problem geworden. Systema-
tisch wird dieses Problem von Kant zuerst in der Trennung von Sinnlichkeit und
Verstand sowie ihrer Verbindung im Schematismus-Kapitel der Kritik der rei-
nen Vernunft behandelt. Unter der Voraussetzung, dass Begriffe und Anschau-
ungen nicht gleichartig, sondern vielmehr ungleichartig sind und unterschiedli-
chen erkenntnistheoretischen Ebenen angehören, wird die Subsumption von
Anschauungen unter Begriffe und die Anwendung der letzteren auf die ersteren
zum Problem: „Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln
erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d.i.
zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) ste-
he, oder nicht“.203 Der Verstand bestimmt folglich die begriffliche Regel, unter
der die Subsumption erfolgt, enthält aber nicht die Methode, die das Verfahren
der Subsumption erst ermöglicht.204 Diese Methode der Regelanwendung wird
von der Urteilskraft beigesteuert.
Bedeutung ist somit immer in eine Bedeutungserfahrung eingespannt
und lässt sich grundsätzlich nicht von der Methode der Regelanwendung tren-
nen oder auf Verstandesbegriffe reduzieren. Dass diese Aktivität vom dyna-
mischen Charakter des Anwendungs- und Interpretationsprozesses abhängt
und – zumindest nicht im Rahmen des diskursiven Denkens – nicht als Appli-
kation fixer Anwendungsgesetze verstanden werden darf, muss als der Haupt-
grund für die Tatsache angesehen werden, dass die Schematismuslehre der
Urteilskraft unterstellt ist. Denn der Verstand ist „einer Belehrung und Aus-
rüstung durch Regeln fähig“, während die Urteilskraft „ein besonderes Talent“
aufweist, „welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will“.205 Entspre-
chend vergleicht Kant das Üben der Urteilskraft mit dem so genannten Mutter-
witz als einer Art angeborener Begabung, deren Fehlen „keine Schule ersetzen
kann“.206 Sicherlich können unterschiedliche Kenntnisse erworben werden, aber
die Anwendung kann nicht allein auf diese Belehrung zurückgeführt werden,
die jedes Mal in den jeweiligen Sachverhalten ausgeübt werden muss.207 Die
Anwendung einer Regel in concreto erfordert also die Aktivität des Urteilens,
was Fähigkeit und Geschicklichkeit zugleich voraussetzt.208 Ohne diese Anwen-
dung würde überhaupt kein Urteilen möglich sein. Das zeigt sich für Kant am
Nutzen von Beispielen, die „die Urteilskraft schärfen“, ohne ihre Funktion
ersetzen zu können.209 Diese Einübung der Urteile ist deshalb möglich, weil das
Beispiel „kein Merkmal“ ist, und „nicht als theil zum Begriffe, sondern als
Anschauung zum Gebrauche des Begrifs“ gehört.210
Die so skizzierte Aktivität der Urteilskraft wird häufig mit dem Begriff
der Regel und dem unbestimmten Charakter der Bedeutung bei Wittgenstein
verglichen.211 Es ist deshalb besonders wichtig anzumerken, dass die Unbe-
stimmtheit bei Kant primär die Ebene der empirischen Schematisierung betrifft,
in der die empirischen Begriffe durch die Erfahrung im Prinzip unendlich spe-
zifizierbar und trotzdem im Gebrauch als Ganze bestimmbar sind. Somit blei-
ben die rein sinnliche Konstruktion und die rein diskursive Schematisierung
von der Unbestimmtheit unberührt.
Auf transzendentaler Ebene lässt sich auch der Unterschied zwischen
intuitiver und diskursiver Erkenntnis thematisieren. Im Laufe unserer Unter-
suchung wird wiederholt der Unterschied zwischen Mathematik und Philoso-
phie herangezogen, um zu zeigen, dass die Philosophie für Kant nicht mit der
mathematischen Erkenntnis gleichgesetzt werden kann, deren Begrifflichkeit
sich ihm zufolge vollkommen intuitiv erfassen lässt. In der Philosophie dagegen
ist eine solche, vollkommen intuitive Entsprechung nicht möglich, da sie sich
keiner Begriffe bedient, die vollkommene Anschauungen einschließen: Im dis-
kursiven Denken ist keine vollständige Entsprechung von Begriffen und
Anschauungen möglich, sondern letztere sind lediglich Referenzen der Begrif-
fe, durch welche sie gebraucht werden können. Und diese Diskursivität haftet
der Urteilskraft nicht nur auf empirischer, sondern vor allem auf reiner Ebene
an, also bei der semantischen Bestimmung von Urteilen, die nicht aus der
Erfahrung abgeleitet werden können und trotzdem Bedingung der Möglichkeit
der Erfahrung selbst sind. Diese Ebene entfaltet sich bei Kant in einem kom-
plexen Geflecht zwischen Begriffen und Urteilen, das ein Leitthema unserer
Untersuchung bleiben wird. Auf diskursiver Ebene ist die Versinnlichung rein
sprachlich: Es handelt sich um ein versinnlichendes Denken, das nur in der
Sprache zur Entfaltung kommen kann. Genauer ist es auf der Ebene des akro-
amatischen Charakters derjenigen Diskursivität anzusiedeln, die durch den
Laut (also für das Hören) zur Entfaltung kommt.212 Insofern ist es nicht abwegig
zu sagen, dass auch die Kategorien sinnlich sind, da sie in der Sprache ausgedrückt
werden, obwohl ihre Bedeutung nicht empirisch dargestellt werden kann. Für
diese reine Sprache gibt es zwar keine Bilder, was aber nicht bedeutet, dass das
Denken damit rein fiktiv sei; es zeigt vielmehr an, dass es rein sprachlich ist –
im Sinne einer Versinnlichung als Versprachlichung. Doch die rein sprachliche
Bestimmung der Kategorien wird von Kant nicht in der Transzendentalphiloso-
phie untersucht, obwohl er – wie sich noch zeigen wird – die ersten Philosophen
für „Dichter“ hält213 und in der Logik Jäsche ebenfalls eine Produktivität der
Philosophie annimmt, wenn er bemerkt, dass „die Form eines Begriffs als einer
discursiven Vorstellung jederzeit gemacht ist“.214
212 Zur Betonung der Funktion des Hörens in der akroamatischen Bestimmung der
Diskursivität siehe Capozzi 2012, S. 341, siehe dazu auch Capozzi 2011.
213 Das geschieht in der Logik Dohna-Wundlacken (AA 24: 698). Zur Unterscheidung
zwischen Darstellungs- und Bezeichnungsvermögen siehe Kap. VII.
214 Kant, AA IX: 93.
92
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Die Funktion der Urteilskraft ist demnach geeignet, die Systemstelle der
Sprache im Schematismus zu erhellen. Denn die propositionale Ebene der
Urteile ist laut Kant dafür zuständig, synthetische Bedingungen der Erfahrung
a priori zu formulieren. Das (propositionale) begriffliche Denken bleibt dabei
rein diskursiv und kann sich nicht derselben anschaulichen Konstruktion der
Begriffe wie die Mathematik bedienen; trotzdem steht es vor der Aufgabe, eine
transzendentale Ebene zu bestimmen, die allgemeingültig ist, ohne dabei den
subjektiven Charakter des begrifflichen Gebrauchs aufzuheben. Die Funktion
des Urteilens erweist sich insofern als grundlegend nicht nur für die bereits
skizzierte transzendentale Wende in Bezug auf die Bestimmung der Sinnlichkeit,
die zur Gestaltung der Bedeutung zwischen Begriffen und Bildern beiträgt, son-
dern auch für die transzendentale Wende hinsichtlich der begrifflichen Abstrak-
tion, die semantischer Regeln bedarf.
Der Begriff der semantischen Regel (semantical rule) als Bezeichnung
für das Schema findet sich etwa bei Butts und Hogrebe.215 Die Semantik des
Schematismus kann für beide nicht vom Urteilen getrennt werden, in dem jeder
Begriff sinnlich realisiert wird. Die prozessuale Allgemeinheit des Schemas
kann insofern mit dem Prozess der Erfüllung verglichen werden.216 Einerseits ist
nun das Schema Funktion einer Regel, die in methodischer Hinsicht das Ver-
fahren der Subsumption und der Anwendung allgemeiner Begriffe ermöglicht;
andererseits entzieht sich diese Regel nicht den potentiell unendlichen Erfül-
215 Hogrebe 1974, S. 101, Butts 1969, S. 290–300. Wie Wolfram Hogrebe anmerkt,
kommt die Bezeichnung des Schemas als semantical rule ursprünglich von Foun-
dations of the Theory of Signs von Charles Morris (1938, S. 23), demzufolge eine
semantische Regel „within semiotic a rule which determines under which condi-
tions a sign is applicable to an object or situation“ bezeichnet. Und weiter: „such
rules correlate signs and situations denotable by the signs“.
216 Der Prozess der Erfüllung kommt auch in der Bestimmung der schematischen
Ansichten Roman Ingardens vor. Siehe dazu oben, Einleitung. Insbesondere Frank
Obergfell hat den Schematismus anhand des Erfüllungsprozesses in Bezug auf
Kants Abstraktionstheorie behandelt, die den konzeptualistischen Ansatz Lockes
überwindet (1985, S. 57–58): „Wir sehen, dass der Begriff zunächst nicht eine allge-
meine anschauungsanaloge Vorstellung eines allgemeinen Merkmals ist, das gene-
tisch aus einer Komparation von mehreren Vorstellungen hervorginge und letzt-
lich als eigene Vorstellung unklar bleibe, wie das allgemeine Dreieck Lockes gezeigt
hat, sondern dass der Begriff die verstandesentsprechende Vorstellung einer Regel
der Verknüpfung der Merkmale der anschaulichen Vorstellung ist, wobei diese
Regel immer gebunden bleibt an die je einzelne anschauliche Erfüllung der Merk-
male, des Verbundenen, aber als Regel doch offen ist gegenüber einer Vielzahl von
möglichen Erfüllungen. Die Erfüllungen sind im Begriff hinsichtlich einer offenen
Vielzahl notwendig enthalten, aber als Erfüllungen selbst nur in der anschaulichen
Vorstellung verfügbar. Genau diese Art der Allgemeinheit der begrifflichen Vor-
stellung ist es, die Kant in der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ unter dem Titel ‚Sche-
matismus der Begriffe‘ behandelt und dort die Einbildungskraft als Vermögen die-
ses Schematismus reklamiert“.
93
IV. Begrifflichkeit im Gebrauch
lungen, die den Begriff realisieren und dadurch gleichzeitig restringieren. Wie
sich zeigen wird, betrifft dieser Aspekt hauptsächlich die Schematisierung
empirischer Begriffe, deren sinnliche Vollständigkeit nach Kant zwar uner-
reichbar ist, nicht aber die Schematisierung mathematischer Begriffe, deren
Erfüllung konstruktiv gelingt.
Die Urteilskraft, in der Subsumption und Anwendung als zwei Richtun-
gen des gleichen Prozesses erscheinen, zeigt den interpretativen Charakter des
Schematismus an, in dem die Sinnesdaten durch Begriffe interpretiert werden.217
Dadurch kommt eine gesamte Klasse von begrifflichen Inhalten zum Ausdruck,
die im einzelnen Gebrauch variieren kann. Das ist der Grund, warum Kant eine
solche Synthese gleichzeitig als „speciosa“ und als „figürlich“ bestimmt.218 Es ist
eine Synthesis, die – wie Cassirer in den Davoser Disputationen mit Heidegger
bemerkt – „sich der Spezies bedient“.219 Gerade als Speziesproblem, das für Cas-
sirer zum Kern des Bild- und Symbolbegriffes führt, ist der Schematismus der
transzendentale Prozess, der die Stabilität der Begriffe und die Variabilität ihrer
einzelnen Anwendungen gewährleistet. Die Frage nach einem schematischen
Dritten betrifft daher ein sehr breites Spektrum, das von der Abstraktheit der
Begriffe bis hin zur Konkretheit der Anwendung weite Teile der Erkenntnis-
theorie tangiert. Hier soll zunächst dem Leitfaden der Schematismuslehre Kants
gefolgt werden.
Die Schemata ermöglichen den Gebrauch der Begriffe, die sich in einer
sinnlichen Darstellung realisieren. Damit Begriffe Bedeutung haben können,
bedürfen sie eines Anwendungsverfahrens, in dem sie als mögliche semantische
Merkmale von Anschauungen auftreten, womit die Erkenntnis von Gegenstän-
den gewährleistet wird. Für Kant können wir „Dinge nur durch Merkmale
erkennen“.220 Ohne die Merkmale, die er für Erkenntnisgründe hält, ist die Prä-
dikation der empfundenen Realität daher von keiner reellen (subjektiven und
objektiven) Relevanz.
Der Begriff ist zunächst „eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstel-
lung dessen, was mehreren Objekten gemein ist, also eine Vorstellung, sofern
sie in verschiedenen enthalten sein kann“.221 Der allgemeine Charakter des
217 Vgl. Allison 2004, S. 209: „Understanding the possession of a schema as a recogni-
tional capacity also provided the key to understanding the connection between
schemata and the imagination, since the capacity in question is essentially inter-
pretative. Specifically, it is a capacity to interpret the sensible data as sufficiently
instantiating the criteria thought in the concept to warrant the subsumption of the
intuition under the concept“.
218 Kant, KrV, B 151.
219 Cassirer, in: Heidegger GA, 3, S. 276.
220 Kant, AA XVI: 298 (R 2281).
221 Kant, AA IX: 91.
94
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Begriffs – der für Kant eine bloße Tautologie ist222 – kann daher nicht die Regel
der Anwendung der Begriffe auf die konkreten Fälle enthalten, sondern diese
Regel kann sich nur im Gebrauch zeigen, der zuerst die Abstraktheit oder Kon-
kretheit der Sphäre eines Begriffs, d.h. die verschiedenen Grade der Abstraktion
von Begriffen bestimmt.223 Kant bemerkt beispielsweise, dass ich „in dem
Begriffe Substanz nicht so viel als in dem Begriffe Kreide“ denke.224
Die Bildung des allgemeinen Charakters der Begriffe kann demnach
formallogisch – durch die Operationen der Komparation, Reflexion und Abs-
traktion – erklärt werden, nicht aber ihr Gegenstandsbezug: Die objektive Rea-
lität der Begriffe erweist sich erst im Gebrauch im weitesten Sinne.225 Ihre Bil-
dung darf jedoch nicht nur als Induktion aus empirischen Merkmalen verstanden
werden.226 In den logischen Schriften sind grundsätzlich drei Ebenen des
Gebrauchs der Begriffe zu unterscheiden: er ist intellektuell, empirisch oder
willkürlich. Diesen drei Ebenen entsprechen ferner drei Arten von Begriffen:
Der Materie nach unterscheiden sich die Begriffe in gegebene (dati) und
gemachte (factitii), wobei beide entweder a priori oder a posteriori sein können.
Die a priori gegebenen Begriffe werden Notiones genannt, während die a pos-
teriori gegebenen Begriffe Erfahrungsbegriffe sind. Die a priori gemachten
Begriffe sind genauer die mathematischen Begriffe, die a posteriori gemachten
Begriffe hingegen diejenigen, die wir uns aus der Erfahrung machen. Die drei
Ebenen (intellektuell, empirisch und willkürlich) bezeichnen damit die drei
Arten von Begriffen, die für ihre Anwendung in concreto (und nicht bloß in
abstracto, d.h. als Gebrauch der Begriffe untereinander in Ansehung der Gat-
tung und der Spezies) eine Schematisierung erfordern. Es gibt nun nach Kant
reine Verstandesbegriffe, welche a priori gegeben sind, und rein sinnliche
Begriffe, die erdichtet sind. Diese beiden Arten von Begriffen teilen sich den
apriorischen Charakter, unterscheiden sich jedoch der Materie nach. Diese ist im
Gegensatz dazu gemeinsames Merkmal der Verstandesbegriffe und der empi-
risch gegebenen Begriffe. Letztere werden jedoch auch – und darin liegt ein
Problem – als ‚gemacht‘ beschrieben. Diese interne Spannung zwischen einer
logischen Definition und einer Realdefinition der empirischen Begriffe wie
auch der gegebene Charakter der Notionen werden daher in Kapitel 5 über
deren Schematisierung ausführlicher zu problematisieren sein. Es ist dennoch
227 Béatrice Longuenesse (1998, S. 127) verbindet die logische Operation der Kompara-
tion mit der Bildung von Begriffen und Schemata.
228 Kant, AA IX: 95. Siehe auch die entsprechende Reflexion 2870 (AA XVI: 553) und
insbesondere die Reflexion 2879 (AA XVI: 557): „Wir abstrahiren nicht das merk-
mal der Übereinstimung, sondern von der Verschiedenheit“.
229 Kant, AA IX: 96: „Je mehr Dinge nur durch einen Begriff können vorgestellt wer-
den: desto größer ist die Sphäre desselben. So hat z.B. der Begriff Körper einen
größeren Umfang als der Begriff Metall“.
230 Kant, AA IX: 97.
231 Kant, AA XVII: 369.
96
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Methodenlehre der Logik Jäsche wird das logische Wesen nicht zufällig im
Zusammenhang mit der Wortbestimmung erklärt:
232 Kant, AA IX: 143. Siehe auch die Stelle aus der Logik Blomberg (AA XXIV: 116):
„Wenn ich Wörter ausspreche, und mit denselben einen gewissen Begriff verbinde
so ist das, was ich bey diesem worte, und Ausdruck hier dencke, das Logische
Wesen“.
233 Kant, AA IX: 93.
234 Kant, AA IX: 144.
235 Vgl. Makkreel (1997, S. 26): „Kants Einbildung zeigt sowohl die Erfindungskraft
von Baumgartens facultas fingendi als auch die Abstraktionsfähigkeit, die Wolff
herausgestrichen hatte. Sie reflektiert sowohl Baumgartens Interesse am Konkre-
ten als auch Wolffs Interesse an Form“. Diesbezüglich siehe auch Wunsch 2011,
S. 74f.
97
IV. Begrifflichkeit im Gebrauch
236 Siehe diesbezüglich §17 der Logik Jäsche (AA IX: 101). Siehe dazu auch Capozzi
1987, S. 113f.
237 Kant, AA IX: 109.
238 Siehe dazu das Hauptstück der KrV, Von dem Grunde der Unterscheidung aller
Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena, insbesondere B 310–315,
A 254–259.
239 In Kap. II.2 ist dieser Unterschied in Bezug auf die Sinnlichkeit erläutert worden.
98
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
impliziert, die häufig übersehen wird. Dass auf empirischer Ebene Sinnlichkeit
involviert ist, die durch die Erfahrung empirische Begriffe darlegen kann und
sie in einem pragmatischen Vollzug ständig neu realisiert, sollte nicht zu dem
Schluss verleiten, die gesamte Bedeutungsgebung erfolge allein im empirischen
Gebrauch. Denn Kant hat meines Erachtens richtig gesehen, dass es zwei wei-
tere Ebenen der Bedeutungsgebung gibt, die nicht empirisch, sondern rein sinn-
lich sind. Die diskursive Erkenntnis, die sich nur der Wörter bedient, und die
Mathematik, die ihre Begriffe anhand der anschaulichen Konstruktion bildet,
sind zwei weitere Ebenen dieser Bedeutungsgebung, die ebenfalls Sinnlichkeit
involvieren und ebenso vom Gebrauch abhängig sind. Dieser wird durch die
Synthesis von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit zwischen Bildern und Wörtern
strukturiert.240
Der Bezug der Begriffe zum synthetischen Gebrauch von sinnlichen
Gestalten – der im Schematismus erfolgt – lässt sich anhand der Auffas-
sung der Begrifflichkeit bei Kant verdeutlichen, der sich kritisch mit dem Pro-
jekt einerArs combinatoria auseinandersetzt241 und damit auf die Überwin-
240 Dass die Bezeichnung dabei eine instrumentelle (von der Synthesis getrennte)
Funktion als Hervorbringung von Stellvertretern der Begriffe spielt, die die einzel-
nen Sinne involviert, jedoch nicht zur Bildung der Abstraktheit der Begriffe bei-
trägt, wird in Kap. VII behandelt.
241 Siehe Tonelli 1964. Diese Wendung lässt sich nach Marco Sgarbi (2010, S. 206f.)
durch die Deutung der Kategorien- und Schemalehre Kants anhand der Auslegung
von Rabe und der aristotelischen Tradition erklären. Mirella Capozzi hat die ver-
schiedenen Positionen Kants in diesem Zusammenhang untersucht und betont,
dass Kant in der Reflexion 4937 des Jahrs 1776 einem philosophischen Algorithmus
zwar nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber steht, seine Funktion jedoch nur in
der Läuterung und nicht in der Erweiterung der Erkenntnisse sieht, weshalb es in
einigen Bemerkungen der späteren Jahre so aussehen könne, als ob Kant dem Pro-
jekt Leibnizʼ einer Ars combinatoria eine gewisse „Superiorität“ zuerkennt, weil er
„denkt, einige grundlegende Urbegriffe, d.h. die Kategorien und die Vernunftidee,
gefunden zu haben und dass eine solche Kunst die Anwendung der möglichen
Zusammensetzungen erleichtern könnte“ (2002, S. 218f., Übersetzung L.G.). Diese
den Begriffen interne Technik dient jedoch in keinem Fall zur Erfindung neuer
Begriffe oder zur Erweiterung der Erkenntnis im Allgemeinen, sondern ist ein
Mittel zur Verdeutlichung bestimmter Zusammenhänge zwischen den Begriffen
und betrifft die bloß logische Methode. Darin liegt zugleich eine propositionale
Spezifikation jener Grammatik des Denkens, die Kant in Analogie zur Sprache so
beschreibt: „Da die Form der Sprache und die Form des Denkens einander parallel
und ähnlich ist, weil wir doch in Worten denken, und unsere Gedanken andern
durch die Sprache mittheilen, so giebt es auch eine Grammatic des Denkens“ (Kant,
AA XXIX, 1: 31). Die Parallelität von Sprache und Denken wird zum Problem, weil
beide eine eigene Form und eine je eigene Grammatik haben. In den Prolegomena
wird die Grammatik des Denkens auf die Vollständigkeit der Kategorientafel bezo-
gen, was hier nicht näher behandelt werden kann. Siehe dazu Kant, AA IV: 323.
Jürgen Villers (1997, 323f.) nimmt auf die Vorlesungen über die Metaphysik Bezug
und kritisiert Kant: „Man sieht hier wieder, wie Kant – dem auf der Schule seine
99
IV. Begrifflichkeit im Gebrauch
Muttersprache mit und an der lateinischen Sprache gelehrt wurde – sich de facto
vollkommen unreflektiert am Model der lateinischen Schulgrammatik orientiert
und dieses verabsolutierend tatsächlich zu glauben scheint, dass sich alles Denken
(wie auch alles Sprechen) auf die grammatischen Kategorien der Ars Latina redu-
zieren ließe. Das reine Denken aber als Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand
in der reinen Anschauung der Zeit geht dem sinnlichen Bezeichnungsvermögen
stets voraus und soll so von jedweder Verunreinigung durch die besondere Eigenart
der natürlichen Sprache bewahrt werden“.
242 Frank Obergfell (1985, S. 52) hat die Überwindung des Konzeptualismus von Locke
und des Nominalismus von Berkeley durch Kant behandelt. Vgl. dazu auch Klaus
Düsing (1995, S. 61), der den Ansatz Kants mit dem von Locke, Berkeley, Hume,
Aristoteles, Husserl vergleicht und bemerkt: „Kants Lehre vom Schematismus ist
also von grundlegender Bedeutung; sie vertritt keine der Varianten des Begriffs-
Nominalismus, ohne doch eine der traditionellen realistischen Positionen der
Metaphysik adaptieren zu müssen. Kants Fundierung seiner Theorie vom Erkennt-
niswert der Begriffe, der Anschauungen und der beide vermittelnden Schemata ist
vielmehr transzendental-idealistisch. Diese Fundierung wird deutlich an seiner
Lehre vom transzendentalen Schema“.
243 Kant, AA XVI: 539.
244 Darauf verweist bereits Cassirer, wenn er bemerkt (ECW, 3, S. 600): „Die Ein-
schränkung der Kategorien auf die Sinnlichkeit bedeutet gegenüber der rationali-
stischen Metaphysik eine völlig neue und paradoxe Forderung, und diese Forde-
rung galt es durchzuführen, ohne dadurch das logische Recht des reinen Begriffs
nach der Art des Sensualismus verkümmern zu lassen“.
V. D ie S chemata
Laut Kant gibt es drei Arten von Begriffen, die schematisiert werden können:
empirische, rein sinnliche und reine. Die Schematisierung der reinen Verstan-
desbegriffe folgt der internen Architektonik der Kritik der reinen Vernunft und
kann als notwendiger Schritt für die Bestimmung der Grundsätze der Erfah-
rung gelten. Die Schemata der rein sinnlichen und empirischen Begriffe werden
von Kant dagegen nur angedeutet. Obwohl sie nicht die gleiche Systemstellung
der Kategorien haben, werde ich zeigen, dass sie grundlegend für Erkenntnis- und
Sprachprozesse sind. Diese Schemata sind in unterschiedlicher Hinsicht bedeu-
tende Bestandteile des kritischen Denkens: Die Schematisierung sinnlicher
Gegenstände in der Mathematik unterscheidet sich wegen ihres Konstruktions-
verfahrens deutlich vom diskursiven, philosophischen Denken. Und die Schema-
tisierung empirischer Gegenstände, die auf den ersten Blick vollkommen unpro-
blematisch erscheinen kann, verweist bei genauerem Hinsehen auf das Problem
des Gebrauchs und der Bildung von Erfahrungsbegriffen und deren sprach-
lichen Ausdrücken.
Die Unterscheidung zwischen drei Arten von Schemata und Schema-
tisierungen ist nicht zu vernachlässigen, weil sie – wie aus den logischen Schrif-
ten hervorgeht – sich im Gebrauch der Begriffe widerspiegelt. Der Gebrauch
strukturiert damit für Kant auf unterschiedlichen Ebenen die Bedeutung der
Begriffe. Sowohl in Bezug auf den Schematismus als Prozess der Urteilskraft als
auch auf die Funktion der Beispiele im Denken konnte die zentrale Stellung des
Gebrauchs für die Anwendung und das Erkennen von Begriffen aufgewiesen
werden, wie sie wiederum mit Kants Auffassung der Begrifflichkeit zusammen
hängt, die auf die Überwindung konzeptualistischer und nominalistischer Posi-
tionen zielt. Wie bereits erklärt, werden in den logischen Schriften Kants drei
Arten von Begriffen bestimmt: der Materie nach werden sie in gegebene (dati)
und gemachte (factitii) unterschieden; beide können zudem entweder a priori
oder a posteriori sein. A priori gegebene Begriffe sind Notiones, a posteriori
101
V. Die Schemata
sehen ist, der sich zwischen Gegebenheit und Gebrauch von sinnlichen Formen
entfaltet.
Kants Unterscheidung der drei Ebenen von Schematisierung ist insofern
von herausragendem systematischem Interesse, als mit ihr zugleich drei Ebenen
einer transzendentalen Sprach- und Erkenntnistheorie angezeigt sind. Dabei ist
jedoch die vorrangige Schwierigkeit zu beachten, die eine solche isolierende
Beschreibung mit sich bringt: Sie liegt in der statischen Analyse eines grund-
sätzlich synthetischen Prozesses, der überhaupt erst Bedeutung erzeugt, die sich
in der Folge in konkreten Formen stabilisiert. Damit ist eine Spannung zwi-
schen dem Prozess und seinen Resultaten angezeigt, die alle Ebenen der Schema-
tisierung betrifft. Kant etwa bedient sich der Beispiele des Dreieckes und des
Hundes, erklärt die Schematisierung als eine Methode und deutet gleichzeitig
bestimmte Produkte an – wie das Monogramm oder das Bild. Im Folgenden soll
daher versucht werden, diese Aspekte der Schematisierung zu systematisieren,
nicht um die interne Spannung zwischen dem Prozess und seinen Resultaten
aufzulösen, sondern um seine Gründe zu erklären und zu diskutieren.
„Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild
desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich
jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine
Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen all-
gemeinen Begriffe“.252
Das Problem liegt darin zu verstehen, wie die Subsumption und Anwendung
eines empirischen Begriffes – wie etwa eines Hundes – verfährt, ohne ständig
auf die einzelnen Anschauungen angewiesen zu sein. Die Lösung Kants liegt
darin, den Schematismus als eine Methode zu beschreiben, welche zur Bildung
der Gestalt führt. Somit steht der Begriff von einem Hund für eine Regel, „nach
welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein
verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die
Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto dar-
stellen kann, eingeschränkt zu sein“.253
Wir sind in der Lage, über einen Hund zu sprechen, ihn zu malen oder
zu zeichnen, ohne dabei immer einen besonderen Hund vor Augen haben zu
müssen. Und trotzdem verfährt die Verbindung zum partikulären Bild durch
ein Schema – was Kant als Gestalt beschreibt. Das Bild kann also als Resultat
der Anwendung der Begriffe in concreto angesehen werden.254 Einerseits erklärt
general markers sufficient to distinguish that rule from others, is applied in the face
of sensible Materie. That is, he clearly insists we do need a Schematism for empiri-
cal concepts. As we shall see, such an issue is different from that relevant to tran-
scendental schemata, but important nonetheless“.
255 Eco 2000, S. 103f.
256 Siehe dazu unten Kap. V.2.
257 Bennett 1966, S. 141f.: „Admittedly, an image or mental picture need not be entire-
ly specific: imagined things, like fictional things and unlike real ones, can disobey
the law of excluded middle. But there are limits of this sort of indeterminacy. […]
Kant avoids this impasse by associating each concept with a rule“. Siehe zum refe-
rentiellen Charakter der Anwendungsregeln der Begriffe auf ihre spezifischen Fäl-
le auch S. 145.
105
V. Die Schemata
258 Vgl. Pippin 1982, S. 148: „In fact this Gestalt, clearly itself not a rule, seems to
approach the original meaning of σχήμα. For an image to be thought under a con-
cept, Kant now argues, the concept itself must be thought or represented as a unity,
a totality of components. I must be able to imagine ‘dog-in-general’ for the rule that
is the concept dog to determine all possible dog images. We should note too that this
Gestalt does not seem to be what Bennett has called a ‘private mental image’. It is a
universal Gestalt, the ground for the production of any particular image, whether
privately conceived or empirically apprehended, and again seems more and more
like an abstract object“.
259 Diesbezüglich wird oft der Vergleich zwischen dem Schema und dem Bild-Begriff
bei Wittgenstein herangezogen. Dazu Eco 2000, S. 100: „Allenfalls könnte man
sagen, dass Kants Schema weniger dem gleicht, was man üblicherweise unter einem
‚geistigen Bild‘ (das die Vorstellung einer Fotografie evoziert) versteht, als Wittgen-
steins ‚Bild‘, einem Satz, der die gleiche Form hat wie die Tatsache, die er darstellt,
in dem Sinn, wie man bei einer algebraischen Formel oder einem technisch-wissen-
schaftlichen ‚Modell‘ von ‚ikonischer‘ Beziehung spricht“.
260 Simon 2003, S. 256.
261 Kant, AA IX: 58.
262 Kant, AA IX: 59 .
263 Kant, AA IX: 61.
106
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Philosoph macht nur gegebene Begriffe deutlich“,264 und der Behauptung aus
der Logik Philippi, nach der „Gegenstände der Natur niemals vollkommen deut-
lich sind, weil wir die Reihe der coordinirten Merkmale niemals zu Ende brin-
gen“,265 scheint deutlich zu werden, dass der Schematismus für den Gebrauch
der Begriffe zuständig ist – und zwar sogar für den Gebrauch des abstraktesten
Begriffs von ‚Etwas‘.266
Im Gebrauch eines empirischen Begriffes erfolgt eine Auswahl von Merk-
malen, deren Menge potentiell unendlich ist und die dennoch im Subsumpti-
ons- und Anwendungsprozess in einer wirklichen – und in der Tat partiellen –
Gestalt zur Darstellung gelangt. Und gerade diese Teilansicht ist im Terminus
Gestalt angezeigt, und zwar als ein Ganzes, das als einheitlich wahrgenommen
wird. Wie Pippin zu Recht beobachtet: „We already know that the list of Merk-
male that define an empirical concept is indefinite, never completable. If that is
so, then what does the ‚imagination‘ look to in thinking some set of markers
together as a ‚universal‘ whole, a schematic totality?“.267
Der Schematismus der empirischen Begriffe lässt sich nicht auf eine
Abstraktion der Merkmale reduzieren; im Gegenteil führt er uns zum grund-
legenden Problem der Bildung von Begriffen, womit der Prozess des Gebrauchs
der Begriffe in den Vordergrund rückt.268 Die Vollkommenheit der empirischen
Begriffe ist in diesem Sinne in actu und das dank der Einbildungskraft als dem
Vermögen der Vermittlung und Vereinheitlichung verschiedener Merkmale in
einer Vorstellung. Hier ist absichtlich die Rede von Vorstellung und nicht von
Darstellung, um den aktuellen Charakter der Auswahl von Merkmalen im
Gebrauch der empirischen Begriffe hervorzuheben. Dies wird auch von Josef
Simon gesehen: „Insofern ist jeder empirische Begriff ‚mein‘ (vorläufiger)
Begriff. Jedes Bild von ihm ist eine mir hier und jetzt mögliche Vorstellung
seines Inhalts, und nur in dem Maße, in dem ich die Kunst oder das Verfahren,
ihm sein Bild zu verschaffen, ‚blind‘ beherrsche, wird er mir deutlich“.269 Der
subjektive Charakter der empirischen Schematisierung betrifft die Bestimmung
der empirischen Einheit der Apperzeption, die nur subjektive Gültigkeit hat,
und so ist „die Einheit des Bewusstseins, in dem, was empirisch ist, […] in Anse-
hung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend“.270
Eine Interpretation, welche die Abstraktion und die Anwendung der
Begriffe als zwei Richtungen desselben Schematismus ansieht – einerseits als
Subsumierung bestimmter Merkmale und andererseits als pragmatische Schlie-
ßung einer Reihe von Merkmalen271 –, erfasst sicherlich die Bestimmung der
Gestaltung als einen aus dem Verhältnis zwischen Ganzem und Teilen resultie-
renden Prozess, also als eine endliche Auswahl von Merkmalen. Aber sie geht
das Risiko ein, den Gebrauch selbst zu umgehen und den gestaltlichen Charak-
ter der Schematisierung auf die Subsumption und Erkenntnis einzelner Merk-
male zu reduzieren. Die Gestalt als Totalität lässt sich hingegen nicht als die
Summe einzelner Merkmale verstehen und der Schematismus mithin auch
nicht als bloßer Subsumptions- und Anwendungsprozess, wie Heidegger anhand
des Beispiels eines Hauses erklärt: „Diese Vorzeichnung der Regel ist kein Ver-
zeichnis im Sinne der bloßen Aufzählung der ‚Merkmale‘, die an einem Haus
vorfindlich sind, sondern ein ‚Auszeichnen‘ des Ganzen dessen, was mit der-
gleichen wie ‚Haus‘ gemeint ist“.272 Wenn eine Anschauung einen bestimmten
Begriff als Merkmal hat, kann die Schematisierung erfolgen, und die Anschau-
ung wird zu einem Beispiel dieses Begriffes. Kant führt den Begriff des Bei-
spiels in §59 der Kritik der Urteilskraft ein, um zwei Arten von Anschauungen
zu unterscheiden: „Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer
Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren
Beispiele. Sind jene reine Verstandesbegriffe, so werden die letzteren Schemata
genannt“.273
269 Simon 2003, S. 249 und S. 354: „Der ‚Begriff‘ ist willkürlich, weil er sich meiner
Synthesis in dem Modus verdankt, in dem ‚ich‘ mit meiner Urteilsbildung zu Ende
komme. Damit ist er für mich gerade nicht willkürlich“. Geoffrey Warnock (1967,
S. 80) diskutiert die Unterscheidung zwischen der Anwendung, dem Gebrauch und
dem Besitzen eines Begriffes.
270 Kant, KrV, B 140.
271 Siehe Forgione 2006, S. 87: „[…] Schematismo e astrazione in Kant sono la stessa e
medesima operazione, considerata solo sotto due aspetti distinti e invertiti: l’astra-
zione, così come lo schematismo sussuntivo, non diversamente dai dettami dell’em-
pirismo, concerne la possibilità di registrare, di marcare una particolare nota, men-
tre lo schematismo applicativo riguarda l’applicazione dell’insieme di note o di
attributi che formano un concetto, in sede di giudizio“.
272 Heidegger, GA, 3, S. 95.
273 Kant, KU, B 254, A 251.
108
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Wie jetzt deutlich geworden ist, lässt sich die Gestalt also nicht auf Bilder
reduzieren, sondern stellt eine Auswahl von Merkmalen dar, die – sei es durch
Sprache, sei durch Bilder – als Totalität zur Darstellung gelangt.274 Wie bereits
mehrfach angemerkt wurde, eröffnet die Kritik der Urteilskraft diesbezüglich
einen weiteren Horizont, der im nächsten Kapitel mit Blick auf den Unterschied
zwischen schematischer und symbolischer Darstellung genauer zu untersuchen
sein wird. Hier ist es wichtig festzuhalten, dass der exemplarische Charakter
der Schemata empirischer Begriffe eine kreative Funktion in der Bildung der
Begriffe ausübt, die in der Kritik der reinen Vernunft nicht im Vordergrund
steht, weshalb aus dem Schematismus-Kapitel die Bildung der Begriffe jener Art
offen bleibt, deren Gebrauch nicht nur als ein Subsumptions- und Anwendungs-
prozess, sondern als Darstellung angesehen werden kann. Als „musterhaft“ gilt
in §57 der Anthropologie ein Werk des Genies, „d.i. wenn es verdient als Bei-
spiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“.275
Die unendliche Reihe der Merkmale ist für Eco gerade der Grund, warum
Kant am Anfang der Kritik der reinen Vernunft behauptet, dass „in der trans-
zendentalen Philosophie keine Begriffe auftauchen dürfen, die etwas Empiri-
sches enthalten: Gegenstand der Synthesis a priori kann nicht die Natur der
Dinge sein, die in sich ‚unerschöpflich‘ ist“.276 In der Erfahrung sind immer neue
Spezifizierungen eines empirischen Begriffs zu finden. Dieser Aspekt enthält
das Problem der Gestaltung von Bedeutung im diskursiven Gebrauch: Die
empirischen Begriffe sind nun an die Erfahrung der Sprechenden und Hören-
den gebunden und lassen sich nicht vom Kontext der einzelnen Bedeutungs-
gebungen abstrahieren. Daher könnte man fragen, ob die Schemata empirischer
Begriffe nicht einfach auf den Gebrauch empirischer Begriffe zu reduzieren
sind. Diese Frage wird oft bejaht, und zwar dann, wenn eine andere Frage ver-
nachlässigt wird, nämlich die nach der Bildung der empirischen Begriffe selbst.
274 Vgl. Fortuna 2005, S. 94: „[…] lo schema empirico di gatto o di cane è un’immagine
in concreto (visiva, uditiva o motoria che sia) che rappresenta tutta la categoria
attraverso un esempio“. Diesbezüglich hat Werner Flach (2001, S. 469) betont,
inwiefern die Schemata empirischer Begriffe Beispiele „für gegenständliche
Bestimmtheit [sind], der, und das ist hierbei ganz besonders mitzudenken, bestim-
mungslogisch die Unbestimmtheit korreliert“. In diesem Zusammenhang nähert
sich dieser Gestalt-Begriff sicherlich einer Untersuchung der Gestaltungstheorie,
die jedoch hier nicht berücksichtigt werden kann.
275 Kant, AA VII: 224: „Nun heißt das Talent zum Erfinden das Genie. Man legt aber
diesen Namen immer nur einem Künstler bei, also dem, der etwas zu machen ver-
steht, nicht dem, der blos vieles kennt und weiß; aber auch nicht einem blos nach-
ahmenden, sondern einem seine Werke ursprünglich hervorzubringen aufgelegten
Künstler; endlich auch diesem nur, wenn sein Product musterhaft ist, d.i. wenn es
verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“. Dazu siehe auch Wagner
2008, S. 140.
276 Eco 2000, S. 88.
109
V. Die Schemata
So kann vor allem in der Folge Wittgensteins der Eindruck entstehen, der
Gebrauch erfordere kein (inhaltliches) Schema.277 Im Gegenteil ist das Schema
deshalb nicht überflüssig, weil auch im Fall der empirischen Begriffe durch die
Bildung im Gebrauch nicht erklärt werden kann, inwieweit sie sowohl durch
Bilder als auch durch Wörter zur Gestaltung gelangen und diese Gestalten als
Zeichen oder als Symbole verwendet werden können.278
Eco behandelt ähnliche Probleme anhand des Beispiels eines Schnabel-
tiers und verwendet es als Prüfstein des Schematismus: „Dass Kants Schema-
tismus – in dem Sinn, dass er diese Vorstellung zwingend nahelegt – einen Kon-
struktivismus impliziert, ist, insbesondere im Blick auf die Wiederaufnahme
Kants in den modernen Kognitionswissenschaften, keine neue Erkenntnis.
Doch in welchem Maße das Schema ein Konstrukt sein kann und muss, das
müsste sich weniger daran zeigen, dass man bereits konstruierte Schemata (wie
das des Hundes) anwendet; das eigentliche Problem ist die Frage, was geschieht,
wenn man das Schema eines noch unbekannten Gegenstandes konstruieren
muss“.279 Das Schnabeltier ist gerade ein Schema von einem noch unbekannten
Gegenstand, der später dennoch entdeckt wird. Das Beispiel stellt insofern zwei
Probleme dar: zuerst die Bildung der empirischen Begriffe, die als ‚gegeben‘
wahrgenommen werden, und zweitens die Bildung neuer Begriffe, die später als
‚gegeben‘ wahrgenommen werden. Das Problem des Schnabeltiers zieht Eco als
Prüfstein der Kritik der Urteilskraft heran, und zwar genauer der Unterschei-
dung zwischen bestimmenden und reflexiven Urteilen.280 Gerade durch die
reflexive Urteilskraft kommen Ausdrücke für Gegenstände zustande, die als
‚neu‘ zu kennzeichnen sind. Das Unbekannte findet seine erste Bestimmung als
Etwas und anschließend eine spezifischere Benennung über das Erlernen einer
konventionellen Benennung oder durch Erfindung neuer Ausdrücke. Die Erfin-
dung geschieht dabei auf einer reflexiven Ebene, die das symbolische Denken
impliziert und für Kant dann zur Bestimmung wird, wenn eine direkte Ent-
sprechung in den Anschauungen vorliegt, oder besser gesagt: wenn die Anschau-
ungen erkennbare Beispiele für die erfundenen Ausdrücke darstellen.
Die Schematisierung empirischer Begriffe erhält objektive Realität in der
Erfahrung und ihre Anwendung erfolgt in synthetischen Urteilen a posteriori,
277 Zum Beispiel Wittgenstein, PU, 73. Darauf werde ich im abschließenden dritten
Teil zurückkommen.
278 Vgl. dazu insbesondere Dascal und Senderowitcz 1992, S. 141f.: „An empirical con-
cept is nothing but a word with a determinate reference. Nevertheless, we must
remember that we have no access to the thing referred to by the word not to its
inner structure. All we know is what we can learn from experience. At this point
the importance of nominal definitions becomes apparent“.
279 Eco 2000, S. 108.
280 Vgl. Eco 2000, S. 109.
110
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Begriffe kann daher wie folgt erläutert werden: Als gegeben versteht man diese
Begriffe in der Erlernung des (sprachlichen) Gebrauchs, als gemacht hingegen
sind sie mit Blick auf den Prozess ihrer Entstehung zu beschreiben. So erklärt
sich auch Ecos Schnabeltierproblem, in dem die Bezeichnung selbst eine Gestal-
tungsfunktion annimmt. Auf diese Weise erscheint der gegebene Charakter der
empirischen Begriffe in einem anderen Licht. Denn ihre Gegebenheit ist nicht
etwa ursprüngliche Voraussetzung der Schematisierung, sondern ihr Resultat,
insofern in ihr Begriffe so angewendet werden, als ob sie gegeben wären. Inso-
fern ist es korrekt zu sagen, die Begriffe realisierten sich immer nur im
Gebrauch, was für Kant im Urteilen geschieht. An diesem Punkt setzt auch die
Kritik Maimons bezüglich des fiktionalen Charakters aller Begriffe an: Die
Erfahrung – oder besser gesagt: das vorausgesetzte Faktum der Erfahrung – ist
für ihn nicht ausreichend für die Erklärung der Begriffe empirischer Art. An
seine Stelle tritt ein rationaler Prozess, der ähnlich wie im Schematismus im
Allgemeinen das Problem der Bildung und des Gebrauchs von Begriffen erklärt,
die an sich immer eine Auswahl in actu sind. Auf die Kritik Maimons an Kant
wird später noch ausführlich eingegangen;292 hier ist lediglich anzudeuten,
inwiefern sie auf eine interne Problematik des Schematismus hinweist.
Der schematische Prozess bietet eine Lösung des Problems an, das mit
dem zugleich gegebenen als auch gemachten Wesen der Begriffe angezeigt ist.
Denn er ermöglicht sowohl die Stabilität als auch die Modifikation der Bedeu-
tung der Begriffe, die in unterschiedlichen Anwendungs- und Ausdrucksfor-
men zur Vor- und Darstellung gelangen können.293 Ohne die Schematisierung
würden die empirischen Begriffe – und nicht nur sie, sondern, wie wir später
sehen werden, alle Begriffe – in ihrer sprachlichen Kristallisation294 gefangen
bleiben, ohne modifizierbar zu sein,295 wodurch der perspektivische Charakter
des Gebrauchs dieser Begriffe verloren ginge.296 Wenn dem so ist: wenn also
dem Schematismus diese konstruktive Prozessualität zukommt, dann kann
man mit Heidegger fragen, „in welchem Sinne hier überhaupt noch von Sub-
sumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.297
Die Schematisierung empirischer Begriffe bringt uns dem Problem der
semantischen Unbestimmtheit näher, das sich darin zeigt, dass die natürliche
Sprache zur konkreten Form des Ausdrucks und der Darstellung abstrakter
Begriffe wird. Denn es ist die Ebene des empirischen Ausdrucks, die den gewöhn-
lichen Gebrauch unserer Begriffe prägt. In diesem Gebrauch findet eine Aus-
wahl von Merkmalen statt,298 die Ähnlichkeiten zum symbolischen Prozess auf-
weist, in dem nach Kant eine indirekte Assoziation von schon intuitiv gegebenen
Merkmalen erfolgt. In Maimons Erweiterungsversuch dann ist es die Einbil-
dungskraft, die eine unendliche Reihe Merkmale schließt und so die unendliche
Annäherung des Begriffs ausmacht, indem sie die endliche Gestalt jedes Mal
transformiert, weshalb schließlich Herder sie explizit mit dem Wort selbst in
Verbindung bringt.
An dieser Stelle ist der Begriff der Motiviertheit einzuführen, die – wie
man sehen wird – Grundeigenschaft aller Schemata ist, sich jedoch jeweils
anders artikuliert, wie Eco beobachtet: „Man kann die Schemata auch in dem
Sinn als äußerst unnatürlich betrachten, als sie in der Natur nicht präexistieren,
doch das ändert nichts daran, dass sie motiviert sind“.299 Diese Motiviertheit der
Schemata realisiert sich im Prozess des Gebrauchs des Begriffs, der als Auswahl
von bestimmten Merkmalen angesehen werden kann, die in den Anschauungen
einen Beleg finden. Dieser Prozess nähert den Schematismus empirischer
Begriffe demjenigen symbolischen Verfahren an, das jedes Mal bestimmte
Merkmale des schon bestehenden (also motivierten, aber nicht vollkommenen)
Begriffs in ein vorläufiges Ganzes schließt. Dieser Aspekt ist daher zu Recht
300 Cassirer, ECW, 3, S. 596: „Der Schematismus ist bestimmt, die innere ‚Ungleichar-
tigkeit‘ zu heben, die zwischen dem reinen Verstandesbegriff und den sinnlichen
Anschauungen, auf die er angewandt werden soll, zu bestehen scheint. […] Es muss
gezeigt werden, wie eine sinnliche Anschauung, die als solche nur einen bestimm-
ten Einzelinhalt zu bezeichnen scheint, die Fähigkeit erlangen kann, zum Aus-
druck einer Gesamtklasse von Inhalten zu werden und zu jeden von ihnen nach
seiner konstitutiven Beschaffenheit wiederzugeben. An diesem Grundproblem
greift die Lehre vom Schematismus ein. Ihr eigentliches Thema ist die Frage nach
der psychologischen Möglichkeit des Allgemeinbegriffs“. Siehe auch Cassirer, ECW,
24, S. 234: „Concepts are psychologically actualized by ‘schemata’, not by images“.
301 Vgl. Eco 2000, S. 144: „Obwohl von ein und demselben Ding verschiedene mögliche
schematische Darstellungen gibt, darf man das Schema von ihm nicht willkürlich
konstruieren“.
302 Haag 2007, S. 289. Haag bezieht diesen Ansatz auf Sellars (1978, S. 233). Der per-
spektivische Charakter der Schemata wird auch von Sarah Gibbons (1994, S. 76f.)
diskutiert. Umberto Eco (2000, S. 105–108) behandelt das Schema empirischer
Begriffe in Bezug auf das 3D-Modell von Marr, das jedoch nur als eine Darstellung
der Bedeutungsproblematik anzusehen ist und das Schema nicht auf die bildhafte
Konstruktion zurückführen kann. Der Modell-Begriff wird hier in Bezug auf die
Auslegung von Friedrich Kaulbach (1973, S. 126f.) in Betracht gezogen, der das
Modell im Zusammenhang des Vermögens der reflektierenden Urteilskraft und in
der Gegenüberstellung zum Schema behandelt. Dazu Grüne 2009, S. 143f. und
S. 193. Obwohl es an dieser Stelle nicht möglich ist, näher auf die von Haag vertre-
tene Auslegung des Bild-Modell-Begriffs einzugehen, möchte ich kurz darauf hin-
weisen, dass eine solche Reduktion des Schemas auf die bildhafte Charakterisie-
rung nicht die ganze Weite des Schemas als Versinnlichung zwischen Bild und Laut
erfasst, obwohl Haag zu Recht darauf hinweist, dass die Rezeptivität durch sinnli-
115
V. Die Schemata
nun in dieser Art von Schematisierung perspektivisch ist, kann am Prozess der
Referenz selbst festgemacht werden, die sich im Gebrauch von Begriffen reali-
siert und nicht nur auf die Konstruktion von Bild-Modellen zu reduzieren ist, da
es – wie gesehen – in der Schematisierung empirischer Begriffe um eine Gestal-
tung geht, die mit der Perspektivität des Gebrauchs in Verbindung steht, von
dem der Begriff nicht getrennt werden kann. Der Gebrauch kann sowohl eine
bildhafte als auch eine rein lautliche Artikulation des Begriffs realisieren. Die
Rede von Bild-Modellen erfasst also nicht die Gestaltungsfunktion dieser empi-
rischen Schematisierung, deren perspektivischer Charakter nicht mit ihrer
bloßen Subjektivität verwechselt werden darf, die vom Gebrauch unabhängig
ist. Die Gegebenheit der Begriffe erweist sich somit als Moment innerhalb des
Prozesses der sprachlichen Schematisierung, was auch Humboldt hervorhebt,
demzufolge „erst im Individuum die Sprache ihre letzte Bestimmtheit erhält“.303
Die so angezeigte Perspektivität ist zugleich Ausdruck der spezifischen Dunkel-
heit der Referenz aus subjektiver Sicht, die Josef Simon auf die schematische
Vermittlung zwischen Bild und Begriff bezieht: „Nach Kant verdanken wir die
‚Bedeutung‘ unserer Begriffe (als ihre ‚Beziehung auf Objekte‘) dem Schema-
tismus als einem ‚Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu
verschaffen‘. Das kann nun aber nicht mehr so verstanden werden, als hätte
man zunächst den Begriff von etwas, von dem man sich außerdem noch ein Bild
verschafften wollte. Ohne Bild, d.h. ohne das, was ich mir darunter vorstellen
kann, wäre der Begriff für mich kein Begriff (von etwas). Wegen dieses Rück-
bezuges auf mich bleibt auch nach Kant die Referenz dunkel. Das sie herstellen-
de Verfahren folgt keiner Regel, die man angeben könnte. […] Diese ‚Dunkel-
heit‘ ist nun aber in ihrer systematischen Notwendigkeit begriffen. Sie gehört
zur Aufklärung, insofern sie als Aufklärung über die Grenzen der ‚reinen‘ Ver-
nunft verstanden ist“.304
Eine Schematismuslehre empirischer Begriffe, die sich nur auf der Ebene
der subjektiven Anwendung der Begriffe auf die Erscheinungen durch die Kon-
struktion von Bildern oder im Allgemeinen durch die Entsprechung von inne-
ren Vorstellungen und Erscheinungen bewegt, begreift nicht den Sinn der Refe-
renz selbst, die sich subjektiv artikuliert, aber trotzdem eine Gestaltung ist, die
sich schematisch, d.h. transzendental zwischen Bildern und Wortlauten entfal-
tet.305 In ihrem fortlaufenden Prozess zwischen Ganzem und Teilen markieren
che Eigenschaften geprägt ist (siehe dazu Haag 2007, S. 429). Mein Eindruck ist,
dass die Bild-Modelle bei Haag trotzdem Gehalte und nicht prozessuale Bedingun-
gen von Vorstellungen bezeichnen (siehe weiter S. 432).
303 Humboldt, GS, VII, S. 64.
304 Simon 2003, S. 246.
305 Inwieweit die Wahrnehmung von Bildern und Wörtern dem physiognomischen
Prozess ähnelt, kann hier nicht weiter behandelt werden. Vgl. dazu insbesondere
116
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungs-
kraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume“.307
Mit den rein sinnlichen Schemata kann in einer ganz anderen Art ope-
riert werden als mit den Schemata empirischer Begriffe, deren Bedeutung stets
von empirischen Sachverhalten abhängt und daher mit dem jeweiligen Gebrauch
variiert. Die rein sinnlichen Schemata dagegen sind Methoden der Konstrukti-
on. Dadurch besitzen sie einen anderen Vollzugscharakter als die empirischen
Schemata. Das bedeutet nicht, dass die sinnlichen Schemata nicht auf Gegen-
stände der Erfahrung angewendet werden könnten – der Fall des Musikinstru-
ments einer Triangel zeigt gerade das Gegenteil. Ihre primäre Funktion aber ist
eine konstruktionale. Während zum Beispiel das Erkennen der geometrischen
Figur eines Dreiecks im Musikinstrument der Triangel eine direkte empirische
Anwendung des sinnlichen Begriffs auf eine Erscheinung darstellt, ist der Drei-
ecks-Begriff selbst nicht auf die empirische Anwendung angewiesen.
Weil das konstruktionale Moment in der Schematisierung sinnlicher
Begriffe so wichtig ist, lässt sich in ihrem Fall mit Robert Butts auch von einer
Prozedur im Unterschied zum Prozess der empirischen Schematisierung spre-
chen.308 Die Prozedur ist im Vergleich zum Prozess ein geregelteres Verfahren,
d.h. ein Verfahren, das bestimmten Regeln der Konstruktion folgt. Es handelt
sich dabei um striktere Regeln – was weder das Problem ihrer Anwendung auf-
löst, noch dem Schematismus seinen prozessualen Charakter nimmt: Die
Schematisierung sinnlicher Begriffe impliziert sowohl ein synthetisches Urteil
a priori als auch eine praktische, figurative Handlung.
Es handelt sich einerseits um ein Urteil, das die Anwendung etwa eines
geometrischen Begriffs regelt, und andererseits um die Konstruktion, die eine
Figur hervorbringt – ohne diese dabei auf ein konkretes Bild zu reduzieren,
denn dieses „würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht,
dass dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf
einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein“.309 Abgesehen von der Bildung von
307 Kant, KrV, B 180, A 141. Dieser Aspekt lässt sich nach Obergfell (1985, S. 96) über
den Begriff der Erfüllung erläutern: „[…] die Mathematik [ist] sozusagen über
einen reinen Schematismus ihrer Begriffe durch die Erfüllungsbedingungen der
reinen Anschauung zu synthetischen Erkenntnissen a priori berechtigt, was empi-
rischen Begriffen nie gelingt, die ihre Erfüllungsbedingungen immer in den nach-
träglichen, zufällig empirischen Bedingungen finden“.
308 Butts (1969, S. 296) bezeichnet procedure als das schematische Verfahren der
Anwendung sinnlicher Begriffe, das eine Figur (und nicht ein spezifisches Bild)
hervorbringt: „Kant appreciated this problem, and so thought of the schema of a
sensible concept as a procedure for producing an image, a procedure that would
allow the imagination to delineate a figure without making a specific image“. Vgl.
auch Svare 2006, S. 182.
309 Kant, KrV B 180, A 141.
118
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Urteilen üben diese Schemata eine figurative Funktion aus, können aber nicht
auf Bilder reduziert werden: „In der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begrif-
fen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde“.310 Kant ver-
steht – wie etwa im Fall des Schemas eines Dreiecks – unter sinnlichen Begrif-
fen die „Figuren im Raume“.311 Trotz seines figurativen Charakters kann der
Begriff eines Dreiecks jedoch nicht auf ein einzelnes Bild reduziert werden. Des-
halb muss das Schema in sich die allgemeine Definition seiner Konstruktion
enthalten, welche den bildhaften Gebrauch des Begriffs ermöglicht. Das Schema
entspricht also nicht dem einzelnen Bild eines Dreiecks, sondern der Methode
seiner Konstruktion. Und das, obwohl man auf einem ersten Blick denken
könnte, dass das Schema des Dreiecks gleichsam sein Bild sei.312 Es handelt sich
somit um eine methodische Ebene, die nach Regeln verfährt und nicht mit der
empirischen Erfahrung vermengt werden sollte.313 Kant erklärt dies folgender-
maßen: „So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Product des empirischen
Vermögens der productiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe
(als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm der
reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst
möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema,
welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht
völlig congruieren“.314
Das Schema sinnlicher Begriffe kann nicht mit dem Bild gleichgesetzt
werden, sondern ist selbst Bedingung der Möglichkeit der Bild-Konstruktion.
