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Versinnlichung

Actus
Band XX et I mago

Berliner Schriften für Bildaktforschung


und Verkörperungsphilosophie
Herausgegeben von Horst Bredekamp und
Jürgen Trabant
Schriftleitung: Marion Lauschke
Lidia Gasperoni

Versinnlichung
Kants transzendentaler Schematismus
und seine Revision in der Nachfolge
Publiziert mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
im Rahmen des Exzellenzclusters "Bild Wissen Gestaltung.
Ein Interdisziplinäres Labor" der Humboldt-Universität zu Berlin.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung


für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Einbandgestaltung unter Verwendung von Francesco Colonna:
„Hypnerotomachia Poliphili“, 1499.

ISBN 978-3-11-047513-5
e-ISBN (PDF) 978-3-11-047617-0
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047521-0

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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© 2016 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 2015 u. d. T. ‚Schematismus als Versinnlichung.


Kants transzendentale Semantik und ihre Revision in der Nachfolge‘

Redaktionelle Mitarbeiterin der Reihe: Johanna Schiffler


Reihengestaltung: Petra Florath, Berlin
Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg

Printed in Germany
Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706

www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis

Danksagung IX

Einleitung 1
1. Die transzendentale Semantik des Schematismus 10
2. Aufbau der Untersuchung 16
3. Forschungsstand und Methodik 20

Die Schematismuslehre im Lichte Kants


I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen 32
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit 44
1. Apologie der Sinnlichkeit 47
2. Die Unterscheidung zwischen Begriff, Idee und Gefühl 49
3. Kompatibilität zwischen kritischen und
anthropologischen Schriften 55
4. Einführung des Versinnlichungsbegriffs 58
5. Sinn und Einbildungskraft als
‚zwei Stücke der Sinnlichkeit‘ 62
III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess:
Das Schema zwischen Bild und Wort 81
IV. Begrifflichkeit im Gebrauch:
Das Schema als ‚Drittes‘ der Urteilskraft 89
V. Die Schemata 100
1. Schemata empirischer Begriffe 102
2. Schemata rein sinnlicher Begriffe 116
2.1 Operative Bildlichkeit 120
2.2 Implizite Prädikation 123
2.3 Transzendentale Semiose 128
3. Schemata reiner Verstandesbegriffe 138
4. Der antizipatorische Charakter des Schematismus 150
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung und Schematisierung
‚ohne Begriff‘ 153
1. Symbolische Darstellung 155
2. Schematisierung ‚ohne Begriff‘ 164
3 . Die Performativität der symbolischen Reflexion 166
VII. Zeichen und Symbol als ‚Gebrauchsweisen‘
sinnlicher Gestalten 170

Rev ision des Schematismus in der Nachfolge Kants


I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis
nach Salomon Maimon 187
1. Rationaler Dogmatismus und empirischer Skeptizismus 189
2. Die Einbildungskraft und die Vollendung
der unendlichen Annäherung 194
3. Das Differentiale und der Satz der Bestimmbarkeit als
Überwindung des Schematismus 197
4. Die symbolische Erkenntnis 200
5. Die Rationalisierung der Sinnlichkeit 204
II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘ 207
1. Die kantischen Reinigungen der Philosophie 207
2. Die ‚Sakralität‘ der Sprache 210
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘ 213
1. Die Metakritik am kantischen Schematismus 217
2. Der aposteriorische Charakter der Begrifflichkeit 230
3. Die Funktion der Sinnlichkeit und das Gehör
als Sinn der Sprache 232
4. Darstellender, ausdrückender und reell bedeutender Geist 239
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen
bei Wilhelm von Humboldt 245
1. Die Artikulation 251
2. Das Wort 253
3. Einbettung der doppelten Versinnlichung in die Sprache 260
V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel 263
1. Verleiblichung und Funktion der Sinne in
der Anthropologie 267
2. Die Artikulation der Sprache im ‚Theoretischen Geist‘ 269
3. Die Nachsprachlichkeit des Denkens 277

Schematismus als Versinnlichung


I. Versinnlichung und Embodiment 285
1. Die Ästhesiologie Plessners 291
2. Versinnlichung als transzendentale Bedingung
der Verkörperung 299
II. Schematismus als modale Versinnlichung 309
1. Bild, Figur und Wortlaut als transzendentale Gestalten 313
2. Die Gestalten im Gebrauch 320

Schlusswort und Ausblick 331


Literaturverzeichnis 335
Personenregister 347
Danksagung

Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im


Februar 2015 von der Technischen Universität Berlin angenommen wurde. Die
Promotion wurde durch ein dreijähriges Stipendium des DAAD gefördert, das
es mir ermöglicht hat, die Forschungsarbeit in Deutschland frei und explorativ
durchzuführen. Die Drucklegung wurde durch die freundliche Unterstützung
der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung ermöglicht. An Gloria Freitag
geht mein Dank für die Korrektur des Manuskripts und an die Mitarbeiter des
De Gruyter Verlags für die Unterstützung bei der Publikation.
Ein besonderer Dank geht an Horst Bredekamp, Jürgen Trabant und
Marion Lauschke, die mein Buch in die Reihe Actus et Imago aufgenommen
haben. Es ist eine große Ehre, dieses Buch im Rahmen dieser Reihe veröffent-
lichen zu dürfen, da einige Motive meiner Forschung in Zusammenarbeit mit
der Bildakt-Forschungsgruppe entstanden sind. Mein Interesse an der Verbin-
dung zwischen Kant und den Verkörperungstheorien wurde durch ein Treffen
mit John Michael Krois verstärkt, der leider nur den ersten Schritten dieser
Arbeit folgen konnte. An Jürgen Trabant geht ein besonderer Dank; er hat diese
Forschungsarbeit thematisch unterstützt, insbesondere in Hinsicht auf die
Reaktualisierung der philosophischen Ansätze Herders und Humboldts für die
zeitgenössische Sprach- und Erkenntnistheorie.
An Günter Abel geht mein Dank als Betreuer dieser Arbeit. Er hat die erste
Forschungsidee gefördert und mich immer wieder in meiner Idee bestärkt und
zu ihrer Ausarbeitung motiviert. Bei Christoph Asmuth möchte ich mich bedan-
ken für seine Offenheit und Neugier, die er dieser Arbeit stets entgegengebracht
hat. Die vielen gemeinsamen Veranstaltungen und Forschungsreisen im Rah-
men des internationalen Forschungsnetzwerks für Transzendentalphilosophie
und Deutschen Idealismus waren stets wichtige Gelegenheiten für mich, die
Hauptmotive meiner Arbeit zu präzisieren. Für die produktiven und inspirie-
X
  Danksagung

renden Gespräche ist all denjenigen zu danken, denen ich in diesen Jahren im
Rahmen des Forschungsnetzwerks begegnet bin.
Mirella Capozzi gilt ein herzlicher Dank für die langjährige Betreuung
an der römischen Fakultät für Philosophie an der Universität Sapienza. Ich danke
ihr für all die langen Gespräche über die Philosophie Kants, ihre Grenzen und
Potentiale.
Für ihre anhaltende Unterstützung und den lebendigen Austausch ist
Sara Fortuna, Tullio Viola und Giuseppe Di Salvatore herzlich zu danken. Auch
an alle Freunde, die hier nicht einzeln genannt werden können und die meine
Arbeit aus der Nähe und Ferne fachlich und freundschaftlich unterstützt haben,
richtet sich mein herzlicher Dank. Insbesondere möchte ich mich bei Philippe
Merz, Frank Steffen, Max Winter und Simon Gabriel Neuffer bedanken, die mit
mir die Freigeist-Akademie ins Leben gerufen haben, und bei allen, die an der
Akademie teilgenommen haben. Ich danke ihnen allen, Teil dieses philosophi-
schen und didaktischen Experiments zu sein. Danken möchte ich auch Matthias
Ballestrem, der mit mir im Rahmen der Akademie zusammen unterrichtet hat
und mit dem ich über die Anwendbarkeit einiger Aspekte dieser Arbeit auf den
architektonischen Entwurf nachgedacht habe.
Meinen Eltern und meiner Tante gilt ein besonderer Dank. Sie haben
mich in diesen Jahren in meinen Entscheidungen unterstützt und an meine
Arbeit geglaubt. Sie haben mir immer den Weg von Italien nach Deutschland
offengehalten und die Wichtigkeit der Neugier, des kritischen Geistes und der
freien Initiative beigebracht.
Mein letzter Dank richtet sich an meinen Mann, Max Winter, der mit
dieser Arbeit mindestens ebenso intensiv gelebt hat, wie ich. Ich danke ihm für
die Liebe, die er mir und dieser Arbeit entgegengebracht hat. Ohne seine sprach-
liche Hingabe und seine philosophische Genauigkeit wäre dieses Buch nicht
möglich gewesen. Für den philosophischen Austausch und die treue Auseinan-
dersetzung, in denen wir einander seit dem Studium begegnen und begleiten,
bin ich ihm sehr dankbar. Dieses Buch ist meiner Familie und meinem Mann
gewidmet.
E inleitung

Das Schema, dem ein wechselvolles Schicksal innerhalb der Philosophiegeschichte


attestiert werden kann, ist bei Kant die transzendentale Bedingung der Entste-
hung von Bedeutung. Die spezifische Konnotation des Schema-Begriffs als
eines Vermittlers geht systematisch zwar auf Kant zurück, lässt sich aber his-
torisch bereits vor und auch nach Kant nachweisen. Der Artikel von Werner
Stegmaier im Historischen Wörterbuch der Philosophie zeichnet die unter-
schiedlichen Deutungen des Schemas nach, das „nur an einzelnen, aber emp-
findlichen Stellen der Philosophiegeschichte […] zum Terminus“ wurde, „um
dann rasch wieder durch andere Begriffe ersetzt zu werden“.1 Die ständige Wie-
derkehr des Schema-Begriffs kann die Vermutung hervorrufen, dass der Begriff
des Schemas – wie Umberto Eco mit Blick auf die Kognitionswissenschaften
behauptet hat2 – eine Art ‚Gespenst‘ der Philosophiegeschichte darstellt, das in
einigen Phasen verschwindet und in anderen wieder auftaucht, ohne dass seine
Funktion je vollständig erfasst wurde. Bis heute gibt es keine systematische
Geschichte des Schemas, was nicht zuletzt Kants Verwendung des Schema-
Begriffs betrifft, deren Herkunft ungeklärt ist.3
Das Schema steht grundsätzlich für eine dynamische und figurative
Struktur – eine Skizze oder Silhouette, deren Funktion selten systematisch
untersucht wurde, obwohl dem Schema bis heute die Funktion einer darstellen-
den Synthesis zugeschrieben wird. Man greift auffällig häufig gerade dann auf

1 Stegmaier 1992, S. 1246 [Hervorhebung L. G.]. Zur Verwendung des Schema-


Begriffs im Kognitivismus und in der Philosophie des Geistes siehe Hermann 1992,
Marshall 1995, S. 3–36 und Lenk 2001, S. 16f.
2 Eco 2000, S. 147: „Das Gespenst des Schematismus spukt in vielen gegenwärtigen
Untersuchungen, doch das Geheimnis dieser verborgenen Kunst ist noch nicht ent-
schleiert worden“.
3 Herder (Metakritik, in FHA, 8, S. 414, Anmerkung 1.) sieht Bacon als die Haupt-
quelle für die kantische Verwendung des Wortes ‚Schematismus‘ an.
2
  Einleitung

den Begriff des Schemas zurück, wenn es um die Form einer Synthesis geht.
Beispiele dafür sind die Verwendung von Schemata in der Beschreibung von
mentalen Modellen, in der Hirnforschung für Prototypen oder sogar Hirnkon-
struktionen, und im Allgemeinen für Datenstrukturen. Der Schematismus
zeigt eine formale Strukturierung an, die unterschiedliche Bestandteile ver-
bindet, um so ein Drittes zu realisieren, welches das einzig erscheinende Resul-
tat des Prozesses darstellt. Das Dritte ist kein Aggregat von distinkten Bestand-
teilen, sondern Resultat des Prozesses selbst, in dem die Bestandteile lediglich
gedanklich unterschieden werden können.
Die meisten Erklärungsansätze des Schemas sind darauf konzentriert,
seinen prozessualen Charakter hervorzuheben. Das Schema ist folglich nicht
mit dem Inhalt seiner Darstellung oder Vorstellung zu verwechseln, sondern
deutet einen Mechanismus, Vorgang oder Prozess an, der bestimmte Inhalte
vermittelt, ohne sie dabei zu fixieren.4 Das Schema umfasst sowohl die Methode
des Gebrauchs schon gegebener Sachverhalte als auch die Transformation und
Erzeugung neuer Sachverhalte. Das Schema legt keine Interpretation im Vor-
hinein fest, sondern ermöglicht sie in ihrer Vielfalt und unter Berücksichtigung
ihrer bestimmten Inhalte in kulturellen, interpersonellen, sprachlichen und
wissenschaftlichen Kontexten. Seine gestalterische, reaktivierende und dyna-
mische Funktion ist daher das Grundmerkmal des Schema-Begriffs in der
Geschichte der Philosophie: Unter ‚Schema‘ und ‚Schematisierung‘ ist bereits
bei Platon die dynamische Bestimmung allgemeiner Begriffe, bei Aristoteles
der Prozess der Gestaltung im Allgemeinen und bei Paulus derjenige der Ver-
wandlung in den Leib Christi zu verstehen. Bei Bacon steht der Schema-Begriff
für die Umgestaltung der Gegenstände der Erfahrung, während er bei Fichte
eine Totalisierung erfährt und in Beziehung zum Bild gesetzt wird. Später setzt
sich diese dynamische Konnotation fort im motorischen Schema von Bergson,
dem Verhältnis zwischen Schematismus und Anblick bei Heidegger und dem
Bildschema von Johnson und Lakoff.5 Unter den unterschiedlichen Bedeutun-
gen des Schema-Begriffs in der Geschichte der Philosophie sind meines Erach-
tens zwei weitere hervorzuheben, die von Stegmaier in dieser Form nicht
behandelt werden und an denen sich die Vermittlungsfunktion des Schemas
verdeutlichen lässt: Erstens seine Stellung in der Antike und zweitens seine Rol-
le in der phänomenologischen Beschreibung der Aspekte bei Roman Ingarden.
An dieser Erweiterung lässt sich zugleich herausstellen, inwiefern dem Schema

4 Desideri (2016, S. 126) spricht von einer „unbestimmten Regelmäßigkeit“ („rego-


larità indeterminata“). Siehe dazu auch Desideri 2011 und 2015.
5 Diese Verwendungen werden auch von Werner Stegmaier (1992. S. 1246–1262)
näher behandelt.
3
  Einleitung

eine wesentliche Funktion als Grundstruktur der Vermittlung, Übertragung


und Interpretation von Bedeutung zukommt.
Seit der Antike wird dem Schema die Funktion einer sinnlichen Ver-
mittlung zugeschrieben, die den Übergang von der Abstraktheit von Gesetzen,
Modellen oder Grundfiguren (etwa in Tanzchoreographien) zur Konkretion der
einzelnen Anwendungen gewährleistet. Schon in der griechischen Antike zeigt
sich die Funktion des Schemas als Vermittlung und Überlieferung von kulturel-
len und wissenschaftlichen Kenntnissen. Auch die Etymologie ist diesbezüglich
bemerkenswert. Die Herkunft des Wortes aus der Aorist-Form des griechischen
Verbs έχειν (haben) erklärt seine abstrakte Bedeutung als eine dynamische Hal-
tung, da das griechische Verb sich insofern von unserem Gebrauch des Verbs
‚haben‘ unterscheidet, als damit nicht primär ein ‚Besitzen‘, sondern eher ein
‚Halten‘ angezeigt wird – Lallot beschreibt es als „une manière d’être“.6 Luisa
Maria Catoni untersucht die Verwendungen des Schemas in der Antike vor
allem in der Geometrie, im Theater sowie im Tanz und verortet die dynamische
Funktion der Schemata in der Visualisierung, in der Kommunikation und in der
Möglichkeit eines Umsturzes. Schemata dienten demnach besonders dazu, visu-
elle und nichtvisuelle Gestalten zu verstehen, zu vermitteln und zu transfor-
mieren.7 Die Schemata stellen sinnliche Vermittler wie etwa auf Vasen gemalte
menschliche Tanzfiguren dar, die die Kommunikation und Mitteilung von
Bedeutung ermöglichen. Catoni weist zu Recht darauf hin, dass die Interpreta-
tion des Schemas als geometrische Figur in der Antike sekundär ist im Ver-
gleich zu der Funktion, die dem Schema in den mimetischen Künsten zukommt,
gerade weil „das Resultat der mimetischen Künste notwendigerweise eine par-
tielle Version des imitierten Gegenstandes und nicht seine Verdoppelung ist“.8
Der visuelle Charakter des Schemas macht den Darstellungsgegenstand sichtbar
und dadurch vermittelbar. Insofern bewegt sich das Schema schon in den Tanz-
choreographien der Antike immer zwischen Bestimmtheit und Unbestimmt-
heit, und dies auf der Grenze zwischen vorgegebenen Formen und deren Ver-
änderbarkeit. Die Schemata sind nach Catoni gerade solche Ausdrucksmittel,9
die an sich fast nicht existieren und nur in der Spannung zwischen Veränderbar-
keit und Unveränderbarkeit, zwischen Stasis und Bewegung bestehen. Dieser
gewissermaßen schwebende Charakter der Schemata kann auch als ihre Migra-

6 Lallot 2004, S. 160: „Le dérivé σχήμα se rattache sémantiquement à cette valeur
intransitive du verbe: il ne désigne jamais une possession, un avoir, mais toujours
et seulement un maintien, une manière d’être“. Vgl. Casewitz 2004.
7 Catoni 2008, S. 3–9. Die Vermittlungsfunktion des Schema-Begriffs in der Antike
vor allem bezüglich der Verbindung zwischen Schema und Rhythmus wird auch
von Silvana Borutti (2006, S. XLI–XLIII) hervorgehoben.
8 Catoni 2008, S. 76.
9 Vgl. ebd., S. 125.
4
  Einleitung

tionsfähigkeit beschrieben werden.10 Damit wird ausgedrückt, dass die Schemata


nicht von der Praxis ihres Erkennens und ihrer Anwendung getrennt werden
können: Sie dürfen also nicht auf den schematischen Inhalt verkürzt werden,
sondern sind auf der Ebene seiner Vermittlung anzusiedeln. Diese Vermitt-
lungsebene ist zugleich nicht von einer Verkörperungspraxis zu trennen, wie sie
heute etwa im Ansatz des Bildschemas eine grundlegende Rolle spielt.11
Unter Berücksichtigung der Unterschiede kann sowohl in antiken als
auch in modernen Verwendungen des Schemas die Funktion bemerkt werden,
eine Auswahl von Merkmalen zu treffen, um so die Bedeutung eines Sachver-
haltes zu vermitteln. Und wegen des jeweils partiellen Charakters dieser Ver-
mittlung moduliert sich bei jedem Gebrauch die Bedeutung selber. So kann die
allgemeine Aufgabe des Schemas schon seit der Antike darin gesehen werden,
dass es die Vermittlung von Bedeutung im sichtbaren Gebrauch ermöglicht.12
Die prozessuale (und nicht ‚inhaltliche‘) Bedeutung des Schema-Begriffs, bei
der das Schema als Auswahl von Merkmalen fungiert, fundiert insbesondere
die Auffassung des Schemas bei Roman Ingarden, dessen ästhetische Phänome-
nologie sich im Zuge der Kontroverse zwischen ihm und Husserl über das Ver-
hältnis von Realismus und Idealismus herausbildet. Als schematisch gilt bei
Ingarden die Grundstruktur der Manifestation von ‚Aspekten‘.13
In der literarischen Fiktion – wie etwa in einem Roman – treffen sowohl
der Autor als auch der Leser eine Auswahl von Aspekten des Werkes, die parat
gehalten werden, d.h. Aspekte, die potentiell zum Ausdruck und zur Interpreta-
tion gelangen können und die jeweils aktualisiert werden müssen. Ohne eine
schematische Strukturierung seiner Aspekte wäre jedes Werk vollständig
bestimmt und es wäre beispielsweise nicht möglich, von ein und demselben
Werk zwei (und potentiell unendlich viele) verschiedene Interpretationen vor-
zunehmen, die das Leben eines Werkes verändern, retten oder beenden können.
Die Aspekte sind einem Schema zugeordnet, das – ähnlich dem ‚fast nicht exis-
tierenden‘ Schema der Antike – bei Ingarden ‚fast leer‘ ist und doch einige

10 Catoni 2005, S. 179. Außerdem ist hervorzuheben, dass die Vermittlungsfunktion


des Schemas im Lateinischen später als ‚figura‘ übersetzt wird. Wie in erster Linie
von Auerbach (1967, S. 55–57) herausgearbeitet wurde, ist darin auch der Grund zu
sehen, dass das Schema sich nicht als philosophischer Begriff etabliert hat und seine
Bedeutung stets zwischen der Figuration und der bildhaften symbolischen Über-
tragung geschwankt hat. Diese Zweideutigkeit findet sich gerade in den romani-
schen Sprachen in Ausdrücken für ‚metaphorische Rede‘ – zum Beispiel im italie-
nischen ‚linguaggio figurato‘ und im französischen ‚langage figurée‘. Vgl. dazu
auch Obergfell 1985, S. 60f.
11 Siehe Bredekamp 2010, S. 104.
12 Das ist eine Thematik, die insbesondere Catoni (2005, S. 111) für die Verwendung
des Schema-Begriffs in der Antike hervorhebt.
13 Ingarden, LK, § 41, S. 355–364. Dazu siehe Stjernfelt 2007, S. 350f.
5
  Einleitung

Merkmale enthalten muss, um darüber eine Bedeutung erfassen zu können. Für


ihn betrifft das Schema nicht nur die Gegenstände der Fiktion, sondern auch die
der Wahrnehmung. Bei ersteren ist der potentielle Charakter der Aspekte
sicherlich am deutlichsten zu erkennen, da sie rein erzeugt sind – Ingarden würde
‚rein intentional‘ sagen, da er sie wie erwähnt im Zusammenhang der Kontro-
verse zwischen Realismus und Idealismus behandelt, die den Austausch zwi-
schen Husserl und seinen Nachfolgern prägt.
Nicht nur in fiktionalen Prozessen, sondern auch in der Wahrnehmung
selbst ist der Schematismusprozess für die Aktualisierung der Aspekte zustän-
dig, bei der eine Verflechtung unterschiedlicher Elemente involviert ist, wie der
Fall von Kippbildern exemplifiziert. Es geht letztlich darum zu erklären, wie es
möglich ist, dass schematische Strukturen zugleich eine bestimmte Erkenntnis
und deren Modifikation gewährleisten können. Auch in der Kognitionswissen-
schaft und -psychologie werden Stabilität und Veränderbarkeit der Schemata
thematisiert.14 Hans Lenk bezeichnet Schemata deshalb zusammenfassend als
‚Aktivierungsprozesse‘: Als Prozesse verstanden, erstrecken sich Schemata von
der ersten Ebene einer biologisch-genetisch festgelegten Schematisierung bis
hin zu der einer Metainterpretation, und zwar derjenigen einer Metasprache, in
der über sprachliche Ausdrücke gesprochen wird. Lenk untersucht die kogni­
tionswissenschaftliche Auffassung des Schemas insbesondere in Bezug auf
Rumelhart, der Schemata als aktive Prozesse beschreibt,15 die wichtige Funk-
tionen in der Wahrnehmung, im Verstehen von Sprache, in der Erinnerung, in
Lernprozessen und in der Lösung von Problemen ausüben: „Schemata stellen
nicht alles Einzelne, jedes Detail eines repräsentativen oder wahrnehmenden
Erlebens dar, sondern sie treffen eine Auswahl, sie selektieren. […] Die Merk-
male engen sozusagen die Bedeutungen eines Begriffes ein“.16 Die Betonung der
Funktion des Schemas als Prozess für die Auswahl von Merkmalen läuft jedoch
Gefahr, das Schema allein auf den empirischen Gebrauch von Begriffen zu
reduzieren, ohne ihn einer transzendentalen Perspektive zuzuordnen. So wird
das Schema zum bloßen Träger der Bedeutung gemacht, die mit dem Gebrauch
meist übereinstimmt.
Die Ermangelung einer transzendentalen Perspektive in den meisten
Verwendungsweisen des Schema-Begriffs wirft einen Schatten auf dessen sach-
lichen Kern, gemäß dem es gerade kein Träger von Bedeutung, sondern – wie
noch zu erklären sein wird – deren Bedingung ist, wobei sich das Schema

14 Zum Schema-Begriff in der Kognitionspsychologie siehe Hermann 1992, S. 1262f.


Dazu auch Lenk 2001, S. 17–93. Für einen Vergleich zwischen der Schematismus-
lehre Kants und dem ‚Frame-Begriff‘ von Marvin Minsky siehe Jung 2005, S. 265–
276.
15 Rumelhart 1980, S. 33–58.
16 Lenk 2009, S. 206f.
6
  Einleitung

bestimmter sinnlicher Formen bedient, die jedoch nicht empirisch, weil nicht in
der Erfahrung zu finden sind.17 Dieser Mangel einer transzendentalen Perspek-
tive führt meines Erachtens letztlich auch zur inhaltlichen Interpretation des
Schemas in Davidsons Dualismus von Schema und Welt, in dem das Schema als
verkürzter Inhalt verstanden und daher dessen prozessuale Bedeutung aus-
geblendet wird. Der prozessuale Charakter kann hingegen nicht mit dem ver-
kürzten Inhalt gleichgesetzt werden. Es scheint daher angebracht, kurz auf
Davidsons Kritik am Schema-Welt Dualismus einzugehen.
Davidson bezeichnet den Dualismus zwischen Schema und Inhalt als das
dritte Dogma des Empirismus.18 So verbindet er den Schema-Begriff mit dem
Problem des conceptual relativism, dessen Definition gerade lautet: „The reality
itself is relative to a scheme“.19 Davidson interpretiert die Schemata als Bezeich-
nungen natürlicher Sprachen und geht von einem konstitutiven Relativismus
aus, der unter anderem die relative Unübersetzbarkeit einzelner Bedeutungen
impliziert.20 Das Schema steht dabei für einen Vermittler im Sinne einer Ver-
mittlungsfunktion, die den semantischen Zugang zur Realität gewährleistet.
Zeigt sich nun dieser Vermittler als mit einer kulturellen und sprachlichen Rela-
tivität behaftet, so ergibt sich daraus das Problem von Bedingtheit und Relativi-
tät des Inhalts des Denkens selbst.21 Auf dieser inhaltlichen Ebene ist das Pro-
blem der so genannten conceptual schemes also mit demjenigen des Relativismus
verbunden. Dabei wird das Schema auf den Inhalt reduziert, den es überträgt,
und seine Funktion liegt hauptsächlich darin, eine bestimmte Auffassung einer
Theorie zu bezeichnen – so hätten etwa Euklid, Newton und Einstein unter-
schiedliche Schemata des Raumes entwickelt. In diesem Sinne gibt es unter-
schiedliche Schemata, die Zugang zu unterschiedlichen Sachverhalten schaffen;
das Problem liegt darin zu verstehen, ob es Sachverhalte gibt, die nur durch
bestimmte Schemata zugänglich sind.22 Durch die Überwindung des Dualismus
wird für Davidson der unmittelbare Zugang zur Welt wiederhergestellt.23 Der

17 Das ist ein Aspekt, den Eco hervorragend ans Licht bringt, wenn er schreibt (2000,
S. 146): „Tatsächlich findet man eine Spur des kantischen Schematismus (in Ver-
bindung mit einer konstruktivistischen Vorstellung von der Erkenntnis) in vielen
Spielarten der heutigen Kognitionswissenschaft, auch wenn sie diesen Zusammen-
hang zuweilen nicht zur Kenntnis nimmt. Freilich darf man, wenn man heute auf
Begriffe wie Schema, Prototyp, Modell, Stereotyp trifft, diese ganz gewiß nicht
mit Kants Begriff gleichsetzen (beispielweise implizieren sie keinen Transzenden-
talismus), und man darf sie auch nicht als Synonyme betrachten“.
18 Davidson 1973, S. 11.
19 Davidson 1973, S. 20.
20 Vgl. Davidson 1973, S. 7.
21 Vgl. Davidson 1973, S. 7 und 11f.
22 Zum Relativismus begrifflicher Schemata siehe Marconi 2007, S. 62.
23 Davidsons Schlusswort liest sich wie folgt (1973, S. 20): „Given the dogma of a
dualism of scheme and reality, we get conceptual relativity, and truth relative to a
7
  Einleitung

skizzierte Relativismus basiert auf der Gleichsetzung von Schemata und Inhal-
ten – im Fall von Davidson von Schemata und Sprachen, wobei unter ‚Sprache‘
nicht der Typus der Sprache, sondern der einzelsprachliche Ausdruck, nicht der
sprachliche Prozess, sondern sein Inhalt zu verstehen ist. Somit übersieht
Davidson die Möglichkeit, nicht so sehr den Dualismus zu überwinden, son-
dern vielmehr ihn ‚zu unterlaufen‘, wie Abel aus Sicht der Interpretationsphi-
losophie gezeigt hat.24 Eine transzendentale Untersuchung dagegen hätte auf die
prozessuale Strukturierung der Bedeutung zu zielen, die vom spezifischen
Inhalt der Bedeutung absieht und vor einem solchen Relativismus anzusiedeln
wäre. Es geht ihr um die sinnliche Artikulation und den transzendentalen
Gebrauch, um über diese die Bedeutungserfahrung zu beschreiben. Davidsons
Kritik am Schema vernachlässigt folglich die prozessuale Bedeutung des Schema-
Begriffs.25
Der prozessuale Ansatz entgeht meines Erachtens auch der Kontroverse
über den konzeptualistischen oder nicht-konzeptualistischen Charakter der
Schemata – möchte jedoch ebenso wenig im Sinne der Kritik McDowells am
Dualismus verstanden werden.26 Das Schema steht nicht selbst für eine inhalt-
liche Vielfalt, sondern ermöglicht, dass sich überhaupt eine kulturelle und

scheme. Without the dogma, this kind of relativity goes by the board. Of course
truth of sentences remains relative to language, but that is as objective as can be. In
giving up the dualism of scheme and world, we do not give up the world, but re-
establish unmediated touch with the familiar objects whose antics make our sen-
tences and opinions true or false“.
24 Insbesondere Günter Abel hat die Perspektive des Interpretationismus in Bezug auf
die Kritik Davidsons an dem Schema als drittes Dogma des Empirismus deutlich
gemacht (1993, S. 328): „Davidson möchte auf alle epistemischen Vermittler ver-
zichten, dadurch den Dualismus überwinden […]. Der Interpretationist dagegen
möchte den Dualismus nicht so sehr überwinden als ihn vielmehr unterlaufen und
darin nicht eine vermittlungslose Unmittelbarkeit zwischen Interpretation und
Welt etablieren, sondern vornehmlich auch das, was hier überhaupt als eine So-und-
so Welt und des näheren als die darin vertrauten Objekte und Ereignisse gelten
kann […] kurz: als eine Interpretationswelt auffassen“.
25 So könnte Davidson Kritik am Schema auch als ein Missverständnis des concep­tual
scheme Quines angesehen werden, das gerade auch Transformations- und Ver-
schiebungsprozesse miteinschließt. Siehe dazu Quine 1960, S. 275. Dazu auch
Stegmaier, 1992, S. 1258.
26 Siehe McDowell 2009, S. 121: „My claim that the dualism is incoherent depends on
the thought that the domain of rational interrelatedness is coextensive with the
domain of the conceptual“. Und weiter: „Scheme-content dualism is incoherent,
because it combines the conviction that world views are rationally answerable to
experience – the core thesis of empiricism – with a conception of experience that
makes it incapable of passing verdicts, because it removes the deliverances of the
senses from the domain of the conceptual. According to the dualism, experience
both must and cannot serve as a tribunal. […] But I am suggesting that this basic
empiricism is not easy to dismiss“ (S. 125f.).
8
  Einleitung

sprachliche Vielfalt entfalten kann. Aus diesem prozessualen Gesichtspunkt


heraus befindet sich das Schema vor jedem Dualismus, weshalb der Kritik
Davidsons nur insofern zuzustimmen ist, als auch für ihn das Schema nicht rein
repräsentationalistisch zu fassen ist. Ohne diese transzendentale Vermittlungs-
funktion – d.i. als Bedingung und nicht als Träger – könnte die Sprache nicht
unsere Wahrnehmung und unser Denken prägen, und die Erfahrung würde nur
einen unmittelbaren, interpretationslosen Anwendungs- und Erkenntnispro-
zess der Realität darstellen. Die Referenz würde zwar keinen Dualismus voraus-
setzen, jedoch hätte die Rede von der transzendentalen Begründung der Refe-
renz gar keinen Sinn mehr, und gleichzeitig auch nicht die Rede von einem
Empirismus und Rationalismus. Es geht hingegen nicht darum – wie Trabant
anmerkt –, „den Relativismus zu hassen, sondern ihn in einem vernünftigen
Universalismus aufzuheben“.27 Dieser Universalismus ist Ergebnis eines trans-
zendentalen Arguments, bei dem die Schemata keinesfalls mit den Sprachen
gleichzusetzen sind. Insofern enthält der Schema-Begriff eine prozessuale Cha-
rakterisierung der Referenz.
Das ist meines Erachtens der Sinn der Schematismuslehre Kants, die das
Schema zur Bedingung der Entstehung von Bedeutung macht und zu Unrecht
bis heute für obskur, versteckt und widersprüchlich gehalten wird. Dabei wird
häufig unterstellt, Kant hätte sie nur auf den wenigen Seiten der Kritik der
reinen Vernunft behandelt und dann nicht weiter verfolgt. Meist wird über-
sehen, dass Kant bis in die letzten Jahre seines Lebens den Schematismus als
Kernpunkt seiner Philosophie angesehen hat.28 Schon in der Kritik der reinen
Vernunft macht er klar, dass der semantische Bezug zur Welt nicht ohne
Schematismus erfolgen kann. Ohne Schematismus ist streng genommen keine
Erkenntnis von Bedeutung möglich. Und genau das ist der Anknüpfungspunkt,
an dem ich die Schematismuslehre Kants aufgreifen möchte. Dabei geht es mir
nicht so sehr um ihre immanente Rekonstruktion, sondern primär darum, die
sprach- und erkenntnistheoretische Relevanz dieser Lehre in systematischer
Hinsicht hervorzuheben.
Im Zuge der Kopernikanischen Wende Kants wird das Schema mit dem
Problem der Darstellung einzelner Anschauungen und begrifflicher Merkmale
verbunden. Gerade dort, wo die Darstellung zum Problem wird, erweist sich die
grundlegende Funktion des Schemas als aufschlussreich. Wie schon gesehen, ist
im Schema-Begriff generell die Funktion der Vermittlung eines allgemeinen
Inhalts durch eine konkrete Gestalt enthalten. Diese Konkretisierung behandelt
Kant nun als Prozess der Vermittlung von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit,
dank der das abstrakte Allgemeine eine reelle Bedeutung annimmt. Die rein

27 Trabant 1998, S. 191.


28 Kant, AA XVIII, II: 686.
9
  Einleitung

logische Bedeutung der Begriffe – die ohne Schemata nur Funktionen sind –
kann sich daher nur in der Schematisierung realisieren: die Bedeutung kommt
ihnen zu durch „Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich
restringiert“.29
Der Schematismus wird somit als Synthesis zwischen Begrifflichkeit
und Sinnlichkeit eingeführt. Das Schema ist dabei als ein Versinnlichungspro-
zess zu verstehen, der hingegen nicht mit einem Verkörperungsprozess ver-
wechselt werden sollte. Ich möchte die Aktualität der Schematismuslehre Kants
dadurch stärker hervorheben, dass ich in ihr die genannte Gestaltungsfunktion
der Sinnlichkeit als eine Versinnlichung auslege. Unter Transzendentalphiloso-
phie werde ich dabei die allgemeine Frage der Bedingungen unserer syntheti-
schen Erkenntnis verstehen, ohne deshalb die Grenzen dieser Erkenntnis, ganz
im Sinne Kants, als Schranken anzusehen. In der Untersuchung der Schema-
tismuslehre werde ich insbesondere die Sphäre der anschaulichen Erkenntnis
mit der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen in Verbin-
dung bringen, die sich Kant zufolge jenseits der Erkenntnis im Reich der Sym-
bole, Metaphern, künstlerischen Ausdrücke und Zeichen bewegen. Dass die
Erkenntnis eine begrenztere Sphäre im Vergleich zum Denken und dem Gefühls-
ausdruck ist, wird von Kant selbst als Grundlage der Schematismuslehre voraus-
gesetzt, wenn er sie als Restriktionslehre einführt, durch die der Gebrauch der
Begrifflichkeit auf die Sinnlichkeit begrenzt und zur gleichen Zeit realisiert
wird. Diese Realisierung hat jedoch keine bloße Abbildfunktion; im Gegenteil
ist sie Bedingung der Bedeutung selbst, die im sinnlichen Gebrauch der Begriffe
entsteht. Hierbei ist das Schema als Bedingung der Entstehung von Bedeutung
fundamental, woraus sich die Frage ergibt, ob die Schematismuslehre tatsäch-
lich als transzendentale Lehre der gesamten Bedeutungserfahrung gelten kann.
Diese Frage sprengt unmittelbar den systematischen Rahmen der Schematis-
muslehre innerhalb der Kritik der reinen Vernunft, da sie die weiter­gehende
Frage aufwirft, was Bedeutung überhaupt ist. Somit gerät der Schematismus
ungewollt in Verbindung mit anderen Ebenen der Bedeutungserfahrung, die
zwar aus orthodoxer Sicht zu keiner Erkenntnis führen, sich jedoch trotzdem als
unentbehrlich erweisen – und sei es auch nur in regulativer Hinsicht. Ange-
sprochen sind etwa die Funktionen des symbolischen Denkens und die des
Gebrauchs von Zeichen und Metaphern für die Bildung der Begrifflichkeit und
der Strukturierung unserer Erkenntnis. Während innerhalb der Kantforschung
die allgemeine Problematik der Entstehung von Bedeutung oft auf die bloße
Rekonstruktion des Übergangs von den Deduktionen zu den Grundsätzen inner-
halb der Kritik der reinen Vernunft herabgesetzt wird, lassen sich außerhalb

29 Kant, KrV, B 187, A 147.


10
  Einleitung

dieser Tradition zahlreiche Versuche nachweisen, die Aktualität des Schema-


tismus für eine transzendentale Semantik hervorzuheben.