Die Erkenntnis der Figuren in der empirischen Wirklichkeit wird dann durch
die Schemata empirischer Begriffe gewährleistet, deren Merkmale in der Erfah-
rung zu erkennen sind. An dieser Stelle wäre das erste Beispiel des Schematis-
Zeichen verstanden wird). Während die erste Auslegung auf eine Diagramma-
tik abzielt, bezieht sich die zweite auf die propositionale Bedeutung des sinn-
lichen Schemas – d.h. auf die propositionalen Definitionen der Geometrie, die
der Konstruktion einer Figur zugrunde liegen und nach Kant nur von der
Mathematik geleistet werden können. Die dritte Deutung dagegen distanziert
sich von der geometrischen Funktion des sinnlichen Schemas und damit auch
stärker vom Text des Schematismus-Kapitels, in dem allein der Terminus
‚Monogramm‘ auf einen semiotischen Prozess hindeutet. Alle drei Interpreta-
tionen erfassen wichtige Aspekte dieser Problematik, ohne jedoch eine umfas-
sende systematische Erklärung der sinnlichen Schematisierung zu leisten.
2 .1 O p er at ive Bi ld l ic h ke it
319 Krämer 2012, S. 84: „In der Philosophie hat Kant auf die unhintergehbare Zeitlich-
keit und Prozessualität der Linie als Linienzug aufmerksam gemacht: Sich eine
Vorstellung von der Linie machen heißt, sie – in Gedanken – zu ziehen. Im Linien-
zug wird die Zeit ‚äußerlich‘ und ‚figürlich‘ mithin der Anschauung zugänglich.
Daher empfiehlt er die Lineatur des Schematismus als ein Verfahren, den erfah-
rungsunabhängigen Allgemeinbegriffen gleichwohl eine Anschauungsbasis zu
eröffnen. Die Linie und mit ihr das Schema bilden für Kant ein Mittleres und Drit-
tes, situiert zwischen Denken und Anschauung und daher auch prädestiniert, die
Kluft von Denken und Wahrnehmung, von Empirie und Idealität zu überbrücken“.
121
V. Die Schemata
ration, die eine Regel, eine Methode des Konstruierens impliziert. Diese
Schematisierung realisiert sich als vollkommene Entsprechung von Anschau-
ung und Begriff nur in der Mathematik, deren Konstruktion nicht perspekti-
visch ist. Die Konstruktion ist in dieser Hinsicht die eigentliche Vermittlung
zwischen Figur und Begriff, und das schematische Dritte entspricht beiden. Bei
genauerem Hinsehen ist diese Konstruktion ein spezifischer Gebrauch der
Figur, etwa der geometrischen Linien und Figuren, die jedoch auch in unter-
schiedlicher Weise angewendet werden können. Die Konstruktion kann zum
Beispiel auch in der Veranschaulichung diskursiver Relationen verwendet wer-
den, ohne aber zur Konstruktion eines anschaulichen Gegenstandes zu gelan-
gen. Die mathematische Konstruktion stellt somit eine regulative Methode dar,
die für andere figurative Konstruktionen als Prüfstein dienen kann. Diese
Unterscheidung zwischen mathematischen und etwa diskursiven, konstruktio-
nalen Anwendungen dient meines Erachtens dazu, eine interne Spannung der
Diagrammatik aus kritischer Sicht zu erklären.
Die operative Funktion des Monogramms der sinnlichen Schematisie-
rung wird insbesondere von Krämer gerade mit dem Diagrammatischen in Ver-
bindung gebracht, also mit einer hybriden Form von Bild und Text, in der
Anschauung und Begriff zur Synthesis kommen. Krämer erklärt die Ähnlich-
keit zwischen dem Monogramm und dem Diagrammatischen daher wie folgt:
„Im ‚Monogramm‘ erweisen sich Sinnlichkeit und Intellektualität als komple-
mentär. Und in eben dieser Vermittlungs- und ‚Scharnierfunktion‘ zwischen
Anschauung und Begriff, die gleichwohl erst beide Seiten als aufeinander bezieh-
bare hervorbringt, vermuten wir auch die erkenntnistechnische Leistung des
Diagrammatischen“.320
Die diagrammatische Gestaltung dient in diesem Fall zur Veräußerli-
chung der Begrifflichkeit, die sich innerhalb der Fläche entwickelt und zur Hilfe
des Denkens angewendet wird. Ihr Spannungsbogen bewegt sich zwischen
Figurativem und Diskursivem. Die Fläche dient als Tilgung der bildlichen Fülle
zur reinen Konstruktion von Relationen. Sie dient zur Darstellung nicht von
Gegenständen, sondern von diskursiven Sachverhalten. Die Fläche befindet sich
somit auf der Grenze zwischen Verräumlichung und Verinnerlichung des Dis-
kursiven. Sie dient zur Visualisierung des Denkens und somit zur Darstellung
diskursiver Relationen. Durch diese Visualisierung erfolgt einerseits eine räum
liche Fixierung, andererseits können durch die Linearität komplexe diskursive
Relationen gelesen, erfasst und revidiert werden. In der diagrammatischen Ord-
nung wird der Gedanke räumlich gestaltet, ohne dadurch dem Denken die Lesbar
keit zu entziehen. Die Fläche wird so zur „experimentellen Tafel des Denkens“.321
Sie ist einerseits bildlich, andererseits diskursiv, und deswegen wird sie als eine
Hybridform beschrieben.
Auf die transzendentale Bedeutung des Diagramms wird am Ende dieser
Untersuchung noch zurückzukommen sein. Denn jenseits der kantischen Lehre
zeigt sich die konstruierte Gestalt als hybride Funktion zwischen den Grenz-
polen des Bildes und des Diskursiven, was wiederum den Brückenschlag zu
heutigen Bestimmungen des Diagramms ermöglicht.322 Doch bereits Kants
Konzeption des sinnlichen Schemas ist bemerkenswert, und das in zweierlei
Hinsicht. Als erstes ist die diskursive Bedeutung des sinnlichen Schemas als
konstruierte Gestalt zu nennen. Kant bezieht sich auf das rein sinnliche Schema
als Monogramm. In diesem Fall handelt es sich um eine konstruierte Figur,
deren Anschauung dem Begriff vollkommen entspricht, weil es für ihre Kon-
struktion eine Regel gibt, die, wenn sie richtig angewandt wird, nicht nur zur
Erkenntnis des geometrischen Gegenstandes führt, sondern auch zur apodikti-
schen Notwendigkeit, dass es sich dabei um die vollkommene Entsprechung
zwischen Figur und Begriff handelt. Und dennoch hat diese Konstruktion ein
diskursives Moment, das die Regel gibt und die Figur erst lesbar macht. So kann
die geometrische Konstruktion nicht vom mathematischen Verfahren im wei-
testen Sinne absehen, welches das Schema des Dreiecks gibt, d.h. eine syntheti-
sche Regel konstruiert.323 Als zweites ist der Umstand zu nennen, dass diese
Regel die Form eines Urteils hat. Deshalb bezieht sich etwa Schelling auf diesen
sinnlichen Schematismus, um zu behaupten, er hätte auf der Sprache zu beru-
hen. Schelling hat die erkenntnistheoretische Problematik insofern richtig
erfasst, als er betont, das Schema sei die notwendige Bedingung der Bildung
derjenigen Urteile, bei denen eine bestimmte Figur als Dreieck (mit allen seinen
Merkmalen) erkannt wird, ohne diese Erkenntnis aber auf den Besitz weder des
Begriffes noch des Bildes zu reduzieren.324 Sie gilt für die geometrischen Figu-
ren, zeigt aber vor allem die Unmöglichkeit an, diskursive Begriffe durch Kon-
322 Diese Aspekte werden in Kap. II.1 des dritten Teils in Betracht gezogen.
323 Siehe dazu Kant, KrV, B 747f., A 719f.
324 Schelling schreibt im System des transzendentalen Idealismus (SW, 3, S. 509):
„Das Schema zeigt sich im gemeinsten Verstandesgebrauch als das allgemeine Mit-
telglied der Anerkennung jedes Gegenstandes als eines bestimmten. Daß ich, so wie
ich einen Triangel erblicke, er sey nun von welcher Art er wolle, in demselben
Augenblick des Urtheil fälle, diese Figur sey ein Triangel, setzt eine Anschauung
von einem Triangel überhaupt, der weder stumpf noch spitz- noch recht-winklicht
ist voraus, und wäre vermöge eines bloßen Begriffs vom Triangel so wenig, als
vermöge eines bloßen Bilds von demselben möglich, denn da das letztere nothwen-
dig ein bestimmtes ist, so wäre die Congruenz des wirklichen mit dem blos einge-
bildeten Triangel, wenn sie auch wäre, eine blos zufällige, welches zur Formation
eines Urtheils nicht zulänglich ist“. Und gerade auf Grund dieser notwendigen Ver-
bindung mit dem Urteilen sollte nach Schelling „der ganze Mechanismus der Spra-
che auf demselben beruhen“.
123
V. Die Schemata
struktion zu beweisen. Das Schema ist mithin auf dieser Ebene sprachlich. Für
Kant liegen den reinen sinnlichen Begriffen in der Tat „nicht Bilder der Gegen-
stände, sondern Schemata zum Grunde“.325 Diese Schemata sind hochgradig
ambivalent, weil sie Urteile und Bilder umfassen, ohne auf sie reduziert werden
zu können.
Wenn also einerseits die sinnlichen Begriffe nicht einfach Bilder sein
können, muss andererseits erklärt werden, worin eigentlich ihre figurative
Dimension liegt und was sie vom rein diskursiven Denken unterscheidet. Die
Konstruktion stellt eine spezifische Operation dar, die sich bei Kant sowohl an
der Ausformulierung mathematischer Regeln (5.2.2) als auch an der Schrift
(5.2.3) ablesen lässt. Das sinnliche Schema kann in diesem letzten Sinn als gra-
fisches Zeichen interpretiert werden.
328 Kant, KrV, B 742, A 714: „Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Beson-
dere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar
im Einzelnen, gleichwohl doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie
dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Konstruktion
bestimmt ist, eben so der Gegenstand des Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein
Schema korrespondiert, allgemein bestimmt gedacht werden muß“.
329 Diese Auffassung ist Mirella Capozzi zu verdanken (2012, S. 329f.): „The mention
of the term ‘schema’ confirms that also mathematical concepts, that Kant calls ‘pure
sensible concepts’, need schemata in order to find a connection to something in
intuition. […] This model is called by Kant the ‘pure’ and ‘schematic’ construction
of the concept, which allows the mathematician to demonstrate, e.g. the properties
of the circle in general in any empirical construction of it“. Siehe auch Capozzi
1981, S. 445: „In the Critique the concept of geometrical space is said to require no
philosophical legitimation. Geometry’s peculiarity consists in its being a quantita-
tive science whose objects are considered ‘together with their quality’. The sche-
mata of geometrical figures are in fact monograms, i.e. ‘figurative’ schemata“.
330 Vgl. dazu Young 1992, S. 171: „The construction of arithmetical concept is said to
involve the exercise of imagination, not because Kant thinks that such knowledge
somehow rests upon mental imaging, but because he thinks that it depends upon
our ability to use such general procedures to construe sensible things as constitut-
ing collections of definite number. To construe them in this way is to construe them
as something more than what they present themselves as being, since it is to con-
strue them as conforming to certain general rules or procedures. Arithmetical
knowledge thus rests upon the exercise of imagination in just the sense that I have
suggested that Kant gives to this term in general“.
331 Siehe dazu Ferrarin 1995, S. 137: „We need to take seriously Kant’s notion that
mathematical construction is the understanding’s determination of sense: the intu-
125
V. Die Schemata
von den mathematischen Begriffen: „Also bleiben keine andere Begriffe übrig,
die zum Definieren taugen, als solche, die eine willkürliche Synthesis enthalten,
welche a priori konstruiert werden kann, mithin hat nur die Mathematik Defi-
nitionen“.336 Die Begriffe der Philosophie dagegen können weder mit Axiomen
noch mit Demonstrationen gleichgesetzt werden.
Im Zuge der Abgrenzung zwischen philosophischen und mathemati-
schen Begriffen erwähnt Kant bei ersteren keine rein sinnlichen Begriffe und
scheint somit eine Gleichsetzung von rein sinnlichen Begriffen und mathema-
tischen Begriffen zu suggerieren. Auch in der Kritik der Urteilskraft, in der
Schemata und Beispiele als diejenigen Anschauungen gelten, die der direkten
Darstellung dienen, werden die sinnlichen Begriffe nicht erwähnt. Lässt sich
daraus schließen, dass diese Ebene der Schematisierung auf die mathematische
Konstruktion beschränkt ist? Wenn mit dem rein sinnlichen Schema tatsächlich
die Definition und die vollkommene Figur gemeint sind, die die Konstruktion
eines mathematischen Begriffs ermöglichen, entstünde die Frage, wie sich eine
solche Gleichsetzung begründen ließe. Wenn hingegen mit diesen Schemata die
Prozedur angezeigt wird, durch welche sich die mathematischen Begriffe der
Anschauungen bedienen können, dann wären diese Schemata selbst Bedingun-
gen eines solchen anschaulichen Zugangs, der – obwohl rein konstruktiv – sich
der sprachlichen Beschreibung bediente. Die Frage ist also letztlich, ob auf die-
ser Ebene das Schema nur der Herstellung des Bezugs auf die Anschauungen
dient, ohne dass dabei die Funktion des Urteilens ins Spiel käme, welche die
Regel der Synthese selbst abgibt. Umberto Eco merkt diesbezüglich an, dass das
Schema eine Regel zur Erzeugung einer Figur sei, die gleichzeitig alle Eigen-
schaften des Begriffes enthalte: Die Figur wird sozusagen zur impliziten Dar-
stellung des Begriffes gemacht. Er vergleicht das Schema mit dem Flussdia-
gramm, das den Computer-Operationen zugrunde liegt und die Schritte visuell
veranschaulicht, denen eine zeitliche Struktur unterliegt. In ähnlicher Weise
leitet die schematische Regel die begriffliche Konstruktion geometrischer Figu-
ren an, ohne bei jedem Schritt explizit zu werden.337 Somit reduziert Eco das
Diagramm nicht auf das Figurative und hebt stattdessen die diskursive Bedeu-
tung hervor, die im Diagramm immer schon mitgedacht werden muss. Diese
zeitliche Struktur kann auch im Sinne einer implizit propositionalen Struktur
der Figur als diskursiver Regel verstanden werden.
Die sinnlichen Schemata haben somit einen deutlich diskursiven Cha-
rakter. Die schematische Regel ermöglicht den Übergang vom Begriff zur Figur
gerade mittels des Urteils, das diese Anwendung innerhalb der Mathematik
definieren und im Fall der Philosophie explizieren oder exponieren kann.
Daher ist die im Schema enthaltene Regel ein Konstruktionsbild, das sprachlich
zur Entfaltung kommt, wie Ehrsam zu Recht hervorhebt: „le schème des con-
cepts géométriques n’est rien d’autre qu’une image, mais traversée de langa-
ge“.338 Das Schema ist die dem Bild implizite propositionale Definition, die Bild
und Sprache konstruktiv verbindet.339 Die Konstruktion einer Figur ist dann
gleichzeitig ein sprachliches Urteilen, das den singulären und konkreten Cha-
rakter des Bildes explizit macht. Dabei eröffnet sich innerhalb des Schematis-
mus der Raum für eine Ebene der Bedeutungserfahrung, die das synthetische
Vermögen als Bedingung des wissenschaftlichen Wissens gründet, das eine
begrenztere Sphäre unseres Erkenntnisvermögens ist.340 Auf dieser Ebene
erfolgt eine propositionale Kristallisation wissenschaftlichen Wissens, das mit
der Philosophie eine nicht-sprachzentrierte Semiotik gemeinsam hat, die sich
figurativer Zeichen bedient und sich nicht nur auf nominaler, sondern auch auf
propositionaler Ebene entfaltet. Damit deutet sich eine restriktive Auffassung
der rein sinnlichen Schematisierung an, die von den beiden anderen Ebenen (der
kategorialen und der empirischen) spezifiziert wird.341
2 . 3 Tr a n sz e nde nt a le S e m io s e
344 Emilio Garroni (1979, S. XIII) bemerkt in der Einleitung zur italienischen Überset-
zung des Buchs von Wolfram Hogrebe Kant und das Problem einer transzenden-
talen Semantik: „C’è che una fondazione trascendentale, improntata al pensiero di
Kant, della semiotica non può non suggerire una considerazione importante: che il
vero luogo metateorico del famoso ‘principio di arbitrarietà’, cioè il principio fonda-
mentale (nonostante ogni riserva) della semiotica moderna, è precisamente la filo-
sofia kantiana“.
345 In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeichnungskunst und die Gleichset-
zung von ‚Zeichen‘ und ‚signum, symbolum‘ bei Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f.
130
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
346 Kant, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen vom Zeichen“
beschrieben. Die Problematik des Unterschieds zwischen Schema, Symbol und Zei-
chen wird in Kap. VI und VII ausführlicher untersucht.
347 Kant, AA XVI: 54. Siehe dazu M. Capozzi 2012, S. 314–315.: „[…] given that is not
possible to connect both word and concept to a sign in concreto capable of preserv-
ing the universality of the concept, the language of philosophers is never com-
pletely free from the peril of ambiguity. This being the case, philosophers do con-
sider their concepts ‘alongside the signs [neben den Zeichen]’, or ‘through the signs
[durch die Zeichen]’, but cannot imitate the mathematicians who deal with their
concepts unter den Zeichen or in den Zeichen“. Zitate aus Kant, AA II: 291 und 278.
348 Vgl. Kant, KrV, B 746, A 718.
349 Vgl. Kant, KrV, A 735, B 763.
350 Kant, AA XXVIII: 238. Siehe auch Kant, AA II: 291f. Zum Unterschied zwischen
Zeichen und Symbol in den frühen Schriften Kants im Vergleich mit Leibniz, Loc-
ke, Meier, Crusius und Baumgarten siehe Lamacchia 1970, S. 57–82.
131
V. Die Schemata
gar nicht organisiert“ sei. Und weiter: „Was man mir aus den gemeinen Begrif-
fen nach logischer Regel vorbuchstabieren kann, daß erreiche ich noch wohl“.355
In den Schriften Kants gibt es nur zwei andere mir bekannte Stellen, an
denen das Wort ‚Monogramm‘ auftaucht: einmal in einer Reflexion zur Anthro-
pologie, wo Kant das Monogramm im Gegensatz zum Begriff des Idols ver-
wendet,356 und einmal in einem Fragment aus dem Handschriftlichen Nachlass,
wo er mit ihm „das heilige Symbol“ der Moraltheologie anspricht, die nicht
theoretisch, sondern moralisch und von der Schwärmerei abzutrennen sei, wel-
che die Theologie mit der Theosophie verwechsle.357 Dabei kritisiert Kant die
negativen Konsequenzen der Gleichsetzung des Monogramms mit dem Idol und
somit die dogmatische Schwärmerei. Obwohl der Charakter des Monogramms
also durchaus als ambivalent zu gelten hat, kann dies keinen Schatten auf seine
Funktion im Schematismus werfen.358 Denn der Unterschied zwischen Schema
und Symbol betrifft den allgemeinen Unterschied zwischen Zeichen und Sym-
bol, da die Philosophie mit Zeichen operiert, die nicht zu Symbolen werden
können. Die Zeichen sind jedoch in einem gewissen Sinne konstruiert, obwohl
die Philosophie mittels dieser Zeichen keine Begriffe erzeugen kann.359
Das Monogramm ist innerhalb der hier vertretenen, semiotischen Deu-
tung des sinnlichen Schemas eine Bestimmungsform, die zur sprachlichen
Bezeichnung dient und nicht mit der symbolischen Festlegung gleichzusetzen
ist. Die Bedeutungsgebung der Monogramme ist nicht symbolisch, weil sie
nicht materialiter bestimmt wird, sondern sich wie das Lesen und Sprechen in
der jeweiligen Situation vollzieht. Die Vernunft kann symbolisch denken, aber
der Verstand kann nicht symbolisch erkennen. Der Begriff des Monogramms
wird von Kant gerade in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Schema und Sym-
bol, Verstand und Vernunft verwendet, ohne ihn dabei ausdrücklich als semio-
tisch zu kennzeichnen. Das Monogramm bewegt sich also bei Kant auf der kri-
tischen Grenze zwischen Schema und Symbol und kann beide Funktionen
annehmen: als Schema kann es eine Figur sein, die zur Artikulation der Bedeu-
tung dient (jedoch keine Bedeutung festlegt); als Symbol hingegen nimmt es
eine bestimmte Bedeutung an, die als solche erkannt, aber nicht artikuliert
wird. Denn als Zeichen ist ein Monogramm nur Mittel zur Artikulation der
Bedeutung; als Symbol wird es zu einem starren Ganzen gemacht, das keiner
Artikulation dient.
Obwohl Kant das Monogramm im Spannungsfeld zwischen Schema und
Symbol, Zeichen und Idol ansiedelt, bezieht er sich nicht direkt auf das Zeichen.
Diese Deutung ist im Gegenteil nur der Rezeptionsgeschichte der Schematis-
muslehre zu entnehmen. Und, wie Eco richtig gesehen hat, zu sagen, dass „im
allgemeinen Rahmen der kantischen Lehre ein semiotisches Fundament impli-
ziert ist, ist eine Sache, eine andere aber ist die Frage, ob Kant jemals eine Theo-
rie darüber entwickelt hat, wie wir den Dingen, die wir wahrnehmen, seien es
nun Bäume, Hunde, Steine oder Pferde, Namen zuweisen“.360 Während also die
zweite (mathematisch-propositionale) Deutung – die ich in Kap. V.2.2 behandelt
habe – das Monogramm als eine allgemeine Bezeichnung im Sinne von ‚Umriss‘
oder ‚Figur‘ interpretiert,361 spricht diese hier anvisierte dritte Deutung dem
Monogramm eine rein semiotische Bedeutung zu, die das Schema nicht auf die
Funktion eines Stellvertreters – weder des Begriffes noch des Gegenstandes –
zurückführt, sondern als genetischen Prozess der Bezeichnung versteht, der die
semiotische Artikulation von Bedeutung allererst ermöglicht. Daher ist hier auch
nicht die Rede von einzelnen Zeichensystemen, sondern von Zeichenhaftigkeit
im weitesten Sinn.
Das Monogramm kann in Analogie zur Figur als das konstruktionale
Moment semiotischer Artikulation angesehen werden, ohne dabei mit der
Bedeutung identifiziert zu werden. Zwischen Bildern und Wörtern eröffnet sich
nun der Raum einer Schematisierung, die zugleich Bezeichnung ist. Insbeson-
dere Lamacchia und Makkreel haben auf die semiotische Bestimmung des
Monogramms hingewiesen. Makkreel skizziert die sowohl mathematische als
auch im weitesten Sinne sprachliche Bedeutung des Monogramms wie folgt:
„Bis hierher sind von der Einbildungskraft hervorgebrachte Monogramme als
362 Makkreel 1997, S. 50. Siehe auch die Auslegung des Monogramms in Bezug auf die
zusammensetzende Bezeichnung mehrerer Buchstaben bei Makowiak 2009, S. 214
(auch Fußnote 100 auf derselben Seite).
363 Makkreel 1997, S. 50.
364 Rudolf Makkreel (1997, S. 51) räumt den Buchstaben großes Gewicht ein und neigt
dazu, die semiotische Ebene auf die Lesemetapher zu konzentrieren: „Wenn es sich
um Buchstaben handelt, dann entziffert das monogrammatische Schema sie als
alphabetische Zeichen, und das transzendentale Schema liest sie als Wörter. Tat-
sächlich können wir vier Tätigkeiten unterscheiden, die Kant mit Sprache und der
Analyse von textlichem Material verbindet, nämlich buchstabieren (spelling), ent-
ziffern (deciphering), lesen (reading) und auslegen (interpreting). Normalerweise
liest man Buchstaben als Bestandteile von Wörtern, die Bedeutung haben, aber
wenn die Buchstaben unlesbar oder durcheinander sind, muss man sie entziffern.
Wenn es, auf der anderen Seite, ein Problem auf der Ebene der Bedeutung von
Wörtern oder Sätzen gibt, muss man eine Auslegung versuchen“.
135
V. Die Schemata
zur Entfaltung, welche nicht sprachzentriert ist und somit das Bewegungs-
potential der Zeichen sprachlicher wie nicht-sprachlicher Natur ermöglicht.365
Die Transformationen der Bedeutungen werden also nicht mit einzelnen, zei-
chenhaften Bestimmungen gleichgesetzt.
Der dynamische Charakter des Zeichens hängt daher mit dem konstruk-
tionalen Charakter der Figur als solcher zusammen. Das ist der Konvergenz-
punkt der beiden Aspekte des Monogramms (als geometrische Figur und als
Zeichen).366 Die interne Funktion als Figur ist dabei das Grundmerkmal des
Zeichens, das einerseits den sprachlichen Bezug herstellt, andererseits aber
Resultat einer Bildung ist. Diese figurative Funktion des Zeichens ist deshalb im
sinnlichen Schematismus als transzendentales Fundament anzusiedeln und als
eine Tilgung der bildlichen Fülle in der Figur zu verstehen.367 So differenziert
etwa Cesare Brandi ausgehend von der Schematismuslehre Zeichen und Bilder
als Resultate der Schematisierung: das Zeichen ist Resultat des Übergangs von
der sinnlichen Wahrnehmung zum Begriff; das Bild dagegen ist Resultat des
Übergangs vom Begriff zur sinnlichen Wahrnehmung. Brandi beschreibt diese
Übergänge aus einer historisch-genetischen Perspektive auf die Entwicklung
der Sprache vom Bild zum Zeichen, die ihm zufolge nicht als grundsätzlich
heterogen anzusehen sind. Im Gegenteil sind sie ursprünglich identisch und
werden erst im Bewusstsein getrennt.368
Hier muss lediglich festgehalten werden, dass das sinnliche Schematisie-
ren, das durch monogrammatische Schemata erfolgt, die semiotische Gestaltung
darstellt. Obwohl Ada Lamacchia erkennt, dass Kant unter Monogramm eine
Andeutung, eine Skizze oder einen Umriss versteht,369 deutet sie die Funktion
der Schemata als zeichenhafte Zurschaustellung370 und bestimmt darüber den
Unterschied zwischen Zeichen und Symbolen.371 Lamacchia verbindet somit
Kants Verwendung des Monogramms ausgehend vom Diktum der ‚verborgenen
Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‘ mit der Ars signandi von Leibniz,
da Kant die Bestimmungsfunktion des Schematismus damit in die Nähe einer
potentiell willkürlichen Kunst rücke.372 Die Gefahr des willkürlichen Charak-
ters des Schemas führt insofern – wie oben bereits gezeigt – zur eigentümlichen
Ambivalenz des Monogramms in den Schriften Kants insgesamt und insbeson-
dere im Schematismus-Kapitel als systematischem Ort der semantischen und
semiotischen Synthesis.
Die semiotische Deutung des Monogramms steht zunächst vor der Auf-
gabe, die Verhältnisse zwischen Schema und Zeichen so zu erklären, dass dabei
eine statische Auffassung des semiotischen Prozesses vermieden wird. Wenn
nun aber das Monogramm nicht bloß für die Anwendung des sinnlichen Begriffs
auf die Erscheinung steht und vielmehr als Grundbezeichnung für einen spezi-
fisch semiotisch-schematischen Prozess dient, dann ist mit ihm zugleich das
Problem der Bestimmung sowohl des Prozesses des Schematismus als auch sei-
ner Resultate angesprochen, das die interne Spannung des Schematismus-Kapi-
tels umfasst. Diese Spannung besteht darin, die bewegende und dynamische
Aktivität des Schematisierens von dessen Resultaten zu trennen, die als Kris-
tallisationen angesehen werden können. Somit ist den Resultaten eine (wenn
auch nur provisorische) Statik eigen. Und insbesondere das Monogramm ent-
hält – auch in seiner gewöhnlichen Bedeutung eines willkürlichen Zeichens wie
etwa als Wappen373 – den statischen Charakter einer Schriftfigur, die als Zei-
chen und als Symbol verwendet werden kann. Angesichts dieser Doppelfunk-
tion bewegt sich Kant in einem tückischen Bereich an der Grenze zwischen
Bezeichnung und Symbolisierung der Begriffe und geht jederzeit das Risiko ein,
den zeichnenden Gebrauch auf die symbolische Erkenntnis oder die schema-
tische Handlung auf das festgesetzte Produkt zu reduzieren. Daher kann das
Monogramm als mögliche Achillesferse der Schematismuslehre gelten, und
zwar als die Stelle, an der die Gestaltungsfähigkeit des Schematismus ihre Kraft
369 Lamacchia 1970, S. 128. Ada Lamacchia (1970, S. 135–151) vergleicht den Schema-
tismus mit den Phantasmata bei Thomas von Aquin, und Klaus Düsing mit den
Phatasmata bei Aristoteles (1995, S. 59).
370 Lamacchia 1970, S. 127: „Kant mostra di intendere pienamente la funzione degli
schemi come esibizione segnica“.
371 Lamacchia 1972, S. 383f. „Die determinierende Funktion der Semanteme kommt
ganz der sinnlichen und transzendentalen Einbildungskraft zu und folglich der
Produktion von Zeichen und Symbolen“.
372 Vgl. Lamacchia 1970, S. 87f. Siehe auch Lamacchia 1972, S. 380.
373 Vgl. Kant, AA VII: 192.
137
V. Die Schemata
verliert. Kaulbach etwa schreibt dazu, dass die „Rede vom Monogramm freilich
nicht unbedenklich ist, obwohl in ihr das ‚Schreiben‘ anklingt: Sie verführt
leicht dazu, den Bewegungscharakter des Schemas vergessen zu lassen, indem
sie die Vorstellung erweckt, als handele es sich um eine Art Stempel, der fix und
fertige Figuren aufweist, von denen man durch Abdruck beliebig viele Kopien
hervorzubringen vermag“.374
Dass das Monogramm in dieser Hinsicht als problematischer Aspekt der
prozessualen Vermittlungsfunktion der Schematisierung angesehen werden
kann, ist für solche Interpretationen relevant, die wie Kaulbach den energeia-
Charakter des Schematisierens in den Vordergrund rücken, um so das Verfah-
ren insgesamt deutlich von der Fixierung seiner einzelnen Bedeutungen zu
trennen. Bei genauerem Hinsehen aber steht das Monogramm dem dyna-
mischen Charakter des Schematisierens nicht entgegen; und zwar dann nicht,
wenn es als eine allgemeine, prozessuale Bezeichnung gedeutet wird, die keinen
semantischen Ausdruck festlegt (also nicht zur Hervorbringung von festen
Symbolen dient), sondern die Möglichkeit dieses Ausdrucks auf semiotischer
Ebene bedingt.
Auf diese Weise entfaltet sich innerhalb der Schematismuslehre eine
Semiotik im Sinne einer Theorie des willkürlichen Charakters der Zeichen. Mit
ihr wird eine Verbindung zum Bezeichnungsvermögen hergestellt, das Kant auf
anthropologischer Ebene untersucht. Im nächsten Kapitel soll deshalb die Mög-
lichkeit diskutiert werden, mit Blick auf die anthropologischen Schriften Kants
Aspekte des Bezeichnungsvermögens in die Systematik des Schematismus zu
integrieren. Die semiotische Deutung, die das Monogramm als Zeichen erklärt,
distanziert sich von der Lehre Kants, in der das Bezeichnungsvermögen und die
Verhältnisse zwischen Sprache und Denken innerhalb der empirischen Psycho-
logie behandelt werden, in denen vom Begriff des Monogramms jedoch kein
Gebrauch gemacht wird.375 Die Kontinuität zwischen der Schematismuslehre
und dem Bezeichnungsvermögen soll deshalb hier durch den Rückgriff auf die
Konzeption eines Prozesses der Versinnlichung begründet werden, in welcher
der Sinnlichkeit eine wesentliche Funktion in der Artikulation der Bedeutungs-
erfahrung zwischen Wort und Bild zukommt. Die Systemstellung der Sinne in
den anthropologischen Schriften wird daher mit der transzendentalen Funktion
von Raum und Zeit im Schematismus verbunden, was zur genannten Auffas-
sung des Schematismus als Prozess der Versinnlichung (und nicht der Verkör-
perung) führt, die als Bedingung sowohl der semantischen als auch der semio-
tischen Artikulation der Erfahrung zu gelten hat.
Es ist somit nicht verwunderlich, dass Kant das oberste Prinzip aller syntheti-
schen Urteile darin sieht, dass ein Gegenstand „unter den notwendigen Bedin-
gungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer
möglichen Erfahrung“ steht.377
Durch den reinen Schematismus findet die Übertragung der Katego
rientafel in die Zeit statt. Wie Kant selber erklärt, sind die transzendentalen
Schemata durch die Ordnung der Kategorien selbst gegliedert. Dabei geht es
nicht um eine „trockene und langweilige Zergliederung dessen, was zu trans-
zendentalen Schemata reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird“,378
sondern um eine systematische Umwandlung der Kategorien durch die reinen
Anschauungen. Die Kategorien sind somit auf äußere Anschauungen anwend-
bar und können durch die Zeit alle Gegenstände der Sinne unter sich subsumie-
ren. Die von Kant in der Deduktion der Kategorien (§24 der zweiten Auflage)
der Kritik der reinen Vernunft unternommene Rechtfertigung der reinen
Begriffe macht ihre Schematisierung nicht überflüssig, weil diese den anschau-
lichen Gebrauch der Begriffe ermöglicht, die ohne sie keine Bedeutung hätten.
Die Schematisierung als Anwendungs- und Subsumtionsprozess erfolgt
auf transzendentaler Ebene durch die Zeit (und den Raum) und strukturiert sich
wiederum durch Schemata, welche die Produkte der Versetzung der Kategori-
entafel in der Zeit sind. Entsprechend der Kategorientafel ist das Schema der
Quantität die Zahl; das Schema der Qualität ein Sein in der Zeit, ein Nichtsein
in der Zeit und eine leere Zeit; das Schema der Relation die Beharrlichkeit des
Realen in der Zeit, das Reale in der Sukzession und das Zugleichsein der Bestim-
mungen zwischen Substanzen und Akzidenzien; und schließlich das Schema
der Modalität die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgendeiner
Zeit, das Dasein eines Gegenstandes in einer bestimmten Zeit und das Dasein
eines Gegenstandes zu aller Zeit.379 Die intuitive Gestaltung dieser Schema-
tisierung stellt für Kant eine nicht-figürliche Strukturierung der reinen Begriffe
in der Zeit dar.380 Die Synthesis zwischen Kategorien und Zeit bleibt jedoch
meines Erachtens eine bloße Korrelation und wird von Kant nicht als Prozess
der Realisierung der Kategorien selbst als zeitlichen Gestalten aufgefasst – wie
Riedel betont: „Der Kategorien bedarf auch die reine Anschauung, ein Ver-
mögen freilich nicht der reinen Vernunft, sondern der Sinnlichkeit, die sich in
eigener Weise aktualisieren muß“.381
Die reinen Begriffe lassen sich in der Zeit schematisieren. Ihrer Form
nach sind sie – wie alle anderen Begriffe auch – „gemacht“, nur dass sie, anders
als empirische und sinnliche Begriffe, keine äußere Empfindung zu ihrer Grund-
lage haben; deshalb sind sie der Materie nach a priori „gegeben“.382 Auch hier
zeigt sich somit die Relevanz einer Integration des genetischen Verhältnisses
zwischen Zeit und Gehör in die Transzendentalphilosophie: Die Zeit ist die Bedin-
gung nicht nur einer vorstellungsmäßigen Verinnerlichung, sondern der Ver-
sinnlichung der Bedeutung durch Zeichen (im weitesten Sinn), und diese Fähig-
keit zeigt sich gerade in der Bildung von Begriffen, die keine Entsprechung in
der äußeren Welt haben und trotzdem keine Fiktionen sind. Auch auf dieser
Ebene der Schematisierung kann von deren sinnlicher Gestaltung nicht abge-
sehen werden, was wiederum die Begriffe nicht auf ihre Bezeichnung reduziert,
sondern sie durch den genetischen Charakter ihres Gebrauchs bestimmt.
Die Heterogenität zwischen reinen Begriffen und Bildern ist so radikal,
dass keine Bilder von Kategorien existieren können, wie Kant eindeutig fest-
380 Die Verbindung zwischen den Kategorien und der Zeit kann als eine reine Zusam-
mensetzung gedeutet werden, also im Sinne desjenigen Zusammensetzens, das
Kant als Compositio auf die Darstellung der Zeit und des Raumes bezieht und das
im Mittelpunkt des Briefes steht, den Kant am 11. Dezember 1797 an Tieftrunk in
dem Versuch richtet, neues Licht in die Problematik des Schematismus zu bringen.
Dazu sagt Kant, AA XII: 222f.: „Der Begrif des Zusammengesetzten überhaupt ist
keine besondere Categorie, sondern in allen Categorien (als synthetische Einheit
der Apperception) enthalten. Das Zusammengesetzte nämlich kann als ein solches,
nicht angeschaut werden; sondern der Begrif oder das Bewußtsein des Zusammen-
setzens (einer Function die allen Categorien als synthetischer Einheit der Apper-
ception zum Grunde liegt) muß vorhergehen, um das mannigfaltige der Anschau-
ung gegebene sich in einem Bewußtsein verbunden, d.i. das Objekt sich als etwas
Zusammengesetztes zu denken, welches durch den Schematism der Urtheilskraft
geschieht indem das Zusammensetzen mit Beweußtsein zum innern Sinn, der
Zeitvorstellung gemäs einerseits, zugleich aber auch auf das Mannigfaltige in der
Anschauung gegebene Anderseits bezogen wird“. Jedoch kann diese Zusam-
mensetzung nicht als ein analytisches Verhältnis angesehen werden, wie Allison
(1983, S. 187f.) andeutet: „[…] since the schematized categories already stand in
connection with time (as rules for the transcendental synthesis of the imagination),
the connection between these categories and their schemata can be determined ana-
lytically“.
381 Riedel 1989, S. 51.
382 Kant, AA IX: 93.
141
V. Die Schemata
stellt. Die Folge ist eine eigene Semantik des Schematismus reiner Verstandes-
begriffe.383 Was die figurative Gestaltung angeht, lässt sich hingegen diskutie-
ren, welches Bild der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe angemessen
sein könnte. Wie bereits erwähnt, nimmt vor allem Heidegger auch für die reine
Schematisierung eine allgemeine Bezeichnung des Bildes im Sinne einer
Erschaffung im Anblick an.384 An dieser Stelle soll jedoch nicht näher auf die
Frage des Bildseins eingegangen werden, weil der Schematismus allgemein als
Prozess der Bildung einer reinen Kristallisation aufgefasst wird, die wiederum
Bedingung der Erfahrung ist. Die Gründe für die besondere Hervorhebung der
diskursiven Dimension dieser Schematisierung liegen in der Gestaltungsfunk-
tion, welche die sprachliche Bezeichnung in ihr ausübt, die jedoch Kant selbst
nicht systematisch entfaltet und die daher im Folgenden präzisiert werden soll.
Die Kategorien sind der Materie nach gegeben, der Form nach gemacht;
dennoch bedürfen sie der Anschauungen, um gebraucht werden zu können.
Welchen Status aber haben diese Begriffe, die sich erst unter sinnlichen Bedin-
gungen realisieren, zugleich jedoch radikal von Anschauungen unterscheiden?385
Der Schematismuslehre zufolge wäre zu antworten, dass nicht die Kategorien
selbst, sondern nur deren Gebrauch sich im Schematismus realisiert. So würde
wiederum ein Dualismus zwischen Kategorien und Anschauungen angenom-
men, die im Schematismus nur zur bloßen Zusammensetzung gelangen. Die
Spontaneität dieser Zusammensetzung würde somit ausschließlich auf der Seite
383 La Rocca 1989, S. 149: „Allein das soll schon ersichtlich machen, dass die Semantik
reiner Verstandesbegriffe auf keinen Fall mit der Semantik empirischer und geo-
metrischer Begriffe gleichzusetzten ist“.
384 Heidegger, GA, 3, S. 99. Was den ideellen Charakter des Bildes angeht, fragt Hogre-
be im Anschluss an Fichte nach dem Bildsein der Schematisierung reiner Verstan-
desbegriffe (1974, S. 102): „Das Bild der Kategorien ist demnach mögliches Bildsein,
ist Bild vom Bilde. Reflektiert man auf das Ganze dieser Bestimmungen, so wird
man der Formulierung Fichtes aus seiner Transzendentalen Logik zustimmen kön-
nen, in der die Kategorien gefasst werden als ‚die absolute Denkform’, setzend eben
Sinn und Verstand und Bedeutung überhaupt alles Bildwesens“. Die Stelle von
Fichte stammt aus der Schrift Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder
transzendentale Logik (1812), Werke, IX, S. 137. Auch beim Bild des Bildes geht es
meines Erachtens um die Dimension der Begrifflichkeit in einer genetischen Per-
spektive, die für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist und
dennoch nicht anhand des Bildes erklärt werden soll. Nach Wolfram Hogrebe
ermöglichen die transzendentalen Schemata sogar die „Bestimmbarkeit von Sinn“.
Siehe dazu 1974, S. 102.
385 Diesbezüglich möchte ich auf die Untersuchung dieser Problematik bei Stephanie
Grüne hinweisen, die sich insbesondere auf ihre Deutung zwischen Konzeptu
alisten und Nonkonzeptualisten konzentriert. In der Kritik der Auffassung von
Johannes Haag, nach welchem „das genetische Primat von Anschauungen gegen-
über Begriffen nicht in Bezug auf die Schemata der Kategorien vertreten“ werden
kann (2009, S. 137, und Haag 2007, S. 199), untersucht Grüne die Auffassung eines
solchen Primats bei Kant. Siehe dazu Vorderobermeier 2012, S. 148f.
142
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
386 Als prominenteste Vertreter sind zu nennen Guyer 1987, Teil III Principles of
empirical Knowledge und Pippin 1982, Kapitel 5 Schemata.
387 Es ist insbesondere Sellars (1967, S. 642), der sich im Anschluss an Aristoteles auf
die Kategorien als „meta-conceptual summa genera“ bezieht.
388 Der Unterschied zwischen Kategorien und reinen Begriffen bei Kant wird hier
nicht näher untersucht. Siehe dazu etwa Aportone 2009.
143
V. Die Schemata
389 Zur Bestimmung des Fiktionsbegriffs siehe Borutti 2006, insbesondere S. XXXVI:
„Una prospettiva finzionale sul senso non afferma semplicemente che conosciamo i
dati attraverso i nostri significati interpretativi presupposti: in prospettiva poietica
si può certamente parlare di interpretazione come modo di darsi del dato, ma l’in-
terpretazione va allora intesa come una messa in forma che è agente di oggettiva-
zione“.
390 Kant erläutert diesen Unterschied anhand folgender Beispiele (Kant, KrV, B 192,
A 153): „Sage ich, ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muss die
Bedingung: zugleich, dabei stehen; denn der, so zu einer Zeit ungelehrt ist, kann zu
einer andern gar wohl gelehrt sein. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch ist
gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelehrtheit) nunmehr
den Begriff des Subjekts mit ausmacht, und alsdenn erhellt der verneinende Satz
144
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
unmittelbar aus dem Satze des Widerspruchs, ohne dass die Bedingung: zugleich,
hinzu kommen darf“.
391 Kant, KrV, B 291.
392 Siehe dazu Kap. II.5.
393 Kant, KrV, B 197, A 158.
394 Kant, KrV, B 195f., A 156.
145
V. Die Schemata
die ihm dennoch „untergelegt werden“ müsse.395 Fraglich ist somit der Status
dieser Begriffe: sind sie vorschematisch oder werden sie erst im Schematismus
gebildet? Oder sind sie sogar angeboren? Diesbezüglich ist wichtig zu betonen,
dass diese Begriffe – anders als die empirischen Begriffe – nicht per Abstraktion
gefunden werden. Sie sind keine Produkte der Abstraktion von der Sinnlichkeit,
sondern rein. Trotzdem behandelt Kant das Verhältnis zwischen reinen Begrif-
fen und Erfahrung (in §27 der Transzendentalen Deduktion der reinen Ver-
standesbegriffe) als eine epigenetische Problematik: „die Behauptung eines
empirischen Ursprungs wäre eine Art von generatio aequivoca“.396 Die Rein-
heit der Begriffe sollte nach Kant jedoch nicht so aufgefasst werden, als seien sie
angeboren; vielmehr sind sie später erworben. Hier geht es vor allem um eine
acquisitio.397
Durch die Schematisierung werden die Begriffe im Urteilen gebraucht
und somit realisiert – und diese Realisierung lässt sich gleichzeitig als eine
Methode des Erwerbs erklären. Sie sind deshalb nicht weniger rein und werden
auch nicht aus der Erfahrung abgeleitet. Ihr Erwerb spielt sich in einer Bedeu-
tungserfahrung ab, in deren Verlauf zugleich überhaupt erst die Methode des
Erwerbs erlernt wird. Dabei ist natürlich fraglich, was dies für die Kategorien
bedeutet. Die Spannung zwischen Vorgegebenheit und Realisierung der Kate-
gorien betrifft meines Erachtens unterschiedliche Aspekte der Erkenntnistheo-
rie Kants, unter anderem die Bestimmung des funktionalen Charakters der
Kategorien und das Bezeichnungsverhältnis zwischen Begriffen und Wörtern,
die ich kurz skizzieren möchte.398
In der kritischen Philosophie, die sich jenseits der Grenzen der Logik
erstreckt, sind „die Kategorien, ohne Schemata, nur Funktionen des Verstandes
zu Begriffen“.399 Und auf Basis dieser Funktionen lässt sich eine logische wie
Argumentbereich der Funktion, der als solcher die Bestimmungen des Denkens
eines Gegenstandes überhaupt ausmacht, der also reine Form des Denkens eines
Gegenstandes ist. Dieses kategoriale Bestimmen des Gegenstandes überhaupt ist
aber nicht das empirische Bestimmen eines Gegenstandes. Es ist vielmehr das
transzendentale Bestimmen, das denn auch den bloß transzendentalen Inhalt des
Gegenstandsbegriffes und so jedes Gegenstandes ergibt“ (Schulthess 1981, S. 295).
Siehe auch Aportone 2009, S. 319: „Dass die Funktionen Begriffe genannt werden,
könnte auch als Zeichen einer Auffassung derselben gedeutet werden, welche die
strikte Dichotomie von Regeln und Vorstellungen ablehnt, d.h. die Ansicht, dass
einerseits die Vorstellungen innere Gegenstände sind und die Regeln auf sie, so wie
die Werkzeuge auf empirische Gegenstände, angewandt werden können und ande-
rerseits die Regeln keine repräsentationale Natur haben, oder anders als Vorstel-
lungen aufzufassen sind“.
400 Kant, KrV, A253f.
401 Siehe oben, Kap. II.2.
147
V. Die Schemata
Objekte, einerlei ob Phaenomena oder Noumena, anwendbar. […] Was die letz-
tere ausschließt, ist nur der Mangel an Anschauung“.402
Der Gebrauch von Begriffen und Ideen wird durch die Entsprechung in
den Anschauungen bestimmt, löst jedoch nicht das Problem auf, das später für
Maimon und Herder so wichtig sein wird, und zwar das der sprachlichen
Bezeichnung, das ihnen gemeinsam ist und ihre Realität ausmacht. Der Funk-
tions-Begriff als „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter
einer gemeinschaftlichen zu ordnen“,403 berührt diese Sprachproblematik nur
teilweise, etwa wenn Kant den Unterschied zwischen Urteil und Satz, das
Bezeichnungsvermögen oder das Verhältnis zwischen Wörtern und Begriffen
behandelt. Der Unterschied zwischen Urteil und Satz besteht für Kant nicht
darin, dass der Satz eine sprachliche Äußerung des Urteils und letzteres nur der
(sprachlose) mentale Akt wäre, sondern liegt in der modalen Bestimmung: Das
Urteil ist problematisch, der Satz ist assertorisch. Ein irgendwie sprachloses
Denken ist folglich unmöglich. Das verdeutlicht auch die Anthropologie, in der
Kant anmerkt, dass „die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung die durch
Sprache ist, dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“.404 Ich
habe bereits erwähnt, dass ohne die Funktion des Gehörs keine Bezeichnung
vollzogen werden kann.405 Das Gehör ermöglicht sowohl eine Verinnerlichung
wie auch eine Äußerung der Bezeichnung, die zur Artikulation des Allgemei-
nen beiträgt.
Die Kategorien können als Produkte des Schematismus angesehen wer-
den, die als sprachlich konnotierte Begriffe als mögliche Funktionen des Urtei-
lens bereitstehen. Insgesamt spiegelt sich in der Bildung der Begriffe nicht nur
die subjektive Zeit des Gebrauchs von Begriffen, sondern auch die Zeit des
Gebrauchs der Sprache selbst als intersubjektiver und einzelsprachlich kon-
notierter Praxis. Dabei findet man in der Schematismuslehre sowohl die episte-
mische als auch die historische Spannung zwischen dem gleichzeitig konventio-
nellen und kreativen Gebrauch der Sprache. Der Schematismus besteht genau
genommen aus dieser Spannung und ist insofern keine bloße Vermittlung zwi-
schen Vermögen, sondern erlaubt die Einsicht in die Bildung und den Gebrauch
von Begriffen überhaupt. Stärker als bei Kant tritt dies in den Kritiken in seiner
Nachfolge hervor, die das Problem der Bildung der Kategorien in Bezug auf die
Tätigkeit der Sprache und des Denkens im Allgemeinen thematisieren, womit
eine komplette Umstellung des Prozesses selbst angezeigt ist, der als die Gestal-
tung seiner Bestandteile angesehen werden kann.
Viele von denen, die versucht haben, die Schematismuslehre Kants aus-
zubuchstabieren, sehen in ihr den ursprünglichen Prozess der Begriffsbildung.
Zu ihnen kann später auch Heidegger gerechnet werden, der betont: „Im trans-
zendentalen Schematismus bilden sich allererst die Kategorien als Kategorien.
Sind diese aber die echten ‚Urbegriffe‘, dann ist der transzendentale Schema-
tismus die ursprüngliche und eigentliche Begriffsbildung überhaupt“.406 Und
weiter: „In der Frage nach dem möglichen Gebrauch der Kategorien wird ihr
eigenes Wesen selbst allererst Problem. Diese Begriffe stellen vor die Frage nach
der Möglichkeit ihrer ‚Bildung‘ überhaupt. Demnach ist die Rede von der Sub-
sumption der Erscheinungen ‚unter Kategorien‘ nicht die Formel einer Lösung
des Problems, sondern sie enthält gerade die Frage, in welchem Sinne hier über-
haupt noch von Subsumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.407 Und
auch Cassirer äußert sich in eine ähnliche Richtung, wenn er festhält, „daß
unsere reinen Begriffe nicht der Abstraktion, sondern der Konstruktion ihr
Dasein verdanken; daß sie nicht Bilder und Abzüge der Gegenstände, sondern
Vorstellungen eines synthetischen Grundverfahrens sind“.408 Hermann Mör-
chen etwa vertritt einen Ansatz, demzufolge „die Kategorien ‚ursprünglich‘
Schemata sind“ und verbindet somit die Bildungsfunktion der Schemata mit der
Einbildungskraft, in der die Spontaneität ihren Ursprung hat: „Die Einbildungs-
kraft ist ein ‚notwendiges Ingredienz‘ des Begriffs“.409 Lamacchia dagegen spricht
von den Kategorien als Erstarrungen (solidificazioni) von schematischen Pro-
zessen.410 Trotz der immer potentiell bestehenden Unbestimmtheit der einzel-
nen Anschauungen ist der Schematismus ein Prozess, der eine Sprache der
Kategorien ermöglicht, d.h. eine Kristallisation von Begriffen, die im Urteilen
gebraucht werden. Der Charakter der Kategorien als Bildungen zeigt dabei in
den Augen Maimons, Herders und Hegels die eminent sprachliche Funktion des
Schematismus an, die von Kant vernachlässigt wurde. Die Begriffsbildung wird
von ihnen mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung gebracht, dank derer
neue Erkenntnisse erzeugt werden können. Diese Interpretation verändert die
Funktion des Schematismus fundamental, da er sich damit als grundlegender
Prozess der Gestaltung einer begrifflichen Metaebene erweist, der nicht auf die
Deduktion der Kategorien reduziert werden kann.
406 Heidegger, GA, 3, S. 110. Vgl. Paci 1955, S. 394: „Senza lo schema e cioè senza il
legame con l’esperienza spaziale e temporale tutti i concetti, ‘indistintamente’ non
sarebbero che pensiero vuoto, pensiero puramente formale e cioè pensiero del nul-
la“. Siehe dazu auch Salvucci 1957, S. 79.
407 Heidegger, GA, 3, S. 110.
408 Cassirer, ECW, 3, S. 598.
409 Mörchen 1930, S. 438.
410 Vgl. Lamacchia 1970, S. 150.
149
V. Die Schemata
Auch wenn die Schematismuslehre auf diese Weise durch die Annahme
einer genetischen Funktion der Begriffsbildung erweitert werden kann, löst dies
noch nicht das grundlegende Problem der schematischen Vermittlung zwischen
Begriffen und Anschauungen, das ein Problem des Objektivitätsanspruchs der
reinen Begriffe ist. Denn selbst wenn die kategorialen Formen sprachlich kon-
stituiert werden, bleibt die Frage bestehen, wie sie auf die Erscheinungen anwend-
bar sein können. Diese Frage wird von La Rocca wie folgt spezifiziert: „Aus den
reinen Formen des sprachlichen Begreifens kann nicht erkannt werden, ob (und
im bejahenden Fall wie) diese zugleich auch Formen eines Weltverstehens sind;
und weiter, ob die Formen des sprachlichen Begreifens auf die Formen einer
ursprünglichen semiotischen Strukturierung der Erfahrungswelt zurück-
geführt werden müssen, nach denen sich das phänomenale Geschehen abspielen
kann“.411
Das Modell einer Repräsentation, für das die Funktion der Kategorien in
deren Anwendung auf die sinnliche Erfahrung besteht und daher den Schema-
tismus an die Frage nach der objektiven Realität der Begriffe kettet, muss daher
durch ein transzendentales und prozessuales ersetzt werden. Kant weist darauf
hin, dass an dieser Stelle nicht eigentlich von Begriffen, sondern von Vorstel-
lungen gesprochen werden sollte: Die Zahl ist zum Beispiel „eine Vorstellung,
die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen) zusammenbe-
faßt“, während das Schema der Substanz die Beharrlichkeit des Realen in der
Zeit ist, „d.i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen
Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt“.412
Wollte man Kant präzisieren, müsste man hinzufügen, dass es eigentlich nicht
die Vorstellung, sondern genauer die Ausübung ihrer Funktion und im weites-
ten Sinne der transzendentale Gebrauch sind, die der Kategorie eine diskursive
Bedeutung verleihen. Die sinnliche Bedingung realisiert die Kategorie, indem
sie der transzendentalen Diskursivität ein Kriterium der Beschreibung unserer
Bedeutungserfahrung an die Hand gibt. Durch die sinnliche Bedingung reali-
siert sich die Kategorie rein diskursiv. Damit ist eine Metaebene der Begrifflich-
keit angesprochen, auf der allgemeingültige Prinzipien definiert werden, die
nicht die Vorstellung selbst betreffen, sondern die diskursive und formale Kon-
stitution der Bedeutungserfahrung anzeigen. Und wenn unter der sinnlichen
Bedingung ausschließlich die versinnlichende Bezeichnung verstanden wird,
dann macht dies zugleich deutlich, dass die Repräsentation bei Kant nur im
Sinne einer schematischen Bildung der Begriffe aufgefasst werden darf.
Und genau das ist der Weg, den diejenigen Autoren eingeschlagen haben,
die den Schematismus als eine prozessuale Antizipation von Bedeutung ver-
standen haben. Aus deren Sicht handelt es sich beim Schematismus um eine
Metakonzeptualität als prozessuale Bedingung der Gestaltung von Bedeutung.
Diese geht aus einer transzendentalen Beschreibung, die darauf zielt, die Bedin-
gung der Bedeutung auf erkenntnistheoretischer Ebene zu erklären. Sie wird
mit Blick auf den Schematismus insbesondere von Hans Lenk untersucht, der
unterschiedliche Stufen der Schema-Interpretation unterscheidet, deren letzte
die der Metainterpretation ist, „nämlich die erkenntnistheoretische oder – wenn
man so will – methodologische Stufe, auf der wir uns unsere Interpretations-
verfahren und -methoden oder die Interpretationsergebnisse und -verfahren
wiederum als Gegenstände einer Analyse vornehmen und zum Gegenstand
höherstufiger (Meta-) Interpretation machen“.413 Entsprechend ließe sich im Fall
der reinen Schematisierung von einer semantischen Fixierung (Kristallisation)
der Sprache reden, insofern in der Sprache eine diskursive Metaebene aus-
gemacht werden kann, die zum Gegenstand der transzendentalen Theorie wird.
Und auch bezüglich der rein sinnlichen Schematisierung kann eine solche Fixie-
rung angenommen werden, wie ich sie in Bezug auf die mathematischen Defi-
nitionen behandelt habe. In der Erkenntnistheorie kann eine Versinnlichungs-
lehre jedoch eine gewisse Prediskursivität miteinschließen, indem sie einerseits
die sinnlichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung als Bilder, Diagramme
und Wörter fasst, andererseits die Methode ihrer Anwendung erklärt. Damit ist
zugleich die Genese des diskursiven Denkens angesprochen, die Kant zwar
andeutet, jedoch leider nicht systematisch in Bezug auf die Versinnlichung erör-
tert, welche die Erkenntnis gerade mit der symbolischen und expressiven Krea-
tivität in Verbindung bringt. Diese kann deshalb in die Konzeption des Schema-
tismus eingeführt werden, weil sich so der Raum für eine Meta-Diskursivität
als synthetischer Bedingung der Bedeutungserfahrung a priori eröffnet. Diesen
Aspekt möchte ich abschließend noch kurz in einem kritischen Ausblick ver-
tiefen, um dann die symbolische Versinnlichung, die nicht-begriffliche Schema-
tisierung und die Funktion der Bezeichnung zu thematisieren.
steht die Schematisierung auf transzendentaler Ebene für die Bildung der
Begriffe selbst. Diese Bildung bewegt sich also zwischen Altem und Neuen,
zwischen Übertragung und Transformation, Konvention und Kreativität. Die-
ser Umstand soll im Folgenden als der antizipatorische Charakter der Schema-
tisierung bezeichnet werden. Er kann jeweils unterschiedlich spezifiziert wer-
den – je nachdem, welche der drei Ebenen der Schematisierung in Betracht
gezogen wird: empirisch gesehen steht die antizipatorische Funktion der
Schematisierung in enger Verbindung mit dem Erlernen, dem Gebrauch und der
Kreation der Begriffe, die in der empirischen Erfahrung zwischen Bildern und
Wörtern anzusiedeln sind; rein sinnlich kann die antizipatorische Funktion der
Schematisierung als eine figürliche Konstruktion mathematischer Begriffe
gedeutet werden, die keine bloße Veranschaulichung ist, sondern zugleich eine
hilfreiche Visualisierung komplexer diskursiver Relationen, die etwa mit Dia-
grammen in Verbindung gebracht werden können. Auf der Ebene der rein
transzendentalen Begriffe schließlich eröffnet sich die Dimension einer Meta-
begrifflichkeit, auf der die diskursive Erkenntnis auch als Versinnlichungspro-
zess erklärt werden kann. Gerade auf dieser letzten Ebene lässt sich somit eine
Versinnlichungslehre verorten, in der die Bedingungen der Erfahrung expli-
ziert werden. Nur so kann ein Begriff gleichzeitig als Regel und als Methode
verstanden, und nur so kann der reine Begriff zur transzendentalen Funktion
werden. Die herausragende Rolle der Regel in der Zuschreibung des Schema-
tismus der Urteilskraft wurde bereits erwähnt, um zu verdeutlichen, dass der
Schematismus keine Lehre des Inhalts ist, sondern eine Lehre der formalen
Gestaltung der Bedeutungserfahrung. Nur so kann meines Erachtens der anti-
zipatorische Charakter des Schematismus als ‚vorbegrifflich‘ verstanden werden
– aber nicht im Sinne eines nicht-begrifflichen Denkens, sondern hinsichtlich
der Entstehung der Begrifflichkeit, die in der Versinnlichung ihre gestaltende
Bedingung hat.414
Diese Auslegung stellt jedoch eine Radikalisierung und Umgestaltung
der kantischen Lehre dar, die ich im nächsten Teil anhand der Revisionsver-
suche bezüglich der systematischen Stellung des Schematismus rekonstruieren
möchte. Wenn Kant behauptet: „Denn sind die Regeln einmal weg, so weiß man
nicht voran man sich halten soll“,415 hebt er meines Erachtens die Relevanz der
Regel für das Erkennen und die Artikulation von Bedeutung hervor. Wie ich zu
zeigen versucht habe, beinhaltet der Schematismus eine tiefere transzendentale
414 In Kap. III habe ich bereits erklärt, inwieweit die Versinnlichung als ein alternativer
Ansatz in der Debatte zwischen dem non-konzeptualistischen und konzeptualisti-
schen Charakter der Erkenntnistheorie angesehen werden kann. Im dritten Teil
(Kap. I) werde ich auf diesen Punkt mit kritischem Blick auf den Ansatz von Alva
Noë zurückkommen.
415 Kant, AA XXIX, 1,1: 17.
152
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Ausgehend von der transzendentalen Bedingung, nach der für die Realität
unserer Begriffe „immer Anschauungen erfordert werden“,416 ist bei Kant die
Darstellung eines Begriffs eine Versinnlichung, was jedoch nicht bedeutet, dass
jeder Begriff durch den Schematismus zur objektiven Realität gelangt. Denn
schematisiert werden nur diejenige Begriffe, die eine direkte Entsprechung in
den Anschauungen haben. Von dieser schematisch-bestimmenden Ebene, die
bis hierhin untersucht wurde, ist die einer symbolischen Versinnlichung zu
unterscheiden, um die es nun gehen soll.417
Der Schematismus wird von Kant als ein Erkenntnisprozess in Abgren-
zung zu anderen Handlungs- und Darstellungsprozessen definiert. Er betrifft
nicht die Typik der praktischen Vernunft, die ähnlich denen der theoretischen
Vernunft die Aufgabe haben, allgemeine Gesetze auf konkrete Fälle anzuwen-
den. Für die praktische Anwendung des Gesetzes der Freiheit ist demnach kein
Schema erforderlich.418 So wird die praktische Vernunft vor dem Mystizismus
bewahrt, der „das, was nur zum Symbol diente, zum Schema macht, d.i. wirk-
liche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen […] der Anwendung der mora-
lischen Begriffe unterlegt und ins Überschwengliche hinausschweift“.419 Somit
können Schemata nicht dazu dienen, das Übersinnliche darzustellen. In der
Kritik der reinen Vernunft diskutiert Kant in Bezug auf die Idee der Vernunft
das Problem ihrer Darstellung und bestimmt sie nur als bloßes „Analogon von
einem Schema der Sinnlichkeit“.420 Das Schema wird damit zum erkenntnis-
theoretischen Kriterium, das dazu dienen kann, die unterschiedlichen Darstel-
1. Sy mb ol isc he Da r stel lu ng
Die Reflexion ist eine indirekte Darstellung, die in kritischer Hinsicht die
Grenze zwischen Erkenntnis und Denken, oder besser gesagt: zwischen symbo
lischer und bestimmender Erkenntnis markiert. Besonders berühmt ist in diesem
Zusammenhang Kants Metapher der Handmühle zur Darstellung des monar-
chischen Staats: Zwischen beiden besteht keine Ähnlichkeit, und trotzdem wer-
den sie verbunden, um die Bedeutung eines Begriffs mittels einer Analogie dar-
zustellen. Darin zeigt sich für Kant „ein doppeltes Geschäft“ der Urteilskraft:
„erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und
dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen
ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“.426
Die Reflexion erweist sich somit als weitere Funktion des Urteilens neben der
schematischen (direkten) Bestimmung des Begriffes durch eine Anschauung.
Die Unterscheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstel-
lung ermöglicht es Kant ferner, eine ausschließlich symbolische Erkenntnis von
Gott anzunehmen und einen Anthropomorphismus abzulehnen. Durch die
Trennung zwischen Bestimmungsfunktion und Analogie wird vermieden, dass
jede abstrakte Reflexion oder jedes subjektive Gefühl für einen Bestimmungs-
grund objektiver Erkenntnis gehalten wird. Der, wenn auch nur heuristische,
Unterschied zwischen Begriff, Schema und Sache selbst – in der Religion inner-
halb der Grenzen der bloßen Vernunft wird er als „μετάβασις εἰς ἄλλο γένος
(Übergang in eine andere Gattung)“427 beschrieben – begründet das komplexe
Geflecht unseres Denkens, innerhalb dessen die Reflexion für Kant nur eine
indirekte und derivative Funktion hat. Insbesondere ausgehend von der Religi-
onsschrift scheint es möglich, nicht nur von einer doppelten Versinnlichung,
sondern auch von einem doppelten Schematismus zu sprechen, da Kant präzi-
siert: „Das ist der Schematismus der Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht
entbehren können. Diesen aber in einen Schematismus der Objektsbestim-
mung (zur Erweiterung unserer Erkenntnis) zu verwandeln, ist Anthropomor-
phism“.428 Die Begriffe sind demnach zwar auf Gegenstände des Denkens über-
tragbar, stellen jedoch keine objektive Erweiterung des Denkens dar.429
Angesichts der kritischen Grenze zwischen Bestimmung und Reflexion
ist die Rede von einem doppelten Schematismus möglich, womit der Schema-
tismus selbst zum regulativen Begriff des Denkens wird. Und Kant ist sich
bewusst, dass an sich jedes Urteil, das sich nicht widerspricht, möglich ist, was
für ihn gleichzeitig bedeutet, dass es vorläufig ist und nur durch den Erwerb
von Gründen bestimmend werden kann. Dies ist ein Aspekt, den Kant am
Urteilen hochschätzt, wie etwa aus der Philosophischen Enzyklopädie hervor-
geht: „Es ist wunderbar, wie einem jeden bestimmenden Urteil ein vorläufiges
vorhergeht“.430 Die Vorläufigkeit ist konstitutives Element des Urteilens, das nur
427 Kant, AA VI: 64. Diese Anmerkung in der Religionsschrift ist entscheidend, um
die Bedeutung der Beschränktheit der menschlichen Vernunft für Kant zu erfas-
sen.
428 Kant, AA VI: 64. Siehe auch Kant, KU, B 258f., A 255: „So ist alle unsere Erkennt-
nis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand,
Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schema-
tisch nimmt, gerät in den Anthropomorphism, so wie, wenn er alles Intuitive weg-
lässt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht,
erkannt wird“. Siehe auch Kant, AA XX: 280. Zum Anthropomorphismus-Begriff
bei Kant siehe Becker 2011, S. 159.
429 Vgl. Kant, AA XVIII: 220 und Kant, AA XX: 363: „kein Schema kein[e] Erkennt-
nis“.
430 Kant, AA XXIX,1: 24.
157
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung
durch Erwerbung wahrer Gründe zur Bestimmung werden kann. Das vorläu-
fige Urteil als sprachliche Äußerung betrifft sowohl die Bestimmung als auch
die Reflexion, die als Weisen der Darstellung intuitionsbezogen sind: Auch die
symbolische Ebene bezieht sich – wenn auch nur indirekt – auf Anschauungen
(seien es Bilder oder Worte), die in der Erfahrung erworben werden. Es ist daher
nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass ein mögliches Urteil zum bestimmenden
Urteil wird, jedoch ist ausgeschlossen, dass ein reflektierendes Urteil zu einem
bestimmenden wird, falls der Begriff keine direkte Entsprechung in den Anschau-
ungen hat.
Nach Kant liegt der unrechte Gebrauch des Wortes ‚symbolisch‘ genau
darin, es der intuitiven Vorstellungsart entgegenzusetzten, weil die symboli-
sche Darstellung „nur eine Art der intuitiven ist“.431 Der intuitive Charakter der
Darstellungsarten verdeutlicht meiner Meinung nach, was es heißen kann, die
Darstellung als Versinnlichung aufzufassen. Denn die Darstellungsarten sind
beide intuitiv. Auf diese Weise hebt Kant den Unterschied zwischen cognitio
symbolica und cognitio intuitiva auf, der für Leibniz, Wolff und Baumgarten
grundlegend ist.432 Die symbolische Darstellung ist folglich nicht blind, bedient
sich der Anschauungen jedoch nur indirekt, weshalb übersinnlichen Gedanken
keine objektive Realität zugeschrieben werden kann. Und diese indirekte Dar-
stellung eines Begriffs ist weiterhin nicht mit der Funktion des Zeichens zu
verwechseln, weil – wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird – das Symbol bei
Kant nicht mit dem Zeichen gleichzusetzten ist, was zu der nicht zu unterschät-
zenden Konsequenz führt, dass eine solche symbolische Darstellung nicht in
einer formalen Zeichensprache zum Ausdruck kommen kann.
Es gibt keine Erfahrung, die nicht versinnlicht und im weitesten Sinne
schematisiert ist, da die symbolische Erkenntnis für Kant auf der schematisier-
ten Begrifflichkeit basiert. Die Anschauungsbezogenheit der Begriffe, sei sie
bestimmend oder analogisch dargestellt, ist ein wichtiger Aspekt von Kants
Theorie der Darstellung, die im Allgemeinen als eine transzendentale Lehre
der Versinnlichung der Begriffe interpretiert werden kann, da jeder Begriff, um
Begriff sein zu können, einer (direkten oder indirekten) Darstellung in den
Anschauungen bedarf. Daher sind die Anschauungen in dreifacher Weise zu
erörtern: Wenn sie Bedingungen der Realität empirischer Begriffe sind, stellen
sie Beispiele dar; wenn sie Bedingungen der Realität reiner Verstandesbegriffe
sind, stellen sie Schemata dar und wenn sie Bedingungen der (indirekten) Rea-
lität der Ideen sind, stellen sie Symbole dar. In dieser Struktur liegt zugleich
eine Abänderung der Schematismuslehre: Die Schematisierung, die in der Kritik
der reinen Vernunft empirische, rein sinnliche Begriffe und Verstandesbegriffe
umfasste, wird in der Kritik der Urteilskraft ausschließlich auf reine Verstan-
desbegriffe bezogen, und die Schemata empirischer Begriffe werden nur als Bei-
spiele bezeichnet. Es handelt sich demnach nicht um eine Erweiterung der
Schematisierung, sondern im Gegenteil um deren Abgrenzung gegenüber dem
symbolischen Denken und im weitesten Sinn der (empirischen) Sprache, inso-
fern die Schematisierung auf die Vermittlung zwischen reinen Anschauungen
und reinen Begriffen beschränkt wird.433 Sie wird mit anderen Worten von Kant
nicht zum Prozess einer vielschichtigen Bedeutungsgebung erhoben – wie er im
Keim in den drei Formen der Schematisierung der Kritik der reinen Vernunft
enthalten war –, sondern bezeichnet nun ausschließlich die Vermittlung zwi-
schen Anschauungen und Kategorien.434
Die in Bezug auf die empirischen und rein sinnlichen Schemata unter-
suchten Probleme werden also von Kant in der Abgrenzung zwischen Beispie-
len, Schemata und Symbolen aufgehoben, ohne dass dabei jedoch eine systema-
tische Theorie des Schematismus entwickelt würde, die in die angezeigte
Richtung einer Versinnlichungstheorie erweitert werden könnte, um so dem
Bewegungscharakter der symbolischen Darstellung gerecht zu werden, der
nach Kaulbach der grundlegende Charakter des Symbols ist und mit dem
Modell-Begriff zu vergleichen wäre.435 Der im vorherigen Kapitel untersuchte,
bestimmende Schematismus wirft gewisse Probleme auf: Vor allem die Bildung
der empirischen und reinen Begriffe scheint, wie gezeigt wurde, nicht auf einem
bestimmenden Schematismus zu beruhen, weil sie ein Prozess semantischer und
semiotischer Natur ist, in dem die Begriffe so vorkommen, als ob sie vorgegeben
wären, obwohl sie sich erst im Gebrauch bilden. Und ihr Gebrauch hat ausge
prägte symbolische Elemente, die später insbesondere von Herder herausgestellt
werden, der in gewisser Weise den symbolischen Versinnlichungsprozess in
den Schematismus einbettet. Für Kant hingegen ist dieser symbolische Prozess
Bedingung der Darstellung des Übersinnlichen und steht daher nur indirekt
und analogisch mit der schematischen Bestimmungsebene in Verbindung.
Unsere Untersuchung geht jedoch gerade in die entgegensetzte Richtung
und folgt darin, wie sich noch zeigen wird, den Spuren Herders. Es ist die Rich-
tung einer Erweiterung und Systematisierung des Schematismus als Versinn-
lichungslehre, die darauf abzielt, die symbolische Darstellung in Bezug auf die
Begriffsbildung zu thematisieren. Diese Erweiterung aber lässt sich nicht durch
den Schematismus selbst begründen, wie Kant ihn beschreibt. Man könnte
dagegen einwenden, dass Kant sich für diese genetische Frage überhaupt nicht
interessiert, da es in der Erkenntnistheorie nur um die Anwendungs- und Sub-
sumptionsproblematik zwischen Begrifflichkeit und Anschauungen gehe. Dem-
gegenüber denke ich an vielen Stellen gezeigt zu haben, dass die im Schema
tismus sich realisierende Begriffsbildung eine ursprüngliche Übertragung
erfordert, die sich im Wortlaut kristallisiert. Wir werden gleich in Bezug auf das
Bezeichnungsvermögen auf diese Problematik zurückkommen.
Der Unterschied zwischen Schemata und Symbolen ist auf einer moda-
len Ebene von großer Bedeutung, weil er es erlaubt, die empirisch beweisbare
Erkenntnis von der subjektiv metaphorischen Sphäre des Denkens zu unter-
scheiden. Jedoch erfolgen auch im Rahmen der empirischen und wissenschaftli-
chen Erkenntnis metaphorische Übertragungen, die sich sprachlich artikulie-
ren.436 Diese Übertragung kann in Bezug auf die Funktion der Antizipation für
den bestimmenden Charakter der Begriffe aufgezeigt werden.
Doch auch mit Kant lässt sich ein Schritt in diese Richtung gehen, weil
– wie er in der Kritik der Urteilskraft bemerkt – gerade „unsere Sprache voll
von dergleichen indirekten Darstellungen [ist], nach einer Analogie, wodurch
der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein
Symbol für die Reflexion enthält“.437 Die Sprache selbst kann folglich als ein
Versinnlichungsprozess erscheinen, in dem Schematisierung und Symbolisie-
rung verflochten und nur kritisch (modal) voneinander abzugrenzen sind, um
die objektive Realität unserer Urteile zu erkennen: Die Schematisierung kann
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit und apodiktischen Objektivität der Urteile
gelangen, während die Symbolisierung nur von möglichen Urteilen Gebrauch
macht.
Genetisch gesehen lässt sich jedoch die Reflexion als ständiger Übertra-
gungsprozess nicht von der Stabilisierung der Bedeutung auf der Ebene der
bestimmenden Urteilskraft trennen. Wie Makkreel zu Recht anmerkt, spielt die
Sprache in der indirekten symbolischen Darstellung von Ideen „eine umfassen-
dere, intuitive Rolle“438 und „wir können sehen, dass die empirische Geschichte
eines Wortes selbst Hinweise für die Reflexion auf seine Bedeutung geben
kann“.439 Deshalb führt er den Begriff der Bedeutsamkeit (significance) ein, um
436 Dieser Aspekt wird im nächsten Teil dieser Untersuchung anhand der Auffassung
der symbolischen Erkenntnis bei Maimon und des allegorisierenden Prozesses des
Metaschematismus bei Herder problematisiert und im dritten und letzten Teil in
Bezug auf die Funktion der Metaphern als Verkörperungsprozesse bei George
Lakoff betrachtet.
437 Kant, KU, B 257, A 253.
438 Makkreel 1997, S. 159.
439 Makkreel 1997, S. 160.
160
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
den nichtreferentiellen Typ von Bedeutung als Modus der symbolischen Dar-
stellung zu erklären.440 Was eigentlich zur Realisation kommt, ist somit nicht
der Begriff selbst, sondern sein Gebrauch, der im Fall der Reflexion schon eine
Interpretation der Erfahrung miteinschließt: „Während Schemata ein bestim-
mendes Lesen der Natur möglich machen, erlauben uns symbolische Darstel-
lungen zu einer reflektierenden Auslegung von Dingen zu kommen, die die
Natur übertreffen“.441 Die reflektierende Urteilskraft kann daher als eine Ebene
der Interpretation gedeutet werden, und zwar als „an expansive mode of thought
that appeals not just to the understanding, but to reason as a framework for
interpreting particulars“.442
Ist nun nicht die Sprache dieser gesamte Versinnlichungsprozess, der
den prozessualen und modalen Unterschied zwischen Schema und Symbol in
sich enthält? Wenn dem so wäre, würde die Sprache den Unterschied zwischen
bestimmender und reflektierender Urteilskraft umfassen. Mit dieser Interpre-
tation ginge jedoch zugleich das Risiko einher, den prozessualen Sinn der
schematischen Artikulation zu verkürzen, welche die sinnliche Gestaltung (zwi-
schen Bildern und Wortlauten) erfasst.443 Dieser Unterschied zwischen Schema
und Symbol wäre nicht aufgehoben, sondern dynamisiert, woraus sich die Auf-
gabe jeder Kritik am Status abstrakter Reflexion ergäbe, den mehrdeutigen
Bezug zur objektiven Realität auszubuchstabieren. Somit würde die Performanz
des symbolischen Denkens in die Bildung der Begriffe einfließen.
Dennoch findet sich in der symbolischen Darstellung eine ähnliche
Spannung zwischen Produkt und Prozess, wie sie hier bereits in Bezug auf den
Schematismus diskutiert wurde. Auf transzendentaler Ebene findet sich eine
solche Spannung zwischen Begriff und Urteil, auf sprachlicher Ebene eine zwi-
schen Wort und Satz. In der symbolischen Darstellung handelt es sich ebenfalls
um eine Spannung zwischen Begriff und Urteil, die auf sprachlicher Ebene zwi-
schen dem symbolisch angewandten Wort und dem metaphorischen Satz besteht.
440 Makkreel 1997, S. 165: „Die Schemata der ersten Kritik waren direkte Weisen der
Darstellung der Kategorien des Verstandes, die sie auf die Besonderheiten der Sinn-
lichkeit anwendbar machten. Sie wurden als semantische Regeln angesehen, die
den Kategorien objektive, referentielle Bedeutung (meaning) geben. Der in der
dritten Kritik eingeführte symbolische Modus der Darstellung fügt einen nichtre-
ferentiellen Typ von Bedeutung hinzu, den wir Bedeutsamkeit (significance) nen-
nen. Symbolische Darstellungen sind indirekte Weisen des Ausdrucks bestimmter
Ideen, die direkt mittels Begriffen nicht artikuliert werden können“.
441 Makkreel 1997, S. 166.
442 Makkreel 2006, S. 223.
443 Dazu Meier-Oeser 2011, S. 86: „Schema und Symbol, die bei Kant funktional an
die Stelle dessen treten, was in den älteren Tradition der cognitio symbolica durch
die Formel ‚Wörter oder andere Zeichen‘ benannt worden war, sind für ihn weder
Wörter noch Bilder im eigentlichen Sinn“. Auf diese Problematik werde ich im
nächsten Kapitel zurückkommen.
161
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung
Ein Symbol allein ist auf sprachlicher Ebene kein metaphorischer Satz –
auch nicht für Kant, wenn er in der Kritik der Urteilskraft behauptet, das Sym-
bol im Sinne einer Übertragung zu verstehen.444 Die Frage, ob Kant in der
Beschreibung der symbolischen Erkenntnis überhaupt über die Metapher spricht,
wird von Eckard Rolf mit Blumenberg und Gadamer in Verbindung gebracht,
die „diese Frage zur gleichen Zeit (1960) bejahen, der letztere eher nebenbei
(nämlich in Klammern), der erstere explizit“, was bedeute, dass „die Metapher
grundsätzlich eine bestimmte Art von Aussage, eine Prädikationsart sei. Das
jedoch, was die Metapher, d.h. die metaphorische Aussage oder Äußerung,
beinhaltet, kann ein Symbol sein“.445 Die Beispiele von Kant sind in der Tat kris-
tallisierte Metaphern, d.h. metaphorische Ausdrücke, die sich in Worten ver-
festigt haben: „So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), Abhängen (von oben
gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich aus-
drückt: der Träger der Accidenzen), und unzählige andere nicht schematische,
sondern symbolische Hypotyposen und Ausdrücke für Begriffe nicht vermit-
telst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit dersel-
ben, d.i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung
auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt kor-
respondieren kann“.446
In den Wörtern kristallisiert sich somit ein metaphorischer Prozess, der
eine implizite Geschichte in sich birgt und als metaphorische Spur der Begriffe
angesehen werden kann.447 Diese metaphorische Bestimmung betrifft gerade
Begriffe, die Beispiele von Kategorien sind, wie Riedel betont: „Die kritische
Sprachreflexion klärt auf, wie wir uns Begriffe dieser Art gebildet haben; wobei
herauskommt, daß dies nicht wesentlich anders geschieht als in der Bildung
444 Die Frage, ob das Prinzip des §59 der Kritik der Urteilskraft, demzufolge die
Schönheit ein Symbol der Sittlichkeit ist, diese Spannung wiedergibt, würde uns
vom Thema abbringen. Eines ist sicher: Mit dem Symbol ‚Schönheit‘ denken wir
nicht unmittelbar an die ‚Sittlichkeit‘ und wir bedienen uns einer Metapher, um
eine symbolische Verbindung zwischen ihnen zu herstellen, die sich als Urteil ent-
faltet.
445 Rolf 2006, S. 51. Auch Sebastian Maly (2012, S. 204–211) nimmt Bezug auf Blu-
menberg.
446 Kant, KU, B 257, A 253f.
447 Gerade diese metaphorische Spur kann mit der Auffassung der Wahrheit in Ver-
bindung gebracht werden, die Nietzsche in der Schrift Über Wahrheit und Lüge im
aussermoralischen Sinne wie folgt vertritt (KSA, I, S. 880f.): „Was ist also Wahr-
heit? Ein bewegliches Herr von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen
kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch
gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem
Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von
denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinn-
lich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als
Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen“.
162
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
jener Begriffe, die nur eine Bezeichnung und nicht den Begriff der Sache aus-
machen (wie die Kategorien). Begriffsbildung geschieht grundsätzlich durch
Analogie.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Begriffen und Symbolen besteht außer-
dem darin, dass der Gebrauch der Begriffe auf einer immer nur vorläufigen
Auswahl bestimmter Merkmale basiert, was sie den Symbolen annähert, deren
Bildung ebenfalls auf einer Auswahl beruht, indem etwa ein Teil einer Sache
zum Verständnis des Ganzen herangezogen wird. So sind auch die Kategorien
– als Begriffe, die an sich rein a priori gebildet werden sollten – nicht frei von
Bezeichnungswörtern, die eine indirekte Darstellung miteinschließen. Da die
Kategorien nicht empirisch gebildet werden können, jedoch auch nicht angebo-
ren, sondern erworben sind, stellt sich insbesondere in ihrem Fall die Frage, wie
sie eigentlich gebildet werden. Nicht zufällig ist die Kategorienbildung ein
Aspekt, auf den Maimon und Herder zurückkommen, was hier im nächsten Teil
untersucht werden soll.
Die Sprache, der die beiden Darstellungsarten sich bedienen, ist dieselbe,
während die zur Darstellung gebrachte Erfahrung verschieden ist, weshalb eine
Bedingung eingeführt werden muss, um sie zu unterscheiden – und zwar die
Möglichkeit einer direkten (oder indirekten) Bezogenheit auf die Anschauung.
Dieses Kriterium lässt sich regulativ anwenden. Zwar kann man behaupten,
eine gewisse Aussage über Gott sei bestimmend (schematisch), doch ist man
damit für Kant im Irrtum, weil es von Gott nur eine indirekte Darstellung geben
kann. Wie lässt sich jedoch dieser Unterschied in Bezug auf eine bekannte und
eine unbekannte Wahrheit erklären? Nach Kant ist der allgemeinste Begriff ein
‚Etwas‘. Wie also kommt ein unbekanntes Etwas zu einer bestimmten begriff-
lichen Bezeichnung? Hier kommt dem metaphorischen Prozess eine konstitu
tive Funktion in der Bildung der Begriffe zu. Diesbezüglich kann man zunächst
fragen, inwieweit ein symbolischer Prozess selbst wiederum eine neue Bestim-
mung hervorbringen kann.448
Im diskursiven Denken gibt es auf lexikalischer Ebene keine Unterschei-
dung zwischen Begriffs-Zeichen und Begriffs-Symbolen, weil beides Gestalten
sind, die in der Prädikation und in der Figuration zur Explikation gelangen.
Daher unterscheiden sich für Kant auf dieser Ebene auch Philosophie und Mathe-
matik voneinander. Für letztere funktionieren Zeichen wie feste Symbole, wäh-
rend erstere den diskursiven Charakter der Begriffe nicht überwinden kann, die
daher strukturell vieldeutig bleiben. Hier haben wir es mit einer Spannung zu
448 Insbesondere Emilio Garroni hat die Wichtigkeit des Beispiel-Begriffs bei Kant
hervorgehoben. Siehe dazu Garroni 1992, S. 142: „L’espressione ‘esempio’ […] aveva
tutti i requisiti per essere destinata a mutare profondamente l’orientamento gene-
rale della filosofia critica“.
163
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung
tun, insofern unser Gebrauch diskursiver Begriffe dem von Symbolen ähnelt,
weil der diskursive Gebrauch es wegen seiner Vieldeutigkeit erfordert, dass eine
(potentiell) unendliche Reihe von Merkmalen in einer sinnlichen Gestalt einge-
schlossen und gleichsam kristallisiert wird. In diesem Zusammenhang schei-
nen die Begriffe den Sachen so anzuhaften, dass keine Reflexion erforderlich ist,
um sie verstehen zu können. Die Reflexion erfolgt jedoch vor der Bestimmung.
Sie ist von vorläufigem Charakter, der – wie bereits mehrfach erwähnt – die
Erkenntnis gegenüber dem Denken auszeichnet. Hier sind alle an sich nicht
widersprüchlichen Urteile möglich, von denen nur einige zu bestimmenden
Urteilen werden können, und zwar all diejenigen, die in den Anschauungen eine
(nach Kant reine, sinnliche oder empirische) Darstellung finden. Alle anderen
Urteile bleiben reflektierende Urteile. Die schematische Versinnlichung ist
insofern das Kriterium des Übergangs von der Reflexion zur Bestimmung.
Die Frage, inwieweit dies einen intersubjektiv geteilten Gebrauch impli-
ziert, der immer wieder reflektiert werden muss, ist später insbesondere in der
Auseinandersetzung mit Wittgenstein vertieft worden.449 Im §40 der Kritik der
Urteilskraft erklärt Kant die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes gerade als
ständige Rücksicht auf die Vorstellungen der anderen in der eigenen Reflexion,
„um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und
dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, wel-
che leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Ein-
fluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, dass man sein Urteil an ande-
re, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in
die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die
unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert“.450
Im Anschluss an die Analyse des Versinnlichungsprozesses müssen zwei
problematische Aspekte hervorgehoben werden: Erstens denke ich gezeigt zu
haben, inwieweit die symbolische Darstellung in den Schematismus eingeführt
werden kann und welche sprach- und erkenntnistheoretischen Konsequenzen
sich für den Schematismus daraus ergeben würden. Zweitens möchte ich den
Status des Gefühls betonen, dem die systematische Stellung eines ursprüng-
lichen, schematisierbaren, im Leib verankerten Bewusstseins zukommt, denn:
449 Diesbezüglich soll hier insbesondere auf das Buch von Sara Fortuna Die Philoso-
phie des Kippbilds hingewiesen werden, das den Unterschied zwischen schemati-
scher und symbolischer Darstellung in Bezug auf die Bedeutung des Kippbilds bei
Wittgenstein untersucht (2012, S. 25f.): „Das Entscheidende ist, dass es sich dabei
bloß um eine bestimmte Gebrauchsweise von Sprache handelt, deren Besonderheit
Kant gegenüber dem normalen Gebrauch (bei dem die Wörter „Charakterismen“
sind) hervorheben will. Hier findet sich das Modell vom Kippbild wieder, in dem ein
Wort mehrere Bedeutungen haben kann, und wir uns dessen auch bewusst sind“.
450 Vgl. Makkreel 1997, S. 202f.
164
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
„Ästhetik ist die philosophie über die Sinnlichkeit, entweder des Erkenntnisses
oder des Gefühls“.451 Eine solche Gestaltung liegt dem Ausdruck zugrunde und
kann primär in der Kunst realisiert werden, die eine Versinnlichung ‚ohne
Begriff‘ miteinschließt, d.h. einen expressiver Gebrauch, der nicht diskursiv ist.
451 Kant, AA XVII: 492. Insbesondere Stephan Otto (2008, S. 104) problematisiert
einen gewissen Ausschluss der subjektiven Empfindung aus den objektiven Gren-
zen der Erkenntnis durch Kant anhand der Kritik Jacobis, welcher beobachtet: „Die
Vollkommenheit der Empfindung bestimmt die Vollkommenheit des Bewußtseyns
mit allen seinen Modifikationen. Wie die Rezeptivität, so die Spontaneität, wie der
Sinn, so der Verstand“.
452 Kant, KU, B 145f., A 143f. Siehe dazu Wagner 2008, S. 155.
453 Kant, KU, B 203f., A 201f.
165
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung
454 Ich erinnere an die Reflexion von Kant AA XV: 108, auf die ich mich schon in Kap.
II.5 bezogen habe: „Die Sinne sind entweder objectiv oder subjectiv. Die erstere
gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder Form (Gesicht und Gehör). Die letztere
entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht und Gehör“. Kant unterscheidet den Aus-
druck im Sprechen in Artikulation (Worte), Gestikulation (Gebärden) und Modu-
lation (Töne). Siehe dazu KU, B 205, A 203.
455 Vgl. Esser zur Bestimmung der Bewegung (1997, S. 174): „Der Begriff der Bewe-
gung ist daher aus der Reflexion auf unser Sehen erst gewonnen und bestimmt
nicht die Vorlage selbst oder prädeterminiert deren Apprehension, indem er sie in
das Schema zwingt. Das wird also erst in der Reflexion über das sinnliche Aufneh-
men, über die Akte des Sehens oder Hörens konstituiert“. Auf das Problem der
Bewegung werde ich im dritten Teil in Bezug auf das Körper-Schema zurückkom-
men.
456 Deleuze 2003, S. 86f.
166
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
jedoch trotzdem Bedingungen der Erfahrung sind. Sie sind diskursiv, aber den-
noch keine Metaphern. Sie werden durch Reflexion erzeugt, also durch eine
derivative Art der Versinnlichung, zu der es lediglich der Worte bedarf. Bewe-
gen wir uns im Kreis?
Führen wir uns die verschiedenen Ebenen der Schematisierung noch
einmal vor Augen: Bei der empirischen Schematisierung ist der Übergang von
der Reflexion zur Bestimmung weniger problematisch. Genetisch gesehen ist er
möglich, weil die Reflexion den Status der Hypothese annehmen kann, die dann
empirisch überprüft wird. Dieser Prozess betrifft auch all diejenigen erworbe-
nen Begriffe, deren Gebrauch wir erlernen und fast für selbstverständlich hal-
ten. Im Falle empirischer Urteile können wir in der Regel zwischen einer
bestimmenden und einer metaphorischen Redeweise unterscheiden. Es handelt
sich um erstere, wenn sich empirische Gründe für das Urteil anführen lassen;
geht dies nicht, haben wir es mit einem metaphorischen Ausdruck zu tun, der
sich nur indirekt auf die empirische Realität bezieht.
Die sinnliche Schematisierung dagegen beinhaltet eine Konstruktion,
die sich grundsätzlich von der Bestimmung der empirischen Schematisierung
unterscheidet, da es in ihr zu einer vollkommenen Entsprechung zwischen Begriff
und Anschauung kommt. So gibt es eindeutige Regeln für die Konstruktion
etwa geometrischer Figuren – was sich für die Konstruktion von Diagrammen
nicht uneingeschränkt behaupten lässt, da letztere immer auch diskursive Kom-
ponenten enthalten. Die Konstruktion mathematischer Figuren erweist sich
daher als regulatives Ideal, an dem die Überprüfbarkeit der Erkenntnis restrik-
tiv gemessen werden kann.
Im philosophischen Denken ist hingegen im Unterschied zur empiri-
schen und sinnlichen Schematisierung keine Übereinstimmung von Begriff
und Anschauung möglich, weshalb die Begriffe auch nicht gebildet werden kön-
nen, indem von Anschauungen abstrahiert wird. Gleichzeitig aber handelt es
sich bei philosophischen Urteilen nicht – wie in der Mathematik – um Defi-
nitionen. Trotzdem können sie nicht einfach als metaphorisch beschrieben wer-
den, da in ihnen die Möglichkeit enthalten ist, bestimmend zu sein. Um die
Transzendentalphilosophie als bestimmend zu charakterisieren, verfolgt Kant
daher die Strategie, sie als Bedingung der Entstehung von Bedeutung auszuwei-
sen. Dies erfolgt auf propositionaler Ebene, auf der die Urteilskraft nicht rein
reflexiv, sondern bestimmend wirkt, was systematisch in den Grundsätzen aus-
geführt wird. Wir haben hingegen gesehen, inwiefern sich in einer Unter-
suchung des Schematismus die Gegebenheit der Begriffe als problematisch
erweist, die doch eigentlich Grundlage der Schematisierung sein sollte. Doch
der Schematismus leistet meines Erachtens nicht nur die Synthesis zwischen
Begriffen und Anschauungen – denn dies würde bereits die Gegebenheit von
Begriffen voraussetzen – sondern kann so aufgefasst werden, dass er gerade die
168
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Bildung von Begriffen ermöglicht. Begriffe formieren sich zunächst als laut
liche Einheiten und werden folglich lautlich versinnlicht. Das gilt ausdrücklich
auch für reine Begriffe, d.h. also solche, denen keine Anschauung zugeordnet
werden kann, wenn Versinnlichung hier eben nicht diese mechanische Zuord-
nung bedeutet, sondern für den Prozess der Formierung des Begriffs als Wort-
laut steht – wobei mit Wortlaut verständlicherweise nicht allein die arbiträre
Form gemeint ist, sondern der grundlegendere Umstand, dass Begriffe erst in
ihrer sinnlichen (und das heißt vor allem: zeitlichen) Äußerung Realität haben
und nur so gedacht werden können. Obwohl somit das Resultat dieses Prozesses
als geschlossene Bestimmung erscheinen kann, impliziert der Prozess eine im
weitesten Sinne metaphorische Übertragung. Dem trägt eine Wendung aus der
Logik Dohna-Wundlacken Rechnung, die aus Sicht der Kritik der reinen Ver-
nunft zunächst überraschend erscheinen mag: „Die ersten Philosophen waren
Poeten. Es gehörte nämlich Zeit dazu, für abstrakte Begriffe Worte auszufin-
den, daher man anfangs die übersinnlichen Gedanken unter sinnlichen Bildern
vorstellte“.459
Die metaphorische Übertragung versinnlicht den ideellen Begriff und
kann Grund der Kristallisation sogar philosophischer Begriffe sein. Die Ver-
sinnlichung ist in diesem Fall ein Gebrauch. Wenn also der metaphorische Pro-
zess einerseits eine abgeleitete Funktion hat, indem er sich der Begriffe so
bedient, als ob sie vorgegeben wären, so hat er andererseits auch eine ableitende
Funktion, indem er die Begriffe selbst transformiert. Die symbolische Darstel-
lung erweitert den bestimmenden (im engsten Sinn schematischen) Gebrauch
der Begriffe, was deshalb möglich ist, weil beide Versinnlichungen urteilende
Tätigkeiten und Gebrauchsweisen sind. Es handelt sich daher um eine Sym-
bolisierung und nicht nur um eine Festlegung von Symbolen – ansonsten wäre
unser Denken eine Reihe von schematischen Abkürzungen ohne propositiona-
len Gebrauch. Durch den metaphorischen Prozess erst wird die Schematisierung
dynamisch, weil das Schema und die in ihm eingeschlossenen Prädikate zum
Zwecke neuer begrifflicher Konstellationen übertragen werden; somit „wirken
die sprachlichen und nicht-sprachlichen Metaphern hier ursprünglich-organi-
sierend. Sie entziehen sich der begrifflichen Positivierung“.460 Die im metapho-
rischen Prozess enthaltene Reflexion wirkt auch antizipatorisch, weil sie einen
bestimmten Inhalt extrapoliert und so die Darstellungskraft der Bedeutungs-
erfahrung erweitert,461 wie auch Fortuna anmerkt: „Metaphorische Ausdrücke
haben demnach kein wörtliches Äquivalent, sondern die primäre gegenständ
459 Kant, AA XXIV: 698. Den Hinweis auf dieses Zitat habe ich Mirella Capozzi zu
verdanken, siehe insbesondere Capozzi 2006.
460 Abel 1993, S.83.
461 Vgl. Makkreel 2006, S. 242.
169
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung
Der sprachliche Charakter der Vernunft und ihrer Begriffe ist der Ausgangs-
punkt für die Metakritik Hamanns am sogenannten Purismus der Vernunft,
und es ist zugleich einer der Kernpunkte der kritischen Auseinandersetzung
mit der kantischen Philosophie in der Nachfolge. Trotz der Tatsache, dass Kant
die Betrachtung der Sprache nicht in die Transzendentalphilosophie einführt,
finden sich in Kants Schriften zahlreiche Spuren zur Sprache, denen auch in der
Kantforschung immer mehr Beachtung geschenkt wird.463 Inwieweit Kant über
die Sprache geschwiegen hat oder inwieweit es unterschiedliche Phasen in sei-
nem Denken über die Sprache gibt, ist eine Frage, die in der Kantforschung
kontrovers diskutiert wird, wobei unterschiedliche Ursachen in Betracht gezo-
gen werden, um zu erklären, weshalb eine systematische Untersuchung der
Sprache bei Kant fehlt.464
Einige Aspekte der Sprachtheorie Kants sind bereits im Zusammenhang
der ersten zwei Kapitel erwähnt worden und sollen hier nur noch einmal kurz
zusammenfasst werden. Eine eigenständige Rekonstruktion kann an dieser
Stelle dagegen nicht unternommen werden. Mir geht es vielmehr darum, die
transzendentale Systemstelle zu beschreiben, an der eine Untersuchung der
463 Insbesondere Capozzi (2012) untersucht bei Kant das Verhältnis zwischen Begriff
und Wort und die Relevanz des Bezeichnungsvermögens für die Begriffsbildung.
Dazu auch Formigari 1994. Für eine Zusammenfassung der unterschiedlichen
Ansätze siehe auch Forgione 2006, S. 16–23.
464 Tullio De Mauro (1965) hat die Frage nach Kants ‚Schweigen‘ bezüglich der Sprache
aufgeworfen. Zur Kritik der kantischen Auffassung der Sprache ist sicherlich die
Untersuchung von Jürgen Villers (1997) erneut zu erwähnen, der eine ausführliche
Rekonstruktion der ‚historischen und systematischen Gründe für die Sprachlosig-
keit der Transzendentalphilosophie‘ entfaltet. Siehe dazu auch Paltrinieri 2009,
S. 141 und Nawrath 2010, S. 207f. Ob Kant eine Philosophie der Sprache vertreten
hat, ist die Frage des Aufsatzes von Michael Forster (2012), der diese Problematik
auf die unterschiedlichen Phasen des kantischen Denkens bezieht.
171
VII. Zeichen und Symbol
Sprache zu verorten wäre.465 Gerade deshalb habe ich mich vor allem in der
Behandlung der Sinnlichkeit und des Monogramms auf die Sprache bezogen.
Zuerst soll die schon angedeutete Funktion der Sprache zusammengefasst wer-
den, um dann die Abgrenzung zwischen Darstellung und Bezeichnung bei Kant
angehen zu können. Die Sprache wurde hier zum ersten Mal in Bezug auf die
Behandlung des Unterschieds zwischen Urteil und Satz thematisch: beide sind
sprachlich und nur auf modaler Ebene zu differenzieren. Das bedeutet, dass es
nach Kant kein sprachloses Denken gibt. Mit dem Urteilen wird also die Sprache
zum Problem, und die Darstellung lässt sich nicht vom Urteilen trennen, sei es
bloß bestimmend oder reflektierend.
Das Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen, das sich direkt
oder indirekt im Urteilen realisiert, ist nicht willkürlich, weil die Darstellung
selbst bei Kant nicht willkürlich ist. Damit ist zugleich der grundlegende Unter-
schied zwischen Symbolen und Zeichen angesprochen, insofern letztere ein
willkürliches Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen herstellen und
dazu dienen, Begriffe hervorzurufen.466 Dass zwischen Zeichen und Symbol
eine klare Trennung vorgenommen werden sollte, geht bereits aus einer frühen
Bemerkung zu §440 der Vernunftlehre Meiers hervor. Zu Meiers Definition des
Zeichens als „signum, symbolum“467 präzisiert Kant wie bereits erwähnt: „Nicht
jedes Zeichen ist Symbol“.468
In der Kritik der Urteilskraft grenzt Kant die zwei Arten der Darstel-
lung sehr deutlich vom Bezeichnungsvermögen ab, das Charakterismen ver-
wendet, die „Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen“
sind und „die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten,
sondern nur jenen, nach dem Gesetze der Assoziation der Einbildungskraft, mit-
hin in subjektiver Absicht, zum Mittel der Reproduktion dienen; dergleichen
465 Daher bewegt sich meine Untersuchung im Horizont der transzendentalen Seman-
tik von Hogrebe (1976), der die Sprache in Bezug auf die Vermittlungsfunktion des
Schematismus behandelt. Vgl. Schönrich 1981. Siehe dazu auch Di Cesare 1997,
S. 183.
466 Wie schon erwähnt, heißt es in den Vorlesungen über die Metaphysik (AA XXVIII:
238): „Die Erkenntnis ist symbolisch, wo der Gegenstand in dem Zeichen erkannt
wird; aber bei der diskursiven Erkenntnis sind die Zeichen nicht Symbola, indem
ich in dem Zeichen nicht den Gegenstand erkenne, sondern das Zeichen mir nur die
Vorstellung von dem Gegenstand hervorbringt“. Rolf vergleicht (2006, S. 8) den
willkürlichen Charakter des Zeichens bei Kant mit dem Ansatz Saussures.
467 Meier, Vernunftlehre §440. In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeich-
nungskunst und die Gleichsetzung von ‚Zeichen‘ mit ‚signum, symbolum‘ bei
Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f.
468 Kant, R 3398a, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen“, d.h. als eine
„analogische Anschauung“ beschrieben. Diese Problematik ist von mir auch in
Kap. V.2.3 in Bezug auf die semiotische Deutung des Monogramms in Betracht
gezogen worden.
172
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
sind entweder Worte, oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als
bloße Ausdrücke für Begriffe“.469 Somit wird nicht nur die Bezeichnung, die eine
bloß willkürliche Begleitung der Begriffe ist, auf die instrumentelle Funktion
der Zeichen reduziert, sondern auch die sprachliche Ausdrucksfunktion als solche
(abgesehen von der Dichtkunst). Dies erschließt sich ebenfalls aus der Unter-
suchung des Bezeichnungsvermögens in der Anthropologie, in der die symbo
lische Darstellung von der Zeichenverwendung unterschieden wird: „Charaktere
sind noch nicht Symbole; denn sie können auch bloß mittelbare (indirekte) Zei-
chen sein, die an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf
Anschauungen und durch diese auf Begriffe führen; daher die symbolische
Erkenntnis nicht der intuitiven, sondern der diskursiven entgegengesetzt werden
muss, in welcher letzteren das Zeichen (charakter) den Begriff nur als Wächter
(custos) begleitet, um ihn gelegentlich zu reproduzieren“.470
Andererseits deutet Kant den Gebrauch der Zeichen im Zusammenhang
der engen Verbindung zwischen Zeit und Gehör. Dieses nimmt keine (visuelle)
Gestalt wahr; es richtet sich auf die abstrakte Form selbst und dient zur Bezeich-
nung des abstrakten Charakters der Begrifflichkeit. Die Dimension des Den-
kens ist schon immer eine der Sprache und diese ein innerliches Hören – wie
folgende Bemerkung Kants aus der Anthropologie zeigt:
„Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umgekehrt die vor-
züglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, dieses
größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen. Denken ist Reden mit
sich selbst […] folglich sich auch innerlich (durch reproductive Einbil-
dungskraft) Hören“.471
Diese Verbindung zwischen Denken, Hören und Zeit wurde in Bezug auf die
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit untersucht, um zu zeigen, dass sie in der
Konzeption der Einbildungskraft enthalten ist und eine wesentlich bedeutende-
re Stellung in der Erkenntnistheorie einnehmen sollte, als dies von Kant sugge-
riert wird, der sie zu Unrecht nicht in die Transzendentalphilosophie einführt,
wie hier argumentiert wurde. Diese Verbindung sollte entsprechend nicht der
reproduktiven, sondern der produktiven Einbildungskraft zugeschrieben wer-
den. Die Reproduktion dagegen ist für Kant eng mit der Assoziation und dem
Gedächtnis verknüpft.472 Wie bereits gezeigt werden konnte, nimmt Kant einen
Primat des Gehörs bei der Verwendung von abstrakten Begriffen an, indem er
den Taubgeborenen die Fähigkeit zum Besitz abstrakter Begriffe abspricht.
Unter den Sinnen zeichnet sich das Gehör tatsächlich dadurch aus, dass es keine
Vorstellung des Gegenstandes hervorbringt, sondern sie nur begleitet, wie am
Beispiel der Hervorbringung der Gestalt durch das Sehen (das Gesicht) und den
Tastsinn erklärt werden konnte. Wenn wir die bis hier beschriebene Funktion
des Gehörs mit der oben genannten Bestimmung der Zeichen vergleichen, „die
an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf Anschauungen
und durch diese auf Begriffe führen“,473 kommen wir meines Erachtens zu fol-
gender Schlussfolgerung: Im Übergang vom konkreten Bild zum abstrakten
Wort spielen die Sinne eine zentrale Rolle. Und angesichts der begleitenden
Funktion des Gehörs ist dieser Übergang kaum von der sprachlichen Bezeich-
nung zu trennen, indem gerade das Gehör exakt die Eigenschaften der Zeichen
besitzt, nämlich nicht an der Gestalt des Gegenstandes beteiligt und zugleich
zeitlich zu sein. Gerade das Gehör, das – wie bereits erwähnt – „auf die Zeit ein-
schlägt“,474 begleitet alle Verstandesvorstellungen vom Objekt.
Die lautlichen Zeichen befinden sich im Einklang mit dem formalen
Charakter der akustischen Wahrnehmung und mit der zeitlichen Verinnerli-
chung wahrgenommener Merkmale. Trotzdem sind die Zeichen bloße Begleiter
dieser Wahrnehmung, die an sich eine begriffliche Gestaltung und keine zei-
chenhafte zu sein scheint. Den Zeichen kommt Kant zufolge dennoch eine
wichtige Funktion im Denken zu, da sie bestimmte Gedanken und Begriffe ins
Gedächtnis rufen. Ohne Zeichen könnten wir keine Begriffe verwenden, gerade
weil diese sonst keine Form hätten. Und – wie es in den Vorlesungen über Meta-
physik heißt – „Worter sind nicht symbola, denn sie geben kein Bild ab“.475 Mit
Sinnlichkeit bezeichnet Kant sowohl die Vorstellung des Gegenstandes durch
den Sinn (also in dessen Gegenwart), als auch diejenige Vorstellung ohne die
Gegenwart des Gegenstandes, welche die Einbildungskraft vollzieht. Daher bin
ich zu dem Schluss gekommen, dass die Sinne keine bloßen Rezeptoren sind,
sondern eine grundlegende Rolle in der Vorstellung der Gegenstände und, wie
wir anschließend sehen werden, für die Möglichkeit ihrer Bezeichnung spielen.
Dies ist ein Aspekt, der in der Kritik der reinen Vernunft nicht ausführlich
behandelt wird, da Kant die Anschauung dort unter Abstraktion von jeder empi-
„In unsrer Muttersprache sind wir von den sachen zu Worten, in einer
fremden von den Worten zu Sachen gekommen; daher in der unbekann-
ten die Worte die Sachen und alsden dadurch die Muttersprache geben,
aber umgekehrt nicht“.476
Ich denke, dass gerade diese Reflexion die grundlegende Rolle der Sprache bei
Kant hervorhebt, die sich als Bedeutungsgebung auf den Prozess des Schema-
tismus gründet, bei dem es sich nicht um einen Anpassungsprozess handelt, in
dem die Bedeutung als solche schon vorgegeben ist, sondern sich erst in der
Gestaltung realisiert. Daher stellt der Schematismus einen Referenzprozess dar,
in dem das Schema den Begriff bedeutet und im Erlernen der Sprache zugleich
Zugang zur Sache ist.
Das Zeichen ist für Kant nicht am Inhalt der Vorstellung beteiligt. Ihm
kommt als Resultat einer willkürlichen Beziehung eine formale Funktion zu,
die jedoch bei Kant eine bloße Begleitung der Begriffe durch Wörter ist. Und
diese Begleitung setzt schon einen Gebrauch der Sprache voraus. Das ist der
Grund, warum ich mich von Kant distanzieren und im folgenden, dritten Teil
der Untersuchung auf Zeichen und Symbole als Gebrauchsweisen sinnlicher
Gestalten beziehen werde. Denn Zeichen und Symbole sind selbst wohlgemerkt
keine Gestalten, sondern können als solche gebraucht werden, was darauf hin-
weist, dass ihnen eine Funktion in Gebrauchs- und Interpretationspraktiken
zukommt. Daher ist Kants strikte Trennung zwischen Zeichen und Symbolen
meines Erachtens zwar ernst zu nehmen, wobei jedoch präsent gehalten werden
muss, dass er ihren Status als Gebrauchsweisen und mithin als transzendentale
Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung gerade nicht sieht, was
letztlich dazu beiträgt, dass die Sprache und das Zeichen innerhalb der kanti-
schen Systematik von nur geringer Relevanz sind. Nur am Rande soll erwähnt
sein, dass die wesentliche Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung
auch Konsequenzen für Kants Beurteilung der unterschiedlichen Sprachen hat –
wie aus den Vorlesungen über die Anthropologie (schon aus den Jahren 1772/1773)
deutlich hervorgeht: Während die griechische Sprache durch die lautliche Arti-
kulation die Abstraktheit der Begriffe erreichen kann, wird das Chinesische von
Kant als eine Sprache beschrieben, die der Starrheit des Bildes verhaftet bleibe
– dieselbe Starrheit, die den ersten Spracherwerb bei Kindern auszeichnet.
Anhand der sprachphilosophischen Versuche Humboldts und Hegels, die es im
nächsten Teil der Untersuchungen zu berücksichtigen gilt, wird deutlicher wer-
den, inwieweit Kants Trennung zwischen Darstellung und Bezeichnung zur
negativen Beurteilung sowohl des Sprachgebrauchs bei Taubgeborenen als auch
des Chinesischen führt. Insbesondere Humboldts ‚antisemiotischer Ansatz‘ und
seine Annahme einer dynamischeren Verbindung zwischen Darstellung und
Bezeichnung werden sich als ein schlüssigerer Ansatz hinsichtlich der Artiku-
lation erweisen, die nicht mit der Begleitungsfunktion der Zeichen zu verwech-
seln ist.477
477 Siehe dazu Kant, AA XXV, II: 126, 338. Siehe dazu insbesondere Kap. IV des zwei-
ten Teils. Diese konstitutive Auffassung der Bezeichnung in Bezug auf den doppel-
ten Schematismus bei Kant ist der Ausgangspunkt für Sara Fortuna in ihrer Unter-
suchung zum Problem des Kippbilds. Sie beobachtet (2012, S. 37): „Die Beziehung
nämlich, die ursprünglich zwischen sinnlichem Schema und symbolischem Schema
besteht, ist keineswegs willkürlich und ebenso wenig ikonisch (in der allgemeinen
Bedeutung von Ikonizität als natürlicher Ähnlichkeit). Es handelt sich vielmehr um
eine Verbindung von Bedeutung und Zeichen, die a posteriori auf die Verdoppelung
der ersten Ebene der Wahrnehmung, die von der Einbildungskraft hervorgebracht
wird, aufbaut und weshalb alle, die eine Sprache beherrschen, Lautbild und Bedeu-
tung als miteinander verknüpft empfinden; die Verbindung von Bedeutungen und
176
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
Die zeitliche Natur des Zeichens lässt sich nicht auf die „Erkenntnis des
Gegenwärtigen als Mittel der Verknüpfung der Vorstellung des Vorhergesehen
mit der des Vergangenen“478 verkürzen, wie Kants Definition des Bezeichnungs-
vermögens lautet. In transzendentaler Hinsicht ist also eine produktive zeitliche
Dimension des Zeichens anzunehmen, die Kant nicht in seine Erkenntnistheo-
rie einbettet, in der Zeit und Raum als transzendentale Anschauungen gelten.479
In der Anthropologie hingegen lässt sich eine solche Dimension erkennen, die
ich unter dem Oberbegriff eines Prozesses der Versinnlichung in die Transzen-
dentalphilosophie einführen möchte. Die Gründe dafür werden meines Erachtens
von Kant selbst bereitgestellt – und zwar in seinen Überlegungen zum Zusam-
menhang zwischen Anschauungen, Sinnen und Begriffen. Zugleich lassen sich
auf diese Weise die offenen Probleme des Schematismus erklären, der ohne die
Annahme einer solchen Versinnlichung nicht als Prozess der Gestaltung von
Bedeutungserfahrung verstanden werden kann. Im nächsten Teil der Unter-
suchung werde ich zeigen, dass die metakritischen Revisionsversuche gerade
darauf zielen, die eigentümliche Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit und mit
ihr der Sprache hervorzuheben.480
Lauten wird von den Sprechenden als notwendig wahrgenommen, ohne dass dies
auf eine objektive Begründung zurückgeführt werden könnte“.
478 Kant, AA VII: 191.
479 Reinhard Brandt (1994, S. 31) bezieht diese Zeit-Problematik im Allgemeinen auf
die Unterscheidung zwischen Transzendentaler Ästhetik und Anthropologie:
„Hierauf beharrt die Anthropologie und nötigt damit die ‚transzendentale Ästhe-
tik‘, sich in folgender Alternative zu entscheiden: Entweder werden Raum und Zeit
aus der perspektivlosen Anschauung eines omnipräsenten Wesens entwickelt, oder
aus der Perspektivbindung des Menschen. Wenn das letztere der Fall ist, gehören
zu den notwendigen Vorstellungen beim Raum ein jeweiliges Hier und bei der Zeit
die modalen Zeitbestimmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie
sie in der kantischen Anthropologie tatsächlich entwickelt werden, während die
‚Transzendentale Ästhetik‘ sie rigoros ausschließt“.