1. D ie t ra nszendent a le Sema nt i k
des Sc hemat ismus
Im Gebrauch erfolgt die Vermittlung von Bedeutung stets durch sinnliche
Gestalten, wie etwa durch die Wörter einer Sprache. Die Bedeutung erweist sich
somit im Gebrauch als sinnlich bedingt. Ohne ihre sinnliche Form könnte
Bedeutung schlechthin nicht vermittelt werden. Dass Bedeutung trotz Missver-
ständnissen im praktischen Gebrauch mitgeteilt werden kann, ist kein Grund,
nicht nach den Bedingungen dieses Gebrauchs selbst zu fragen. Eine pragmati-
sche Perspektive, welche die Bedeutung auf den Gebrauch zurückführt, kann
meines Erachtens die Bedingungen der Möglichkeit einer Bedeutung nicht ver-
stehen, die sich im Gebrauch realisiert, weil gerade diese Realisierung erklä-
rungsbedürftig bleibt. Die Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit von
Bedeutung erweist sich somit als Aufgabe einer Transzendentalphilosophie, die
aus der deskriptiven Untersuchung des Denkens heraus die Möglichkeit seiner
Entstehung zu erklären versucht.
Die gesamte Bedeutungserfahrung hat eine sinnliche Struktur, in der
unser Denken erscheint. Diese sinnliche Form ist nicht nur Träger von Bedeu-
tung, sondern impliziert deren aktive Gestaltung. Wir denken in Bildern und
Lauten, und diese sinnlichen Medien sind derart konstitutiv für unser Denken,
dass wir eigentlich oft direkt Bilder und Laute denken. Daher erscheint die Fra-
ge berechtigt, ob Bilder und Wortlaute nicht einfach nur als beliebige sinnliche
Ausgestaltungen unseres Denkens, sondern als spezifische Bedingungen des
Denkens zu bezeichnen sind, das sich notwendigerweise zwischen Bildern und
Wortlauten artikuliert. Daraus entsteht die systematische Frage, ob die Bedin-
gung dieser Artikulation nicht als eine transzendentale, zugleich aber sinnliche
Struktur der Bedeutung zu beschreiben ist.
Im vertrauten Gebrauch erscheint die Bedeutung zunächst als gegeben,
doch in der Tat kann sie erfunden, überliefert und transformiert werden. Die
Gegebenheit erweist sich jeweils dann als ein Konstrukt, wenn die Veränderbar-
keit der Bedeutung erfahren wird. Die Grenze zwischen Bedeutung und
Gebrauch ist sicherlich schwer zu fassen. Die Bedeutung eines Wortes oder eines
Bildes realisiert sich im konkreten Gebrauch, und sie kann in vielen Fällen
inhaltlich unterschiedlich bestimmt werden. Selbst wenn sie genau festgelegt
ist, scheint die Bedeutung von einer strukturellen Unbestimmtheit charakteri-
siert zu sein, die auch im Gebrauch nicht vollkommen aufgehoben wird. Wir
erleben alltäglich die provisorische Natur des begrifflichen Gebrauchs, indem
wir den Umfang unserer Begriffe erweitern, Neues dazulernen und eventuelle
11
  Einleitung

Missverständnisse aufklären. Die Sprache hat somit eine relative Bestimmtheit,


die dem gewöhnlichen, vertrauten und standardisierten Gebrauch sinnlicher
Gestalten (wie Bilder und Wörter) entspricht, jedoch nicht für immer festgelegt
ist, sondern im Gegenteil jeweils erfragt, verdeutlicht, geändert und revidiert
werden kann. Die Grenze zwischen Vertrautheit und Veränderbarkeit des
sprachlichen Gebrauchs zeigt sich am deutlichsten, wenn Kommunikation gelingt
oder scheitert, Übersetzungsschwierigkeiten auftreten oder neues Wissen ent-
steht. Wittgenstein behauptet, dass „für eine große Klasse von Fällen der Benut-
zung des Wortes ‚Bedeutung‘“ die Bedeutung eines Wortes „sein Gebrauch in
der Sprache“ ist.30 Demzufolge erkenne ich etwa, dass eine Farbe rot ist, weil ich
„Deutsch gelernt habe“.31 Und diese entscheidende Funktion des Gebrauchs gilt
nicht nur für die Erkenntnis von Wörtern, sondern ebenso für das Erkennen von
Bildern, Figuren oder körperlichen Bewegungen. Der Gebrauch ermöglicht,
dass die Bedeutung in konkreten Gestalten erkannt wird, und dazu ist es nötig,
über bestimmte Praktiken (wie eben das Erlernen einer Sprache) zu verfügen.
Doch zugleich lässt sich die Bestimmung von Bedeutung nicht allein auf diese
empirische Ebene des Gebrauchs reduzieren. Es bedarf daher einer grundsätzli-
chen Klärung des Verhältnisses zwischen Bedeutung und Gebrauch.
Nehmen wir das bereits erwähnte Beispiel, eine Farbe als rot zu erken-
nen. Kann die Bedeutung dieser Farbe allein auf die Tatsache zurückgeführt
werden, dass wir sie in der Praxis als rot erkennen, oder gibt es noch eine ande-
re Ebene der Bedeutung, die unseren Gebrauch vielleicht nicht unmittelbar
bestimmt, ihn aber in gewisser Weise prä-konstituiert und die somit als eine
Grundstruktur dieses Gebrauchs zu kennzeichnen ist, die nicht empirisch abge-
leitet werden kann? Eine Farbe kann primär durch Bilder exemplifiziert und
durch Wörter beschrieben werden, während sich andere Begriffe nur schwer
direkt durch Bilder darstellen lassen. Die Vielfalt der Abbilder und der Bilder ist
groß: Es gibt Begriffe wie Zahlen, die als ein Schriftzeichen, als einzelnes empi-
risches Bild oder als abstrakte arithmetische Regel zum Ausdruck gebracht
werden können. Und es gibt Begriffe, die in ihrer Komplexität schwer darstell-
bar sind – wie der Begriff ‚Kausalität‘–, weil ihre Allgemeinheit unter den par-
tikulären Charakter des Bildes gedrängt wird, das jedoch bloß eine Andeutung,
ein Beispiel für eine konventionelle Darstellung eines abstrakten Begriffes sein
kann. Und es gibt Begriffe, die bildlich konstruiert werden, wie im Fall eines
Dreiecks. Schließlich gibt es sogar Bilder, die eigentümliche Beispiele von sich

30 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (PU) 43: „Man kann für eine große
Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle
Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist
sein Gebrauch in der Sprache“.
31 Wittgenstein, PU 381: „Wie erkenne ich, dass diese Farbe Rot ist? – Eine Antwort
wäre: ‚Ich habe Deutsch gelernt‘“.
12
  Einleitung

selber sind: Landschaften, Gesichter, Kunstwerke. Bei allen diesen Beispielen


handelt es sich um eine Bedeutung ganz unterschiedlicher Art, die aber jeweils
durch sinnliche Gestalten zur Darstellung gelangt.
Die gegenseitige Nichtreduzierbarkeit von Gestaltung und Gebrauch
aufeinander spiegelt sich bei Kant darin wieder, dass der Schematismus nicht
auf die bildliche Darstellung reduziert werden kann. Kant bemerkt, dass es
unzweifelhaft Begriffe gibt, die leichter durch Bilder zur Darstellung gelangen
können, deren vermittelst der Schemata entstandene, allgemeine Bedeutung
selbst jedoch nicht auf Bilder reduziert werden kann. Die Bedeutung bildet sich
zwar im Gebrauch heraus, der aber von der sinnlichen Struktur bedingt wird,
womit der Schematismus letztlich die Methode der sinnlichen Artikulation des
Gebrauchs ist. Und diese Methode, die für Kant die Bedingung der Bedeutung
ist, übt eine Vermittlungsfunktion aus. Die Schematismuslehre kann daher als
Gestaltungslehre verstanden werden.
Die Frage ist nun, ob Bedeutung entweder immanent sprachlich oder
rein empirisch erklärt werden kann – oder ob ihre Erklärung auf eine grund-
legendere Ebene angewiesen ist, die beide vermittelt und so erst verständlich
werden lässt. Wird das Problem der sinnlichen Artikulation von Bedeutung
ausgeblendet, vereinfacht sich sicherlich die Analyse ihres Gebrauchs; gleich-
zeitig aber steigt damit die Gefahr, Bedeutung als schlicht gegeben vorauszuset-
zen – eine Gegebenheit, die entweder empirisch oder rein sprachlich verstanden
werden kann. So behauptet schon Josef Simon: „Nur solange sich die Frage nach
der Bedeutung nicht stellt, kann man pragmatisch davon ausgehen, dass Wörter
in jedem Gebrauch ‚dieselbe‘ Bedeutung haben“.32 Hinter der transzendentalen
Unterscheidung zwischen Bedeutung und Gebrauch steht die Annahme einer
transzendentalen Semantik als Untersuchung der Bedingungen der Möglich-
keit der Bedeutungsentstehung. Die vorliegende Untersuchung folgt insofern
dem Ansatz Hogrebes, als dieser die transzendentale Semantik einerseits von
der nicht-empirischen, logischen und andererseits zugleich von der empirischen,
linguistischen Semantik unterscheidet.33 Während die letzteren beiden von der
Gegebenheit der Bedeutung ausgehen, stellt die transzendentale Semantik gera-

32 Simon 2005, S. 23. Siehe auch Simon 2003, S. 561: „‚Das Gewöhnliche‘ der soge-
nannten normalen Sprache besteht darin, dass die Frage nach einer von den gege-
benen Zeichen verschiedenen Bedeutung sich ‚gewöhnlich‘ nicht stellt und nur
‚gelegentlich‘ gestellt werden muss. Die Philosophie beginnt, wo ‚etwas‘, z.B. der
Begriff der Vernunft, sich nicht mehr von selbst versteht“.
33 Ich möchte hier nur kurz an Hogrebes Kritik der empirischen Semantik erinnern
(1974. S. 76): „Denn jeder Versuch einer empirischen Semantik, dem Problem der
Intension empirisch durch Beobachtung des Sprachgebrauchs beizukommen, muss
notwendig scheitern, weil die Intensionalität von empirischen Intensionen sich
prinzipiell nicht durch Rückgang auf Intensionen desselben Intensionalitätscharak-
ters angehen lässt“.
13
  Einleitung

de deren Gegebenheit ausdrücklich in Frage. Die Frage nach den Bedingungen


ihres Entstehung- und Konstitutionsprozesses führt zu derjenigen nach dem
Status des Zeichens und im Allgemeinen nach dem Verhältnis zwischen Seman-
tik und Semiotik.34 Die Weise der Gegebenheit, wie sie in der Semiotik ange-
nommen wird, ist „das Eingangsproblem einer transzendentalen Semantik“,35
für die Bedeutung keine unhintergehbare Voraussetzung mehr ist. Die Frage
nach der Entstehung von Bedeutung, deren transzendentale Bedingung für
Kant im Schematismus zu suchen ist, impliziert daher diejenige nach den
semantischen Regeln des semiotischen Gebrauchs. Während Hogrebe die trans-
zendentale Semantik primär als Methode zur Behandlung des Konstitutions-
problems in der kantischen Philosophie ansieht und das konstitutive Prinzip
schließlich der ästhetischen Urteilskraft zuschreibt,36 besteht mein Vorhaben
darin, die Schematismuslehre als Theorie der Gestaltung von Bedeutung zu
erklären, die von Anfang an den Anspruch hat, eine transzendentale Theorie
der semantischen Gestaltung zu sein.37 Ausgangspunkt der Transzendentalphi-
losophie Kants ist gerade die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, denen mittels
des Schematismus Bedeutung verliehen wird, womit der Schematismus auf
mehreren Ebenen die Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit leistet.
Die vorliegende Einleitung dient entsprechend nicht primär einer Klärung der
allgemeinen Frage nach einer transzendentalen Semantik, sondern ihrer spezi-
fischen Entfaltung als einer transzendentalen Semantik des Schematismus.
Wenn hier zwischen Bedeutung und Gebrauch unterschieden wird, darf
dies nicht im Sinne einer Hypostasierung des semantischen Inhalts jenseits des
Gebrauchs verstanden werden. Wenn Frege ein ‚drittes Reich‘ von festen Bedeu-
tungen außerhalb der spezifischen Bedeutung (als Gegenstand des Ausdrucks)
und des Sinns (als des Ausdrucks selbst) annimmt, liegt darin meines Erachtens

34 Vgl. Hogrebe 1974, S. 80f.: „Somit kann die bedeutungsvolle Materialität von Zei-
chen als das wirkliche caput mortuum aller semiotischen Semantik, ja der Semiotik
überhaupt angesehen werden. Mithin ist auch die Frage beantwortet, ob Bedeutung
überhaupt im Rahmen der Semiotik zureichend bestimmt werden kann. Keines-
wegs. Vielmehr erweist sich die Semantik der allgemeinen Zeichentheorie als vor-
aussetzungsvolle Semantik eines schon als Etwas semantisch zugerichteten Etwas;
und sie bleibt auf diese semantische Zurichtung stets angewiesen, wenn Zeichen
unter den Bedingungen von ‚semantical rules‘ überhaupt als anwendbar auf Gegen-
stände oder Situationen gedacht sollen werden können“.
35 Hogrebe 1974, S. 81.
36 Siehe Hogrebe 1974, S. 117.
37 Dieser Aspekt wird von Hogrebe ausführlich hinsichtlich der Konstitution der
Erfahrung behandelt, siehe dazu 1974, S. 118–140. Gerade deswegen gehe ich hier
auch nicht weiter der Frage nach, ob die synthetischen Grundsätze der Erfahrung
die objektive Realität der Bedeutung gewährleisten können. Stattdessen soll die
Gestaltung selbst hinterfragt werden, die sich meines Erachtens nicht auf die
Bedeutungsart reduzieren lässt.
14
  Einleitung

der Versuch, die Bedeutung von ihren konkreten Darstellungen abzulösen und
somit den Gegenstand systematisch vom Sinn und von den Interpretations-
praktiken zu trennen.38 Dies ist ausdrücklich nicht die Richtung, in die ich
gehen möchte. Denn bei der Untersuchung der Bedeutung handelt es sich um
eine transzendentale sinnliche Strukturierung, die im Gebrauch immer schon
intentional zugerichtet ist. Die gesamte Bedeutungserfahrung artikuliert sich
durch sinnliche Gestalten, welche dazu dienen, unsere einzelnen Erfahrungen
zu konstituieren. Daraus folgt, dass es nicht einfach unterschiedliche, wenn
man will sogar unendlich viele Gebrauchsweisen gibt, sondern dass diese Viel-
falt eine transzendentale Strukturierung voraussetzt, welche die Bedeutung im
subjektiven Gebrauch bereits potentiell bestimmt. Der Gebrauch ist somit eine
Aktualisierung der Bedeutung, die ohne ihn lediglich potentiell bleiben würde.
Im Gebrauch der Sprache lässt sich eine weitere Auffassung der Bedeutung –
etwa in Anschluss an Humboldt als Denkstil – ausmachen, wie sie zum Beispiel
das Weltbild einer Einzelsprache prägt. Hierbei handelt es sich also nicht nur um
den Gebrauch des einzelnen Individuums, sondern einer gesamten Kultur, die
jene Sprache spricht. Wenn die Verschiedenheit der Sprachen eine Verschieden-
heit der Denkstile ist, lässt sich dies meines Erachtens gerade auf die sinnliche
Gestaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut zurückführen, wie sie
im Gebrauch erscheint. So ließe sich etwa erklären, warum einige Denkstile sich
stärker als andere auf den symbolischen Gebrauch von Bildern und Wortlauten
stützen – ohne damit eine Beurteilung vorzunehmen.39 Und trotz einer gewis-
sen Abhängigkeit vom gängigen Gebrauch einer Sprachgemeinschaft bleiben
wir in diesen Denkstilen nicht komplett befangen: so gibt es viele sinnliche
Schnittstellen, die Raum für relative Übersetzungen und Übertragungen eröff-
nen und somit eine Vermittlung von semantischen Sachverhalten ermöglichen.
Um die Entstehung von Bedeutung zu erklären, ist ein Prozess der Syn-
thesis anzunehmen, der keine Vermittlung zwischen etwas für sich Bestehen-
dem anzeigt, sondern als umfassender Gestaltungsprozess zu bestimmen ist.
Denn die Auffassung der Synthesis im Sinne einer Gestaltung ist transzenden-
talphilosophisch und muss von einem rein empirischen Verständnis der Syn-
thesis abgegrenzt werden. Ihr Unterschied kann meines Erachtens über eine
Kritik des Verkörperungsbegriffs erklärt werden. Dass unser Denken und Han-
deln immer verkörpert ist, beschreibt die Tatsache, dass unsere semantische
Erfahrung nicht von unserem Körper und von der Synästhesie unserer Wahr-

38 Eine ähnliche Kritik wird auch von Abel (1999, S. 75f.) in Bezug auf die Interpreta-
tionstheorie der Referenz vorgebracht.
39 Gerade aus der Frage nach dieser Denkdifferenz entstand meines Erachtens die gro-
ße Faszination Heideggers für die japanische Denkart des Wortes ‚Sprache‘, die im
Text ‚Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem
Fragenden‘ (GA, 12) hervortritt.
15
  Einleitung

nehmung zu trennen ist. Diese Verkörperung kann jedoch nicht als ein neu-
trales physiologisches Instrument unseres Denkens verstanden werden, sie
bleibt immer kulturell eingebunden. Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen
analysiert die Transzendentalphilosophie diese Synthesis anhand gedanklicher
Unterscheidungen und versucht so, ihr gesamtes Potential ans Licht zu bringen.
Sie schafft somit überhaupt erst die Voraussetzungen der Rede von einer Ver-
körperung. Eine Revision der Schematismuslehre im Sinne einer Theorie der Ver-
sinnlichung kann dazu beitragen, diese Voraussetzungen explizit zu machen.
Die vorliegende Untersuchung stellt somit den Versuch dar, ausgehend
von der kantischen Schematismuslehre die Transzendentalphilosophie als eine
Versinnlichungslehre der Bedeutungserfahrung aufzuzeigen. Dabei wird es
insbesondere darum gehen, eine prozessuale Dimension der Sinnlichkeit
herauszuarbeiten, die Bedingung der Artikulation der Bedeutungserfahrung
zwischen bildlichen und diskursiven Bestimmungen ist. Der Schematismus ist
bei Kant die transzendentale Bedingung der Entstehung von Bedeutung. Ohne
diesen Prozess kann die Begrifflichkeit keinen Gebrauch haben und keiner Rea-
lität entsprechen. Dieser Synthesisprozess, in dem Begrifflichkeit und Sinnlich-
keit heuristisch unterschieden werden, ist nicht nur Bedingung der Herstellung
des semantischen Bezugs zur Realität, sondern auch Methode der Gestaltung
dieses semantischen Bezugs. Das erlaubt es Kant, die entscheidende Differenzie-
rung zwischen Bild, Figur und transzendentalem Begriff einzuführen, indem er
den drei Weisen des sinnlichen Gebrauchs von Begriffen drei unterschiedliche
Arten von Schemata zuordnet: Die empirischen Begriffe können mit Bildern,
die sinnlichen Begriffe mit konstruierten Figuren und die transzendentalen
Begriffe nur durch Wörter dargestellt werden. Die Gemeinsamkeit dieser drei
Arten von Begriffen ist ihre Synthetisierung in der Zeit, die Kant vor allem in
den anthropologischen Schriften mit der diskursiven Funktion der Zeichen in
Verbindung bringt.
Die Gestaltung der Schemata ist bestimmend, weil ihre Begriffe eine
direkte Entsprechung in den Anschauungen haben können, während alle
Begriffe, denen dies nicht möglich ist, sich nur indirekt darstellen lassen. Diese
andere Art der Darstellung verfährt daher durch Analogie. Sie wird von Kant
als symbolisch bezeichnet und von der bloßen Bezeichnung abgegrenzt. Schon
aus diesen einführenden Worten lässt sich ablesen, dass die Darstellungstheorie
Kants nicht von den Anschauungen absehen kann, welche die eigentlichen sinn-
lichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung sind, die – direkt oder indirekt
– insgesamt als Versinnlichung zu bezeichnen ist.
Mit der Auslegung als Versinnlichungslehre geht zugleich eine Umge-
staltung der Schematismuslehre einher, die durch die Revision ihrer systematischen
Stellung bei Maimon, Hamann, Herder, Humboldt und Hegel vorgenommen
wird, von denen sie mit symbolischen, bezeichnenden, expressiven und sprach-
16
  Einleitung

lichen Funktionen versehen wird. Der prozessuale Charakter des Schematismus


zeigt sich insbesondere an der ausdrücklichen Einführung der Sprache und dem
Interesse an der imaginativen Kraft von Denk- und Kunstprozessen unter Kants
Nachfolgern. Diese Versuche – insbesondere die Metakritik Herders, die Sprach-
philosophie Humboldts und die Psychologie Hegels – können als Reaktionen auf
interne Erfordernisse der kantischen Philosophie aufgefasst werden, welche im
Keim schon eine Versinnlichungslehre impliziert, die in der Folge sprachlich
und ästhetisch ausgebaut werden konnte. Wenn diese Versuche hier rekonstru-
iert werden, dann handelt es sich dabei nicht um eine historische, sondern um
eine dezidiert erkenntnistheoretische Herangehensweise, die gleichwohl auf-
deckt, wie der Schematismus in der Philosophiegeschichte verschiedentlich auf-
taucht, ohne jedoch je in seinem systematischen Potential ausgeschöpft zu wer-
den. Das muss als Grund dafür gelten, warum der Schematismus bis heute
primär mit Kant verbunden wird, während der Schema-Begriff in ganz unter-
schiedlichen Zusammenhängen thematisch wird, ohne je die Weite des kanti-
schen Schematismus zu erreichen.

2. Au f bau der Unter suc hu ng


Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil ist auf die Schema-
tismuslehre fokussiert, wie Kant sie in der Kritik der reinen Vernunft skizziert,
in der Kritik der Urteilskraft von der symbolischen Darstellung abgrenzt und
in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht in Bezug auf die Sinnlichkeit
und die Bezeichnung ergänzt. Der Versuch, bei Kant eine transzendentale
Schematismuslehre zu rekonstruieren, versteht sich jedoch nicht primär als ein
dem kantischen Werk internes Unterfangen, sondern zielt darauf, das in der
Konzeption des Schematismus enthaltene sprach- und erkenntnistheoretische
Potential freizulegen. Somit wird die systematische Stelle des Schematismus
nicht so sehr mit Blick auf die Architektonik Kants, sondern auf die systemati-
sche Frage nach der Bedingung der Artikulation von Bedeutung beleuchtet. Bei
Kant wird diese Frage in der Kritik der reinen Vernunft dort eingeführt, wo er
die sinnliche Bedingung der Begrifflichkeit einem Erkenntnisprozess zuordnet,
durch den sich Erfahrung strukturiert, und dabei eine transzendentale Gestal-
tung der Erfahrung umreißt, die sich zwischen Bildern und Begriffen artiku-
liert und nicht vom Gebrauch absehen kann. Die Ebene des Erkennens ist dabei
von der angrenzenden Ebene des Symbols zu unterscheiden, auf der keine direk-
te, sondern eine lediglich indirekte sinnliche Darstellung erfolgt, die dazu dient,
das Denken zu versinnlichen. Sowohl die direkte als auch die indirekte Dar-
stellung beschreibt Kant als Versinnlichung und unterscheidet sie vom Bezeich-
nungsvermögen, dem die Funktion zugeordnet wird, das diskursive Denken
17
  Einleitung

durch Zeichen zu begleiten, damit die Begriffe ins Gedächtnis gerufen werden
können.
Die ersten fünf Kapitel sind dem Schematismus im Erkenntnisvermögen
gewidmet. Hier werde ich zeigen, wie ausgehend von der Schematismuslehre
Kants dessen Erkenntnistheorie umstrukturiert werden kann. Diejenigen
Aspekte, die meines Erachtens mittels der Schematismuslehre verdeutlicht wer-
den können, sind erstens die isolierende Methode (Kap. I), die in der Unter-
suchung der Erkenntnisvermögen angewandt werden kann, und zweitens die in
dieser enthaltene Auffassung der Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit ist entsprechend
als eine spezifische Gestaltungsfunktion aufzufassen, die ich durch die Einfüh-
rung des Versinnlichungsbegriffs erklären und vom Verkörperungsbegriff
abgrenzen möchte (Kap. II). Der Schematismus betrifft nur die sinnliche Gestal-
tung von Bedeutung, in der eine klare Trennlinie zwischen Bild, konstruierter
Figur und Wortlaut gezogen werden kann. Diese Aspekte lassen sich anhand
einer Versinnlichungslehre erklären, in der sich die Bedeutung zwischen Bild
und Wort erstreckt und dabei die unterschiedlichen Methoden der Figuration
und Verlautlichung einbezieht, die sich an der transzendentalen Funktion der
Sinne zeigen (Kap. III). Der Schematismus ist ein Vermögen der Urteilskraft,
d.h. ein Vermögen der Anwendung von Regeln, die inhaltlich nicht vorgegeben
sind (Kap. IV). Die Begrifflichkeit kann, wie zu zeigen sein wird, nicht vom
sinnlichen Gebrauch absehen, der sich in einen empirischen, einen rein sinn-
lichen und einen kategorialen untergliedert. Durch die schematische Synthesis
ergibt sich bei Kant eine dreifache Strukturierung der Schemata als empirische,
rein sinnliche und reine, die Kant wiederum mit den spezifischen Gestalten des
Begriffs, der Figur und des Bildes verbindet (Kap. V).
Die zwei weiteren Kapitel des ersten Teils sind der genannten indirekten
(symbolischen) Darstellung (Kap. VI) und der Bezeichnung (Kap. VII) gewid-
met. Es gilt hier vor allem zu klären, ob Kant diese Vermögen vom Schematis-
mus getrennt hält oder ob das Schema umgekehrt etwa auf das Symbol oder das
Zeichen reduziert werden kann. Was die symbolische Darstellung angeht, so ist
sie eine nur indirekte Darstellung, die eine Analogie zwischen einer Idee und
einem sinnlichen Begriff und somit eine Übertragung von sinnlichen, erkenn-
baren Eigenschaften auf die Idee ermöglicht, die an sich nicht empirisch ist.
Diese symbolische Darstellung bedient sich indirekt der Sinnlichkeit zum Aus-
druck von Ideen und Gefühlen, obwohl diese für Kant eine angemessene Ent-
sprechung weder in der sinnlichen Erfahrung noch in der begrifflichen Bestim-
mung erreichen können. Es ist folglich bei Kant von einer dreifach gegliederten
Versinnlichungslehre auszugehen, in der zwischen einer schematischen, einer
symbolischen und einer expressiven Darstellung unterschieden werden kann.
Ihr Zusammenhang mit der Schematismuslehre besteht darin, dass es in letzte-
rer auch um die Frage nach der Genese der Begriffe geht, die bei genauerem
18
  Einleitung

Hinsehen einen Bildungsprozess erfordert, der symbolische Ausdrücke und


Übertragungen von Begriffen impliziert. Auf der sich damit ergebenden Ebene
einer Metabegrifflichkeit, der die Kategorien zugeordnet werden können, ist
schließlich auf das Bezeichnungsvermögen einzugehen. Es zeigt sich dabei, dass
die Zeichen die Begriffe nicht nur begleiten, sondern durch ihren Verlautli-
chungsprozess die Begriffe überhaupt erst konstituieren.
Die Untersuchung der symbolischen und expressiven Darstellung und
schließlich der Funktion der Bezeichnung in der Begriffsbildung dient gerade
dazu, die offenen Probleme des Schematismus klarer zu definieren. Es geht folg-
lich um die transzendentale Aufgabe, eine systematische Lehre der Gestaltungs-
funktion der Sinnlichkeit zu entwickeln, die nicht nur die empirische Erfah-
rung, sondern die gesamte Erfahrung umfasst. Ich möchte diese erweiterte
Form der Erfahrung als gesamte Bedeutungserfahrung bezeichnen, womit aus-
drücklich auch die Erfahrung semantischer Bezüge angesprochen ist, die nicht
in der empirischen Welt erfahrbar sind. Diese Erweiterung des Erfahrungs-
Begriffs bedeutet jedoch nicht, dass Kants kritische Unterscheidung zwischen
Erkenntnis, Denken und Ausdruck von Gefühlen schlicht eingeebnet werden
soll; im Gegenteil wird sie auf diese Weise noch verstärkt, weil sie über das
Kriterium des unterschiedlichen transzendentalen Gebrauchs der Begriffe
begründet wird. Diese Rekonstruktion der Schematismuslehre als Theorie der
Versinnlichung kann meines Erachtens bei Kant selbst ausgemacht werden,
zeigt aber zugleich den Versuch an, sie weiterzudenken. Und diese Umgestal-
tung lässt sich in erster Linie an den metakritischen Revisionsversuchen in der
unmittelbaren Nachfolge Kants ablesen, welche gewissermaßen die System-
stelle des Schematismus weiterentwickeln.
Der zweite Teil ist dieser Umgestaltung der Systemstelle des Schema-
tismus in der Nachfolge Kants gewidmet. Wenn ich von Systemstelle spreche,
dann deshalb, weil die anvisierte Umgestaltung sich häufig nicht direkt auf den
Schematismus bezieht, sondern den Gedanken einer jetzt insbesondere sprach-
lich aufgefassten Synthesis verschiedentlich weiterentwickelt. Insgesamt gese-
hen bestimmen jedoch die problematischen Aspekte der Schematismuslehre
Kants zunächst ihre Rezeption. Die Versuche, sich produktiv mit ihr auseinan-
derzusetzen, werden von der Kant-Forschung im engeren Sinne zu Unrecht
häufig ausgeblendet, obwohl sich an ihnen viel über die internen Spannungen,
offenen Probleme und das systematische Potential von Kants Philosophie lernen
lässt. Dieses Potential kann meiner Meinung nach heute nur auf der Grundlage
eben jener Erweiterung und teilweise Revision seiner Schematismuslehre in der
Nachfolge ausgeschöpft werden. Damit sind die Ansätze von Maimon, Hamann,
Herder, Humboldt und Hegel angesprochen, die sich kritisch auf die mit dem
Schema angezeigte Systemstelle beziehen. Die Hauptthemen dieser Umgestal-
tung der Schematismuslehre sind der fiktionale Charakter der Begrifflichkeit,
19
  Einleitung

die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit sowie die Erweiterung der Funktion


der Einbildungskraft, der Sprache, der symbolischen Erkenntnis und der Zei-
chen in der Gestaltung des Denkens und schließlich die Betonung der kogniti-
ven Leistung des Gebrauchs und des Lernens in der Begriffsbildung.
Die erste der hier untersuchten Umgestaltungen der kantischen Phi-
losophie ist die von Salomon Maimon (Kap. I), der einen rationalistischen Dog-
matismus mit einem empirischen Skeptizismus verbindet. Die Erweiterung der
Dimension des Denkens geht für ihn mit einer Auffassung der Realität einher,
die sich sukzessive von der Voraussetzung der Gegebenheit der Erfahrung
emanzipiert. Die Realität erscheint insofern als ein Gemachtes und kann im
Unterschied zu Kant auch Ideen zugesprochen werden, welche eine unendliche
Annäherung implizieren, die Maimon mit der symbolischen Erkenntnis in Ver-
bindung bringt, um daraus eine Lehre der gedichteten Begriffe zu entwickeln,
deren Realität allein durch den unendlichen Verstand gesichert ist. Trotz des
starken Gewichts, das Maimon der konstruktiven Einbildungskraft und den
symbolischen Prozessen verleiht, werde ich seine Reduktion der Sinnlichkeit
auf rationale Bestimmungen hinterfragen und zeigen, dass sie zu keiner Begrün-
dung der prozessualen Bedingungen des endlichen Denkens führen kann.
Die Metakritik Hamanns (Kap. II) bringt eine eigentümliche, tief sinn-
liche Materialität der Sprache zum Ausdruck, die jedoch im Unterschied zu
Maimon theologisch begründet wird. Maimon und Hamann stellen meines
Erachtens zwei Seiten eines Denkens dar, das – nach Maimon formaliter und
nach Hamann materialiter – von einer symbolischen Rationalität geprägt ist.
Die symbolische Rationalität wird jedoch in beiden Fällen nicht über die dem
Denken eigene Prozessualität allein begründet. So gesehen stellen beide Ansät-
ze eine spezifische Überschreitung derjenigen Grenzen des kritischen Denkens
dar, die laut Kant für die transzendentale Perspektive wesentlich sind.
Herder dagegen entwirft eine Metakritik des Schematismus, in welcher
die Transformation vom Bild zum Begriff gerade über die Bestimmung der
sinnlichen Gestaltung geschaffen wird (Kap. III). So verbindet Herder die
Ansätze Hamanns und Kants miteinander, indem er die Materialität der Emp-
findung in den Gestaltungsprozess der Reflexion miteinbezieht. Und trotzdem
erreicht diese Reflexion als Gestaltungsprozess nicht die Ebene des Symbolisch-
Transzendentalen, sondern wird von Herder vor allem auf die Kunst und das
Gefühl bezogen. Auch der Ansatz Humboldts (Kap. IV) ist von einem dezidiert
sprachlichen Interesse motiviert, jedoch zugleich von einer Immanenz geprägt,
die sich daran ablesen lässt, dass Sinnlichkeit und Spontaneität in der Sprache
selbst vereinigt werden, die sich durch das Wort zwischen Bild und Zeichen
artikuliert. Der Fokus liegt damit auf der das Denken strukturierenden Tätig-
keit der Sprache. Diese Tätigkeit wird schließlich zum Hauptinteresse Hegels
(Kap. V): sie bildet den Kern seines Geistbegriffs, dessen Bewegtheit zugleich als
20
  Einleitung

eminent sprachlich erscheint. All diese Ansätze setzen sich demnach auf unter-
schiedliche Weise mit dem Problem der Spontaneität des Denkens in dem Ver-
such auseinander, diese zu begründen und bis in ihre sinnlichen Gestaltungen
hinein zu verfolgen.
Der dritte Teil zeichnet den letzten Schritt der Umgestaltung der kanti-
schen Schematismuslehre nach, indem die im zweiten Teil dargestellte, meta-
kritische Umgestaltung insgesamt auf den Versinnlichungsbegriff bezogen und
somit erneut mit der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants konfrontiert wird.
Dabei wird sich zeigen, dass die transzendentale Bedeutung der Versinnlichung
ihre Wurzeln in Kants Sinnlichkeitslehre hat, wie sie insbesondere von Herder
und Hegel umgestaltet und von Humboldt noch in sprachlicher Hinsicht ergänzt
wird. Die bereits erwähnte Abgrenzung des Versinnlichungsbegriffs vom
Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff soll in diesem
Zusammenhang erneut thematisch und unter Rückgriff auf die Ästhesiologie
Plessners systematisch präzisiert werden (Kap. I). Die Untersuchung wird zei-
gen, inwiefern der Versinnlichungsbegriff dazu geeignet ist, als transzendenta-
le Bedingung der Verkörperung zu gelten.
Im Anschluss daran (Kap. II) soll mein eigenes Verständnis des Schema-
tismus als transzendentale Versinnlichung präsentiert werden, welche die Arti-
kulation unserer gesamten Bedeutungserfahrung durch Gestalten und Gestal-
tungsprozesse umfasst. Gestalten sind darin reine Formfunktionen, die ich in
Bilder, Figuren und Laute unterscheiden möchte. Die Gestaltungsprozesse hin-
gegen betreffen transzendentale Gebrauchsweisen, die ich als zeichenhaft, sym-
bolisierend und ausdrückend kennzeichne. Am Ende wird sich die Versinnlichung
als die eigentliche transzendentale Bedingung aller Arten der Verkörperung
erweisen, die als intentional wahrgenommene oder hervorgebrachte Synästhe-
sien immer kulturell bedingt und somit relativ bleiben.