480 Riedel 1989, S. 60.
R evision
des S chematismus in
der N achfolge K ants
Im vorherigen Teil habe ich die Schematismuslehre untersucht und dabei ins-
besondere zwei unterschiedliche Formen der Darstellung beschrieben: Die
schematische und symbolische Darstellung bilden Kants Lehre einer doppelten
Versinnlichung, die er wiederum vom Bezeichnungsvermögen abgrenzt. Der
Schematismus artikuliert sich zwischen der Konkretheit der einzelnen Anschau-
ungen und der Abstraktheit der Begriffe, und ihm wird die schwierige Aufgabe
zugeschrieben, die Bedingung der Bedeutung zu sein, ohne dabei jedoch die
irreduzible Unbestimmtheit der einzelnen Anwendungen aufzuheben. Der
Schematismus ermöglicht die Bestimmung eines partikulär Erkennbaren, aber
er löst sich nicht in ihm auf. Er lässt das Denken zur Erkenntnis gelangen, ohne
dadurch die Erfahrung des Partikularen auf ein hypostasiertes Allgemeines zu
reduzieren, dem keine Veränderungen zukommen. Er ermöglicht den Übergang
von einzelnen Anschauungen zu Begriffen durch Gestaltungsformen (wie Bil-
dern, Zeichen, Wörtern). Er kann jedoch nicht mit diesen Gestaltungsformen
gleichgesetzt werden, weil er die Methode der Gestaltung selbst ist, in der letzt-
lich der spezifische Gehalt der einzelnen Anwendungen nicht vorgeschrieben
werden kann. Dabei ermöglicht er die Bedeutungsgestaltung, die sich weder von
den Gestaltungsformen noch von deren Gebrauch ablösen kann. Doch dieser
Gestaltungsprozess selbst wird von Kant nicht ausführlich entfaltet.
In der Tat scheint Kant in der Kritik der Urteilskraft für die ausschließ-
liche Beschränkung des Schematismus auf das reine Erkenntnisvermögen zu
argumentieren: Der Schematismus ist dort nur für die Anschaulichkeit der rei-
nen Verstandesbegriffe zuständig, also nicht mehr für die empirischen Begriffe
und sowieso nicht für die Vernunftbegriffe, welche nur durch Symbole versinn-
licht werden können. Und in der Anthropologie wiederum werden diese Gestal-
tungsformen, trotz ihrer Untersuchung im Zusammenhang von Sinnlichkeit,
Einbildungskraft und Bezeichnungsvermögen, nicht in das System einer trans-
zendentalen doppelten Versinnlichungslehre eingeführt. Dort werden auch die
180
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Gestalten der Dinge, „so fern sie nur zu Mitteln der Vorstellung durch Begriffe
dienen“, als Symbole und die daraus resultierende Erkenntnis als „symbolisch
oder figürlich (speciosa)“ bezeichnet.1 Die anthropologische Untersuchung ist
jedoch außerhalb des Systems situiert, obwohl sie möglicherweise mit diesem
kompatibel wäre. Somit wird der Schematismus selbst nicht zum prozessualen
Verbindungsfaden der Gestaltungsformen, der er potentiell hätte sein können.
Der gestalterische Charakter der schematischen und symbolischen
Erkenntnis kann daher als eine von Kant offen gelassene Problematik angesehen
werden, die er selbst in gewisser Weise im Opus Postumum anspricht, wenn er
behauptet, dass „Ideen Dichtungen sind“.2 Diese in der unmittelbaren Nachfol-
ge Kants unbekannte Behauptung über den dichterischen Charakter des Den-
kens wird hingegen zum Leitmotiv der Revision seiner Philosophie. Sie wird als
ein systematisches Erfordernis angesehen, das nicht nur den Status der Ideen
selbst, sondern im Allgemeinen die ganze Architektonik der kantischen Phi-
losophie betrifft und von einer gewissen – oft dualistisch gedeuteten – Auffas-
sung von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit ausgeht, die es weiter zu entwickeln
gelte. Die von mir bislang als heuristisch bezeichnete ‚isolierende Methode‘
Kants wird damit zum erkenntnistheoretischen Problem erhoben. An dieser
Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die genetische Bestimmung der Trans-
zendentalphilosophie eine Reaktion auf Kant ist, obwohl Kant selbst bereits die
für diese Bestimmung notwendige transzendentale Wende geschaffen hat. Der
Versuch, die unterschiedlichen Bestandteile dieses Prozesses heuristisch zu
trennen, kann als transzendentaler Versuch gedeutet werden, vor dem eigent-
lich semantischen Prozess selbst die Bedingungen seiner Gestaltung auszu
buchstabieren. Das kantische System stellt meines Erachtens die Grundlagen
für diese semantische Interpretation der Transzendentalphilosophie bereit und
enthält bereits das ihr eigentümliche Potential, das es allerdings zu explizieren
gilt. Diese Perspektive – die von Anfang an profiliert wurde – führt meine
Untersuchung damit notwendigerweise über die primär interne Rekonstruktion
der kantischen Philosophie hinaus, wie sie im ersten Teil durchgeführt wurde.
Im zweiten Teil der Untersuchung wird die Umgestaltung der Schema-
tismuslehre in der Nachfolge Kants untersucht. Diesbezüglich möchte ich zwei
unterschiedliche Ansätze zur Untersuchung heranziehen: Erstens werde ich
zeigen, dass in der Nachfolge Kants Schematismuslehre mit dem Ziel revidiert
wird, einen Ort für die Sprache im weitesten Sinne zu schaffen und eine radikal
prozessuale Auffassung des Denkens zu entwickeln. Zweitens werde ich gegen
Ende der Darstellung dieser Revisionsversuche erklären, inwieweit diese Auf-
fassung mit der Schematismuslehre als Versinnlichungslehre kompatibel ist. Ich
„Alle ‚Metakritik‘, die gegenüber der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ ver-
sucht wurde, knüpfte immer wieder an diesen Punkt (Sprache) an und
versuchte, von ihm aus das kantische System aus den Angeln zu heben.
[…] Und doch hat die ‚Kritik der reinen Vernunft‘, obwohl sie selbst den
Problemen der Sprache fernstand, durch die mittelbaren Wirkungen, die
von ihr ausgegangen sind, auch die Form der Sprachphilosophie ent-
scheidend umgestaltet“.3
Ich werde mich im Folgenden häufig auf die transzendentale Stellung des
Schematismus beziehen, womit der Schematismus als Bedingung der Bedeu-
tung gemeint ist, die durch die Einbildungskraft gestaltet wird. Ich beziehe mich
damit nicht direkt auf den Schematismus, weil dieser in der Nachfolge meist für
überwindbar oder gar für überflüssig gehalten wird. Trotzdem sollen die Kon-
sequenzen dieser Überwindungsversuche untersucht und zugleich gezeigt wer-
den, dass die Schematismuslehre in der Nachfolge zu Unrecht als verzichtbar
beschrieben wird.
Mein Vorhaben ist es hier, den philosophischen Wert dieser Umgestal-
tung der Schematismuslehre aufzuweisen, die nur auf den ersten Blick statisch
zwischen Bildern und Begriffen situiert ist, bei genauerem Hinsehen jedoch
dynamisch, in ständiger Wechselwirkung zwischen transzendentalen Bedin-
gungen, Prozessen und deren Produkten zur Entfaltung kommt. Im Schema-
tismus findet man tatsächlich diejenige alte Spannung zwischen energeia und
ergon wieder, die seit Aristoteles diskutiert und insbesondere von Humboldt in
Bezug auf die Sprache untersucht wird. An dieser Stelle sollte daher angemerkt
werden, dass die Kritik des statischen Charakters des Schematismus in den
Revisionsversuchen der kantischen Philosophie mit der Betonung des entschei-
denden Gestaltungscharakters der Sprache einhergeht; die Sprache wird gewis-
sermaßen zum Synonym des Schematismus. Gleichwohl sollte dessen semanti-
sche Dimension nicht grundsätzlich auf den sprachlichen Gebrauch eingeengt
werden, da sie auch andere, nicht-diskursive Gebrauchsweisen miteinschließt,
wie sie zum Beispiel im Erkennen von Bildern auftreten. Der Schematismus ist
vielmehr auf noch zu erläuternde Weise Bedingung der Sprache. Dieser Aspekt
wird etwa von Schelling aufgegriffen, wenn er im System des transzendenta-
len Idealismus anmerkt, dass sich aus der Notwendigkeit des Schematismus
schließen lasse, „dass der ganze Mechanismus der Sprache auf demselben beru-
hen wird“.4
Im Allgemeinen kann man mit Blick auf die Kritik an Kant behaupten,
dass die Vermittlungsfrage des Schematismus deshalb als ein Problem der Spra-
che weiterentwickelt wird, weil in der Sprache der Anschauungsbezug immer
schon impliziert ist. Dennoch ist bislang bereits deutlich geworden, dass der
Schematismus nicht uneingeschränkt mit einer Vermittlungsfrage zu identifi-
zieren ist, obwohl die von Kant angewandte isolierende Methode leicht zu einer
solchen Überzeugung führen kann. Der Schematismus lässt sich nicht auf seine
sprachliche Dimension reduzieren, weil er einen Prozess der Artikulation und
Gestaltung von Bedeutung zwischen Bildern und Wörtern umfasst und daher
über eine semiotische Weite im Sinne eines allgemeinen Bezeichnungsprozes-
ses verfügt, die Bedingung der Sprache selbst ist. In der Nachfolge wird gerade
diese semiotische Deutung des Schematismus nicht nur mit Blick auf die Spra-
che, sondern vor allem auf die Anschauungsbezogenheit des Denkens hervor-
gehoben. Gerade deswegen ist die Auffassung der Sprache in der Nachfolge
Kants nicht nur eine Erweiterung oder Ergänzung, sondern eine Umgestaltung
der Philosophie Kants, welche die Erkenntnistheorie im Ganzen betrifft. Daher
halte ich diese Umgestaltung nicht nur für eine wichtige Phase innerhalb der
Geschichte der Erkenntnistheorie, sondern auch für ein noch immer aktuelles
Problem zeitgenössischer Erkenntnistheorien – vor allem unter Berücksichti-
gung des Verkörperungsansatzes, der im dritten Teil kritisch behandelt wird.
Die von mir getroffene Auswahl an Ansätzen, welche die kantische Phi-
losophie rezipiert, revidiert und transformiert haben, ist verständlicherweise
nicht erschöpfend, da etwa auf Reinhold, Jacobi, Schleiermacher, Schelling und
Fichte nicht ausführlich eingegangen wird. Außerdem wären Denker zu berück-
sichtigen, die abgesehen von Kant, vor Kant und zur Zeit von Kant alternative
Ansätze entwickelt haben. Beispiele sind Giambattista Vico, der in La scienza
nuova eine performative Auffassung der Sprache, der Zeichen und der Einbil-
dungskraft vertritt,5 oder Francis Bacon, der den Schema-Begriff ebenfalls ver-
wendet und später ein wichtiger Bezugspunkt für Herder sein wird.
Viele Denker in der Nachfolge Kants jedoch erwähnen den Schematis-
mus entweder gar nicht oder nur flüchtig und entwickeln dennoch ihre Ansätze
6 Fichte (GA, IV, 3, S. 32) bezieht sich auf Maimon, um die Relevanz der Konstruk
tionsmethode hervorzuheben. Dieser Aspekt wird von Engstler 1990, S. 243–260
und Beiser 2003, S. 233–247 behandelt.
184
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
7 Siehe dazu Cassirer, ECW, 4, S. 117: „Man könnte die Ableitung der Sprache aus
Affekt und Leidenschaft das Hamannsche Moment, ihre Rückführung auf die
Kraft der Reflexion und Besonnenheit das kantische Moment in Herders Spracht-
heorie nennen“.
8 Siehe dazu Metz 1991, S. 382–386.
185
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
keit zu geben) eigentlich wolle, nie recht habe fassen können und dessen Zurecht-
weisung ich Anderen überlassen muß“. Kiesewetter schreibt am 15. Dezember 1789
an Kant (AA XI: 115): „Maimon habe ich bei ihm [Marcus Herz] kennen gelernt.
Sein äußeres verspricht nicht viel, um so mehr, da er wenig und schlecht spricht.
Ich habe seine Transcendentalphilosophie zu lesen angefangen, bin aber noch nicht
weit fortgerückt; doch bin ich schon gleich Anfangs nicht seiner Meinung; auch
mangelt ihm, wie es mir scheint, sehr oft Präcision“. Engstler (1990, S. 30f.) etwa
betont, dass „jeder Interpret, der unter den im Versuch verstreuten Äußerungen
einen nachvollziehbaren, argumentativen Zusammenhang herstellen will, daher
genötigt ist, den Gang von Maimons Denken gegen den Gang seiner Darstellung zu
rekonstruieren“. Zur Methode des Kommentars bei Maimon siehe auch Freudent-
hal 2003, S. 7. Zum philosophischen Stil von Maimon siehe Cassirer, ECW, 4, S. 78.
15 Maimon, LG, S. 146: „Da ich nun die Wahrheit aufzusuchen, meine Nation, mein
Vaterland und meine Familie verlassen habe, so kann man mir nicht zumuten, dass
ich geringfügiger Motive halber der Wahrheit etwas vergeben sollte“.
16 Deleuze 2003, S. 89f.: „Die Postkantianer, insbesondere Maimon und Fichte, erho-
ben gegen Kant einen grundlegenden Einwand: Kant habe die Anforderungen einer
genetischen Methode ignoriert. Dieser Einwand hat zwei Bedeutungen, eine objek-
tive und eine subjektive: Kant stützt sich auf Tatsachen und sucht lediglich nach
deren Bedingungen; aber er beruft sich auch auf fix und fertige Vermögen und
bestimmt deren Verhältnis oder Proportion, wobei er bereits voraussetzt, daß sie
irgendeiner Harmonie fähig sind. Wenn man bedenkt, daß der Versuch über die
transzendentale Philosophie von Maimon aus dem Jahre 1790 stammt, muß man
einräumen, daß Kant dem Einwand seiner Schüler teilweise zuvorkam. Die beiden
ersten Kritiker beriefen sich auf Tatsachen, suchten nach den Bedingungen dieser
Tatsachen und fanden sie in den bereits ausgebildeten Vermögen. Gerade dadurch
verwiesen sie auf eine Genese, die sie selbst nicht zu leisten vermochten. Aber in
der Kritik der (ästhetischen) Urteilskraft stellt Kant das Problem einer Genese der
Vermögen in ihrer ersten freien Übereinstimmung. […] Die allgemeine Kritik hört
auf, eine bloße Konditionierung zu sein und wird zu einer transzendentalen For-
mation, einer transzendentalen Kultur, einer transzendentalen Genese“. In Diffe-
renz und Wiederholung (1992, S. 223) bezieht sich Deleuze auf die Kritik Maimons
an der Dualität von Begriff und Anschauung und spricht vom Paradox einer „bloß
äußeren Harmonie in der Lehre der Vermögen“.
189
I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon
„Wollen wir die Sache genauer betrachten, so werden wir finden, dass
die Frage quid juris? mit der wichtigen Frage die alle Philosophen von
jeher beschäftigt hat, nämlich die Erklärung der Gemeinschaft zwischen
Seele und Körper, oder auch mit dieser, die Erklärung von Entstehung
der Welt (ihrer Materie nach) von einem Intelligenz; einerlei ist“.19
Hinsichtlich des Faktums der Erfahrung ist Maimon der Auffassung, dass Kant
es voraussetzt, ohne es transzendental zu begründen und damit einen ontologi-
schen Dualismus einführt. Die Frage lautet daher für Maimon:
„Ist die Ausfüllung dieser Lücke möglich, und können wir sie daher
unter die Desiderate zählen? Oder ist dieses bloß eine eitle Hoffnung, die
nie erfüllt werden kann? Nach Kant muss man das Letzte zugeben,
indem nach ihm Sinnlichkeit und Verstand zwei Hauptrequisite zum
Denken eines Objekts sind“.20
Nach Maimon sind drei Ansätze zur Beantwortung der Fragen quid juris und
quid facti auszumachen: erstens derjenige der Empiristen, die „kein so wenig
materielles als formelles Prinzip a priori zugeben wollen“; zweitens der Ansatz
der empirischen Dogmatiker und rationalen Skeptiker, die behaupten, „dass
die Objekte unsrer Erkenntnis uns a posteriori gegeben, aber die Formen dersel-
ben in uns a priori sind“, und drittens der Ansatz der rationalen Dogmatiker
und empirischen Skeptiker, die annehmen, „dass sowohl die Formen als die
Objekte unsrer Erkenntnis selbst in uns a priori sind, und dass dieses Vermögen
nicht bloß darin bestehet, uns gegebene Objekte durch von uns gedachte For-
men zu erkennen, sondern durch diese Formen die Objekte selbst hervorzubrin-
gen“.21 Der zweite Ansatz entspricht nach Maimon der Erkenntnistheorie Kants,
in der das Erkennen nicht durch eine unmittelbare Wahrnehmung, „sondern
bloß vermittelst der Wahrnehmung eines Schema’s oder Merkmals an den
Objekten“ geschieht.22 Die dritte Position hingegen ist die Umkehrung des kan-
tischen Ansatzes, die Maimon für sich beansprucht: Sie dient einerseits zur
Erweiterung der Funktion der Vernunft, andererseits zur Bezweiflung der
Gegebenheit der Erfahrung.
Die Gegebenheit der Erfahrung wird laut Maimon von Kant nicht erklärt
und bleibt deswegen eine unbezweifelbare Annahme, die er selbst im Unter-
18 Für den Unterschied zwischen quid juris und quid facti siehe Kant, KrV, B116, A84.
19 Maimon, VT, 62.
20 Maimon, GW, II, S. 521.
21 Maimon, VT, 433/436.
22 Maimon, VT, 435.
191
I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon
„Ich behaupte nämlich mit Herrn Kant, dass die Gegenstände der Meta-
physik keine Objekte der Anschauung, die in irgend einer Erfahrung
gegeben werden können, sind. Ich weiche aber von ihm darin ab, indem
er behauptet, dass sie gar keine Objekte sind, die auf irgend eine Art vom
Verstande bestimmt gedacht werden können. Ich hingegen halte sie für
reelle Objekte, die ob sie schon an sich bloße Ideen sind, dennoch durch
die aus ihnen entspringenden Anschauungen bestimmt gedacht werden
können; und durch Reduktion der Anschauungen auf ihre Elemente,
sind wir im Stande, neue Verhältnisse unter ihnen zu bestimmen, um
dadurch die Metaphysik als Wissenschaft zu behandeln“.24
In diesem Rahmen erfolgt eine Reduktion der Anschauungen auf rationale Ver-
hältnisse. Die Bestimmung der Objekte ist auf diese Weise rational und ihre
Realität ist primär im Denken anzusiedeln. Somit vertritt Maimon einen empi-
rischen Skeptizismus, der gleichzeitig die Realität der Objekte auf die Bestim-
mungsfunktion der kantischen Vernunft zurückführt, womit der negative,
‚sinnliche‘ Unterschied zwischen Begriffen und Ideen unterlaufen wird.25 In
diesem Zuge wird der Schematismus rationalisiert, und es entsteht für Maimon
das systematische Problem, ein gemeinsames Verfahren für alle Begriffe zu
beschreiben – seien es Begriffe oder seien es Ideen im kantischen Sinne.26 Das
Objektive findet daher bei Maimon seinen Grund im Erkenntnisvermögen
selbst. In diesem werden diejenigen Funktionen des Denkens bestimmt, die den
Objekten Realität verleihen.
Maimon entwickelt nun eine Theorie der unendlichen Annäherung, in
der sich die objektive Notwendigkeit der Denkbestimmungen im Gebrauch der
Begriffe auflöst, der ihre Allgemeinheit und Gültigkeit gewährleistet.27 Die sub-
jektive Notwendigkeit der Darstellung hängt entsprechend mit der Auffassung
der Vollkommenheit der Begriffe zusammen, die nach Maimon eine unendliche
Annäherung impliziert, die dem unvollkommenen Charakter des menschlichen
Verstandes inhäriert und sich vom unendlichen Verstand unterscheidet, für den
diese Vollkommenheit in actu ist. Dabei strebt der endliche Verstand eine ideel-
le Vollkommenheit an, und in seiner Endlichkeit befindet er sich immer in einer
antinomischen Spannung zur vollkommenen Unendlichkeit.
Entsprechend gibt es für Maimon auch keine Idee, die nicht antinomisch
ist. Der Begriff der Antinomie erfährt daher eine eigenständige Entwicklung,
die auf der Rezeption der jüdischen Tradition und dem Studium von Autoren
wie Maimonides, Spinoza, Wolff und eben auch Kant basiert. Dem Studium der
Kabbala und der Texte von Maimonides verdankt Maimon die Problematik des
Unterschieds von Form und Materie, die er auf den Unterschied von Form und
Inhalt bezieht, der im Zusammenhang der Bestimmung von heiligen Namen
auftritt. Die heiligen Namen, als an sich willkürliche Zeichen, werden in der
Auslegung der Kabbala als natürlich betrachtet, sodass „alles, was mit diesen
Zeichen vorgenommen wird, auf die Gegenstände selbst, die sie vorstellen, Ein-
fluss haben muss“.28 Maimon kritisiert jedoch diese ontologische Verbindung
von Form und Inhalt. Die Kabbala als Lehre ist für ihn daher nichts anderes als
‚ein erweiterter Spinozismus‘, in dem die Entstehung der Welt als eine Ein-
schränkung des göttlichen Wesens verstanden wird. Während die Kabbalisten
jedoch behaupten, dass die Kabbala eine objektive göttliche Wissenschaft sei,
tendiert Maimon im Gegenteil dazu, die von Gott repräsentierte Unendlichkeit
mit den Kategorien zu verbinden, die „im Subjekt selbst gegründet“29 seien, um
so die Verbindung von Unendlichkeit und Endlichkeit in den Bestimmungen des
Denkens zu verankern. Und noch wichtiger ist seine Bestimmung Gottes als
„letztes Subjekt“, das die vollständige Bestimmung der Unendlichkeit dar-
27 In der Tat schreibt Maimon (VT, 175): „Der Ausdruck: objektive Notwendigkeit hat
gar kein[e] Bedeutung, indem Notwendigkeit immer einen subjektiven Zwang,
etwas als wahr anzunehmen, bedeutet. In Ansehung der Evidenz in Wissenschaf-
ten müssen wir auf die Allgemeinheit der Sätze Acht haben, und dieses auch nicht
an und für sich, weil ein allgemeiner Satz nicht mehr wahr ist, als ein weniger all-
gemeiner, es kommt nur auf den richtigen Gebrauch dieser Sätze an, nämlich je
allgemeiner ein Satz ist, je weniger läuft man Gefahr sich in dessen Gebrauch zu
irren“.
28 Maimon, LG, S. XIV. Vgl. dazu Gasperoni 2016.
29 Maimon, LG, S. XIV.
193
I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon
bewerkstelligen, beweiset. Dieses sind Beispiele von Ideen und den daraus ent-
springenden Antinomien der Mathematik“.34
züglich kann man in der Philosophie Maimons von einem Monismus der Ein-
bildungskraft reden, weil er der Einbildungskraft die grundlegende Funktion
der Realisierung des Denkens zuschreibt.39
Das antinomische Verhältnis zwischen Vernunft und Einbildungskraft
ändert nach Maimon den regulativen Gebrauch, der für Kant die Ideen charak-
terisiert, denn: „nicht die bloße Vorstellung der Unendlichkeit einer Reihe, son-
dern die Vorstellung dieser unendlichen Reihe und ihr letztes Glied als gegeben,
macht sie zu einer Idee“.40 Die Ideen werden daher nicht von der Vernunft, son-
dern durch die Einbildungskraft vollendet, und nur in ihrem fiktionalen Cha-
rakter können sie als Methoden verstanden werden, um neue Wahrheiten zu
erfinden. So gelten die Ideen als bloße Fiktionen, die jedoch für die Philosophie
unerlässlich sind, da sie eine neue Reflexionsebene schaffen, auf welcher neue
Wahrheiten erfunden werden können. Eine Fiktion oder Erdichtung ist nach
Maimon „in der allgemeinsten Bedeutung eine Operation der Einbildungskraft,
wodurch eine nicht objektiv notwendige Einheit im Mannigfaltigen eines
Objekts hervorgebracht wird“.41 Somit ist Gegebenheit bei Maimon nicht von
einer fiktionalen Gestaltung trennbar, und es ist, wie Atlas richtig betont hat,
eigentlich das Schema, das die Idee symbolisiert und damit gerade die Ebene der
kantischen Reflexion realisiert.42 Die sinnliche Gegebenheit wird daher rationa-
lisiert. Maimon behauptet, dass „die sinnlichen Objekte verworrene Vorstel-
lungen von diesen Vernunft-Objekten“ sind.43 Und es ist gerade dieser Aspekt,
der Kant auf den Plan ruft, der in einem Brief an Herz vom 26. Mai 1789 Mai-
mons Ansatz mit demjenigen der leibniz-wolffschen Schule gleichsetzt.44 Kant
39 Dazu Jacobs 1960, S. 267: „Maimon’s contribution to the thought of his time was to
extend the tether of the imagination from the gross world of sense to which Kant
had confined it, to the distilled world of pure concepts. He freed the imagination
from the toils of metaphor and anthropomorphism and established its fundamental
allegiance to the world of ideas, its root and anchor. If he dimmed the glare of sense,
it was the better to reveal the invisible world to the inner vision“.
40 Maimon, NL, S. 206.
41 Maimon, GW III, S. 61.
42 Vgl. Atlas 1964, S. 101f. Auch Hogrebe (1974, S. 32) betont die Relevanz des Fikti-
ons-Begriffs bei Maimon, welcher die systematische Stellung der Konstitutionsfra-
ge bei Kant annimmt.
43 Maimon, VT, 436.
44 Siehe Kant, AA XI: 49f.: „Wenn ich den Sinn derselben richtig gefaßt habe, so
gehen sie darauf hinaus, zu beweisen: daß, wenn der Verstand auf sinnliche
Anschauung (nicht blos die empirische, sondern auch die a priori) eine gesetzge-
bende Beziehung haben sollt, so müsse er selbst der Urheber, es sey dieser sinnli-
chen Formen, oder auch sogar der Materie derselben, d.i. der Obiecte, seyn, weil
sonst das qvid juris nicht Gnugthuend beantwortet werden könne, welches aber
nach Leibnizisch-Wolfischen Grundsätzen wohl geschehen könne, wenn man
ihnen die Meynung beylegt, daß Sinnlichkeit von dem Verstande gar nicht speci-
fisch unterschieden wären, sondern jene als Welterkenntnis bloß dem Verstande
196
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
begreift also die Gefahr, die eine Reduktion der Sinnlichkeit auf Verstandes-
bestimmungen mit sich bringen kann, und bekämpft sie mittels der Apologie
der Sinnlichkeit.45 Angesichts der behaupteten Selbstständigkeit der Sinnlich-
keit erklärt sich auch die geringe Achtung für den dichterischen Charakter des
rationalen Prozesses, der bei Maimon die Funktion der Einbildungskraft aus-
macht. Es steht dabei für Kant zu viel auf dem Spiel und das – wie ich noch zei-
gen werde – auch mit gewissem Recht.
Die Sinnlichkeit wird von Maimon jedoch nicht im Sinne der leibniz-
wolffschen Schule gedeutet. Denn Maimon teilt grundsätzlich das Vorhaben
Kants, die Sinnlichkeit nicht einfach logisch auf die Deutlichkeit des Verstandes
zu reduzieren. Er betont nämlich, dass der Unterschied zwischen Sinnlichkeit
und Intellektuellem „offenbar transzendental ist und nicht bloß die Form der
Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt dersel-
ben betrifft, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich
selbst nicht bloß undeutlich, sondern gar nicht erkennen, und, so bald wir unsre
subjektive Beschaffenheit wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigen-
schaften, die ihm die sinnliche Anschauung beilegte, überall nirgend anzutref-
fen ist, noch angetroffen werden kann, indem eben diese subjektive Beschaffen-
heit die Form desselben als Erscheinung bestimmt“.46
Maimons Rationalisierung der Sinnlichkeit durch den Verstand ist daher
nicht logisch, sondern transzendental. Das beginnt mit der Auffassung von Zeit
und Raum, welche wie bei Kant „so wohl Begriffe als Anschauungen“ sind, wobei
Maimon hinzufügt: „die letztern setzen die ersten voraus“.47 Zeit und Raum
können nur als empirische Anschauungen verstanden werden. Als reine Anschau-
ungen sind sie eigentlich Erdichtungen, die von der Einbildungskraft vorgestellt
werden: „Das Außereinandersein in Zeit und Raum, hat in der Verschiedenheit
der Dinge seinen Grund, d.h. die Einbildungskraft die eine Nachäfferin des Ver-
standes ist, stellet darum die Dinge a und b außer einander in Zeit und Raum
vor; weil der Verstand sie als verschieden denkt“.48 Wegen der Zurückführung
der reinen Anschauungen auf den Erdichtungsprozess und der damit verbunde-
zukomme, nur mit dem Unterschiede des Grades des Bewusstseyns, der in der erste-
ren Vorstellungsart ein Unendlich-Kleines, in der zweyten eine gegebene (endli-
che) Größe sey und daß die Synthesis a priori nur darum objective Gültigkeit habe,
weil der Göttliche Verstand, von dem der unsrige nur ein Theil, oder, nach seinem
Ausdrucke, mit dem unsrigen, obzwar nur auf eingeschränkte Art, einerley sey, d.i.
selbst Urheber der Formen und der Möglichkeit der Dinge der Welt (an sich selbst)
sey“.
45 Dies wurde in Kap. II.1 des ersten Teils gezeigt.
46 Kant, KrV, B 61f., A 44.
47 Maimon, VT, 18.
48 Maimon, VT, 133f.
197
I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon
nen Überwindung des vermuteten Dualismus ist Maimon genötigt, den Schema-
tismus aufzugeben, um eine neue Vermittlungsebene zur Erklärung der Gege-
benheit und objektiven Realität der Gegenstände zu schaffen.
„Herr Kant behauptet, dass Sinnlichkeit und Verstand zwei ganz ver-
schiedene Vermögen sind, ich behaupte hingegen, dass, ob sie schon in
uns als zwei verschiedene Vermögen vorgestellt werden müssen, sie doch
von einem unendlichen denkenden Wesen als eine und eben dieselbe
Kraft gedacht werden müssen, und dass die Sinnlichkeit bei uns der
unvollständige Verstand ist“.60
Für eine eigenständige Funktion der Sinnlichkeit hat Maimon folglich wenig
übrig. Die ideelle Vollständigkeit des Denkens affiziert das endliche Denken
und gewährleistet den Bezug zur objektiven Realität, die von einer tief verwur-
zelten Einheit abhängt. Trotz dieser Aufhebung des Endlichen in einer ana-
lytisch vollendeten Unendlichkeit,61 die als solche die Erkenntnis erweitern und
eine beispielhafte Entsprechung in der Mathematik finden kann,62 hat Maimon
auch den endlichen Prozessen der Einbildungskraft und des symbolischen
Erkennens eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt, was im Folgenden noch zu
vertiefen ist.
Maimon the idea of an a priori anticipation of the logical possibility of reality, i.e.,
a reality dissolvable into analytical propositions“.
58 Vgl. Maimon, VT, 61/63. Siehe dazu auch den Aufsatz von Maimon Über die
Wahrheit, erschienen 1790 im Berlinischen Journal für Aufklärung. Hier befasst
sich Maimon mit dem Ansatz von Tieftrunk und bestätigt die Auffassung der syn-
thetischen Erkenntnis, die dieser „in Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes
annimmt; und darin werde ich leicht mit ihm [Kant] einig werden“ (GW, II, S. 489).
59 Maimon, VT, 181: „Die Allgemeinheit muß freilich einen objektiven Grund haben,
d.h. der Satz muß bei einem unendlichen Verstande analytisch sein, den wir aber
nicht einsehen können“.
60 Vgl. Maimon, VT, 182/184.
61 Maimon, NL, S. 25.
62 Dies lässt sich daran ablesen, dass Maimon den kantischen Unterschied zwischen
Mathematik und Philosophie nicht leugnet (VT, 1/2): „Die Mathematik bestimmt
ihre Gegenstände völlig a priori, durch Konstruktion; folglich bringt darin das
Denkungsvermögen sowohl die Form, als die Materie seines Denkens aus sich
selbst heraus. So ist es aber nicht mit der Philosophie beschaffen: in derselben
bringt der Verstand bloß die Form seines Denkens aus sich selbst heraus; die Objek-
te aber, worauf diese angewandt werden soll, müssen ihm von irgend anders woher
gegeben werden“.
200
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
4. D ie sy mb ol isc he Erken nt n is
Aufgabe der produktiven Einbildungskraft ist die Schaffung von Idealen.63
Maimon tendiert dazu, die Einbildungskraft als ein transversales Vermögen zu
betrachten, das systematisch den Dualismus zwischen der produktiven und der
reproduktiven Einbildungskraft unterläuft. Dabei leugnet er nicht den Unter-
schied zwischen diesen beiden Formen der Einbildungskraft, sondern erweitert
die Funktion der produktiven Einbildungskraft bis hin zur Bestimmung derje-
nigen transzendentalen Ausdrücke, welche die Philosophie charakterisieren.
Das bedeutet, dass die produktive Einbildungskraft die Vollendung solcher
Begriffe ermöglicht, die als ideale Ausdrücke mit transzendentaler Bedeutung
gelten können.
Diese Problematik entwickelt Maimon in der Schrift Über die philoso-
phischen und rhetorischen Figuren von 1793,64 sowie in seinem Versuch einer
neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794. Hier werden diejenigen
Begriffe hinterfragt, die den Wortschatz der Philosophie konstituieren und die
Maimon in seinem Philosophischen Wörterbuch aufführt. Die philosophischen
Figuren sind „Vorstellungsarten, die in Ansehung des Objekts worauf sie sich
beziehen, nicht ursprünglich, sondern durch eine Operation der Einbildungs-
kraft, von andern übertragen sind“, aber „durch eine Täuschung“ als direkte
Beziehung auf jene Objekte angesehen werden.65 Trotz des täuschenden Cha-
rakters der Fiktionen führt Maimon damit eine gewisse sprachliche Dimension
in das produktive Vermögen der Einbildungskraft ein. In dieser Hinsicht ist seine
Auslegung der Tropen wichtig, d.h. der Ausdrücke, „die von ihrer ursprüng-
lichen auf andre Bedeutungen abgeleitet worden sind“.66 Die Fiktionen der Phi-
losophie bringen eine Übertragung hervor und stellen einen willkürlichen
Bezug zwischen Wort und Begriff her. Diese Bedeutung der symbolischen
Erkenntnis begründet etwa die Hochachtung, die Maimon später bei Hans Vai-
hinger genießt, für den „Maimon insbesondere das ganze Ergebnis der kanti-
schen Philosophie ganz richtig dahin zusammen[fasst], dass nur symbolische
Erkenntnis möglich sei“.67
Der Versuch über die Transzendentalphilosophie endet mit einer Abhand-
lung Über die symbolische Erkenntnis – und dieser Schluss erscheint noch
bedeutender, wenn wir bedenken, dass Maimon, wie erwähnt, den Versuch als
einen Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft konzipiert. Maimon unter-
sucht die Bedeutung der Tropen hier in Bezug auf die transzendentalen Aus-
drücke: „In jeder Sprache finden sich transzendentale Ausdrücke, oder solche,
die materiellen und immateriellen Dingen gemein sind“.68 Die symbolische
Erkenntnis ist für Maimon deshalb von so großer Bedeutung, weil wir durch
ihre Hilfe „sowohl zu den abstrakten, als zu den aus diesen verschiedentlich
komponierten Begriffen [gelangen], und […] im Stande [sind], aus schon bekann-
ten Wahrheiten neue zu erfinden, d.h. überhaupt unsere Vernunft zu gebrau-
chen“.69 Der symbolische Bezug präsentiert sich zwar als vollkommen, ist jedoch
nur eine Täuschung, die gleichwohl in der Philosophie von großem Nutzen ist,
vor allem in der Beschreibung und Entwicklung von Theorien – Leibniz’ Mona-
den, der Begriff vom leeren Raum, die Vorstellungen von Raum und Zeit als
Objekten der Anschauungen an sich sind für Maimon Fiktionen solcher Art. Er
zeigt damit, dass transzendentale Begriffe keine ursprünglichen Ausdrücke
sind, sondern gewissermaßen eine symbolische Geschichte enthalten: „Die
Erfindung der Sprache verrät außerordentlich viel Witz und Scharfsinn zugleich;
denn die transzendentalen Ausdrücke bedeuten transzendentale Begriffe“.70
Maimon verbindet außerdem durch die symbolische Erkenntnis das Pro-
blem der symbolischen Darstellung mit dem des willkürlichen Charakters der
Zeichen, die Verhältnisse unter Gedanken darstellen, ohne das philosophische
Denken in eine ars characteristica aufzulösen.71 Diese Verbindung von sym-
bolischer Erkenntnis und Bezeichnungsvermögen – die für Kant getrennt blei-
ben sollten – ist die Folge der rationalistischen Auffassung der Realität: „Wir
sehen uns also hier gezwungen, etwas als ein reelles Objekt zu denken, ohne
dass wir es anschauend erkennen, wir können es also nicht anders, als durch
Zeichen vorstellen, und es ist daher (wenn es ein Gegenstand der Erkenntnis
überhaupt sein soll) ein Gegenstand symbolischer Erkenntnis“.72 Diese Vor-
stellung lässt sich nicht konstruieren, weil sie reine Formen betrifft, die keine
Objekte der Anschauung selbst sind.73 Zu diesen Formen zählt Maimon auch die
Kategorien74, die eine willkürliche Assoziation zwischen Wörtern und Begrif-
fen darstellen. Die symbolische Erkenntnis betrifft daher nur eine bestimmte
Art von Zeichen, nämlich die willkürlichen, d.h. Zeichen, die kein Ähnlich-
keitsverhältnis mit Objekten haben.75
Während die natürlichen Zeichen „alle Worte sind, wodurch Anschau-
ungen oder Begriffe, die in Anschauungen dargestellt werden können, aus-
gedrückt werden“,76 sind die willkürlichen Zeichen im Gegenteil Wörter, „die
nicht durch Assoziation des Wortes mit dem Gegenstande, sondern mit dem, bei
Veranlassung des Gegenstandes gedachten, Begriff erlernet werden“.77 Diese
Wörter beziehen sich nicht auf Gegenstände der Anschauungen und müssen
erlernt werden, jedoch nicht wie natürliche Zeichen durch eine Wiederholung
der willkürlichen Verknüpfung des Worts mit der dadurch bezeichneten Sache,
sondern in Bezug auf das Zeichen selbst. Alle Zeichen sind daher willkürlich,
auch wenn einige als natürlich gebraucht werden. Dieser Unterschied wird von
Maimon in Bezug auf den Unterschied zwischen bildenden Künsten und der
Sprache erläutert: erstere „enthalten entweder zu viel oder zu wenig, in Bezug
auf das dadurch bezeichnete Ding“.78 Sie greifen nicht das Allgemeine im Begriff.
Die willkürlichen Zeichen der Sprache scheinen im Gegenteil bestimmte Defi-
nitionen zu enthalten, die zum Beispiel die Übersetzbarkeit der Begriffe von der
Muttersprache in eine Fremdsprache ermöglichen.
Der Unterschied zwischen einer bestimmend-anschauenden und einer
symbolischen Darstellung lässt sich nun bei Maimon nicht von der Bezeichnung
und von der Sprache trennen.79 Das Zeichen ist in keinem Fall ein bloßer Beglei-
ter, sondern es stellt ein Mittel dar, „das[,] was an sich kein Objekt der Anschau-
ung ist, doch als ein solches vorzustellen“.80 Und wenn Maimon schreibt, dass
„die symbolische Erkenntnis sogar einen Vorzug vor der anschauenden hat,
indem jene sich weiter erstreckt als diese“, spricht er als Kritiker Kants in dem
Versuch, die Wirksamkeit der symbolischen Erkenntnis für die reelle Gestal-
tung des Denkens anzudeuten.81
Die Annahme des Erlernens philosophischer Begriffe, die in einer unvoll-
endeten Sprache gefasst sind, vermeidet die Gleichsetzung zwischen philoso-
phischer und mathematischer Symbolik, weil „nämlich in dieser, die Zeichen
der irresolubilen Begriffe, so wie die, ihrer verschiedenen Beziehungen auf
einander, von allen, die sich derselben bedienen, auf einerlei Art verstanden wer-
den; in jener hingegen nur die letztern, nicht aber die erstern, dieses Glück
haben, woraus Mißverständnisse und ewige Wortstreitigkeiten notwendig ent-
springen müssen“.82 Somit greift Maimon den kantischen Unterschied zwischen
Mathematik und Philosophie auf, obwohl er – wie bereits gezeigt wurde – den
Unterschied zwischen intuitiver und diskursiver Erkenntnis verwischt, indem
er die Bildung mathematischer Begriffe in das Verfahren des Verstandes und
der Vernunft einschließt.83
Die symbolische Gestaltung ist nach Maimon ein Kriterium, das dazu
dient, Sprachen zu vergleichen und herauszufinden, inwieweit einige von ihnen
vollkommener als andere seien. Diese Problematik wird in der Folge insbeson-
dere von Humboldt und Hegel näher behandelt und stellt insgesamt ein wieder-
kehrendes Motiv der Sprachphilosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts dar.
Maimon führt dazu den Begriff der Vollkommenheit der Sprache ein und
bezieht die Sprache auf eine angenommene ideale Sprache, in der – wie in seiner
Darstellungstheorie insgesamt – „Zeichen (Wörter) mit den dadurch bezeichne-
ten Dingen (Begriffen) aufs genauste übereinstimmen“.84 Die wirklichen Spra-
chen stehen daher in einem Verhältnis der unendlichen Annäherung an die
idealische und vollkommene Sprache, die Maimon primär als eine Sprache der
Philosophie versteht und die ihn entsprechend veranlasst, ein philosophisches
Wörterbuch zu verfassen.85 Trotz der Betonung des konstruktiven Charakters
des Denkens folgt Maimon also Kant auf dem Weg einer diskursiven Bestim-
mung der Sprache, welche die Begriffe nicht auf rationale Rechnungen zurück-
führen will.
Ein Vorzug von Maimons Gedankengang – den ich hier nur skizziert habe –
lässt sich meines Erachtens in der Erweiterung der Rolle der Einbildungskraft
im Verhältnis von Denken und Sprache erkennen. Damit zeigt er auf, inwiefern
die Transzendentalphilosophie hinsichtlich der Bildung der Begriffe einen neu-
en Bezug zur symbolischen Erkenntnis eröffnen kann, deren Gebrauch jedoch
zugleich eine skeptische Distanz erfordert, weil er nur als subjektiv notwendig
gelten kann. Dies unterläuft den kantischen Unterschied zwischen einer pro-
duktiven und einer reproduktiven Einbildungskraft, indem letztere bis zur
Assoziation erweitert wird, deren Gesetz sogar „die Entstehungsart der trans-
zendentalen Begriffe erklären lässt“.86 Das wiederum führt Maimon dazu, den
Status der philosophischen und wissenschaftlichen Sprache zu hinterfragen.
Auf diese Weise werden Semantik und Semiotik von Maimon durch die Erklä-
rung der Entstehung und des Gebrauchs philosophischer Begriffe transzenden-
tal verbunden – das Beispiel des fiktionalen Charakters von Raum und Zeit zeigt
dies eindrücklich.
Obwohl der Fiktionsbegriff bei Maimon immer auch die Konnotation
der Täuschung beibehält, führt er mit ihm eine wichtige Funktion hinsichtlich
der Gestaltungsfunktion des Schematismus ein, die für Kant von der symboli-
schen Erkenntnis und der Bezeichnung getrennt gehalten wird. Die Fiktionali-
tät der Einbildungskraft kann mit der Bedeutung der Gestalt als endlicher Aus-
wahl von (potentiell unendlichen) Merkmalen in Verbindung gebracht werden,
und zwar als eine Gestalt, die einen provisorischen Dogmatismus mit sich bringt,
weil sie den Gebrauch ermöglicht, ohne ihn definitiv festzulegen. Außerdem
impliziert diese Fiktionalität auch einen Skeptizismus, der die provisorische
Schließung der Merkmale wieder öffnen und transformieren kann.
Doch ein empirischer Skeptizismus wie derjenige Maimons lässt sich
meines Erachtens nicht einfachhin über die Rationalisierung der Sinnlichkeit
begründen. Dass der mit ihm verbundene provisorische Dogmatismus die Rea-
lität gestaltet und dadurch Begriffen Realität gibt, impliziert meines Erachtens
keine schlichte Rückkehr zum graduellen Übergang von der Sinnlichkeit zur
Begrifflichkeit, aber er allein kann nicht die Grundlage des empirischen Skepti-
zismus sein, der einer Begründung bedarf, um die Sinnlichkeit als eigentüm
liche Funktion der Erkenntnis auszuweisen. Die Gestaltungsfunktion der Ein-
bildungskraft als provisorische Schließung einer Reihe von Merkmalen kann
als ein Versinnlichungsverfahren angesehen werden, das in der transzendenta-
len Beschreibung der Sinne und in der Sprache seinen systematischen Ort hat.
Ein Skeptizismus im Bewusstsein des provisorischen Charakters des Dogmatis-
mus ändert nämlich die Auffassung sowohl des Rationalismus als auch des
Empirismus und eröffnet den Raum für eine Versinnlichungstheorie, in der
Fiktion in Gestalt übergeht, sich im Gebrauch konkretisiert und nicht länger als
täuschend erscheint.
Der kritische Punkt der Philosophie Maimons besteht daher einerseits in
der radikalen Rationalisierung der Sinnlichkeit, andererseits in der Bestim-
mung der positiven und fruchtbaren Leistung der Idee, die er – wie Cassirer
betont – „dennoch wiederum zur bloßen Fiktion herabsetzt“.87 Die Idee wird
von Maimon als die Bedeutungserfahrung schlechthin betrachtet, womit sie das
sinnlich bedingte Feld des Verstandes umfasst. Die Idee ist die funktionale
Bestimmung der Erfahrung und unterläuft den kantischen Unterschied zwi-
schen Begriffen und Ideen, zwischen Verstand und Vernunft. Und ihre Funk-
tion kann sich nicht ohne die Einbildungskraft verwirklichen, welche die für die
Idee konstitutive unendliche Annäherung fiktiv abschließt und brauchbar
macht. Maimon führt daher zwar Kontingenz in die Sprache ein, in die Beson-
deres und Allgemeines zusammen einfließen, er verkennt jedoch ihre Konsis-
tenz im Gebrauch, die nur fiktional bleibt. Was er damit sieht, ist der willkürli-
che Charakter der symbolischen Erkenntnis in der Bezeichnung des Allgemeinen;
was er hingegen nicht erklärt, ist, was diese willkürliche Bezeichnung an sich
motiviert und inwiefern sie nicht auch von dritten Instanzen gewährleistet sein
könnte.
In diesem Sinn kann man bei Maimon von einem Monismus der Ein-
bildungskraft reden, dessen Realitätsbezug jedoch nicht wie bei Kant von der
Sinnlichkeit, sondern vom Verstand, der Vernunft und in letzter Instanz vom
unendlichen Verstand bedingt ist. Die Konsequenz ist eine gewisse Abwertung
der Sinnlichkeit, die riskiert, im Fall der bestimmenden Funktion der Einbil-
dungskraft in den graduellen Übergang von einer verworrenen Sinnlichkeit zur
deutlichen Begrifflichkeit zurückzufallen. Cassirer spricht an dieser Stelle von
einem Missverständnis Maimons hinsichtlich der kantischen Sinnlichkeits-
theorie, deren Funktion eigentlich eine sinnliche Bedingung des Erkenntnisver-
mögens und keine direkte Einwirkung auf es sei: „Denn die Kritik der reinen
Vernunft versteht unter der Erfahrung, unter der Erkenntnis a posteriori nicht
eine durch die Dinge an sich bewirkte Erkenntnis, sondern eine Erkenntnis, die
nicht durch die bloßen Gesetze des Erkenntnisvermögens bestimmt wird“.88
Dadurch präsentiert sich bei Maimon erneut die Kluft zwischen Besonderem
und Allgemeinem, die nach Cassirer den Verknüpfungspunkt zwischen der Phi-
losophie Maimons und der Kritik der Urteilskraft darstellt, insofern „in beiden
ein und derselbe eigenartige metaphysische Hilfsbegriff auftritt. Die Kluft
z wischen dem Allgemeinen und dem Besonderen der Erkenntnis erscheint vom
Standpunkt des ‚endlichen‘ empirischen Verstandesgebrauchs freilich als unüber
brückbar: Aber sie schließt sich, sobald wir den Gedanken eines unendlichen
und göttlichen Verstandes wenigstens problematisch zulassen und einführen“.89
In dieser Hinsicht besteht das Risiko, die Objektivität der Bedeutungs-
erfahrung auf andere Entitäten zu übertragen, wie etwa auf den Vorgang der
Konstruktion, auf den analytischen Charakter der Mathematik oder auf die
ideale Vollkommenheit eines unendlichen Verstandes. Es ist das Risiko eines –
wenn auch subjektiven – graduellen und angleichenden Übergangs von einer
unvollkommenen Vorstellung zu einer vollkommenen (jedoch idealen) Darstel-
lung. Obwohl Maimon die Philosophie als eine „Sprachlehre“ definiert,90
bezieht er die wirkliche Sprache immer auf eine ideale Sprache, in der „Zeichen,
(Wörter) mit den dadurch bezeichneten Dingen (Begriffen) aufs genauste über-
einstimmen“.91 Die höchste Vollkommenheit sei zwar nie zu erreichen, „wir
können uns aber doch, wenn wir nur wollen, derselben bis ins Unendliche
immer mehr nähern“.92 Der Ansatz Maimons ist schließlich behandelt worden,
um zu zeigen, dass die Zentralität der sprachlichen und fiktionalen Bedeutung
der Begrifflichkeit das Risiko mit sich bringt, die Funktion der sinnlichen
Gestaltung in der Sprache zu übersehen. Außerdem kann sie die Rückkehr zu
einer rationalistischen Erkenntnistheorie implizieren – muss es jedoch nicht
unbedingt –, die nur mit großen Schwierigkeiten transzendental begründet
werden könnte, ohne die begrifflich-diskursive Relativität zu unterlaufen. Die
Zeichen würden auf diese Weise zu wirklichen Repräsentationen einer idealen
Darstellung, in der sich die Funktion der Zeichen selbst auflöste. In Bezug auf
den im ersten Teil untersuchten Schematismus könnte man schließlich mit
Maimon die semantische und semiotische Dimension der symbolischen Dar-
stellung in den Schematismus einbetten, ohne dadurch die Sinnlichkeit abzu-
werten, weil gerade die Sinnlichkeit das konkrete Gewand der symbolischen
Übertragung darstellen kann. Dieser Aspekt, der schon in Bezug auf den Ver-
sinnlichungsprozess bei Kant untersucht wurde, wird im nächsten Kapitel in
Hinsicht auf die Kritiken Hamanns und Herders erneut in Betracht gezogen
werden.
89 Cassirer, ECW, 4, S. 90. Für eine vertiefende Diskussion des Revisionsansatzes von
Maimon siehe Bondeli 2006, S. 319–340.
90 Maimon, VT, 296.
91 Maimon, VT, 298.
92 Maimon, VT, 329.
I I . H amanns K ritik
am ‚ P urismus der V ernunft ‘
Diese Wandlung, die für Kant in der Sprache nur ein endliches Mittel finden
kann, gründet dagegen für Hamann in der Veranschaulichung der Sprache
selbst, die von höchster Spiritualität ist: „was die Transzendental-Philosophie
metagrabolisirt [im Sinne von ‚eine Leere ausloten‘],109 habe ich um der schwa-
chen Leser willen, auf das Sacrament der Sprache, den Buchstaben ihrer Ele-
mente, den Geist ihrer Einsetzung gedeutet“.110 Ähnlich dem Sakrament ist das
Wort bei Hamann nicht nur die Vermittlung selbst, sondern auch Mitteilung,
Einprägung und Einverleibung,111 und die spirituelle Wandlung, die das Wort
daher mit sich bringt, lässt sich bei ihm nicht anders als theologisch begründen.
Wie Josef Simon betont, versteht Hamann grundsätzlich den kritischen
Gesichtspunkt einer menschlichen Endlichkeit, die auch die Beziehung zwi-
schen Sprache und Vernunft bestimmt; trotzdem ist für ihn diese Endlichkeit
weder als ein Erkenntnisanspruch noch als eine pragmatische Resultante, son-
dern theologisch ‚als Geschöpf‘ zu verstehen, das der Mensch selbst ist.112 Auch
eternal truths of reason) and Judaism (qua historical revelation) collapses. And
when, under metacritical leverage, it finally does, when it finally gives way, as
Hamann fully intends, the result is a metabasis eis alles genos, i.e., a categorical
leap into Christianity, to which paganism (qua reason) and Judaism (qua the law)
respectively point, and in which both are fulfilled“.
109 Siehe dazu Bayer 2002, S. 414.
110 Hamann, MK, S. 227 [Hervorhebung L.G.]. Siehe auch Bayer, 2002, S. 422: „Im
Schlusssatz seiner Metakritik stellt Hamann dar, wie er Kants Kritik der reinen
Vernunft gelesen hat. Was Kant lang und breit über die reine Vernunft zu sagen
hat, wendet Hamann im Kern auf die Sprache, die, sakramental verstanden, als das
wahre Element der Vernunft sichtbar gemacht wird. Hamann überlässt es der Akti-
vität seines Lesers, mit Hilfe des lutherischen Sakramentsverständnisses den die-
sem korrespondierenden Gesichtspunkt der Idiomenkommunikation und damit die
Ehekunst gegen die von Kant geübte Scheidekunst fruchtbar zu machen“.
111 Siehe Hamann, MK, S. 226.
112 Josef Simon bemerkt dazu (2005, S. 31): „Hamanns Denkansatz ist im Grunde nicht
philosophisch, sondern theologisch bestimmt. Wenn er ‚den Menschen‘ nicht wie
Kant unter dem Gesichtspunkt der Kritik definitiver Erkenntnisansprüche nur
noch in ‚pragmatischer Hinsicht‘ bestimmt, sondern theologisch als Geschöpf und
damit als ein ‚endliches‘ Wesen ansieht, versteht er Kant dennoch ‚besser‘ als z.B.
Jacobi […]“. Die Problematik der theologischen Begründung der Philosophie
Hamanns wird auch von Oswald Bayer thematisiert (2002, S. 396): „Hamanns auf
sprachliche Vermittlung von Sinnlichkeit und Verstand abhebende Kritik der ‚rei-
nen‘ Vernunft ist in seinem Gottes personale Anrede und elementare Weltimma-
nenz verbindenden Schöpfungsverständnis begründet. Ohne die sprachliche Wahr-
nehmung der darin zur Geltung kommenden konkreten Kreatürlichkeit muss die
metaphysische Frage nach Gott trotz ihrer auf letzte Gewissheit gehenden Absicht
in reine Willkür ausarten. Dies gilt zugleich für die von Gott mit der Sprache ein-
gesetzte Vernunft, die nur von dieser Einsetzung her in Wahrheit verstanden wer-
den kann“. Vgl. dazu auch Weishoff 1998, S. 138f. und Gaier 2006, S. 115–117.
211
II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘
wenn Kant, der sich als „armer Erdensohn“ versteht, der „zu der Göttersprache
der anschauenden Vernunft gar nicht organisiert“ ist,113 ihn an die apologeti-
sche und symbolische Bedeutung seines Denkens erinnert, ist Hamann und
seiner Metakritik das Verdienst anzurechnen, die gestalterische und einprägen-
de Bedeutung der Wörter herausgestellt zu haben und den weiten erkenntnis-
theoretischen Sinn von Zeichen im Gebrauch zu erörtern, der sich im Reden
realisiert. Reden ist nach Hamann immer ein Übersetzen: ein Übersetzen „aus
einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt, Gedanken in Worte, –
Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch,
oder symbolisch oder hieroglyphisch – und philosophisch und charakteristisch
sein können“.114 Die Begriffe sind jedoch nicht vorgegeben, sondern realisieren
sich erst im Gebrauch; und trotzdem bleibt das Problem der Gewährleistung des
Verstehens von einem ideellen Wesen abhängig, wie wiederum Josef Simon
bemerkt hat:
„Das Entscheidende ist, dass das Andersverstehen für Hamann also nicht
nur eine Schwäche des menschlichen sprachlichen Verhaltens ist. Ihm
steht kein demgegenüber ‚idealer‘ Sprachbegriff eines göttlichen Logos
mehr gegenüber, in dem identisches Verstehen garantiert und der das
nachzuahmende Vorbild wäre“.115
Trotz des willkürlichen Bezugs der Zeichen auf die Begriffe dienen sie nicht nur
dazu, Begriffe hervorzurufen, sondern haben die Funktion einer ständigen Ver-
sinnlichung der Bedeutung, die nach Hamann die schöpferische Kraft der Spra-
che enthüllt, die jedoch letztlich nicht von ihrer Funktion als Vermittlerin des
göttlichen Geistes zu trennen ist.116 Während bei Maimon eine bestimmte
Sakralisierung der Vernunft auffällt, durch welche die Sinnlichkeit in eine
rationalisierte Einbildungskraft eingebettet wird, erfolgt bei Hamann also eine
Sakralisierung der schon immer versinnlichten Endlichkeit, die sich nicht von
ihrem Status, die Endlichkeit eines Geschöpfes zu sein, trennen lässt. Wenn bei
Hamann demnach eine Transzendierung und – wie Michael Forster beobachtet
– eine Übersimplifizierung des ganzen kantischen Systems erfolgt,117 so stellt er
dennoch eine grundlegende Frage an das System selbst, und zwar die Frage nach
der historischen und anthropologischen Bildung der Begriffe und der impliziten
Funktion, die diese Bildung im Gebrauch hat.118 Genau diese Spannung zwi-
schen dem gegebenen und gemachten Charakter der Begriffe wird deshalb im
nächsten Kapitel in Bezug auf die Auslegung des kantischen Schematismus
durch Herder zu untersuchen sein.
118 Siehe für die Betrachtung dieses Aspekts bei Hamann Majetschak 1989, S. 470.
I I I . H erders ‚ M etaschematismus
t ö nender G edankenbilder‘
Während der Schematismus bei Maimon und Hamann nicht in allen seinen
Bestandteilen untersucht und kritisiert wird, erfolgt bei Herder das Gegenteil.119
Seine Metakritik der reinen Vernunft bewegt sich – ähnlich dem Versuch von
Maimon – in die Richtung einer Akzentuierung des performativen Charakters
des Denkens, der jedoch in der Sprache und im weitesten Sinn in der Sinnlich-
keit seinen Ursprung hat, worin Herder wiederum Hamann näher steht als
Maimon.120 Bei Herder ist meines Erachtens der Versuch zu beobachten, die
Gestaltung des Denkens durch die Sinnlichkeit zu erklären, sodass reine Spon-
taneität nicht ohne Sinnlichkeit zu denken ist.121 Ich werde die Kritik Herders an
der kantischen Schematismuslehre daher als einen ersten Schritt auf dem Weg
in Richtung einer eigentlichen Versinnlichungstheorie interpretieren, die jedoch
bei Herder noch rein subjektiv bleibt.
Schon in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772
sieht Herder die Aufgabe des Philosophen darin, „einen Faden der Empfindung
liegen[zu]lassen, indem er den andern verfolgt“ und fügt hinzu: „In der Natur
119 Michael Forster (2010, Kap. 8) vertritt zwei Thesen: die erste ist, dass eine zeitliche
Priorität der sprachlichen Theorie Herders Hamann gegenüber beweisbar sei; die
zweite ist, dass die sprachliche Theorie Herders höherwertig sei. Er behauptet (S.
314): „In sum, the common picture of Hamann as a deep well of seminal ideas in the
philosophy of language, who inspired Herder to reproduce and publicize them, and
thereby founded a whole intellectual tradition, is basically a myth. Herder was the
real innovator here, and his ideas are also greatly superior to Hamann’s in sub-
stance“ (Hervorhebung L.G.). Von den zwei Thesen, die er vertritt, ist hier vor
allem der zweite in Betracht zu ziehen, da er von der Überzeugung geprägt ist, dass
die enge Verbindung zwischen Denken und Sprache bei Herder ausführlicher und
systematischer als bei Hamann ausbuchstabiert ist.
120 Für einen systematischen Vergleich zwischen Hamann und Herder siehe Forster
2010, S. 132–134.
121 Siehe dazu insbesondere Borsche 2006, S. 140.
214
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
aber sind alle die Fäden ein Gewebe!“122 Die Philosophie isoliert die einzelnen
Funktionen der Sinne, die jedoch in der Wahrnehmung in einer für den Men-
schen konstitutiven Synästhesie zusammenfließen. Der Mensch ist in den
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit „noch ein Zögling des
Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmählich erst verstehen ler-
net“.123 Das Denken ist bei Herder grundsätzlich an eine Besinnung gebunden,
deren performative Kraft in der sinnlichen Wahrnehmung anzusiedeln ist, wie
Cassirer betont: „Erst die Besinnung ist es, die flüchtige sinnliche Regung zu
einem in sich Bestimmten und Unterschiedenen und damit erst zu einem eigent-
lichen geistigen Inhalt macht“.124
Die Sprach- und Erkenntnistheorie Herders verfolgt daher die Strategie,
die gestalterischen Prozesse hervorzuheben, die zur Darstellung des Gegen-
standes führen, ohne sie jedoch zu rationalisieren; vielmehr werden sie in der
Sinnlichkeit fundiert. Daher wird diejenige Metastasis näher untersucht, die
wir nach Herder „nicht begreifen“, aber durch welche „uns der Gegenstand ein
Gedanke“ ist.125 Die Konstitution von Denkbildern ist bei Herder als eine radi-
kale Versinnlichung zu interpretieren, da die Begriffe nicht von ihrer sinnlichen
Gestaltung isoliert werden können. Er bezieht sich jedoch nicht erkenntnistheo-
retisch auf den Versinnlichungsbegriff. Das kantische Schema ist entsprechend
für Herder eine „dritte Fiktion zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“.126
Im Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand, im Übergang von Bildern
zu Begriffen erweist sich das Schema als ein Technizismus, ein fiktionales Kon-
strukt, welches den Prozess der Gedankenbildung nicht wiedergibt. Erst durch
eine Metastasis, die wir nach Herder nicht begreifen, wird der Gegenstand zum
Gedanken. Somit ist das Problem der Konstitution von Denkbildern nicht bei-
gelegt, sondern erscheint lediglich in einem anderen Licht.
Bei Herder stellt die Einbettung der Sinnlichkeit in den Gestaltungspro-
zess einen Physiologismus dar; trotzdem wird der Gestaltungsprozess selbst in
der Beschreibung der Funktion der Sinne nicht auf die physiologische Empfin-
dung reduziert. Ähnlich wie Kant zielt Herder nicht darauf, eine direkte Ent-
sprechung von Begriffen und Sinnesdaten zu entwickeln. Mehr jedoch als Kant
wird von Herder die Dimension der Empfindung im Denken problematisiert.
122 Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, in FHA, 1, S. 745 Für die
Entstehung des Schema-Begriffs bei Herder siehe den Aufsatz von Gaier (2010,
S. 22), der sich auf die Verwendung der Begriffe ‚Schema‘ und ‚Metaschematisie-
ren‘ bei Paulus bezieht. Für diese Deutung in Bezug auf Hamann siehe auch den
Aufsatz von Hans Adler (2010, S. 139f.).
123 Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in FHA, 6, S. 141.
124 Cassirer, ECW, 11, S. 95.
125 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 418.
126 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.
215
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
Das Denken steht damit gewissermaßen vor der Aufgabe, die Sinnlichkeit als
Ganze nicht zu transzendieren.127 Das betrifft im Allgemeinen auch die Wahr-
nehmung der Gegenstände durch die Sinne, die uns Typen und Gestalten lie-
fern. Damit wird jedoch das Problem des Unterschieds zwischen Empfindung
und Erfahrung nicht aufgelöst: Das wahrgenommene Bild kann nicht mit dem
durch die Sinnesorgane empfundenen Bild gleichgesetzt werden, und das emp-
fundene Bild entspricht nicht dem Bild auf der Netzhaut des Auges. Die Sprache
ist entsprechend die Artikulation, die Typen zur Entfaltung bringt, die nur not-
gedrungen auch als Abbilder dienen. Somit verbindet Herder die raum-zeitliche
Dimension mit den Sinnen des Sehens und des Gehörs und erkennt, dass das
Gehör dabei eine grundlegendere Rolle in der Artikulation der Sprache aus-
übt.128 So ergibt sich eine neue und dynamischere Form des Schematismus, der
als „ein neuer Metaschematismus tönender Gedankenbilder“129 definiert wird,
und in dem ein Übergang vom Bildhaften bis zum abstrakten Begriff nur im
Horizont einer Versinnlichung überhaupt möglich ist. Die sinnliche Dimension
wird damit zum integralen Bestandteil des Schematismus, da dieser gerade in
den Sinnen seine Dynamik entfaltet.
Die Dimension des Denkens lässt sich bei Herder nur als eine historische,
genealogische, holistische, anthropologische Dimension erklären, die sprach-
gebunden ist.130 Die Philosophie kann daher die Frage der Genese der Begriffe
nicht unterlaufen, wie auch Ralf Simon bemerkt: „Es ist letztlich der Beginn des
genealogisches Denkens, der sich bei Herder abzeichnet. […] Genese ist geltungs-
relevant, so Herder“.131 Im Gegensatz dazu riskiert der Schematismus bei Kant
wegen des Mangels einer systematischen Behandlung der Sprache als statische
Fiktion interpretiert zu werden. Herder entwickelt stattdessen in der Metakritik
der reinen Vernunft eine antireduktionistische und vor allem sprachliche Form
des schematischen Überganges.
127 Diesbezüglich betont Hans Adler (2010, 142): „Was Kant als konstruktive Funktion
der Einbildungskraft bei der Begriffsbildung herausarbeitet – d.h. gerade nicht auf
Abstraktion von Gegebenem abhebt – wendet Herder in eine Kritik unfundierter
Abstraktion, deren Kern in der Kritik an der Distanz von den menschlichen Sinnen
oder der Abwesenheit der menschlichen Sinne in diesem Prozess besteht“.
128 An dieser Stelle nimmt Herder – wie Brigitte Hilmer (2010, S. 199) betont – eine
Umgestaltung der kantischen Anschauung durch die Sprache an, welche jedoch so
lange nicht als eine Auflösung interpretiert werden kann, wie die Anschauungen
weiterhin ihre eigene Funktion in der Sprache ausüben sollen.
129 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.
130 Angelica Nuzzo (2010, S. 200) sieht den Vorzug der Philosophie Herders darin, der
Spannung zwischen Logik und Geschichte die zentrale Stellung im philosophi-
schen Diskurs und der Logik eine genetische Bedeutung verliehen zu haben (S.
204): „Herder’s account of logic is primarily developmental or genetic“.
131 Simon, 2010, S. 118.
216
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
132 Das vorliegende Kapitel kann zugleich als Auseinandersetzung mit den Beiträgen
des von Ulrich Gaier und Ralf Simon herausgegebenen Sammelbands Zwischen
Bild und Begriff: Kant und Herder zum Schema (2010) gelesen werden, in dem die
217
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
Hier ist jedoch zunächst Schritt für Schritt vorzugehen. Die folgende
Untersuchung der Philosophie Herders geht von der Erörterung seiner Kritik
des kantischen Schematismus aus (III.1) und vertieft insbesondere drei Aspekte,
die in den abschließenden Kapiteln behandelt werden – und zwar den aposterio-
rischen Charakter der Begrifflichkeit (III.2), die Funktion der Sinnlichkeit (III.3)
und die Bestimmung der symbolischen Darstellung (III.4).
Herder hält den Schematismus für ein überflüssiges Geschäft des Ver-
standes und sieht seine Aufgabe in der Versprachlichung selbst, auch wenn er –
wie Bertram betont hat – eine nicht-reduktionistische Auffassung der Sprache
vertritt: Er „begreift die Sprache als ein irreduzibles Moment menschlicher
Praxis, ohne sie als differentia specifica dieser Praxis zu verstehen“.137 In der
Sprache verbinden sich also Ausdruck und Wahrnehmung, in deren Zusam-
menhang Form und Materie unzertrennlich sind.138 Und Herder bezieht sich
explizit auf die Begriffe von Materie und Form, die „in der Metaphysik so viel
leere Begriffe, schneidende Behauptungen und aus ihnen entspringende, Wort-
kriege verursacht, dass wir uns, wenn von irgendeiner Sache etwas Bestimmtes
gesagt werden soll, vor ihnen zu hüten haben“.139 Er beschreibt die Materie als
Bauzeug und die Form als die Konstruktion des Baues. Die Trennung zwischen
ihnen verhindert ihm zufolge die Erklärung der Gestaltung und führt lediglich
zur Schaffung von Idolen, wie es Raum und Zeit in der Sinnlichkeitstheorie
sind, die, als isoliert betrachtet, die Funktion der Sinnlichkeit nicht ausschöpfen.
Die Metakritik ist daher im Kern eine Kritik der isolierenden Methode
Kants, durch welche die beschriebenen Begriffe zu starren und leeren Dichtun-
gen und das Geflecht des kritischen Denkens zu einer separierenden Analyse
seiner Bestandteile werden, die als lebens- und gebrauchsfremd erscheinen. Die
Metakritik könnte insofern als eine Lehre der Einwirkung aller Kräfte der See-
le aufeinander gelesen werden,140 in der zunächst keine reine Sinnlichkeit gege-
ben ist, sondern die Anschauungen immer schon in Verbindung mit den einzel-
nen Sinnen stehen. Raum und Zeit sind daher nicht vom Hören und Sehen zu
trennen. Somit verbindet Herder die transzendentale, empirische und anthro-
pologische Ebene der kantischen Erörterung der Sinnlichkeit zu einer „Physio-
logie der menschlichen Erkenntniskräfte“,141 womit auch die Kategorientafel
revidiert wird,142 die als Bestimmungstafel oder als Versinnlichungstafel bezeich-
net werden könnte. Angesichts dieser Kritik von Sinnlichkeit und Begrifflich-
keit kann kaum erstaunen, dass auch die Revision des Schematismus in den
Fokus der Metakritik rückt, für welche die Subsumption nicht nur den Gebrauch
bestehender, sondern die Erwerbung neuer Erkenntnisse darstellt.
Der Versuch Herders muss daher nicht allein als eine Umkehrung des
kantischen Schematismus, sondern zugleich als eine Radikalisierung der syn-
thetischen Erweiterung der Erkenntnis durch die Sinnlichkeit gelesen werden.
Die Handlung des Verstandes ist in dieser Hinsicht keine ursprüngliche, spon-
tane Handlung, sondern ein Verstehen, das immer schon produktiv sinnlich ist.
So erklärt Herder entsprechend die doppelte Bestimmung der Begrifflichkeit,
die bei Kant einerseits als gemacht, andererseits als gegeben auftritt. Auf der
ersten Ebene handelt es sich um die Begrifflichkeit in ihrer Genesis als dem Pro-
zess selbst, der zur Bildung der Begriffe führt.143 Hier erfolgt nach Herder die
eigentliche Präformation auf der Seite der Sinnlichkeit. Die Spontaneität wird
mit einer Handlung des Verstehens zusammengesetzt, die sich in der Sprache
(im weitesten Sinne) realisiert. Auf der zweiten Ebene jedoch haben die Begriffe
den Charakter eines Gegebenen, da sie in der Sprache formiert und im Gebrauch
immer wieder aktualisiert werden. Auch auf dieser Ebene erfolgt also eine For-
mierung, die jedoch nicht ursprünglicher als die der Sinnlichkeit ist, sondern als
eine solche nur erscheint, weil die Begriffe als vorgegeben empfunden werden.
Anhand der Verbindung dieser zwei Ebenen lässt sich die revidierte Auffassung
der Kategorien bei Herder erklären. Seine Antwort auf die Frage „Wie entstan-
den also diese Kategorien? Etwa priorisch, ohne Gegenstände, von einem andern
Wesen dem menschlichen Verstande als eine Tafel angeheftet, damit durch sie
Erfahrung möglich würde?“, ist eindeutig ablehnend:
Es wird daher nicht verwundern, dass die Tafel von ihm auch als eine „Genea-
logie menschlicher Verstandesbegriffe“ bezeichnet wird,145 die sich auf zweier-
143 Diese Spannung zeigt meines Erachtens, dass für Kant die Gegebenheit der Begriffe
durchaus ein Problem darstellt. Sicherlich interessiert er sich – wie Tilman Borsche
betont hat (2010, S. 61) – für das Problem der Geltung der Begriffe. Trotzdem wür-
de ich sein Interesse am gegebenen Charakter der Begriffe nicht nur als „beiläufig“
bezeichnen, weil diese Spannung als eine erkenntnistheoretische an vielen Stellen
des kantischen Werks auftritt.
144 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 413.
145 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 365.
220
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
lei Weise spezifizieren lässt: einerseits als die Bestimmung des Seins, anderer-
seits als die Übertragung dieser Bestimmung in etwas, was in uns organisch
selbst gegeben ist. In der ersten Tafel finden wir Sein, Nebeneinander, Nach-
einander, In- und Durcheinander. In der zweiten organischen Tafel werden
diese Bestimmungen als Bewusstsein, Gesicht (als Organ des Nebeneinander),
Gehör (als Organ des Nacheinander) und Gefühl (als Organ des In- und Durch-
einander) verstanden.146
Die Sinne sind daher in jeder Gestaltung schon immer miteinbezogen,
wie Herder unmissverständlich schreibt: „Die Sinne präformieren, d.i. sie bil-
den ihm [dem Verstand] das Mannigfaltige zu Einem, das er sich nicht erschafft,
sondern anerkennend sich aneignet und eben hierdurch Verstand ist“.147 Und er
bezeichnet als „vorzüglich“ gerade die drei Sinne, die Kant in der Anthropologie
als eher objektiv denn subjektiv darstellt, und zwar Gesicht, Gehör und Gefühl
(Tastsinn).148 Hierin scheint bei Herder der Gedanke einer Versinnlichung auf,
in welcher der Verstand nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zu
trennen ist.149 Der Satz „Ich habe verstanden“ bringt daher den tieferen Sinn
der eigentlichen Funktion des Verstandes zum Ausdruck und beugt dem Ein-
druck einer Verworrenheit der Vorstellung im Verhältnis von Verstand und
Sinnlichkeit vor: „Soll unser Verstand verstehen, so muss ein Verständliches
vor ihm sein, das für ihn Bedeutung habe; Verstand ohne alles Verständliche ist
ein Unding, so viel leere Wortkapseln wir ihm auch anhängen mögen“.150 Wör-
ter, die nicht am Prozess des Verstehens teilnehmen, sind nicht nur – wie bei
Kant – Wächter der Begriffe, sondern vielmehr leere Wächter der Begriffe,
„Wortlarven“, welche unter der ‚Knute der Übervernunft‘ stehen.151 Die Sprache
übt im Gegenteil eine aktive Funktion aus, und die Wörter sind keine bloßen
Begleiter, sondern die eigentlichen Mittel des Denkens – so Herder:
„Die menschliche Seele denkt mit Worten; sie äußert nicht nur, sondern
sie bezeichnet sich selbst auch und ordnet ihre Gedanken mittelst der
Sprache. Sprache, sagt Leibniz, ist der Spiegel des menschlichen Verstan-
des, und, wie man kühn hinzusetzen darf, ein Fundbuch seiner Begriffe,
ein nicht nur gewohntes, sondern unentbehrliches Werkzeug seiner Ver-
nunft. Mittelst der Sprache lernten wir denken, durch sie sondern wir
Begriffe ab und knüpfen sie, oft haufenweise, ineinander“.152
Ausgehend von dieser Auffassung der Sprache und der Sinnlichkeit fragt Her-
der nach dem genetischen Verfahren, das zur Bildung der Begriffe führt und
damit direkt den Schematismus betrifft: „Statt nämlich zu transzendieren, kehre
die Vernunft auf den Ursprung ihres Besitzes, d.i. in sich selbst zurück, mit der
Frage: ‚Wie kamst du zu dir und zu deinen Begriffen? Wie hast du diese ausge
drückt und angewandt, verkettet und verbunden? Woher kommt es, dass du
ihnen allgemeine, notwendige Gewißheit zueignest?‘“153 Die Antwort Herders
kehrt zur Begrifflichkeit zurück und problematisiert die Gegebenheit der Begriffe
in dem Versuch, sie in einer Erfahrung zu begründen, die den Unterschied zwi-
schen Materie und Form dynamisiert und nicht hypostasiert. Somit erweitert
Herder den Aufgabenbereich jeder Schematisierung. Die Schemata werden als
statische Fiktionen beschrieben. Herder bezieht so den ursprünglichen Schema-
tismus-Begriff auf Bacon, „der aber ganz etwas anderes und Reelleres damit
wollte“.154 Im Gegensatz dazu verkenne Kant das Schema als Funktion einer
dritten Fiktion „zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“155 – wobei Fiktion
hier nicht das Produkt eines Prozesses, sondern einen Schemen im Sinne eines
vagen Konstrukts meint, das keine Begründung erfährt.
Der Schematismus basiert demnach für Herder grundsätzlich auf einem
falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Regel und Bild, was sich an der
Adaption des Beispiels einer Schematisierung des empirischen Begriffs des
152 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 320. Siehe dazu Adler 1990, S. 37: „Bei Herder
erreicht das Dunkle schließlich einen neuen Status mit der Behauptung, daß es
nicht nur thematisiert werden müsse, sondern daß es den Status eines grundsätzli-
chen Problems habe, ohne dessen Lösung alles Philosophieren bodenlos und – des-
halb – vergebens sei. […] Dieser Weg ist die Geschichte der Anerkennung des
Dunklen als nicht hintergehbares anthropologisches Datum, das in der ‚Wissen-
schaft von der sinnlichen Erkenntnis‘ (def. Baumgarten) – der Ästhetik – seinen
philosophischen Ort findet“.
153 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 342.
154 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414, Anmerkung 1. Francis Bacon ist ein wichti-
ger Bezugspunkt der Metakritik Herders. Siehe etwa die Stelle (S. 344), an der
Herder in Bezug auf Bacon bemerkt, dass dieser keinen Unterschied zwischen Ido-
len und Ideen, „zwischen leeren Satzungen und wahren Bezeichnungen“ sehe.
155 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.
222
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Hundes verdeutlichen lässt. Er nimmt Bezug auf die Behauptung Kants, dass der
Begriff vom Hund eine Regel bedeute, „nach welcher meine Einbildungskraft
die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf
irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder
auch ein jedes mögliche Bild, was in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu
sein“.156 Diesbezüglich fragt er sich einerseits, warum man bei einem vierfüßi-
gen Tier unbedingt an einen Hund und nicht auch an ein Pferd oder einen Esel
denken müsse. Denn diese Beliebigkeit wird vom Schematismus nicht aus-
geschlossen, da gerade die Abstraktion von bestimmten Merkmalen die Gattung
erweitert und damit die Vorstellung generischer macht. Andererseits betrifft
die Kritik Herders die Möglichkeit, ein vierfüßiges Tier ohne Gestalt zu denken:
„Soll ich es mir aber ‚ohne irgendeine Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet,
ohne jedes mögliche Bild, das ich in concreto darstellen kann‘, denken, so denke
ich in der Regel (denn kein vierfüßiges Tier lässt sich ohne Tiergestalt und ohne
vier Füße denken) gar nichts“.157 Kant würde demnach – so die Kritik – dem
Schematismus eine Funktion zuschreiben, die er nicht haben kann, und zwar
„sich Bilder in abstracto ohne jedes mögliche Bild in concreto vorzustellen“.158
Die Vorstellung setze daher einen Schema-Begriff voraus, der systematisch
zwar der Gestalt vorgeordnet sei, trotzdem jedoch die Gestalt selbst vorstellt.
Herder nennt diese Vorstellung einen Unbegriff, dem eigentlich die formieren-
de Kraft fehle, um die Wandlung der Begriffe in Gestalten zu vollziehen. Da der
Schematismus von einem Unbegriff ausgeht, eignet er sich nicht zu der ihm
zugeschriebenen Funktion. Auch die Kritik Herders am Schematismus bewegt
sich daher meines Erachtens gerade im Spannungsfeld zwischen gegebenem
und genetischem Charakter der Begriffe.
Soviel zunächst zur Kritik Herders an der Schematismuslehre Kants. Die
Deutung Herders hat jedoch nicht nur die aufgezeigte negative Seite, die darauf
zielt, die Lehre Kants zu entwerten, sondern enthält auch eine systematisch weit
interessantere und konstruktive Bedeutung, die dadurch zur Geltung kommt,
dass Herder die eigentliche Fragestellung des Schematismus thematisiert, die
für ihn in den Denkbildern des menschlichen Verstandes besteht.159 Diese posi-
tive Seite der Kritik Herders wird nun genauer zu untersuchen sein.
„Das Bild, das meine Seele empfängt, ist ganz ihrer Art, nicht das Bild
auf der Netzhaut des Auges; es ist von ihr empfangen, in ihre Natur
metaschematisiert. Indessen war’s vom Eindruck veranlasst, und sofern
ein geistiges Bild einem körperlichen ähnlich sein kann, ist es ihm ähn-
lich“.162
Der Eindruck ist nun der Ausgangspunkt des Denkens, und zwischen dem geis-
tigen und dem körperlichen Bild herrscht ein Ähnlichkeitsverhältnis, jedoch
keine Entsprechung. Hier wird von einem neueren „Metaschematismus tönen-
der Gedankenbilder“163 gesprochen, der diese Metastasis realisiert und in dem
die Einbildungskraft die Funktion hat, diesen geistigen Typus zu behalten.
Der geistige Typus lässt sich transformieren und auf unterschiedliche
Ebenen beziehen: er kann Gegenstand des Willens, der Triebe, der Wünsche
usw. werden. Die Einbildungskraft hingegen gewährleistet diejenige Beharr-
lichkeit, die Kant der Substanz zuschreibt und die nach Herder im Denkbild
selbst zu finden ist. Und innerhalb dieses Typus kommt eine Synästhesie zum
Ausdruck, die sich subjektiv realisiert, je nachdem, wie die Sinne wirken. In dieser
Synästhesie sind zum Beispiel die Typen des Auges und Ohrs „abgesetzter, reiner,
heller und klarer“ als die anderen Sinne. Die Synästhesie beschreibt also nicht
nur die Verhältnisse der Sinne untereinander, sondern sie wird zur transzen-
dentalen Bedingung der Artikulation des Denkens selbst. Ralf Simon legt diese
philosophische Grundintention Herders deshalb als eine „Sensualisierung der
begriffslogischen Grundannahmen des Rationalismus und damit als dessen
radikaler Gegenentwurf“ aus und erklärt sie – mit einem Neologismus – zum
„Projekt einer characteristica sensualis“.164 Herder integriert demnach die
Sinnlichkeit direkt in den Schematismus, da dieser von der Gestaltungsfunk-
tion des Tons lebt, und schlägt somit eindeutig den Weg einer Versinnlichung
ein, in welcher der Unterschied zwischen Anthropologie und Psychologie defi-
nitiv überwunden scheint.
Noch wichtiger ist hervorzuheben, wie gerade in der Zusammensetzung
die Entstehung der Sprache durch Artikulation stattfindet. Die Sprache selbst
ist diese sinnliche Artikulation,165 welche die Typen zur Entfaltung bringt. Die
Sprache ist somit gleichzeitig versinnlichend und versinnlicht, indem die Sinne
sowohl produktiv als auch rezeptiv sind.166 Die Sinne sind in der Sprache immer
schon aktiv, aufgrund des Metaschematismus, der in der Sprache erfolgt.167 Sie
ermöglichen die Artikulation des Denkens zwischen Bild und Wort, welche als
diejenigen Pole angesehen werden können, die schon in der Schematismuslehre
Kants zu finden sind, da das Schema selbst Methode des Überganges zwischen
Begriff-Wort und Bild ist. Was bei Herder hingegen wesentlich deutlicher aus-
buchstabiert wird, ist die semiotische Aufgabe einer Schematisierung, die ihre
Semantik überhaupt nur mittels sinnlicher Gestalten realisiert.168 Die Sprache
164 Simon 2010, S. 100f. Zum Begriff der Synästhesie siehe insbesondere die Interpre-
tationen von Maurer (2010, S. 57–72) und Bertram (2006, S. 235). Dieser beobach-
tet: „Die sinnliche Organisation des Menschen, die in dieser Weise untrennbar mit
der Sprache zusammenhängt, lässt sich am besten mit dem Begriff der Synästhesie
fassen. Wer Sprache versteht, dessen Sinnlichkeit gewinnt eine synästhetische
Anlage: Alle Sinne spielen für ihn zusammen“.
165 Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 419 und Bertram (2006, S. 228) für die
Interpretation eines nicht-reduktionistischen Ansatzes der Sprache bei Herder.
166 Vgl. dazu Hilmer 2010, S. 202f.: „Schematisierung findet auf drei Ebenen statt:
durch die einzelnen Sinne, durch die sprachliche Grammatik und durch die Worte
selbst. Die Schemata sind nicht vorgegeben, sondern bilden sich in der Betätigung
und Erfahrung aus. […] Die Sinne schematisieren in ihrem Bereich sowohl ‚rezep-
tiv‘ […] als auch ‚produktiv‘“.
167 Siehe dazu Fortuna 2005, S. 145: „[…] la Metacritica individua nella schematizza-
zione un dispositivo attivo già all’interno dei sensi“.
168 Insbesondere Ralf Simon (2010, S. 116f.) unterstreicht die grundlegende Beziehung
zwischen Bezeichnung und Bild bei Herder: „Es ist die sprachliche Funktion der
Bezeichnung, die dem bildhaften Charakter des innerlichen Gepräges zum Bild
verhilft. Herder denkt die Sprache als eine in die sinnlichen Vorstellungen hinein
vermittelte Exegese dieser Vorstellungen so, dass daraus beides zugleich entspringt:
artikulierte Sprache und Bild“. Tilman Borsche betont, dass mit der Auffassung
jedes Begriffs als Bildwortes kein iconic turn als Überwindung des linguistic turn,
225
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
ist daher „mehrfach ikonisch gebunden“, wie wiederum Ralf Simon bemerkt:
„als Protobilder wandern sensuelle Reize in den inneren Sinn ein und dort wer-
den sie semiotisiert, damit die semiotische Funktion manifeste Vorstellungs-
bilder erzeugen kann“.169
Das Wort als lautbares Merkmal ist nach Herder das Resultat einer Span-
nung zwischen der ständigen Veräußerung und Verinnerlichung im Denken:
„Er [der Mensch] musste, er wollte äußern, was er in sich sah und fühlte;
so ward, unterstützt von Stimme und Gebärden, den innern Abdrücken
seiner Seele, ein lautbares Merkmal, das Wort. Zwischen beiden Sinnen,
dem Ohr und Auge, und den verschiedenen Eindrücken, die beide
gewährten, drängte es sich hervor; es ward der empfangenen Eindrücke
typisierender Ausdruck“.170
sondern eine Erweiterung des linguistic turn selbst angesprochen ist (2006, S. 141):
„Herder schreibt in dem Bewusstsein, dass jedes Wort Antwort ist. Mehr noch,
dass jeder Begriff Bildwort ist: d.h. etwas darstellt, das er selbst nicht erdacht, son-
dern vorgefunden hat, indem er es aufnimmt, wiedergibt und ggf. modifiziert bzw.
kritisiert. Grundbegriffe sind Bildworte. Das ist nicht der iconic turn, der den
Grundsatz lehrt: Bilder statt Worte, sondern eine Überwindung des linguistic turn
durch Erweiterung: Worte als Bilder, nicht Abbilder von Sachen, Einkleidung der
Begriffe, sondern Wort-Bilder als Quellen neuer Gedanken. Bilder werden Begriffe
durch ihre Signatur im Wort. Begriffe entstehen, indem Bilder zu Worten geprägt
und damit Glieder eines unendlichen Netzes von Analogien – dem Gewebe der
‚Sprache‘ – werden; eines Gewebes von Gewohnheiten, das weitere Gewebe an sich
bindet: solche von Gewohnheiten des Wahrnehmens, des Urteilens, der morali-
schen Gefühle usw.“. Siehe dazu auch Hilmer 2010, S. 204.
169 Simon 2010, S. 111. Vgl. auch Heinz 2010, S. 219.
170 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.
171 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420
172 Vgl. Trabant 2006, S. 249.
226
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Das Begreifen erstreckt sich über die Bilder hinaus, und die Sprache, um
diese übertragende Abstraktion zu ermöglichen, tönt und klingt „ätherisch“173:
„In diesem Verstande ist die ganze Sprache Allegorie; denn jederzeit drückt in
ihr die Seele ein anderes durch ein anderes aus (ἄλλο ἀγορεύει, ἄλλο νοεῖ),
Sachen durch Zeichen, Gedanken durch Worte, die im Grunde nichts miteinander
gemein haben“.174 Und trotzdem wird das Begreifen nicht auf das sich allego-
risch Entfaltende des Denkens reduziert, dessen Begriffe auch die Möglichkeit
haben, sich von den Bildern zu entkleiden, obwohl auch dem hellsten Begriff
„das Bildhafte nie ganz entnommen werden kann“.175 Herder nimmt an dieser
Stelle Bezug auf die Algebra176 als Beispiel einer Disziplin, die sich gerade auf die
Entsprechung von Zahlen und Zeichen gründet, und unterscheidet sie von der
Philosophie. Wie schon Kant, hebt auch Herder den diskursiven Charakter des
philosophischen Denkens hervor; jedoch begründet er die Diskursivität phi-
losophischer Begriffe nicht durch die Unmöglichkeit, sie in Bilder zu überset-
zen, sondern vielmehr durch den genetischen Prozess, der von Bildern aus-
gehend zu Begriffen gelangt, die keinen Bezug zu jenen haben. Das Verhältnis
zwischen spekulativen Begriffen und Bildern ist daher auf nicht-reduktive Art
sprachlich:
„Da man sich nämlich bei spekulativen Begriffen keine groben Bilder
der Erfahrung denken konnte, nahm man, wie der Zufall sie gab, aus
dem Zusammenhang der Sprache, aus Erinnerungen, wo und wann man
das Wort zuerst gehört hatte, oft aus dem Schalle des Worts selbst Züge
zusammen und formte daraus eine Nebengestalt, wie die Kritik sie
angibt, ein Schema“.177
Wenn das Schema nur eine Nebengestalt ist, stellt sich die Frage, woher die
ursprüngliche Gestalt kommt. Sie entspricht nicht dem Wort selbst, das – letzt-
lich ähnlich wie bei Kant – nur den Begriff aufruft und von ihm unterschieden
bleibt. Das Schema ist vielmehr als Nebengestalt eine Schattierung der Sache
173 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Diesbezüglich betont Ralf Simon (2010,
S. 101): „Sprache ist grundsätzlich die Exegese ihrer sinnlichen Herkunft, selbst
wenn im Zuge der Sprachentwicklung die fundierende Bildlichkeit zurückgedrängt
wird und die Begriffe der Verständigkeit in den Vordergrund treten“.
174 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421.
175 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Siehe dazu Gaier 2010, S. 9: „Wollte man es
auf Schlagworte verkürzen, dann stellt sich Kant die Frage, wie man Kategorien
veranschaulicht, während Herder die Frage stellt, wie man Bilder verbegrifflicht“.
176 Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422: „Die Algebra selbst mit ihren
Zahlen und Zeichen, durch Ordnung, Stellung, Verwandlung und Minderung der-
selben hat dieses Bildhafte (es betreffe Größe und Operation) auf genaueste
bestimmt und eben hierauf die Sicherheit ihres Geschäfts gegründet“.
177 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422.
227
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
178 Siehe zur Verwendung der Bezeichnung der Wortschatten als σκιάματα und nicht
als σχήματα Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 425.
179 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 427.
180 Ebd.
181 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 482. Siehe dazu auch S. 593f.
182 Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 513.
183 Hans Adler (2010, S. 146) schreibt diesbezüglich: „Metaschematisieren als produk-
tiver Rezeptionsprozess wird als Äquivalent der Arbitrarität des Sprachzeichens im
Prozess des Ausdrucks (Semiose) begriffen, wobei die Zeichen letzten Endes deik-
tische Funktion haben“.
228
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
etwa, dass Herder die Vermittlung des Schemas nicht mehr braucht und eine
Philosophie ohne ein Drittes vertritt, sondern lediglich, dass dieses Dritte eben
die Gestaltung selbst ist und ihre einzelnen Bestandteile nur in heuristischer
Weise als getrennt betrachtet werden können. Die Frage hat sich daher auf den
Grund dieses heuristischen Verfahrens zu fokussieren. Jede Vermittlung ist bei
Herder eher eine Artikulation und Gestaltung als die Überbrückung eines
Dualismus, da dieser in der Erfahrung immer schon überwunden ist. Dieser
Ansatz hat zwei unmittelbare Konsequenzen: erstens Herders Versuch, in einer
Topik der Regionen der Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes eine
strikte Grenzziehung zwischen den Vermögen zu vermeiden,187 und zweitens
die Kritik des Unterschieds zwischen phaenomenon und noumenon. Letzterer
wird von ihm wie folgt erklärt:
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Artikulation nicht in der
Lage ist, die ganze Weite der Schematismusproblematik abzudecken. Denn diese
als Kern einer Transzendentalphilosophie hat nicht allein die semiotische Arti-
kulation zwischen Bildern und Begriffen sowie die Entstehung und den
Gebrauch von Zeichen zu erklären, sondern auch die synthetische Funktion des
Denkens, das nicht auf die Sinnlichkeit reduziert werden kann. Gefragt ist dem-
nach die Erhellung der semantischen Artikulation als ein Versinnlichungspro-
zess, der nicht nur die semiotische Entfaltung von Bedeutung zwischen Wörtern
und Bildern, sondern auch ihren Gebrauch erklärt. Auf dem Spiel steht damit
eine mögliche Entsprechung von Semiotik und Semantik im Gebrauch, welche
in der Folge nicht zufällig mit der Problematik des kindlichen Spracherwerbs in
Verbindung gebracht wird. Um dieses Thema etwas eingehender zu beleuchten,
wird es im Folgenden zunächst um den aposteriorischen Charakter der Begriff-
lichkeit, dann um die Funktion der Sinnlichkeit und den Primat des Hörens und
schließlich um Herders Analyse der symbolischen Darstellung in Kants Kritik
der Urteilskraft gehen.
erstrecken kann.193 Dieses Phänomen wird übrigens auch von Maimon berück-
sichtigt, der – wie bereits angedeutet wurde – die Funktion der symbolischen
Erkenntnis auf die Begrifflichkeit ausweitet. In Bezug auf die Möglichkeit, den
Gebrauch der Begriffe in abstracto zu bestimmen, schreibt Maimon: „Allein
hier ist nicht die Rede von den Begriffen, sondern von ihren Ausdrücken. Es ist
unmöglich den Gebrauch dieser letztern in Abstracto kennen zu lernen, ehe
man denselben in Konkreto kennen gelernt hat“.194 Hierbei geht es um Aus-
drücke, deren Bedeutung im Gebrauch zu suchen ist. Diese Passage entstammt
Maimons Abhandlung Erklärung einer allgemeinbekannten merkwürdigen
anthropologischen Erscheinung von 1800, die er dem von Kant gestellten Pro-
blem der Erlernung des Wortes ‚Ich‘ bei Kindern widmet. Das Wort Ich sowie
die ‚Fürwörter‘ – also die Pronomen – lernt das Kind laut Maimon durch den
Gebrauch: das Sprechen, dessen Folge ein inneres Bewusstsein ist, in dem sich
die Reihe des Ich vollendet. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die
damit verbundenen Probleme detailliert zu erörtern, sondern lediglich darum,
auf die genetische Methode Maimons hinzuweisen, die eine aposteriorische
Auffassung der Begriffe mit sich bringt, indem ihre Bildung auf die kognitive
Entwicklung des Kindes zurückgeführt wird, in der die Sprache eine schöpferi-
sche Funktion übernimmt.195 Die Sprache lässt sich insofern nicht von ihrer
anthropologischen und historischen Dimension trennen, die entsprechend
einen Überlieferungsprozess erfordert.
193 Zur Bildung der Begriffe siehe insbesondere das Werk Viertes Kritisches Wäld-
chen, in FHA, 2, S. 252–255. Angelica Nuzzo hat zuletzt mit Blick auf die Bedeu-
tung bemerkt, die Herder den Kindermädchen wegen der ‚begrifflichen‘ Erziehung
der Kinder zuspricht (2010, 206): „Concepts are the a posteriori of language. Think-
ing is one with speaking so that we would not be able to think were we not thinking
in and through language. Framing this thesis in the developmental perspective of
the earlier essay, Herder repeats that ‘in our first education we learn thoughts
through words, and the nursemaids that form our tongue are hence our first teach-
ers of logic’. Genetically, the first concepts are always ‘sensible concepts’ [Abhand-
lung über den Ursprung der Sprache, in FHA 1, S. 556f.]“.
194 Maimon, GW, VII, S. 528.
195 Dazu Gaier 1988, S. 198: „Der Verstand bleibt in einem dialektischen Verhältnis an
den historischen Moment der Wortschöpfung gebunden. […] Die in Merkmalen
bezeichnende und den so konstituierten Begriffe in Sprache festhaltende Funktion
des Verstandes ist es auch, die für Herder ein Äquivalent dessen schafft, was Kant
sich nur als Apriori der reinen Verstandesbegriffe erklären kann“. Vgl. auch Adler
2010, S. 147. In Bezug auf die Funktion der Sprache schreibt Lisa Steinby (2010,
S. 156): „Begriffe und Sprache stehen somit für Herder – anders als für Kant – in
einer engen, inneren Beziehung zueinander: in der Sprache sind die Erzeugnisse
unseres Verstandes und des Verstands der vor gegangenen Generationen gespei-
chert, und die angeeignete Sprache schenkt uns die Mittel, unsere Welt zu begrei-
fen“.
232
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Wie schon gesehen, spricht Herder in Bezug auf das Allgemeine von
einem Prozess der Generalisierung, der eine Partikularisierung zur Absicht hat.
Diese Absicht jedoch gründet nicht in der Sprache selbst, sondern in einer ange-
borenen Fähigkeit des Menschen, die Herder als Besonnenheit bestimmt, die –
wie Trabant beobachtet – als das „Bedürfnis des Menschen, die Welt kennen-
zulernen“, zu verstehen ist.196 Diese Fähigkeit stellt lediglich eine Disposition
zur Sprache dar, weil Herder die kognitive, innerliche Sprache als nicht angebo-
ren, sondern dialogisch bestimmt.197 Die Disposition zur Sprache lässt sich wie-
derum nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit trennen, weil sie sich
durch die Sinne realisiert. Im folgenden Kapitel wird daher die dichtende Funk-
tion der Sinnlichkeit bei Herder zu untersuchen sein, um auf diesem Weg erklä-
ren zu können, inwiefern durch die Sinne das Allgemeine immer schon in einer
Partikularisierung begriffen ist. Genauer geht es um die Frage der Bildung von
abstrakten Begriffen, also um die Begründungsfrage, die wiederum die Sponta-
neität des Metaschematismus bei Herder betrifft: Wie kommt dieser Prozess
zu seinen eigenen Begriffen?
musste199 – ist für Herder offenkundig. Was das grundsätzliche Verständnis der
Sinne angeht, unterscheiden sich meines Erachtens Kant und Herder jedoch
nicht wesentlich. Beide heben die sprach- und erkenntnistheoretische Funktion
der ‚objektiveren‘ Sinne (also Gesicht, Gehör und Tastsinn) hervor, und finden
vergleichbare Unterschiede zwischen ihnen, die sich grob zusammengefasst wie
folgt ausnehmen: Das Gesicht ermöglicht die Bildung der figürlichen Gestalt,
während der Tastsinn zur Bildung einer körperlichen Gestalt führt und das
Gehör der Sinn der Sprache ist.
Jedoch ist die Stellung der Sinne bei beiden zu unterscheiden: Bei Kant
ist die Funktion der Sinne nicht transzendental, sondern physiologisch und
anthropologisch konnotiert, und die Verbindung zwischen Sinnen und Anschau-
ungen wird bei ihm erst im Rahmen der Bestimmung von Gestalten, Bildern
und Wörtern ausgeführt. Diesbezüglich ist deutlich geworden, dass Kant –
obwohl er den Sinnen keine ausdrücklich transzendentale Stellung zuspricht –
die semantische Artikulation zwischen Bildern und Wörtern in seiner Trans-
zendentalphilosophie ohne Rückgriff auf die Sinne nur unzureichend erklären
kann, insbesondere weil das Gehör für Kant wesentlich zum Gebrauch abstrak-
ter Begriffe beiträgt, ohne dass Kant damit die begriffliche Anwendung und
Subsumption erhellen könnte. Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung bei Her-
der durchaus auf die Sinnlichkeit zurückzuführen, die das Denken gestaltet.
Folglich bettet er das Bezeichnungsvermögen in die bestimmende und – wie im
nächsten Kapitel deutlicher werden wird – auch die symbolische Darstellung
im kantischen Verständnis ein,200 die sich daher nicht voneinander trennen las-
sen. Der Metaschematismus erklärt so, inwiefern im Denken immer schon eine
Versinnlichung am Werk ist, da ohne sie keine Gestaltung möglich wäre, die
den apriorischen Charakter der Begrifflichkeit aufhebt.201
Meine Auslegung ist zunächst als ein Versuch zu verstehen, die bei Kant
rekonstruierte Versinnlichungslehre durch das Verständnis der Sinne bei Her-
der zu erweitern, die jedoch nicht frei von anthropologischen und ästhetischen
(im Sinne einer Schönheitslehre) Implikationen ist, wie ich am Ende dieses
Kapitels zeigen möchte. Daher möchte ich im Folgenden zunächst Herders
Verständnis der Sinne direkt mit der Transzendentalphilosophie Kants in Bezie-
hung setzen, weil auf diese Weise die Interpretation des Schematismus als
semiotischem und semantischem Prozess schärfere Konturen gewinnt. Dazu
muss geklärt werden, inwiefern die aufgezeigte Physiologisierung der Psycho-
logie durch Herder tatsächlich mit der Transzendentalphilosophie Kants kom-
patibel ist. Ob schließlich die Theorie zum embodied mind in der Version von
Mark Johnson und George Lakoff einen ähnlichen Weg einschlägt, wird im
letzten Teil der Untersuchung zu fragen sein.202
Der geeignete Ausgangspunkt für die Analyse der herderschen Sinn-
lichkeit ist der Begriff der Synästhesie. Denn erkenntnistheoretisch wird der
innere Sinn von Herder als sensorium commune definiert, in dem alle Sinne
zusammenfließen. In der Natur ist insofern „nichts geschieden, alles fließt
durch unmerkliche Übergänge auf- und ineinander; und gewiß, was Leben in
der Schöpfung ist, ist in allen Gestalten, Formen und Kanälen nur Ein Geist,
Eine Flamme“.203 Die Philosophie ist daher angehalten, nicht nur die einzelnen
Wirkungen der Sinne, sondern auch die Kraft selbst zu betrachten, in der sie
immer schon vereint sind. Bei Herder ist die Synästhesie gleichermaßen eine
Synergie.204 Deshalb ist es schwierig, bei Herder von einer Hierarchie als ver-
tikaler Ordnung der Sinne untereinander zu sprechen, gerade weil die Sinne
verschiedene Wirkungen haben, die in der Wahrnehmung immer schon im
Zusammenfluss sind. Es handelt sich im Gegenteil – wie Trabant betont – um
eine horizontale Ordnung der Sinne.205
201 Zur Kritik des Apriorismus Kants in Bezug auf die Sinnlichkeit siehe insbesondere
Gaier 1988, S. 185–195.
202 Siehe unten, Kap. I.2 des dritten Teils.
203 Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 338.
Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass für Herder keine Psychologie möglich
ist, „die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei“ (S. 340).
204 Siehe dazu Formigari 2003, S. 137.
205 Trabant 1990, S. 358. Dieser Aspekt ist auch bei Kant wichtig, der die einzelnen
Funktionen der Sinne aus der Perspektive ihres Mangels bei Menschen untersucht
– wie das Beispiel der Taubgeborenen für die Betrachtung des Gehörs gezeigt hat,
bei dem er zur Behauptung kommt (AA VII: S. 155), dass ein Taubgeborer „nie zu
etwas Mehrerem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“ könne. Dazu
schreibt Herder bereits 1774 (Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen
235
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
Was die Funktionen der einzelnen Sinne angeht, nimmt der Tastsinn
eine prominente Stellung ein, was sich auch in der Kunsttheorie Herders wider-
spiegelt.206 Die vom Tastsinn gebildete Gestalt ist dabei eine körperliche:
„Etwas, was wir täglich erfahren könnten, wenn wir aufmerkten, dass
das Gesicht uns nur Gestalten, das Gefühl allein, Körper zeige: dass
Alles, was Form ist, nur durchs tastende Gefühl, durchs Gesicht nur
Fläche, und zwar nicht körperliche, sondern nur sichtliche Lichtfläche
erkannt werde“.207
Das Gehör ist der Sinn der Sprache, dem eine Mittelstellung in der Sin-
nesordnung zukommt, wie aus dem Wäldchen deutlich hervorgeht:
„Das Gehör allein, ist der Innigste, der Tiefste der Sinne. Nicht so deut-
lich, wie das Auge ist es auch nicht so kalt; nicht so gründlich wie das
Gefühl ist es auch nicht so grob; aber es ist so der Empfindung am nächs-
ten, wie das Auge den Ideen und das Gefühl der Einbildungskraft. Die
Natur selbst hat diese Nahheit bestätigt, da sie keinen Weg zur Seele
besser wusste, als durch Ohr – und Sprache“.211
Die Mittelstellung des Gehörs hängt näher mit der Struktur des Lautes zusam-
men, der den Ausdruck ermöglicht. Während die Gegenstände des Gesichts für
Herder unaussprechlich bleiben, sind die Gegenstände des Gehörs „mit Bewe-
gung verbunden“. Doch auch diese Bewegung ist artikuliert; sie bleibt nicht
schwebend, sondern bestimmt ihre Gegenstände im Ausdruck. Der Laut wird
somit zum Dritten des Ausdrucks: bei ihm lässt sich die semantische Verwand-
lung jener Artikulation erkennen, in der er zur sprachlichen Bezeichnung
wird.212 Wir werden sehen, inwieweit auch Humboldt und Hegel diese Funktion
der sprachlichen Artikulation für das Denken hervorheben.
211 Herder, Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 357. Diese Mittelstellung des
Gehörs wird in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache (FHA, 1, S. 746–
749) durch die unterschiedlichen Weisen bestätigt, in denen das Gehör als mittlerer
Sinn bezeichnet wird. Sechs Aspekte spezifiziert Herder genauer: das Gehör ist der
mittlere der menschlichen Sinne in Ansehung (1.) der Sphäre der Empfindbarkeit
von außen, (2.) der Deutlichkeit und Klarheit, (3.) der Lebhaftigkeit, (4) der Zeit, (5.)
des Bedürfnisses, sich auszudrücken sowie (6.) der Entwicklung des Menschen.
Empfindungen, Anschauungen und Sprache erscheinen so in einer holistischen
Perspektive. Zur Bestimmung des Gehörs als Mittelsinn siehe Trabant 1990, S. 358,
Gessinger 1996, S. 44, Kim 2002, S. 171–173, und Maurer 2010, S. 65.
212 Dazu Fortuna 2005, S. 147: „In questo modo il linguaggio verbale bilancia costante-
mente la componente espressiva attraverso una sua peculiare sospensione, una for-
ma di distacco che è resa possibile attraverso la forma fonica“. In Bezug auf die
Funktion des unartikulierten und artikulierten Lautes vergleicht Jürgen Trabant
(1990, 363f.) Herder, Humboldt und Hegel: „Leaving the phoné in the interiority of
the reflecting soul, Herder seems to anticipate the fundamental idea of Derrida’s
Grammatology : the inner soundless mark is an architrace. But the central position
of audition contradicts such an assumption: sound and listening to the sound are
the starting-point of language. But the sound present in Herder’s language nucleus
is the voice of the object, not the voice of the subject. And this voice is, according to
an Aristotelian distinction, psóphos, unarticulated sound, and not phoné, articu-
late sound. We might speak of a psopho-centrism in Herder. But since the reflective
listening to the voice of the object is the real starting-point of human language,
Herder’s position then is, actually, best referred to as oto-centrism. […] The voice of
the speaker and the dialogue do enter the scene immediately after the constitution
of the nucleus of language. But, quite obviously, the voice of the object and the
subject’s ear occupy a privileged position. […] Humboldt thus considers all possi-
237
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
bilities opened up by the voice, he is the most complete phonocentrist. […] Sound
[in Hegel] is not, as in Herder, between the tactile and the visual impression, it is at
the top of sensory impressions due to its quasi-immaterial quality. Hegel’s primacy
of the voice can therefore more precisely be labelled subjective phono-supramacy“.
213 Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 358.
Wie Michael Maurer (2010, S. 66) betont, bieten die Sinne bei Herder sowohl die
körperliche Voraussetzung des Geistigen als auch das ‚Mittel‘ der Ideenbildung.
214 Forster 2010, S. 16f.
215 Forster 2010, S. 71.
238
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
216 Insbesondere Lia Formigari (2003, S. 135) hat auf die Bestimmung eines „pensée
corporelle“ bei Herder hingewiesen: „l’esprit trouve dans le corps l’organe qui per-
met d’organiser et communiquer les perceptions. Le corps, écrivait Herder dans les
Kritische Wälder, est le point de contact de l’esprit avec le monde“. Siehe dazu auch
Tani 2000.
217 Siehe zum Beispiel Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen See-
le, in FHA, 4, S. 346: „Unterlag unsre Seele dem Meere kommender Wellen von
Reiz und Gefühl von außen: so gab uns die Gottheit Sinne; von innen, so webte sie
uns ein Nervengebäude“.
218 Vgl. dazu Pénisson 1990, S. 293f., und Scheider 1996, S. 59: „The tactile paradigm of
aesthetic experience established by Herder against the visual paradigm of the
Enlightenment opens up a dimension of depth behind what is now only the surface
of appearances, it penetrates the exterior into an interior which by this act comes
into being. This new paradigm is shaped after the model of bodily self-awarness
which Herder celebrates as an originating moment, the symbolic moment of origin
where the ‘soul creates a body for itself’, which also is the origin of symbolic expres-
sion“.
239
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
219 Cassirer, ECW, 11, S. 95. Zeuch (2010, S. 261f.) spricht von einem „Weg aus der
Krise der Repräsentation in der Moderne“.
220 Borsche 2010, S. 55. Vgl. Gaier 2006, S. 124f.
221 Pénisson 1990, S. 292.
222 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 720. Vgl. Fortuna 2005, S. 143: „La condizione per-
ché si produca questa sintesi sensoriale e cognitiva è la componente espressiva“.
240
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Schon in Bezug auf den aposteriorischen Charakter der Begrifflichkeit und die
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit ist gezeigt worden, inwieweit die Metapher
bei Herder ein genetischer Prozess ist.223 Sie hat eine grundlegende Erkenntnis-
funktion, weil das Begreifen in sich schon eine Verwandlung und Übertragung
impliziert. Dieser Aspekt lässt sich daher mit der kantischen Unterscheidung
zwischen direkter (schematischer) und indirekter (symbolischer) Versinn-
lichung vergleichen.224 In der Kalligone setzt sich Herder explizit mit der Kritik
der Urteilskraft auseinander. So schreibt er in der Vorrede:
„Mit eben dem Recht und aus eben der Pflicht, aus und mit welchen ich
der Kritik der leeren Vernunft eine Metakritik zugab, führe ich der Kritik
der Urteilskraft eine Kalligone zu, gleich unbekümmert, wie man sie
aufnehme: denn wer sich darüber den mindesten Kummer machte, hätte
keine Metakritik geschrieben“.225
In der Schrift widmet er dem §59 eine ausführliche Interpretation, in dem Kant
die Schönheit zum Symbol der Sittlichkeit erklärt und seine Lehre einer doppel-
ten Versinnlichung entwirft. Herder nun scheint Kant eine ungenaue Verwen-
dung des Symbol-Begriffes vorzuwerfen, denn – so behauptet er – „nicht jeder
Begriff […], den ich mit einer Sache verbinden will, instituiert Symbole“.226 Und
er merkt an, Kant irre sich im Fall des Beispiels der Handmühle und gerate in
eine Wortverwirrung,227 denn es sei ein „sinnverkehrender Gebrauch des Wor-
tes“, das nicht für jeden ein Symbol darstelle. Vor allem erkenne man die meta-
phorische Bedeutung nicht im, sondern am Symbol. Gerade diese Kritik ist
bedeutend, weil sie klarstellt, dass es im Beispiel der Handmühle um ein Urteil
und nicht um ein Wort geht, oder anders gesagt: um eine Metapher und nicht
um ein Symbol. Insofern setzt das Beispiel immer schon eine Interpretation
voraus.228 Das Symbol steht für die anschauliche Entsprechung mit dem Begriff,
wobei das Natursymbol die vollkommenste Entsprechung darstellt. An ihm
lässt sich die Bedeutung so direkt erkennen, als ob sie naturgegeben wäre.
Herder unterscheidet – ähnlich wie Maimon – zwischen Natursymbolen
und konventionellen Symbolen. In Bezug auf erstere erklärt er, dass „jedes
Ding bedeutet, d.i. es trägt die Gestalt dessen was es ist“. Daher werden Natur-
symbole als „die darstellendsten, ausdrückendsten, prägnantesten“ beschrieben.229
Zwar sind auch diese Symbole konventionell, doch hat nach Herder jede echte
Konvention in der Natur ihren Grund. Damit erklärt Herder die Wirkung, die
jede Symbolisierung in sich trägt und die zur Ausdrucksfähigkeit jedes Ding
beiträgt. Für die konventionellen Symbole bedeutet dies, dass sie als graduierbar
im Sinne eines Aufstiegs zum Natursymbol verstanden werden können. Die
natürliche Verbindung kann daher als Vorbild für die Orientierung der kon-
ventionellen Bedeutungsgebung gelten.
Somit skizziert Herder mit wenigen Strichen eine menschliche Sym-
bolik: „Die Kunst also, die am Naturausdruck lebendiger Formen haftet, ist
äußerst strenge und sparsam mit Symbolen“.230 Von dieser symbolischen Ver-
wandlung sind auch Hören und Sehen betroffen. Natürliche und konventionelle
Symbole haben eine unterschiedliche Stellung, je nachdem, ob sie durch das
Auge oder das Ohr zum Ausdruck gelangen. Die Malerei sollte dementspre-
chend den Naturgestalten möglichst nahe kommen, und die Griechen gelten
Herder in Sachen Naturtreue als die „weisesten Meister“.231 Im Gegensatz dazu
üben die Symbole für das Ohr eine andere Funktion aus:
„Dem Ohr dagegen sind Symbole von einer andern Art; sie legen ihre
Natur ab und werden selbst, was sie bedeuten. So Töne; ihr Klang und
Gang und Rhythmus bedeuten nicht nur, sondern sind Schwingungen
des Mediums sowohl als unsrer Empfindungen; daher ihre innigere
Wahrheit, ihre tiefere Wirkung. So die Worte der Sprache; das Sym-
bolische der Laute oder gar der Buchstaben bleibt in einer uns geläufigen
Sprache außerhalb der Seele; diese schaffet und bildet sich aus Worten
eine diesen ganz fremde, ihr selbst aber eigne Welt, Ideen, Bilder, wesen-
hafte Gestalten“.232
Die Funktion des Symbols für das Ohr wird dennoch zum Kriterium der
Betrachtung der Dichtung und ihrer inneren Wirkungen, die sie von der Male-
rei oder dem allegorischen Drama unterscheiden. Dieser Aspekt wird jedoch
von Herder nicht primär erkenntnistheoretisch, sondern kunsttheoretisch ver-
tieft, wobei es ihm um die ästhetische Bedeutung des Lautes geht. Das Hören ist
derjenige Sinn, der eine Vermittlung zwischen Lauten und den innersten
Gefühle der Seele leistet. Die Aufmerksamkeit wird dabei eher auf die „innige
Wahrheit“ und „tiefere Wirkung“ der Laute gelenkt, womit die Ästhetik zu
einem kunsttheoretischen Verständnis der Sinne wird.