3. For sc hu ngsst a nd u nd Me t ho d i k
Der Debatte um das Schema und den Schematismus fehlt es bis heute an einer
systematischen und historischen Untersuchung, die sie abgesehen von ihren
verstreuten Verwendungen innerhalb der Philosophiegeschichte als systemati-
sche Grundbegriffe rekonstruiert. Ihre historische Entwicklung lässt sich in
groben Zügen den entsprechenden Lexika entnehmen.40 Zur Verwendung in der
Antike ist insbesondere auf die bereits genannte, wegweisende Arbeit von Maria

40 Vgl. insbesondere den Eintrag im Historischen Wörterbuch der Philosophie von


Stegmaier und Hermann (1992).
21
  Einleitung

Luisa Catoni zu verweisen, die zugleich Anlass für eine Wiederbelebung der
Debatte um den Schema-Begriff vornehmlich im Kontext der Bildtheorie war.41
Die Untersuchung steht vor der Aufgabe, die Aktualität der Schematis-
muslehre Kants herauszustellen, indem das Schema als prozessuale Bedingung
der Entstehung und Darstellung von Bedeutung erwiesen wird. Prozessual
heißt dabei, dass es nicht lediglich um die Vermittlung zwischen zwei getrenn-
ten Vermögen geht, sondern sich Bedeutung in diesem Prozess überhaupt erst
realisiert. Die Aktualität besteht – so lautet die Grundthese – darin, dass das
Schema als Prozess der Versinnlichung interpretiert werden kann, in dem sich
Bedeutung zwischen Bildern und Begriffen im Gebrauch artikuliert. Damit
wird insbesondere seine produktive Funktion in der Strukturierung der Bedeu-
tung hervorgehoben.42
Die Interpretation des Schematismus als Versinnlichungsprozess der
gesamten Bedeutungserfahrung geht auf eine Revision der Schematismuslehre
Kants zurück. Der damit verfolgte Ansatz versteht sich von Beginn an als eine
durchaus kritische Würdigung der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants. Es
geht nicht primär um eine minutiöse Rekonstruktion, sondern um eine Umge-
staltung, die sich jedoch weiterhin der transzendentalphilosophischen Perspek-
tive verpflichtet weiß. Eines sollte bereits jetzt deutlich geworden sein: Es wird
nicht primär um eine Untersuchung der Schematismuslehre als systematischer
Schnittstelle in der Kritik der reinen Vernunft gehen. Stattdessen wird der Blick
auf den Gesamtzusammenhang der kantischen Transzendentalphilosophie
gerichtet, die in der Kritik der reinen Vernunft ihr Fundament hat.
Ich möchte also genau dort beginnen, wo viele Untersuchungen der
Kantforschung enden, und zwar an der systematischen Stelle, die vielen als die
unschlüssigste und rätselhafteste Stelle der Philosophie Kants gilt. Daraus folgt
zugleich, dass ich mich bei diesem Unterfangen auf Forschungslinien berufe, die
über eine rein immanente Interpretation des kantischen Werks in dem Interesse
hinausgehen, die spezifisch semantische und semiotische Kraft des Schematis-
mus herauszustellen. Dabei fällt auf, dass beide Traditionslinien im Wesentlichen
nebeneinander existieren, ohne miteinander ins Gespräch gekommen zu sein.
Und sie sind in der Tat auf den ersten Blick schlecht zu vereinbaren, weil sie aus

41 Siehe Catoni 2004 und 2005. Zum Schema-Begriff in der Antike siehe auch Celen-
tano/Chiron/Noël 2004. Zur Bedeutung des Schema-Begriffs für die Bildakt-Theo-
rie siehe Bredekamp 2010, S. 104.
42 Aus diesem Gesichtspunkt werden in Heideggers Interpretation des Schematismus
gerade die poietischen Aspekte des Versinnlichungsprozess und weniger die
Betrachtung des Bildes für das Sein in den Vordergrund gestellt. Die vorliegende
Interpretation der sinnlichen Gestaltungen des Schematismus erfolgt daher eher
im Horizont der Deutung Cassirers.
22
  Einleitung

unterschiedlichen Motivationen heraus agieren und über divergierende Kom-


petenzen verfügen.
Die Kantforschung hat sich bis auf wenige Ausnahmen darauf beschränkt,
die Fäden der Schematismuslehre innerhalb des Werkes in philologischer Detail-
arbeit zusammenzuführen. Obwohl eine allgemeine Systematik des Schema-
tismus aus heutiger Sicht weiterhin als Desiderat zu gelten hat, liegen selbstver-
ständlich zahlreiche Untersuchungen im Kontext der kantischen Philosophie
vor, vor deren Hintergrund die Begriffe des Schemas und des Schematismus
nicht selten als exklusive Probleme der Kantforschung erscheinen und zudem
im Anschluss an Kants eigene Bemerkungen zugleich als ausgesprochen dunkel
gelten. Innerhalb der Kantforschung sind die mit Abstand meisten Arbeiten
daher systemarchitektonischen Überlegungen zum Status der Schematismus-
Lehre in Kants Werk gewidmet.43 Weitere Schwerpunkte bilden das Verhältnis
zwischen Einbildungskraft, Bild und Begriff;44 die Funktion der Sprache und der
Zeichen im Schematismus;45 sowie schließlich die Beziehung von Nicht-Kon-
zeptualismus und Konzeptualismus.46 Trotzdem sind auch bedeutende Beiträge
zur Entwicklung einer transzendentalen Semantik im Anschluss an die kanti-
sche Schematismus-Konzeption geleistet worden, unter denen vor allem Wolf-
ram Hogrebes Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik zu
nennen ist.47
Gewissermaßen quer zur Kantforschung liegt eine Forschungstradition,
die den Schematismus ausgehend von seiner Revision im Rahmen der postkan-
tischen Philosophie untersucht. Diese Arbeit ist methodisch von der Philosophie
Ernst Cassirers inspiriert; insbesondere seine Wiederentdeckung und Aktuali-
sierung der Philosophie Humboldts, Herders und Maimons in der Sprach- und
Erkenntnistheorie ist ein Wegweiser für den Versuch, die Schematismuslehre
Kants zu re-aktualisieren. Seine Hervorhebung des kritischen Wertes der von
diesen Denkern entwickelten Revisionen der Philosophie Kants, vor allem in
Bezug auf die Sprache und auf die Funktion der Sinnlichkeit für den prozessua-
len Charakter des Denkens, ist daher ein ständiger Querbezug dieser Arbeit.
Dabei steht insbesondere die Funktion der Sprache und der Zeichen als ein offe-
nes Problem im Vordergrund, das Kant seinen Nachfolgern vererbt.

43 Vgl. Chiodi 1961, Chipman 1972, Pippin 1976, Obergfell 1985, Guyer 1987, Longue-
nesse 1998, Ameriks 2000 und Aportone 2009.
44 Zur Einbildungskraft siehe Mörchen 1930, Gibbons 1994, Düsing 1995 und Mak-
kreel 1997. Zum Bild siehe Bennett 1987 und Haag 2007.
45 Siehe dazu Lamacchia 1970 und 1972, Riedel 1976, Schönrich 1981, Villers 1997, La
Rocca 2003 und Capozzi 2012.
46 Vgl. Heidemann 2004, Hanna 2005 und Grüne 2009.
47 Hogrebe 1974. Vgl. auch Brandi 1960 (2010), Kaulbach 1968, Butts 1969, Garroni
1979, Eco 2000, Simon 2003, Fortuna 2005 und Formigari 2007.
23
  Einleitung

Vertreter dieser Traditionslinie finden sich insbesondere in der deutsch-


sprachigen und in der italienischen Forschung.48 Einen Überblick gibt der zuletzt
von Ulrich Gaier und Ralf Simon herausgegebene Sammelband Zwischen Bild
und Begriff: Kant und Herder zum Schema.49 Obwohl den Exponenten dieser
Tradition das Verdienst zugerechnet werden sollte, einen kritischen Umgang
mit den systematischen Fragen des Schematismus etabliert zu haben, laufen
diesbezügliche Untersuchungen nicht selten wiederum Gefahr, die transzen-
dentalphilosophische Tragweite des Schematismus gerade bei Kant in den Hin-
tergrund zu rücken, indem sie die behandelten Sachthemen aus ihrer Veranke-
rung in dessen Epistemologie herauslösen. Zwar finden sich in den meisten der
angeführten Arbeiten Verweise auf verschiedene Aspekte des Schematismus,
meist aber ohne dessen gesamten Umfang zu berücksichtigen.
Beide Forschungstraditionen haben wie gesagt nur bedingt kompatible
Interessen. Erstere stellt sich selten die Frage nach der Aktualität der Transzen-
dentalphilosophie Kants und hält an Kants kritischen Unterscheidungen fest,
die zweite hingegen geht freier mit ihnen um und bezieht sich nicht zuletzt auf
die Revisions- und Überwindungsversuche in der unmittelbaren Nachfolge
Kants. Erstere möchte möglichst nah am Text bleiben, um den Text wieder zum
Leben zu erwecken; die zweite denkt, dass der Text gerade lebt, indem er mit
guten Gründen tradiert wird. Die erste respektiert den Text so sehr, dass sie
darüber ihren eigenen systematischen Ansatz verliert, die zweite interpretiert
den Text ausgehend von Problemen der Gegenwart. Die erste hält ihre Inter-
pretation aktuell für den Text; die zweite stellt sich die Frage nach der Aktualität
ihrer eigenen Interpretation. Die erste kann große Philologie sein, die zweite
große Philosophie werden. Und da die textuellen Bezüge auf den Schematismus
bei Kant begrenzt sind, war dem Schematismus bei den Vertretern der ersten
Tradition oft ein nur kurzes Leben beschieden, während er bei denen der zwei-
ten fortlebt.
Diese beiden Interpretationswege sind hier nur als Grenzdimensionen zu
verstehen, weil es in der Tat einige Vermittlungsversuche gibt, die den Primär-
texten treu bleiben und trotzdem eine systematische Fragestellung verfolgen.
Diese Versuche über die Schematismuslehre sind für die vorliegende Arbeit die
wichtigsten Bezugspunkte. Parallel zu diesen verwende ich gleichzeitig die phi-
lologische Forschung für die Analyse der einzelnen Textstellen, ohne dabei
jedoch extensiv auf die unterschiedlichen Strömungen einzugehen, die aus sys-
tematischer Sicht von nachrangigem Interesse sind. Ich beziehe mich nicht nur

48 Siehe dazu Simon 1966, Gessinger 1994, Di Cesare 1996, Trabant 1998 und 2012,
Bayer 2002, Bertram 2006, Borsche 2006 und 2010, Formigari 2007, Stetter 2010
und Forster 2012.
49 Siehe Gaier und Simon 2010.
24
  Einleitung

und nicht hauptsächlich auf den Schematismus, wie er in der Kantforschung im


engeren Sinne vorkommt. Die Diskussion letzterer findet sich primär in den
Fußnoten und ist als Vertiefung der internen Probleme des kantischen Werkes
zu verstehen. Die Arbeit versucht, ein Gleichgewicht zwischen diesen zwei
Interpretationsstrategien zu finden, indem sie die Schematismuslehre soweit
philologisch auslegt, dass aus den Texten systematische Probleme hervorgehen,
die in der Folge mit und ohne Kant behandelt werden können.
Insgesamt zielt meine Untersuchung jedoch darauf, die philosophische
Relevanz des Schematismus aus heutiger Sicht herauszustellen und bezieht sich
vornehmlich auf Forschungsbeiträge, die entweder aus historischer oder aus
systematischer Sicht an der Umgestaltung der Schematismuslehre interessiert
sind. Die Arbeit wendet aus diesem Grund eine integrative Methode an, die
darauf abzielt, die verschiedenartigen Lesarten des Schematismus zur Kenntnis
zu nehmen und systematisch aufeinander zu beziehen. Ihr originärer Beitrag
zur Forschung soll darin bestehen, die Relevanz des Schematismus als Ver-
sinnlichung für die Sprach- und Erkenntnistheorie herauszustellen. Die hier
vorgeschlagene Lesart des Schematismus als einer Theorie der Versinnlichung
kann sich ebenfalls lediglich bedingt auf direkte Vorarbeiten stützen. So hat
Dirk Oschmann Untersuchungen zum Begriff der Versinnlichung des 18. Jahr-
hunderts vorgelegt, deren Fokus allerdings auf der Literaturtheorie dieser Zeit
liegt.50 Was hingegen gänzlich fehlt, sind Überlegungen zum Verhältnis von
Versinnlichung und Verkörperung – und zwar sowohl in Bezug auf Kant,51 als
auch im Kontext der gegenwärtigen Theorien des Embodiment.52

50 Siehe Oschmann 2002 und 2007. Zum Versinnlichungsbegriff bei Kant siehe Gasché
1994 und 2003.
51 Zum Verkörperungsbegriff bei Kant siehe Shell 1996, Svare 2006 und Nuzzo 2008.
52 Insbesondere wird der Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff
in Betracht gezogen, die sich in ihrer kognitiven Semantik explizit auf Kant bezie-
hen. Siehe Johnson 1980 und zusammen mit Lakoff 1987 und 1999.
D ie S chematismuslehre
im L ichte K ants
Der Schema-Begriff erfährt bekanntlich seine erste und ausführlichste Behand-
lung in der Kritik der reinen Vernunft, ohne dabei ein Unikum in Kants Schrif-
ten zu bleiben, in denen das Problem des Schemas eine weitere Entwicklung und
Spezifikation erhält. Noch im berühmten Entwurf zu einem Brief an Tieftrunk
von 1797 bemerkt Kant: „Überhaupt ist der Schematism[us] einer der schwie-
rigsten Punkte […]. Ich halte dieses Kapitel für eines der wichtigsten“.1 Trotz
dieser Bemerkung finden sich neben dem kurzen Passus der Kritik der reinen
Vernunft insgesamt wenige ausdrückliche Hinweise auf die systematische
Funktion des Schematismus. Was in der Folge vielen – denken wir etwa an Her-
der, Heidegger, Cassirer – und offenbar auch Kant selbst als Kernstück seiner
Transzendentalphilosophie gilt,2 soll hier jedoch nicht anhand ihrer Rekon-
struktion behandelt, sondern umgekehrt als Dispositiv verwendet werden, um
die Transzendentalphilosophie so umstrukturieren zu können, dass der Schema-
tismus als Theorie der gesamten Bedeutungserfahrung gelesen werden kann.
Viele Aspekte des Schematismus hat Kant nicht erschöpfend behandelt.
Trotzdem ist unzweifelhaft, dass dieser in der Kritik der reinen Vernunft skiz-
zierte Prozess für Kant die Entstehung von Bedeutung umfasst. Meines Erach-
tens hat Kant als einziger in der Geschichte der Philosophie den Schematismus
als systematische Bedingung für die Entstehung und Artikulation von Bedeu-
tung angesehen, womit er zugleich die Bedingungen von Begrifflichkeit und
Sinnlichkeit grundsätzlich hinterfragt. Dem Schema wird in dieser Arbeit eine
systematische Funktion zugeschrieben, die Kant später in der Kritik der prakti-
schen Vernunft, der Kritik der Urteilskraft sowie in der Anthropologie durch

1 Kant, AA XVIII: 686.


2 Heidegger geht in Kant und das Problem der Metaphysik (GA, 3, S. 89) sogar so
weit zu sagen, dass die elf Seiten des Schematismus-Kapitels „das Kernstück des
ganzen umfangreichen Werkes ausmachen müssen“.
28
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Abgrenzungen zu anderen Vermögen des Denkens weiter spezifiziert, indem er


sie von der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen unter-
scheidet.
Die folgende Interpretation des Schematismus-Kapitels soll deshalb nicht
allein die internen Probleme der Kritik der reinen Vernunft behandeln, sondern
zugleich die Erweiterungen in den Blick nehmen, die der Schematismus insbeson-
dere in der Kritik der Urteilskraft und in den anthropologischen Schriften
erfährt. In beiden wird die Schematismuslehre auf andere Ebenen der Bedeu-
tungserfahrung bezogen. Diese Erweiterung ist jedoch, wie ich zeigen möchte,
in der ursprünglichen Formulierung des Schematismus bereits angelegt, inso-
fern in ihr Probleme, die die sinnliche Erfahrung und die Bildung von Begriffen
betreffen, offengelegt werden, die eine symbolische, semiotische und sprach-
liche Erweiterung nahelegen.
Der Schematismus ist für Kant die transzendentale Bedingung der Syn-
thesis von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit und stellt den Kern seiner Erkennt-
nistheorie dar, insofern das Schema als Vermittler zwischen Begriffen und reinen
Anschauungen die Entstehung einer auf die Erfahrung beziehbaren Bedeutung
als direkter Darstellung von Begriffen ermöglicht. Die Bedeutung ist jedoch
auch in der direkten Darstellung nicht einfach vorgegeben, sondern realisiert
sich im Zuge der Schematisierung zwischen den zwei Polen des Begriffs und der
Anschauung. Die Bestandteile dieses Prozesses – die unserer heuristischen Aus-
legung als Koordinaten dienen – sind nach Kant der Verstand und die Sinnlich-
keit. Das Problem des Schemas nun entspringt gerade im Zusammenhang mit
der kantischen Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit als zwei
radikal verschiedenen Vermögen, die keinesfalls aufeinander reduziert werden
können und daher ein ‚Drittes‘ erfordern, um vermittelt werden zu können.
Damit das Schema die Funktion der Vermittlung ausüben und die Anwendung
der Begriffe auf die Erscheinungen ermöglichen kann, muss es mit beiden Ver-
mögen homogen sein.3
Der Schematismus eröffnet insofern eine prozessuale Dimension der
Bedeutung, die sich nicht einfach ihrer sinnlichen Darstellung anpasst, sondern
sich in ihr erst konstituiert. Es handelt sich um einen produktiven und synthe-
tischen Prozess, der sich zwischen der abstrakten (begrifflichen) Bestimmung
und der konkreten (anschaulichen) Mannigfaltigkeit artikuliert: „Diese Syn-
thesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a priori möglich und
notwendig ist, kann figürlich (synthesis speciosa) genannt werden“.4 Hierin

3 In der Reflexion 5612 (AA XVIII: 253) zur Metaphysik bemerkt Kant in Bezug auf
die Handlungen der Vernunft, das Wort ‚Erscheinung‘ bedeute an sich schon Sche-
ma. Für den Hinweis auf diese Reflexion danke ich Mirella Capozzi.
4 Kant, KrV, B 151.
29
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

zeigt sich eine transzendentale Semantik, die als Konsequenz der kopernika-
nischen Wende angesehen werden kann, nach welcher es nicht die Anschauung
ist, die sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten muss, sondern der
zufolge der wahrgenommene Gegenstand selbst gemäß der Beschaffenheit unse-
res Anschauungsvermögens gestaltet wird, ohne deshalb rein subjektiv zu sein.5
Das synthetische Potential des Denkens wird so zur bewegenden Kraft des
Erkenntnisprozesses, in dem der Gegenstand gleichzeitig species und figura,
Begriff und Gestalt ist. Die Erkenntnis ist somit versinnlichende und gleichzei-
tig versinnlichte Gestaltung des Denkens.
Wenn Kant von ‚figürlicher Synthesis‘ redet, handelt es sich wohlgemerkt
nicht um diejenige symbolische Erkenntnis, die Lambert im Neuen Organon
auch als „figürlich“ bestimmt, „und zwar vornehmlich in so fern die Zeichen,
wodurch sie vorgestellt wird, sichtbar oder Figuren sind“.6 Trotz Lamberts Fest-
stellung des zweideutigen Charakters des Figürlichen, das auch Metaphern und
Worte von abstrakten Begriffen kennzeichnet, ist Kants Bestimmung der Syn-
thesis als figürlich nicht mit der indirekten Zurschaustellung der Begriffe zu
verwechseln. Denn der Schematismus agiert zunächst nicht symbolisch, d.h. er
ist keine bloß indirekte Darstellung, die eine Vorstellung zur Sichtbarkeit bringt,
sondern primär eine direkte Darstellung, die die Vorstellung selbst gestaltet und
dadurch erst ermöglicht – was wiederum nicht bedeutet, dass diese Darstellung
ein bloß subjektives Produkt der Vorstellung ist, das den Anspruch auf objektive
Realität nicht erfüllen kann.7 Im Schematismus erfolgt die Darstellung im
Bereich des anschaulich Bestimmbaren. Es handelt sich um eine subjektive
Bedeutung, die sich dennoch in Anschauungen als möglich, als wirklich und als
notwendig beweisen lässt, und mithin um eine Bedeutung, die eine direkte Dar-
stellung in der anschaulichen Realität haben kann, die von einer indirekten
Darstellung unterschieden werden sollte, der eine direkte Entsprechung in den
sinnlichen Anschauungen fehlt.

5 Es handelt sich um eine Paraphrasierung der Stelle aus der Vorrede zur zweiten
Auflage der KrV (B XVIf.).
6 Lambert, NO, II, S. 473f. (§22).
7 Hans Lenk (2001, S. 18) zufolge ist Kant die Einführung des Schema-Begriffs zu
verdanken: „Es war Kant, der in seiner Kritik der reinen Vernunft den Schemabe-
griff in die Erkenntnistheorie einbrachte. Und zwar sah er in dem Schemabegriff
bzw. in der Funktion von Schemata des Verstandes die mögliche Verbindung zwi-
schen der Sinnesrezeption, der Sinneswahrnehmung (genauer: der reinen Formen
und Gestalten) einerseits und begrifflicher Erfahrung andererseits; Sinneswahr-
nehmung wird durch eine schematische, besser: schemagebundene oder schemati-
sierende, Strukturierung und eine entsprechende – bei Kant insbesondere zeitliche
– Deutung von dem Material, das in den Sinnen vorliegt, zur Erkenntnis gebracht“.
Vgl. auch Bahr (2004, S. 177): „Das kritische Unternehmen Kants beginnt da, wo
Darstellung zum Problem wird“.
30
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Sinnlichkeit ist gerade die zwischen der Erkenntnis und dem Denken
bestehende Grenze, welche die Erkenntnis und das Denken folgendermaßen
voneinander unterscheidet: das Feld der Erkenntnis wird genau dann überschrit-
ten, wenn eine sinnliche Anwendung der gedachten Begriffe nicht möglich ist.
Die Sinnlichkeit stellt eine Restriktion der Anwendung der Kategorien dar, die
als logische Funktionen sowohl vom Verstand (als Kategorien) als auch von der
Vernunft (als Ideen) verwendet werden. Nur diejenige Erkenntnis aber, die
einen Bezug auf die Sinnlichkeit hat, kann den Anspruch auf objektive Realität
erheben. Im Gegensatz dazu bilden Begriffe, Urteile und Schlüsse, die diesen
Bezug nicht aufweisen, die viel weitere Region des Denkens, die im weitesten
Sinne Domäne der Vernunft ist. Ohne Bezug zu einem Gegenstand ist keine
bestimmende, sondern lediglich eine symbolische Darstellung möglich, die durch
Analogie erfolgt.
Wenn sich das Schema als Bedeutung mit Anschauung und Begriff
erweist, dann ist die Idee als eine (begriffliche) Bedeutung ohne (direkte)
Anschau­ung anzusehen und das Gefühl als (intuitive) Bedeutung ohne Begriff.8
Dementsprechend ist die gesamte Bedeutungserfahrung bei Kant durch Schema-
ta, Ideen und Gefühle charakterisiert, während die Darstellung in eine schema-
tische, eine symbolische und eine schematische ohne Begriff unterschieden
werden kann. Die schematische Darstellung ist eine direkte Darstellung der
Begriffe durch die Anschauungen und die Subsumption dieser unter erstere.
Die symbolische Darstellung verbindet bestimmte Kenntnisse analogisch, um
eine Idee oder ein subjektives Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Die Schema-
tisierung ohne Begriff ist schließlich ein rein sinnlicher Ausdruck, der ohne
Begriffe erfolgt. Ohne die symbolische Darstellung aber würde sich die Bedeu-
tung nur auf die bekannten Begriffe und Anschauungen beziehen. Die Analogie
ermöglicht dagegen die Darstellung neuer Denkbestimmungen, die nicht empi-
risch gegeben sind, weshalb sie auch die Problematik der Kreativität umfasst,
die sich der erkennenden Regulierung entzieht. Wollte man diesen Komplex als
eine Theorie der Darstellung auffassen, so würde sie sich auf die gesamte Bedeu-
tungserfahrung beziehen. Die Darstellungsweisen (schematische, symbolische
und schematische ohne Begriff) umreißen die Semantik Kants und sind von der
Ebene der Bezeichnung zu unterscheiden, bei der es primär um das Verhältnis
zwischen Begriffen und Zeichen und im weitesten Sinne um das Verhältnis von
Darstellung und Ausdruck geht. Diese Unterscheidungen werden jeweils in den
nächsten Kapiteln in Betracht gezogen, um das Potential und gleichzeitig die
problematischen Aspekte zu erklären, die eine Darstellungslehre mit sich bringt,
in der der Schematismus als eine Ebene der Darstellung gedeutet wird – und
zwar als die Ebene der Erkenntnis, auf der eine direkte Verbindung zwischen

8 Hogrebe 1974, S. 124.


31
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Begriffen und Anschauungen erzeugt wird, die von anderen Ebenen der Bedeu-
tungserfahrung zu unterscheiden sein wird. Diese Überlegung gilt es im Fol-
genden schrittweise zu entwickeln in der Überzeugung, dass die Interpretation
zunächst des Schematismus, dann der symbolischen Darstellung und schließ-
lich der Bezeichnung eine Reihe von Aspekten und Problemen freilegt, welche
im Schematismus-Kapitel nur angedeutet werden.9
Wenn also der Schematismus in gewisser Hinsicht eine Antwort auf die
transzendentale Frage der Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit
darstellt, impliziert ihre Erweiterung auf die symbolische und sprachliche
Dimension des Denkens eine Transformation der transzendentalen Frage nach
der Vermittlung selbst. Vermittlung wird so zur Versinnlichung als dem Pro-
zess der Entstehung von Bedeutung.
Dieser erste Teil der Untersuchung ist der Schematismuslehre im gesamten
Werk Kants gewidmet, mit besonderer Aufmerksamkeit auf ihre sprach- und
erkenntnistheoretischen Implikationen. Die ersten Kapitel (I bis V) beschrän-
ken sich auf den Schematismus im Erkenntnisvermögen, wie Kant ihn in der
Kritik der reinen Vernunft behandelt. Das Kapitel VI wird dagegen die sym-
bolische Darstellung als eine Ebene des Denkens ‚jenseits‘ der direkten sinn-
lichen Darstellung der Begriffe untersuchen. Und das Kapitel VII wird schließ-
lich kurz auf die Unterscheidung zwischen Darstellung und Bezeichnung
eingehen.

9 Vgl. Cassirer, ECW, 17, S. 240f.


I . D er S chematismus
im E rkenntnisverm ö gen

In der Kritik der reinen Vernunft leistet der Schematismus die Vermittlung
zwischen den zwei heterogenen Vermögen des Verstandes und der Sinnlichkeit,
die im Erkenntnisprozess zwar immer schon zusammenwirken, jedoch auf
transzendentaler Ebene als getrennte untersucht werden. Die schematische
Bestimmung betrifft, wie bereits erwähnt, nicht das Denken im Allgemeinen,
sondern nur eine besondere Region desselben, die Kant als Erkenntnis kenn-
zeichnet. Schematisiert werden nur Begriffe, die mit den Anschauungen syn-
thetisiert werden können. Diese Synthesis ist jedoch nicht nur empirisch, son-
dern betrifft auch Begriffe, die keine direkte Entsprechung in den empirischen
Anschauungen haben – wie etwa die Kategorien, die mit den reinen Anschau-
ungen synthetisiert werden. Die im Schematismus entstehende Bedeutung
umfasst also die Darstellung und Subsumption des gesamten Bereichs des
Sinnlichen, d.h. aller Sachverhalte, die in Zeit und Raum möglich sind.
Bei Kant ist das Schema die systematische Bedingung für die Entstehung
von Bedeutung, welche in den unterschiedlichen Vermögen von Sinnlichkeit
und Verstand ihr Fundament hat.10 Verstand und Sinnlichkeit ergänzen sich
gegenseitig, und erst ihre Synthesis ermöglicht die Erkenntnis eines Gegen-
standes. Daher „haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkennt-
nisse der Dinge, als nur so fern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung
angenommen werden“.11 Dieser Aspekt wird auch in §34 der Prolegomena von

10 Siehe Kant, KrV, B 145–146. Zweifellos ist hier auch an folgende, berühmte Behaup-
tung Kants zu denken (B 76f., A 52): „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegen-
stand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt
sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“.
11 Kant, KrV, B 148. Vgl. auch B 166: „Wir können uns keinen Gegenstand denken,
ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne
durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen. Nun sind alle unsere
Anschauungen sinnlich, und diese Erkenntnis, so fern der Gegenstand derselben
33
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Kant zusammenfasst, der betont, dass „die Sinne nicht die reinen Verstandes-
begriffe in concreto, sondern nur das Schema zum Gebrauche derselben in die
Hand geben“, und es „über das Feld der Sinnlichkeit hinaus ganz und gar keine
Anschauung gibt, jenen reinen Begriffen es ganz und gar an Bedeutung fehle,
in dem sie durch kein Mittel in concreto können dargestellt werden“.12 Erkenntnis
besteht entsprechend heuristisch aus zwei Bestandteilen: Begriff und Anschau-
ung; und ohne Vermittlung zwischen ihnen entsteht nach Kant keine auf die
Erfahrung beziehbare Bedeutung, also keine Erkenntnis.13
Diese Erkenntnis ist dennoch in keinerlei Weise als bloße adaequatio
zwischen Anschauung und Vorstellung anzusehen, d.h. als vollständig abbil-
dende Wiedergabe der sinnlichen Mannigfaltigkeit. Im Gegenteil erhält diese
Mannigfaltigkeit erst im Prozess der schematischen Erfahrung eine erkennbare
Bedeutung. Die spezifische Funktion des Schemas erschließt sich erst, wenn
sowohl von einer physiologischen Auffassung der Sinnlichkeit als auch von
einer rein fiktionalen und instrumentellen Auffassung der Begrifflichkeit
Abstand genommen wird, wie Adorno treffend ausdrückt: „Der Begriff muss in
gewisser Weise nach dem Anschauungsmaterial sich richten. Er darf es nicht
zurichten; er darf nicht willkürlich damit verfahren, sondern er muss selber so
beschaffen sein, dass er in einem gewissen Sinn dem entspricht“.14
Die Hypostasierung entweder der Begriffe oder der Sinnesdaten redu-
ziert den Schematismus dagegen von vornherein auf ein mechanisches und
statisches Verfahren der Vermittlung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlich-
keit, d.h. auf eine bloße Prozedur, in der die Bedeutung in einem gewissen Sinn
schon von der Seite der Begrifflichkeit oder Sinnlichkeit vorgeschrieben ist. Der
Schematismus jedoch – so die hier vertretene Interpretation – dient gerade dazu,
diese Polarisierung zu vermeiden und daher die Entgegensetzung zwischen
Empirismus und Rationalismus zu überwinden: Die Erkenntnis kann nämlich
weder bloße Wiedergabe der Sinnesdaten noch reine Projektion einer fiktiven
Begrifflichkeit sein. Im Gegenteil ist die Erkenntnis bei Kant deshalb produktiv,
weil sie eine besondere Dimension des Synthetischen darstellt, das mit den
Worten Adornos auch als das ‚Nichttautologische‘ bezeichnet werden kann, als
„der Gedanke, dass die Erkenntnis mehr erkennen soll als eigentlich bloß sich
selbst“.15 Dass dieser Gedanke sich bei Kant rekonstruieren lässt, bedeutet hin-

gegeben ist, ist empirisch. Empirische Erkenntnis aber ist Erfahrung. Folglich ist
uns keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich von Gegenständen möglicher
Erfahrung“.
12 Kant, AA IV: 316f.
13 Kant, KrV, B 147: „Sich einen Gegenstand denken, und einen Gegenstand erken-
nen, ist also nicht einerlei“.
14 Adorno 1959, S. 199.
15 Adorno 1959, S. 197.
34
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

gegen nicht, er sei bei ihm unproblematisch. Im Gegensatz dazu bedarf es einer
eingehenden Reflexion auf die Bedingungen der Entstehung synthetischen
Wissens, aus dem Bedeutung entsteht. Die synthetische Aktivität des Erken-
nens hat demnach als produktiv, aber nicht als schöpferisch zu gelten und soll es
gerade ermöglichen, die Realität interpretieren zu können, ohne sie dabei auf
eine rein subjektive Fiktion zu reduzieren. Die leitende Frage des Schematismus
ist meines Erachtens die, inwieweit den unterschiedlichen Konkretisierungen der
Bedeutung ein allgemeiner Prozess zugrunde liegt: Können sie auf einen rein
empirischen oder rein logischen Beweis zurückgeführt werden? Diese Frage greift
zugleich auf die Unterscheidung zwischen Empirismus und Rationalismus
zurück, die Kant in ihrer Ausschließlichkeit überwinden möchte. Der Schema-
tismus lässt sich in dieser Lesart nicht auf die Funktion einschränken, lediglich
Begriffe mit Sinnesdaten zu verbinden, sondern er stellt die Regel dieser Ver­
bindung dar.16 Daher ist genauer die prozessuale Bedingung der Bedeutung zu
untersuchen, die Begriffe überhaupt erst realisiert und die Sinnesdaten in
Erkenntnisse transformiert. Das Schema erweist sich damit als Vollzugsform.17 Es
erscheint als die Grundstruktur der Erkenntnis und ihre spezifische Grundregel.
Die Grundelemente, die sich heuristisch trennen lassen, sind die Dimen-
sion der Begrifflichkeit als abstrakte Funktion der begrifflichen Bestimmung
sowie die Dimension der Sinnlichkeit, in der die Sinnesdaten empfunden wer-
den. Erst im Schematismus aber können die Sinnesdaten von der reinen Emp-
findung zur Wahrnehmung gelangen und können die Begriffe in concreto
angewendet werden – so grenzt Kant die schematische Darstellung von solchen
Empfindungen ab, die bloß subjektiv bleiben, keine direkte Entsprechung in den
Begriffen haben und daher als Gefühle bezeichnet werden. In diesem Sinne ist
der Schematismus ein Prozess der Bestimmung und der Restriktion zugleich, in
dem die Bedeutung auf einige Bedingungen eingeschränkt wird, welche tat-
sächlich in den Anschauungen ein Korrelat haben.

16 Alberto Peruzzi betont, Kant gelinge es mit der Schematismuslehre, zwei entschei-
dende Fehler zu vermeiden: der erste bestehe in der Auffassung der Denkprozesse
als begriffliche Kalküle; der zweite in der Interpretation derselben als ein Assozia-
tionsnetz: „In quanto mediati da schemi, i concetti non sono entità autonome di
un’ontologia formale, ma non sono neppure una somma di ‚rappresentazioni’ sog-
gettiva che si sedimenta per induzione“ (2004, S. 577).
17 Friedrich Kaulbach bezeichnet das Schema als eine Vollzugsform und dabei ist es
ihm gelungen, die bewegende Kraft des Schemas zu beschreiben, dem er nichtsde-
stotrotz eine ontologische (und keine funktionale) Rolle zuschreibt. So ist bei ihm
die Rede von einem ontologischen Verhältnis zwischen Begriff und Bild, das er auf
die Auffassung von der gefesselten Natur bei Kant bezieht. Die Bewegung des
Schemas geht auf diese Weise eher in die Richtung einer Vorschrift als in die eines
Schreibens, womit die Interpretation Gefahr läuft, den Schematismus zu ontologi-
sieren und so dessen funktionale und produktive Bestimmung zu unterlaufen. Vgl.
Kaulbach 1973, S. 109–111.
35
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Ohne die Schematisierung würden sowohl die Begriffe als auch die Sin-
nesdaten keine Bedeutung haben. Das grundlegende Problem des Schematismus
ist es, die Heterogenität dieser Bestandteile nicht aufzuheben, sondern die
Bedingung ihrer Verbindung transzendental zu erörtern. Ihnen liegen mit den
Kategorien einerseits, sowie Raum und Zeit andererseits jeweils reine Formen
zugrunde. Seit der Dissertatio ist der Schema-Begriff bei Kant eng mit dem
Problem der Bestimmung der Sinnlichkeit verbunden und deutliches Kennzei-
chen der kopernikanischen Wende, die eine Gleichstellung von Sinnlichkeit und
Verstand impliziert.18
Die Vermittlung von Begriffen und Anschauungen hat mehrere Ebenen,
die ich kurz einführen möchte, um den Rahmen der einzelnen Schemata bei
Kant zu verdeutlichen, bevor dann der Schematismus allgemein als Bedingung
dieser sinnlichen Erfahrung untersucht werden kann.19 Im Schematismus kön-
nen drei Ebenen unterschieden werden: eine empirische, eine rein sinnliche und
eine kategoriale. Die empirische Ebene betrifft Begriffe, die in den Anschau-
ungen zu einer empirischen Darstellung gelangen und unter die empirische
Anschauungen subsumiert werden können. Hiermit ist der empirische Gebrauch
von Begriffen angesprochen, die durch Bilder artikuliert werden können. Die
zweite, rein sinnliche Ebene umfasst Begriffe wie zum Beispiel den eines Drei-
ecks, die in den Anschauungen konstruiert werden können. Die Konstruktion
stellt dabei eine vollkommene Entsprechung zwischen Begriff und Anschauung
her und entspricht in erster Linie der Methode der Mathematik. Wir werden
jedoch sehen, inwiefern diese Konstruktion nicht nur die geometrische Figur,
sondern auch das Schriftzeichen charakterisiert, das als konstruierte Gestalt zur
schriftlichen Bezeichnung gelten kann. Die dritte, kategoriale Ebene betrifft
hingegen die Schematisierung der reinen Begriffe. In ihrem Fall entfaltet sich
der transzendentale Prozess der Synthesis zwischen Kategorien und reinen

18 Die Frage nach dem Schema entsteht schon in den vorkritischen Schriften Kants.
Der Schema-Begriff taucht zum ersten Mal in Nova Dilucidatio (1755) auf, wo er
für das „Schema intellectus divini“ (AA I: 414) steht, d.h. für das Schema des gött-
lichen Verstandes, der die Koexistenz und Verbindung der Substanzen gewährlei-
stet. In der Dissertatio (1770) dann wird der Schema-Begriff in unterschiedlicher
Bedeutung verwendet: In §4 wird das Schema mit einem Schattenriß (adumbratio)
gleichgesetzt (AA II: 393). In §13 (AA II: 398) hingegen werden die Schemata auf
Zeit und Raum als Formen der Sinnlichkeit bezogen, die als Schemata und Bedin-
gungen beschrieben werden: „Haec principia formalia universi phaenomeni abso-
lute prima, catholica et cuiuslibet praeterea in cognitione humana sensitivi quasi
schemata et conditiones, bina esse, tempus et spatium, iam demonstrabo“. An die-
ser Stelle wird somit zum ersten Mal die Verbindung zwischen den Schemata und
den reinen Formen der Anschauungen hergestellt.
19 Die Untersuchung einzelner Schemata wird in Kap.V ausgeführt.
36
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Anschauungen. Dieser Prozess ist die eigentliche Bedingung der Erfahrung und
der Realisierung der Begrifflichkeit selbst.
Die drei Ebenen stellen mithin unterschiedliche Arten der Schematisie-
rung dar, die sich zwar alle als Synthesis der Begrifflichkeit und Sinnlichkeit in
einem Dritten erweisen, trotzdem aber als drei verschiedene Schematisierungs-
prozesse zu beschreiben sind. Denn Kant führt den Schematismus als das erste
Hauptstück der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft ein, „welches von
der sinnlichen Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffen
allein gebraucht werden können“,20 und daher primär die Anwendung der Kate-
gorien auf Anschauungen und die Subsumption der letzteren unter die ersteren
betrifft. Hierin folgen wir dem internen Leitfaden der Kritik der reinen Vernunft,
der die isolierte Untersuchung der Sinnlichkeit und der Kategorien sowie die
Beschreibung ihrer Verbindung anzeigt. Aus dieser Vermittlung werden dieje-
nigen Grundsätze der Erfahrung bestimmt, welche synthetische Urteile a prio-
ri sind und aus denen sich andere Urteile herleiten lassen, die „selbst aber kei-
nem anderen subordiniert werden können“. Gerade wegen dieses ursprünglichen
Charakters können sie nach Kant „Prinzipien (Anfänge)“ genannt werden.21 Die
Schemata reiner Verstandesbegriffe stellen damit die Grundlage für den Über-
gang zwischen den Kategorien und den Grundsätzen dar, die als Bedingungen
der Erfahrung die objektive Realität der Synthesis zwischen Kategorien und
reinen Anschauungen gewährleisten.
Die Schematismuslehre umfasst aber ebenso sinnliche und empirische
Begriffe, die nicht in gleicher Weise heterogen sind wie Verstandesbegriffe und
Anschauungen. Die Schemata sinnlicher und empirischer Begriffe sind weder
überflüssig noch gänzlich unproblematisch, sondern gerade deshalb von heraus-
ragendem Interesse, weil sie eine Systematik der Begriffsbildung erkennen lassen,
die von Kant im eigentlichen Schematismus-Kapitel jedoch lediglich angedeutet
wird. Sie rücken dann in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn die Bedingun-
gen der Erfahrung in Beziehung gesetzt werden zu Problemen der Sprach- und
Erkenntnistheorie – und vor allem zu der Konzeption eines semantischen Pro-
zesses, der das Problem der Bestimmtheit als solcher in der Erfahrung zum
Thema hat.22 Damit wird zwar der engere Bereich synthetischer Urteile a priori
und der Grundsätze verlassen, nicht jedoch die Sphäre eines synthetischen
Erkenntnisprozesses, der die Gestaltung von Bedeutung sowie die Anwendung
und Subsumption jeder Art von Begriffen umfasst. Es wird also die These ver-
treten, dass jede Art der Schematisierung einen semantischen Prozess beschreibt

20 Kant, KrV, B 175, A 136.


21 Kant, AA IX: 172.
22 Insbesondere Flach (2001, S. 464–473) hat die kantische Schematismuslehre in
Bezug auf das Thema der Gesetzmäßigkeit der Natur interpretiert.
37
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

und dieser daher nicht auf die Anwendung nur der Kategorien reduziert werden
kann, die für Kant vermeintlich die Kernproblematik des Schematismus-Kapitels
darstellt.23
Die Unterscheidung der drei Ebenen der Schematisierung hängt eng
zusammen mit der Unterscheidung unterschiedlicher Arten von Begriffen, die
Kant in der Logik Jäsche erörtert, in der er es als Fehler bezeichnet, die Begriffe
in allgemeine, besondere und einzelne einzuteilen; Begriffe seien vielmehr per
definitionem allgemein: „nicht die Begriffe selbst[,] nur ihr Gebrauch kann so
eingetheilt werden“.24 Doch bereits innerhalb der Kritik der reinen Vernunft ist
die Frage nach der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen
„die Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig
macht“.25 Und es ist gerade dieser Gebrauch, der die Verstandesbegriffe seman-
tisch realisiert.
Die Frage nach der Heterogenität zwischen Begriffen und Erscheinun-
gen wird von Kant auf zweierlei Weise beantwortet: die erste Antwort betrifft
das Vermögen der Urteilskraft, die das Wie der Subsumption ermöglicht; die
zweite betrifft die Methode selbst, die durch ein Drittes verfährt, „was einer-
seits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit
stehen muss, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht“.26
Das Schema als ‚Drittes‘, das Kant als das transzendentale Schema bezeichnet,
ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: es muss rein (was für Kant „ohne alles
Empirische“ bedeutet), intellektuell und sinnlich sein.27 Dass das Schema nicht-
empirisch, aber zugleich sinnlich sein soll, ist dabei der zentrale Punkt, der Kants
Ansatz noch heute erkenntnistheoretisch relevant erscheinen lässt und im Mit-
telpunkt der nun folgenden Untersuchung des Schematismus stehen soll. Kant,
so die Vermutung, erkennt zwar den irreduziblen Charakter von Sinnlichkeit
und Begrifflichkeit, ohne dabei jedoch das Problem der Bedeutungsgebung zu
einem eigenständigen Thema zu machen.
Das Schema ist nicht als ein Konkretes in der Erfahrung zu finden, ist
aber mit der Sinnlichkeit, d.h. mit der sinnlichen Dimension der Erkenntnis ver-

23 Vgl. Pendlebury (1995, S. 780): „The question of how intuitions can be subsumed
under categories raises the more general question of how they can be subsumed
under concepts of any type. […] The truth is that Kant rightly thinks that the sub-
sumption of intuitions under categories is more problematic than their subsump-
tion under mathematical and ordinary empirical concepts“.
24 Kant, AA IX: 91. Die Spezifizierung der Begriffe ihrem Gebrauch nach wird später
noch Gegenstand einer ausführlicheren Analyse anhand der Unterschiede zwi-
schen den einzelnen Schemata sein. Siehe unten, Kap. V.
25 Kant, KrV, B 177, A 138.
26 Ebd.
27 Kant, KrV, B 178f., A 139.
38
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

bunden und hat daher einen anschaulichen Charakter.28 Es lässt sich durchaus in
Wahrnehmungsprozessen erkennen – was hingegen nicht bedeutet, dass es für
etwas empirisch Gegebenes gehalten werden dürfte. Vielmehr stellt es auf näher
zu bestimmende Weise die Bedingungen der Artikulation und Gestaltung von
Bedeutung dar, die als gegeben erscheinen kann, jedoch genau genommen in
Wahrnehmungsprozessen jeweils erst erzeugt wird. Ebenso kann die Unter-
scheidung zwischen reinen, sinnlichen und empirischen Begriffen als gegeben
erscheinen, obwohl sie sich letztlich auf ihre jeweilige Schematisierung zurück-
führen lässt. Auf das Spannungsverhältnis zwischen Gegebenheit und Gemacht-
Sein der Begriffe wird noch häufiger zurückzukommen sein.
Der empirische Gebrauch von Begriffen, die für Kant von Wörtern
begleitet werden, wird von ihm nicht geleugnet und mit dem Begriff der Bedeu-
tung in Verbindung gebracht, wenn er etwa in Bezug auf §445 der Vernunft-
lehre Meiers anmerkt: „Der […] gewöhnliche Gebrauch bestimmt die Bedeutung
der Worte“.29 Das Schema aber entspricht wohlgemerkt nicht dem gewöhnlichen
Gebrauch, sondern steht für dessen transzendentale Strukturierung.30 Denn der
Gebrauch der Begriffe durch Worte bedarf einer schematischen Gestaltung, die,
sofern sie die Bedingungen des Gebrauchs anzeigt, als transzen­dental bezeich-
net werden muss. Diese transzendentale schematische Strukturierung ermög-
licht somit die Artikulation der Bedeutung von sinnlichen Gestalten wie Bildern
und Wortlauten im Gebrauch. Innerhalb dieser transzendentalen Strukturie-
rung möchte ich die Funktion der Sinnlichkeit hervorheben, die ­meines Erach-
tens bei Kant nicht nur eine rezeptive, sondern auch eine aktive Funktion hat
und nicht empirisch herzuleiten ist.
Diese aktive Funktion der Sinnlichkeit wird von Kant insbesondere auf
die Vermittlungsfunktion der Zeit bezogen. Das Schema ist primär eine Zeit-
bestimmung, die sich als „die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inne-
ren Sinnes“ als einerseits intellektuell und andererseits sinnlich erweist.31 Durch

28 Mit den Worten von Josef Simon ausgedrückt (1971, S. 30): „Der kantische tran-
szendentalphilosophische Ansatz kann durchaus als Versuch gesehen werden, die
Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer ‚Bedeutung‘ als Möglichkeit des Bezuges
auf einen Gegenstand von einem universalen Gesichtspunkt aus zu bestimmen
wäre“.
29 Kant, AA XVI: 818f. (R 3409): „Der [bekannte] gewöhnliche Gebrauch bestimmt
die Bedeutung der Worte. Man muß keine eigne Bedeutungen alter Worte, auch
nicht neue Worte statt alter aufbringen. Verba valent sicut numi; a nomos: Gesetz“.
Zum Vergleich zwischen Kants Bemerkung und dem Satz Baumgartens, nach dem
„verba valent sicut nummi“, siehe Capozzi 2002, S. 510.
30 Vgl. Aportone 2009, S. 328: „Das Schema verändert oder bestimmt nicht den
Begriff, sondern gehört zu ihm als Verfahren seiner Anwendung bzw. Bestimmung
seiner Bedingungen“.
31 Kant, KrV, B 178f., A 139.
39
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

die Befreiung aus der Unterwerfung unter den Verstand bei Leibniz und Wolff,
die Kant vornimmt, ergibt sich eine eigentümliche Funktion der Sinnlichkeit,
und wird die Frage nach der schematischen Vermittlung zwischen Sinnlichkeit
und Verstand dringlich. Später wird zu problematisieren sein, wie diese sinn-
liche, zeitlich-räumliche Dimension auch die Sinne als solche involviert.
Die interne Schwierigkeit bei der Interpretation des kantischen Schema-
tismus liegt darin, den Prozess von seinen einzelnen Bestandteilen zu unter-
scheiden – was bei Kant die isolierende Methode leisten soll, auf die ich kurz
eingehen möchte. Kant zielt mit ihr darauf, die einzelnen Bestandteile der
Erkenntnis je getrennt zu betrachten, um die spezifischen Eigenschaften auf-
zuzeigen, die sie charakterisieren. Durch die isolierende Analyse der Vermögen,
die schon Aristoteles in De Anima 32 als die zentrale Schwierigkeit bei der
Beschreibung von Wahrnehmungsprozessen ausmacht, geht Kant die Gefahr
einer statischen Beschreibung der Erkenntnis ein, die sich lediglich als Kom-
bination von Bestandteilen und nicht als Prozess erweist. Daraus ergibt sich die
Frage, ob die angezeigte Vermittlung letztlich auf einem ontologischen oder
einem rein heuristischen Dualismus basiert. Dieses Problem lässt sich anhand
der Behandlung sowohl der Methode als auch ihrer einzelnen Bestandteile ent-
falten. Die Vorgehensweise der Transzendentalen Ästhetik beschreibt Kant wie
folgt: Wir würden „zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch, daß wir alles
absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als
empirische Anschauung übrig bleibe“. Zweitens würden wir „alles, was zur Emp-
findung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße
Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlich-
keit a priori liefern kann“.33
Diese isolierende Methode wird von Kant in der Methodenlehre noch
spezifiziert und mit der Vorgehensweise eines Chemikers verglichen, der die
Materie zuschneidet, um die Werte der einzelnen Substanzen zu bestimmen. Es
ist demzufolge wichtig, die Vermögen voneinander zu isolieren, damit sie „nicht
mit anderen, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein
Gemische zusammenfließen“.34 Hans Vaihinger behandelt in seinem Kommen-
tar zur Kritik der reinen Vernunft diese isolierende Methode und deutet eine
kurze Rezeptionsgeschichte des Problems unter den Nachfolgern Kants an –
insbesondere bei Reinhold, Hamann, Herder und Jacobi. In deren Debatte
kommt die wichtige Frage auf, ob die so gekennzeichnete Methode materiell
oder abstrakt, d.h. ob die Isolierung zwischen den Vermögen ontologisch oder

32 Zu Aristoteles’ Kritik an der Auffassung der Seele als Mischungsverhältnis siehe


Werke, 13, S. 16f.
33 Kant, KrV, B 36, A 22.
34 Kant, KrV, B 870, A 842.
40
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

lediglich heuristisch zu verstehen sei. Für Vaihinger selbst ist sie „zunächst eine
logische, abstrakte Sonderung“, und das Bestreben Kants wäre es „zu zeigen,
wie das Ganze der Erkenntnis aus diesen verschiedenen Elementen entstehe“.
Weiterhin hätte Kant damit gezeigt, „was die Sinne, was Verstand und Ver-
nunft bei der Erkenntnis thuen und wie durch das Zusammenwirken derselben
ein Ganzes – Erkenntnis entstehe“.35
Obwohl die Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit folg-
lich mit Vaihinger zunächst als rein heuristisch gedeutet werden kann, sind
zugleich kritische Einwände gegen diese Lesart ernst zu nehmen. Nach Herder
etwa macht die isolierende Methode die Sinnlichkeit zu einer „sonderbaren
Wissenschaft“36 und das Schema zu „einer ‚dritten Fiktion‘ zwischen zwei ver-
schwundenen Fiktionen“.37 Und obwohl Hegel die Verbindung der Vermögen
durch den Schematismus als „eine der schönsten Seiten der kantischen Philoso-
phie“ bezeichnet, „wodurch reine Sinnlichkeit und der reine Verstand, die als
absolut entgegengesetzte Verschiedene vorhin ausgesagt wurden, vereinigt
werden“, macht er Kant den Vorwurf, den Sinn dieser Verbindung als Einheit
nicht begriffen zu haben: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlichkeit
ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden, wie
ein Holz und Bein durch einen Strick“.38 Laut Hegel „macht das Isolieren der
Tätigkeiten den Geist ebenso nur zu einem Aggregatwesen und betrachtet das
Verhältnis derselben als eine äußerliche, zufällige Beziehung“.39 Und auch Deleuze
problematisiert anhand der Auslegungen Maimons und Fichtes den statischen
Charakter der Vermögen bei Kant: Dieser habe die Anforderungen einer gene-
tischen Methode ignoriert und die transzendentale Untersuchung auf „fix und
fertige Vermögen“ gegründet. Dabei würde Kant die Harmonie der Vermögen
vernachlässigen, die er erst in der Kritik der Urteilskraft im Zuge der Unter-
suchung zur Genese der Vermögen in deren freier Übereinstimmung erörtere.40
Diese Kritik an Kant stellt für die vorliegende Untersuchung eine beson-
dere Herausforderung dar, weil sie den Kern des Schematismus berührt: Auch
wenn es stimmt, dass Kant durch die isolierende Methode zur Untersuchung der
spezifischen Aspekte der einzelnen Vermögen kommt, läuft er damit zugleich
Gefahr, den Schematismus auf eine bloß mechanische Vermittlungsfunktion zu
reduzieren, bei der die eigentümliche Hervorbringung von Anschauungen und
Begriffen zwar deskriptiv auftaucht, aber letztlich nicht erklärt werden kann.

35 Vaihinger 1892, S. 121f.


36 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 349.
37 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.
38 Hegel, W, 20, S. 348.
39 Hegel, W, 10, S. 242.
40 Deleuze 2003, S. 89f.
41
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Kant geht mithin das Risiko ein, lediglich die theoretische Beschreibung einer
möglichen Überwindung der Kluft zwischen Begriffen und Anschauungen zu
leisten – ohne aber deren spezifische Genese zu erklären. Herders Etikettierung
des Schemas als ‚Fiktion‘ steht insofern paradigmatisch für das Risiko, die Ver-
mittlungsfunktion aufgrund ihres statischen Charakters überflüssig werden zu
lassen.
Der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand wird von Kant in
der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft noch verschärft, indem er
die Funktion der Einbildungskraft einschränkt.41 Die isolierende Methode kann
dazu führen, die Rolle der Einbildungskraft innerhalb der Synthesis herab-
zumindern, um das Risiko zu vermeiden, sie auf empirische und psychologische
Elemente reduzieren zu müssen. Dabei würde die Einbildungskraft in ihrer
Eigenständigkeit gefährdet und die Synthesis an die Spontaneität zurückver-
wiesen. Die Dynamisierung des Erkenntnisprozesses läuft damit Gefahr, als
willkürlich wahrgenommen zu werden. Dieser schwierige Aspekt tritt auch in
Bezug auf das Problem der unbekannten Wurzel der zwei Stämme der Erkennt-
nis auf,42 das Kant in der Anthropologie wiederum am Beispiel der chemischen
Methode als die Frage formuliert, „wie das Ungleichartige aus einer und dersel-
ben Wurzel entsprossen sein könne“.43 Dies ist die Stelle, an der Kant in einer
Anmerkung das Problem der Zusammensetzung der Vorstellungen durch den
Unterschied zwischen der mathematischen Vergrößerung und der dynamischen
Erzeugung erklärt, „wodurch ein ganz neues Ding (wie etwa das Mittelsalz in
der Chemie) hervorkommt“, und mit der Frage schließt: „In welchem Dunkel
verliert sich die menschliche Vernunft, wenn sie hier den Abstamm zu ergrün-
den, ja auch nur zur errathen es unternehmen will?“.44 Wenn Kant demnach in
Bezug auf die Einbildungskraft einen Schritt zurück macht, so sind es seine
Nachfolger, die einen Schritt nach vorne versuchen – was, wie sich zeigen wird,
wiederum mit anderen Risiken verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist der Versuch
Maimons, einen Monismus der Einbildungskraft zu etablieren und die Diffe-
renz zwischen Verstand und Sinnlichkeit durch ein rationales Prinzip der
Bestimmbarkeit aller Gegenstände des Denkens einzuebnen.45

41 Die Unterschiede zwischen den zwei Auflagen der ersten Kritik sind hier nicht
Gegenstand und werden nur erwähnt, um zu signalisieren, inwiefern Kant grund-
sätzlich empfänglich für das Problem eines dynamischen, spontanen Erkenntnis-
prozesses ist. Einige Aspekte des Problems der zwei Auflagen der Deduktion und
ihrer Unterschiede werden in II.5 erneut in Betracht gezogen, um die Funktion der
Einbildungskraft zu erörtern.
42 Siehe Kant, KrV, B 30, A 16.
43 Kant, AA VII: 177.
44 Ebd.
45 Siehe dazu Kap. I des zweiten Teils.
42
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Es ist in diesem Zusammenhang essentiell anzumerken, dass die dem


Schematismus zugrundeliegende isolierende Methode das Risiko enthält, die
Artikulation des Denkens von der Sprache im weitesten Sinne zu trennen und
das Schema auf eine bloß statische Vermittlung zu reduzieren. Hier ist nur
die Rede von einem Risiko (und nicht von einem Fehler), das jede transzenden-
tale Beschreibung mit sich bringt, wenn sie die genetischen und dynamischen
Aspekte des Schematismus nicht umfasst. Eine gewisse Dichotomie von Rezep-
tivität und Spontaneität bleibt das grundlegende Problem der Sprach- und
Erkenntnistheorie Kants, sodass sich sogar von einer „Sprachverdrängung“
durch Kant sprechen lässt.46 Dabei ist die ‚Sprachlosigkeit‘ des Denkens sicher
die naheliegendste Gefahr, der sich der Schematismus dann aussetzt, wenn er in
einem ontologischen Dualismus befangen bleibt. Wird dieser Dualismus hin-
gegen als ein lediglich heuristischer angesehen und kritisch revidiert, kann die
latente Sprachlichkeit des Schematismus hervortreten. Dies ist der Kritikpunkt,
den vor allem Hamann und Herder hervorgehoben haben und der unter dem
Stichwort des Purismus der Vernunft im Hinblick auf die Sprachlichkeit des
Denkens bekannt ist. Die damit eingenommene Perspektive beschränkt sich
jedoch häufig auf den Kontext der Kritik der reinen Vernunft, ohne die Kritik
der Urteilskraft und die Anthropologie Kants zu berücksichtigen, in denen die
Sprache, die Funktion der Sinne und das Problem der Darstellung erneut in
Betracht gezogen werden.
Die Prozessualität des Schematismus in der Artikulation des Denkens
zwischen Bildern und Begriffen kann als Hauptgrund dafür genannt werden,
die Einbildungskraft in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen und den
Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand als primär heuristischen zu
behandeln.47 Die Berücksichtigung der Funktion der Sprache und der symboli-

46 Jürgen Villers (1997) behandelt sowohl das Problem der Sprachlosigkeit als auch
das Potential der latenten Sprachlichkeit der Philosophie Kants.
47 Villers 1997, S. 319f.: „Gute Gründe sprechen dafür, bei der Interpretation des kan-
tischen Schematismus-Begriffs die A-Auflage der Deduktion zugrunde zu legen:
Denn das Schematismus-Kapitel wurde 1787 von Kant ohne Änderungen in die
zweite Auflage übernommen. Deshalb können sich wichtige, gegenüber 1781 neue
terminologische Unterscheidungen – wie die zwischen ‚Form der Anschauung‘ und
‚formaler Anschauung‘ oder zwischen ‚figürlich‘ und ‚intellektueller Synthesis‘ –
im Schematismus-Kapitel weder finden, noch seiner Deutung zugrunde gelegt
werden. Ebenso baut die grundlegende Unterscheidung zwischen schematisieren-
der reiner und bildergebender empirischer Einbildungskraft auf einer Stelle auf, die
sich nur in der A-Deduktion findet (vgl. Kant, KrV, A 120). Wie auch das Triangel-
Beispiel (Paradigma eines reinen empirischen Begriffs) an zwei Stellen der
A-Deduktion anknüpft (vgl. Kant, KrV, A 105 und 124), die sich nicht mehr in der
B-Auflage finden. […] Kant scheint mit dem Schematismus-Kapitel eine systema-
tische Lücke der ersten Deduktion schließen zu wollen, und wieder steht die Einbil-
dungskraft im Mittelpunkt“.
43
  I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

schen Erkenntnis in der Erkenntnistheorie wird später zeigen, inwiefern eine


prozessuale Auffassung des Schematismus ausschließlich die heuristische Form
jenes Dualismus zulässt. Trotz der mit der strikten Unterscheidung von Sinn-
lichkeit und Verstand verbundenen Gefahr, diese als fixe und gleichsam onti-
sche Differenz aufzufassen, muss dennoch hervorgehoben werden, inwiefern
die Analyse beider Seiten einen Beitrag zum Verständnis ihrer letztlich als pro-
zessual aufzufassenden Vermittlung leisten kann.
Nach der Problematisierung der isolierenden Methode soll kurz die
Struktur der folgenden Kapitel erklärt werden, die – wie bereits erwähnt – den
Schematismus ausschließlich innerhalb der Erkenntnistheorie behandeln. Ich
werde mich zunächst auf die getrennte Untersuchung der Bestandteile des
Schematismus konzentrieren und dabei zuerst auf den gestalterischen Charak-
ter der Sinnlichkeit (Kap. II) eingehen. Diesem Aspekt werde ich große Auf-
merksamkeit schenken, um auf diese Weise zu zeigen, dass ein aktivisches Ver-
ständnis der Sinnlichkeit unerlässlich für das Funktionieren der einzelnen
Schematisierungen ist. In diesem Zusammenhang werde ich daher den Kern-
begriff der Versinnlichung einführen, der die Auslegung des Schematismus als
sinnliche Gestaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut strukturiert
(Kap. III). Anschließend werde ich mich auf den abstrakten Charakter der Begrif-
fe konzentrieren. Nach der Untersuchung der einzelnen Bestandteile der Sinn-
lichkeit werden zur Einführung der Schemata zunächst einige ihrer allgemei-
nen Aspekte thematisiert: erstens die kantische Zuordnung des Schematismus
zur Urteilskraft und zweitens die Ausdifferenzierung der Begriffe (Kap. IV).
Anschließend werde ich die Schemata als drei unterschiedliche Ebenen der
Schematisierung erklären, um am Ende anzudeuten, inwieweit der Schematis-
mus den Begriffen gegenüber eine antizipatorische Funktion ausübt (Kap. V).
I I . D ie G estaltungsfunktion
der S innlichkeit

Die Sinnlichkeit restringiert die Spontaneität der Begrifflichkeit, und durch


diesen Restriktionsakt verwirklicht sie die reale Bedeutung der Begriffe, deren
allgemeiner Charakter sich nach Kant erst im Gebrauch unterscheidet. Wäh-
rend nun die Spontaneität der Vorstellungskraft den Verstand kennzeichnet,
stellt die Sinnlichkeit die Rezeptivität der Vorstellungskraft dar. Beide Vermögen
können nach Kant sowohl logisch als auch genetisch unterschieden werden.48
Auf der ersten, rein logisch-deskriptiven Ebene sind die Vermögen als von-
einander isoliert anzusehen. Die Sinnlichkeit ist dabei die intuitive Art der
Erkenntnis, der Verstand hingegen die diskursive. Beide Charakterisierungen
lassen sich nicht aufeinander reduzieren: Reine Anschauungen können niemals
als Begriffe definiert werden, die Kategorien niemals als Anschauungen. Auf
genetischer Ebene – welche die Beziehung auf den Gegenstand in der Erkennt-
nis impliziert – ist die Sinnlichkeit die Bedingung der Anwendung der Begriffe,
die ohne die sinnliche Restriktion keine reale Anwendung haben können.
Beide Vermögen sind für die Erkenntnis erforderlich und stehen in
einem ergänzenden Verhältnis zueinander. Der Verstand „kann uns das nicht
lehren, was die Sinne, und umgekehrt“.49 Durch die Sinnlichkeit kann der Begriff
in concreto erkannt und von der Idee unterschieden werden, die eine solche
sinnliche Entsprechung nicht hat. Diese Konkretisierung der Begriffe durch die
Sinnlichkeit ist daher gleichzeitig als eine Bedeutungsgebung zu verstehen:
„Unsere sinnliche und empirische Anschauung kann ihnen [den bloßen Gedan-
kenformen] allein Sinn und Bedeutung verschaffen“.50

48 Siehe Kant, AA XV: 83: „Der logische Unterschied des Sinnlichen und intellectu-
alen. Der reale Unterschied. Genesis“.
49 Kant, AA XV: 82.
50 Kant, KrV, B 149.
45
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Das Ziel der folgenden Überlegungen ist es, zu zeigen, inwiefern aus-
gehend von einer in heuristischer Perspektive isolierten Betrachtung der Ver-
mögen eine Spezifizierung ihrer jeweiligen Funktionen gelingen kann, durch
die sich der Prozess der Synthesis als ein immer schon sinnlich bestimmter
beschreiben lässt. Damit wird insbesondere die aktive, gestalterische Funktion
der Sinn­lichkeit hervorgehoben, die für Kant wohlgemerkt ein Vermögen sowohl
der Sinne als auch der Einbildungskraft ist. Letztere ermöglicht als Vermögen
der Anschauungen die Darstellung vom Gegenstand auch ohne dessen Gegen-
wart51 und erfolgt stets als genetische Synthesis, was die eigentümliche Gestal-
tungsfähigkeit der Sinnlichkeit unterstreicht.52 Insbesondere zwei Momente der
Sinnlichkeit müssen mit Blick auf den Schematismus in der Sprach- und Erkennt-
nistheorie bei Kant (wie auch später bei seinen Nachfolgern) hervorgehoben
werden: erstens die Aktivität der Sinnlichkeit und zweitens ihr transzenden-
taler Charakter.
Um die so skizzierte Auffassung der Sinnlichkeit zu vertreten, ist es
zunächst wichtig, die Reichweite des Schemas zu spezifizieren, das sich zwischen
Begriff und Bild artikuliert und für Kant von Symbolen und Zeichen abzu-
grenzen ist. Die Interpretation des Schematismus hat zu zeigen, inwiefern das
Verständnis der Sinnlichkeit als ein Vermögen, das nicht auf die Begrifflichkeit
reduziert werden kann, die semantische und semiotische Relevanz des Schema-
Begriffs hervorhebt. Wenn unter Schematismus nur die Synthesis zwischen
reinen Anschauungen und Kategorien verstanden würde, dann wären – wie
Kant am Anfang der Transzendentalen Ästhetik erläutert – zunächst die Prin-
zipien der Erkenntnis a priori und anschließend deren Synthesis a priori zu
untersuchen. Und zu den Prinzipien der Erkenntnis a priori rechnet Kant auf
Seiten der Sinnlichkeit nur die reinen Formen der Anschauung (Zeit und Raum),
die zum Zwecke der Synthesis mit den Kategorien die sinnliche Mannigfaltigkeit
zu einer Einheit a priori bringen. Wird hingegen unter dem Schematismus der
Prozess des Gebrauchs empirischer, sinnlicher und reiner Begriffe verstanden,

51 Vgl. Kant, KrV, B 151.


52 Diesbezüglich muss unbedingt angemerkt werden, dass Kant selbst nur einmalig
den Begriff ‚Gestaltung‘ verwendet, und zwar im zehnten Convolut des Opus
Postumus und dort gerade als Bezeichnung der Sinnlichkeit (AA XXII: 419f.): „Alle
unser Erkent. Verm. besteht in zwey Acten, Anschauung u. Begriff – beyde als
reine d.i. nicht empirische Vorstellungen (denn diese erfordern schon Einflus auf
die Sinne d.i. Warnehmungen, welche jene Vorstellungen schon voraussetzen)
gehen aus dem Vorstellungsvermögen aus Gestaltung (species) und Gedanke her-
vor, und die Stellen worinn wir die Gegenstände dieser Vorstellungen setzen sind
Raum und Zeit welche für sich keine Realität (Existenz) haben, sondern bloße dem
Subject inhärirende Formen sind (entia rationis) aber doch dem Qvantitativen Ver-
hältnisse nach grenzenlos in Ansehung des qvalitativen aber eine innere unendli-
che Mannigfaltigkeit enthalten“.
46
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

dann ist die Sinnlichkeit insgesamt – und nicht nur ihre reine Form – involviert,
wie sie gerade in den Sinnen und in der Einbildungskraft gestalthaft tätig ist.
Wenn der Schematismus als semantischer und semiotischer Prozess verstanden
werden soll, dann sind meines Erachtens die sinnlichen und empirischen
Schemata – die im Schematismus-Kapitel selbst nur durch Beispiele (das des
Dreiecks und des Hundes) erwähnt werden – von systematischem Interesse. Um
den sinnlichen Umfang des Schematismus zu bestimmen, richtet unsere Unter-
suchung ihre Aufmerksamkeit daher auf den Gesamtzusammenhang der Sinn-
lichkeit bei Kant. Dabei wird es insbesondere um die synthetische Funktion der
Gestaltung gehen, die aus der Kritik der reinen Vernunft allein nicht hervor-
geht. Nur deshalb kann Kant auch die rein subjektive Empfindung aus seiner
Analyse ausklammern und zu einer vermeintlich unproblematischen Einord-
nung der empirischen Anschauungen gelangen. Im Gegensatz dazu werde ich
versuchen, die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in den Vordergrund zu stel-
len, um dadurch einem möglichen Riss zwischen Figuration und Gestaltung
vorzubeugen, den etwa Stephan Otto folgendermaßen beschreibt:

„Durch Kants ‚figürliche Synthesis‘ zieht sich somit ein Riss: eine selber
figurierende Synthese – wie jene der vormodernen Denker – darf sie
nicht werden; folglich muss sie zu einer Synthese geraten, die einzig vom
Verstand ‚bestimmt‘ und kraft eben dieser ‚Bestimmung‘ figuriert wird.
Wenn nun aber Figuration mit Veranschaulichung einhergehen soll, wie
könnte dann ein Verstand, der in den Sinnen die Anschauung erst
‚suchen‘ muss, jetzt anschaulich figurieren?“.53

Die Hervorhebung der Synthesis speciosa kann als Versuch angesehen werden,
einerseits die Spontaneität des Denkens nicht auf eine intellektuelle Anschau-
ung zu reduzieren und andererseits die Sinnlichkeit nicht zur Magd der Spon-
taneität zu degradieren. Der angezeigte Riss wird damit zur transzendentalen
Herausforderung. Es wird sich zeigen, dass dieser Versuch sich gerade in einer
eingehenden Deutung der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlich-
keit entfalten kann, die sich als Versinnlichung auffassen lässt.

53 Otto 2007, S. 106. Dieser Riss wird in Kap. VI erneut und dort gerade in Bezug auf
die Auslegung von Stephan Otto diskutiert, der ihn im Zusammenhang mit der
Erinnerung problematisiert.
47
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

1. Ap olog ie der Si n n l ic h keit


Die Tatsache, dass die Sinnlichkeit bei Kant im Schematismus auf die Sponta-
neität der Begrifflichkeit verweist, bedeutet nicht, dass sie keine eigene Funk-
tion hat und nur als Magd des Verstandes anzusehen ist. In seiner ‚Apologie der
Sinnlichkeit‘ verteidigt Kant sie vielmehr vor einer möglichen Zurückführung
auf den Verstand.
In Auseinandersetzung mit Leibniz, Wolff, Baumgarten und deutschen
Logikern wie Meier (dessen Handbuch seine Logikvorlesungen strukturierte)
kritisiert Kant die Unterordnung der Sinnlichkeit unter den Verstand und ent-
wirft dementsprechend eine neue Auffassung der Erkenntnis.54 Der Unterschied
zwischen Sinnlichkeit und Verstand liegt für ihn nicht bloß im jeweiligen Grad
an Deutlichkeit, sondern ist ein radikal qualitativer, da die Sinnlichkeit nicht
durch Begriffe bestimmt werden kann. In Bezug auf die Frage, „ob sinnliche
Vorstellungen nach Leibniz blo[ß] verworrene Verstandesvorstellungen“ sind,
schreibt Kant lediglich: „Der Verstand schaut nicht an“.55 Und einer Reflexion
zur Anthropologie zufolge „betrügen die Sinne nicht, weil sie nicht Urtheilen“.56
Die Deutlichkeit kennzeichnet im Gegenteil sowohl die Sinnlichkeit als auch
den Verstand, und „ein großer Fehler der Leibniz-Wollfischen Schule“ – schreibt
Kant im §7 der Anthropologie – „war nämlich die Sinnlichkeit bloß in einem
Mangel der (logischen) Deutlichkeit zu setzen, die Beschaffenheit aber der Ver-
standsvorstellung in der Deutlichkeit“.57 Die Deutlichkeit betrifft hingegen
sowohl die Anschauungen als auch die Begriffe, und die letzteren schaffen daher
nicht erst Deutlichkeit in den verworrenen Anschauungen, sondern jede Vor-
stellung – sei sie sinnlich oder begrifflich – kann deutlich werden. Dies Werden
ist also keine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit. Durch seine Apolo-
gie der Sinnlichkeit gegen diese ‚alte Klage‘ vertritt Kant eine neue Auffassung
derselben, die nun nicht mehr als trügerisch, über den Verstand gebietend und
ihn verwirrend erscheint, sondern in ihrer wesentlichen Funktion erfasst wird,
die ihr in der Vorstellung von Gegenständen neben dem Verstand zukommt.
Wie auch immer man diese Wende deuten mag – eines ist sicher: Die Sinnlich-
keit ist nicht mit einer bloßen Passivität und Verworrenheit gleichzusetzen, die
nur dank der Begrifflichkeit des Verstandes zur Deutlichkeit gelangt.

54 Zur Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand aus logischer Sicht siehe
Capozzi 2002, S. 368–376.
55 Kant, AA XVIII: 25.
56 Kant, AA XV: 94.
57 Kant, AA VII: 140. Siehe auch AA IX: 33–36 und AA XXIII: 23: „[…] Sinnlichkeit
ist nicht Verworrenheit der Vorstellungen, sondern subjektive Bedingung des
Bewußtseins“. Vgl. auch La Rocca 2003, S. 131.
48
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Für Kant ist deshalb gerade die Vorstellung eines passiven Charakters
der Sinnlichkeit, die nur affiziert würde, „eigentlich die Ursache alles des Übels,
was man ihr nachsagt“.58 Und obwohl die Passivität nach Kant durchaus ein
strukturelles Merkmal der Sinnlichkeit ist, „was wir doch nicht ablegen kön-
nen“, sollte sie nicht als Passivität dem Verstand gegenüber, sondern zunächst
lediglich als Charakterisierung dafür angesehen werden, dass die Sinnlichkeit
affiziert und stimuliert wird. Dieser Aspekt betrifft vor allem nur die Sinne, die
durch die Berührung mit äußeren Gegenständen die Wahrnehmung konstitu-
ieren. Und passiv ist dabei nur diese Berührung, weil – wie im Folgenden durch
die Untersuchung der einzelnen Sinne gezeigt werden soll – schon die bloß
sinnliche Wahrnehmung immer eine Umformung der Sinnesdaten mit sich
bringt.59 Aktivität und Passivität können dabei zwar in abstracto getrennt wer-
den, sind jedoch in der Erfahrung selbst beide involviert und insofern nicht
trennbar.60
Die Sinnlichkeit ist daher keine neutrale Aufzeichnung der Sinnesdaten,
die mittels der Begrifflichkeit zur Darstellung gelangen, sondern sie ist selbst
die Bedingung der Wahrnehmung, die in sich die sinnliche Gestaltung enthält
und sich weder auf die Spontaneität des Verstandes noch auf eine rein empiri-
sche Bestimmung reduzieren lässt. Die transzendentale Gleichstellung der
Sinnlichkeit, die Kant im Zuge seines Gegenentwurfes zur Leibniz-Wolffischen
Schule vornimmt, geht also mit einer Kritik an der physiologischen Perspektive
Lockes einher, bei der die Sinnlichkeit auf die rein empirische Ebene reduziert
wird.61 In diesem Sinn kann man mit Eco zu dem Schluss kommen, dass Kant,

58 Kant, AA VII: 144.


59 Matthias Wunsch (2011, S. 82f.) behandelt die aktive Funktion der Sinnlichkeit in
den anthropologischen Schriften Kants vor allem in Bezug auf die Einbildungs-
kraft: „Kant had already used the concept ‘formative faculty/power’ before his first
anthropology lecture in the winter semester of 1772/3. His early conception of the
formative faculty first emerges in 1769/1770, thus at the same time that he was
developing his new theory of sensibility. The relevant passages are the Reflections
313a–326, where Kant describes the modes of formation that he later sets out syn-
optically in his first anthropology lecture. Thus according to the published mate-
rial Kant’s theory of the formative faculties emerges in the time from 1769 to 1773.
As it concerns the conception of sensibility, the central thought – which, judging by
Adickes’ dating, Kant probably first set down in 1773/1775 – is that sensibility
includes not just the receptive capacities, the senses, but also the active faculties of
the formation of sensible representations“.
60 Vgl. Svare 2006, S. 174: „This activity and passivity, moreover, are different aspects
of the same event. They may be distinguished conceptually, but they cannot be
separated in the real world“.
61 Mit Angelica Nuzzo gesprochen (2008, S. 263): „As the opposite of critique, physi-
ology is characterized by its merely empirical and psychological nature, and by the
confusion between the experiential context in which our concepts occur and the
source of these concepts“. Siehe dazu auch Guyer 2008, S. 79: „[…] Kant’s problem
49
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

was die englischen Empiristen angeht, „nach einer transzendentalen Begrün-


dung für jenen Prozess [sucht], den sie im Grunde als eine vernünftige Art, sich
in der Welt zu bewegen, auffassten, deren Berechtigung sich darin zeigt, dass sie
sich letztlich bewährt“.62
Die physiologische Auffassung der Sinnlichkeit ist demzufolge unge-
eignet, ihr spezifisches Gestaltungspotential zu erklären, das vom Ausdruck
und von der Darstellung begrifflicher Bedeutung zu trennen ist. Dabei ist anzu-
merken, dass die isolierende Methode in diesem Zusammenhang wirklich nur
eine heuristische Perspektive darstellt, um die einzelnen Funktionen der Ver-
mögen betrachten zu können, ohne sie dabei zu hypostasieren und den Prozess
ihrer Synthesis auf eine bloße Zusammensetzung zu verkürzen. Auch darf das
Schema nicht als Kriterium gelten, mit dem eine graduelle Deutlichkeit
bestimmt wird, wie schon Cassirer gesehen hat: „Das ‚Schema‘ ist nicht der ver-
blasste Schemen eines wirklichen empirischen Objekts, sondern das Vorbild und
gleichsam das Modell zu möglichen Gegenständen der Erfahrung“.63 Mit ihm
tritt eine Gestaltung in der Wahrnehmung ein und nicht etwa nur eine Prägung
auf der Seite des Verstandes, so als ob er seine eigenen Formen auf die einzelnen
Anschauungen übertragen würde. Diese Gestaltungsfähigkeit ist nicht nur
Werk der Spontaneität des Verstandes, sondern erfolgt auch dank der Sinnlich-
keit, die eine entscheidende Funktion bei der Umformung sinnlicher Daten aus-
übt. Für unsere Untersuchung stellt sich daher die Aufgabe, diese spezifische
Aktivität der Sinnlichkeit in Kants Werk zu rekonstruieren, welche Grund-
bedingung der Erkenntnis ist. Dieser Aspekt wird in den Kapiteln II.3–II.5 aus-
geführt.