Bei Herder lässt sich insofern der Versuch erkennen, nicht nur eine Psy-
chologie, sondern auch eine Ästhetik auszubuchstabieren, welche die Physiolo-
gie miteinbezieht.233 Die Analyse der Sinne, die in einem sprach- und erkennt-
nistheoretischen Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann, entfaltet
sich hauptsächlich in der Bestimmung der einzelnen Künste. Herders auf das
Gefühl ausgerichtete Auffassung der Sinnlichkeit führt weiterhin zu einem
bestimmten Verständnis des Verhältnisses von Plastik und Malerei, wie schon
das Gehör zur Bestimmung der Musik beitrug.234 Die angenommene Synästhe-
sie entfaltet ihre volle Kraft in Herders Interpretation der Kunst und lässt sich
schwer von seiner Auffassung der kulturell geprägten Lebensformen trennen.235
So tritt sie zum Beispiel in der Abhandlung Über Bild, Dichtung und Fabel
hervor, in der die Bestimmung der Sinne mit regionalen Unterschieden in Ver-
bindung gebracht wird: „Nach dem Auge hat sodann Ohr und Gefühl, insonder-
heit die tastende Hand, der Seele die meisten Ideen gegeben; der Geschmack und
Geruch weniger, insonderheit in den nordischen Regionen“.236 Solche Beobach-
tungen anthropologischer und physiologischer Art bestätigen Kant wiederum
in der Überzeugung, bei Herders Analyse handele es sich nur um poetische
Erklärungen und Allegorien, die nicht zur Philosophie gehörten und beliebig
blieben.237 Jenseits oberflächlicher Differenzen liegt der gegenseitigen Verken-
233 In diese Richtung geht auch die Kritik von Bertram (2006, S. 235f.) an Michael
Forster.
234 Siehe dazu die Bestimmung der Sinne in Bezug auf die einzelnen Künste in Plastik
(FHA, 4, S. 263): „In der Bildnerei, bei einem Solido kann nichts durchscheinen: sie
arbeitet für die Hand und nicht fürs Auge“. Und weiter (S. 276): „Die Formen der
Skulptur sind so einförmig und ewig, als die einfache reine Menschennatur; die
Gestalten der Malerei, die eine Tafel der Zeit sind, wechseln ab mit Geschichte,
Menschenart und Zeiten“. Zum Begriff der Synästhesie siehe Zeuch 2000, S. 279,
und zur Bedeutung der Plastik insbesondere Leiner 2012, S. 152.
235 John H. Zammito bezeichnet Herder als „an aesthetic psychologist“ und bemerkt
(2002, S. 332): „Herder’s theory of developmental psychology thus carried him
inevitably to a theory of cultural difference and of historical proliferation and
cumulation“.
236 Herder, Über Bild, Dichtung und Fabel, in FHA, 4, S. 633.
237 Für diese Kritik siehe Kants Rezension zu Herders Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit, insbesondere folgende Beobachtung (AA VIII: 60):
„Aber so wenig wollen wir untersuchen, ob nicht der poetische Geist, der den Aus-
druck belebt, auch zuweilen in die Philosophie des Vf. eingedrungen; ob nicht hier
und da Synonymen für Erklärungen und Allegorien für Wahrheiten gelten; ob
nicht, statt nachbarlicher Übergänge aus dem Gebiete der philosophischen in den
Bezirk der poetischen Sprache, zuweilen die Grenzen und Besitzungen von beiden
völlig verrückt seien; und ob an manchen Orten das Gewebe von kühnen Meta-
phern, poetischen Bildern, mythologischen Anspielungen nicht eher dazu diene,
den Körper der Gedanken wie unter einer Vertügade zu verstecken, als ihn wie
unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen“.
Zum Denkstil der Philosophie Herders siehe Herz 1996, S. 45f. und 63–68. Für
243
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
einen grundlegenden Vergleich zwischen Kant und Herder in Bezug auf die
Anthropologie siehe insbesondere Zammito 2002, S. 315.
238 Den Begriff der Dichtung bei Kant und Herder untersucht Tilman Borsche (2010,
S. 65).
239 Pénisson 1990, S. 302.
240 Siehe Forster 2010, S. 72f.
241 Siehe oben, Kap. V des ersten Teils.
242 Siehe dazu Leiner 2012, S. 139: „Somit hat Herder keinen abstrakten Erkenntnisbe-
griff, sondern Erkennen ist für ihn immer an die unmittelbare Tätigkeit aus der
Empfindung heraus gebunden; es ist selbsttätiges Schöpfen aus der verborgenen
Gottesnatur heraus, die über Gefühl und Empfindung annäherungsweise erfahrbar
wird und die letzten Endes Quell und Antrieb aller Erkenntnis und Kulturgestal-
tung ist“.
244
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
243 Yann Philipp Leiner vergleicht diesbezüglich Herder mit Merleau-Ponty (2012,
S. 137): „Wie für Herder ist auch für Merleau-Ponty der Leib die Grundlage der
menschlichen Erkenntnis. Mit der Kategorie des Leibes versucht letzterer zwei
Sachgassen zu umgehen; einmal diejenige eines zu starken Empirismus und auf der
anderen Seite diejenige eines zu strengen Intellektualismus. Beide Sichtweisen sind
sich nach Merleau-Ponty der Bedeutung des Leibes und seiner konstituierenden
Wirkung auf alle Erkenntnis nicht hinreichend bewußt. Der Leib wird als Ursache
beider Sichtweisen verkannt, obwohl auf der leiblichen Erfahrungsebene die
Grundlage und Grenze aller Erkenntnis zu sehen ist. Sowohl die leibliche Wahr-
nehmung der Innerlichkeit, als auch die Wahrnehmung von Äußerem vollziehen
sich im Zentrum des Leibes, der in seiner natürlichen und weltlichen Bedingtheit
das eigentliche Subjekt der Erkenntnis ist. Der Leib bildet folglich eine Zwischen-
sphäre von innen und außen, innerhalb derer beide Erfahrungsebenen Anteil
haben“.
244 Insbesondere Hans Adler (2010, S. 153) hat auf diesen Aspekt hingewiesen.
I V. Das Wort zwischen S ymbol
und Z eichen
bei W ilhelm von H umboldt
Die Sprache ist für Wilhelm von Humboldt die eigentlich gestaltende Dimensi-
on des Denkens. Sie dient nicht nur und nicht primär der Darstellung, sondern
hauptsächlich der Gestaltung des Denkens und ist „kein freies Erzeugnis des
einzelnen Menschen“,245 sondern gehört zum Geist eines ganzen Volks. Die
Sprache ist somit gleichermaßen ständige Erzeugung des Neuen als auch Über-
lieferung des Alten. Sie verkörpert die Spannung zwischen gemachtem und
gegebenem Charakter der Begriffe, die als die Kernproblematik der herderschen
Kritik an der kantischen Begrifflichkeit herausgearbeitet wurde. Und wie gese-
hen, betrifft einer der wichtigsten Kritikpunkte Herders an Kant den Entste-
hungsprozess der Begriffe – und zwar insbesondere der abstrakten Begriffe oder
Kategorien, die bei Kant als Bedingungen der Erkenntnis gelten, von Herder
hingegen als Resultate eines Gestaltungsprozesses gedacht werden.
Die Beschreibung dieses Prozesses, der bei Herder ein enges Verhältnis
zwischen sprachlichem Gebrauch und Denken involviert, wird von Humboldt
dagegen nicht mehr mit der Frage nach dem Ursprung der Sprache verbunden,246
247 Siehe Humboldt, Materialien vom Mai 1798, in GS, XIV, S. 451: „Die rein wissen-
schaftliche Philosophie stellt die durch sich selbst bestimmte (von der Erfahrung
unabhängige) Möglichkeit (des Selbstbewusstseyns und der Erfahrung, als der von
der kritischen vorausgesetzten, und in Rücksicht auf ihre Möglichkeit unbestimmt
gelassen Thatsachen), als ihr Objekt auf. Diese Möglichkeit ist der rein wissen-
schaftliche Vernunftgebrauch selbst in seinen schlechthin nothwendigen Hand-
lungsweisen“.
248 Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 452f.
249 Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 453.
250 Humboldt, Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266.
251 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
252 Humboldt Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266f.
247
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt
dukt definiert würde, das mechanisch erlernt werden könnte, wie an der
berühmten Stelle aus Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
zu lesen ist:
Humboldt bringt mit diesen Worten exemplarisch zum Ausdruck, was unter
einer sprachlichen Versinnlichung zu verstehen ist: Ein aktivischer, verlebendi-
gender Prozess in Abgrenzung zum Verständnis der Sprache als System fixer
Bedeutungen. Dieser Sinn, der durch die Parallelisierung mit der energeia im
Unterschied zum ergon noch unterstrichen wird, soll im Folgenden in seinen
Konsequenzen für das Verständnis sowohl der Einbildungskraft als auch der
Versinnlichung untersucht werden.
Der Akzentuierung des aktivischen Charakters zufolge lässt sich die
Sprache jenseits des Sprechens nicht porträtieren, und das Sprechen als Vorgang
gestattet jeweils nur Momentaufnahmen, in denen eine unzertrennliche Ver-
bindung zwischen Intellektualität und Sprache stattfindet. Die Bestimmung der
Sprache als energeia zeigt den entscheidenden Primat der Tätigkeit vor dem
Produkt an, der mit Humboldts Hochachtung für Fichtes Auffassung der Tätig-
keit des Anschauens in Verbindung gebracht werden kann. Humboldts Sprach-
begriff füllt nicht allein eine Lücke innerhalb der kantischen Systematik, sondern
er verschiebt die Grenze zwischen schematischer, symbolischer und zeichen-
hafter Darstellung und öffnet auf diese Weise den Blick für eine dynamische
Bestimmung dieses Prozesses. Wir haben es hier demnach tatsächlich mit einer
transzendentalphilosophischen Umgestaltung zu tun, da es Humboldt – im Unter-
schied zu Herder – nicht an methodischer Strenge mangelt.254
Die genetische Bestimmung der Sprache ist für Humboldt kein rein lin-
guistisches Problem und kann auch nicht als psychisches Phänomen abgetan
werden, sondern betrifft das Denken im Allgemeinen, das jenseits seiner Ver-
sinnlichung nicht zur Erscheinung gelangen kann. Der spezifisch genetische
253 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 45f. (Hervorhebung L.G.).
254 Gerade wegen der Nähe zur strengen Methodik der kantischen Schule einerseits
und zum Gedanken der dynamischen Entwicklung der herderschen Schule ande-
rerseits sieht Cassirer (ECW, 16, S. 118) in der Sprachphilosophie Humboldts eine
Versöhnung des Konflikts zwischen Kant und Herder.
248
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Charakter der Sprache stellt dabei eine besondere Herausforderung für ihre
Beschreibung dar, denn – wie Eugenio Coseriu anmerkt – „da die Sprache dyna-
misch ist, muss sie auch dynamisch dargestellt werden“.255 Das hat nicht nur
Konsequenzen für die moderne Linguistik, sondern trägt die Reflexion auf den
Status einer Transzendentalphilosophie, welcher es um die systematische Inte-
gration der Sprache geht und die daher vor der Aufgabe steht, den semantischen
Bezug zwischen Subjektivität und Objektivität durch die Sprache neu zu bestim-
men. In diesem Rahmen räumt Humboldt – wie schon Herder – der Anthro-
pologie eine grundlegendere Stellung ein als Kant.
Bei Humboldt lässt sich Sprache grundsätzlich nicht von der intellektu-
ellen Tätigkeit und der Synthesis der Sinne trennen.256 Die genetische Bestim-
mung der Sprache betrifft also die Konstitution des Gegenstandes als solchem,
die als sprachlich bedingt aufgefasst wird. Damit distanziert sich Humboldt von
Vorstellungen der Sprache als bloßem Verständigungsmittel – als Instrument
zur Darstellung schon bestehender Gedanken –, um in ihr „das bildende Organ
des Gedanken“ zu erblicken.257 Zwischen Denken und Sprache besteht insofern
keine Isomorphie; im Gegenteil steht die Sprache für die dem Denken eigen-
tümliche Synthesis: „Subjektive Tätigkeit bildet im Denken ein Object“.258 Wie
Humboldt schreibt, ist die Sprache die eigentliche Vermittlerin sowohl zwischen
Subjekt und Objekt als auch zwischen verschiedenen Subjekten: „Die Sprache
ist gerade insofern objectiv einwirkend und selbständig, als sie subjectiv gewirkt
und abhängig ist“.259 Folglich betrachtet Humboldt die Synthesis- und Vermitt-
lungsproblematik Kants auch aus einem anderen Gesichtspunkt, da das Objek-
tive „das eigentlich zu Erringende“260 ist. Das Denken ist somit nicht nur ein
„Reden mit sich selbst“,261 sondern auch ein Reden mit den Anderen. Die neue
262 Insbesondere Donatella Di Cesare hat auf diesen Aspekt hingewiesen und ihn als
„Dreidimensionalität der Sprache“ (2004, S. XLI) bezeichnet. Sie sieht in dieser
neuen Dimension der Sprache die Überwindung des Schematismus selbst als die
Überwindung des Solipsismus, den sie allerdings für ein Kennzeichnen der Meta-
physik bis hin zu Kant und Hegel hält.
263 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
264 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 70.
265 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 64.
250
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
Empfindung noch nicht auf diese Weise Gefühltes wahrnehmen kann“.266 Gerade
deswegen sind, wie bei Kant,267 Synonyme in der Sprache letztlich nur eine
oberflächliche Erscheinung, insofern es nicht zwei oder mehrere Wörter geben
kann, die genau die gleiche Bedeutung haben. Auch wenn eine Sprache zwei
unterschiedliche Ausdrücke für angeblich denselben Gegenstand kennt – Hum-
boldt nennt das Beispiel von freedom und liberty im Englischen –, „so ist der
Gebrauch derselben bei feinsinnigen und sprachkundigen Rednern doch nicht
gleichgültig“.268 Der Gebrauch also erzeugt die semantische Differenziertheit
und hält sie am Leben.
Dieser unerschöpfliche Charakter der Sprache verleiht ihr eine „dunkle,
unenthüllte Tiefe“.269 Die Sprache impliziert eine Unendlichkeit, die für Hum-
boldt die Frage nach dem Ursprung der Sprache zu einer unbeantwortbaren
werden lässt. Beide Aspekte – die einzelne Aktualisierung von potentiell unend-
lichen Bestimmungen sowie die Tiefe und Unendlichkeit der Sprache – sind
auch dem Schematismus nicht fremd, dessen Ursprung nicht zu finden ist, weil
er, wie Josef Simon betont hat, gerade die Komplexität der Referenz selbst zur
Schau stellt. Mit Humboldt kann nun deutlicher werden, inwieweit das Prozes-
suale des Schematismus mit der Sprache, verstanden als energeia, in Verbindung
steht. Gleichzeitig stellt sich die Frage, die alle bis hierher behandelten Kritiken
betrifft, ob der Schematismus Kants als eine semantische wie semiotische – und
im weitesten Sinne sprachliche – Gestaltung des Denkens verstanden werden
kann. Für ihre Beantwortung oder mindestens ihre Vertiefung ist es meines
Erachtens wichtig, die Bestimmungen der Artikulation und des Wortes in der
Vermittlungsproblematik bei Humboldt einer eingehenderen Prüfung zu
unterziehen.
266 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 62.
267 Siehe dazu Kant AA VIII: 152: „Denn obgleich in jeder Sprache einige Worte in
mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht warden, so kann es doch gar
nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauche desselben Anfangs veruneinigt
haben, den Mißverstand bemerken und sich an deren Statt anderer bedienen: daß es
also am Ende eben so wenig wahre Homonyma als Synonyma giebt“. Für den Hin-
weis auf diesen Aspekt des kantischen Denkens habe ich Mirella Capozzi zu danken
(siehe 2012, S. 334).
268 Humboldt, Grundzüge, S. 107.
269 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 62. Siehe dazu auch S. 56f.
251
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt
1. D ie A r t i k u lat ion
Die Artikulation macht nach Humboldt das Wesen der Sprache aus. Sie ist
Bedingung der eigentlichen Versinnlichung des Tons, dessen Bedeutung nur in
seinem artikulierten Gewand wahrgenommen werden kann. Sie wird gleich-
wohl nicht auf die körperliche Dimension der durch die Organe erfolgenden
Artikulation reduziert, sondern stellt den eigenen Prozess der Sprache dar, die
als „sich ewig wiederholende[n] Arbeit des Geistes“ beschrieben wird, „den
artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen“.270 Eben diese
vorrangige Bedeutung der Artikulation für die Gestaltung des Denkens erklärt
auch den ständigen Bezug Humboldts auf die Taubstummen, die, obwohl sie
keinen Zugang zu den Lauten haben, durch die Verbindung zwischen Denken
und Sprachwerkzeugen das Artikulationsvermögen beherrschen.271 Wie schon
gezeigt wurde,272 bezieht sich Kant auf dasselbe Beispiel, um mit diesem die
Unersetzlichkeit des Gehörs zu erklären. Trotz der Hilfe des Sehens und der
Übertragung der Laute durch Nachahmung von Bewegungen der Sprachorgane
kommt der Taubgeborene für Kant „nie zu wirklichen Begriffen, weil die Zei-
chen, deren er dazu bedarf, keiner Allgemeinheit fähig sind“.273 Daran zeigt sich
erneut, wie eng das Verhältnis zwischen Zeichen und Laut bei Kant ist: ohne die
lautlichen Zeichen kann der Taubgeborene ihm zufolge nicht zu Begriffen
gelangen, welche jenseits des partikulären Charakters des Bildes nur durch die
spezifisch zeitliche Dimension des Lautes artikuliert werden können. Für Hum-
boldt hingegen ist die Artikulation nicht mehr auf den Mechanismus der Laut-
erzeugung beschränkt, sondern macht das Wesen der Sprache selbst aus. Ent-
sprechend hängt die Beherrschung des Sprachvermögens von der als nicht lautlich
verstandenen Artikulation ab, in welcher dem Laut als Zeichen eine dienende
Funktion zukommt.274
Die Sprache besitzt damit in der Tat die doppelte Natur, die schon Kant
im Zusammenhang des Gehörsinns zu finden meint: letzterer dient in seiner
artikulierten Form entweder zur Bildung der Begriffe oder er wirkt direkt auf
das Gemüt. Im ersten Fall erscheint die unzertrennliche Verbindung zwischen
intellektueller Tätigkeit und dem Ton als transzendentale Bedingung, da durch
sie das Denken zur Ausprägung gelangt und der Übergang von der Vorstellung
270 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 46.
271 Vgl. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS,
VII, I, S. 66.
272 Siehe oben, Kap. II.5.
273 Kant, AA VII: 159.
274 Für eine ausführliche Behandlung dieses Themas im 18. Jahrhundert siehe Gessin-
ger 1994, S. XVIIf.
252
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
zum Begriff möglich wird.275 Im zweiten Fall ist der Laut die subjektive Emp-
findung und hängt in seiner Wirkung nicht von der Artikulation ab.
Als artikulierter ist der Laut der Vermittler schlechthin.276 Ähnlich wie
die Zeit bei Kant die Vermittlungsfunktion des Schemas trägt, ermöglicht bei
Humboldt der Laut die Vermittlung von sinnlicher Vorstellung und Begriff
gerade dank seiner Zugehörigkeit zu beiden. Der Laut verbindet Materie und
Form, ist somit rezeptiv wie produktiv und stellt eine innerlich-äußere Dimen-
sion dar; nur so kann er die Brücke zwischen dem Subjektiven und dem Objek-
tiven schlagen, die etwa Cassirer folgendermaßen beschreibt: Der Laut „ist auf
der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und
geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der
sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt“.277 Der Laut ist gleichzeitig materiell
und formell und vermittelt zwischen Gegenstand und dem Menschen, der –
Humboldt zufolge – „sich mit einer Welt von Lauten“ umgibt, „um die Welt von
Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten“.278
Der Ton ist dabei vor der Schrift einzuordnen und betrifft alle Schrift-
arten – auch diejenigen, die als Figurenschriftarten verstanden werden. Dieser
Problematik widmet Humboldt den Aufsatz Über die Buchstabenschrift und
ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau von 1824. Die Buchstabenschrift gilt
Humboldt darin als „Schrift des Tons“: „Die Eigenthümlichkeit der Sprache
besteht darin, dass sie, vermittelnd, zwischen dem Menschen und den äussren
Gegenständen eine Gedankenwelt an Töne heftet“.279 Daher erklärt Humboldt
eine vom Laut unabhängige Begriffsschrift für unmöglich und setzt die Ver-
bindung zwischen Denken und Laut als grundsätzlich voraus.280 Daraus folgt,
2. Da s Wor t
Der Ton leistet die Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff; als artiku-
lierter ist er in der Wortform zu finden, denn „allein das tönende Wort ist
gleichsam eine Verkörperung des Gedanken, die Schrift eine des Tons“.283 Der
artikulierte Laut schlechthin ist das Wort und dieses der verkörperte Begriff.
Das Wort gibt dem Begriff sowohl seine Gestalt als auch eine sinnliche Geltung;
denn es ist gleichermaßen allgemein und individuell; es kann als unteilbares
Ganzes und zugleich als Teil eines unendlichen Ganzen angesehen werden.284 Es
schafft Einheit und bleibt trotzdem in seiner Artikulation partikular und für
eine mannigfaltige Bestimmung offen. Diesen Vermittlungsprozess bezeichnet
Humboldt selbst als Verkörperungsprozess, in dem Denken und Anschauung in
der energeia der Sprache unzertrennlich verbunden sind. Auf diese Weise stellt
das Wort ein in der Sprache erzeugtes Objekt dar. In den Grundzügen des all-
gemeinen Sprachtypus schreibt Humboldt diesbezüglich: „Das Wort ist kein
Gegenstand, vielmehr den Gegenständen gegenüber etwas Subjektives, nun
aber soll es im Geiste des Denkenden doch ein Objekt, von ihm erzeugt und auf
ihn zurückwirkend sein“.285
Trotz des allgemeinen, synthetischen Charakters der Sprache aber ver-
liert Humboldt die systematische Differenzierung zwischen Wort, Symbol und
Zeichen nicht aus den Augen, die in den Grundzügen entwickelt wird. Dabei ist
auffällig, dass diese Differenzierung keine starre Abgrenzung von einzelnen
Bestandteilen der Sprache, sondern eine sensible Beschreibung der vielschich
tigen und prozessualen Gestaltung von Bedeutung in der Sprache darstellt. Das
Wort wird zum Prozess, der sich zwischen symbolischem und zeichenhaftem
Gebrauch artikuliert und im Unterschied zu beiden dynamisch bleibt. Es ist nun
an der Zeit, die spezifische Entfaltung dieses Prozesses näher zu untersuchen.
Insofern die Sprache im Allgemeinen „zugleich Abbild und Zeichen, nicht
ganz Product des Eindrucks der Gegenstände, und nicht ganz Erzeugniss der
Willkühr der Redenden ist, so tragen alle besondren in jedem ihrer Elemente
Spuren der ersteren dieser Eigenschaften, aber die jedesmalige Erkennbarkeit
dieser Spuren beruht, ausser ihrer eigenen Deutlichkeit, auf der Stimmung des
Gemüts, das Wort mehr als Abbild, oder mehr als Zeichen nehmen zu wollen“.286
Das Wort wird somit zur konkreten Form der Gestaltung des Denkens, die
jedoch als Abbild oder Zeichen aufgefasst werden kann. Es darf hingegen nicht
als Abbild oder Zeichen definiert werden, obwohl es in beide Richtungen hin
ausgelegt werden kann – je nachdem, wie das in ihm enthaltene Verhältnis zwi-
schen Inhalt und Ausdruck bestimmt wird, wie Trabant bemerkt: „Das Wort ist
nun insofern Abbild und Zeichen zugleich, als es […] – wie das Bild – eine
unauflösliche Verbindung von Ausdruck und Inhalt hat“.287 Das Wichtige ist
daran nicht nur, dass Humboldt die Einbettung des Zeichens und des Bildes im
Wort erkennt, sondern auch, dass er die Spezifizität beider erhält. Somit spielen
auch das Bild und das Abbildhafte in der Sprache eine grundlegende Rolle.288
Das Sprachlernen von Kindern ist […] ein Wachsen des Sprachvermögens durch
Alter und Übung“.
285 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
286 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 29. Zur der Stel-
lung des Wortes zwischen Abbild und Zeichen siehe Stetter 1997, S. 437.
287 Trabant 2012, S. 166.
288 Vgl. Trabant 2012, S. 169.
255
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt
„Insofern das Wort den Begriff in einen sinnlichen Stoff vor der Einbil-
dungskraft verwandelt, gleicht es dem Symbol. Denn es schiebt der Idee
eine Gestalt unter und abstrahiert bei dem körperlichen Gegenstand von
der Totalität seiner Wirklichkeit, indem es ihn an einem Merkmale fest-
hält und ihn in diesem durch etwas ihm Fremdes, einen Ton, bezeich-
net“.292
Dennoch lässt sich das Wort nicht mit dem Symbol gleichsetzen, weil es die Ein-
heit zwischen Form und Materie nicht erreicht, die das Symbol ausmacht. Das
Wort schließt somit die Möglichkeit einer vielschichtigen Gestaltung des Ver-
hältnisses zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem in sich, in dem die Sprache
sich zwischen Konkretheit und Abstraktheit der Gedanken artikuliert.293
Diese Bemerkung ist insofern bedeutsam, als die Annahme, dass die Zahl der
Buchstaben symbolisch gedeutet werden kann, einen der thematischen Leitfä-
den des Briefwechsels zwischen Kant und Hamann darstellt, wie er bereits im
ersten Teil der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf die semiotische Deu-
tung des Monogramms erwähnt wurde.297
Im Brief vom 6. April 1774 an Hamann diskutiert Kant in einer Inter-
pretation der Hermes-Figur die Darstellung der göttlichen Zahl 7. Diese Dar-
stellung hält Kant in kritischer Perspektive nicht für göttlich, sondern für sym-
bolisch – und zwar als indirekte sinnliche Darstellung des Unsinnlichen.
Deswegen bittet er Hamann ironisch, seine Meinungen doch in der Sprache der
Menschen und nicht in derjenigen der Götter zu formulieren. Denselben Weg
verfolgt nun auch Humboldt, der das Symbolische zwar in bestimmten Ausdrü-
cken und Wörtern erkennt, jedoch nicht mit dem Wortlaut gleichsetzt. Gerade
weil die Sprache kein Produkt, sondern eine Tätigkeit ist, liegt das Symbolische
„Das Wort faßt jeden Begriff als einen allgemeinen auf, bezeichnet streng
genommen immer Klassen der Wirklichkeit, selbst wenn es ein Eigen-
name ist, das es alsdann alle, der Zeit und dem Raum nach verschiedenen
Zustände des Bezeichneten (ihn als eine Klasse vorstellend, in welcher er
in allen diesen Zuständen ebenso, wie verschiedene Individuen, in einem
Gattungsbegriffe enthalten ist) zusammenfaßt. Er macht aber sich selbst
und mithin auch den in ihm enthaltenen Begriff zu einem Individuum
der Sprache“.298
Eine gewisse Verkörperung des Wortes lässt sich bei Humboldt auf der trans-
zendentalen Ebene durch die Bestimmung der Sprache selbst als Vermittlung
erklären, in der Rezeptivität und Intellektualität, Anschauung und Begriff,
Sinnliches und Unsinnliches zusammenfallen; zur gleichen Zeit betrifft die
Sprache auch die konkrete Gestaltung der Einzelsprache, die daraus resultiert.
Somit weist Humboldt auf eine mögliche Synthesis zwischen transzendenta-
lem, universellen Prozess und partikularer Mannigfaltigkeit hin.299 Gerade
durch die prozessuale genetische Beschreibung der Sprache zeichnet Humboldt
ein Bild der sprachlichen Vielfalt, das nicht in einen Relativismus führt, sondern
die Notwendigkeit der Transzendentalphilosophie selbst aufzeigt, die sich dem-
zufolge auf die Prozessualität und nicht auf den Gehalt der Repräsentation zu
konzentrieren hat. In der Gestalt wird eine Synthesis zwischen Äußerem und
Innerem nicht auf der Basis der Repräsentation, sondern auf der des Prozesses
instituiert, der sie bildet. Aus diesem Grund kann Humboldt – im Vergleich zu
Kant und Herder – in noch radikalerer Weise die Überwindung des Repräsen-
tationalismus zugutegehalten werden: Nicht der repräsentationale Gehalt, son-
dern der Prozess der Sprache selbst ist dabei der spannende Punkt, der – wie
gezeigt – verschiedene Aspekte seiner Philosophie betrifft.300
Die Tätigkeit der Sprache und die Entwicklung des Denkens lassen sich
nach Humboldt nicht nur in Bezug auf die lexikalische Ebene der Begriffe, son-
dern vor allem mit Blick auf die syntaktische Ebene der Rede analysieren, die
sich zudem in Typologie und Grammatik der Sprachen spiegelt – was hier
jedoch nicht näher behandelt werden kann. Die Rede ist die höchste Manifesta-
tion der Freiheit des Sprechenden, der im Gebrauch seine eigene Gestaltung der
Sprache realisiert:
„Vieles im Periodenbaue und der Redefügung lässt sich aber nicht auf
Gesetze zurückführen, sondern hängt von dem jedesmal Redenden oder
Schreibenden ab. Die Sprache hat dann das Verdienst, der Mannigfaltig-
keit der Wendungen Freiheit und Reichthum an Mitteln zu gewähren,
wenn sie oft die Möglichkeit darbietet, diese in jedem Augenblick selbst
zu erschaffen“.301
Hier tritt die Rede als prozessuale Strukturierung der Sprache hervor, die jedes
Mal neu gestaltet werden muss – auch wenn Humboldt bewusst ist, dass jede
Realisierung bis zu einem gewissen Grad von der Zugehörigkeit zu einer Spra-
che und einem bestimmten Volk abhängt. Die damit verbundene, transzenden-
tale Bedeutung der Tätigkeit – die sozusagen Bedingung der Sprache selbst ist
– spiegelt sich für Humboldt außerdem unmittelbar in der inneren Sprachform:
„Dieser ihr ganz innerer und rein intellectueller Theil macht eigentlich die
Sprache aus“.302 Gerade wegen ihres innerlichen Charakters ist diese Sprach-
ner über Sprache verweisen, in dem er die Sprachphilosophie Humboldts mit den
Anschauungen der Zeit und der Raumes in Verbindung bringt (2010, S. 200): „Rei-
ne Subjektivität als reine Geistigkeit ist Sprache, weil wie erstere auch Sprache
ontologisch reine Zeitlichkeit ist. Denn jedoch bedarf jedes Subjekt als ein solches
Zeitlich-Inneres für ein anderes solches Inneres als ein anderes Subjekt zu äußern,
wie auch umgekehrt, damit ein jedes einem jeweils anderen begegnen könne. Denn
als zueinander anderes Inneres können sie, wie jedes Andere für ein Subjekt, auch
füreinander nur in der Gestalt von etwas Äußerem begegnen. Möglich ist das nur,
indem ein jedes solche Innere in etwas Äußeres hinein sich äußert: in Gestalt von
diesem oder jenem Objekt, so dass dadurch solches Innere selbst als solches Äußere
auftritt. Und mit dieser Theorie der Sprache als Sich-Äußern eines Inneren ist
Humboldt auch der erste, der sie nicht mehr auf die bloße Repräsentation verengt,
wie es die Überlieferung seit Platons Kratylos und Aristoteles‘ De Interpretatione
tat, und wie auch Kant es noch im vollen Umfang tut, und wovon sich Hamann oder
Herder noch nicht lösen können“.
301 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 93. Donatella Di Cesare (2004, S. LXXVIIIf.) hat die Tätigkeit der Sprache als
Enérgeia bezüglich der Priorität der Rede erklärt.
302 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 86. Zur inneren Sprachform siehe den Vergleich zwischen Herder und Humboldt
von Brigitte Hilmer (2010, S. 205): „Humboldt konnte erkennen, dass die aus der
Einheit des Selbstbewußtseins geborenen Formen der Vernunft und die von Herder
259
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt
form schwer zu fassen, zumindest schwerer als die Erfassung ihrer Manifesta-
tionen in der äußeren Form, die durch die Sprache gestaltet wird. Der innerliche
Charakter der Sprachform kann meines Erachtens als Spur des impliziten kan-
tischen Erbes Humboldts gedeutet werden: Denn die innere Sprachform ist eine
Tätigkeit, die nie vollkommen ausbuchstabiert und auf Gesetze zurückgeführt
werden kann; sie ist gewissermaßen in der Seele angesiedelt und schwer zu grei-
fen. Ähnlich wie die verborgene Kunst des Schematismus bei Kant scheint sie
auf einen in der Seele versteckten Mechanismus zurückzugreifen. Trotz der all-
gemeinen, transzendentalen Differenzierungen bleibt die Untersuchung Hum-
boldts jedoch nicht auf dieser (vielleicht überschätzten) Ebene stehen, sondern
wird in Bezug auf die äußere Form der Sprache weiterentwickelt.303 Deshalb
reduziert er meines Erachtens die Problematik der Rede auch nicht auf den all-
täglichen Gebrauch und nimmt stattdessen den weiteren semantischen Gebrauch
der Sprache in Poesie und Prosa zum Vorbild. Im täglichen Gebrauch erfolgt
eine gewisse Abnutzung der Metaphern,304 da sie implizit verwendet werden –
ein Aspekt, der später für Nietzsche von grundlegender Bedeutung sein wird.305
Im Gegensatz dazu kann in der Poesie die metaphorische Bedeutung der Spra-
che ans Licht kommen.
Humboldt beschreibt einen prozessualen Charakter der Sprachen,306 in
dem der Geist eines Volkes zur Entfaltung kommt. Hier geht es um die Tätigkeit
der Sprache als allgemeiner Bedingung für die vielfältige Gestaltung des Den-
kens, die wiederum in Kultur und Geschichte durchscheinen kann. Der Gebrauch
hat dabei nicht nur eine individuelle Bedeutung, sondern kann auch auf einer
allgemeineren Ebene untersucht werden, die für Humboldt die Manifestation
des Geistes eines Volks in der Sprache darstellt. Und er weist auf den Unter-
schied zwischen einem bloß alltäglichen und einem tief poetischen Gebrauch
der Sprache hin.307 Davon betroffen sind sowohl der Ausdruck der tieferen
Gefühle der Menschheit als auch der Gebrauch der Begriffe einer Fachsprache
und der Philosophie selbst. Diesbezüglich schätzt Humboldt insbesondere das
Sanskrit als Ausdruck des Indischen Geistes, der „vorzugsweise auf die Sonde-
rung und Aufzählung der Begriffe hinging“,308 sowie die Bedeutung der Prosa
für die Philosophie – die, wie gezeigt wurde, auch ein wichtiges Thema für Kant
und Maimon ist.309
„Beide gehören insofern in Eine Classe, als sie, die eigenthümliche Wir-
kung der Sprache, als eines selbstständigen Stoffes, vertilgend, dieselbe
nur als Zeichen ansehen wollen. Aber der wissenschaftliche Gebrauch
thut dies auf dem Feld, wo es statthaft ist, und bewirkt es, indem er jede
Subjectivität von dem Ausdruck abzuschneiden, oder vielmehr das
Gemüth ganz objektiv zu stimmen versucht, und der ruhige und ver-
nünftige Geschäftsgebrauch folgt ihm hierin nach; der conventionelle
Gebrauch versetzt diese Behandlung der Sprache auf ein Feld, das der
Freiheit der Empfänglichkeit bedürfte, drängt dem Ausdruck eine, nach
Grad und Farbe bestimmte Subjectivität auf, und versucht es, das Gemüth
in die gleiche zu versetzen“.312
311 Vgl. insbesondere Trabant 2012, S. 240: „Die Materialität der Sprache ist nichts
Gleichgültiges, Arbiträres. Sie ist selber semantisch. Und es ist – nebenbei gesagt
– auch gerade der Laut, die Stimme, die nichts Gleichgültiges für die Sprache ist:
Menschliche Sprache ist, was immer Derrida dazu sagt, an die phöné gebunden“.
312 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 30f.
262
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
In dieser Unterscheidung zeigt sich meines Erachtens, dass die Artikulation des
Wortes nicht auf einer rein lexikalischen Ebene stehen bleibt, sondern als
Gebrauch schon den Satz – und somit das kantische Urteilen – impliziert, der die
potentielle Entfaltung des Wortes zwischen Zeichen und Symbol zur Ausführung
bringt. In dieser semantischen Ausführung der ‚Rede‘, in der nach Humboldt
das ‚Wesen der Sprache‘ liegt,313 kommt Neues zustande; denn in ihr kann sich
in Form der alternativen Anwendung endlicher Artikulationsmittel Kreativität
entfalten und einen neuen Gebrauch etablieren, der letztlich – im Sinne Kants
– die Möglichkeit besitzt, wiederum exemplarisch zu werden und somit dem
Denken neue semantische Dimensionen zu eröffnen.314
Die genetische Methode, in der die kantische Vermittlungsproblematik
anklingt und die offenbar von der kritischen Methodik beeinflusst ist, kehrt
damit schließlich zum transzendentalphilosophischen Ansatz Kants zurück,
belehrt diesen allerdings über das prozessuale Potential der Schematismuslehre.
Sie ist Ausdruck eines neuen Holismus, der jedoch die diskursive Vernunft als
regulatives Prinzip respektiert.315 Humboldt rekurriert demnach, wie schon
Kant, auf die Einbildungskraft, um die Sinnlichkeit mit dem Denken in Ver-
bindung zu bringen, obwohl er ihr eine stärker schöpferische Kraft zuspricht,
als Kant dies tut. Die Einbildungskraft stellt „überhaupt eine Welt von Lauten
zwischen den Menschen und die Wirklichkeit“ dar und kann von der Sprache
grundsätzlich nicht getrennt werden.316 Humboldt verleibt sich insofern die
Transzendentalphilosophie Kants gewissermaßen ein, ohne jedoch seine Sprach-
philosophie als Transformation der Systematik der Gemütskräfte anzusehen, an
der er festhält.
Die Umgestaltung der Denkvermögen erfolgt meines Erachtens erst bei
Hegel in Bezug auf das Verhältnis von Anthropologie und Psychologie sowie die
Funktion des Zeichens als Übergang zum Denken.
313 Siehe dazu Humboldt, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues,
in GS, VI, I, S. 147: „Die Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik
und Wörterbuch sind kaum ihrem todten Gerippe vergleichbar“.
314 Zur Einführung neuer Regeln in die Sprache vgl. Di Cesare 2004, S. LXVII.
315 Vgl. Kuße 2007, S. 168.
316 Humboldt, Grundzüge, S. 126f. Dazu auch Ferron 2009, S. 76.
V. D ie ‚ Z eichen machende
P hantasie‘ bei H egel
Auch Hegel fügt an der Systemstelle des Schematismus eine Untersuchung der
Sprache und der Funktion des Zeichens ein.317 Die Einführung der Sprache als
Prozess der Vermittlung und der Synthesis hat Hegel mit den Revisionsver-
suchen der bis hierher behandelten Denker gemeinsam, die Kant aus unter-
schiedlichen Motiven heraus dafür kritisieren, die Dimension der Sprache ver-
nachlässigt zu haben.318
In der Bestimmung des Theoretischen Geistes – mit seinen drei Momen-
ten der Anschauung, der Vorstellung und des Denkens – bezieht Hegel sich
zwar nicht auf die Schematismuslehre. Doch er gibt der Tätigkeit des Geistes
eine eindeutig synthetische Funktion, die in Bildern, Zeichen und Symbolen zur
Ausgestaltung kommt und nicht nur eine Vermittlung zur Erzeugung eines
aggregierten Dritten darstellt, sondern die Umarbeitung des Unmittelbaren zu
einem Geistigen und gleichzeitig die Ermöglichung des Denkens und der Kate-
gorien ist. Die damit angezeigte Tätigkeit ist auch für Hegel eminent sprach-
licher Art. Somit wird der Sprache eine gestaltende Dimension zugesprochen,
317 Siehe Sandkaulen 2004, S. 158: „Die ‚nahmengebende Kraft‘ der Sprache tritt
funktional an die Stelle des Schematismus: dass Hegel diesem Gedanken gemäß
Kants Transzendentalphilosophie von Grund auf reformuliert und sie so zugleich
als erste Etappe der Philosophie des Geistes in sein System integriert, ist evident,
obwohl bisher, wie es scheint, nicht bemerkt“.
318 Vor allem Hamann, Herder und Humboldt sind von Hegel rezipiert worden – nur
Maimon bleibt in dieser Hinsicht eine Stimme außerhalb des Chors. Siehe auch
Simon 2003, S. 559: „Die Sprachbezogenheit ist bei Kant in dieser Deutlichkeit
noch nicht mit im Blick. Der spätere Philosoph kann den früheren verdeutlichen.
Bei Hegel ist die Sprache ‚in ihrer eigentümlichen Bedeutung‘ die individuelle
‚Kraft des Sprechens als eines solchen, welche das ausführt, was auszuführen ist‘.
Ihre ‚eigentümliche Bedeutung‘ hat sie in der Gestaltung der Darstellung des eige-
nen Fürwahrhaltens angesichts der Differenz der individuellen Gesichtspunkte.
Die ‚Kraft des Sprechens‘ ist die sich auf fremde Vernunft hin gestaltende Urteils-
kraft“. Zum Einfluss Herders auf Hegel siehe Forster 2011, S. 146f.
264
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
319 Siehe zu diesem letzten Aspekt, der hier nicht ausführlicher behandelt werden
kann, folgende Stelle aus der Phänomenologie des Geistes (W, 3, S. 478f.): „Wir
sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes. Sie ist das für andere
seiende Selbstbewußtsein, welches unmittelbar als solches vorhanden und als die-
ses allgemeines ist. Sie ist das sich von sich selbst abtrennende Selbst, das als reines
Ich = Ich sich gegenständlich wird, in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als
dieses Selbst erhält, wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und ihr
Selbstbewußtsein ist; es vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen
wird, und das Vernehmen ist das zum Selbst gewordene Dasein. Der Inhalt, den die
Sprache hier gewonnen, ist nicht mehr das verkehrte und verkehrende und zerris-
sene Selbst der Welt der Bildung, sondern der in sich zurückgekehrte, seiner und in
seinem Selbst seiner Wahrheit oder seines Anerkennens gewisse und als dieses
Wissen anerkannte Geist. […] Der Inhalt der Sprache des Gewissens ist das sich als
Wesen wissende Selbst“.
320 Hegel, W, 3, S. 85.
321 Hegel, W, 3, S. 90.
265
V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel
nicht zum Worte kommen zu lassen“.322 Möchte ich dieser Verkehrung hin-
gegen damit vorbeugen, „dass ich dies Stück Papier aufzeige“ – so Hegel weiter
–, „so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit in
der Tat ist; ich zeige es auf, als ein Hier, das ein Hier anderer Hier, oder an ihm
selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, d.h. ein Allgemeines ist; ich nehme
so es auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein unmittelbares zu wissen, nehme
ich wahr“.323 Die Sprache wird hier in gewisser Weise schematisch, weil sie
ermöglicht, dass das Allgemeine im Besonderen ausgesprochen und erkannt
wird. Die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis wiederum deutet den problema-
tischen Status des Allgemeinen an, das mittels der Sprache die Grenzen der
unmittelbaren sinnlichen Gewissheit überwinden kann. Im hegelschen System
erweist sich die Sprache daher in keiner Weise als bloß instrumentell; im Gegen-
teil ist sie die Methode selbst, die die dialektische Bewegung des Geistes voran-
treibt.324
Hegels Kritik trifft dabei mit der dualistischen und isolierenden Vor-
gangsweise der kantischen Erkenntnistheorie denselben Punkt, der auch bei den
übrigen der bislang untersuchten Ansätze ausgemacht werden konnte. Kant
gelinge es nicht – so ließe sich der Einwand zusammenfassen –, eine prozessua-
le Synthesis zu bestimmen, die den dynamischen, historischen und holistischen
Charakter des Denkens zur Entfaltung bringt. Obwohl direkte Bezugnahmen
Hegels auf die Schematismuslehre selten sind, bewegt sich auch seine Kritik an
Kant im Allgemeinen in eine ähnliche Richtung: Was die Transzendentalphi-
losophie Kants nicht greife, sei die Einheit von Sinnlichkeit und Verstand, obwohl
er in der transzendentalen Einbildungskraft „beide Erkenntnisstücke in Eins
gesetzt“ habe. Und trotzdem: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlich-
keit ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden,
wie ein Holz und Bein durch einen Strick“.325 Die Einheit dieser Bestandteile ist
hingegen für Hegel nicht als äußerliches Aggregat, sondern als ein Verhältnis
höherer Prozessualität, Wahrheit und Einheit zu betrachten:
„Das Isolieren der Tätigkeiten macht den Geist ebenso nur zu einem
Aggregatwesen und betrachtet das Verhältnis derselben als eine äußerli-
che, zufällige Beziehung. […] Das Wahre, das solcher Befriedigung zuge-
schrieben wird, liegt darin, dass das Anschauen, Vorstellen usf. nicht
isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vor-
handen ist“.326
Die Notwendigkeit eines Erweises der originären Synthesis, welche die unter-
schiedlichen Bestandteile nicht als bloßes Aggregat, sondern als Einheit enthält,
motiviert unter anderem den Weg einer genetischen Entwicklung des Erfah-
rungsbegriffs in der Phänomenologie und sorgt bei Hegel für eine systemati-
sche Abgrenzung zwischen Anthropologie und Psychologie. Geist wird dabei
mit den Stichwörtern „Tätigkeit“, „Einheit“ und „Prozess“ assoziiert, das Geist-
lose wiederum stellt das „Einheitslose“ dar.327 Die Ausdifferenzierung dieser
Tätigkeit ist Hegel entsprechend der Leitfaden, anhand dessen die Beschreibung
der einzelnen Seelenvermögen von der Bewegung ihres Tuns unterschieden
wird. Obwohl Hegel sich im Abschnitt zum Theoretischen Geiste in der Enzy-
klopädie nicht direkt auf die Schematismuslehre bezieht, nimmt er darin de
facto die Grundelemente der kantischen Erkenntnistheorie auf, um sie allerdings
in der Überzeugung umzugestalten, dass die Philosophie Kants bei der Auffas-
sung des Geistes als Bewusstsein stehen bleibe, weil sie das „Ich als Beziehung
auf ein Jenseitsliegendes“328 und somit die Ideen immer auf das Phänomen als
solches reduziere.
In der Anmerkung zu §420 der Enzyklopädie heißt es entsprechend:
„Die nähere Stufe des Bewusstseins, auf welcher die kantische Philosophie den
Geist auffasst, ist das Wahrnehmen, welches überhaupt der Standpunkt unsers
gewöhnlichen Bewusstseins und mehr oder weniger der Wissenschaften ist“.329
Ausgehend von dieser Kritik entwickelt Hegel seine phänomenologische Psy-
chologie, die ihre deskriptive Grundlage in der anthropologischen Beschreibung
der Vermögen hat, der es jedoch letztlich nicht gelingt, die spezifische Einheit
der Tätigkeit des Geistes zu erklären. Die Abgrenzung zwischen Anthropologie
und Psychologie wird daher das Thema des ersten Kapitels zu Hegel sein, das
nicht als Versuch verstanden werden sollte, eine systematische Erörterung seiner
Psychologie zu leisten, sondern das lediglich einige ihrer Aspekte beleuchtet,
um an ihnen die Umgestaltung des transzendentalen Ortes des Schematismus
anzudeuten. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Aspekte der Tätigkeit
des Geistes behandeln: erstens die Funktion der Verleiblichung in der Anthro-
pologie (V.1), zweitens die artikulierende Tätigkeit der Sprache (V.2) und drittens
den Prozess der Zeichen machenden Phantasie (V.3).
333 Dazu Trabant 2006b, S. 218: „Die Sprachlichkeit der Vernunft macht Herders
Anthropologie tatsächlich zu einer Philosophie der Sprache. Und dies ist etwas
wirklich Neues, und insofern ist Herder, wie sehr er auch immer eingelassen ist in
europäische Diskurstraditionen, wirklich ein Neuanfang. Humboldt wird ihm
genau in dieser Hinsicht nachfolgen. So wie die Sprachlichkeit der Vernunft die
Differenz Herders zu Kant ausmacht, so macht sie auch die Differenz Humboldts
zu Hegel aus – vielleicht weniger radikal, weil Hegel im Gegensatz zu Kant ja
durchaus die Ebene der sprachlichen Vernunft kennt, sie dann durchschreitet und
hinter sich läßt. Humboldts ‚Geist‘ dagegen verbleibt (fast) völlig im Bereich des
Sprachlichen“.
334 Hegel, Enz., §400 (Anmerkung)
335 Siehe dazu Hegel, Enz., §401.
336 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).
337 Hegel, Enz., §447 (Zusatz).
338 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).
269
V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel
Abgesehen von der eigenwilligen Bezeichnung der Sinne, die schon auf
ihre nicht rein organische Grundlage hinweist, distanziert sich Hegel nicht von
der anthropologischen Differenzierung der Sinne bei Kant und, was die Mittel-
stellung des Gehörs angeht, Herder. Die Klarheit, mit der er die Verbindung
zwischen Gehör, Zeit und Ton herstellt, ist trotzdem nennenswert: Im Unter-
schied zum Gesicht, „dem Sinne der innerlichkeitslosen Idealität“, wird das
Gehör als „der Sinn der reinen Innerlichkeit des Körperlichen“ bezeichnet. Der
schon von Kant angedeutete Bezug des Gesichts und des Gehörs auf Raum und
Zeit wird bei Hegel zwar grundsätzlich bestätigt, aber anders gewichtet. Denn
es handelt sich dabei nicht um Raum und Zeit als gegebene Anschauungen a
priori, sondern um den Bezug des Gesichts auf das Licht als „physikalisch
gewordenen Raum“, sowie den Bezug des Gehörs auf den Ton als „physikalisch
gewordene Zeit“.339
Die Mittelstellung des Gehörs zwischen Gesicht und Gefühl wird hin-
gegen in der Anmerkung zu §448 deutlich: „Für das Gehör endlich ist der
Gegenstand ein materiell bestehender, jedoch ideell verschwindender, im Tone
vernimmt das Ohr das Erzittern, d.h. die nur ideelle, nicht reale Negation der
Selbständigkeit des Objektes. Daher zeigt sich beim Gehör die Abtrennlichkeit
der Empfindung zwar geringer als beim Gesicht, aber größer als beim Geschmack
und beim Geruch“.340 Der Ton steht somit in engster Verbindung mit der Mate-
rialität und Idealität des Wahrgenommen und ist der eigentliche materielle Träger
des Übergangs zum Geistigen.
artikulierte Sprache, sondern nur ein von der Empfindung unmittelbar hervor-
gebrachtes Tönen, das, obgleich dasselbe der Artikulation entbehrt, sich doch
schon vielfacher Modifikationen fähig zeigt“.342 Wie Kant, Herder und Hum-
boldt verbindet auch Hegel Sprache und Ton mittels der Artikulation: „Die
artikulierte Sprache ist daher die höchste Weise, wie der Mensch sich seiner
innerlichen Empfindung entäußert“.343 Die Artikulation entfaltet die Tätigkeit
der Sprache als eine Entäußerung von der Empfindung. Alles, was in der Emp-
findung enthalten ist, wandelt sich damit in Denken, in dem wiederum die Spra-
che sich in der Artikulation der Unmittelbarkeit der Empfindung zum Mittel-
baren wandelt. Die Wandlung der Empfindung in Denken ist daher ein mittelbarer
Prozess.
Die Sprache gewinnt bei Hegel die Funktion einer Vermittlung, die gleich-
zeitig ein Übergang von der Unmittelbarkeit zur Mittelbarkeit ist, da die
geschaffene Vermittlung keine äußerliche, sondern eine innerlich-wissende
Beziehung ist, in der Subjektivität und Objektivität in Einheit begriffen sind.
Diese Wandlung ist das Moment des Geistes als dem subjektiven, theoretischen
Geist, dem Hegel denjenigen Teil der Enzyklopädie widmet, der in den ent-
sprechenden Vorlesungen von 1822 bis zur letzten Fassung von 1830 immer
mehr Bedeutung erlangt.344
Der Theoretische Geist entfaltet sich in drei Momente: Anschauung,
Vorstellung und Denken. In der Anschauung erfolgt die Objektivierung des
inneren und äußeren Empfundenen. Sie ist damit der „Beginn des Erkennens“345
und ihre Tätigkeit „bringt sonach zunächst überhaupt ein Wegrücken der Emp-
findung von uns, eine Umgestaltung des Empfundenen in ein außer uns vor-
handenes Objekt hervor“.346 Im Zuge dieser Umgestaltung, die Hegel auch als
Umwandlung bezeichnet, werden die Empfindungen räumlich und zeitlich
gesetzt. Jedoch bleibt die Anschauung in das Außersichsein ‚versenkt‘ und darf
nicht mit der Vorstellung verwechselt werden: „Erst wenn ich die Reflexion
mache, dass ich es bin, der die Anschauung hat, erst dann trete ich auf den
Standpunkt der Vorstellung“.347 Der vorstellende Geist eignet sich entsprechend
die Anschauung an, die nun erinnert wird und deshalb gegenwärtig bleibt. Zur
Erklärung rekurriert Hegel auf das sprachliche Beispiel des Satzes ‚ich habe dies
gesehen‘: „Damit wird keine bloße Vergangenheit, vielmehr zugleich die Gegen-
wärtigkeit ausgedrückt; […] was ich gesehen habe, ist etwas, das ich nicht bloß
hatte, sondern noch habe, – also etwas in mir Gegenwärtiges“.348
Die Vorstellung als „erinnerte Anschauung“ ist die „Mitte zwischen dem
unmittelbaren Bestimmt-Sich-Finden der Intelligenz und derselben in ihrer
Freiheit, dem Denken“.349 Sie konstituiert damit das zweite Moment des Theo-
retischen Geistes und untergliedert sich in Erinnerung, Einbildungskraft und
Gedächtnis. Auf der ersten Stufe handelt es sich in der Vorstellung um densel-
ben Inhalt der Anschauung, also einer Empfindung in Zeit und Raum – jedoch
– wie gezeigt – als erinnerter und bewahrter. Das Bild dagegen ist das Resultat
dieser Erinnerung, die nicht mehr die unmittelbare Gegenwart der Sache erfor-
dert, was auf Kosten der Klarheit und Frische der Vorstellung geht, wie Hegel
betont: „Die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde
wird“.350 Diese Aufbewahrung der Anschauung im Bild ist nach Hegel ein
bewusstloses Meiniges.351 Auch wenn Hegel also ähnlich wie Kant das Bild als
die Ablösung der Vorstellung von der unmittelbar gegebenen Anschauung
sieht, behandelt er das Bild nicht als Produkt – wie Kant – der empirischen Ein-
bildungskraft, sondern der Erinnerung. Das Bild ist ein innerliches Produkt,
ein, wie man sagen könnte, mentales Bild, das, um zum Dasein zu kommen, die
Anschauung erfordert.352 Auch bei Kant ist das Bild nicht mit dem Gegenstand
gleichzusetzen, sondern ist ein Resultat der Einbildungskraft, deren Aufgabe
darin besteht, „das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild [zu] bringen“.353
Jedoch entsteht die Subsumptionsproblematik bei Hegel in einer gewisserma-
ßen phänomenologischen Perspektive ausgehend vom Bild selbst und setzt
somit nicht schon den Begriff voraus, der hier systematisch noch nicht relevant
ist. Die eigentümliche Vorstellung realisiert sich also in der „Synthese des
der Hegelschen Systematik siedelt Humboldt die Sprache etwas ‚tiefer‘ an als
Hegel: Sie sitzt gleichsam an der Übergangstelle zwischen dichterisch-sym-
bolisierender und zeichenmachender Phantasie. Und diese tiefere Position ist
eigentlich die modernere und interessantere“.363 Während die Tilgung der
Anschauung im Zeichen bei Hegel sicherlich weder zur Wertschätzung der
Materialität des Lautes in der Sprache noch zur Bestimmung der lautlichen
Eigenschaften der verschiedenen Sprachen führt, kann sie als Ausdruck der
Prozessualität des Geistes gedeutet werden. Die Tilgung des Materials im Zei-
chen ist zwar ein Hauptresultat des rationalistischen Ansatzes Hegels, aber nicht
in dem simplen Sinne, dass die Vernunft sich das Material aneignet; im Gegen-
teil konstituiert sie sich allererst in der Aufhebung des Materials. Dass diese
Aufhebung nicht zur Wertschätzung des Lautes führt, kann meines Erachtens
als eine Differenz im theoretischen Interesse Hegels und Humboldts gedeutet
werden: Während Hegel darauf abzielt, die Tätigkeit des Geistes bis hin in die
Formen des Denkens zu erklären, konzentriert Humboldt seine Untersuchung
auf die Beschreibung der Tätigkeit und Form der Sprache selbst, ohne das Pro-
blem der Entstehung der Begrifflichkeit in der Tätigkeit der Sprache syste
matisch näher zu beleuchten. Diese Differenz erklärt ferner auch die Kritik
Derridas an Hegel, die sinnlichen und symbolischen Aspekte des Zeichens
unterschätzt zu haben. Auch hier wäre auf die besondere Stellung zu verweisen,
die Hegel der Sprache zuspricht: Das Problem besteht für ihn nicht darin, die
sinnlichen und symbolischen Nuancen der Sprache zu untersuchen, sondern
darin, den Prozess auszubuchstabieren, in dem der Geist das Symbol im Zeichen
aufhebt, um so die Möglichkeit einer von der Sinnlichkeit entäußerten Begriff-
lichkeit zu erklären.364 Das produktive Gedächtnis hat es folgerichtig für Hegel
„nur mit Zeichen zu tun“.365
Die durch diese Tilgung charakterisierte Begrifflichkeit wird nicht vor-
gegeben, sondern überhaupt erst ‚gemacht‘. Josef Simon hebt deshalb die Funk-
tion des Zeichens als ein „reines Tun“ hervor: „Das Zeichen hat als ein wesent-
lich sinnliches die Problematik der Sinnlichkeit in ihrer ganzen Schärfe an sich.
Das Problem der Transzendenz ist bei Hegel in das Problem des Zeichens und
letztlich in das der Sprache ‚aufgehoben‘“.366 Die Sprache selbst und das Wort
sind nicht vorgegeben. Wenn also nach Humboldt das Wort die doppelte Form
des Zeichens und des Symbols enthält, ist bei Hegel das Bild der Ausgangspunkt
dieser doppelten Artikulation, das Wort hingegen Resultat des Tilgungspro-
zesses. Wenn Hegel also einerseits die Tilgungsfunktion des Zeichens – das die
Abstraktion des Denkens ermöglicht – stärker macht, ist er andererseits nicht
unbedingt daran interessiert zu untersuchen, inwieweit das Wort die symboli-
sche und zeichenhafte Natur des Bildes reproduziert. Aber das ist, wie erwähnt,
ein spezifisches Problem der Sprachphilosophie, das Humboldt vertieft und das
nicht im systematischen Fokus Hegels liegt.