2. D ie Unter sc heidu ng z w isc hen Beg r i f f,


Ide e u nd Gef ü h l
Eine Zusammenfassung der Hauptunterscheidungen der Momente des sinn-
lichen Bewusstseins, die im Folgenden rekonstruiert und diskutiert werden,
wird von Kant selbst in der Transzendentalen Dialektik gegeben, die deshalb
anfangs im Ganzen wiedergegeben werden soll:

with Locke’s ‘physiology’ was that it was empirical, that is, that it attempted to
determine both the contents of human knowledge and its boundaries through a
purely empirical investigation of the human capacity for cognition […] Kant, by
contrast, supposes that he could provide what he called a ‘transcendental’ determi-
nation of the fundamental structures of our cognition, and therefore that he could
also provide a transcendental rather than an empirical determination of its limits“.
62 Eco 2000, S. 85.
63 Cassirer, ECW, 3, S. 598.
50
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

„Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht


die Vorstellung mit Bewusstsein (perceptio). Eine Perzeption, die sich
lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht,
ist Empfindung (sensatio), eine objektive Perzeption ist Erkenntnis (cogni-
tio). Diese ist entweder Anschauung oder Begriff (intuitus vel concep-
tus). Jene bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln;
dieser mittelbar vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen
gemein sein kann. Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner
Begriff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen
Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio. Ein
Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist
die Idee, oder der Vernunftbegriff“.64

Auf der deskriptiven Ebene – also vor der Betrachtung des genetischen Erkennt-
nisprozesses selbst, in dem sich Bedeutung erst realisiert – wird das Verhältnis
zwischen Gefühl, Begriff und Idee mittels der isolierenden Methode untersucht,
durch welche erstens die subjektive von der objektiven Empfindung unterschie-
den und zweitens die letztere von der Idee abgegrenzt wird. In der objektbezo-
genen Empfindung, die die Bedingung einer Bedeutungserfahrung mit Anschau-
ung und Begriff ist, ergibt sich eine Differenz zwischen Sinnlichkeit und
Verstand, die keinesfalls als eine Zurückführung eines Vermögens auf das ande-
re erklärt werden kann. Wie schon am Beispiel der Methode der Chemie ersicht-
lich,65 ist es Kant durch eine getrennte Untersuchung der Vermögen möglich,
deren jeweilige Eigenschaften zu spezifizieren und die Nichtreduzierbarkeit des
einen auf das andere aufzuzeigen. Das Risiko einer solchen Vorgehensweise ist
bereits erläutert worden; es besteht darin, dass auf diese Weise die Synthesis selbst
als eine bloß statische Zusammensetzung erscheinen kann. In einer isolierten
Betrachtung der Sinnlichkeit kann diese von vornherein als eine Gestaltung
verstanden werden, die im Gebrauch der Begriffe immer schon impliziert ist.
Der Untersuchung der Sinnlichkeit ist der erste Teil der Elementarlehre
der Kritik der reinen Vernunft gewidmet, weil „die Bedingungen, worunter
allein die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen
vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden“.66 Ist hingegen keine objektbe-
zogene sinnliche Bedingung gegeben, handelt es sich um einen bloßen Gedan-
ken, der nur analogisch zur Darstellung gelangt oder eine rein subjektive Emp-
findung ist. Dem Schematismus liegen daher zwei Differenzierungen zugrunde:
die erste betrifft den Unterschied zwischen Begriffen und Ideen, die zweite den

64 Kant, KrV, B 376f., A 320.


65 Siehe oben 2.
66 Kant, KrV, B 30, A 16.
51
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Empfindung. Im ersten Fall


unterscheidet Kant zwischen den Begriffen, die eine Darstellung in den
Anschauungen haben können und den Ideen, denen grundsätzlich keine Anschau-
ung angemessen ist. Im zweiten Fall grenzt er das rein subjektive Gefühl deut-
lich von der subjektiven Empfindung ab, die eine Entsprechung in den inneren
und äußeren Anschauungen haben kann.
Die Sinnlichkeit kann nun als ein erkenntnistheoretisches Kriterium
angesehen werden, das dazu dient, einerseits den objektbezogenen Begriff von
den Ideen im weitesten Sinn zu unterscheiden, andererseits die bloß subjektive
von der objektiven Empfindung zu differenzieren. Die Empfindung ist im All-
gemeinen das Kriterium bei Kant, anhand dessen zwischen Gefühl, Begriff und
Idee unterschieden wird. Somit lässt sich – wie schon erwähnt – die gesamte
Bedeutungserfahrung dreifach gliedern: 1. Gefühl: mit (subjektiver) Empfin-
dung aber ohne (Bestimmungs-)Begriff; 2. Schema: mit (objektiver) Empfin-
dung und (Bestimmungs-)Begriff; 3. Idee: ohne (objektive) Empfindung und mit
(Reflexions-)Begriff.
Im dritten Fall ist die Anschauung, die eine objektbezogene Empfindung
darstellt, durch welche laut Kant ein Gegenstand gegeben wird, als negatives
Kriterium zu deuten, um mit diesem den Begriff von einem bloßen Gedanken
zu unterscheiden, dem kein sinnlicher Gegenstand entspricht und der „hyper-
physisch“ gebraucht wird.67 Es ist gerade das Fehlen an Anschauung, das der
Unterscheidung zwischen Phaenomena und Noumena zugrunde liegt und das
die Erkenntnis von der weiteren Sphäre des Denkens abgrenzt.68 Wenn man

67 Siehe Kant, KrV, B 88, A 63f.


68 Siehe die Stelle der Kritik der reinen Vernunft (B 294f., A 235f.), an der Kant in
Bezug auf den Unterschied zwischen Phaenomena und Noumena die Unterschei-
dung zwischen Verstand und Vernunft anhand der Metapher der Insel einführt:
„Wir haben jetzt das Land des reinen Verstandes nicht allein durchreiset, und jeden
Teil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmessen,
und jedem Dinge auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine
Insel, und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist
das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stür-
mischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und
manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, und indem es den auf Entdec-
kungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen
täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen, und sie doch
auch niemals zu Ende bringen kann. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um
es nach allen Breiten zu durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu
hoffen sei, wo wird es nützlich sein, zuvor noch einen Blick auf die Karte des Lan-
des zu werfen, das wir eben verlassen wollen, und ernstlich zu fragen, ob wir mit
dem, was es in sich enthält, nicht allenfalls zufrieden sein könnten, oder auch aus
Not zufrieden sein müssen, wenn es sonst überall keinen Boden gibt, auf dem wir
uns anbauen könnten; zweitens, unter welchem Titel wir denn selbst dieses Land
besitzen, und uns wider alle feindselige Ansprüche gesichert halten können“.
52
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

nämlich die sinnliche Bedingung wegnimmt, so fällt damit „alle Bedeutung, d.i.
Beziehung aufs Objekt“ weg, weshalb man „durch kein Beispiel sich selbst fass-
lich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding
gemeint sei“.69 Weiter heißt es: „Fehlt diese Bedingung der Urteilskraft (Schema),
so fällt alle Subsumption weg; denn es wird nichts gegeben, was unter den
Begriff subsumiert werden könne“.70
Das Fehlen sowohl reiner als auch empirischer Anschauungen ist daher
das Kriterium, mit dem die transzendentale Bedeutung der Kategorien von ihrem
rein logischen Gebrauch unterschieden wird. Die Kategorien haben zwar ihren
Ursprung nicht in den Anschauungen und sind nicht auf Anschauungen zurück-
führbar, aber ausgehend von diesen logischen Formen kann der Verstand auch
andere mögliche Dinge, „die gar nicht Objekte unserer Sinne sind“,71 als Gegen-
stände denken.72 So schließt Kant:

„Die Lehre der Sinnlichkeit ist nun zugleich die Lehre von den Noume-
nen im negativen Verstande, d.i. von Dingen, die der Verstand sich ohne
diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß als
Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß“.73 Und wei-
ter: „was also von uns Noumenon genannt wird, muß also als ein solches
nur in negativer Bedeutung verstanden werden“.74

Auf dieser Ebene können die transzendentalen Ideen ein Schema nur im Sinne
eines regulativen und nicht die Erkenntnis bestimmenden Prinzips sein;75 und
sie können in keiner Weise eine konstitutive Erweiterung unserer Erkenntnis

69 Kant, KrV, B 300, A 241.


70 Kant, KrV, B 304f., A 247f..
71 Siehe Kant, KrV, B 306f.
72 Siehe auch die Anmerkung in der Kritik der reinen Vernunft (B 166), in der Kant
festhält, dass „die Kategorien im Denken durch die Bedingungen unserer sinnli-
chen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben“.
73 Kant, KrV, B 307.
74 Kant, KrV, B 309. Siehe auch Kant, KrV, B 342, A 286: „Wenn wir unter bloß intel-
ligibelen Gegenständen diejenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien,
ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmög-
lich. Denn die Bedingung des objektiven Gebrauchs aller unser Verstandesbegriffe
ist bloß die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns Gegenstände gege-
ben werden, und, wenn wir von der letzteren abstrahieren, so haben die erstern gar
keine Beziehung auf irgend ein Objekt“.
75 Siehe dazu den Abschnitt der Transzendentalen Dialektik ‚Von der Endabsicht der
natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft‘, in dem Kant die regulative
Bedeutung des von den Ideen gegebenen Schemas behandelt (insbesondere B 702f.,
A 674f. und in Bezug auf die psychologische Idee B 711f., A 683f.): „Die psychologi-
sche Idee kann auch nichts andres als das Schema eines regulativen Begriffs bedeu-
ten“. In Kap. VI werde ich auf diese rationale Verwendung des Schemas zurück-
kommen.
53
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

über die Objekte möglicher Erfahrung hinaus darstellen. Im Gegenteil führen


sie zu den systematischen Einheiten, die über die Sinne hinaus das Ziel der
Annäherung selbst setzen und dadurch nur so gedacht werden können, als ob
die Reihe ihrer Merkmale vollendet wäre.76 Deshalb können theoretisch zwei
Bedeutungen des Schemas unterschieden werden: einmal das Schema als Bestim-
mung und einmal das Schema als Reflexion, die Kant – laut La Rocca – „durch
die Heranziehung der Als-Ob-Perspektive zu erklären sucht“.77 Der Unterschied
zwischen einer im eigentlichen Sinne schematischen und einer reflektierenden
Darstellung wird in Kapitel VI näher beleuchtet. Wichtig ist jedoch schon jetzt
anzumerken, dass in unserer ganzen Untersuchung die positive, regulative
Bedeutung dieser Unterscheidung nur auf der sprach- und erkenntnistheoreti-
schen Ebene behandelt wird, welche jedoch laut Kant fundamental für den prak-
tischen Gebrauch der Ideen ist.78 Für die weitere Argumentation ist es an dieser
Stelle hinreichend, diese Unterscheidung zwischen sinnlicher Erkenntnis und
unsinnlichem Denken anzuführen.
Die Anschauung dient als negatives Kriterium zur Unterscheidung
sowohl des Begriffs von der Idee als auch der objektiven Empfindung von der
subjektiven. In Bezug auf Begriff und Idee ist sie deshalb ein negatives Krite­
rium, weil die Idee nicht sinnlich ist, in Bezug auf objektive und subjektive
Empfindung, weil das Gefühl nicht objektbezogen ist. Deshalb schreibt Kant:
„Ästhetik ist die philosophie über die Sinnlichkeit, entweder des Erkenntnisses
oder des Gefühls“.79 Das Gefühl als rein subjektive Empfindung wird in der
Kritik der reinen Vernunft ausgeklammert, weil es die Affizierung des Gemüts
selbst – und nicht die des Gemüts durch einen Gegenstand – darstellt. In den
Reflexionen zur Anthropologie hingegen werden das Gefühl und die Wahr-
nehmung als die jeweils subjektiv-absolute und die objektiv-relative Dimension
der Empfindung bestimmt. Kant unterscheidet dabei zwischen einem absoluten
und einem relativen Sinn: „durch den letzten referiren wir unsre Empfindung
auf ein obiect, durch den ersten auf uns selbst“.80 Mit der rein subjektiven Emp-
findung wird demnach eine Bedeutungserfahrung beschrieben, die nicht objek-
tiv bestimmt werden kann: Kein äußerlicher Gegenstand kann eine direkte Ent-
sprechung des Gefühls sein und dementsprechend auch kein bestimmender
Begriff. Sowohl die äußerliche Anschauung als auch die begriffliche Bestimmung
können vielmehr nur indirekt und analogisch zur Darstellung eines inneren

76 Vgl. Kant, KrV, B 730, A 702.


77 Vgl. La Rocca 2011, S. 31, und natürlich Vaihinger 1911, S. 44.
78 Für die Erörterung des positiven regulativen Gebrauchs der Vernunft siehe Kant,
KrV, B XXV.
79 Kant, AA XVII: 492.
80 Kant, AA XV: 108.
54
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Zustandes dienen. Das Gefühl kann jedoch eine besondere Art der Schematisie-
rung erfahren, die – wie Kant in §35 der Kritik der Urteilskraft erklärt – eine
Schematisierung ohne Begriff ist, d.h. eine Schematisierung, die keinem Begriff
angepasst werden kann und dadurch zum rein sinnlichen Ausdruck führt. Wir
werden diese Schematisierung noch in Betracht ziehen, um an ihr die Bedeu-
tung einer expressiven Schematisierung bei Kant zu klären.81
Anhand der Bestimmung des Gefühls lässt sich bei Kant die Grenze
zwischen Subjektivität und Objektivität erkennen, die eine grundlegende Funk-
tion in der Unterscheidung einzelner Sinne ausübt. Denn obwohl alle Sinne von
außen affiziert werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Grades an Objek-
tivität und Subjektivität, die in der Wahrnehmung ineinanderfließen. Somit ist
die Grenze selbst im Urteilen nur kritisch zu ziehen. Man kann sich über inne-
re und äußere Empfindungen äußern, jedoch kann das nur im Bewusstsein des
Grads an Subjektivität der eigenen Urteile geschehen. Deswegen zieht Kant eine
klare Grenze zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen: Erstere sind
bloß subjektiv, die zweiten objektiv. Wahrnehmungsurteile können daher keine
Bestimmungsurteile über den Gegenstand sein: „zum Beispiel bei der Berüh-
rung des Steins empfinde ich Wärme, ist ein Wahrnehmungsurteil, hingegen:
der Stein ist warm, ein Erfahrungsurteil. Es gehört zum letzteren, daß ich das,
was bloß in meinem Subject ist, nicht zum Object rechne“.82
Zweifellos ist bei vielen Urteilen der Übergang vom Wahrnehmungs-
zum Erfahrungsurteil möglich; nämlich immer dann, wenn die Empfindung
auf ein Objekt beziehbar ist und anschauliche Gründe angenommen werden
können, um das Urteil zu beweisen und es für ein Bestimmungsurteil über den
Gegenstand zu halten. Wenn aber diese Bedingung nicht erfüllt wäre, bliebe das
Urteil bloß subjektiv möglich und könne nicht objektiv unter Begriffe gebracht
werden.83
Die rein subjektive Empfindung lässt sich daher nicht schematisieren
und kann nicht in einem Erfahrungsurteil ausgedrückt werden, weil die sub-
jektive Wahrnehmung sich nicht so auf das Objekt übertragen lässt, als ob sie
eine Bestimmung des Objektes selbst wäre. Die damit angezeigte Spannung
zwischen Subjektivität und Objektivierung bloß subjektiver Urteile lässt sich
nicht kritisch auflösen, sondern nur eingrenzen; ihr kommt eine grundlegende
Funktion in den Reflexionsurteilen als einem Denken zu, das sich außerhalb
objektiver Grenzen bewegt.

81 Siehe Kap. VI.2.


82 Kant, AA IX: 113 (Anmerkung).
83 Zur Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen hinsicht-
lich der Anwendbarkeit der Kategorien siehe Prauss 1971, S. 166.
55
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Begriffe, Ideen und Gefühle werden zwar einerseits von Kant darüber
unterschieden, ob sie jeweils eine Entsprechung in der Sinnlichkeit haben oder
nicht. Deshalb kann es scheinen, als hätten zumindest die Ideen gar nichts, und
die Begriffe nur bedingt etwas mit der Sinnlichkeit zu tun. Andererseits aber
sind alle drei insofern auf die Sinnlichkeit angewiesen, als sie einer Versinn-
lichung bedürfen. Und zwar werden selbst Ideen versinnlicht, indem sie sym-
bolisch dargestellt werden. Das ist aus kantischer Sicht zunächst weitestgehend
unproblematisch, weil es der Konzeption der indirekten Entsprechung folgt, die
– wie wir sehen werden – durch Analogie verfährt.84 Doch diese indirekte, sym-
bolische Versinnlichung basiert streng genommen auf einer direkten, die zwar
nicht den Gegenstand bestimmt, den Ideen aber eine sinnliche Form verleiht,
die unerlässlich ist, damit sie gedacht werden können. Es ist diejenige bestim-
mende Versinnlichung, kraft der die Idee einen Wortlaut erhält. Die Annahme
dieser zweiten Form der Versinnlichung, der bei Kant lediglich die Schema-
tisierung der Kategorien entspräche, ist im Vergleich zur ersten wesentlich
voraussetzungsreicher, insofern sie über die kantische Systematik hinausweist:
Kant selbst ist nämlich an einer strikten Trennung zwischen Begriffen und Ideen
interessiert, weshalb eine sinnliche Realisierung dieser Art von ihm unterbe-
wertet bleibt. Denn diese Versinnlichung setzt zugleich eine Erweiterung der
transzendentalphilosophischen Perspektive auf Themen voraus, die Kant ledig-
lich in der Anthropologie – und damit außerhalb des kritischen Unterfangens
– abhandelt. Daher wird es im folgenden Kapitel darum gehen müssen, die sys-
tematische Kompatibilität zwischen kritischen und anthropologischen Schrif-
ten zu plausibilisieren.

3. Kompat ibi l it ät z w isc hen k r it isc hen


u nd a nt h rop olog isc hen Sc h r i f ten
Die vorgeschlagene Interpretation der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
setzt offensichtlich eine gewisse Kontinuität und Kompatibilität zwischen den
kritischen und den anthropologischen Schriften Kants voraus.
Eine solche Verbindung lässt sich vor allem für die Verkörperungslehre
in Betracht ziehen, der zufolge es keine Begrifflichkeit gibt, die nicht verkörpert
ist.85 Die Wiedergewinnung der Dimension der Verkörperung ist das Hauptziel der
Untersuchung Body and Practice in Kant von Helge Svare,86 der die Auffassung

84 Siehe dazu Kap. VI.


85 Zur Problematik der Bestimmung des Menschen bei Kant siehe Brandt 2007,
S. 102–125 und Battaglia 2010, S. 163–166.
86 Svare 2006, S. 2: „The aim of this work is to show that this established image of
Kant as a philosopher who ignores embodied human existence is radically wrong.
Not only does Kant, throughout his career, in works published before and after the
56
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

von einer Kontinuität zwischen anthropologischen Schriften und den drei Kri-
tiken vertritt, so wie er auch die transzendentale Psychologie als legitimen Teil
der Transzendentalphilosophie behandelt.87 Das Schema wird dabei von Svare
ausdrücklich als „embodied practice“ bezeichnet, obwohl das Embodiment im
engeren Sinne als Körperbewegung verstanden wird: „My main thesis, howev-
er, is that in Kant’s theory of schematism the cognitive agent must be perceived
as an embodied agent, and the cognitive acts ascribed to this agent as embodied
acts or practices“.88
Dieser Ansatz schließt sich an die Auffassung des Schemas als Hand-
lungsschema an, und ist daher mit der von Piaget vertretenen Position ver-
gleichbar.89 Svare hingegen sollte das Verdienst zugerechnet werden, die Verkör-
perung mit dem Begriff der Praxis verbunden zu haben und die anthropologischen
Untersuchungen der Sinne in der Transzendentalphilosophie eingeführt zu
haben.90 Dennoch werden hier unter Verkörperung ausdrücklich körperliche
Praktiken angezeigt und wird nicht der Versuch unternommen, die Aktivität
der kantischen Sinnlichkeit in Bezug auf die Sinne und die Einbildungskraft als
Prozesse der Verkörperung selbst zu untersuchen, wie sie in der Anthropologie
vorkommen.
Ein Versuch, einen solchen nicht-reduktionistischen Ansatz durch eine
Neugewichtung der Opposition zwischen den anthropologischen Schriften und
der Transzendentalphilosophie Kants zu etablieren, wird von Angelica Nuzzo in
ihrem Buch Ideal Embodiment. Kant’s Theory of Sensibility unternommen.91
Die Sinnlichkeit wird von ihr aktivisch bestimmt und zum Körper in Beziehung
gesetzt, der damit nicht nur – wie in der Physiologie oder Psychologie – den
Gegenstand der Erfahrung, sondern die Bedingung der Erfahrung selbst dar-
stellt:

Critique, constantly reflect upon the fact that human life is embodied, but he is also
occupied in exploring the philosophical implications of this fact. […] Bringing this
aspect of Kant’s philosophy into the light is important, not only because it has too
long been generally ignored, but also because it is highly relevant to contemporary
discussions in philosophy about, for example, embodiment, learning and practice.
By taking his philosophy of embodiment into account, we discover that far from
being outdated, Kant stands out as a true contemporary“.
87 Svare 2006, S. 140 und S. 148: „[…] the cognitive theory defined in the anthropol-
ogy is, roughly, the same as the one we find in the Critique“.
88 Svare 2006, S. 178.
89 Svare (2006, S. 300) vergleicht den Ansatz von Kant mit dem von Piaget: „I think
that what Piaget calls sensorimotor intelligence is more or less the same as what
Kant calls understanding (…) Kant’s understanding is associated with our capacity
to act regularly in the world“.
90 Gerade dieser Aspekt dient am Ende des Buchs von Helge Svare (2006, S. 309) zur
kritischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz von John McDowell.
91 Vgl. Nuzzo 2008, S. 5.
57
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

„The body is not a (more or less contingent) object of experience but a


necessary a priori condition thereof. As the transcendental site of sensi-
bility, the body displays a formal, ideal dimension essential to our expe-
rience as human beings. Such experience could not be possible if it were
not rooted in the formal structure of our embodiment“.92

Dem Versuch, die transzendentale Funktion des Körpers als eine Dimension der
Sinnlichkeit zu deuten, die nicht die gleiche Ausdehnung wie der empirische
Körper hat, sollte man das Verdienst zurechnen, eine Auffassung von Verkörpe-
rung zu vertreten, die sich nicht auf eine rein empirische und physiologische
Perspektive reduzieren lässt. Um die aktive und selbständige Dimension des
Körpers bei Kant zu erklären, rekurriert Nuzzo zutreffenderweise auf die Rea-
lität des äußeren Sinns anhand der Beispiele der entgegengesetzten Gegenstän-
de im Raum und des Orientierungsgefühls.93 Der Körper steht daher nicht nur
mit der Sinnlichkeit im engeren Sinne in Verbindung, sondern auch mit der
übersinnlichen Vernunft, die durch den Verkörperungsprozess zugänglich wird.
Entsprechend bemerkt Nuzzo: „Human rationality is embodied rationality“.94
Somit wird eine Dimension des Körpers sichtbar, die sich nicht auf einen bloßen
Mechanismus zurückführen lässt.95 Und gleichzeitig wird auf diese Weise eine
Dimension des Denkens beschrieben, die selbst verkörpert ist. Die anthropologi-
schen Schriften werden jedoch letztlich von Nuzzo nicht in Betracht gezogen,
vor allem nicht in Bezug auf die epistemischen Aspekte der Bestimmung der
einzelnen Sinne und der Einbildungskraft, welche die hier vertretene Interpre-
tation einer aktiven Funktion der Sinnlichkeit im Schematismus nahelegen. Die
erwähnten Erweiterungsversuche, die Rationalität innerhalb einer Verkörpe-
rungslehre zu erklären, drücken zwar das Desiderat aus, eine Transzendental-
philosophie des Menschen als Ganzem zu entwickeln, können jedoch die spezi-
fisch semantische wie semiotische Form der Versinnlichung nicht erklären, die
dem Schematismus meines Erachtens zugeschrieben werden muss. Auch dieje-
nigen Versuche, die im Gegenteil auf das Disembodiment der kantischen Phi-
losophie hinweisen, blenden die Funktion der Sinnlichkeit in Verbindung mit

92 Nuzzo 2008, S. 9.


93 Siehe dazu auch Gibbons 1994, S. 71: „Perhaps the most intriguing suggestion from
the incongruent counterpart is that the activities of constructing and schematizing
are activities of embodied subjects who can recognize regions of space, as well as
handedness, by occupying regions of space and having hands (or some other ori-
ented part), and by possessing the capacity to recognize orientation through feel-
ing“.
94 Nuzzo 2008, S. 295. Die praktische Bedeutung der Verkörperung der Vernunft
wird von Susan Meld Shell in The Embodiment of Reason (1996, S. 8f.) behandelt.
95 Nuzzo 2008, S. 292.
58
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

den anthropologischen Schriften Kants weitgehend aus.96 Die Kompatibilität


zwischen Transzendentalphilosophie und Anthropologie wird von mir hin-
gegen in Bezug auf die transzendentale Funktion der Sinnlichkeit angenom-
men. Dieser Ansatz ist als Versuch anzusehen, die pragmatische Anthropolo-
gie, von der Kant sich geweigert hatte, sie als physiologisch zu bezeichnen, mit
den Bedingungen des sinnlichen Gebrauchs der Begrifflichkeit in Verbindung
zu bringen. Die Kompatibilitätsannahme läuft damit nicht länger auf eine
Erweiterung der Transzendentalphilosophie durch die Dimension des Körpers
hinaus. Im Gegenteil wird die Transzendentalphilosophie in ihrem idealistischen
Ansatz radikalisiert, indem die Sinnlichkeit innerhalb der transzendentalen
Beschreibung als Bedingung der gestaltenden Versinnlichung des Denkens auftritt.

4. E i n f ü h r u ng des Ver si n n l ic hu ngsb eg r i f f s


Versinnlichung ist nicht mit Verkörperung zu verwechseln. Der Schematismus
erfordert die Annahme einer charakteristischen, aktiven Funktion der Sinn-
lichkeit, die sich aus der Bestimmung der einzelnen Sinne und der Einbildungs-
kraft ergibt, die nicht mit Prozessen physiologischer Natur gleichgesetzt werden
kann. Damit wird ein genuin transzendentaler Ansatz vertreten, der die Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit zur transzendentalen Bedingung der Artikula-
tion von Bedeutung zwischen Begriff und Bild erhebt. Die mit der Versinn-
lichung verbundenen Themen – wie etwa das der Sinne und der Einbildungskraft
– werden häufig zu Unrecht auf die Problematik des Embodiment übertragen,
obwohl die Versinnlichung eine eigene Dimension der Sprach- und Erkenntnis-
prozesse darstellt, die – wie bereits gesehen – nicht mit einer Verkörperung
gleichzusetzten ist.
Der Begriff des Embodiment geht meines Erachtens ursprünglich auf ein
Übersetzungsproblem zurück, im Zuge dessen die kantische Auffassung des
sinnlich bestimmten Denkens mit Embodiment übersetzt wird. Diese Überset-
zung hat weitreichende Folgen für die sachliche Debatte, denn damit werden die
spezifisch sinnlichen Komponenten der Versinnlichung auf den Umfang der
körperlichen Wahrnehmung reduziert.97 Die Folge ist eine Überlagerung des
Versinnlichungsbegriffs durch den des Embodiment, was dazu beigetragen hat,
dass erstere häufig im Kontext einer Verkörperungsproblematik rezipiert worden
ist.98 Eine wichtige Ausnahme in der Rezeptionsgeschichte des Schematismus-

96 Siehe dazu Zammito 2002, S. 298.


97 Zur mind-body-Interaktion, siehe Ameriks 2000, S. 84–127.
98 Bei einer Übersetzung des Wortes ‚Versinnlichung‘ als „sensible rendering“ hinge-
gen wird die Dimension des Sinnlichen gewahrt, obwohl der Versinnlichung hier
der Vorteil eines griffigen Terminus fehlt. Siehe zum Beispiel die Übersetzung der
Kritik der Urteilskraft ins Englische von Werner S. Pluhar (1987, S. 232).
59
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Kapitels ist die Auslegung Heideggers, der die Schemabildung ausdrücklich als
„die Versinnlichung von Begriffen“99 bezeichnet. Sie wird im dritten abschlie-
ßenden Teil erneut in Betracht bezogen, wenn es um die systematische Entfal-
tung eines Ansatzes der Versinnlichung geht.100 An dieser Stelle werde ich mich
vorerst auf eine deutliche Unterscheidung zwischen Verkörperung und Ver-
sinnlichung bei Kant beschränken. Es kann demnach festgehalten werden, dass
die Versinnlichung die Bedingung der Bedeutung ist, während die Verkörpe-
rung die Bedeutung als Faktum voraussetzt und nicht nach der Bedingung
ihrer Entstehung fragt, kurz: Versinnlichung ist transzendental, Verkörperung
schon immer empirisch. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wird somit
im Schematismus radikalisiert.
Wir müssen also zunächst von der Versinnlichung ausgehen, wie Kant
selbst sie auffasst. Er schreibt in Hinsicht auf das höchste Gut: „Ohne diese Ver-
sinnlichung ist es ein Gedanke ohne Gegenstand“.101 Würden wir jedoch ver-
suchen, eine Idee wie die des höchsten Guts zu versinnlichen, indem wir ihr eine
Realität zuschreiben, so handelte es sich dabei aus kantischer Sicht um eine
unzulässige Ontologisierung. Dennoch muss sie, um überhaupt gedacht werden
zu können, versinnlicht werden, aber eben auf andere Weise. Diese Weise nun
ist näher als symbolische bzw. im weiteren Sinne als analogische Versinn-
lichung zu bestimmen. Diese zwei Formen der Versinnlichung – die für die
folgenden Analysen wegweisend sein werden – erhalten ihre paradigmatische
Ausformulierung in der Kritik der Urteilskraft:

„Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinn-


lichung, ist zweifach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der
Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird;
oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und
dem keine sinnliche Anschauung angemessen werden kann, eine solche
untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjeni-
gen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.i. mit ihm
bloß der Regel dieses Verfahren, nicht der Anschauung selbst, mithin
bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalten nach, übereinkommt“.102

Versinnlichung steht somit bei Kant für zweierlei: es gibt einerseits Begriffe, die
eine direkte Entsprechung in den Anschauungen finden und andererseits Begrif-
fe, die nur indirekt in den Anschauungen zur Darstellung gelangen können.
Diese letzteren erfordern die Reflexion durch Analogie. Beide Versinnlichungen

  99 Heidegger, GA, 3, S. 97.


100 Auf Heideggers Auslegung werde ich mich im dritten Teil (Kap. I) dieser Unter­
suchung erneut beziehen.
101 Kant, AA XXIII: 70.
102 Kant, KU B 255.
60
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sind intuitiv, weil sie sich Anschauungen bedienen und in dieser Hinsicht
bestimmte Begriffe und Ideen sinnlich machen können, was für Kant heißt, „die
allgemeine Idee im Beispiele zeigen und das Abstracte in concreto“.103 Ohne diese
versinnlichende Darstellung wäre jede allgemeine Bestimmung ohne Bedeu-
tung, denn sie kann sich nur durch Anschauungen überhaupt verständlich
machen. Die Sinnlichkeit gibt insofern den Begriffen Realität, während im Fall
bloßer Gedanken – die keine direkte Entsprechung in der Sinnlichkeit haben –
das Sinnliche als Substrat einer Analogie für die Reflexion dient.104
Die Versinnlichung trägt zum Prozess der Bedeutungsgebung bei, obwohl
sie oft auch von Kant selbst als bestimmende Versinnlichung (wie im Schema-
tismus) auf eine bloß visuelle Darstellung oder als reflektierende Versinnlichung
(wie im analogischen Denken) auf einen sinnlichen Ausdruck reduziert wird,
der keine objektive Realität erlangen kann. In Bezug auf die Versinnlichung
eines Begriffes, dem ein Objekt entsprechen kann, wird mit der Versinnlichung
ein Prozess konstitutiver Bedeutungsgebung angezeigt, der nur in der Mathe-
matik für Kant zur anschaulichen Konstruktion der Begriffe gelangen kann.
Und im Fall eines reflektierenden Urteilens ermöglicht die analogische Versinn-
lichung – in der die Anschauungen zu Symbolen (und nicht zu Schemata) der
Begriffe werden – den künstlerischen Ausdruck und im Allgemeinen den meta-
phorischen Diskurs. Wie Stephan Otto in Bezug den Hypotypose-Begriff rich-
tig beobachtet hat, greift „Kant mithin gar nicht auf Ciceros und Quintilians
‚Anschaulichkeit‘ zurück, er spielt vielmehr an auf das griechische Verbum hypo-
typoun, das ‚Erstellung eines Entwurfs‘ oder ‚Umrisses‘ bedeutet […]. Nicht im
Gefälle also einer ‚Veranschaulichung‘, sondern im Sinne eines ‚Entwurfskon-
zepts‘ eignet der kantischen Hypotypose ihre Kontur“.105 Dabei dient die Anschau-
ung nicht als Anpassungs- und Nachahmungsmuster, sondern markiert einen
bildenden Ausdrucksprozess, durch den die Begriffe überhaupt erst realisiert
werden.
Diese bildende Kraft des Ausdrucksprozesses ist prägendes Merkmal der
Verwendung des Versinnlichungsbegriffs in der Aufklärung. Hier wird die Ver-
sinnlichung hauptsächlich auf die ästhetische Macht einer Steigerung der
mimetischen Erkenntnis bezogen, die Oschmann als ein Prinzip der aufkläreri-

103 Kant, AA XV: 79 (R 206).


104 Diesbezüglich siehe die schwer datierbare Reflexion 215 (AA XV: 82) aus Kants
Handexemplar von Baumgartens Metaphysica: „Sinnlichkeit hat ohne Verstandes-
begrif keinen Zusammenhang, und der erste ohne die letzte keine realität. Der Ver-
stand komt entweder zur sinnlichkeit als reflexion oder die Sinnlichkeit zum Ver-
stande als Erhellung“. Siehe auch die erste Fassung der Einführung in die Kritik der
Urteilskraft. Vor allem in §VIII (AA XX: 223) problematisiert Kant die Funktion
der Versinnlichung für das reflektierende (und nicht bestimmende) Urteilen.
105 Otto, 2007, S. 111. Siehe auch (S. 110) die Auslegung des Hypotypose-Begriffs bei
Cicero und Quintilian.
61
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

schen Sprach- und Dichtungstheorie deutet: „Der Prozess der Versinnlichung


transformiert die Sprache vom bloßen Medium gleichsam zum Organon der
Erkenntnis“.106 Dies betrifft hauptsächlich die Macht der literarischen Sprache,
die sich anstrengen muss, die Lebendigkeit und Bewegungskraft der Welt nicht
bloß wiederzugeben, sondern mit ihrer bewegenden Kraft noch tiefgreifender
zu beleben.
Die Versinnlichung wird von Kant dem ästhetischen und rhetorischen
Kontext entnommen und, wie Gasché hervorhebt, zur Grundlage der trans-
zendentalen Darstellung gemacht107:

„Durch die Schemata und die Symbole erhalten die Gemütskräfte den
Schwung, ohne den der Geist leblos bliebe. Es stellt sich also heraus, dass
Kant den philosophischen Begriff der Hypotypose völlig umgestaltet,
indem er ihn mit Eigenschaften ausstattet, die dem rhetorischen Gebrauch
des Begriffs entstammen“.108

Somit dehnt die Versinnlichung nach Gasché die bildende Kraft der Einbil-
dungskraft bis hin zur Dichtung aus – sie wird „nicht einfach Fiktion im Sinne
von Täuschung, sondern ein Formen, Gestalten oder Prägen im Sinne der Ety-
mologie von fingere. Eine solche Dichtung der Einbildungskraft ist Komposition
oder Erfindung“.109
Versinnlichung soll im Folgenden als Kennzeichen der aktiven Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit angesehen werden, um so eine Theorie der
Sinnlichkeit bei Kant anzudeuten. Um diese zu verstehen, ist es essentiell, den
Punkt zu markieren, an dem meines Erachtens über Kant hinauszugehen ist.
Wie bereits angedeutet wurde und an der Schlüsselstelle der Kritik der Urteils-

106 Oschmann 2002, S. 295: „Der Prozess der Versinnlichung transformiert die Sprache
vom bloßen Medium gleichsam zum Organon der Erkenntnis. Sobald darüber hin-
aus die Sprache derart von ihrer repräsentationalen Funktion entbunden und als ein
unverfügbar Vorgängiges begriffen wird, vermag sie selbst neue Ordnungen zu
generieren, und dies wiederum wird am Ende die Bedingung dafür sein, dass die
Dichtung aus dem Stadium der Nachahmung allmählich heraustreten und zur
Präsentation, das heißt zur Darstellung übergehen kann“. Für eine ausführliche­re
Erklärung der Versinnlichung bei Lessing, Schiller und Kleist siehe auch Oschmann,
2007.
107 Gasché 1994, S. 163 „Im Unterschied zu dem rhetorischen Gebrauch des Begriffs,
der ihn als Bezeichnung für das lebhafte Malen einer Vielzahl von ästhetisch oder
moralisch interessanten Szenen noch immer recht weit faßt, faßt Kant neuer und
origineller Gebrauch von ‚Hypotypose‘ diesen Begriff viel enger: Bei ihm benennt
er die Produktion der Realität unserer Begriffe und damit der Lebendigkeit unseres
Gemüts und seiner Vermögen. Die Hypotypose wird daher am besten als eine tran-
szendentale Darstellung bezeichnet“.
108 Gasché 1994, S. 169.
109 Gasché 1994, S. 171.
62
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kraft ersichtlich ist, spricht Kant selbst von einer zweifachen Versinnlichung
und unterscheidet sie in eine schematisch-bestimmende und eine symbolische.
Um eine aktivische Lesart der Sinnlichkeit zu stützen, muss daher der Problem-
kontext der symbolischen Versinnlichung zunächst eingeklammert werden,
damit die schematische Versinnlichung als Bestimmungsverfahren der Erkennt-
nis herausgestellt werden kann.
Damit verbunden ist eine Revision seiner Erkenntnistheorie durch die
Berücksichtigung sowohl seiner anthropologischen Schriften als auch – im
zweiten Teil – des transzendentalen Versuchs Maimons und der metakritischen
Revision Herders. Der Versinnlichungsbegriff stellt meines Erachtens die Spur
dar, der man zu folgen hat, um den Schematismus als semantischen Prozess
einer sinnlichen Gestaltung zu bestimmen. In dieser Hinsicht ist die Kompati-
bilität zwischen den anthropologischen Schriften und den Kritiken hier nicht
als eine problemlose Überschneidung zu deuten, sondern als Folge eines kriti-
schen Erweiterungsversuchs anzusehen, die sprach- und erkenntnistheoretische
Problemstellung in ihrer Komplexität und Fülle von Referenzen zu betrachten.
Aus diesem Blickwinkel werden auch die Revisionsversuche in der Nachfolge
Kants untersucht; vor allem Herder ist es, der Kant in seiner Auslegung des
Schematismus dazu bewegen möchte, einen „neuen Metaschematismus tönen-
der Gedankenbilder“ einzuführen.110 Das soll bereits hier erwähnt werden, um
die herausragende Bedeutung der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit im
Schematismus anzudeuten, die meines Erachtens von Kant zwar gesehen,
jedoch nicht systematisch in die Transzendentalphilosophie eingeführt wird. Im
Folgenden sollen diese Aspekte nun schrittweise entwickelt und zum Schema-
tismus in Beziehung gesetzt werden. Zunächst hat es dabei um die Spezifizie-
rung der einzelnen Sinne zu gehen, um anschließend die Synthesis der Einbil-
dungskraft untersuchen zu können.

5. Si n n u nd E i nbi ldu ngsk ra f t


a ls ‚ z wei St üc ke der Si n n l ic h keit ‘
Die Sinnlichkeit enthält mehrere Schichten: Sie muss erstens von der rein sub-
jektiven Empfindung unterschieden werden, die dem Zustand des Gefühls ent-
spricht. Zweitens ist sie auf die gegenstandsbezogene Empfindung bezogen. Auf
dieser Ebene kann der Gegenstand gegenwärtig sein und in dieser Gegenwart
durch die Sinne wahrgenommen werden. Der Gegenstand kann jedoch auch
abwesend sein und nur vorgestellt werden. Jetzt ist es daher an der Zeit, die
objektbezogene Empfindung sowohl in ihrer Gegenwart als auch ohne ihre
Gegenwart genauer zu untersuchen. In der Anthropologie schreibt Kant dazu:

110 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.


63
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

„Die Sinnlichkeit im Erkenntnisvermögen (das Vermögen der Vorstel-


lungen in der Anschauung) enthält zwei Stücke: den Sinn und die Ein-
bildungskraft. Das erstere (Sinn) ist das Vermögen der Anschauung in
der Gegenwart des Gegenstandes, das zweite (Einbildungskraft) auch
ohne die Gegenwart desselben“.111

Die Untersuchung der einzelnen Sinne wird in der Kritik der reinen Vernunft
nicht unternommen, da es dort nur um die Form der Sinnlichkeit geht, die –
anders als die Materie der Erscheinung, die nur a posteriori gegeben ist – a
priori bereit liegt.112 Und diese Form ist die reine Anschauung, die durch ihre
Isolierung von Begriffen und von empirischen Empfindungen erörtert wird. Die
reinen Formen der Anschauung, Zeit und Raum, sind im Schematismus mit den
reinen Begriffen verbunden. Sie stellen somit die sinnliche Bedingung der
Grundsätze der Erfahrung dar – soweit gibt es die innere Struktur der Kritik
der reinen Vernunft bis zur Erläuterung der Grundsätze vor. In diesem Rahmen
ist der Schematismus – wie schon erwähnt – nur ein notwendiger, jedoch nicht
ausführlich entfalteter Schritt, der zur Überbrückung des Dualismus zwischen
Sinnlichkeit und Verstand dient, und dessen synthetisierende Macht in den
Sinnen keinen direkten Ursprung hat.
Bei der Erkenntnis handelt sich nach Kant nur um eine gegenstands-
bezogene Empfindung, und deshalb heißt „diejenige Anschauung, welche sich
auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, empirisch. Der unbestimmte
Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung“.113 Die Emp-
findung stellt nur die Materie der Erscheinung, abgesehen von ihrer Form dar,
welche ermöglicht, „dass das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Ver-
hältnissen geordnet werden kann“.114
Die Formen der sinnlichen Anschauungen sind Zeit und Raum, deren
Bestimmung nicht begrifflich erfolgen kann – die transzendentale Ästhetik
dient gerade dazu, ihren formalen, anschaulichen Charakter zu erklären. Ohne
die Formen der Anschauungen wäre die Sinnlichkeit deshalb nur passiv, dem
Verstand gegenüber leidend, während sie eben durch diese Formen eine Vorbil-
dung erfährt: Die sinnliche Mannigfaltigkeit bekommt damit einen schon syn-
thetischen Charakter, der Bedingung für ihre Subsumption unter Begriffe ist,
wie Kant anmerkt: „Raum und Zeit sind die Formen der Verbindung in der
Anschauung und dienen, die Categorien in concreto anzuwenden“.115 Ihre Vor-
bildung ermöglicht den Übergang von der Materie zur Form der sinnlichen

111 Kant, AA VII: 153.


112 Vgl. Kant, KrV, B 35f., A 21.
113 Kant, KrV B 33, A 20.
114 Kant, KrV B 34.
115 Kant, AA XVIII: 393 (Hervorhebung L.G.).
64
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Anschauungen, die durch den Schematismus mit den Begriffen vermittelt wer-
den. Sowohl die Zeit als auch der Raum sind im Schematismus impliziert, und
dieser Aspekt wird in Bezug auf die Betrachtung einzelner Sinne noch deutlicher
werden.116 Diese sind nämlich die ersten Rezeptoren des unbestimmten Gegen-
standes einer empirischen Anschauung, den Kant als Erscheinung definiert:

„Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern


wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschau-
ung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt
empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschau-
ung heißt Erscheinung“.117

Die Gegebenheit wird schon durch die Sinne zur Gestalt gemacht, und Kant
bezeichnet die Anschauungen in der Anthropologie selbst als „Gestalten der
Dinge“.118 Die leitende These meiner Interpretation besteht deshalb darin, diese
Gegebenheit immer schon als eine Versinnlichung zu deuten und die quaestio
facti von der Klage über die Passivität der Sinnlichkeit zu befreien. Der passive
Aspekt der Sinnlichkeit kann nur auf die Rezeptivität bezogen werden, indem
die Sinne auf einen äußeren Reiz reagieren. Ohne eine transzendentale Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit hätte jedoch diese Stimulation keine sinnliche
Form, in der sich die Bedeutung realisieren könnte. Daher zielt die vorliegende
Untersuchung nicht darauf ab, den Ursprung des synthetischen Verfahrens des
Schematismus in den Sinnen zu begründen, sondern die Gestaltungsfunktion
der Sinnlichkeit als zentrales Merkmal in den Prozess der Schematisierung zu
integrieren, der damit nicht empirisch oder physiologisch, sondern rein trans-
zendental zu bestimmen ist.119 Es wird somit der Versuch unternommen, die

116 Das Problem der unterschiedlichen Funktionen der Zeit und des Raumes im Sche-
matismus hat eine umfangreiche Debatte ausgelöst, die sich insbesondere an der
Anmerkung zur Analytik der Grundsätze in der zweiten Auflage entzündet hat,
wo Kant den Raum zur Bedingung der Wahrnehmung äußerer Gegenstände
erklärt. Diese Debatte, die hier nicht eingehend untersucht werden kann, wird zum
Teil von Johannes Haag (2007, S. 280–281) zusammengefasst. Vgl. außerdem auch
Strawson 1966, S. 30f., und Guyer 1987, S. 167f.: „The spatiality of objects of appear-
ances will be the ultimate condition of the objective validity of the categories, even
if it does not figure in the actual schematization of them“. Vgl. dazu auch die
Zusammenfassung dieser Problematik von Hughes 2007, S. 229–237. Im abschlie-
ßenden dritten Teil werde ich erklären, inwieweit von einer transzendentalen
Bedeutung von Zeit und Raum in der Schematisierung bezüglich des Bildes und des
Lautes auszugehen ist.
117 Kant, KrV B 34, A 19f.
118 Kant, AA VII: 191.
119 Siehe dazu Karl Hepfer (2006, S. 103–105), der bezüglich der kantischen Lehre zu
Recht darauf besteht, dass der Schematismus als ein Verfahren zu verstehen ist,
„das durch die Sinne gegebene Daten anhand eines bestimmten Merkmals ordnet
und strukturiert, und Kant behauptet an keiner Stelle, dass dieses Verfahren seinen
65
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Funktion der Sinnlichkeit als weitaus umfassender zu deuten, als üblicherweise


angenommen wird, womit zugleich die einzelnen Sinne selbst als transzenden-
tale Funktionen in den Blick kommen.
Wenn nun der Schematismus entsprechend als Prozess angesehen wird,
der zur Erläuterung des Gebrauchs von Begriffen, Zeichen und Bildern dienen
soll, dann verändert sich sowohl die innere Struktur als auch die Reichweite der
vorzunehmenden Untersuchung, da sie unter die Elemente der formalen Anschau-
ung nicht nur die reinen Formen der Zeit und des Raums zählt, sondern auch die
Funktion der Sinnlichkeit. Dabei wird sich herausstellen, dass die Sinnlichkeit
zahlreiche transzendentale Aspekte umfasst, was eine bloß empirische, physio-
logische und psychologische Bestimmung derselben unplausibel erscheinen
lässt. Diese Aspekte sind insbesondere in den anthropologischen Schriften
Kants zu finden, in denen die Untersuchung der Funktionen der Sinne und der
Einbildungskraft im Vordergrund steht.
Es wird sich zeigen, inwiefern die Wirkung der Begrifflichkeit nicht von
der Gestaltungsfähigkeit der Sinnlichkeit abgetrennt werden kann, und warum
im Fall der Bedeutungsgebung genau genommen nicht von einer Gegebenheit
der Bedeutung gesprochen werden sollte. Die Gestalt wird damit zum zentralen
Kennwort für die systematische Analyse der Sinnlichkeit bei Kant – besonders
mit Blick auf die Verhältnisse zwischen den Sinnen, den Anschauungen und den
Erscheinungen. Eine solche Untersuchung der Sinnlichkeit mit Fokus auf die
Gestalt kann jedoch nicht von ihren zwei Gegenstücken absehen und sollte daher
zugleich die Funktion sowohl der Sinne als auch der Einbildungskraft berück-
sichtigen. Ihr systematischer Zusammenhang wird von Kant, wie bereits erwähnt,
insbesondere in der Anthropologie und in den auf sie bezogenen Reflexionen
entwickelt, die er zum Teil als Antwort auf die Kritik Hamanns und Herders
entworfen hat.120 Hier bestimmt Kant die Rolle der Sinne in Bezug auf die Vor-
stellung der äußeren Gegenstände und die Erkenntnis der abstrakten Begriffe.
Die fünf Sinne stellen nach Kant den Bezug zu den äußeren Gegenstän-
den her. Sie sind keine bloßen Rezeptoren, sondern spielen eine grundlegende
Rolle in der Vorstellung der Gegenstände und in ihrer möglichen sprachlichen
Bezeichnung. Auf der Ebene der Sinne findet sich bei Kant eine ähnliche Span-
nung zwischen Subjektivität und Objektivität, wie sie in Bezug auf den Unter-
schied zwischen subjektiver und objektiver Empfindung herausgearbeitet wer-
den konnte. Nach Kant gibt es fünf Organsinne, deren Empfindung in einzelnen
Organen zu lokalisieren ist und die sich dahingehend unterscheiden, ob die ent-
sprechenden Sinne mehr objektiv als subjektiv oder mehr subjektiv als objektiv

Ursprung in den Sinnen habe. Im Gegenteil: er weist wiederholt darauf hin, dass es
zu den apriorischen Voraussetzungen unserer Erkenntnis zu zählen ist“.
120 Vgl. dazu Erdmann 1882, S. 11–16.
66
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sind.121 Zu ersteren zählt der Tastsinn, das Gehör und das Gesicht; zu letzteren
der Geschmack und der Geruch. Die Spannung zwischen Objektivität und Sub-
jektivität bringt jedoch keine starre Trennung zwischen den Sinnen mit sich,
sondern zeigt eine komplexe Synästhesie in der Wahrnehmung an – deren
Bedeutung als „Sensorium commune“122 Kant jedoch nur einmal erwähnt und
die erst für Herder entscheidend ist.
Die Sinne sind demnach nicht starr als objektiv oder subjektiv zu cha-
rakterisieren: Sie besitzen vielmehr eine physiologische Natur, die im ganzen
synästhetischen Prozess variieren kann und moduliert wird; sie schwanken
sozusagen zwischen Objektivität und Subjektivität. Kant bemerkt, dass wir in
einigen Fällen sogar eine Umkehrung oder besser: eine Umwandlung einer äuße-
ren Beziehung in eine innere erleben können, wenn zum Beispiel die Empfin-
dung so stark wird, „dass das Bewusstsein der Bewegung des Organs stärker
wird“.123 Das Verstehen von Bedeutung ist also eine äußere Beziehung, die durch
eine starke Empfindung zu einer inneren wird, weil so die Aufmerksamkeit
gewissermaßen auf das empfangende Organ gerichtet wird. Erklärt wird das am
Beispiel des Sprechens: Wenn eine Person so laut redet, dass es in den Ohren
schmerzt, dann tritt das Verstehen der Bedeutung in den Hintergrund, das nor-
malerweise die primäre Funktion des Hörens einer sprechenden Person ist.
Abgesehen von der als synästhetisch deutbaren Formulierung, „Gedan-
ken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“,124 die den
notwendigen Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit und Verstand ausdrückt,
behandelt Kant die Synästhesie nicht explizit, bzw. nur teilweise mit Blick auf
die Frage nach dem Vikariat der Sinne: Wenn ein Sinn fehlt, kann ein anderer
seine Stellung einnehmen und ihn ersetzten. Über diese Ersatzfunktion bestimmt
er die Eigenschaften einzelner Sinne. Das Problem lässt sich am besten anhand
des Beispiels von Personen erklären, denen bestimmte Sinne fehlen – wie etwa
diejenigen, die stumm sind und sich durch Gebärdensprache ausdrücken. Die im
Schematismus angelegte Synästhesie kommt allerdings erst bei Herder zu ihrer
vollen Entfaltung und soll zudem später auf den Ansatz Plessners bezogen wer-
den, der meines Erachtens eine mit Kant kompatible, ‚isolierende Ästhesiologie‘
vertritt, in der jene Synästhesie immer schon a posteriori ist.
Was in der anthropologischen Untersuchung der Sinne in Bezug auf den
Schematismus betont werden sollte, ist ihre Funktion in der Wahrnehmung und

121 Kant, AA VII: 154.


122 Kant, AA VII: 116. Vgl. dazu vor allem den Brief von 10. August 1795 an Soemmer-
ring (AA XII: 30–35). Siehe auch die Antwort Soemmerrings von 22. August 1795
(AA XII: 39), in dem mit sensorium commune ein Organ gemeint ist.
123 Kant, AA VII: 156f. Dazu siehe Sturm 2009, S. 261f.
124 Kant, KrV, B 76, A 51.
67
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

die genaue Bestimmung einer Gestalt. Für Kant sind es gerade die äußeren Sin-
ne, die an der Hervorbringung der Gestalt beteiligt sind. Der Tastsinn dient
dazu, eine physische Gestalt zu erfassen und wird deswegen als „der wichtigste
und am sichersten belehrende, dennoch aber der gröbste“ bezeichnet: „Ohne
diesen Organsinn würden wir uns von einer körperlichen Gestalt gar keinen
Begriff machen können“.125
Die Grobheit des Tastsinnes liegt nach Kant in seiner Unmittelbarkeit,
die ihn vom Sinn des Sehens unterscheidet: dieser ist nämlich „ein Sinn der
mittelbaren Empfindung“, die durch das Licht affiziert wird, was dennoch so
wenig und so sanft geschieht, dass er als der edelste Sinn beschrieben wird, dem
eine besondere Feinheit bei der Bestimmung einer Gestalt zukommt. Unter den
äußeren Sinnen unterscheidet sich davon das Gehör, weil es keine Gestalt des
Gegenstandes hervorbringt. An der Bestimmung des Gehörs kann abgelesen
werden, inwieweit die Anschauung bei Kant visuell konnotiert ist. Das Hören
ist nämlich eine „Empfindung ohne Erscheinung und Gefühl in der Entfernung“,
während mit dem Sehen die Erscheinung „in der Entfernung“126 gemeint ist.
Die Funktionen der Sinne lassen sich als transzendental bestimmen, weil
sie nicht nur zur Artikulation der Bedeutung dienen, sondern zugleich in enger
Verbindung mit den reinen Anschauungen von Zeit und Raum stehen – die für
Kant keinesfalls auf die Begrifflichkeit zu reduzieren sind.127 Diese Problematik
betrifft insbesondere das Verhältnis zwischen dem Hören und der Zeit sowie
dem Sehen und dem Raum, wie es in den Reflexionen über die Anthropologie
ausdrücklich wird. Diese Deutung der Sinne vollzieht sich im transzendentalen
Horizont Kants, der die „subjektive Beschaffenheit der Sinnesart“,128 die an

125 Kant, AA VII: 155.


126 Kant, AA VII: 156; AA XV: 110.
127 Hierbei spielt der Unterschied zwischen Formen der Anschauung und formaler
Anschauung eine wichtige Rolle, vor allem in der entsprechenden Differenzierung
zwischen potential und actual form. Für Chiodi (1961, S. 261) ist dieser Unter-
schied das Neue, das im §26 der B-Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft
hinzukommt: „è in questo quadro che va collocata la grande novità del §26, e cioè
l’accentuazione, circa lo spazio ed il tempo, del carattere di intuizioni formali, a
scapito di quello di forme dell’intuizione“. Dieser Aspekt wird von Béatrice Lon-
guenesse (1998, S. 216–229) in Bezug auf die Synthesis speciosa ausführlich behan-
delt. Die Formen der Anschauungen sind reine Anschauungen, die in der Abstrak-
tion von der Materie behandelt und in der transzendentalen Ästhetik als isoliert
untersucht werden. Ihre Funktion ist jedoch als eine lediglich potentielle anzuse-
hen, da ihre Vorbildung sich erst in der schematisierenden Synthesis realisieren
kann. Nach Longuenesse (1998, S. 221) ist die Einführung der formalen Anschau-
ungen in §26 der Deduktion B deshalb von großer Bedeutung, weil Kant damit die
Dimensionen von Zeit und Raum als schon in der Synthesis speciosa implizierte
bestimme. Dabei werde eine aktuelle Form der Anschauungen eingeführt, „a form
synthesized by the intervention of spontaneity“.
128 Kant, KrV, B 45.
68
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die subjektive Empfindung von Farben, Tönen, Wärme usw. gebunden ist, in der
Betrachtung der Anschauungen ausklammert. Dieser Zusammenhang soll im
Folgenden über eine Analyse der Gestaltungsfunktion der Sinne bei Kant ver-
tieft werden.
In diesem Zusammenhang ist die jeweilige Funktion der Zeit und des
Raumes im angezeigten Gestaltungsprozess von besonderem Interesse. Die
Schematismuslehre betrifft die Konstitution (und nicht die Konstruktion) des
Gegenstandes der Bedeutungserfahrung – und die Gestalt wird zum Kern-
begriff dieses Konstitutionsprozesses. Auf der Ebene der Wahrnehmung ist sie
primär eine visuelle Gestalt, während die Gestalt für das Gehör näher am
Begriff und daher weniger visuell konnotiert ist. Es geht daher bei dieser Gestalt
mehr um ein abstraktes Ganzes von Merkmalen, das sich sinnlich-akustisch
realisiert. Sowohl Gesicht als auch Gehör sind formale Sinne, d.h. sie gehen auf
die Form des Gegenstandes, auf den sie bezogen sind: „Die Sinne sind entweder
obiektiv oder subiektiv. Die erstere gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder
Form (Gesicht und Gehör). Die letztere entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht
und Gehör“.129
Die Gestalt spielt bei Kant deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie als
Medium die Vorstellung eines Gegenstandes nach den Verhältnissen des Rau-
mes ermöglicht, während die Zeit keine Gestalt hervorbringen kann. Die Zeit ist
vielmehr die „Bedingung a priori aller Erscheinungen“130 und bezieht sich nach
Kant unmittelbar auf das Innere und nur mittelbar auf die äußeren Erschei­
nungen, deren unmittelbare Bedingung der Raum ist. Und „weil diese innere
Anschauung keine Gestalt gibt“ – bemerkt Kant in der Transzendentalen Ästhe-
tik –, „suchen wir auch diesen Mangel durch Analogie zu ersetzen, und stellen
die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor“.131 Die Gestalt ist
deshalb das eigentliche Erkenntnismittel aller Gegenstände, weshalb auch die
zeitliche Reihe in der räumlichen Gestalt eine – wenn auch bloß analogische –
Darstellung erhält.132 Und nicht zufällig wird die Dimension der Zeit von Kant
oft mit dem Begriff des Spiels beschrieben, um sie so vom gestalthaften Cha-

129 Kant, AA XV: 108. Vgl. dazu auch die späteren Vorlesungen Kants, AA XXV, II:
1242–1245 und 1452–1454.
130 Kant, KrV, B 50, A 34.
131 Kant, KrV, B 50, A 34.
132 Diesbezüglich siehe die wichtige Reflexion 683 (AA XV: 304): „Die Vorstellung
eines Gegenstandes nach den Verhaltnissen des Raumes ist die Gestalt und deren
Nachahmung das Bild. Die Form der Empfindungen Erscheinung ohne Vorstellung
eines Gegenstandes besteht blos in der Zusammenordnung der Empfindungen nach
Verhältnis der Zeit und die Erscheinung heißt ein Gefolge (oder Reihe oder das
Spiel). Alle Gegenstände können sinnlich oder anschauend erkannt werden nur
unter einer Gestalt“.
69
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

rakter des Raumes zu differenzieren.133 Das Denken einer Linie – das immer
schon mit dem gedanklichen Ziehen einer Linie einhergeht – stellt dabei exem-
plarisch die Gestaltungsfunktion der Einbildungskraft dar: „Wir können uns
keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.134 Und die Reflexion 6359
schließlich bezieht diese Wechselbestimmung auf den Begriff des Schematis-
mus: „Dass die Zeit durch eine Linie (die doch ein Raum ist) und der Raum
durch eine Zeit (eine Stunde gehens) ausgedrückt wird, ist ein Schematism der
Verstandesbegriffe“.135
Auf die Ebene des visuell-räumlichen Ziehens einer Linie, das die Nähe
zwischen schematischer und diagrammatischer Methode anzeigt, wird später
noch einzugehen sein.136 Zunächst soll hier die akustisch-zeitliche Gestaltung
näher beleuchtet werden, weil sie für Kant die Bedingung der Artikulation von
Bedeutung zwischen Bild und Begriff darstellt. Gerade weil das Gehör keine
visuelle Gestalt hervorbringen kann, ist es so wichtig für die Schematisierung,
in der Gehör und Zeit eng verbunden sind: „Weil das Gehor auf die Zeit ein-
schlägt, so begleitet es alle Verstandesvorstellungen vom obiect, bringt aber
keine Vorstellung des obiects hervor“.137 Und kurz darauf: „Weil das Gehör keine
Gegenstände vorstellt, so dient es vortreflich zum Zeichen der Sache (Worte)“.138
Gerade wegen der mittelbaren Distanziertheit vom Gegenstand (durch die Luft)
sind die Laute „die geschicktesten Mittel der Bezeichnung der Begriffe“, weil sie
mit dem Begriff die Allgemeinheit teilen. Dieser Aspekt wird für Kant exem-
plarisch durch den Fall des Taubgeboren verdeutlicht, der „nie zu etwas Mehre-
rem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“139 kann. Er kommt daher „nie
zu wirklichen Begriffen, weil die Zeichen, deren er dazu bedarf, keiner Allge­
meinheit fähig sind“.140 Diese Allgemeinheit macht die Zeichen zu Wächtern –
und nicht zu Symbolen – der Begriffe, die an sich nichts bedeuten und nur der
Bezeichnung dienen: „Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umge-

133 Die allgemeine Unterscheidung zwischen Gestalt und Spiel, die eine wichtige Rolle
in der Klassifizierung der Künste spielt, wird in der Kritik der Urteilskraft folgen-
dermaßen erörtert (KU, B 42, A 42): „Alle Form der Gegenstände der Sinne (der
äußern sowohl als mittelbar auch des innern) ist entweder Gestalt, oder Spiel: im
letztern Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume, die Mimik und der Tanz);
oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)“. Der Spiel-Begriff ist wesentlich
für die Bestimmung der Musik, die Kant als „Spiel der Empfindungen“ oder „Spiel
der Eindrücke“ beschreibt. Siehe zum Beispiel die Reflexion 806 (AA XV: 356).
134 Kant, KrV, B 154.
135 Kant, AA XVIII: 687.
136 Dieser Aspekt wird später in Bezug auf die diagrammatische Auslegung des Mono-
gramms betrachtet (siehe Kap. V.2.1).
137 Kant, AA XV: 99. Vgl. Capozzi 2006 und 2012.
138 Kant, AA XV: 101.
139 Kant, AA VII: 155.
140 Kant, AA VII: 159.
70
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kehrt die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache,
dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“. Die Bezeichnung
würde anders gesagt ohne die Funktion des Gehörs nicht erfolgen und wäre auf
den beispielhaften und einzelnen Charakter einer Bild-Gestalt fixiert. Das
Gehör ermöglicht somit zugleich eine Verinnerlichung wie auch eine Äußerung
der Bezeichnung, die zur Artikulation der Allgemeinheit beiträgt.141
Der innere Sinn ist daher in Bezug auf den engen Zusammenhang zwi-
schen Zeit, Gehör und Zeichen eine Verinnerlichung des Gegenstandes, die
gleichzeitig einen innerlichen Bezug zu den Gegenständen des äußeren Sinnes
herstellt. Die Zeit ermöglicht demnach die Verinnerlichung der Bedeutung, die
sich sprachlicher Zeichen bedient, wohingegen der Raum die Veräußerlichung
der Bedeutung ermöglicht, die sich durch Bilder und konstruierte Figuren arti-
kuliert.142 Gerade weil die innere Anschauung für Kant keine Gestalt ‚gibt‘, ist
es eine bloße Analogie, wenn die Zeitfolge „durch eine ins Unendliche fort-
gehende Linie“ vorgestellt wird, „in welcher das Mannigfaltige eine Reihe aus-
macht“.143 Daher kann es nicht verwundern, dass Kant schreibt: „Das Schema
der Zeit [ist] eine Linie“.144 Die Gestalt im Sinne eines Bildes ist immer nur kon-
kretes Beispiel eines Begriffes, das – wie sich zeigen wird – in der Kritik der
Urteilskraft als Definition der empirischen Anschauungen vorkommt.
Das Sehen ist gerade an das Hier und Jetzt des Bildes gebunden und kann
nicht zur Bezeichnung dienen, die vom Bild abstrahiert: „Wenn man den Begriff
nicht von Bildern absondern kann; so wird man niemals rein und fehlerfrey
denken können“.145 Dieser Satz wird in der Metaphysik Volckmann auf die Dar-
stellung abstrakter Begriffe durch Bilder vor allem bei Heraklit und Pythagoras
bezogen. Aristoteles hingegen sei derjenige unter den Griechen, der diese Dar-
stellung weiter entwickele, indem er „für die abstractesten Ideen Wörter“ erfun-

141 Diesbezüglich sind die Collegentwürfe über Anthropologie aus den 70er und 80er
Jahren sehr aufschlussreich (AA XV: 802). Die Definition des Gehörs liest sich wie
folgt: „Mittelbar (mehr subiectiv). Theilt die Zeit ein, stellt die Gestalt des Gegen-
standes gar nicht vor. Der Eindruk ist innigst“.
142 Das ist der Sinn derjenigen Übersetzung, die Henry Allison „temporalese“ nennt,
was mehr als eine bloße Übersetzung der reinen Begriffe in zeitlichen Ausdrücke
sei, wie er (2004, S. 221) erklärt: „It is rather more like a matter of translating what
is thought in a pure concept into temporal terms, into ‘temporalese’, if you will. But
this way of putting it may easily lead to misunderstanding, since it glosses over the
crucial point that a thought is being ‚translated” from its natural discursive form
into a non-discursive one. Thus, the model of the translation of a sentence or term
from one natural language to another cannot be applied here without significant
qualifications“.
143 Kant, KrV, B 50, A 34.
144 Kant, AA XXIII: 27.
145 Kant, AA XXVIII: 369.
71
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

den habe.146 Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel in Bezug auf das Schema
als Artikulation von Bedeutung zwischen Begriff und Bild genauer zu unter-
suchen sein.147
Die Sinne sind also durch spezifische Funktionen charakterisiert, die
sich in der Artikulation der Bedeutung niederschlagen, weshalb sie nicht auf
ihre psychologischen und physiologischen Aspekte reduziert werden können. Es
geht bei ihnen weder um die Beurteilung psychischer Zustände,148 noch lassen
sie sich ausschließlich mittels einer experimentellen, physiologischen (heut-
zutage: neurophysiologischen) Methode analysieren, da sie schon immer einen
semantischen Bezug herstellen. Die Sinnlichkeit ist zwar zweifellos empirisch
und physiologisch verankert, impliziert aber eine transzendentale Ebene, dank
der sie Bedingung der Artikulation von Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild
ist. Denn ohne die Sinne – die immer schon eine Versinnlichung darstellen –
wäre eine solche Artikulation nicht möglich.
Die Sinnlichkeit ist insofern nicht nur Bedingung einer bestimmten
Vorbildung der sinnlichen Mannigfaltigkeit, sondern auch einer Gestaltung
derselben zwischen Begriff und Bild, wobei den Sinnen eine transzendentale
Funktion zukommt, die – wie sich im Anschluss an die Untersuchung des Schema-
tismus bei Kant zeigen wird – nicht nur rein semiotisch, sondern genetisch und
vorsprachlich ist. An dieser Stelle muss zunächst hervorgehoben werden, dass
die Anschauungslehre nicht in ihrer ontologischen Bedeutung behandelt wird.
Es wird daher auch nicht um das Problem der ontologischen Realität von Zeit
und Raum gehen, das den Ausgangspunkt für Kants Auseinandersetzung mit
den Raumtheorien von Newton und Leibniz darstellt und prägend für die
Bestimmung der Anschauungen ist, insofern sie nicht auf begriffliche Bestim-
mungen zurückführbar sind. Ob nun alle Gegenstände der Sinne sich notwen-
digerweise in zeitlichen und räumlichen Verhältnissen befinden,149 ist eine Frage,
die eine ebenso lange wie komplexe Rezeptionsgeschichte hat und eine Aus-
einandersetzung mit der Relativitätstheorie und der zeitgenössischen Quanten-
physik impliziert. Sie soll hier zugunsten einer Untersuchung der transzenden-
talen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit nicht weiter verfolgt werden.
Diesbezüglich sind zwei Aspekte hervorzuheben, die Kant zwar anführt, aber
systematisch und terminologisch nicht weiter zuordnet: Einerseits ist eine
gewisse Reduktion des Schemas auf die figurative Bestimmung zu verzeichnen.
Kant hebt die Funktion der lautlichen Formung in Bezug auf das Verhältnis
zwischen Wörtern und Begriffen zwar hervor, aber er bezeichnet sie nicht als

146 Kant, AA XXVIII: 369.


147 Siehe unten, Kap. III.
148 Vgl. dazu Kant, AA XV: 105: „Man ist gewohnlich voll von Empfindung, wenn man
leer an Gedanken ist“.
149 Siehe Kant, KrV, B 50, A 34.
72
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

eine Gestalt, deren Begriff er für das Sehen und den Tastsinn reserviert. Im
Gegensatz dazu ist es meines Erachtens angemessen, auch in Bezug auf die For-
mung des Lautes von einer (akustischen) Gestalt zu reden – wie es in paradig-
matischer Weise von Bühler im Sinne des Klanggesichts und Wortbildes
beschrieben wird.150 Und obwohl Kant diese Auffassung nicht systematisch ver-
tritt, bin ich der Meinung, dass die von seiner Schematismuslehre ausgehende
Annahme einer Versinnlichung mit der Definition des Wortes als Gestalt kom-
patibel ist. Andererseits möchte ich kurz darauf hinweisen, dass bei Kant auch
eine kinästhetische Bestimmung der Gestalt zu finden ist, die er mit Blick auf
den Tastsinn und auf inkongruente Gegenstände im Raum einführt151 und die
für die Verkörperungstheorie von besonderer Bedeutung ist.152
Die Sinnlichkeit umfasst neben der Hervorbringung von Gestalten
durch die Sinne eine weitere Ebene der Synthesis, auf welcher der Gegenstand
auch ohne dessen Gegenwart vorgestellt werden kann. Alle Empfindungen sind
nach Kant „unwillkührlich“,153 weil sie die Gegenwart des Gegenstandes erfor-
dern, welche als eine Abhängigkeit vom physiologischen Reiz (Stimulus) erklärt
werden kann: Sie rezipieren den Gegenstand so, wie er durch die Empfindungen
gegeben wird, obwohl diese Gegebenheit – wie sich zuvor gezeigt hat – immer
schon durch die Sinne gestaltet wird. Dass jedoch die Sinnlichkeit nicht nur
Eindrücke liefert, sondern auch eine Synthesis derselben hervorbringt, kann das
Problem der Gestaltung als solcher noch nicht lösen. Denn die Gestaltung ent-
hält zugleich die begrifflichen Komponenten, die in der reinen Rezeption der
Sinne nicht enthalten sind. Damit ist die spezifische Funktion der Einbildungs-
kraft als einer Synthesis angesprochen, die nicht direkt von physiologischen
Reizen abhängt:

„Dass die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrneh-


mung selbst sei, daran hat wohl noch kein Psychologe gedacht. Das
kommt daher, weil man dieses Vermögen teils nur auf Reproduktionen
einschränkte, teils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein
Eindrücke, sondern setzten solche auch so gar zusammen, und brächten

150 Dieser Aspekt kann hier nicht näher untersucht werden. Siehe Bühler 1999, §18,
S. 276f. und 283f. Vgl. auch Albano Leoni (2009, S. 181), der die Funktion des
Klanggesichts in der Wahrnehmung der Wörter hervorhebt.
151 Siehe insbesondere die Abhandlung Kants Von dem ersten Gründe des Unterschie-
des der Gegenden im Raum (1768), AA II: 375–383 und vgl. dazu Scaravelli 1951,
S. 389–421. Darauf werde ich Zusammenhang der diagrammatischen Auslegung
des Monogramms zurückkommen (siehe Kap. V.2.1)
152 Im dritten Teil unserer Untersuchung werden einige Andeutungen in Bezug auf die
Funktion der Kinästhesie im Gestaltungsprozess bei Merleau-Ponty und Plessner
zu diskutieren sein (siehe Kap. I.1).
153 Kant, AA XV: 103.
73
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel, außer der Empfäng-
lichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr, nämlich eine Funktion der
Synthesis derselben erfordert wird“.154

Die bloße Rezeption der Sinne allein schafft demnach keine Synthesis im Sinne
einer Bedeutungserfahrung, wie sie im Allgemeinen die Wahrnehmung kenn-
zeichnet, die immer zugleich eine begriffliche Komponente enthält. Das darf
jedoch nicht so gedeutet werden, als ob die gesamte Bedeutungserfahrung auf
der begrifflichen Komponente gründete – dagegen spricht die bereits untersuch-
te Funktion der subjektiven Empfindung.
In Abwesenheit eines Gegenstandes erfolgt ein indirekter Bezug auf die
Anschauungen. Eine durch die Synthesis der Einbildungskraft hervorgebrachte
Vorstellung ist nämlich eine sinnliche, aber nicht notwendigerweise aktuell
erfahrene Vorstellung. Darauf deutet das ‚auch‘ im oben zitierten Ausdruck
Kants „auch ohne die Gegenwart“ hin. Die Einbildungskraft ist also – wie Kant
selber betont – „jederzeit sinnlich“.155
Im Fall der Schematisierung der Kategorien, in der die Bedingungen der
Erfahrung und der Konstitution des Gegenstandes selbst beschrieben werden,
sind Kategorien und Anschauungen vermittelt. Die Funktion der Einbildungs-
kraft wird in der Kritik anhand der Problemstellung der transzendentalen
Deduktion der Kategorien entwickelt. Weil das Schematismus-Kapitel in den
beiden unterschiedlichen Auflagen der Kritik unverändert bleibt, weist es
potentiell Bezüge sowohl zur ersten als auch zur zweiten Auflage auf, die hier
anhand der Funktion der Einbildungskraft im Schematismus untersucht wer-
den sollen. Damit werden die erkenntnistheoretischen Motive für die gewichti-
gen Veränderungen der Deduktion in der zweiten Auflage ausgeklammert.156

154 Kant, KrV, A 120 (Anmerkung).


155 Kant, KrV, A 124. Es handelt sich dabei um einen Aspekt, den insbesondere Heide-
gger hervorgehoben hat (GA, 3, S. 147): „So kann die transzendentale Einbildungs-
kraft als reine endliche Anschauung nicht nur, sie muss sogar als Grundbestim-
mung der endlichen Transzendenz ‚sinnlich‘ sein“. Ich werde in Kap. I des dritten
Teils darauf zurückkommen.
156 Zur Stellung der Einbildungskraft in den beiden Auflagen der Deduktion siehe
Mörchen 1930, S. 352–386. Er fasst die wesentlichen Unterschiede zwischen den
Auflagen folgendermaßen zusammen: „1. Die Einbildungskraft steht in der 1. Auf-
lage als selbstständiges Erkenntnisvermögen zwischen den Sinnen und dem Ver-
stande; in der zweiten wird sie als Vermögen der figürlichen Synthesis zu einer
bloßen Funktion des Verstandes. 2. Demgemäß wird sie in der 2. Auflage weniger
ausführlich erörtert und verliert ihre zentrale Stellung im äußeren Schema der
Beweiskette. 3. Der terminologische Unterschied von produktiver und reprodukti-
ver Einbildungskraft wird in der 2. Auflage deutlicher gewahrt. 4. Doch hängt mit
der Verdrängung der reproduktiven als des ontischen Fundaments der produktiven
Einbildungskraft eine Verdeckung ihrer eigentümlichen Zeitlichkeit, die sich in der
74
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Problematik der isolierten Beschreibung der Vermögen und ihrer jeweiligen
Funktionen geht nicht zuletzt auf die Veränderung zwischen den beiden Auf-
lagen der Deduktion zurück: In der ersten Auflage wird der Einbildungskraft
die Funktion einer Synthesis der Reproduktion zwischen Apprehension und
Rekognition zugeschrieben, die Kant jeweils mit den Vermögen der Sinnlich-
keit und des Verstandes verbindet. In der zweiten Auflage dagegen übernimmt
die Synthesis der Einbildungskraft die Funktion einer figürlichen Synthesis
speciosa, die „eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste
Anwendung desselben […] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung“
ermöglicht.157
Zwei der von Kant vorgenommenen Unterscheidungen sind für die
Schematismuslehre von großer Bedeutung: Einerseits wird in der zweiten Auf-
lage der Deduktion die Synthesis speciosa von der Synthesis intellectualis
unterschieden,158 die eine nur logische Verstandesverbindung ist und zur objek-
tiven Realität die erste, anschauliche Synthesis erfordert.159 Andererseits wird in
beiden Auflagen der Unterschied zwischen produktiver und reproduktiver Ein-

1. Auflage gezeigt hatte, zusammen. 5. Gleichwohl muss auch die Interpretation der
2. Auflage auf das Verhältnis von Einbildungskraft und Zeit führen, zumal da jetzt
der Einbildungskraft das Vermögen der Selbstaffektion zuerkannt wird“. Ein wich-
tiger Aspekt ist von Klaus Düsing (1995, S. 66) betont worden, der ein Indiz für
diese Veränderung in der Tatsache sieht, dass „Kant in seiner Spätzeit in der Regel
nicht mehr vom Schematismus der Einbildungskraft, sondern vom Schematismus
der Urteilskraft spricht“. Siehe dazu auch Bennett 1966 (insbesondere §34, Imagi-
nation in the Transcendental Deduction, S. 134–138), Gibbons 1994, Longuenesse
1998, Wunsch 2007 und Haag 2007. In Bezug auf die Behandlung der Einbildungs-
kraft auch Hepfer 2006, S. 73–83 und 111–199.
157 Kant, KrV, B 152. Gerade die veränderte Auffassung des Verhältnisses zwischen
Verstand und Einbildungskraft in der zweiten Auflage liegt der Kritik Heideggers
zugrunde (GA, 3, S. 82–84).
158 Siehe Haag 2007, S 263: Die Synthesis speciosa „ist mit anderen Worten, die Spe-
zialisierung der Synthesis intellectualis, die synthetische Wirkung der Spontanei-
tät des Verstandes hinsichtlich Anschauungen überhaupt bezeichnet, auf die
Bedingungen, unter denen das Mannigfaltige in unserer Sinnlichkeit gegeben ist“.
Zum Problem des Verhältnisses zwischen den beiden Arten der Synthesis siehe
Mörchen 1930, S. 358 und Chiodi 1961, S. 256. Letzterer bezieht sich auf den Auf-
satz von Enzo Paci über die Schematismuslehre, in dem Paci die Interpretation Hei-
deggers in dem Versuch heranzieht, die Hierarchisierung der Vermögen zu über-
winden (1955, S. 387–414, und 1956, S. 37–56).
159 Vgl. Hepfer 2006, S. 107: „Die Einbildungskraft stellt hier, in einem produktiven
Akt der temporalen Indizierung und durch eine spontane Abstraktionsleistung von
der empirisch kontingenten Reihenfolge ihres Auftretens, eine Verbindung der
gegebenen Daten der Sinne her und schafft so die Voraussetzung dafür, dass diese,
gemäß den Erkenntnisbedingungen des Subjekts, in eine Form gebracht werden, in
der sie sich als Grundlage für Erkenntnisse eignen“. Vgl. dazu auch Mörchen (1930,
S. 141), der sich anhand der Logik Pölitz auf den zeitlichen Charakter der Einbil-
dungskraft bezieht.
75
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

bildungskraft hervorgehoben. Die erste dient der reinen Anwendung der Spon-
taneität der Begrifflichkeit auf die Anschauungen, während die zweite durch
Assoziation verfährt und empirischen Gesetzen folgt.160
Die Trennung von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft lässt
sich auf die Konzeption beider in §28 der Anthropologie beziehen. Hier wird
zunächst noch einmal betont, dass die Einbildungskraft ein „Vermögen der
Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes“ ist, und die Unter-
scheidung ihrer produktiven und reproduktiven Funktionen wird als diejenige
zwischen einer exhibitio originaria und einer exhibitio derivativa beschrieben:
Während die erste „vor der Erfahrung vorhergeht“, bringt letztere „eine vorher
gehabte empirische Anschauung ins Gemüt“ zurück: „Die Einbildungskraft ist
(mit andern Worten) entweder dichtend (produktiv), oder bloß zurückrufend
(reproduktiv)“.161 Die dichtende Einbildungskraft wird den reinen Raum- und
Zeitanschauungen zugeordnet,162 weshalb ihr produktiver Charakter nicht als
schöpferische Macht verstanden werden sollte, eine bestimmte Sinnesvorstel-
lung hervorzubringen, die „vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war“.163
Gerade auf dieser Ebene sind für Kant die Sinne entscheidend, und nichts kann
bestimmte Mängel an Sinnen ersetzen, wie er anhand von Beispielen anthro-
pologischer Natur erklärt.