Nichtsdestotrotz führt Hegel einige Probleme an, die in der vergleichen-
den Sprachforschung seiner Zeit zur Debatte standen und die er durch die Lupe
seines Begriffs des tätigen Geistes betrachtet. Einerseits behandelt er die Korre-
lation zwischen der Vollkommenheit der Grammatik und dem Bildungsniveau
der Völker, andererseits äußert er sich über den Vorzug der Buchstabenschrift
gegenüber der Hieroglyphenschrift. Was die erste Problematik betrifft, so ist
der Einfluss von Humboldt eindeutig, obwohl Hegel sich ausdrücklich erst in
der Enzyklopädie von 1830 auf die Abhandlung Über den Dualis bezieht, in der
Humboldt die Ansicht vertritt, die Sprache sei „Abdruck des Geistes und der
Weltansicht der Redenden“367 und insofern die eigentümliche Vermittlerin zwi-
schen den Denkkräften und in keinem Fall bloßes Verständigungsmittel.368
Was die zweite Problematik anbelangt, vertritt Hegel die These, dass die
Buchstabenschrift für das Denken deshalb von Vorteil sei, weil sie durch die
Tonsprache zur vollkommeneren Artikulation gelange: „Die Buchstabenschrift
ist an und für sich die intelligentere; in ihr ist das Wort, die der Intelligenz
eigentümliche würdigste Art der Äußerung ihrer Vorstellungen, zum Bewußt-
sein gebracht, zum Gegenstand der Reflexion gemacht“.369 Während die Hiero-
glyphenschrift von der Analyse der Vorstellungen ausgeht, entsteht der Name
in der Buchstabenschrift durch die Analyse der Natur des Zeichens selbst, was
eine dynamische und von der Vorstellung abstrahierte Artikulation des Gedan-
kens ermöglicht. Daher bezeichnet Hegel eine auf einer hieroglyphischen
Schriftsprache fußende Philosophie auch als ‚statarisch‘.370 Für ihn ist die Spra-
che in keiner Weise nur eine bloße Bezeichnung und Vermittlung der Gedan-
ken, sondern konstitutive Gestaltung des Denkens selbst. Es geht dabei weniger
um die Beziehung zwischen Schrift und dem Denken im Allgemeinen, als viel-
mehr um diejenige zwischen Schrift und Philosophie als spekulativem Denken,
dem nach Hegel die Buchstabenschrift angemessener ist.371
Es ist daher wichtig anzumerken, dass Hegel die Willkürlichkeit des
Zeichens als das Produkt der Tätigkeit des Geistes und nicht als das Produkt
eines Abstraktionsprozesses versteht, der von einer bildhaften und symboli-
schen Imitation der Natur ausgeht. Dieser antinaturalistische Ansatz in der
Auffassung der Entstehung des Zeichens markiert die Grenze zwischen Hegel
und Herder, der das Zeichen als semiotisches Produkt eines langen, evolutionä-
ren Prozesses sieht und die Sprache noch von der Abbildung her versteht.372
Diese Distanz zu Herder kann wiederum als Nähe zu Humboldt gelesen wer-
den, der im Wort die Verwandtschaft zwischen Symbol und Zeichen setzt.
Sicherlich geht Hegel nicht tiefer auf die Problematik der Artikulation
des Wortes zwischen Symbol und Zeichen in Bezug auf unterschiedliche Spra-
chen und ihre jeweiligen Typologien ein. Somit kommt Hegel trotz des explizi-
ten Bezugs auf Humboldts Über den Dualis zur eindeutigen Feststellung des
Vorzugs der alphabetischen gegenüber der hieroglyphischen Schrift – ohne
anzumerken, dass beide zunächst eine lautliche Natur haben.373 Dieser Gedanke
prägt insbesondere Humboldts Abhandlung Über die Buchstabenschrift, die
Hegel nicht erwähnt und der zufolge das Wort als Laut sich in Richtung eines
Bildes oder in Richtung eines Zeichens artikulieren kann.
Die Artikulation führt zur eigentlichen Natur des Namens als „Ver-
knüpfung der von der Intelligenz produzierten Anschauung und ihrer Bedeu-
tung“,374 die als zunächst vorübergehende die Tätigkeit des Gedächtnisses erfor-
dert, um etabliert und gebraucht zu werden. Entscheidend ist dabei, dass es das
Gedächtnis für Hegel nicht mehr mit dem Bild, sondern mit dem Wort zu tun
hat: „Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftes
Dasein“.375 Hier entwickelt sich eine so tiefe Vertrautheit mit der Bedeutung des
Wortes, dass das Äußere selbst fast verschwindet.376 Die Bedeutung hat vertraut
zu werden, damit sie der Vergegenständlichung dient und somit die Einheit
zwischen Subjektivität und Objektivität erschafft: „Das Gedächtnis ist auf diese
Weise der Übergang in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr
hat, d.i. von dessen Objektivität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist,
so wie diese Innerlichkeit an ihr selbst seiend ist“.377 Und somit schafft Hegel
den Übergang zum Denken, das als „Gedanken haben“378 die Einheit von Inhalt
und Gegenstand ist.
spricht Hegel sogar von einem logischen Instinkt,382 der das Grammatische her-
vorbringt, womit letztlich zugleich das Problem der Herleitung der Kategorien
angesprochen ist, das sich ihm in der Logik stellt. Mit diesem ist eine bestimm-
te Auffassung der philosophischen Tätigkeit als Bewegung des Begriffes selbst
verbunden, die dessen empirische, theologische oder ästhetische Konnotation
aufhebt. Dieser Gedanke verbindet Hegel mit der kantischen Transzendental-
philosophie, die er in gewisser Hinsicht radikalisiert.
Abschließend gilt es aufzuzeigen, inwieweit Hegel den transzendentalen
Ort des Schematismus einerseits bestätigt und andererseits neu gestaltet: Die
Bestätigung betrifft wesentlich die Gestaltungsfunktion der Vorstellung – und
in dieser der Sprache, die als genetischer Prozess zwischen Anschauung und
Denken, zwischen Bild und Wort aufgefasst wird. Somit realisiert sich aus-
gehend vom Bild diejenige doppelte Versinnlichung, die schon Kant annimmt,
und in der die schematische und die symbolische Darstellung sich anhand der
Begriffe einerseits und der Anschauungen andererseits unterscheiden lassen.
Die Gedanken operieren bei Hegel jedoch nicht mit Bildern und sind trotzdem
versinnlicht und versinnlichend. Das Symbol und das Zeichen sind im Wort
und weiter im Begriff enthalten, dessen Semiose jedoch Hauptinteresse der
Semantik geworden ist. Somit wird der Schematismus zur Vermittlung zwi-
schen Anschauung und Begrifflichkeit im Reich der Vorstellung. Insofern ver-
tritt Hegel einen repräsentationalen Ansatz, der eine Versinnlichung beschreibt,
die von der Physiologie bis zur abstrakten Ebene des Denkens reicht, ohne des-
wegen die einzelnen Stufe zu vernichten. Folglich können bei Hegel wie bei
Kant die eigenen Gedanken sowohl auf der Stufe des Symbols ausgedrückt als
auch weiter in Richtung des abstrakten Denkens realisiert werden, in dem eine
dynamische Philosophie zur Entfaltung gelangen kann. Aufgrund dieser
Fokussierung auf die eigentümliche Tätigkeit des Geistes wird jedoch von Hegel
nicht näher untersucht, inwieweit die Sinnlichkeit, die Sprache und das Symbol
selbst als konstitutive Elemente auf dem Weg zum Zeichen und Wort aufgefasst
werden können. Die Tätigkeit des Geistes riskiert somit, die tragende Kraft ihrer
eigenen Bewegung zu sein, die, um sich weiter ausgestalten zu können, immer
eine bewusste Handlung zu implizieren scheint. In diesem Sinne kommt bei
Hegel sicherlich der Verleiblichung eine wichtige Funktion zu, obwohl er sich
nie auf den eigentümlichen Prozess der Versinnlichung als eigene Gestaltungs-
tätigkeit des Geistes bezieht. Dieser Aspekt ist daher im nächsten und letzten
Teil meiner Untersuchung in Bezug auf die Begriffe der Versinnlichung und der
Verkörperung zu thematisieren.
jedoch Gefahr, das Schema als einen Schemen im Sinne einer verkürzten
Zusammensetzung inhaltlicher Merkmalen anzusehen. Insofern ist der ver-
meintliche Dualismus zwischen Schema und Realität nicht so sehr, wie David-
son meint, ein Dogma, sondern vielmehr Anzeichen eines falsch gestellten Pro-
blems. Denn wie Kant richtig sieht, ist das Schema ein Prozess und kein fixer
Inhalt.1 Einem ähnlichen Missverständnis erliegen auch all diejenigen Inter-
pretationen, welche die Schemata zu bloßen Trägern der Bedeutung machen
und dadurch ebenfalls die prozessuale Natur des Schematismus vernachlässi-
gen.2 Dieses Problem wird schon bei Kant als die Schwierigkeit beschrieben, den
Schematismus von seinen Resultaten getrennt zu halten. Die einzelnen Schema-
ta sind also nur in einem prozessualen Sinn und nicht als Resultate des Prozes-
ses zu erfassen. Die Ausblendung des prozessualen Charakters der Schemata
kann zugleich als Mangel einer transzendentalen Perspektive angesehen wer-
den, den etwa Umberto Eco für das Hauptproblem derjenigen zeitgenössischen
Theorien hält, die den Schema-Begriff bzw. ihm ähnliche Begriffe wie Prototyp
oder Modell anwenden.3 Dieser spezifisch prozessuale Charakter des Schema-
tismus hingegen rückt in der unmittelbaren Nachfolge Kants von Maimon bis
Hegel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wenngleich bei diesen Autoren auf
den ersten Blick eine Verabschiedung des Schematismus zu verzeichnen ist.
Dass Kant mit der Schematismuslehre ins Herz des synthetischen Wesens der
Denkprozesse vorgestoßen ist, wird in der Nachfolge erkannt, wobei jedoch die
performative Kraft dieser schematischen Artikulation hinterfragt und zugleich
erweitert wird, was meines Erachtens sowohl zur Verabschiedung als auch zur
Wiedergeburt des Schematismus beigetragen hat. Die Schwierigkeit der Inter-
pretation bestand gerade darin, dass das Schema in der Nachfolge Kants kaum
noch ausdrückliche Beachtung findet, weil ausgehend von der Kritik an der
Gegebenheit der Begrifflichkeit und der Sinnlichkeit der gestalterische und
pragmatische Charakter des Denkens und der Sprache hervorgehoben und der
Schematismus als zu überwindender, repräsentationaler Prozess angesehen
wird. Ich habe mich dennoch auf diese Versuche bezogen, da sie gerade in dieser
Überwindung den Kern des Schematismus freilegen und weiterentwickeln.
Dabei hoffe ich gezeigt zu haben, inwieweit sich durch eine nicht-reduktionisti-
sche Auslegung der Schematismuslehre Kants und ihrer Rezeption dessen sys-
4 Siehe oben, Kap. VI.3. Anhand der Auslegung von Makkreel ist bereits betont wor-
den, wie die im metaphorischen Prozess implizierte Reflexion antizipatorisch
wirkt, weil sie einen bestimmten Inhalt zum Dienst einer Erweiterung der Darstel-
lungskraft der Bedeutungserfahrung selbst extrapoliert. Dazu Fortuna 2012,
S. 172–173: „Metaphorische Ausdrücke haben demnach kein wörtliches Äquiva-
lent, sondern die primäre gegenständliche Bedeutung verschiedener Wörter wird
mittels eines analogisches Prozesses transformiert. Daher wird dieser Prozess, der
284
Schematismus als Versinnlichung
Genese ist jedoch nicht ursprünglich, sondern stützt sich indirekt auf die erkennt-
nistheoretische Ebene der Schematisierung, die Begriffe darstellt, die eine Ent-
sprechung in den Anschauungen haben können. Die symbolische, indirekte
Darstellung basiert daher auf der direkten Darstellung.
In Bezug auf die symbolische Darstellung konnte außerdem gezeigt wer-
den, inwieweit sie potentiell dazu in der Lage ist, eine ursprüngliche Präsentati-
on zu erzeugen, d.h. die Darstellung eines Gegenstandes ‚ohne Begriff‘. In §35
der Kritik der Urteilskraft erklärt Kant die eigentümlich subjektive Macht einer
Schematisierung ohne Begriff, die er als das originäre Prinzip der Urteilskraft
bezüglich des Geschmacks beschreibt. Es handelt sich hierbei um eine dritte Art
der Versinnlichung, durch die Gefühle zum Ausdruck gelangen. Wenn also bei
Kant überhaupt von einem nicht-begrifflichen Charakter der Darstellung
gesprochen werden soll, dann hier. Diese Schematisierung ‚ohne Begriff‘ beruht
auf der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die nicht nur
unabdinglich für die Erkenntnis ist, sondern auch Begriffe generieren kann. Bei
Gefühlen handelt es sich folglich für Kant um eine Schematisierung ohne
Begriff, der in der Versinnlichung gewissermaßen erst zum begrifflichen Aus-
druck kommt. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die weder auf den
Körper noch auf die Begrifflichkeit reduzierbar ist, stellt diejenige transzenden-
tale Verbindung zwischen Sinnen, Anschauungen und Begriffen dar, die es
ermöglicht, die gesamte Bedeutungserfahrung in Zeit und Raum zu gestalten.8
Trotz der Bezeichnung dieses Prozesses als Versinnlichung bei Kant hat sich
dieser Terminus in der Erkenntnistheorie nicht etabliert. Seine Verwendung
bleibt auf den Bereich der künstlerischen Gestaltung begrenzt, weil er gerade
dort seine primäre Erklärungskraft entfaltet.9
Die generative Funktion der Darstellung als Versinnlichung wird in der
Nachfolge Kants vor allem von Herder und insbesondere in Bezug auf die Spra-
che und die Einbildungskraft hervorgehoben. Das zeigt sich vornehmlich am
Begriff der sinnlichen Präformation bei Herder: „Die Sinne präformieren“.10
Herder hält die gestaltende Funktion der Sinnlichkeit für die eigentümliche
Kraft des Metaschematismus, hebt sie jedoch hauptsächlich in den Künsten her-
vor. Trotzdem ist es Herder, der meines Erachtens die transzendentale, empirische
sentiert.15 Deshalb möchte ich mit dem Versinnlichungsbegriff gegen alle Ver-
suche einer Substantialisierung der Sinnlichkeit und für eine formale Auffas-
sung derselben argumentieren, nach welcher die Sinnlichkeit Bedingung der
sinnlichen Form der Begrifflichkeit ist, die sich zwischen Bild und Laut artiku-
liert. Wenn man diese Artikulation nicht als immer schon vorausgesetzt anneh-
men und eine transzendentale Begründung ihrer unterschiedlichen Anwendun-
gen einfordern möchte, dann bietet sich meines Erachtens nur der Weg, die
Versinnlichung als Gestaltungsprozess einzuführen. Diesen Weg haben meines
Erachtens sowohl Heidegger als auch die Autoren des Projekts einer philosophi-
schen Anthropologie eingeschlagen, von denen ich insbesondere Plessner her-
vorheben möchte.
Der Schematismus lebt von der transzendentalen Auffassung der Sinn-
lichkeit als der eigentlichen Bedingung jeder Gestaltung. Es ist insbesondere
Heidegger, der die systematische Stellung der Versinnlichung in der Schema-
tismuslehre hervorgehoben hat. Da das Schema weder auf das empirische Bild
noch den isolierten Begriff reduziert werden kann, braucht es eine Charakteri-
sierung, die seine eigene Funktion beschreibt. Dies ist für Heidegger die Ver-
sinnlichung, die „primär in der Einbildungskraft geschieht“.16 Wie bereits
erwähnt, definiert er die Schemabildung als „die Versinnlichung von Begrif-
fen“.17 Er bezieht sich auf die reine Versinnlichung als „das Hinnehmen von
etwas, was sich im Hinnehmen selbst zwar allererst bildet, also eines Anblickes,
der aber gleichwohl nicht das Seiende darbietet“.18 Insofern sei diese ursprüng-
liche Versinnlichung bei Kant keineswegs nur als Aufzählung von Merkmalen,
sondern als „Auszeichnen des Ganzen“ zu deuten,19 womit Heidegger aner-
kennt, dass diese Versinnlichung primär in der Einbildungskraft geschieht, die,
an sich als „heimatlos“ zwischen Rezeptivität und Spontaneität schwebend,20 die
eigentliche Wurzel der beiden Stämme der Erkenntnis und die transzendentale
Verwurzelung der reinen Anschauung sei, womit die systematische Stellung
der Sinnlichkeit rückblickend in Frage gestellt wird: „So, wie die transzendenta-
le Ästhetik am Anfang der Kritik der reinen Vernunft steht, ist sie im Grunde
unverständlich. Sie hat nur vorbereitenden Charakter und kann eigentlich erst
aus der Perspektive des transzendentalen Schematismus gelesen werden“.21 Den-
noch vertieft Heidegger nicht weiter, inwieweit dieser Versinnlichungsprozess
mit der Wahrnehmung in Verbindung steht. Die reine Anschauung entspringt
1. D ie Ä st hesiolog ie Plessner s
Plessners Projekt einer philosophischen Anthropologie bezieht sich explizit auf
Kants Schematismus, der in Die Einheit der Sinne als Konstitutionsproblem
eingeführt und in Bezug auf die Sinne gedeutet wird. Ich lese den Ansatz Pless-
ners daher als Ergänzung zu dem hier unternommenen Versuch, eine Versinn-
lichungslehre zu entwickeln.
Bezüglich der Auffassung der sinnlichen Organisation des Menschen
unterscheidet Plessner drei Ansätze: der erste, den er als absolut bezeichnet,
betrifft die Auffassung der sinnlichen Qualitäten „als unmittelbarer Offen-
barungen“.25 Es handelt sich dabei um die Verabsolutierung des Abbildungscha-
rakters der Eindrücke – Plessner bezieht diese Auffassung auf Bergson und auf
die von ihm für besser gehaltene Variante der Goethe-Piklerschen Theorie, der
Cassirer – wie vorhin schon erwähnt – in der Kritik des dogmatischen Sensua-
lismus eine systematische Stellung einräumt. Herder hingegen wird von Pless-
ner die Einsicht in die Subjektivität der Sinnenqualität zugeschrieben, welche
eine detaillierte Charakteristik einzelner Sinne erlaube, aber bei der Beschrei-
bung subjektiver Zustände und bloßen Vorstellungsweisen stehen bleibe. Diese
Kritik steht insofern im Einklang mit meinem kritischen Ausblick bezüglich der
Auffassung der Sinnlichkeit bei Herder, in dem es letztlich ebenfalls um die
Kritik der Subjektivierung der Sinne insbesondere in Bezug auf ihre Funktion
in den in der Kunst versinnlichten Gefühlen ging.26
Mit Plessner erfolgt daher eine weitere Umgestaltung der Sinnlichkeit
nach Herder, der bis hierhin als derjenige gelten konnte, der die eigentümliche
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in Abgrenzung zu Kants Schematismus
erkannt und zugespitzt hatte. Plessner deutet die Ästhesiologie Herders folglich
als eine subjektive Ästhesiologie, der zwar das wichtige Verdienst zugerechnet
werden sollte, sich von einer absoluten Auffassung der Sinnlichkeit entfernt zu
haben, die jedoch durch eine objektive Ästhesiologie weiterentwickelt werde
müsse. Letzteres bezeichnet die Strategie Plessners, sowohl die absolute als auch
die subjektive Auffassung der Sinne zu überwinden: „Die Qualitäten sind nicht
absolute Seinszustände und sie sind keine subjektiven Zustände. Sie sind viel-
mehr die Weisen, in denen absolutes, das heißt vom Bewusstsein losgelöst
beharrendes Sein, der Stoff, die Materie gegenständlich: für ein Bewusstsein
wirklich werden kann“.27
Die so objektiv gedeuteten Sinnesqualitäten werden von Plessner als
„Verbindungsarten“ verstanden, „die Brücken zwischen Geist und Körperleib
und damit zwischen Geist und körperlicher Welt“28 schlagen und somit in ihrer
Vermittlungsfunktion mit der systematischen Funktion des Schematismus ver-
glichen werden können: „die Ästhesiologie setzt an Stelle der kantischen Kon-
stitutionstheorie der Natur, wie sie in der transzendentalen Ästhetik, in der
Kategorienlehre und im Schematismus niedergelegt ist, eine neue Theorie der
Naturgegenständlichkeit, deren Zentralidee die Lehre von den Modalitäten ent-
hält“.29 Der Begriff der Modalität ist für Plessner der Anschauungslehre von
Zeit und Raum gegenüber vorzuziehen, weil er sowohl konkreter als auch uni-
verseller sei. Die Modalität ermöglicht eine Perspektive auf die Sinne, die im
Allgemeinen von allen Typen der Sinngebung handelt und sich nicht nur für die
„physikalische Deutung der Natur“ interessiert.30
Die Vielschichtigkeit der Architektonik Plessners stellt, ohne hier ins
Detail gehen zu können, meines Erachtens ein wichtiges Beispiel des trans-
zendentalen Wertes der isolierenden Methode dar, durch welche die Sinne, die
in der synästhetischen Wahrnehmung nur vermischt vorkommen, heuristisch
getrennt werden. Was Plessners Modalitätstheorie vor allem im Anschluss an
Kant wieder einführt, ist die Abgrenzung zwischen einer transzendentalen und
einer empirischen Betrachtung der Sinnlichkeit, die von Herder nivelliert wor-
den war. Die empirische Betrachtung impliziert schon das intentionale Ver-
hältnis zwischen Subjekt und Objekt, während die transzendentale die einzel-
nen Modalitäten der Sinnlichkeit nur heuristisch beschreibt. Plessner denkt
somit die empirische Verkörperung ausgehend von den Modalitäten der Sinne
– und nicht umgekehrt die Sinne ausgehend von der Verkörperung. Denn diese
ist überhaupt nur ausgehend von der Spezifizität der Sinne zu verstehen, die
nicht so sehr den Gehalt, sondern vielmehr die Funktion der Empfindung als
sinnlicher Struktur betrifft.31
Die Funktion der Verkörperung ist die empirische Synästhesie, in wel-
cher die Sinne in ihrem Zusammenwirken die Erfahrung schon intentional
gestalten.32 Wenn innerhalb dieser Synergie die Sinne heuristisch – also vor der
Erfahrung – analysiert werden sollen, ist die richtige Methode nach Plessner
diejenige, „Grenzfälle“ aufzusuchen, bei denen das Material in seiner „Reinheit
als Ton, Farbe, Linie usw. auftritt“: „an solchen Fällen, wie sie etwa im Musizie-
ren, Zeichnen, Schreiben, Sprechen, in den Versuchen abstrakter Bildkunst, im
konstruktiven Verfahren der Geometrie gegeben sind, lässt sich die spezifische
Tragfähigkeit eines sinnlichen Modus für einen spezifischen Modus mensch-
lichen Verhaltens erproben“.33 Die Synästhesie kann im Gegensatz dazu nicht in
ihrem reinen Charakter untersucht werden, weil sie als Zusammenwirken unter-
schiedlicher Sinne schon eine intentionale Zuwendung voraussetzt:
Da, wo die Sinne verschmelzen, entsteht also für Plessner eine Handlung, in der
er dreierlei unterscheidet: „Schematismus der Wissenschaft (der reinen Geo-
metrie)“, „Tagmatismus der Sprache und Schrift“ und „Thematismus der Kunst
(der reinen Kunst)“.35 Diese Leistungen können wiederum als Grenzfälle ver-
standen werden: Die Konstruktion steht für das „methodische Vorgehen mit
Rechnung und Zeichnung“, das syntagmatische Bedeuten erfolgt durch die
Gliederung der Bedeutung durch Sprache und Schrift, und die thematische
Sinngebung „leistet die Kunst durch Formung ihres jeweiligen Materials nach
Maßgabe der Proportion“.36 Diese dreifache Artikulation der Bedeutung erin-
nert nicht zufällig an Kants Unterscheidung zwischen schematischer Darstellung,
symbolischer Darstellung und Schematisierung ohne Begriff. Doch obwohl
Plessner den Schematismus als allgemeine Konstitutionsfrage behandelt,37 bezieht
31 Vgl. Plessner, Anthropologie der Sinne (1970), in: Plessner, GS, III, S. 375–378.
32 Plessner, GS, III, S. 201–203, S. 379 und S. 390. Zu beachten ist auch der Bezug Ples-
sners auf das Theater (S. 391).
33 Plessner, GS, III, S. 380.
34 Plessner, GS, III, S. 388.
35 Zur Architektonik siehe Plessner, GS, III, S. 189–190.
36 Plessner, GS, III, S. 190.
37 Siehe Plessner, GS, III, S. 381: „Schreiben, Zeichnen, Schematisieren, graphisch
Darstellen und verwandte Operationen bergen ein eminentes Problem, das Kant im
Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft berührt hat. In Richtung auf
294
Schematismus als Versinnlichung
die Erkenntnis der Möglichkeit exakter Naturbeschreibung erscheint bei ihm das
Schema als Zwischen- und Bindeglied, dem die Anwendbarkeit der Kategorien auf
Anschauung zu danken ist, als Vorstellung einer Methode, wonach Bilder allererst
möglich werden. Den derart gesichteten Zusammenhang zwischen ‚Natur‘, Exakt-
heit ihrer Darstellung nach Gesetzen, Schematisierung und bildmäßiger Anschau-
lichkeit dahingestellt – liegt nicht die Vermutung analoger Funktionen der Einbil-
dungskraft zumindest für den Aufbau der Geisteswissenschaften nahe, die auf
Exaktheit, Typisierung und bildmäßige Anschaulichkeit, wenn auch in einem
anderen Sinne als die Naturwissenschaften, nicht verzichten können? Wird die
Phantasie nicht zu anderen, der Schematisierung verwandten, nur andersartigen
‚Methoden‘ der Vermittlung, Verdichtung, Konkretisierung aufgerufen und auch
imstande sein, wenn es sich um Durchführung einer Idee im künstlerischen oder
praktisch-politischen Sinne handelt? Zwischen Vernunft, Vernehmen und Hören,
das kein Anschauen und keine bildhafte Verarbeitung von Tönen ist, […] besteht
ein innerer, gewachsener Zusammenhang, der an der unverwechselbaren Eigenart
musikalischer Mitteilung sinnfälligen Ausdruck gewinnt“.
38 Vgl. Plessner, GS, III, S. 190: „Kant hat zum ersten Male in dieser Weise das
Geheimnis des geometrischen und algebraischen Wertes der Linien zu deuten ver-
standen, indem er zur Vermittlung zwischen Kategorie und Anschauung das Sche-
ma als Verfahren, wonach Bilder allererst möglich werden, einschob, welche Ent-
deckung in der Tat jene Bewunderung verdient, die ihr Hegel und Schopenhauer
haben zuteil werden lassen“.
39 Plessner, GS, III, S. 177.
295
I. Versinnlichung und Embodiment
sche Wahrnehmung ist die Regel“.45 Dieses Ganze als ‚Kommunikation‘ der
Sinne untereinander ist demnach für Merleau-Ponty das Wesen der Synästhesie
selbst,46 die nur durch eine Rückkehr vom Intellektualismus hin zum Leib
begreifbar wird.47 Nur als Synästhesie kann der Gegenstand zur umfassenden
Wahrnehmung gelangen, nur so kann die Struktur eines Dinges erfasst werden.
Diese Synästhesie ist keine geistige Tätigkeit, sie „ist vom Körper (nicht vom
Subjekt) gemacht“.48 Und trotzdem gelangt man dadurch nie zum Gegenstand
selbst: „ein jeder Aspekt des Dinges, der in unsre Wahrnehmung fällt, bleibt
eine Einladung, noch über ihn hinaus wahrzunehmen, und ein bloßer momen-
taner ‚Anhaltspunkt‘ im Prozess des Wahrnehmens“.49
Es muss jedoch als fraglich gelten, ob diese synästhetische Einheit des
Körpers geeignet ist, das gesamte Spektrum abzudecken, das Merleau-Ponty
dem Körperschema zuschreibt, d.h. Einheit gleichzeitig des Leibes, der Sinne
und des Gegenstandes und außerdem noch für Ausdruck, Darstellung und
Bedeutung verantwortlich zu sein.50 Der Leib allein soll sowohl Natur- als auch
Kulturgegenständen ihren Sinn geben; dennoch ist er angeblich vor jeglicher
Reflexion und Wissenschaft einzuordnen.51 Meines Erachtens müsste hingegen
zwischen zwei Arten von Synästhesie unterschieden werden: Einer präreflexi-
ven und einer reflexiven Synästhesie, in der Wahrnehmung eine intentionale
Zuwendung miteinschließt. Merleau-Ponty dagegen läuft Gefahr, im Gegensatz
zu Plessner die Diversität der einzelnen Sinne auf transzendentaler Ebene zu
nivellieren. Die reflexive Synästhesie – sei sie auch Produkt einer im engeren
Sinne körperlichen Intentionalität, durch welche beispielsweise die eigene
Wahrnehmung einer synästhetischen Dimension genauer begriffen oder Funk-
tionsstörungen der Sinne ersetzt werden können – hängt immer von einer inten-
tionalen Zuwendung ab, die einen faktischen Gebrauch impliziert. Die trans-
zendentale Versinnlichung abstrahiert heuristisch vom Körper und untersucht
die Sinnlichkeit als potentielle Gestaltungsfunktion, die im Schematismus zum
Gebrauch kommt. Das bedeutet nicht, dass die Versinnlichung ‚ohne Körper‘ ist;
sie geht nur nicht primär von den Erscheinungen des Körpers aus, sondern hin-
terfragt die Bedingungen dieser Erscheinungen und minimiert sie zu Grenz-
polen.
Im Vergleich der unterschiedlichen Funktionen der Synästhesie bei
Plessner und Merleau-Ponty habe ich versucht, die transzendentale Grenze zu
erklären, welche die objektive Auffassung der Modalitäten der Sinne von der
empirischen Auffassung ihrer Einheit abgrenzt, welche wiederum eine synäs-
thetische Verkörperung darstellt, die vom intentionalen Gebrauch abhängt. Die-
ser setzt eine schon intentionale Zuwendung voraus und entfaltet sich dadurch
subjektiv und relativ. Diese Grenze ermöglicht es trotzdem, in der Kunst von
einer Synästhesie zu sprechen, die neue sinnliche Synthesen hervorbringen
kann, denen keine diskursive Erkenntnis angemessen ist.
Die Verkörperung setzt also immer eine intentionale (aber nicht unbe-
dingt bewusste) Handlung voraus, durch welche die potentielle Synästhesie zur
Gestaltung kommt. Auf dieser Ebene bewegen wir uns – wie Plessner richtig
bemerkt – schon in Weltbildern. Diese systematische Stellung der Verkörpe-
rung kann ebenfalls mit dem Ansatz von Alva Noë in Verbindung gebracht
werden, der sich explizit auf Merleau-Ponty bezieht und den kantischen Unter-
schied zwischen Anschauungen und Begriffen im Sinne der sensomotorischen
Bedeutung der Anschauungen deutet, die für Kant blind sind und für Noë die
praktisch-motorische Erkenntnis charakterisieren: „To perceive you must be in
possession of sensorimotor bodily skill“.52 Trotz der Betonung praktischer
Fähigkeiten in der sensomotorischen Wahrnehmung kommt Noë gleichzeitig
zu der Feststellung, dass Farben und Laute eine wesentliche (salient) Funktion
in der Wahrnehmung ausüben,53 so als ob sie grundlegendere, strukturierende
Aspekte der Wahrnehmung seien, die anhand empirischer Einzelfälle bewiesen
werden – ohne dass dies jedoch weiter erläutert würde.
Die isolierende Methode Kants in Bezug auf die Sinne, die sich in unse-
rer Untersuchung als extrem fruchtbar erwiesen hat, wird schlicht nicht ange-
wendet. Die durch McDowell filtrierte Lektüre von Kant und die fast vollkom-
mene Ausblendung der Sinnlichkeitsdebatte im 18. Jahrhunderts bei Noë haben
meines Erachtens als Haupthindernisse für die Erfassung der funktionalen
Bedeutung der Sinnlichkeit im Schematismus zu gelten, die in der Dichotomie
zwischen Nicht-Konzeptualismus und Konzeptualismus befangen bleibt, in der
letztlich keine systematische Stellung der Versinnlichung vor der sensomotori-
schen Verkörperung vorgesehen ist. Dieses Vor sollte nicht im Sinne einer Kon-
zeptualisierung, sondern einer Transzendentalisierung gelesen werden – an der
es vielen der gegenwärtigen Ansätze des Kognitivismus mangelt, weshalb ihre
Einführung zu deren Umgestaltung beitragen kann. Denn aus transzendentaler
Sicht lassen sich die Grenzfälle sinnlicher Erfahrung und ihre Synästhesie
diskursiv beschreiben, was jedoch nicht als Intellektualisierung sinnlicher Ver-
hältnisse missverstanden werden darf. Bevor ich diese Perspektive in einer
eigenständigen Lesart der Schematismuslehre entwickle, soll nun erneut die
Unterscheidung zwischen Versinnlichung und Verkörperung geprüft werden,
indem sie auf den kognitivistischen Ansatz der Verkörperung von Lakoff und
Johnson bezogen wird. Dieser stellt in meiner Untersuchung sowohl wegen
seines expliziten Bezugs auf den kantischen Schema-Begriff als auch wegen
seiner Annahme basaler sinnlichen Strukturen einen exemplarischen Prüfstein
dar, anhand dessen gezeigt werden kann, dass Versinnlichung nicht auf Ver-
körperung reduziert werden kann.
2. Ver si n n l ic hu ng a ls t ra nszendent a le
Bed i ng u ng der Verkör p er u ng
In diesem Kapitel werde ich den Versinnlichungsansatz Kants in Beziehung zur
Konzeption des Embodiment setzen, wie sie Johnson und Lakoff seit den acht-
ziger Jahren in mehreren Schriften entwickelt haben. Wie bereits erklärt, wird
diese Konzeption aus dem weiteren Spektrum der Embodiment-Theorien des-
halb ausgewählt, weil Johnson und Lakoff eine semantisch-kognitivistische
Grundlage des Erkenntnisprozesses annehmen und sich explizit auf Kant bezie-
hen. Dennoch zeigen sich meines Erachtens zugleich Parallelen zu Plessner und
Merleau-Ponty, genauer zu deren Skepsis gegenüber einem Intellektualismus
der Wahrnehmung.54 Obwohl ihr Ansatz im Vergleich mit dem Enaktivismus
eine moderate Variante des Embodiment darstellt, ist er aufgrund dieser Kritik
des Intellektualismus und der Hervorhebung des Interaktionsraums zwischen
Subjekt und Umwelt für die Verkörperungstheorien repräsentativ, die hier nicht
detaillierter untersucht werden können. Dabei kann gezeigt werden, dass Sinn-
lichkeit oftmals zu schnell mit Verkörperung gleichgesetzt wird, Versinn-
lichung oft zu schnell zur Verkörperung geworden ist. In der Folge hat man die
transzendentale Begründung der Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt
verabschiedet oder auf die körperliche Ebene reduziert. Das hat auch dazu bei-
getragen, dass im Embodiment viele Aspekte zusammenfließen, die eigentlich
durch Versinnlichung und Verkörperung zu erklären wären. Ich argumentiere
dafür, die bestehenden Embodiment-Theorien durch eine grundlegendere Ebe-
ne zu ergänzen, die ich als transzendental bezeichnen werde.
Johnson und Lakoff beziehen ihren Ansatz direkt auf die Konzeption der
Einbildungskraft und die Schematismuslehre Kants und erweitern sie durch die
Annahme verkörperter Schemata. Diese Erweiterung von Johnson und Lakoff
entspricht meines Erachtens nur teilweise dem bereits erwähnten Versuch, die
Erkenntnistheorie Kants als eine Verkörperungslehre auszulegen, wie er vor-
nehmlich von Helge Svare und Angelica Nuzzo unternommen wird.55 Beide
Interpretationen zeigen primär, wie sinnvoll die Einbeziehung der Philosophie
Kants im Rahmen des Embodiment-Ansatzes ist, entfalten die Versinnlichung
jedoch nicht als transzendentale Bedingung der Verkörperung. Dies bleibt mei-
nes Erachtens ein offenes Problem, insofern die Verkörperung die Schematis-
muslehre in diesem Fall nur auf der Ebene empirischer Bedeutung erweitern
kann. Die Erkenntnistheorie Kants wird damit gewissermaßen durch eine wei-
tere Dimension ergänzt, indem der Sinnlichkeit die Kinästhesie und die Bewe-
gung zur Seite gestellt werden, doch diese Erweiterung betrifft nicht die syste-
matische Stellung des Schematismus, dessen empirische Ebene der Verkörperung
in der Versinnlichung gründet. Durch die Analyse der Verkörperungsproble-
matik bei Kant wird mit anderen Worten dessen Anschauungstheorie mittels
des Embodiment-Begriffs revidiert, ohne dass aber in entgegengesetzter Rich-
tung mit Hilfe Kants der Embodiment-Begriff einer Revision unterzogen wür-
de. Dieser Versuch ist im zweiten Teil schon in Bezug auf Herder ausgeführt
worden, der als der eigentlich klassische Vertreter des Embodiment-Ansatzes
angesehen werde sollte und dessen Revision in gewisser Weise von Hegel unter-
nommen wird, für den die Anthropologie eine Theorie der Verleiblichung ist,
die systematisch der Psychologie vorgeordnet wird, jedoch dafür zuständig
bleibt, die Gestaltung der Begrifflichkeit auszuführen. Somit zeichnet Hegel
den Weg der Erweiterung der Anthropologie durch die Verkörperung vor,
obwohl er sie als eine bloße Verleiblichung beschreibt und ihre Gestaltungs-
funktion in der Psychologie verortet, in der die Sinnlichkeit angesiedelt wird,
55 Auf beide wurde im ersten Teil dieser Untersuchung bereits eingegangen, um den
Versinnlichungsbegriff einzuführen und ihn von dem der Verkörperung abzu-
grenzen. Siehe dazu Kap. II.3.
301
I. Versinnlichung und Embodiment
die sich im Zeichen realisiert, ohne dass dieser Prozess ausdrücklich als Ver-
sinnlichung gekennzeichnet würde. Als ein ähnlicher Versuch wird sich in die-
sem Kapitel derjenige von Johnson und Lakoff erweisen.
Ich möchte daher nicht die Möglichkeit einer Kompatibilität zwischen
Transzendentalphilosophie und Theorie des Embodiment ausschließen, sondern
lediglich zeigen, dass der Embodiment-Begriff nicht die ganze Weite des Schema-
tismus abdeckt und daher einige Aspekte seiner transzendentalen Semantik
übersieht, die ich für systematisch relevant halte, da sich aus ihnen eine anti-
skeptische und nicht-relativistische Theorie der Bedeutungserfahrung ent-
wickeln lässt. Meine These ist, dass die Annahme eines Embodiment auf empi-
rischer Ebene mit Kant kompatibel ist und trotzdem nicht die transzendentale
Tiefenstruktur der kantischen Schematismuslehre erreicht, die ich als eine
modale Versinnlichungslehre auslege. Dieses Kapitel steht vor der Aufgabe, die
Aktualität der Transzendentalphilosophie in Bezug auf den Schematismus auf-
zuzeigen. Zunächst werde ich den Embodiment-Ansatz von Johnson und Lakoff
rekonstruieren, um ihn anschließend mit demjenigen Kants zu konfrontieren.
Zunächst möchte ich das Verständnis der kognitiven Semantik erklären,
die Johnson und Lakoff als die notwendige Grundlage ihres experiential realism
ansehen und die ihren Ansatz meines Erachtens demjenigen Kants annähert. In
Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind
untersucht Lakoff die Funktion der kognitiven Semantik in der Erkenntnis-
theorie. Seine Grundthese lautet: „A philosophy of experiential realism requires
a cognitive semantics“.56 Dem Embodiment-Ansatz zufolge ist unsere Erfah-
rung vorbegrifflich (preconceptually) strukturiert.
Die Strategie von Johnson und Lakoff besteht darin, einen dritten Weg
zu den Positionen aufzuzeigen, die sie als Objektivismus und Subjektivismus
fassen und als ‚Mythen‘ ablehnen. Das fundamentale Prinzip des Objektivismus
ist die objektive Realität, in der die Objekte feste Eigenschaften haben, die objek-
tiv erkannt werden können. Der Subjektivismus hingegen behauptet, Gefühle
und Emotionen seien die einzigen verlässlichen Quellen unseres Erkennens.
Seine Gefahr liegt darin, die Bedeutung des abstrakten Denkens zu unterschla-
gen, sodass die metaphorische Sprache nur Zeichen unserer Unfähigkeit ist,
objektiv zu sprechen und denken. Die von Johnson und Lakoff untersuchte drit-
te Dimension ist demgegenüber die einer experientialist synthesis, in der die
Kluft zwischen Objektivismus und Subjektivismus überwunden und die Objek-
tivität der Erkenntnis bestimmt wird. Diese beinhaltet drei Elemente: erstens
die Verkörperung des Geistes, zweitens das kognitive Unbewusste und drittens
das metaphorische Denken.
Metaphern existieren also nicht nur in der Erfahrung, sondern wirken auf die
Erfahrung und die Handlung selbst und gestalten diese. Es sind sogar Meta-
phern anzunehmen, denen eine realitätserschaffende Kraft zukommt.60
Der Embodiment-Ansatz unterscheidet so zwar zwischen direktem und
indirektem Verstehen, was stark an Kant erinnert, ohne allerdings beides deut-
lich voneinander abzugrenzen.61 Diese metaphorische Ebene fundiert das so
57 Johnson/Lakoff 1980, S. 6: „The most important claim we have made so far is that
metaphor is not just a matter of language, that is, of mere words. We shall argue
that, on the contrary, human thought processes are largely metaphorical. This is
what we mean when we say that the human conceptual system is metaphorically
structured and defined. Metaphors as linguistic expressions are possible precisely
because there are metaphors in a person’s conceptual system“.
58 Johnson/Lakoff 1980, S. 19: „In actuality we feel that no metaphor can ever be com-
prehended or even adequately represented independently of its experiential basis“.
59 Johnson/Lakoff 1980, S. 40.
60 Johnson/Lakoff 1980, S. 145: „New Metaphors have the power to create a new real-
ity. This can begin to happen when we start to comprehend our experience in terms
of a metaphor, and it becomes a deeper reality then we begin to act in terms of it“.
61 Vgl. dazu Johnson/Lakoff 1980, S. 176 und insbesondere S. 177 für die Auflistung.
Diese Unterscheidung integriert zugleich einen Ansatz der semantische Wahrheit,
auf den hier nicht näher eingegangen werden kann (S. 179): „It is because we
303
I. Versinnlichung und Embodiment
genannte abstrakte Denken der Wissenschaften und der Philosophie, die somit
ihre Grundlage in der Erfahrung hat. Auf der ersten Ebene – für Kant diejenige
des bestimmenden Schematismus – finden wir bestimmte Schemata, die unsere
direkte Erfahrung strukturieren und Grundlagen für das metaphorische Ver-
stehen sind. Sie funktionieren vor-begrifflich.62 Diese Schemata sind also
Strukturen, die zusammen mit basalen Begriffen für universell wirksam gehal-
ten werden können, obwohl Johnson und Lakoff an dieser Stelle nicht zufällig
nur von einer Hypothese reden.63 Im Gegensatz dazu sind alle anderen Begriffe
kultur-relativ. Ich halte diesen Bezug auf den hypothetischen Charakter der
objektiven Schemata für ein Symptom der transzendentalen Unterbestimmt-
heit der Schemata des Embodiment-Ansatzes. Die Bestimmungsfunktion der
Schemata kann nur hypothetisch objektiv sein – und das meines Erachtens des-
halb, weil der transzendentale Charakter der Schemata nicht erkannt wird und
ihre Bedeutung essentiell an eine Verräumlichung gebunden bleibt.64 So werden
nur bestimmte Aspekte der Sinnlichkeit stark gemacht, insbesondere die visuel-
le und motorische Struktur des Raumes, während andere Aspekte – etwa die
akustische Bestimmung der Wahrnehmung – ausgeblendet bleiben.
Ich möchte an dieser Stelle genauer auf den Bezug des Embodiment-
Ansatzes auf Kant eingehen, wie ihn Johnson in The Body in the mind heraus-
stellt. Er erkennt darin die Relevanz der Schematismuslehre an, insofern diese
die zentrale Rolle der Einbildungskraft betont: „there can be no meaningful
experience without imagination“.65 Johnson hält die Spaltung zwischen bestim-
66 Johnson 1987, S. 19: „I want to propose a meaning for the term ‘schema’ that differs
in important respects from what has come to be the standard meaning of the term
in recent cognitive science. My use of the term derives from its original use as it
was first elaborated by Immanuel Kant. He understood schemata as nonproposi-
tional structures of imagination. Today, by contrast, schemata are typically thought
of as general knowledge structures, ranging from conceptual networks to scripted
activities to narrative structures and even to theoretical frameworks“.
67 Johnson 1987, S. XIX.
68 Siehe dazu Johnson 1987, S. 21: „Kant understood schemata as structures of imagi-
nation that connect concepts with percepts. He described them as ‘procedures for
constructing images’ and as thus involving perceptual patterns in our bodily expe-
rience. As we shall see, Kant’s interpretation is somewhat limited by his peculiar
view of concepts, but he does recognize the imaginative and nonpropositional
nature of schemata“.
69 Johnson 1987, S. 23.
70 Johnson 1987, S. 29: „It is important to recognize the dynamic character of image
schemata. I conceive of them as structures for organizing our experience and com-
prehension. Kant went so far as to claim [… ] that schemata are actually preconcep-
tual structuring processes whose structures can ‘fit’ general concepts and can gen-
305
I. Versinnlichung und Embodiment
Schemata mit der Einbildungskraft, die auch bei Kant das generative Vermögen
der Schemata ist. Letztere haben keine starre Struktur, sondern sind von einer
bloß relativen Stabilität gekennzeichnet, indem sie eine konventionelle Fixie-
rung in unserem semantischen Gebrauch erfahren, die jedoch nicht absolut fest-
steht, sondern vom Kontext und von anderen semantischen Variablen abhängt.
Diese konventionelle Bedeutung der Schemata bezeichnet Johnson als „literal“71
und löst so diejenige Spannung zwischen dem gegeben und dem gemachten
Charakter der Begrifflichkeit bei Kant auf, die er trotz der grundsätzlichen
Anerkennung der imaginativen Natur der Schemata für eine Grenze der kanti-
schen Philosophie hält.72
Johnson greift die imaginative Natur der Schemata in der Geschichte der
Philosophie – insbesondere bei Platon, Aristoteles und Hobbes – auf, um so den
Ansatz Kants als eine Alternative zum Verständnis der Einbildungskraft als
bloßer Kreativität in der Kunst, in den wissenschaftlichen Erfindungen oder als
rein psychisches Phänomen zu präsentieren. Bei Kant selbst geht er auf den
Unterschied zwischen reproduktiver und produktiver Einbildungskraft ein,
betont die zeitliche Dimension der letzteren und weist auf die methodische
Schwierigkeit hin, in der Schematismuslehre den Prozess von dessen Produkten
zu trennen. Die Bedeutung der kantischen Einbildungskraft für seinen eigenen
Ansatz schildert er folgendermaßen: „all meaningful experience and all under-
standing involves the activity of imagination which orders our representations
(the reproductive function) and constitutes the temporal unity of our conscious-
ness (the productive function)“.73 Er bezieht sich dabei auf den Hypotyposis-
Begriff der Kritik der Urteilskraft – ohne jedoch den Versinnlichungsbegriff
aufzugreifen oder die Schwierigkeit zu thematisieren, den Schematismus von
der symbolischen Darstellung zu differenzieren, insofern vermeintlich ‚wort-
wörtliche‘ Ausdrücke eine metaphorische Darstellung voraussetzen. Johnson
sieht bei Kant zu überwindende Probleme: einerseits die Kluft zwischen Begriff-
lichkeit und Sinnlichkeit, andererseits diejenige zwischen schematischen und
metaphorischen Strukturen. Und auf beide wendet er eine Erweiterungsstrate-
gie an: hinsichtlich der ersten vertritt er einen Verkörperungsansatz, nach wel-
chem „there is no particular reason to exclude embodied imagination from the
erate particular images, thereby giving our experience meaningful order and
organization that we can understand. He also saw schemata as structures of imagi-
nation“.
71 Siehe auch Johnson 1987, S. 30: „Such conventionalized meanings are called ’liter-
al’. It is necessary, however, to remember that even these literal meanings are nev-
er wholly context-free – they depend upon a large background of shared schemata,
capacities, practices, and knowledge“.
72 Vgl. dazu Johnson 1987, S. 21.
73 Johnson 1987, S. 157.
306
Schematismus als Versinnlichung
bounds of reason“.74 Was die zweite Kluft anbelangt, erweitert er die Funktion
der Kreativität auch auf unsere Erfahrung und nicht nur auf die Entstehung des
Neuen: „Creativity is possible, in part, because imagination gives us image-
schematic structures and metaphoric and metonymic patterns by which we can
extend and elaborate those schemata“.75
Diese Erweiterung stellt gleichzeitig eine Umgestaltung der Funktion
des Schematismus dar, die sich bei Johnson vor allem als eine des Begriffs der
‚Erfahrung‘ erweist:
Diese Auffassung der Erfahrung ermöglicht es ferner, dass die Schemata nicht
zu relativistischen Strukturen werden und dennoch als embodied objektiven
Charakter haben.77 Johnson argumentiert so für eine nicht-objektivistische Ver-
teidigung des Realismus und der Erkenntnis, indem er eine experientialist
cognitive semantics vertritt, die darin besteht, die Erkenntnis anhand ihrer
Strukturen zu verstehen.78
Bestandteile dieses erkenntnistheoretischen Ansatzes sind die prototy-
pische Kategorisierung, die Bild-Schemata, die so genannten metaphorischen
Projektionen, die Metonymie und die narrativen Strukturen. Der Embodiment-
Ansatz lässt sich daher so zusammenfassen, dass erstens die metaphorische und
abstrakte Sphäre des Denkens weit ausgedehnter als die empirische und dass
zweitens die Grundlage dieser Metaphorik sensomotorisch ist. Die Ähnlichkeit
mit Kant betrifft meines Erachtens zunächst vor allem die Methode, da der
Embodiment-Ansatz den Körper in gewisser Weise für die Bedingung der
Strukturierung des Denkens hält. Er vertritt also keinen objektivistischen Ansatz,
sondern untersucht gerade gegen den Objektivismus den Prozess, der die Erfah-
rung als solche strukturiert. Diese ist nun nicht bloß gegeben und dadurch reell,
„My purpose is not only to argue that the body is ‘in’ the mind (i.e., that
these imaginative structures of understanding are crucial to meaning
and reason) but also to explore how the body is in the mind – how it is
possible, and necessary, after all, for abstract meanings, and for reason
and imagination, to have a bodily basis“.79
Somit nimmt der Embodiment-Ansatz einen Begriff der Bedeutung an, der als
transzendental angesehen werden könnte, da er auf die Erörterung der Bedin-
gungen der Erfahrung zielt. Und Johnson und Lakoff gehen tatsächlich in diese
Richtung, wenn sie ihren Ansatz als nonpropositional bezeichnen. Denn die
Bedeutung wird als Element einer verkörperten und nicht-propositionalen
Struktur untersucht, um zu zeigen, dass sie der propositionalen Struktur des
Denkens zugrunde liegt: Die nicht-propositionale Struktur übt eine eindeutig
antizipatorische Funktion auf die propositionale aus, was nicht bedeutet, dass
propositionale Strukturen weniger wirksam seien, sondern lediglich, dass sie
sich auf eine grundlegendere Ebene beziehen. Und gerade diese Antizipation ist
von mir als die Hauptfunktion des Schematismus erklärt worden. In metho-
discher Hinsicht könnte der Ansatz von Johnson also als transzendentalphi-
losophisch gelten. Zudem ist er grundsätzlich in der Lage, die Revisionsversuche
der kantischen Schematismuslehre zu integrieren, wie sie hier rekonstruiert
wurden. Insbesondere Maimon und Herder haben die wesentliche Funktion der
Einbildungskraft und der symbolischen Erkenntnis im Denken angenommen.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten fällt der Ansatz von Johnson und Lakoff
meines Erachtens hinter das historisch erreichte, transzendentale Niveau zurück.
Denn die Verwurzelung des metaphorischen Denkens in der sensomotorischen
Strukturierung der Schemata bleibt auf kultur-relative Praktiken beschränkt.
Zudem kommt der Sinnlichkeit keine systematische Relevanz zu. Die Schemata
als Bedingungen kultureller und empirischer Gegebenheiten können aufgrund
ihrer sensomotorischen Struktur nicht als objektive ausgewiesen werden und
bleiben hypothetisch objektiv – zumindest bis zum Beweis ihres Innatismus,
dessen Annahme meines Erachtens für ein weiteres Symptom einer mangeln-
den transzendentalen Fundierung gehalten werden muss. Die sensomotorische
Strukturierung kann empirisch erforscht werden, ist deshalb wesentlich Teil
einer Verkörperung, die uns aber nicht über die synthetischen Strukturen a
priori belehrt, welche als Bedingungen der Gestaltung des Denkens zu gelten
80 Insbesondere Lia Formigari (2007, S. 87f) hat die Grenzen der kognitiven Semantik
bezüglich des Isomorphismus herausgestellt.
I I . S chematismus als
modale V ersinnlichung
‚Schematisierung‘ einerseits noch im kantischen Sinne, weil ich denke, dass der
Schematismus zu Recht als Bedingung der Artikulation von Bedeutung auf
reiner, rein sinnlicher und empirischer Ebene gilt. Ohne den Schematismus
kann die Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit nicht erfasst wer-
den. Andererseits revidiere ich die kantische Lehre, indem ich die semantische
Bestimmung der Erfahrung auf die gesamte Bedeutungserfahrung erweitere
und somit die Grenze zwischen Erkenntnis und Denken mindestens in Bezug
auf die Sinnlichkeit aufweiche und den Schematismus als eine Versinnlichung
auslege, die nicht nur bestimmend, sondern auch reflexiv und expressiv ist. Ich
behalte die kantische Unterscheidung zwischen empirischen, rein sinnlichen
und reinen Begriffen somit bei, spitze jedoch zugleich ihre formale Gestaltung
durch die Schemata und ihre funktionale Bestimmung durch den Gebrauch zu.
Auf diesem Weg möchte ich auch die Bedeutung des Schema-Begriffs als Gren-
ze des Begreifens erneut rehabilitieren, wie sie die Geschichte dieses Begriffs
gekennzeichnet hat.81 Diese Grenze ist jedoch nicht – wie für Kant – als eine
sinnliche Grenze zwischen Erkenntnis und Denken zu verstehen, sondern als
eine modale Grenze zwischen den verschiedenen Gebrauchsweisen von trans-
zendentalen Gestalten, die alle als Versinnlichungsprozesse zu gelten haben.
Die Begrifflichkeit ist folglich kein fertiges Produkt, sondern wird stän-
dig im Gebrauch gestaltet. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Unterscheidung
zwischen Schematismus und Gebrauch insofern relevant ist, als im Schematis-
mus eine transzendentale Strukturierung des Gebrauchs erfolgt, der seine
Gestaltungsbedingung ist. So operiert der Gebrauch sowohl mit empirischen als
auch mit transzendentalen Regeln, die den Gebrauch nicht vorgeben, sondern
formal anleiten. Somit möchte ich zeigen, dass die Unterscheidung zwischen
Schema und Gebrauch keine Metaposition ist82 und auf transzendentaler Ebene
weiterhin Sinn ergibt, gerade weil Bilder, Wörter, Schriftzeichen und Diagram-
me keine isolierten Erscheinungen der Bedeutung sind, von denen wir beliebig
Gebrauch machen können, sondern deren systematischer Zusammenhang
anhand spezifischer Gestaltungsfunktionen erklärt werden kann, womit sie als
formale Bedingungen der Bedeutung selbst erfasst werden. Die Unterscheidung
zwischen Schemata als transzendentalen Gestalten und Schematisierung als
transzendentaler Gestaltung im Gebrauch ist insofern essentiell. Der Gebrauch
83 An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Relevanz des Konstitutions-
problems der Ausgangpunkt einer transzendentalen Semantik bei Wolfram Hogrebe
ist (1974, insbesondere S. 15–38).
312
Schematismus als Versinnlichung
84 Dieser Bezug geht vor allem von der eingangs besprochenen Untersuchung Catonis
(2005) zum Schema-Begriff in der Antike aus. Siehe dazu die Einleitung.
85 Horst Bredekamp schreibt diesbezüglich (2010, S. 104): „Das Schema gibt Stan-
dards der Bewertung und damit auch der Orientierung und der Nachahmung durch
die besondere Form der lebendigen Figur vor“. Somit wird das Schema nicht als
bloßes Schema der Wahrnehmung gedacht, womit für die lebendige Haltung, die
das Bild musterhaft vermittelt, plädiert und das Bild selbst als schematischer
Bildakt interpretiert wird, dessen Definition bei Bredekamp lautet (2010, S. 104):
„Er umfasst Bilder, die darin musterhafte Wirkungen erzielen, dass sie auf unmit-
telbare Weise lebendig werden, oder Lebendigkeit simulieren“.
86 Siehe dazu Goodman 1975, S. 76–78.
87 Dieser Aspekt ist von mir im vorherigen Kapitel im Vergleich zwischen Plessner
und Merleau-Ponty und in der Kritik der kognitiven Semantik von Johnson und
Lakoff angedeutet worden.
313
II. Schematismus als modale Versinnlichung
annehmen lässt – zum Grenzpol der Wahrnehmung macht, da das Bild nicht auf
andere sinnliche Gestalten reduziert werden kann. Hierbei wird das Bild nicht
in seinem bildlichen Gehalt, sondern in seiner formalen Gestaltung betrachtet.