160 Kant, KrV, B 152. Für einen Vergleich mit der ersten Auflage der Deduktion siehe
A 117f., wo von produktiver und reproduktiver Synthesis die Rede ist, sowie A 120f.,
wo Kant sich explizit auf das Vermögen der reproduktiven Einbildungskraft bezieht.
161 Kant, AA VII: 167. Heidegger deutet in den Davoser Disputationen die exhibitio
originaria in Bezug auf die Endlichkeit des Menschen (GA, 3, S. 280): „Kant
bezeichnet die Einbildungskraft des Schematismus als exhibitio originaria. Aber
diese Originalität ist eine exhibitio, eine solche der Darstellung, des freien Sichge-
bens, worin eine Angewiesenheit auf ein Hinnehmen liegt. Also diese Originalität
ist zwar in gewisser Weise da als schöpferisches Vermögen. Der Mensch als endli-
ches Wesen hat eine gewisse Unendlichkeit im Ontologischen. […] Diese Unend-
lichkeit, die in der Einbildungskraft herausbricht, ist gerade das schärfste Argu-
ment für die Endlichkeit. Denn Ontologie ist ein Index der Endlichkeit. Gott hat sie
nicht. Und dass der Mensch die exhibitio hat, ist das schärfste Argument seiner
Endlichkeit. Denn Ontologie braucht nur ein endliches Wesen“.
162 Siehe Kant, AA VII: 167: „Reine Raumes- und Zeitanschauungen gehören zur
erstern Darstellung; alle übrige setzen empirische Anschauung voraus, welche,
wenn sie mit dem Begriffe vom Gegenstande verbunden und also empirisches
Erkenntniß wird, Erfahrung heißt. – Die Einbildungskraft, so fern sie auch unwill-
kürlich Einbildungen hervorbringt, heißt Phantasie. Der, welcher diese für (innere
oder äußere) Erfahrungen zu halten gewohnt ist, ist ein Phantast. – Im Schlaf
(einem Zustande der Gesundheit) ein unwillkürliches Spiel seiner Einbildungen zu
sein, heißt träumen“.
163 Kant, AA VII: 167f.: „Die productive aber ist dennoch darum eben nicht schöpfe-
risch, nämlich nicht vermögend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sin-
nesvermögen nie gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu
derselben immer nachweisen“.
76
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Produktivität der Einbildungskraft besteht darin, den Stoff der Sinne
in Form zu transformieren und zu erhalten. Diese Gestaltung ist die transzen-
dentale Bedingung der reproduktiven Einbildungskraft, die auf einer empiri-
schen (zurückführenden) Ebene agiert.164 Die notwendige Verbindung, die Kant
zwischen den Sinnen und der Einbildungskraft herstellt, kann jenseits der
anthropologischen Nuancierung in ihrer transzendentalen Dimension betrach-
tet werden:

„Eben so ist es mit jedem besonderen aller fünf Sinne bewandt, dass
nämlich die Empfindungen aus denselben in ihrer Zusammensetzung
nicht durch die Einbildungskraft können gemacht, sondern ursprünglich
dem Sinnesvermögen abgelockt werden müssen“.165

Und weiter: „Wenn also gleich die Einbildungskraft eine noch so große Künst-
lerin, ja Zauberin ist, so ist sie doch nicht schöpferisch, sondern muss den Stoff
zu ihren Bildungen von den Sinnen hernehmen“.166 Das produktive Vermögen
ist daher primär eine Synthesis, die in Bezug auf die Sinne eine Transformation
ermöglicht. Sie impliziert genauer eine Präformation der Sinne, die zum Erschei-
nen der Sinnesdaten führt; insofern schließt das Phänomen immer schon eine
Versinnlichung mit ein. Die gestalterische, transzendentale Potentialität der
Sinne wird durch die Einbildungskraft ausgeführt.
Die Einbildungskraft steht also für eine Versinnlichung, welche Bedeu-
tung zum Erscheinen bringt und bei der Sinn und Gedanke schwer zu trennen
sind, gerade weil „die Einbildungskraft, welche dem Verstande Stoff unterlegt,
um den Begriffen desselben Inhalt (zum Erkenntnisse) zu verschaffen, vermöge
der Analogie ihrer (gedichteten) Anschauungen mit wirklichen Wahrnehmun-
gen jenen Realität zu verschaffen scheint“.167 Die Einbildungskraft wirkt dabei
nur auf die Form und nicht auf den Stoff der Sinne, was jedoch nicht so zu ver-
stehen ist, als ob sie nur reine Einbildung wäre; sondern ihre Aktivität dient der

164 Siehe folgende Stelle der KU (A 234): „Es ist anzumerken: dass, auf eine uns gänz-
lich unbegreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe
gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückführen, sondern auch das Bild und
die Gestalt des Gegenstandes aus einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen
verschiedener Arten, oder auch einer und derselben Art, zu reproduzieren […]“.
Vgl. dazu Mörchen 1930, S. 382: „Die produktive Einbildungskraft ist Bedingung
der reproduktiven; d.h. es muss zuvor möglich sein, Erscheinungen überhaupt
‚hervorzuführen‘, ehe es möglich ist, diese und jene bestimmte Erscheinung, die
einmal gewesen ist, ‚wieder hervorzuführen‘“.
165 Kant, AA VII: 168.
166 Ebd.
167 Kant, AA VII: 169. Kant bemerkt hier die Bedeutung einer gewissen Gleichsetzung
zwischen Sinn und Gedanken in den sprachlichen Ausdrücken.
77
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Formierung von Sinnesdaten.168 Das betrifft auch die Ebene der Reproduktion
– die wichtige Bezüge zum Gedächtnisproblem enthält169 –, vor allem aber die
Ebene der transzendentalen Produktion im Schematismus, der als Versinn-
lichung zu konzipieren ist. Zusammenfassend kann diese Produktion also als
versinnlichende Gestaltung bezeichnet werden.
Im Allgemeinen kann der Prozess des Schematismus selbst als eine Neu-
orientierung der Problemstellung der Deduktion gedeutet werden,170 weil er
eine operative Lösung des Gebrauchs der Begriffe in Zeit und Raum voran-
bringt. Er stellt einen weiteren, prozessualen Schritt gegenüber der Deduktion
der Kategorien dar, insofern einerseits die Kategorien nur durch den Schema-
tismus eine objektive Bedeutung erlangen, dem Schematismus aber andererseits
nicht nur die Kategorien, sondern auch sinnliche und empirische Begriffe zuge-
ordnet sind, womit er einen breiteren Aktionsradius als die Deduktion hat und
sogar Aufschluss darüber geben kann, wie das Verhältnis von Deduktion und
sinnlichen wie empirischen Begriffen zu bestimmen wäre. Darauf wird später
noch einzugehen sein.171 Damit wären die isolierten Vermögen der Sinnlichkeit
und des Verstands in eine vielschichtige Bedeutungserfahrung überführt, die
immer schon Versinnlichung ist, sich der Begriffe bedient und gleichzeitig
Begriffe gestaltet.
Die Einbildungskraft ist die Synthesis selbst und kann daher als der Pro-
zess schlechthin und ferner als Ausweg aus dem Dualismus zwischen Sinnlichkeit
und Verstand angesehen werden. Wie sich im weiteren Verlauf der Untersu­
chung zeigen wird, ist diese Hinsicht auch zentrales Merkmal der Revisionsver-
suche in der Nachfolge Kants. Ich möchte damit nicht behaupten, dass das
Schematismusproblem in der Kritik der reinen Vernunft in jedem Fall grund-
legender als das der Deduktion sei, obwohl sich diese Möglichkeit in systemati-
scher Hinsicht nicht ausschließen lässt.172

168 Die Wirkung der Einbildungskraft auf die Form der Dinge begründet nach Her-
mann Mörchen (1930, S. 330) ihre Bedeutung als reine Einbildung.
169 Diesbezüglich vertritt Stephan Otto (2007, S. 112f.) den Ansatz einer deutlichen
„Aussparung der Theorieprobleme der Erinnerung und ihrer Anschaulichkeit“
und kritisiert den Zusammenhang zwischen der Synthesis der Reproduktion in der
ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und dem Gedächtnis.
170 Der Begriff einer Neuorientierung wird der Untersuchung von Sarah Gibbons
(1994, S. 58) entnommen: „My contention is that the Schematism provides a reori-
entation of the problems and solutions offered in the Transcendental Deduction“
(Hervorhebung L.G.).
171 Siehe unten, Kap. V.
172 Insbesondere Matthias Wunsch (2007, S. 10–14) hat diesen Aspekt eines grundle-
genderen Charakters des Schematismusproblems gegenüber dem Deduktionspro-
blem diskutiert und behandelt diese zwei Probleme als die Wie-Frage und die Dass-
Frage. Die Lösung der letzteren würde die Betrachtung der ersteren begründen:
„Aus diesen Gründen ist m.E. davon auszugehen, dass die Schematismuslehre für
78
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Einbildungskraft gehört zur Sinnlichkeit, „weil alle unsere Anschau-


ung sinnlich ist“.173 Jedoch sind ihre Produkte oder Bildungen „nicht so allge­
mein mitteilbar, als die Verstandesbegriffe“.174 Ihre Bildungen sind daher kon-
stitutiv sinnlich, insofern sie den Begriffen ihre sinnliche Form geben, ohne die
sie keine Bedeutung hätten. Es kann daher angenommen werden, dass die Ver-
änderung der zweiten Auflage einerseits nicht so sehr die synthetische Funk-
tion der Einbildungskraft, sondern genauer ihren Status als Vermögen leugnet,
was dem Versuch Kants geschuldet ist, ihrer psychologischen Nuancierung vor-
zubeugen; andererseits neigt Kant dazu, die Spontaneität des Verstandes in die
Synthesis zu integrieren, welche ohne sinnliche Bedingung keine Möglichkeit
hätte, Bedeutung zu erkennen.175
An der Einbildungskraft lässt sich die Spannung zwischen den zwei
Richtungen der schematischen Synthesis ablesen: einerseits die Versinnlichung
der Begriffe zur Anwendung auf die Erscheinungen, andererseits die Subsumie-
rung der sinnlichen Erscheinungen unter Begriffe. Auch letztere muss als Ver-
sinnlichung gelten – mit und ohne Gegenwart des Gegenstandes. Das Phäno-
men lässt sich dabei nicht auf den Gegenstand reduzieren, dessen sinnliche
Wahrnehmung bereits eine Gestaltung impliziert. Auf dieser Ebene spielen die
von Kant für anthropologisch gehaltenen Aspekte der Gestaltungsfunktion
einzelner Sinne eine zentrale Rolle, weil sie im übertragenden Prozess der Ein-
bildungskraft die Artikulation der Bedeutung als raum-zeitliche Gestalt ermög-
lichen. Somit zeigen sich die Umrisse einer Bedeutungserfahrung, die nicht von
der plastischen (räumlichen), assoziativen (zeitlichen) und kinästhetischen
(raum-zeitlichen) Gestaltung abzutrennen ist.176 An der Einbildungskraft lassen

Kant selbst vom Erfolg der transzendentalen Deduktion abhängig ist. Demnach ist
aber das Deduktionsproblem in Kants Problemarchitektur in systematischer Hin-
sicht grundlegender als das Schematismusproblem“.
173 Kant, KrV, B 151.
174 Kant, AA VII: 169.
175 Vgl. dazu Chiodi 1961, S. 255.
176 Mit dieser Interpretation geht zugleich eine revidierte Auffassung der von Kant in
der Anthropologie vollzogenen Differenzierung zwischen den drei verschiedenen
Arten des sinnlichen Dichtungsvermögens und derjenigen Sinne einher, die als
mehr objektiv denn subjektiv beschrieben werden. Siehe dazu Kant, AA VII: 174:
„Diese sind das bildende der Anschauung im Raum (imaginatio plastica), das bei-
gesellende der Anschauung in der Zeit (imaginatio associans) und das der Ver-
wandtschaft aus der gemeinschaftlichen Abstammung der Vorstellungen vonein-
ander (affinitas)“. Bei Kant lässt sich nicht von einer kinästhetischen Gestalt
sprechen, obwohl die Bewegung eine wichtige Rolle sowohl in der Erläuterung des
Tastsinns als auch in der Beschreibung des Raumes spielt. Die Betastung – wie
schon oben in der Untersuchung der einzelnen Sinne erwähnt – erfordert nämlich
Bewegung, damit man (AA VII: 154) „von allen Seiten sich einen Begriff von der
Gestalt eines Körpers machen könne“. In Bezug auf die Bewegung schreibt Kant
(KrV B 155): „Bewegung eines Objektes im Raume gehört nicht in eine reine Wis-
79
  II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

sich mithin die Konturen der Synästhesie zwischen den einzelnen Sinnen aus-
machen: Durch sie erfolgt eine allgemeine, übertragende Synthesis zwischen
Sinnlichkeit und Begrifflichkeit, die beide stets in der Bedeutungserfahrung
involviert sind. Und diese Synästhesie zwischen akustischen, figurativen,
kinästhetischen und – wenn auch in geringerem Maße – geruchlichen und
geschmacklichen Aspekten lässt sich nicht vom Schematismus trennen. Ihr
dynamisches Geflecht muss mittels der transzendentalen Beschreibung schema-
tischer Bildungen entwirrt werden, indem ausgehend von Kant ihre Gestal-
tungsfunktion hervorgehoben und somit versucht wird, einer Hypostasierung
der Frage nach dem Ursprung der Verwandtschaft zwischen den Vermögen vor-
zubeugen. Darin liegt letztlich die Chance, die tieferen Wurzeln des vermeint-
lichen Dualismus freizulegen. Die angenommene Reinheit sowohl der Anschau-
ungen als auch der Kategorien wäre demnach primär als ein heuristisches
Hilfsmittel zu verstehen, das dazu dient, die wahre Breite der Artikulation von
Bedeutung zu erfassen. Reine Anschauungen und reine Kategorien sind folglich
Grenzbegriffe einer Erkenntnis, die immer sinnlich ist, und eines Denkens, das
immer intuitiv ist.
Die Problematik, die unter anderen auch Kaulbach gesehen hat, dass das
„Produzieren objektiver Gegenstandsgestalten durch Einbildungskraft zugleich
auch eine Leistung des Denkens und Sprechens ist“,177 wird im Anschluss an die
Untersuchung der Schematismuslehre und ihrer Abgrenzung zum Symbol-
begriff zu thematisieren sein. Für Kant ist diese produktive Darstellung ohne
Gegenwart des Gegenstandes der Einbildungskraft zuzuschreiben, die in die-
sem Sinne im Schematismus als eine „exhibitio originaria“ im Unterschied zu
der von ihr abgeleiteten Darstellung einer „exhibitio derivativa“ angesehen wer-
den kann, die bereits empirische Anschauungen voraussetzt und damit von der
ersten Ebene der schematischen Bestimmung abhängt. Um diese Aktivität der
Urteilskraft – die auch mit dem Begriff der energeia178 bezeichnet werden kann
– zu erklären, vergleicht Kaulbach das Schema mit der Unterschrift, die all-

senschaft, folglich auch nicht in die Geometrie; weil, daß etwas beweglich sei, nicht
a priori, sondern nur durch Erfahrung erkannt werden kann. Aber Bewegung, als
Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der sukzessiven Synthesis der
Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbil-
dungskraft, und gehört nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transzen-
dentalphilosophie“. In Bezug auf die Bewegung diskutiert Alexandra Makowiak
(2009, S. 146) den originären Charakter des Raumes und der Zeit: „De ce point de
vue, à travers le caractère transcendantal du mouvement, Kant insiste sur le carac-
tère non moins originaire de l’espace et du temps en tant que représentations
acquises – invalidant ainsi toute interprétation, qui tendrait à faire valoir le carac-
tère plus originel de l’un ou de l’autre“.
177 Kaulbach 1981, S. 98.
178 Zum energeia-Begriff bei Humboldt siehe Kap. IV des zweiten Teils.
80
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

gemeiner als die einzelnen Schriftzüge ist.179 Vor der Behandlung des Schema-
tismus als konstitutivem Prozess der Begrifflichkeit (Kap. IV), soll die Relevanz
der Versinnlichung für die Hervorbringung von ‚Gestalten‘ im Schematismus
erklärt werden.

179 Kaulbach 1968, S. 296: „Die reine Einbildungskraft würde im Schema ihre ‚Unter-
schrift‘ ausbilden: was man ‚Unterschrift‘ nennt, fällt nicht mit dem hier und jetzt
vollzogenen Schriftzug zusammen, sondern ist viel allgemeiner. Die ‚Unterschrift‘
verliert sich ebenso wie auch das Schema nicht in dem Hier und Jetzt eines einzel-
nen Schriftzuges, sondern ist eine allgemeine und zugleich aktive Form, welche in
der schreibenden Hand wirksam ist, wenn sie jeweils zur Realisierung beliebig vie-
ler einzelner Schriftzüge ansetzt. In diesem Sinne darf das Schema als Unterschrift
der reinen Einbildungskraft gelten“.
I I I . D ie ‚G estalt ‘ im
V ersinnlichungsprozess:
Das S chema zwischen
Bild und Wort

Die Gestalt hat sich als Schlüsselbegriff für die Konzeption der Sinnlichkeit
erwiesen. Das Gehör hingegen kann nach Kant keine Gestalt hervorbringen und
ist transzendental mit der Zeit verbunden, die konstitutiv für den inneren Sinn
ist. Damit wird die Gestalt zu einer bloß visuellen Figurierung, die sich von
einer rein akustischen Darstellung unterscheidet, die Kant folglich auch nicht
als Gestalt bezeichnet.180 Im Gegensatz dazu soll hier auch im Fall des akus-
tischen Verfahrens von einer Gestalt die Rede sein, und zwar im Sinne eines
Ganzen, das zur Realisierung des Wortlautes führt. Das Schema selbst wird so
zu einer Versinnlichungsgestalt, die sich nicht ausschließlich visuell konkreti-
siert. Auf diese Weise lässt sich eine bestimmte Funktion des Gehörs andeuten,
die in der anthropologischen Charakterisierung einzelner Sinne nicht aufgeht,
welche Kant etwa zu der erwähnten Behauptung verleitet, dass Taubgeborene
die Abstraktheit der Begriffe nicht erreichen könnten. Zugleich aber unterschei-
det sich die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in visuelle und nicht-visuelle
Aspekte, welche die sinnlichen Bedingungen des Schematismus als Artikula­
tion von Bedeutung zwischen Bild und Wort deutlich machen. Das Wort ist also
auch eine Gestalt, aber nicht im visuellen Sinn. Nur unter Berücksichtigung
dieser Unterscheidungen kann von einer umfassenden transzendentalen Ver-
sinnlichung die Rede sein, welche die Funktion der Sinnlichkeit im Gestaltungs-
prozess anzeigt. Wie sich im zweiten Teil unserer Untersuchung erweisen wird,
motiviert genau dieser prozessuale Charakter der Sinnlichkeit Humboldts
Beschreibung der vielfältigen sinnlichen Manifestationen der Sprache.181
Ohne diese Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wäre Abstraktions-
fähigkeit im Ausdruck und im Gebrauch streng genommen nicht möglich und
nicht darstellbar. Die Transformation und Realisierung der Begriffe setzt daher

180 Diese Problematik ist bereits in Kap. II.5 thematisiert worden.


181 Siehe Kap. IV des zweiten Teils.
82
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

eine Versinnlichung voraus, und das obwohl sie nicht unmittelbar von der
Gegenwart eines Gegenstandes abhängt: Denn es handelt sich um eine prozes-
suale Bestimmung der Sinnlichkeit, die in der Bildung der Gestalt am Werk ist.
Diesen Aspekt hat Kant gesehen, wenn er die Einbildungskraft als einen Teil der
Sinnlichkeit bestimmt, deren Darstellung auch unabhängig von der Gegenwart
des Gegenstandes möglich ist. In der Realisation von Bedeutung ist die Gestal-
tungsfunktion frei von der Rezeptivität der Sinne. Wenn man jedoch annimmt,
dass schon die Sinne in ihrer transzendental-prozessualen Funktion diese Trans-
formation der bloß rezipierten Sinnesdaten ermöglichen, ist es gerade die
Gestalt, die den Prozess und das Resultat dieser Emanzipation bezeichnet.
Der prozessuale Charakter der Sinnlichkeit bringt eine Transformation
mit sich, die sich in einer nicht-sprachzentrierten Gestaltung entfaltet, in der
Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild artikuliert wird – d.h. eine Gestaltung,
in der die Gestalt insbesondere in Bezug auf akustische und visuelle Aspekte
hervortritt. Durch die so angezeigte Auslegung der Sinnlichkeit – welche mei-
nes Erachtens bei Kant in den anthropologischen Schriften vorbereitet wird –
ändert sich der Status des Dualismus und somit auch der isolierenden Methode,
die sich als eine lediglich heuristische Unterscheidung erweist, in der die Sinn-
lichkeit zur Architektur eines Prozesses wird, der sich semantisch im Gebrauch
realisiert.
Der vorgeschlagene prozessuale Ansatz hinsichtlich der Sinnlichkeit
kann meines Erachtens auch als ein Perspektivenwechsel innerhalb der Debatte
um den non-konzeptualistischen oder konzeptualistischen Charakter der
Erkenntnistheorie Kants angesehen werden, wie er etwa von Robert Hanna und
John McDowell vertreten wird. Denn bereits Hanna beschreibt, inwiefern bei
Kant einige Aspekte der Sinnlichkeit als derart unabhängig erscheinen, dass sie
nicht auf begriffliche Bestimmungen reduziert werden können. Er vertritt daher
gegen McDowell und mit Evans eine nicht-inferentielle Auffassung der erkennt-
nistheoretischen Bedingungen, der eine nicht-begriffliche Phänomenologie
zugrunde liegt, die er jedoch anhand der kantischen Form der Anschauungen
erklärt.182 Damit spezifiziert er denjenigen intuitiven Gehalt der Erkenntnis, der

182 Siehe dazu Hanna 2005, S. 247: „I will argue that Kant not only defends the exis-
tence and meaningfulness of nonconceptual content, but also offers a fundamental
explanation of nonconceptual content that can be directly transferred to the con-
temporary debate and significantly advance it“. Siehe auch S. 249f.: „The crucial
point grasped by Kant, Dretske, and Evans alike is that nonconceptual cognitive
capacities are ‘sub-rational’ or ‘non-rational’ capacities only in the sense that they
are necessary but not sufficient for our rational cognitive capacities, not in the sense
that they are irrational or arational. So nonconceptual content does not exclude
rationality: on the contrary, on the Kant-Dretske-Evans picture, nonconceptual
cognition and its content constitute the proto-rationality of all minded human or
non-human animals“.
83
  III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

nicht begrifflich ist und eine Art ‚proto-Rationalität‘ als Grundlage der Rationa­
lität konstituiert. Ihre Dimension erstreckt sich vom Gefühl bis zur Einbildungs-
kraft und umfasst somit unterschiedliche Aspekte der kantischen Sinnlichkeit.
McDowell vertritt das Gegenkonzept eines konzeptualistischen Ansatzes, dem-
zufolge „we should understand what Kant calls ‚intuituion‘ – experential entake
– not as a bare getting of an extra-conceptual Given, but as a kind of occurrence
or state that already has conceptual content“.183 Somit sieht McDowell in der
Unterscheidung zwischen Formen der Anschauungen und formalen Anschau-
ungen den Beweis dafür, dass die Sinnlichkeit immer schon die Aktivität des
Verstandes voraussetzt. Der hier vertretene Versinnlichungsansatz hingegen
kann meines Erachtens diese kurz skizzierte – aber in der Kantforschung sehr
ausführlich dokumentierte184 – Debatte weiterbringen, weil er sich gerade der­
jenigen fehlenden systematischen Stelle annimmt, die sowohl Non-Konzep­
tualisten als auch Konzeptualisten nicht näher untersuchen: nämlich der pro­­
zessualen Bestimmung der Sinnlichkeit, die an sich zwar eine potentielle
Gestaltungsfunktion enthält, jedoch den Gebrauch formal strukturiert und sich
im Gebrauch materiell realisiert. Aus dieser Perspektive erscheinen die Formen
der Anschauungen als eine potentielle, transzendentale Strukturierung des
Gehaltes. Die Form wird somit zur prozessualen Bedingung der Materie. Der
Schematismus erweist sich hierbei als die prozessuale Darstellung jeder Bedeu-
tungserfahrung. Die Sinnlichkeit übt eine Präformation aus, die von Kant
lediglich angedeutet wird und deren weitere Zuspitzung ich anhand des Revi­
sionsversuchs von Herder diskutieren werde.185 Dabei ist jedoch darauf zu ach-
ten, dass es nicht zu einer Substanzialisierung des sinnlichen Gehaltes kommt,
sondern im Rahmen der transzendentalen Heuristik bei der Beschreibung des
Prozesses bleibt. Und das bedeutet wiederum keine Konzeptualisierung der
Sinnlichkeit, sondern lediglich die Hervorhebung ihres prozessualen Charakters
in der Wahrnehmung.
Sicherlich könnte man die non-konzeptualistischen und konzeptualisti-
schen Ansätze noch ausführlicher auf den Versinnlichungsprozess beziehen,
was jedoch eine umfangreiche Diskussion erforderlich machen würde, die hier
nicht unternommen werden kann; und zwar nicht nur aufgrund der mit ihr

183 McDowell 1996, S. 9. Und noch deutlicher (1996, S. 39): „We find ourselves always
already engaging with the world in conceptual activity within such a dynamic sys-
tem. (…) conceptual capacities are not exercised on non-conceptual deliverances of
sensibility. Conceptual capacities are already operative in the deliverances of sensi-
bility themselves“.
184 Für eine erste Übersicht über diese Debatte und insbesondere für einen systemati-
schen Vergleich zwischen McDowell und Sellars in Bezug auf die Einbettung der
Formen der Anschauungen in die Aktivität des Verstandes siehe Heidemann 2003,
S. 14–43.
185 Siehe Kap. III des zweiten Teils.
84
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

zweifellos verbundenen, inhaltlichen Herausforderung. Denn so wie der Ver-


sinnlichungsprozess als die fehlende systematische Stelle beider Ansätze ange-
sehen werden kann, spielt auch der Schematismus in beiden keine wesentliche
Rolle, wenn von seiner bloßen Erwähnung im Zusammenhang der Erkenntnis-
theorie Kants einmal abgesehen wird. Seine genaue Funktion wird innerhalb
dieser Ansätze nicht untersucht, wodurch meines Erachtens die gesamte Debat-
te Gefahr läuft, vor-transzendental und naiv-phänomenologisch zu sein. So
werden die Schemata von Hanna als quasi-Anschauungen, aber auch als quasi-
begrifflich bestimmt,186 was wiederum den Dualismus nur scheinbar löst, da er
nicht darüber hinausgeht, die Schemata als anschaulich und trotzdem als mit
den Begriffen kompatibel zu fassen.187 Sie werden hierbei wiederum auf – letzt-
lich empirische – Stereo- und Prototypen (also nicht prozessuale Bedingungen)
reduziert.188 Der Versinnlichungsprozess ist jedoch mehr als eine bloß empiri-
sche Strukturierung eines nicht-begrifflichen Gehaltes, deren Statik die trans-
zendentale Gestaltung ja gerade überwinden möchte.
Die Sinnlichkeit bewirkt eine Restriktion der Begriffe, die sich in der
Anwendung auf bestimmte Anschauungen beziehen. Erst mittels dieser Res-
triktion können die Begriffe sich realisieren und damit Bedeutung erlangen. Die
Artikulation der Bedeutung erfolgt laut Kant zwischen zwei Erkenntnisele-
menten: den Bildern und den Wörtern. Dazwischen erfolgt ein Schematismus,
der insgesamt als eine Versinnlichung gelesen werden kann. Damit ist aus-
drücklich keine bloße Zuschreibung sinnlicher Merkmale gemeint, die einen
Begriff zur Darstellung bringen können, oder umgekehrt begrifflicher Merk-
male, die einem sinnlichen Phänomen zukommen. Im Gegenteil wird Versinn-
lichung hier als Prozess der Gestaltung selbst verstanden, ohne den Bedeutung
nicht möglich wäre. Dieses Verständnis setzt zugegebenermaßen eine eigenwil-
lige Lesart der kantischen Lehre voraus, da es der Schematisierung eine deutlich
stärkere performative Kraft zuschreibt, als Kant selbst dies tut. Wie ich aber
gezeigt habe, ist dieser Ansatz mit der kritischen Philosophie Kants zumindest
kompatibel.
Das Schema ist nach Kant ein Produkt der Einbildungskraft und ist als
solches vom Bild zu unterscheiden. Das Bild ist eine einzelne, konkrete Anschau-
ung und dem Begriff gegenüber heterogen. Das Schema dagegen stellt eine
Methode dar, um einem Begriff sein Bild zu verschaffen bzw. ein Bild unter
einen Begriff zu subsumieren. Es gibt, wie bereits erwähnt, unterschiedliche
Grade der Heterogenität zwischen Bild und Begriff. Wie sich im Verlauf unserer
Untersuchung der einzelnen Schemata noch zeigen wird, besteht die allgemeine

186 Vgl. Hanna 2005, S. 267.


187 Vgl. Hanna 2005, S. 286 (Fußnote 51).
188 Hanna 2005, S. 270.
85
  III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

Funktion des Schemas darin, den Übergang zwischen Bildern und Begriffen zu
ermöglichen. Zugleich dient seine Einführung dazu, den Fall derjenigen Kate-
gorien aufzuklären, die gar nicht in Bildern dargestellt werden können, jedoch
nichtsdestotrotz eine Versinnlichung erfordern. Als zentraler Punkt der hier
vertretenen Auslegung hat demnach die Annahme zu gelten, dass Begriffe sich
generell ihrer diskursiven (akroamatischen) Gestaltung nicht entziehen können.
Das Verhältnis zwischen Begriffen, Schemata und Bildern steht im
Fokus derjenigen Interpretationen des Schematismus-Kapitels, welche die Frage
nach der Bedeutung und ihrer Ausdrucksform in den Vordergrund stellen. Kant
ist zunächst einmal das Verdienst anzurechnen, das Schema nicht auf das Bild
reduziert und im Gegenteil das Problem des Schematismus vom Gesichtspunkt
des partikulären Charakters des Bildes her betrachtet zu haben, das in einem
heterogenen Verhältnis zum Begriff steht. Hierbei darf nicht vergessen werden,
dass es im Schematismus sowohl um unterschiedliche Arten der sinnlichen
Darstellung eines Begriffes geht – wie zum Beispiel im Fall des Hundes, der in
Form eines Wortes, einer Umschreibung, eines Bildes, einer Skizze usw. vor-
kommen kann – als auch um den transzendentalen Prozess der Darstellung
reiner Begriffe. Diese zwei Ebenen, die im Laufe der Betrachtung immer deutli-
cher unterschieden werden, markieren die interne Schwierigkeit des Schema-
tismus.
Auf der ersten Ebene – die noch nicht im engeren, ‚reinen‘ Sinn trans-
zendental ist – geht es nicht um die Bedingung der Entstehung von Bedeutung
in Form eines Bildes oder eines Wortes, sondern mehr um die empirisch-syn-
thetische Aktivität der Schematisierung, die immer schon synästhetisch ist.
Auf der zweiten Ebene hingegen betreten wir das Feld einer prozessualen Syn-
thesis als Bedingung der Bedeutung selbst. Diese unterschiedlichen Ebenen
können auch als deskriptiv und genetisch beschrieben werden: Deskriptiv ist
die Versinnlichung insofern, als sie unseren semantischen Bezug zur Welt
bestimmt. Marconi bezeichnet diese Perspektive daher als naiv:

„In this naive view, part of semantic competence is represented by a cer-


tain store of mental images associated with words, such as the image of a
dog, of a table, of a running man. Thanks to these images we can apply
to the real world words such as ‚dog‘, ‚table‘, and ‚run‘. This is done by
comparing our images with the output of perception (particularly of
vision). […] Now the point is not that we lack mental images: there are
good reasons to believe that we do have something of the kind. The point
is that in the naive picture, the use of images in relation to the real world
or perceptual scene is left undescribed“.189

189 Marconi 1997, S. 145.


86
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Genetisch dagegen lässt sich die Referenz als solche im Verhältnis zwischen
Wörtern und Bildern erkennen, die nicht auf eine bloße Assoziation zurück-
geführt werden kann, sondern einen Wahrnehmungsprozess impliziert, der –
wie mit Blick auf die Urteilskraft bereits erläutert werden konnte – dynamisch
und immer mit dem Gebrauch verbunden ist. Gerade die Einsicht in diesen pro-
zeduralen Charakter des Schematismus190 war bei Kant – nach Auffassung von
Marconi – deutlicher als bei vielen gegenwärtigen Erkenntnistheoretikern aus-
geprägt.191 Dabei lässt sich der Unterschied zwischen Bildern und Wörtern an
einem spezifischen Mangel an Allgemeinheit der Bilder festmachen, welche die
Regel ihrer eigenen Anwendung nicht in sich enthalten: „the concept exceeds in
generality both the object of experience and its image“.192
Ein eindeutiger Beleg für diese Interpretation ist die Bedeutung, die
Kant dem Gehör und dem Wort für das diskursive Denken beimisst. Insbeson-
dere das Wort ist für Kant eng mit dem diskursiven Charakter des Denkens
verbunden und ermöglicht die Absonderung des Begriffes von Bildern. Es ist
sogar so, dass, „wenn man den Begriff nicht von Bildern absondern kann“, man
„niemals rein und fehlerfrey denken können“ wird.193 Gerade weil der Begriff
dem Bild nicht entspricht, entwickelt sich zwischen ihnen eine Bezeichnung, die
sinnlich ist und trotzdem keine eigene Bedeutung hat, sodass sie zur Gestaltung
der Begriffe geeignet ist. Somit realisiert sich im Schematismus der Übergang
vom Bild zum Begriff, was den Raum einer Versinnlichung eröffnet, die keines-
wegs als eine bloß empirische Verbildlichung, sondern als transzendentale
Gestaltung verstanden werden muss, in der der Begriff sich zwischen Bildern
und Wörtern artikuliert. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass Schemata nicht nur im
Sinne der figürlichen Realisierung verstanden werden sollten. Denn die
Schemata – und das ist ein wichtiger Gedanke Kants – können weder auf Bilder
noch auf das Figurative reduziert werden, obwohl beide im Schematismus eine
konstitutive Funktion ausüben. Die figürliche Realisierung ist sicherlich eine
wichtige Dimension des Schematismus, die insbesondere in Bezug auf die Funk-
tion der Diagramme im Denken weiter entwickelt worden ist.194 Aber diese