Somit kann man meines Erachtens feststellen, dass eine Gestalt ohne Fülle kein
Bild ist.91 Der Umstand, dass auch Blindgeborene etwa bestimmte bildliche
Sachverhalte über den Tastsinn wahrnehmen können, verweist zwar auf eine
zweifellos im Bild enthaltene haptische Komponente, über die sich in gewissen
Fällen der dargestellte Sachverhalt erschließen lässt. Dennoch kann die Wahr-
nehmung von Bildern nicht auf das Erkennen eines solchen Sachverhaltes ver-
kürzt werden. Dass bei der Wahrnehmung wie auch bei der Hervorbringung
von Bildern eine haptische Dimension ins Spiel kommt, ist ein physiologischer
Aspekt, der alle Sinne betrifft, die in ihrer Ausführung physiologisch durch
motorische und phonetische Bewegungen artikuliert werden und zur Orientie-
rung für die Erkenntnis von sinnlichen Sachverhalten dienen kann. Davon
bleibt die transzendentale Ebene jedoch unberührt, da auf ihr die Fülle als die
formale Bedingung des Bildes untersucht wird. Als Grenzpol der Wahrneh-
mung ist das Bild eine anschauliche Fülle, die dem haptischen Gebrauch fremd
bleibt, sodass sogar John Michael Krois letztlich anerkennt, dass „das rein visu-
elle Element der Rothko-Bilder – ihre Farbe und die vorgetäuschte Tiefe – für
Menschen ohne Sehvermögen nicht zugänglich ist“.92 Und das, obwohl er sonst
die Ansicht vertritt, dass die Ikonizität des Bildes keine Augen brauche und
nicht ausschließlich vom Sehen abhänge. Zwar kann der Linienzug haptisch
übersetzt und somit auch wahrgenommen werden, aber diese sinnliche Überset-
zung ist immer schon ein intentionaler Verkörperungsakt und damit ein spezi-
fischer Gebrauch von Bildern – wie etwa das Lippenlesen bei Menschen ohne
Hörvermögen.
Jenseits der haptischen und visuellen Dimension des Bildes lässt sich eine
weitere Dimension der Visualisierung annehmen, die das kantische Mono-
gramm aufgreift. Es handelt sich um die Figur, die primär zur konstruktiven
Realisierung der Begrifflichkeit dient. Kant selbst zeigt, dass für diese figurative
Gestaltung eine körperliche Dimension erforderlich ist, die für die Bewegung
und die Orientierung zuständig ist. In ihnen erweist sich indirekt ihre grund-
legende Funktion, und zwar diejenige, mit Bildern performativ zu handeln bis
hin zur Aufhebung des konkreten, dichten Charakters des Bildes und zur Ver-
räumlichung des diskursiven Lautes. Diese Figuration kann mit dem Diagramm
in Verbindung gebracht werden, das einerseits mit der Zweidimensionalität und
Simultaneität des Bildes operiert, andererseits die diskursive Linearität mitein-
schließt, und somit eine Hybridisierung von Sprache und Bild ist, wie Krämer
anmerkt: „die Fläche wird zum Denkzeug und Gedankenlabor. Wir denken auf
dem Papier, mit dem Papier“.93
Das Diagramm als hybride Form lässt sich einerseits als Verflachung des
Bildes in seiner Fülle und als Verräumlichung der Sprache ansehen. Trotzdem
sollte seine eigene, prozedurale Dimension hervorgehoben werden. So schreibt
etwa Schmidt-Burkhardt: „Die Verflachung des Denkraums in die zweite
Dimension wird durch die reflexive Tiefe des Diagramms, die sich als semanti-
sche Dichte niederschlägt, wieder aufgehoben“.94 Es handelt sich dabei jedoch
um eine potentielle Operation, die das Denken selber zur neuerlichen Gestal-
tung bringen kann. Ob dieser Operationsraum eine echte Alternative zum Bild
und Text sein kann, betrifft nicht das Diagramm selbst als Gestalt, sondern den
Gebrauch, der von ihm gemacht wird: Es kann also sowohl Motor einer neuen
Verbalisierung als auch nur bloße Darstellung komplexerer diskursiver Verhält-
nisse sein. Diesbezüglich halte ich die Ausdifferenzierung von Goodman für
beachtenswert, der das Diagramm als Aufhebung der konstitutiven Merkmale
der Bilder deutet und betont, Diagramme seien artikulierter als Bilder. Inner-
halb der Unterscheidung zwischen artikulierten und dichten Schemata unter-
gliedert er die dichten Schemata in piktoriale und diagrammatische Schemata,
zwischen denen er einen graduellen Übergang annimmt.95 Gerade weil Dia-
gramme eine eigene, operative Dimension zwischen Bildern und Diskursivität
darstellen, sind sie durch eine performative Visualisierung gekennzeichnet, die
uns über den nicht-figurativen Charakter der Diskursivität belehrt – und dies-
bezüglich sollte gegebenenfalls auch der konstruktive Charakter der Mathema-
tik erneut hinterfragt werden.
Außerdem stellt die Konstruktion der Figur, die nicht auf das Diagram-
matische reduziert werden kann, gerade dasjenige Moment dar, in dem die
Figur als Schrift-Zeichen gebraucht werden kann. Das figurative Zeichen löst
sich von der vollkommenen (etwa geometrischen) semantischen Identität zwi-
schen Begriff und Anschauung und wird zum anschaulichen, figurativ Bezeich-
nenden, das an sich keine feste Bedeutung hat und zur Bezeichnung dient. In der
zeichenhaften Artikulation wird man sich – wie im Anschluss an Humboldt
und Hegel gesagt werden könnte – des artikulierten Wesens der Begrifflichkeit
93 Krämer 2012, S. 97. Zur Bestimmung des Diagramms siehe Krämer 2003, S. 158
und als Einführung in die unterschiedlichen Ansätze der Diagrammatologie
Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40–45.
94 Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40.
95 Vgl. Goodman 1975, S. 212. Christian Stetter (2005, S. 121–126) spricht an dieser
Stelle von dem Resultat von Tilgungsoperationen, womit die Diagramme als
(S. 125) „graphische Abkürzungsverfahren für komplexe Schematisierungen“ ver-
standen werden, deren Voraussetzung ihre logische Lesbarkeit ist. Zur Funktion
der Diagramme als kognitive Bilder siehe Boehm 2004, S. 28–43.
317
II. Schematismus als modale Versinnlichung
bewusst und kann mit ihr in einer Weise operieren, die sich der Visualisierung
entzieht.
Der artikulierte Laut stellt das Moment der Abstraktion von der visuel-
len Gegenstandsbezogenheit des Bildes und den Übergang zum rein diskursiven
Denken dar. Ihm ist eine Konstruktion eigen, die der Weg zur Allgemeinheit
ist, insofern sie rein diskursiv vom Bild absieht und die Möglichkeit philosophi-
scher und ideeller Begriffe ausmacht. Dieser Unterschied zwischen bildhafter
und zeichenhafter Entwicklung hat sowohl epistemologische als auch sprach-
theoretische Implikationen, indem er eine Entwicklung vom Bild bis hin zur
Sprache anzeigt: Das Bild kann erstens an seinen eigenen anschaulichen Gehalt
gebunden bleiben und so nur in seinen bildhaften Zügen erscheinen; zweitens
kann es als Bezeichnung des Begriffes verwendet werden und somit in Richtung
einer Artikulation der Begrifflichkeit gehen, die im Laut die letzte Abstrakti-
onsstufe erreicht, wie etwa Hegel hervorhebt.96
Die Gestalten sind daher potentielle Tilgungsgestalten, die nur im
Gebrauch entfaltet werden und vom Bild zum Wortlaut führen können. Dazu
bemerkt Stetter, dass die Unterwanderung des Diagrammatischen durch die
Logik des Bildes ein Resultat von Tilgungsoperationen ist, die am Material
exemplifiziert werden.97 Mit Tilgungsoperation ist jedoch hier nicht gemeint,
dass die Gestaltung gezielt auf die diskursive Bezeichnung reduziert würde. Sie
ist keine Purifikation des Materials, sondern seine potentielle Gestaltung, die
dabei nicht vom Bild oder Schriftzeichen bereinigt werden sollte. Die operative
Fülle des Bildes und der operationale Charakter der Figur sind für die Erkennt-
nis und das Denken im Allgemeinen konstitutiv. Den Schematismus möchte ich
jedoch nicht auf diese operative Visualisierung reduzieren, sondern zeigen, dass
er gerade die Gestaltung zwischen Bild und Wortlaut ermöglicht und somit
Bedingung auch derjenigen Diskursivität ist, die durch die Versinnlichung
allererst möglich wird.
Der zeichenhafte Charakter des Gebrauchs realisiert sich diskursiv durch
die Artikulation des Lautes. Kant hat richtig gesehen, dass die Abstraktheit der
Begriffe eine tautologische Bestimmung ist, da der Begriff an sich immer abs-
trakt ist und sich erst im Gebrauch realisiert und ausdifferenziert. Das mag auch
der Grund dafür sein, dass er die versinnlichende Natur des Lautes nicht in die
Transzendentalphilosophie einführt. Damit ist im Gegenteil diejenige Perspek-
tive angesprochen, die von Herder, Humboldt und Hegel eingenommen wird,
96 Siehe dazu Brandi 2009, S. 13. Stetter bezieht sich auf die ‚Verschriftlichung der
Sprachen‘ als Tilgungsprozess (2005, S. 116): „Damit jede Sprache der Welt mit
einem Repertoire von dreißig bis vierzig Figuren verschriftet und geschrieben wer-
den konnte, musste aus diesen jede Spur von Ikonizität, mehr noch: jede Spur von
Bedeutung getilgt sein“.
97 Vgl. Stetter 2005, S. 121.
318
Schematismus als Versinnlichung
bei denen die Verbindung zwischen Gehör, Zeit und Laut zur Bedingung der
Artikulation des Denkens und der Abstraktheit der philosophischen Begriffe
wird, die im Horizont Kants rein diskursiv bleiben. Somit kann die Akroamatik
des Denkens nicht vom Versinnlichungsprozess als ihrer Bedingung getrennt
werden. Der Schematismus ist folglich nicht auf die Visualisierung und Figura-
tion beschränkt, da er zugleich eine andere Art der Versinnlichung mitein-
schließt, die den Laut betrifft. Die lautliche Artikulation der Begrifflichkeit wird
in der Schematismuslehre rehabilitiert, und das nicht im Sinne des Phonozen-
trismus, sondern der grundlegenden Gestaltungsfunktion, welche die lautliche
Artikulation – wie Humboldt zeigt – in allen Sprachen innehat.
Um Missverständnisse zu vermeiden, muss angemerkt werden, dass es
bei dieser Auffassung der Gestaltung nicht um die bloße Artikulation ‚dersel-
ben‘ Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut geht, sondern eigentlich um die
Entstehung der Bedeutung selbst in dieser Gestaltung. Damit ist eine funktio-
nale Weltansicht verbunden, in der das Denken in unterschiedlichen Proportio-
nen mit zeichenhaftem oder metaphorischem Gebrauch behaftet ist. Der damit
angezeigte, genetische Transformationsprozess ist bisweilen auch als ein fak-
tisch-genetischer Übergang vom Bild zum Wortlaut in der historischen Ent-
wicklung der Sprache gedeutet worden, wie er sich insbesondere im Vergleich
zwischen hieroglyphischen und phonetischen Sprachen zeigt, der vor allem
Hegel zur Annahme des Vorzugs der Buchstabenschrift hinsichtlich der Ent-
wicklung des philosophischen Denkens geführt hat. Diesbezüglich ist wiede-
rum der Ansatz Humboldts zu berücksichtigen, da bei ihm das Wort sowohl mit
dem Zeichen als auch mit dem Symbol verwandt ist, die seine Gebrauchsweisen
sind.98
Der Unterschied zwischen visueller und akustischer Verarbeitung der
Bedeutung ist, wie bemerkt, sowohl epistemologisch als auch im engeren Sinne
sprachtheoretisch relevant. Dies ist insbesondere von Brandi gesehen worden,
der ausgehend von der Schematismus-Problematik die genetischen Aspekte des
Schemas untersucht. Mit Blick auf die Erkenntnistheorie betont er, dass „gerade
die Bildung des Schemas den Punkt anzeigt, an dem die Wahrnehmung von
etwas in die Erkenntnis von etwas übergeht; doch das Schema, gerade weil es
noch kein Begriff ist, bleibt zugleich Bild und Erkenntnis von etwas. Und je
98 Vgl. Humboldt, Grundzüge, S. 99. Siehe dazu IV.2 des zweiten Teils der vorliegen-
den Untersuchung. Der Laut lässt sich als die eigene Gestalt der abstrakten Refle
xion fassen. Wie gezeigt werden konnte, verfügen auch Kulturen ohne Schrift über
eine Metasprache. Dieses Thema kann hier nicht weiter vertieft werden – stattdes-
sen soll auf den lehrreichen Aufsatz von Ludwig Jäger (2003, 199) hingewiesen
werden, der eine solche These vertritt. Dieser Aufsatz ist in Bezug auf die Kritik
Derridas an Hegel schon zitiert worden. Im Grunde vertritt Jäger den Humboldt-
schen Ansatz, nach welchem auch Schriftsysteme Lautsprachen sind (siehe S. 205f.).
319
II. Schematismus als modale Versinnlichung
mehr es Bild bleibt, desto mehr wird die Erkenntnis intuitiv strukturiert und
weniger intellektuell entwickelt“.99 Die Gestalten sind in diesem Sinne trans-
zendentale Grenzgestalten, zwischen denen die Schematisierung sich entfalten
kann. Die Bedeutungserfahrung realisiert sich insofern immer gestaltlich und
bewegt sich stets zwischen diesen Grenzpolen, die unsere empirische Wahr-
nehmung strukturieren, wobei der Laut den Modus der Zeit und das haptische
und visuelle Bild den Modus des Raumes anzeigt.
Gerade weil diese Gestaltung nicht die bloße Artikulation einer schon
gegebenen Bedeutung ist, sondern ihre Produktion umfasst – die natürlich
sowohl ursprünglich schöpferisch als auch vom gewöhnlichen, vertrauten
Gebrauch geprägt sein kann – ist jede Gestalt von einer spezifischen Operativität
charakterisiert, die meines Erachtens transzendental ist.100 Das bedeutet, dass
die Gestalten sinnliche Bedingungen der potentiellen Gestaltung sind, die sie
bedingen, aber nicht bestimmen. Die Gestalten sind in einer potentiellen Form
schon Methode der Gestaltung, weil ihre Grenzeigenschaften zur Gestaltung
beitragen und sie bedingen. Diese transzendentalen Schemata sind also funk-
tionale Begriffe, doch dies nur potentiell. Sie sind rein rezeptiv und werden im
Gebrauch aktiviert.101 Erst im Schematismus als modaler Haltung werden die
Gestalten als Grenzpole bewegt; ihre Grenzeigenschaften werden in actu, ver-
mischen sich synästhetisch und bringen uns an die Grenzen der Erkenntnis, des
übertragenden Denkens und der Expressivität. Die Versinnlichung ist also die
potentiell formale Bedingung der Verkörperung.
Die Gestalten sind Methoden der Realisierung der Begrifflichkeit, sodass
in deren Aktualisierung die Ab- und Anwesenheit dieser Gestalten erkannt wer-
den kann. Sie sind rein formal, in keiner Weise intentional und somit Haupt-
momente einer performativen Theorie der Medialität, die letztlich ein anderer
Ausdruck für die Schematismuslehre ist, in der die Medien nicht auf die bloße
Vermittlung und Übertragung von Wissen zu reduzieren sind, sondern die
99 Brandi 2009, S. 12 (Übersetzung L.G.): „La formazione dello schema segna il punto
in cui la percezione della cosa trapassa in conoscenza della cosa stessa: ma lo sche-
ma, appunto perché non è ancora concetto, resta contemporaneamente immagine e
conoscenza della cosa. E tanto più resterà immagine, quanto più la coscienza sarà
strutturata intuitivamente e meno sviluppata intellettualmente“.
100 Günter Abel hat einen ähnlichen Aspekt in Bezug auf Bilder betont (2004, S. 369):
„Alle diese Funktionen von Bildern in Prozessen hängen im Kern von ihrer sinnli-
chen Anschaulichkeit, von der sinnlich-ästhetischen Form ihrer Bedeutung und
mithin auch von unserer Fähigkeit ab, uns auf sie zu verstehen“.
101 Hierin teile ich die Auffassung von Christoph Asmuth (2011), der die Bildlichkeit
(S. 109) nicht als Teil der Objektwelt interpretiert. Sie ist (S. 113) „ein Konzept, dass
erkenntnistheoretisch formuliert, erst durch Konstruktion in der Wirklichkeit her-
vorgebracht wird, um dann in der Wahrnehmung eingelöst zu werden. Dazu ist die
Sprache gar nicht notwendig, sondern nur ein Wissen, das durchaus als performa-
tiv zu betrachten ist“.
320
Schematismus als Versinnlichung
Bedeutung selbst erschaffen. Wie bereits erklärt, entkräftet die Annahme ihrer
Potentialität nicht die Behauptung ihrer Gestaltungsfunktion, weil letztere
transzendental gemeint ist.
Der Schematismus ist letztlich der Versinnlichungsprozess der Artikula-
tion der Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wortlaut. Und somit ist das
Schema kein Drittes, sondern die funktionale Bedingung der Gestaltung selbst.
Es kann schließlich in keiner Weise auf die begrifflichen, inhaltlichen Bezeich-
nungen reduziert werden, die es selber hervorbringt. Diese potentielle Versinn-
lichung ist die gestaltliche Bedingung der Artikulation der Bedeutung, die sich
im Gebrauch realisiert, der im nächsten Kapitel kurz erörtert werden soll.
102 Vgl. die Auffassung des Zeichens bei Günter Abel, insbesondere 2004, S. 20–24.
103 Siehe dazu Posner 2010, S. 145.
321
II. Schematismus als modale Versinnlichung
historische und subjektive Praxis, die das Schema als verkürzten Inhalt eines
Sachverhaltes verwendet. Diesbezüglich hat Wittgenstein gezeigt, dass die
Bedeutung eines Wortes mit dem Gebrauch zusammenhängt, der nicht auf die
bloße Bezeichnung reduziert werden kann, der zufolge die Zeichen für die
Sachen stehen, sondern einen komplexeren Prozess andeutet – was wiederum
das Verständnis vom Erlernen eines bestimmten Gebrauchs radikal verändert,
indem eine handlungspragmatische Komponente eingeführt wird, da die Bezeich-
nung selbst keine bloße Benennung einer schon gegebener Bedeutung ist.104 Der
Gebrauch selbst ist der semantische Prozess, der bestimmten Regeln folgt. Diese
Bedingtheit der semantischen Gestaltung durch den Gebrauch kann auf empiri-
scher Ebene durch das Schema erklärt werden, das einerseits bestimmt ist und
dadurch zur Vermittlung von Inhalten und Praktiken führt, andererseits unbe-
stimmt bleibt und dadurch die Transformation von Inhalten und Praktiken
erlaubt. Das Schema ist somit eine Konkretisierung von Inhalten und Prakti-
ken, die sich potentiell auch anders hätten entwickeln können, wobei die Vielfalt
dieser Konkretisierungen ein Beweis für die angesprochene Potentialität ist.
Diese Vielfalt an möglichen Konkretisierungen von Inhalten und Prak-
tiken kann meines Erachtens zwar empirisch auf den Gebrauch zurückgeführt
werden; die eigentümliche Gestaltungsfunktion des Gebrauchs als Gestaltung
von Bedeutung aber kann nur über die Annahme einer transzendentalen Syn-
thesis als der formalen Strukturierung des Gebrauchs erklärt werden. Es han-
delt sich hierbei um die Strukturierung des Gebrauchs vor dem Inhalt, d.h. um
die Modalität, mit der ein schematischer Inhalt zur Gestaltung kommt. Die
Einführung der Konzeption eines transzendentalen Gebrauchs kann daher als
Methode für die heuristische Analyse der Gebrauchsweisen sinnlicher Gestal-
ten angesehen werden. Die Spontaneität, die Kant im Schematismus dem Ver-
stand zuschreibt, ist nun eigentlich der Gebrauch, der zeichenhaft, symbolisch
oder rein expressiv die sinnlichen Gestalten aktualisiert.
Die transzendentale Untersuchung dieser Gebrauchsweisen geht also
mit einer Suspendierung des empirischen Gebrauchs einher, die jedoch nicht
als eine Vernichtung der konstitutiven Unbestimmtheit jedes Gebrauchs gele-
sen werden sollte. Hier geht es nämlich nicht um den Inhalt, sondern um den
Prozess der Schematisierung, die gerade den provisorischen Charakter des
Gebrauchs sinnlicher Gestalten stiftet. Nehmen wir etwa folgende Beobachtung
Wittgensteins: „Wenn wir die Bedeutung eines Symbols auf einen Schlag erfas-
sen, können wir das Verstehen als intuitiv betrachten. Das Verstehen kann aber
auch diskursiv sein: man gelangt zur Kenntnis der Bedeutung durch die Kenntnis
des Gebrauchs“.105 Was Wittgenstein hier beschreibt, ist nicht das einzelne
empirische Erfassen von Bedeutung, sondern die prozessuale Struktur des
Erfassens im Fall von symbolischer Bedeutung. Es geht dabei um die Weisen
dieses Erfassens, die Wittgenstein wie folgt beschreibt: Die intuitive Weise ist
eine unmittelbare („auf einen Schlag“), während die diskursive ein mittelbares
(„durch die Kenntnis des Gebrauchs“) Erfassen anzeigt. Diese zwei Weisen stel-
len eine formale Struktur des Erfassens von Bedeutung dar, die jede partikuläre
Erfahrung betrifft, die uns nach unserem Erfassen selbst belehrt, weil wir uns
im intuitiven Erfassen eines Symbols beispielsweise über dessen diskursiven
Charakter bewusst werden und so zu einer anderen Eigenschaft des Symbols
gelangen können. Dieser Blickwechsel im Erfassen des Symbols ist möglich,
weil die sinnliche Gestalt präsent bleibt und die sinnliche Grundlage eines sol-
chen Wechsels abgibt. Dieser Blickwechsel ist die eigentliche Realisierung der
sinnlichen Gestalt, deren Bedeutung also nicht nur das Erfassen des dargestell-
ten Sachverhaltes, sondern genauer die Weise dieses Erfassens ist. Indem so der
prozessuale Charakter der Wittgensteinschen Unterscheidung hervorgehoben
wird, lässt sich feststellen, dass es sich bei genauerem Hinsehen nicht um ein
Symbol handelt, sondern um eine sinnliche Gestalt, die als Symbol gebraucht
wird. Denn die sinnlichen Gestalten entfalten in ihrer Synthesis mit dem sym-
bolischen Gebrauch andere Funktionen, gerade weil sie eine eigene Präformation
ausüben, die von Gebrauchsweisen vielfältig realisiert werden kann. Im Folgen-
den möchte ich erklären, wie diese Synthesis zwischen Gestalten und Gebrauchs-
weisen genauer zu bestimmen ist.
Der zeichenhafte Gebrauch entspricht einer direkten Gestaltung der
Bedeutung mittels einer sinnlichen Gestalt. Der symbolische Gebrauch ist dage-
gen eine analogische Gestaltung der Bedeutung. Der rein expressive Gebrauch
schließlich steht für eine ausschließlich sinnliche Gestaltung, die nur mit der
Sinnlichkeit, also ‚ohne Begriff‘ operiert. Die Synthesis zwischen Gestalten und
Gebrauchsweisen möchte ich nun anhand dreier Beispiele verdeutlichen.
In der Visualisierung können Bilder für direkte Darstellungen der Wirk-
lichkeit gehalten werden. In diesem Halten – die das Schema etymologisch von
Anfang an ist106 – werden visuelle Gestalten als Inhalte erkannt. Die Bilder sind
somit Hinweise auf die Wirklichkeit von Begriffen, deren objektive Realität
durch visuelle Gestalten direkt zur Schau gestellt werden kann. Gerade wegen
ihrer visuellen Fülle und Konkretheit sind Bilder für direkte Darstellungen der
Wirklichkeit zu halten, und da die Differenz zwischen Gestalt und Gegenstand
105 Wittgenstein, Vorlesungen 1930/1935, S. 182. Zur Ähnlichkeit mit Kant siehe Rolf
2006, S. 35.
106 Siehe dazu das zweite Kapitel der Einleitung zur Vermittlungsfunktion des Sche-
ma-Begriffs.
323
II. Schematismus als modale Versinnlichung
sich nur schwer erfassen lässt, ist diese Erfassung im Fall von Bildern meist
intuitiv. So mag es scheinen, dass auf visueller Ebene die Bilder den Sachen
unmittelbar anhaften; doch das ist nicht die einzige Funktion des Bildes, die sich
erst im Gebrauch erweist. Denn die Bedeutung wird den Gegenständen so zuge-
ordnet, als ob der Gegenstandsbezug unmittelbar empfunden wäre. Diese
Unmittelbarkeit stellt jedoch in Wirklichkeit eine Verkürzung des transzenden-
talen Horizontes auf die intuitive Erfahrung der Erkenntnis von Bildern dar, die
von einem Gebrauch abhängt, der die Bedeutung inhaltlich gestaltet. Wenn
man dagegen von dem der Gestalt unmittelbar zugeschriebenen Inhalt absieht
und somit nur die Gestalt ‚ohne Inhalt‘ für möglich hält, kann man dieselbe
Gestalt als Gestalt für eine andere Bedeutung ansehen und somit das Bild in
seiner zeichenhaften Natur erkennen – insofern haben Kant und vor allem
Hegel Recht, wenn sie die Bezeichnung nicht auf die Darstellung verkürzen, um
so die Tilgungsoperation hervorzuheben, die der zeichenhafte Gebrauch auf das
Bild ausüben kann und die den Weg zum Begriff eröffnet.
Ausgehend vom Bewusstsein dieses zeichenhaften Gebrauchs kann man
in Bildern eine Als-Ob-Struktur erkennen: Wir können Bilder als Symbole von
etwas erkennen, was nicht in der äußeren Wahrnehmung zu finden ist; und wir
bringen Bilder hervor, die wiederum nur als Symbole dienen. Während also der
zeichenhafte Gebrauch eines Bildes die Bestimmungsfunktion hat, übt der
symbolische Gebrauch eine Übertragungsfunktion aus. Der expressive Gebrauch
des Bildes hingegen betrifft ihren sinnlichen Charakter, den ich bereits in Bezug
auf die Fülle eingeführt habe.107 Diese drei Gebrauchsweisen des Bildes möchte
ich am Beispiel des Betrachtens von Gemälden erläutern – was jedoch nicht zu
dem Missverständnis verleiten soll, der Bild-Begriff würde damit auf den eines
Gemäldes zurückgeführt. Es soll vielmehr nur deshalb von einem Gemälde aus-
gegangen werden, um ‚das gleiche materielle Bild‘ als Betrachtungsobjekt mit
den Lesern gemeinsam zu haben.
Das Gemälde der Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist ein Kunst-Bild.
Als sinnliche Gestalt präformiert es potentiell die Operativität des Gebrauchs,
weil man durch ein Bild nicht zur direkten sinnlichen Darstellung eines ideellen
Begriffes gelangen kann. Diese Präformation ist also eine potentielle Bedingt-
heit der Darstellung und ist – gerade im Sinne des kantischen Schemas – die
Methode der Darstellung selbst. Im Gebrauch wird das Bild aktualisiert und
somit zum Medium der Darstellung selbst gemacht, sodass die Wahrnehmung
vom Bild eine bestimmte Konkretisation dieser Medialität ist.108 Im Gemälde
107 Der expressive Gebrauch ist in Bezug auf Kants Schematisierung ohne Begriff in
Kap. VI.2, in Bezug auf die Fülle als Eigenschaft des Bildes in Kap. II.1 dieses Teils
untersucht worden.
108 Der Konkretisations-Begriff geht auf die literarische Phänomenologie Roman
Ingardens zurück, der jede Auslegung des literarischen Werks als Konkretisation
324
Schematismus als Versinnlichung
der Mona Lisa lassen sich die drei unterschiedlichen Gebräuche heuristisch
analysieren: zuerst kann der dargestellte Sachverhalt für ein Zeichen gehalten
werden; so werden die Linienzüge zum Erkennen des Darstellungsgegenstandes
genutzt, und zwar einer ‚Frau in einem bestimmten Alter, mit besonderen
Gesichtszügen, Kleidern, hinter der eine Landschaft abgebildet ist‘, usw. Außer
dieser bestimmenden Charakterisierung können im Gemälde sinnliche Merk-
male als Symbole für eine ideelle Bedeutung gehalten werden – in den ver-
schiedenen Auslegungen hat sich zum Beispiel eine eigene ‚Hermeneutik des
Lächelns der Mona Lisa‘ entwickelt, um zu verstehen, wofür dieser physiogno-
mische Ausdruck steht. Und schließlich kann man von diesen begrifflichen
Bedeutungen absehen und nur die anschaulichen Eigenschaften des Ölgemäldes
analysieren, in erster Linie ihre Fülle, Perspektive, das Verhältnis der Farben
usw. Alle diese Elemente können auf den ersten Blick als nicht-begrifflich auf-
gefasst werden, obwohl ihr Wahrnehmungsgehalt begrifflich klassifiziert wird.
Und trotzdem ist diese sinnliche Betrachtung vor der Klassifikation wichtig, um
zu bemerken, inwieweit beispielsweise der sinnliche Gebrauch der Farbe den
Begriff der Farbe selbst in der Kunst transformiert. So könnte man der Ansicht
sein, Leonardo habe den Begriff der Perspektive oder Caravaggio den Begriff des
Lichts in der Malerei transformiert, weil sie kraft der sinnlichen Expressivität
der Darstellung den Begriff zu einer neuen Bestimmung gebracht haben, sodass
zum Beispiel der Begriff des Lichts in der Kunst ohne die ästhetische Praxis von
Caravaggio heute schwer vorstellbar wäre.
Im Gemälde der Mona Lisa sind alle der genannten Gebrauchsweisen zu
finden; doch die Kopräsenz der Gebrauchsweisen ist keine notwendige Bedin-
gung für das Erfassen des Bildes. In der Farbfeldmalerei Rothkos etwa ist der
zeichenhafte Gebrauch sehr schwach ausgeprägt und nur an der Bezeichnung
von Feldern zu erkennen, während der expressive Gebrauch von Farben domi-
niert. In der realistischen Fotografie hingegen ist der zeichenhafte Gebrauch
sehr präsent.
Die drei transzendentalen Gebrauchsweisen sind auch im Fall von Figu-
ren wiederzufinden, die aus Linien bestehen. Die Linie ist ein gutes Beispiel für
die Relevanz der transzendentalen Unterscheidung zwischen Gestalt und
Gebrauch in den Figuren. Die Linie kann die Funktion der Abgrenzung von
Gegenständen ausüben. Sie dient zur Abgrenzung der kennzeichnenden Züge,
die den Gegenstand hervorbringen. Die Gestaltpsychologie hat gezeigt, inwie-
fern diese Abgrenzung eine ideelle und nicht immer eine faktische Wahrneh-
mung ist, weil hier eine Interpretationspraxis im Spiel ist, die sie vervollständigt
und abrichtet. Die Konturen eines Schattens sind oft unscharf und werden
trotzdem als Linien eines Schattenrisses wahrgenommen. Die Techniken der
bildenden Kunst, die angewandt werden, um mit den Bestimmungslinien der
figurativen Darstellung zu spielen, sind vielfältig und ebenso die Kippbilder, die
unserer Wahrnehmung den täuschenden Charakter unseres Vertrauens zur
Linie vor Augen führen. Die Konstruktion einer Figur basiert auf der Linie, die
nämlich figurativ ist – weshalb Kant zu Recht anmerkt, dass wir „keine Linie
denken können, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.109
Mit der Konstruktion wird die Linie zeichenhaft verwendet. Wenn zum
Beispiel eine gerade Linie nicht geometrisch konstruiert oder handgezeichnet
ist, ist sie dem Bild ähnlicher als der Figur. Die Verwendung der Linie im Gemäl-
de etwa ist nicht ausschließlich auf die Konstruktion ausgerichtet, sondern kann
auch die materielle Eigenschaft und ästhetische Qualität ihres Zuges unter-
streichen. Die Linie kann auch für symbolisch gehalten werden; für Kant ist sie
die analogische Darstellung der Zeit schlechthin. Die Bedeutung der Linie ent-
stammt – wie im Fall des Bildes – also einerseits ihrer sinnlichen Bedingtheit
und andererseits ihrem Gebrauch. Beide sind eng verbunden und nur heuris-
tisch voneinander zu trennen, um die unterschiedlichen möglichen Gebrauchs-
weisen der Linie zu begreifen – sodass zum Beispiel eine Linie ein Symbol für
bestimmte Begriffe und nicht für andere ist.
Die Linie kann dabei für die Konstruktion von Figuren, Diagrammen
und Schriftzeichen verwendet werden. Wenn hingegen eine konstruierte Figur
als Symbol verstanden wird, ist sie dem Bild ähnlicher. Insbesondere das Dia-
gramm kann also das Resultat unterschiedlicher Synthesis-Prozesse sein: die
Synthesis zwischen hybrider Figur und Konstruktion führt zu neuem Wissen,
die Synthesis zwischen hybrider Figur und symbolischem Gebrauch zur bild-
lichen Darstellung komplexerer diskursiver Verhältnisse, während die Synthe-
sis zwischen hybrider Figur und expressivem Gebrauch die Auflösung des Dia-
gramms in das Bild anzeigt. Eines ist sicher: Trotz seiner kognitiven Leistung
erreicht das Diagramm nicht die Ebene der diskursiven Kristallisation, auf der
sich der Begriff durch die lautliche Versinnlichung realisiert. Im zeichenhaften
Gebrauch wird die Dichte des Bildes aufgehoben, das als bloße Figur zur Bestim-
mungsgestalt der Konstruktion dienen kann. Die Konstruktion der Schriftzei-
chen kann aber im diskursiven Denken die vollkommene Entsprechung von
Anschauung und Begriff nicht erreichen. So ist die diskursive Bestimmung von
Bedeutung grundsätzlich von der mathematischen Konstruktion zu unterschei-
den, in der Zeichen als Symbole gelten.
110 Poser schreibt (1992, S. 164): „[…] Zeichen sind nicht fixierte Designatoren, son-
dern durch Interpretationsregeln charakterisiert […]“.Vgl. Abel 1993, S. 439.
111 Simon 1989, S. 67.
327
II. Schematismus als modale Versinnlichung
womit das Denken letztlich kraft der lautlichen Gestalt ein Reden mit sich selbst
und mit anderen sein kann.
Durch die lautliche Versinnlichung erfolgt diejenige Kristallisation der
Begrifflichkeit, die ich in Bezug auf die drei Arten der Begriffe,112 die das
Schematismus-Kapitel gliedern, bereits behandelt habe. Empirische, rein sinn-
liche und reine Begriffe entsprechen kraft der lautlichen Versinnlichung der
gleichen Gestalt, und zwar dem Wortlaut. Ihre Unterschiede entfalten sich erst
im Gebrauch. Erst im Urteilen kommt die lautliche Gestalt für Kant zur Prädi-
kation der Bedeutungserfahrung und zur Begriffsbildung. Besonders die phi-
losophische Begrifflichkeit lässt sich nicht von der Dimension der Sprache ablö-
sen. Dieser Aspekt wird schon von Kant mit Blick auf die Verbindung zwischen
Zeit, Laut und Begriff erwähnt und dann in seiner Nachfolge hervorgehoben, in
der die Schematisierung zum transzendentalen Prozess der im weitesten Sinne
sprachlichen Bildung der Begriffe umgestaltet wird. Die Sprache ist hier ins-
besondere als energischer Charakter der Schematisierung angesehen worden,
als seine versinnlichende Kraft, durch die er sich bis zur symbolischen Dimen-
sion erweitert, ohne damit die Begriffe selbst als Symbole zu behandeln. Im
Gegenteil eröffnet sich im Schematismus ein sprachlicher Raum, in dem kein
Platz für Freges ‚drittes Reich‘ reiner Bedeutungen ist. Und trotzdem erfolgt in
diesem Raum diejenige Überwindung der Einzelsprachlichkeit, durch welche –
für Coseriu in einer Radikalisierung des kantischen Ansatzes durch Hegel – die
Sprache zur Objektivität und Abstraktion gelangen kann.113
Außer dem zeichenhaften oder symbolischen Gebrauch umfasst die
lautliche Versinnlichung ohne Zweifel auch einen expressiven Gebrauch. Wie
im Fall der figürlichen Konstruktion von der Dichte oder Fülle des Bildes abs-
trahiert wird, so kann von der lautlichen Resonanz dann abgesehen werden,
wenn es allein um die begriffliche Bestimmung geht. Davon wird hingegen in
Sprache, Dichtung und Musik nicht abgesehen, die vom expressiven Gebrauch
des Lautes leben.
Nur im Gebrauch realisiert sich die Begrifflichkeit, die als Zeichen oder
als Symbol verwendet werden kann. Kant hat nicht nur gesehen, dass nicht alle
Zeichen Symbole sind, sondern ebenfalls, dass die urteilsmäßige Dimension des
Gebrauchs sowohl den Schemata als auch den Symbolen zuzuschreiben ist, die
jeweils in der bestimmenden und in der reflektierenden Urteilskraft zur Dar-
stellung gelangen und somit das ganze Denken versinnlichen. Kants Unter-
scheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstellung ist im Sinne
einer methodisch-modalen Unterscheidung zwischen einer bestimmenden und
einer metaphorischen Verwendung der Begrifflichkeit zu verstehen, die sich
114 Insofern lässt sich diese Interpretation durchaus mit Cassirers Auffassung der
symbolischen Formen vergleichen (Cassirer, ECW, 11, S. 40): „Die Symbolischen
Zeichen aber, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten,
‚sind‘ nicht zuerst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeu-
tung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung.
Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf. Hier ist das
Bewußtsein, um das Ganze im Einzelnen zu erfassen, nicht mehr auf die Anregung
des Einzelnen selbst, das als solches gegeben sein muss, angewiesen, sondern hier
erschafft es sich selbst bestimmte konkret-sinnliche Inhalte als Ausdruck für
bestimmte Bedeutungskomplexe“.
329
II. Schematismus als modale Versinnlichung
eine Dimension des Gebrauchs zur Schau stellt, der sich abbildend, zeichenhaft
und symbolisch in der Sprache artikulieren kann.
Der Schematismus als Versinnlichung ermöglicht die Gestaltung von
Bedeutung, in der nur heuristisch zwischen Gestalten und deren jeweiligem
Gebrauch unterschieden werden kann. Der Schematismus ist somit ein regel-
förmiges Bestimmungsverfahren, das sich für die Hervorbringung neuer Bedeu-
tungen symbolischer Prozesse, für die Erkenntnis aber empirischer Beweise
und sinnlicher Konstruktionen bedient. Für den diskursiven Zugang zur
Begrifflichkeit und insbesondere der reinen Begrifflichkeit der Wissenschaften,
der Fachsprachen und der Philosophie hingegen bedient es sich der Sprache.
S chlusswort und Ausblick
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Schematismuslehre Kants als
transzendentale Theorie der Bedeutung aufzuzeigen. Die Verwendung des
Schema-Begriffs sollte hervorgehoben und dabei zugleich abgegrenzt werden
von den anderen Verwendungen dieses Begriffs in der Philosophiegeschichte,
welche in einigen Fällen zwar dessen Vermittlungsfunktion erkennen, sie jedoch
nicht mit der transzendentalphilosophischen Bestimmung dieses Prozesses in
Verbindung bringen, was sich hingegen als unerlässlich erwiesen hat, wenn im
Schematismus die Bedingung der Bedeutungsgebung gesehen werden soll.
Drei zentrale Überlegungen haben zu dieser Schlussfolgerung geführt.
Zuerst wurde die Schematismuslehre Kants als Bedingung der Entstehung von
Bedeutung untersucht. Hierbei wurde insbesondere Kants Darstellungstheorie
in Betracht gezogen, die sich als schematisch, symbolisch und schematisch
‚ohne Begriff‘ entfaltet und vom Bezeichnungsvermögen unterschieden wird.
Ziel dieses Abschnittes war es, die Bestimmungsfunktion mit symbolischen
und rein expressiven Prozessen in Verbindung zu bringen, womit gleichzeitig
die transzendentale Funktion eines zeichenhaften Prozesses für die Entstehung
der Bedeutung aufgezeigt wurde. Die Verbindung zwischen schematischen und
symbolischen Prozessen sowie die gestalterische Funktion der Sprache und der
Sinnlichkeit wurden in der Nachfolge Kants zu Themen der Revision seiner
Sprach- und Erkenntnistheorie; das zu zeigen war das zweite Hauptanliegen der
Arbeit. Trotz der Hervorhebung der unterschiedlichen Interessen der behandelten
Autoren habe ich sie als ein Prisma der Umgestaltung der Schematismuslehre
Kants in dem Versuch gelesen, die interne Spannung zwischen Schemata und
Schematismus in die Richtung des Verhältnisses von Gestalten und ihren Ge
brauchsweisen sowie der Hervorhebung der transzendentalen Gestaltungsfunk-
tion der Sinnlichkeit zu verschieben. Dieser Aspekt steht im Zentrum des dritten
Abschnitts der Arbeit, in dem ich die Versinnlichung vom Embodiment abgren-
ze und meinen eigenen Ansatz des Schematismus als Versinnlichung erkläre.
332
Schlusswort und Ausblick
Auf diesem Weg konnte gezeigt werden, dass die Bedeutung im Schema-
tismus in zweierlei Hinsicht zur Gestaltung kommt: als Gestalten sind die
Schemata einerseits die sinnlichen Vermittlungsformen der Bedeutung, als
Gestaltung anderseits ist der Schematismus der Gebrauch dieser sinnlichen
Gestalten. Der Schematismus erscheint somit insgesamt als Versinnlichung, die
einerseits die Gestalten (Bild, Figur und Wortlaut) sowie anderseits ihre trans-
zendentalen Gebrauchsweisen (zeichenhaft, symbolisch und expressiv) umfasst.
Die Gestalten sind nur in ihrer Anschaulichkeit potentielle Formen der Bedeu-
tung, die in der Aktualisierung der Gebrauchs- und Interpretationspraktiken
zur Erfassung gelangen. Die Bedeutung ist somit eine Synthesis zwischen
Gestalten und Gebrauchsweisen.
Mit der so verstandenen Theorie der Versinnlichung geht eine Kritik der
Medialität einher, d.h. eine Kritik der unterschiedlichen Modalitäten, durch
welche die Bedeutungserfahrung sich realisiert. Die Bedeutung erscheint durch
die sinnlichen Modalitäten im empirischen Gebrauch: Kraft des sinnlichen Cha-
rakters dieser Vermittler ist es möglich, den Gebrauch zu hinterfragen, der von
den Modalitäten gemacht wird. Dass die Bedeutung erfasst wird, sollte kein
Grund sein, nicht über ihre eigene Strukturierung nachzudenken, die im
Gegenteil ein Reservoir von gestalterischen Möglichkeiten bietet, welche die
Form unserer Bedeutungsgebung ändern können. Diese Versinnlichungslehre
bezieht somit die Bedeutung nicht primär auf den Gegenstand der Darstellung,
sondern auf die Gestaltung selbst. Es geht dabei nicht um die Erfassung des
Gegenstandes der Darstellung, sondern um die Modalität der Darstellung. Die-
ser Aspekt wird oft ausgeblendet, als ob Erkenntnis und Denken primär auf die
inhaltliche Erfassung der Gegenstände unserer Versinnlichung gerichtet seien;
im Gegenteil ist die Versinnlichung selbst konstitutiv für unsere Bedeutungs-
erfahrung. Wir erleben alltäglich, dass die Modalität unserer Versinnlichung
ein wesentlicher Teil unserer Bedeutungserfahrung ist. In einem Streit finden
wir oft nicht dessen Gegenstand selbst, sondern die Art und Weise, wie sich die
andere Person uns gegenüber verhält, störend; in der Kunst lassen wir uns von
der ‚Art‘ überzeugen, wie auch bereits lang bekannte, universelle Themen ver-
sinnlicht werden; und viele der Begegnungen mit Menschen anderer Kultur-
kreise hinterlassen in uns den Eindruck, dass wir den Gegenstand ihrer Rede
vielleicht erfasst haben, die Denkweise der anderen Kultur hingegen noch nicht
– ein Prozess, der mit Humboldt auch auf die Denkstile und Charaktere der
Sprache bezogen werden kann. Die Semantik ist daher nicht nur inhaltlicher,
sondern auch modaler Natur: Bedeutung hängt nicht nur vom Gehalt, sondern
von den Modalitäten ihrer Versinnlichung ab. Diesen Aspekt der Bedeutung
hat die vorliegende Arbeit gezielt beleuchtet, ohne dabei jedoch auf der Ebene
einer empirischen Beschreibung der genannten Phänomene stehen zu bleiben.
Sie hat dabei die transzendentale Strukturierung dieser Versinnlichung her
333
Schlusswort und Ausblick
1 Dazu siehe Brandt, 2008, S. 35f.: „Das optisch Wahrnehmbare sagt für sich gar nichts,
wenn es nicht mithilfe vorhergehender Gedanken und Erkenntnisse erkannt wird. […]
Die Kompetenz der Bilder wird zu Lasten der Begriffe und der sprachlichen Erkenntnis
überschätzt. In den Schulen führen sie, wenn die begriffliche Arbeit nicht auf das Bilder-
begucken folgt, zur Infantilisierung, wie der Markt es sich wünscht. Bilder haben rheto-
rische Funktionen, sie sollen den Käufer hin zum Kauf der Ware führen, Bilder sind
suggestiv, sie machen uns glauben, wir hätten irgend etwas erkannt“.
2 Zur Anwendung der Schemata im Sinne des problem solving siehe die ausführliche Unter-
suchung von Marshall (1995), die den Schema-Begriff Kants insbesondere mit den psy-
chologischen Studien von Bartlett und Piaget vergleicht und auf die Konstruktion von
Modellen und Diagrammen bezieht. Siehe dazu auch Desideri 2016.
334
Schlusswort und Ausblick
Die Kritik der Medialität – die unter Rückgriff auf Peirce und Dewey
systematisch zu vertiefen wäre – kann außerdem auf die Kunst bezogen werden,
um in ihr die Modalitäten des sinnlichen Ausdrucks zu unterscheiden und zu
analysieren. Diese heuristische Untersuchung der Modalitäten der künstleri-
schen Handlung sollte nicht nur als eine bloße Zergliederung ihrer Elemente,
sondern als Möglichkeit zur Potenzierung der Versinnlichungsmodalitäten und
-prozesse aufgefasst werden, zu denen die Kunst freien Zugang hat. Somit
könnte die Versinnlichungsaufgabe der Kunst erneut unterstrichen werden,
wenn diese in der Darstellung die Bedeutung selbst transformiert und neu
erzeugt und somit wiederum als Beispiel für die Wahrnehmung dienen kann.
Der exemplarische Charakter des Kunstwerks richtet sich dabei nicht primär auf
die Bedeutung als Gegenstand, sondern auf seine Versinnlichungskraft.3
Eine dritte und letzte Anwendung der Versinnlichungslehre, die ich
andeuten möchte, besteht in der Möglichkeit, eine systematische Untersuchung
von Entwurfsprozessen vorzunehmen, die aus mehreren Medien bestehen. Der
architektonische Entwurfsprozess ist dafür paradigmatisch. Die Anwendung
von Diagrammen in der Architektur ist zum Beispiel ein Mittel, um durch
figürliche Visualisierung einen Entwurf zu schaffen, der als ‚Schema‘ des Werks
fungiert. Es ist hier nicht möglich, die etablierte Verwendung des Diagramm-
Begriffs in der Architektur näher zu untersuchen, die nicht unumstritten ist.
Die Versinnlichungslehre bietet die Möglichkeit, den konstruktionalen Cha-
rakter des Diagramms zu untersuchen, um dabei diejenigen Aspekte hervor-
zuheben, die empirisch prüfbar und mathematisierbar sind und im Diagramm
zur Bestimmung gelangen können, gleichzeitig jedoch auch Aspekte auszuma-
chen, die sich dieser Diagrammatisierung entziehen – wie etwa diskursive, his-
torische oder rein subjektive Wahrnehmungen, die gegebenenfalls anderer Ver-
sinnlichungsmodalitäten des Entwerfens wie etwa einer literarischen oder rein
expressiven Gestaltung bedürfen.
Dies sind lediglich drei denkbare Anwendungen einer Kritik der Media-
lität, deren Kern die transzendentale Umgestaltung der Schematismuslehre Kants
darstellt. Als transzendentale erhebt sie den Anspruch, in der Untersuchung der
verschiedenen Versinnlichungsmodalitäten und -prozesse nicht reduktionis-
tisch zu verfahren. Wenn sie als Versinnlichung bestimmt wird, soll dies gerade
nicht heißen, sie erschöpfe sich in einer empirischen Synthesis. Die Versinn-
lichung ist transzendentale Bedingung der Verkörperung und als solche Grund-
lage des ästhetischen Experimentierens wie auch der semantischen Fülle.
3 In diese Richtung kann auch der Versuch von Boehm verstanden werden, der die Lesart
von Bildern als reine ‚Linearität‘ in Frage stellt – als einer Lesart, die nur bestimmende
und keine symbolischen oder rein expressiven Aspekte des Linienzugs und des Bildes
aktualisiert (Boehm 1988, S. 67).
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Arens, Katherine 217 214, 239, 247f., 252, 290f., 328
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Auerbach, Erich 4 Dascal, Marcelo 109
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Battaglia, Fiorella 55 Deleuze, Gilles 40, 165, 188
Bayer, Oswald 23 De Mauro, Tullio 170
Becker, Ferdinand 246 Desideri, Fabrizio 2, 284, 333
Becker, Ralf 156 Di Cesare, Donatella 23, 171, 249, 255,
Beiser, Frederick C. 183, 198 258–260, 262
Bennett, Jonathan 22, 74, 86, 90, 104f. Dow Magnus, Kathleen 274
Bertinetto, Alessandro 272 Düsing, Klaus 22, 74, 99, 136
Bertram, Georg W. 23, 218, 224, 242 Eco, Umberto 1, 6, 22, 48f., 88, 104f.,
Betz, John R. 209 108f., 111, 113f., 126, 133, 135, 282
Bloch, Ernst 197 Ehrensperger, Florian 198
Boehm, Gottfried 313f., 316, 334 Ehrlich, Avraham 198
Böhme, Gernot 111 Ehrsam, Raphaël 112, 127
Bondeli, Martin 206 Engstler, Achim 183, 188
Bondì, Antonino 290 Erdmann, Benno 65
Borsche, Tilman 23, 213, 219, 224, 228, Eschbach, Achim 276
239, 243, 252, 255 Eschbach-Szabo, Viktoria 276
Borutti, Silvana 3, 143 Esser, Andrea Marlen 165
348
Personenregister
Ferron, Isabella 252, 262 Humboldt, Wilhelm von 14–16, 18–20, 22,
Fichte, Johann Gottlieb 2, 40, 141, 182f., 79, 81, 115f., 132, 134, 175, 181, 184,
188, 228, 246f., 272 186, 203, 236, 244–263, 268, 273–276,
Flach, Werner 36, 108 288, 290, 295, 316–318, 328, 332
Forgione, Luca 107, 113, 170 Husserl, Edmund 4f., 99, 208, 290
Formigari, Lia 22f., 170, 234, 238, 308 Ingarden, Roman 2, 4f., 90, 92, 323f.
Forster, Michael N. 23, 170, 211, 213, 218, Jacobi, Friedrich Heinrich 39, 164, 182, 210
230, 237f., 242f., 263, 275 Jacobs, Noah Jonathan 193, 195
Fortuna, Sara 22, 108, 116, 163, 168f., 175, Jäger, Ludwig 318
224, 235f., 239, 283 Johnson, Mark 2, 20, 24, 234, 244, 284,
Freudenthal, Gideon 188 296, 299–307, 312
Gaier, Ulrich 23, 210, 214, 216f., 217, 226, Jung, Tobias 5
231, 234, 239 Kauferstein, Christian 193, 197
Garroni, Emilio 22, 113, 129, 162 Kaulbach, Friedrich 22, 34, 79f., 114, 137,
Gasché, Rodolphe 24, 61, 88, 158 158
Gasperoni, Lidia 90, 191–193 Kim, Dae Kweon 235f.
Gessinger, Joachim 23, 235f., 269, 276 Krämer, Sybille 86, 118, 120–122, 287, 310,
Gibbons, Sarah L. 22, 57, 74, 77, 114 315f.
Ginsborg, Hannah 110 Krois, John Michael 135, 290f., 315
Goethe, Johann Wolfgang von 245, 290f. Kuße, Holger 255, 262
Goodman, Nelson 312, 316 Lakoff, George 2, 20, 24, 159, 184, 234,
Grüne, Stephanie 22, 114, 141 244, 257, 284, 296, 299–303, 307, 312
Guyer, Paul 22, 48, 64, 103, 142 Lallot, Jean 3
Haag, Johannes 22, 64, 74, 103, 106, Lamacchia, Ada 22, 130, 133, 135f., 148, 154
113–116, 141 Lambert, Johann Heinrich 29
Hamann, Johann Georg 15, 18f., 39, 42, La Rocca, Claudio 47, 53, 106, 111, 141, 149,
65, 116, 131f., 170, 183f., 206–214, 218, 166, 175
256, 258, 263 Leibniz, Gottfried Wilhelm 39, 47f., 71, 98,
Hanna, Robert 22, 82, 84 130, 136, 157, 191, 195–197, 201, 220f.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 15f., Leiner, Yann Philipp 235, 242–244
18–20, 40, 132, 148, 175, 184–186, 203, Lenk, Hans 1, 5, 29, 150, 241, 269
236f., 243f., 249, 262–278, 282, 288, Leonardo da Vinci 323f.
294, 300 316–318, 323, 327 Longuenesse, Béatrice 22, 67, 74, 89, 95,
Heidegger, Martin 14, 21, 27, 59, 74f., 87, 130, 275
93, 107, 113, 141, 148, 289 Lo Piparo, Franco 276
Heidemann, Dietmar 22, 83 Magritte, René 326
Heinz, Marion 220, 225 Maimon, Salomon 15, 18f., 22, 40f., 62,
Hepfer, Karl 64, 74 112f., 142, 147f., 159, 162, 183, 187–207,
Herder, Johann Gottfried 1, 15f., 18–20, 211, 213, 228, 231, 240, 249, 260, 263,
22f., 39–42, 62, 65f., 83, 113, 116, 132, 282, 307
142, 147f., 158f., 162, 182, 184f., 206, Majetschak, Stefan 212
212–245, 247–249, 257f., 264, 267–270, Makkreel, Rudolf A. 22, 87, 96, 101, 112,
272, 276, 285, 287–292, 295f., 300, 307, 131, 133f., 159f., 163, 168, 283
317 Makowiak, Alexandra 79, 134
Hermann, Theo 1, 5, 20 Maly, Sebastian 157, 161
Herz, Andreas 242 Manco, Francesca 154
Herz, Marcus 187–189, 195 Marconi, Diego 6, 85f.
Hilmer, Brigitte 215, 224f., 258 Marshall, Sandra P. 1, 333
Hogrebe, Wolfram 12f., 22, 30, 90, 92, Maurer, Michael 224, 236f.
129, 141, 171, 195, 311 McCumber, John 265, 275
Hohenegger, Hansmichael 113 McDowell, John 7, 56, 82f., 299
Hoyos, Luis Eduardo 197f. Meier-Oeser, Stephan 160
349
Personenregister
Bilder sind keine Abbilder, sondern erzeugen im Bildakt, was sie darstellen. Sie
verfügen über eine handlungsstiftende Kraft und wirken selbst lebendig. Bild-
kompetenz lässt sich keineswegs ausschließlich aus der traditionell überbewer-
teten Visualität des Menschen ableiten: Menschen reagieren auch deshalb auf
Bilder, weil ihr unbewusstes neurologisches Körperschema, das aus der Integra-
tion taktiler, propriozeptiver, vestibulärer, visueller und akustischer Informa
tionen entsteht, durch Bildschemata affiziert wird. Diese neuere Erkenntnis der
Kognitionswissenschaften entspricht älteren Vorgaben der Verkörperungsphi-
losophie, die eine genuine Tradition im europäischen Sprachraum hat.
In den Studien der Reihe „Actus et Imago“ wird eine Bild- und Verkörpe
rungstheorie entwickelt, die in der Lage ist, Bildproduktion, Bildverstehen und
Bildakte zu erklären. Im Ausgang vom belebten Leib leisten sie einen Beitrag
zum Verständnis des menschlichen Reflexionsvermögens, das sich in ikonischen
wie sprachlichen Formen und Interaktionen verkörpert.
In der Reihe sind bereits erschienen:
B a n d I I I Thomas Gilbhard
Vicos Denkbild. Studien zur „Dipintura“ der „Scienza Nuova“
und der Lehre vom Ingenium
ISBN 978-3-05-005209-0
B a n d I V Stefan Trinks
Antike und Avantgarde. Skulptur am Jakobsweg
im 11. Jahrhundert: Jaca – León – Santiago
ISBN 978-3-05-005695-1
B a n d V I Verkörperungen
hrsg. von André L. Blum, John M. Krois und
Hans-Jörg Rheinberger
ISBN 978-3-05-005699-9
B a n d X I I I Robert Felfe
Naturform und bildnerische Prozesse. Elemente einer
Wissensgeschichte in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts
ISBN 978-3-11-036455-2
B a n d X I V Carolin Behrmann
Tyrann und Märtyrer. Bild und Ideengeschichte
des Rechts um 1600
ISBN 978-3-11-036350-0
B a n d X V I I Andreas Plackinger
Violenza. Gewalt als Denkfigur im
michelangelesken Kunstdiskurs
ISBN 978-3-11-040346-6
B a n d X V I I I Yannis Hadjinicolaou
Denkende Körper – Formende Hände. Handeling in Kunst
und Kunsttheorie der Rembrandtisten
ISBN 978-3-11-0403885-7