190 Siehe Butts 1969, S. 290–300. Vgl. Bennett 1966, p. 141: „Instead of associating each
concept with a single image, or with a set of exactly similar images, Kant’s theory
associates each concept with a rule for image-production“.
191 Vgl. Marconi 1997, S. 146–147: „Interestingly, Kant saw more clearly than some
modern theorists that the interface of language and perception has to be procedural
in nature. Such an insight is embedded in his doctrine of the schematism in the
Critique of Pure Reason. The doctrine is intended to solve many different problems
at the same time, which makes it difficult and at time confused“.
192 Marconi 1997, S. 148.
193 Kant, AA XXVIII: 369.
194 Das gedankliche Ziehen einer Linie zur Darstellung der Zeit spielt dann auch eine
wichtige Rolle in Sybille Krämers Auslegung des Schematismus (2012, S. 84), die
87
  III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

Dimension des Schematismus ausschließlich im Sinne eines figurativen Zie-


hens auszulegen, impliziert meines Erachtens eine reduktionistische Auffas-
sung desselben.
Die Bedeutung von Bildern darf nicht ihnen selbst zugeschrieben wer-
den, sondern wird im Prozess ihrer Wahrnehmung überhaupt erst erzeugt.
Daraus ergibt sich das Problem einer Zurückführung aller Bilder auf Begriffe
und umgekehrt die Unmöglichkeit der bildlichen Vorstellung aller, vor allem
der abstrakten Begriffe, da für Kant die Kategorien keinesfalls auf Bilder bezo-
gen werden können. Heidegger führt aus diesem Grund einen weiteren Sinn der
Bilder ein, der nicht auf den Bildgehalt reduzierbar sein soll. Entsprechend die-
ser Spezifizierung kann er behaupten, dass „der Bildcharakter notwendig zum
Schema gehört“.195 Dabei wird das Schema weder auf eine abstrakte Vorstellung,
noch auf ein bloßes Abbild reduziert, sondern verbleibt im Horizont jener Ver-
sinnlichung, die den Schematismus charakterisiert. Obwohl Heidegger, wie
Cassirer anmerkt, von einer Perspektive der Transzendenz ausgeht, die dem
transzendentalen Horizont Kants in der Kritik der reinen Vernunft und dem
Vorhaben des Schematismus innerhalb des Werkes fremd bleibt,196 ist dennoch
das Verdienst dieser Interpretation herauszustellen. In erster Linie liegt es darin,
die Nähe des Schema-Bildes zur Einheit des Begriffes erkannt zu haben, ohne
dabei den partikulären Charakter des Bildes zu vernichten. Denn nur so kann
das Schema auf „die Einheit der allgemeinen Regel vielfältig möglicher Darstel-
lungen“197 zielen.
Das Schema braucht dabei nicht in gleichem Maße spezifiziert zu sein
wie ein Bild oder ein Wort: Das Schema, im weitesten Sinn eines Schattenrisses
oder einer Andeutung, stellt eine Auswahl von Merkmalen dar, die nicht defi-
nitiv und vollständig ist. Dadurch kann es sich zwischen der Abstraktheit der
Wörter und der Konkretheit der Bilder entfalten, d.h. es kann die konkrete
Form der Bedeutung sein: „Die Schemata lehren uns, selektiv zu lesen, insofern
die Einbildungskraft im Vorhinein bestimmte der Mannigfaltigkeiten des Sinns
auswählt, die wissenschaftlich bedeutsam gemacht werden können“.198 Daher
findet sich in der Schematismuslehre auch die erste Andeutung einer akustisch-

im Zusammenhang der Schemata sinnlicher Begriffe in Kap. V.2.1 näher zu unter-


suchen sein wird.
195 Heidegger, GA, 3, S. 97. Weiter heißt es (GA, 3, S. 99): „Hieraus wird erst das
Wesentliche des Schema-Bildes deutlich: es hat seinen Anblickcharakter nicht nur
und zuerst aus seinem gerade erblickbaren Bildgehalt, sondern daraus, dass es und
wie es aus der in ihrer Regelung vorgestellten möglichen Darstellung herausspringt
und so gleichsam die Regel in die Sphäre der möglichen Anschaulichkeit hinein-
hält“.
196 Siehe Cassirer, ECW, 17, S. 247.
197 Heidegger, GA, 3, S. 99.
198 Makkreel 1997, S. 61.
88
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

semiotischen Natur des Denkens, die später in der Kritik der Urteilskraft spezi­
fiziert und in der Rezeptionsgeschichte des Schematismus oft übersehen wird.199
Mit dem Schematismus spricht Kant unterschiedliche Ebenen der Her-
vorbringung von Bildern anhand von Begriffen und Anschauungen an, was in
der Untersuchung der einzelnen Schemata zu klären ist.200 Im Allgemeinen ist
es die Absicht Kants, Schemata nicht auf die bloße Assoziation von Bildern und
Begriffen einzuschränken, sondern mit ihnen einen Prozess der Hervorbrin-
gung eines figurativen Elements des Denkens zu beschreiben. Dabei sollte das
Figurative nicht mit einer bildhaften Vorstellung gleichgesetzt werden. Es han-
delt sich mehr um die mögliche Artikulation des Figurativen.201 Eco übersetzt
Sellars‘ ‚Imaging‘ mit ‚Figurare‘ als Vorstellung „sowohl im Sinn des Konstru-
ierens einer Figur, des Zeichnens eines Strukturschemas, als auch in dem Sinn,
in dem man beim Anblick eines Steins sagt, ‚ich stelle mir vor‘, dass er innen
hart ist“. Und weiter:

„Dieses Vorstellen, um zu begreifen, und vorstellende Begreifen, ist in


Kants System von entscheidender Bedeutung: es erweist sich als essen-
tiell sowohl für die transzendentale Begründung der empirischen Begrif-
fe als auch für die Ermöglichung von Wahrnehmungsurteilen (implizi-
ten und nicht verbalisierten) wie dieser Stein“.202

Es ist nun an der Zeit zu erklären, inwieweit die Ebenen des Schematismus die-
ses transzendentale Figurative im Unterschied zur akroamatischen Bestimmung
entfalten. An dieser Stelle möchte ich erneut für den Versinnlichungsbegriff
argumentieren, der meines Erachtens die Dichotomie von Sinnlichkeit und
Begrifflichkeit überwindet und sich vor allem von den visuellen Konnotationen
emanzipiert, durch welche – wie gerade gezeigt wurde – die Reichweite der
Gestaltung im Schematismus nicht erfasst werden kann. In der Folge wird nun
untersucht, inwiefern die Begrifflichkeit zu dieser Gestaltung beiträgt.

199 Umberto Eco spricht an dieser Stelle (2000, S.88) von der „semiosischen Natur der
Erkenntnis“.
200 Siehe Kap. V.
201 Gasché 2003, S. 214f.: „When Kant, in the Critique of Pure Reason, says that sche-
mata are what make images possible, it becomes clear that, even though they can be
numbered and identified, they are not empirical figures but modifications of the
transcendental possibility of figures“.
202 Eco 2000, S. 98. Der Originaltext auf Italienisch behält den Sinn dieses Übersetzens
bei, das in der deutschen Version nicht als bewusste Entscheidung von Umberto Eco
selbst präsentiert wird (1997, S. 63): „Per ragioni che saranno chiare tra poco, pro-
pongo di tradurre imaging con ‘figurare’ (sia nel senso di costruire una figura, di
tracciare un’ossatura strutturale, che nel senso in cui si dice, vedendo la pietra, ‘mi
figuro’ che sia dura all’interno. […] Questo figurare per comprendere e comprende-
re figurando è cruciale nel sistema kantiano“.
I V. Begrifflichkeit im G ebrauch :
Das S chema als ‚ Drittes‘
der U rteilskraft

Die hier vertretene Auffassung der Sinnlichkeit verändert den Blick auf das Pro-
blem der Anwendung von Begriffen, da diese definitiv nicht mehr als bloße
Verdeutlichung einer verworrenen Sinnlichkeit angesehen werden können. Es
ist somit kein gradueller Übergang zwischen Begriffen und Anschauungen
möglich; im Gegenteil: ihre Verbindung ist zum Problem geworden. Systema-
tisch wird dieses Problem von Kant zuerst in der Trennung von Sinnlichkeit und
Verstand sowie ihrer Verbindung im Schematismus-Kapitel der Kritik der rei-
nen Vernunft behandelt. Unter der Voraussetzung, dass Begriffe und Anschau-
ungen nicht gleichartig, sondern vielmehr ungleichartig sind und unterschiedli-
chen erkenntnistheoretischen Ebenen angehören, wird die Subsumption von
Anschauungen unter Begriffe und die Anwendung der letzteren auf die ersteren
zum Problem: „Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln
erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d.i.
zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) ste-
he, oder nicht“.203 Der Verstand bestimmt folglich die begriffliche Regel, unter
der die Subsumption erfolgt, enthält aber nicht die Methode, die das Verfahren
der Subsumption erst ermöglicht.204 Diese Methode der Regelanwendung wird
von der Urteilskraft beigesteuert.
Bedeutung ist somit immer in eine Bedeutungserfahrung eingespannt
und lässt sich grundsätzlich nicht von der Methode der Regelanwendung tren-
nen oder auf Verstandesbegriffe reduzieren. Dass diese Aktivität vom dyna-
mischen Charakter des Anwendungs- und Interpretationsprozesses abhängt
und – zumindest nicht im Rahmen des diskursiven Denkens – nicht als Appli-

203 Kant, KrV, B 171, A 132.


204 In Bezug auf das Problem der Regel stellt Béatrice Longuenesse (1998, S. 50) eine
Verbindung zwischen der Bestimmung des Begriffes selbst als Regel in der Deduk-
tion A der Kritik der reinen Vernunft und dem Schema her.
90
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kation fixer Anwendungsgesetze verstanden werden darf, muss als der Haupt-
grund für die Tatsache angesehen werden, dass die Schematismuslehre der
Urteilskraft unterstellt ist. Denn der Verstand ist „einer Belehrung und Aus-
rüstung durch Regeln fähig“, während die Urteilskraft „ein besonderes Talent“
aufweist, „welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will“.205 Entspre-
chend vergleicht Kant das Üben der Urteilskraft mit dem so genannten Mutter-
witz als einer Art angeborener Begabung, deren Fehlen „keine Schule ersetzen
kann“.206 Sicherlich können unterschiedliche Kenntnisse erworben werden, aber
die Anwendung kann nicht allein auf diese Belehrung zurückgeführt werden,
die jedes Mal in den jeweiligen Sachverhalten ausgeübt werden muss.207 Die
Anwendung einer Regel in concreto erfordert also die Aktivität des Urteilens,
was Fähigkeit und Geschicklichkeit zugleich voraussetzt.208 Ohne diese Anwen-
dung würde überhaupt kein Urteilen möglich sein. Das zeigt sich für Kant am
Nutzen von Beispielen, die „die Urteilskraft schärfen“, ohne ihre Funktion
ersetzen zu können.209 Diese Einübung der Urteile ist deshalb möglich, weil das
Beispiel „kein Merkmal“ ist, und „nicht als theil zum Begriffe, sondern als
Anschauung zum Gebrauche des Begrifs“ gehört.210
Die so skizzierte Aktivität der Urteilskraft wird häufig mit dem Begriff
der Regel und dem unbestimmten Charakter der Bedeutung bei Wittgenstein
verglichen.211 Es ist deshalb besonders wichtig anzumerken, dass die Unbe-
stimmtheit bei Kant primär die Ebene der empirischen Schematisierung betrifft,

205 Kant, KrV, B 172, A 133.


206 Kant, KrV, B 172, A 133.
207 Siehe auch die Bestimmung der ‚Talente im Erkenntnisvermögen‘ in §54 der
Anthropologie Kants (AA VII: 220). Vgl. dazu auch Hogrebe 1974, S. 114.
208 Die Fähigkeit entspricht hier dem Sinn des englischen ‚ability‘. Vgl. Pippin 1982,
S. 133: „We must be able to specify the kinds of instances in which such a rule could
be applied to in our experience. And to do that, Kant now claims, we need the
strange ability of ‘transcendental judgment’“.
209 Vgl. Kant, KrV, B 173f., A 134: „So sind die Beispiele der Gängelwagen der Urteils-
kraft, welchen derjenige, dem es am natürlichen Talent desselben mangelt, niemals
entbehren kann“.
210 Kant, AA XVI: 318. Die Reflexion 2331 bezieht sich auf §125 der Vernunftlehre
Meiers über den Unterschied zwischen klarer, deutlicher und dunkler Erkenntnis.
211 Insbesondere Jonathan Bennett (1966, S. 142) hinterfragt das Verhältnis zwischen
der Unbestimmtheit des Schemas – das als mentales Bild nicht vollkommen spezi-
fiziert sein muss – und seiner Spezifizierung in Form einer Regel-Anwendung.
Kant behauptet diesbezüglich in der Anthropologie: „Witz hascht nach Einfällen;
Urteilskraft strebt nach Einsichten“ (AA VII: 221). In diesem Sinne kann der Ver-
gleich zwischen der Schematismuslehre und der Theorie der Aspekte auf Roman
Ingarden erweitert werden, der eine Verdeutlichung des Schematismus in Bezug
auf die Bestimmung von Aspekten anbietet, die immer noch Unbestimmtheitsstel-
len in sich bergen. Siehe dazu die Einleitung und als Vertiefung Gasperoni 2011,
S. 7–29 und 2012, S. 77–87. Sehe auch Lobsien 2012, S. 73f.
91
  IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

in der die empirischen Begriffe durch die Erfahrung im Prinzip unendlich spe-
zifizierbar und trotzdem im Gebrauch als Ganze bestimmbar sind. Somit blei-
ben die rein sinnliche Konstruktion und die rein diskursive Schematisierung
von der Unbestimmtheit unberührt.
Auf transzendentaler Ebene lässt sich auch der Unterschied zwischen
intuitiver und diskursiver Erkenntnis thematisieren. Im Laufe unserer Unter-
suchung wird wiederholt der Unterschied zwischen Mathematik und Philoso-
phie herangezogen, um zu zeigen, dass die Philosophie für Kant nicht mit der
mathematischen Erkenntnis gleichgesetzt werden kann, deren Begrifflichkeit
sich ihm zufolge vollkommen intuitiv erfassen lässt. In der Philosophie dagegen
ist eine solche, vollkommen intuitive Entsprechung nicht möglich, da sie sich
keiner Begriffe bedient, die vollkommene Anschauungen einschließen: Im dis-
kursiven Denken ist keine vollständige Entsprechung von Begriffen und
Anschauungen möglich, sondern letztere sind lediglich Referenzen der Begrif-
fe, durch welche sie gebraucht werden können. Und diese Diskursivität haftet
der Urteilskraft nicht nur auf empirischer, sondern vor allem auf reiner Ebene
an, also bei der semantischen Bestimmung von Urteilen, die nicht aus der
Erfahrung abgeleitet werden können und trotzdem Bedingung der Möglichkeit
der Erfahrung selbst sind. Diese Ebene entfaltet sich bei Kant in einem kom-
plexen Geflecht zwischen Begriffen und Urteilen, das ein Leitthema unserer
Untersuchung bleiben wird. Auf diskursiver Ebene ist die Versinnlichung rein
sprachlich: Es handelt sich um ein versinnlichendes Denken, das nur in der
Sprache zur Entfaltung kommen kann. Genauer ist es auf der Ebene des akro-
amatischen Charakters derjenigen Diskursivität anzusiedeln, die durch den
Laut (also für das Hören) zur Entfaltung kommt.212 Insofern ist es nicht abwegig
zu sagen, dass auch die Kategorien sinnlich sind, da sie in der Sprache ausgedrückt
werden, obwohl ihre Bedeutung nicht empirisch dargestellt werden kann. Für
diese reine Sprache gibt es zwar keine Bilder, was aber nicht bedeutet, dass das
Denken damit rein fiktiv sei; es zeigt vielmehr an, dass es rein sprachlich ist –
im Sinne einer Versinnlichung als Versprachlichung. Doch die rein sprachliche
Bestimmung der Kategorien wird von Kant nicht in der Transzendentalphiloso-
phie untersucht, obwohl er – wie sich noch zeigen wird – die ersten Philosophen
für „Dichter“ hält213 und in der Logik Jäsche ebenfalls eine Produktivität der
Philosophie annimmt, wenn er bemerkt, dass „die Form eines Begriffs als einer
discursiven Vorstellung jederzeit gemacht ist“.214

212 Zur Betonung der Funktion des Hörens in der akroamatischen Bestimmung der
Diskursivität siehe Capozzi 2012, S. 341, siehe dazu auch Capozzi 2011.
213 Das geschieht in der Logik Dohna-Wundlacken (AA 24: 698). Zur Unterscheidung
zwischen Darstellungs- und Bezeichnungsvermögen siehe Kap. VII.
214 Kant, AA IX: 93.
92
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Funktion der Urteilskraft ist demnach geeignet, die Systemstelle der
Sprache im Schematismus zu erhellen. Denn die propositionale Ebene der
Urteile ist laut Kant dafür zuständig, synthetische Bedingungen der Erfahrung
a priori zu formulieren. Das (propositionale) begriffliche Denken bleibt dabei
rein diskursiv und kann sich nicht derselben anschaulichen Konstruktion der
Begriffe wie die Mathematik bedienen; trotzdem steht es vor der Aufgabe, eine
transzendentale Ebene zu bestimmen, die allgemeingültig ist, ohne dabei den
subjektiven Charakter des begrifflichen Gebrauchs aufzuheben. Die Funktion
des Urteilens erweist sich insofern als grundlegend nicht nur für die bereits
skizzierte transzendentale Wende in Bezug auf die Bestimmung der Sinnlichkeit,
die zur Gestaltung der Bedeutung zwischen Begriffen und Bildern beiträgt, son-
dern auch für die transzendentale Wende hinsichtlich der begrifflichen Abstrak-
tion, die semantischer Regeln bedarf.
Der Begriff der semantischen Regel (semantical rule) als Bezeichnung
für das Schema findet sich etwa bei Butts und Hogrebe.215 Die Semantik des
Schematismus kann für beide nicht vom Urteilen getrennt werden, in dem jeder
Begriff sinnlich realisiert wird. Die prozessuale Allgemeinheit des Schemas
kann insofern mit dem Prozess der Erfüllung verglichen werden.216 Einerseits ist
nun das Schema Funktion einer Regel, die in methodischer Hinsicht das Ver-
fahren der Subsumption und der Anwendung allgemeiner Begriffe ermöglicht;
andererseits entzieht sich diese Regel nicht den potentiell unendlichen Erfül-

215 Hogrebe 1974, S. 101, Butts 1969, S. 290–300. Wie Wolfram Hogrebe anmerkt,
kommt die Bezeichnung des Schemas als semantical rule ursprünglich von Foun-
dations of the Theory of Signs von Charles Morris (1938, S. 23), demzufolge eine
semantische Regel „within semiotic a rule which determines under which condi-
tions a sign is applicable to an object or situation“ bezeichnet. Und weiter: „such
rules correlate signs and situations denotable by the signs“.
216 Der Prozess der Erfüllung kommt auch in der Bestimmung der schematischen
Ansichten Roman Ingardens vor. Siehe dazu oben, Einleitung. Insbesondere Frank
Obergfell hat den Schematismus anhand des Erfüllungsprozesses in Bezug auf
Kants Abstraktionstheorie behandelt, die den konzeptualistischen Ansatz Lockes
überwindet (1985, S. 57–58): „Wir sehen, dass der Begriff zunächst nicht eine allge-
meine anschauungsanaloge Vorstellung eines allgemeinen Merkmals ist, das gene-
tisch aus einer Komparation von mehreren Vorstellungen hervorginge und letzt-
lich als eigene Vorstellung unklar bleibe, wie das allgemeine Dreieck Lockes gezeigt
hat, sondern dass der Begriff die verstandesentsprechende Vorstellung einer Regel
der Verknüpfung der Merkmale der anschaulichen Vorstellung ist, wobei diese
Regel immer gebunden bleibt an die je einzelne anschauliche Erfüllung der Merk-
male, des Verbundenen, aber als Regel doch offen ist gegenüber einer Vielzahl von
möglichen Erfüllungen. Die Erfüllungen sind im Begriff hinsichtlich einer offenen
Vielzahl notwendig enthalten, aber als Erfüllungen selbst nur in der anschaulichen
Vorstellung verfügbar. Genau diese Art der Allgemeinheit der begrifflichen Vor-
stellung ist es, die Kant in der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ unter dem Titel ‚Sche-
matismus der Begriffe‘ behandelt und dort die Einbildungskraft als Vermögen die-
ses Schematismus reklamiert“.
93
  IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

lungen, die den Begriff realisieren und dadurch gleichzeitig restringieren. Wie
sich zeigen wird, betrifft dieser Aspekt hauptsächlich die Schematisierung
empirischer Begriffe, deren sinnliche Vollständigkeit nach Kant zwar uner-
reichbar ist, nicht aber die Schematisierung mathematischer Begriffe, deren
Erfüllung konstruktiv gelingt.
Die Urteilskraft, in der Subsumption und Anwendung als zwei Richtun-
gen des gleichen Prozesses erscheinen, zeigt den interpretativen Charakter des
Schematismus an, in dem die Sinnesdaten durch Begriffe interpretiert werden.217
Dadurch kommt eine gesamte Klasse von begrifflichen Inhalten zum Ausdruck,
die im einzelnen Gebrauch variieren kann. Das ist der Grund, warum Kant eine
solche Synthese gleichzeitig als „speciosa“ und als „figürlich“ bestimmt.218 Es ist
eine Synthesis, die – wie Cassirer in den Davoser Disputationen mit Heidegger
bemerkt – „sich der Spezies bedient“.219 Gerade als Speziesproblem, das für Cas-
sirer zum Kern des Bild- und Symbolbegriffes führt, ist der Schematismus der
transzendentale Prozess, der die Stabilität der Begriffe und die Variabilität ihrer
einzelnen Anwendungen gewährleistet. Die Frage nach einem schematischen
Dritten betrifft daher ein sehr breites Spektrum, das von der Abstraktheit der
Begriffe bis hin zur Konkretheit der Anwendung weite Teile der Erkenntnis-
theorie tangiert. Hier soll zunächst dem Leitfaden der Schematismuslehre Kants
gefolgt werden.
Die Schemata ermöglichen den Gebrauch der Begriffe, die sich in einer
sinnlichen Darstellung realisieren. Damit Begriffe Bedeutung haben können,
bedürfen sie eines Anwendungsverfahrens, in dem sie als mögliche semantische
Merkmale von Anschauungen auftreten, womit die Erkenntnis von Gegenstän-
den gewährleistet wird. Für Kant können wir „Dinge nur durch Merkmale
erkennen“.220 Ohne die Merkmale, die er für Erkenntnisgründe hält, ist die Prä-
dikation der empfundenen Realität daher von keiner reellen (subjektiven und
objektiven) Relevanz.
Der Begriff ist zunächst „eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstel-
lung dessen, was mehreren Objekten gemein ist, also eine Vorstellung, sofern
sie in verschiedenen enthalten sein kann“.221 Der allgemeine Charakter des

217 Vgl. Allison 2004, S. 209: „Understanding the possession of a schema as a recogni-
tional capacity also provided the key to understanding the connection between
schemata and the imagination, since the capacity in question is essentially inter-
pretative. Specifically, it is a capacity to interpret the sensible data as sufficiently
instantiating the criteria thought in the concept to warrant the subsumption of the
intuition under the concept“.
218 Kant, KrV, B 151.
219 Cassirer, in: Heidegger GA, 3, S. 276.
220 Kant, AA XVI: 298 (R 2281).
221 Kant, AA IX: 91.
94
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Begriffs – der für Kant eine bloße Tautologie ist222 – kann daher nicht die Regel
der Anwendung der Begriffe auf die konkreten Fälle enthalten, sondern diese
Regel kann sich nur im Gebrauch zeigen, der zuerst die Abstraktheit oder Kon-
kretheit der Sphäre eines Begriffs, d.h. die verschiedenen Grade der Abstraktion
von Begriffen bestimmt.223 Kant bemerkt beispielsweise, dass ich „in dem
Begriffe Substanz nicht so viel als in dem Begriffe Kreide“ denke.224
Die Bildung des allgemeinen Charakters der Begriffe kann demnach
formallogisch – durch die Operationen der Komparation, Reflexion und Abs-
traktion – erklärt werden, nicht aber ihr Gegenstandsbezug: Die objektive Rea-
lität der Begriffe erweist sich erst im Gebrauch im weitesten Sinne.225 Ihre Bil-
dung darf jedoch nicht nur als Induktion aus empirischen Merkmalen verstanden
werden.226 In den logischen Schriften sind grundsätzlich drei Ebenen des
Gebrauchs der Begriffe zu unterscheiden: er ist intellektuell, empirisch oder
willkürlich. Diesen drei Ebenen entsprechen ferner drei Arten von Begriffen:
Der Materie nach unterscheiden sich die Begriffe in gegebene (dati) und
gemachte (factitii), wobei beide entweder a priori oder a posteriori sein können.
Die a priori gegebenen Begriffe werden Notiones genannt, während die a pos-
teriori gegebenen Begriffe Erfahrungsbegriffe sind. Die a priori gemachten
Begriffe sind genauer die mathematischen Begriffe, die a posteriori gemachten
Begriffe hingegen diejenigen, die wir uns aus der Erfahrung machen. Die drei
Ebenen (intellektuell, empirisch und willkürlich) bezeichnen damit die drei
Arten von Begriffen, die für ihre Anwendung in concreto (und nicht bloß in
abstracto, d.h. als Gebrauch der Begriffe untereinander in Ansehung der Gat-
tung und der Spezies) eine Schematisierung erfordern. Es gibt nun nach Kant
reine Verstandesbegriffe, welche a priori gegeben sind, und rein sinnliche
Begriffe, die erdichtet sind. Diese beiden Arten von Begriffen teilen sich den
apriorischen Charakter, unterscheiden sich jedoch der Materie nach. Diese ist im
Gegensatz dazu gemeinsames Merkmal der Verstandesbegriffe und der empi-
risch gegebenen Begriffe. Letztere werden jedoch auch – und darin liegt ein
Problem – als ‚gemacht‘ beschrieben. Diese interne Spannung zwischen einer
logischen Definition und einer Realdefinition der empirischen Begriffe wie
auch der gegebene Charakter der Notionen werden daher in Kapitel 5 über
deren Schematisierung ausführlicher zu problematisieren sein. Es ist dennoch

222 Vgl. Kant, AA IX: 91.


223 Vgl. Kant, AA IX: 92.
224 Kant, AA IX: 100.
225 Deswegen sind nach Kant nicht die Begriffe selbst, sondern ist ihr Gebrauch einzu-
teilen; siehe AA IX: 91.
226 Der Begriff der komparativen Allgemeinheit wird von Kant (KrV, B 124, A 91f.) in
Bezug auf die Induktion verwendet, um die „strenge Allgemeinheit der Regel“
nicht mit den Eigenschaften empirischer Regeln gleichzusetzten.
95
  IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

wichtig, bereits zu diesem Zeitpunkt zu betonen, dass die Bedeutung von


Begriffen sich nicht in der nominalen Erklärung erschöpft. Sie entfaltet sich
vielmehr erst im Gebrauch, und d.h. in der Regel ihrer Anwendung auf den kon-
kreten Gegenstand. Auf diese Weise erfolgt bei Kant die Überwindung der kon-
zeptualistischen und nominalistischen Ansätze Lockes und Berkeleys.
Die Begriffe sind mithin bis zu einem gewissen Grad bestimmt.227 Das
betrifft auch den Begriff von Etwas als dem abstraktesten Begriff, „welcher mit
keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat“228 und der daher die weiteste
„Brauchbarkeit“229 aufweist, da er den größten Umfang hat, insofern er alle
anderen Begriffe, die gedacht werden können, enthält. In der Reihe der Begriffe
gibt es nach Kant zwar eine höchste Gattung, jedoch keine species infima im
Sinne einer Art, „die nicht wieder sollte Genus sein können“.230 Kant nimmt
daher keinen Begriff an, der für die vollkommene Spezifizierung aller Merkma-
le eines möglichen Dinges steht.
Die Bestimmung eines Dinges löst sich folglich nicht in der vollkom-
menen begrifflichen Bestimmung auf, sondern hängt mit dem Gebrauch
zusammen. Die Spezifizierung eines Begriffes lässt sich auf diese Weise nicht
von seiner Brauchbarkeit – also seinem Gebrauch – trennen. Die interne Reihe
der Merkmale eines Begriffes ist deshalb jedoch nicht mit dem Gebrauch des
Begriffs in der Vorstellung der Dinge zu verwechseln, der sich anhand des logi-
schen Wesens des Begriffes untersuchen lässt, aber nicht mit dem Begriff selbst
identifiziert werden kann. Anders als die des realen Wesens ist die Bestimmung
des logischen Wesens eines Begriffs noch Aufgabe der Logik, die die wesentli-
chen Merkmale eines Begriffs liefert. Diese Merkmale sind für die Bezeichnung
eines Begriffes und für seine Unterscheidung von anderen Begriffen wesentlich.
Im Gegensatz dazu ist die Bestimmung des realen Wesens eines Begriffes nicht
Aufgabe der Logik, da in ihr keine empirischen Gründe herangezogen werden
können. In der Reflexion 3966 bemerkt Kant dazu: „Das logische Wesen ist der
subiective Grundbegrif und gilt nicht vor alle, ist auch Wandelbar; das realwe-
sen ist obiectiv; eines geht auf die Bedeutung eines Worts, welche sich freylich
allmahlig abschleift und durch den Gebrauch einstimig wird“.231 Und in der

227 Béatrice Longuenesse (1998, S. 127) verbindet die logische Operation der Kompara-
tion mit der Bildung von Begriffen und Schemata.
228 Kant, AA IX: 95. Siehe auch die entsprechende Reflexion 2870 (AA XVI: 553) und
insbesondere die Reflexion 2879 (AA XVI: 557): „Wir abstrahiren nicht das merk-
mal der Übereinstimung, sondern von der Verschiedenheit“.
229 Kant, AA IX: 96: „Je mehr Dinge nur durch einen Begriff können vorgestellt wer-
den: desto größer ist die Sphäre desselben. So hat z.B. der Begriff Körper einen
größeren Umfang als der Begriff Metall“.
230 Kant, AA IX: 97.
231 Kant, AA XVII: 369.
96
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Methodenlehre der Logik Jäsche wird das logische Wesen nicht zufällig im
Zusammenhang mit der Wortbestimmung erklärt:

„Unter bloßen Namen-Erklärungen oder Nominal-Definitionen sind


diejenigen zu verstehen, welche die Bedeutung enthalten, die man will-
kürlich einem gewissen Namen hat geben wollen, und die daher nur das
logische Wesen ihres Gegenstandes bezeichnen, oder bloß zu Unter-
scheidung desselben von andern Objecten dienen. Sach-Erklärungen
oder Real-Definitionen hingegen sind solche, die zur Erkenntniß des
Objects, seinen innern Bestimmungen nach, zureichen, indem sie die
Möglichkeit des Gegenstandes aus innern Merkmalen darlegen“.232

Die Nominaldefinition scheint daher die willkürliche, sprachliche Bezeichnung


des logischen Wesens zu sein, und so ist die Form der Begriffe nach Kant „als
einer diskursiven Vorstellung […] jederzeit gemacht“.233 Die sachliche Erklä-
rung der Natur des Objekts ist im logischen Wesen unerkennbar. Zugleich wird
eine solche reale Erklärung in der Logik nur auf die Möglichkeit einer geneti-
schen Definition bezogen. Eine Definition ist für Kant vollständig genetisch,
„wenn sie einen Begriff giebt, durch welchen der Gegenstand in concreto dar-
gestellt werden“ kann,234 was nur auf mathematische Definitionen zutrifft, da
nur die Mathematik Begriffe konstruieren kann. Anhand des Unterschieds die-
ser beiden Definitionsformen lässt sich die Methode erhellen, durch welche
zunächst ein gewisser Grad an Deutlichkeit im logischen Wesen eines Begriffs
erreicht werden kann: Analytisch werden die einzelnen Merkmale differen-
ziert, die schon im logischen Wesen eines Begriffes enthalten sind, synthetisch
wird eine Erweiterung der Merkmale durch die Anschauung vollzogen, ohne
damit die Begriffe auf anschauungsangepasste Vorstellungen zu reduzieren.
Die Ausübung der Spontaneität ist also nicht ausschließlich auf der
Ebene der Begrifflichkeit anzusiedeln, sondern erfordert zu ihrer Realisierung
eine Synthesis mit den Anschauungen, die sich nach Kant im Urteilen entweder
direkt (schematisch) oder indirekt (analogisch) vollzieht.235 Die Bestimmung des
Abstraktionsgrades der Begriffe geschieht folglich vor allem im Urteilen, in

232 Kant, AA IX: 143. Siehe auch die Stelle aus der Logik Blomberg (AA XXIV: 116):
„Wenn ich Wörter ausspreche, und mit denselben einen gewissen Begriff verbinde
so ist das, was ich bey diesem worte, und Ausdruck hier dencke, das Logische
Wesen“.
233 Kant, AA IX: 93.
234 Kant, AA IX: 144.
235 Vgl. Makkreel (1997, S. 26): „Kants Einbildung zeigt sowohl die Erfindungskraft
von Baumgartens facultas fingendi als auch die Abstraktionsfähigkeit, die Wolff
herausgestrichen hatte. Sie reflektiert sowohl Baumgartens Interesse am Konkre-
ten als auch Wolffs Interesse an Form“. Diesbezüglich siehe auch Wunsch 2011,
S. 74f.
97
  IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

dem verschiedene Vorstellungen zu einer Einheit geführt werden, die gerade


den Begriff ausmacht.236
In der Synthesis verschiedener Vorstellungen wird eine Prädikation
erzeugt, die nicht nur eine bloße Anwendung der Begriffe ist, sondern ihre
Brauchbarkeit überhaupt ermöglicht. Die Funktion der begrifflichen Prädikati-
on verändert sich bei Kant schon bei der Unterscheidung zwischen Urteil und
Satz: denn beide sind sprachlich konnotiert und auf modaler Ebene zu differen-
zieren. Sowohl das Urteil als auch der Satz sind sprachliche Ausdrücke, und ihr
Unterschied liegt deshalb auch nicht etwa in der Tatsache, dass nur der Satz ein
sprachlicher Ausdruck sei, sondern dass sie zwei unterschiedliche modale
Bedeutungen haben: „Im Urteile wird das Verhältnis verschiedener Vorstel-
lungen zur Einheit des Bewusstseins bloß als problematisch gedacht; in einem
Satze hingegen als assertorisch“.237 Somit lässt sich nach Kant der Unterschied
zwischen der Prädikation von Phaenomena und Noumena nicht sprachlich,
sondern nur auf modaler Ebene ziehen, da das Urteil über ein Noumenon ledig-
lich problematisch sein kann.238 Dieses letzte ist an sich nicht widersprüchlich,
jedoch durch Annahme sinnlicher Gründe assertorisch nicht beweisbar.239
Ohne dass wir uns im Detail auf die Problematik der Modalität der
Urteile einlassen können, soll hier festgehalten werden, dass das synthetische
Vermögen des Urteilens alle Begriffe betrifft, die im Gebrauch zur Prädikation
dienen. Die Richtung dieses Gebrauchs ist zweifach, weil die Prädikation sowohl
die Anwendung als auch die Subsumption betrifft. Im Gebrauch kommen die
Begriffe als gegeben und als gemacht vor, da sie einerseits in Begleitung der
Wörter als schon gegeben angewendet werden, andererseits im Gebrauch jeweils
erst gemacht werden. Der Gebrauch – den es in Bezug auf die unterschiedlichen
Schemata weiter zu erklären gilt – ist daher von essentieller Bedeutung sowohl
für die Erschaffung neuer Begriffe als auch für die subjektive und intersubjek-
tive Erweiterung bereits gegebener Begriffe.
Diese Unabdingbarkeit des Gebrauchs für die Realisierung der Begriffe
stellt meines Erachtens die logische Wurzel des Schematismus dar. Und gerade
weil die Begrifflichkeit sich erst im Gebrauch realisiert, kann die Sinnlichkeit
als die eigentliche Quelle der Bedeutungsgebung gelten. An diesem Punkt ist
aber darauf hinzuweisen, dass der Gebrauch nicht etwa auf die Erwerbung der
Begriffe in der Erfahrung begrenzt ist, sondern auch eine transzendentale Ebene

236 Siehe diesbezüglich §17 der Logik Jäsche (AA IX: 101). Siehe dazu auch Capozzi
1987, S. 113f.
237 Kant, AA IX: 109.
238 Siehe dazu das Hauptstück der KrV, Von dem Grunde der Unterscheidung aller
Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena, insbesondere B 310–315,
A 254–259.
239 In Kap. II.2 ist dieser Unterschied in Bezug auf die Sinnlichkeit erläutert worden.
98
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

impliziert, die häufig übersehen wird. Dass auf empirischer Ebene Sinnlichkeit
involviert ist, die durch die Erfahrung empirische Begriffe darlegen kann und
sie in einem pragmatischen Vollzug ständig neu realisiert, sollte nicht zu dem
Schluss verleiten, die gesamte Bedeutungsgebung erfolge allein im empirischen
Gebrauch. Denn Kant hat meines Erachtens richtig gesehen, dass es zwei wei-
tere Ebenen der Bedeutungsgebung gibt, die nicht empirisch, sondern rein sinn-
lich sind. Die diskursive Erkenntnis, die sich nur der Wörter bedient, und die
Mathematik, die ihre Begriffe anhand der anschaulichen Konstruktion bildet,
sind zwei weitere Ebenen dieser Bedeutungsgebung, die ebenfalls Sinnlichkeit
involvieren und ebenso vom Gebrauch abhängig sind. Dieser wird durch die
Synthesis von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit zwischen Bildern und Wörtern
strukturiert.240
Der Bezug der Begriffe zum synthetischen Gebrauch von sinnlichen
Gestalten – der im Schematismus erfolgt – lässt sich anhand der Auffas-
sung der Begrifflichkeit bei Kant verdeutlichen, der sich kritisch mit dem Pro-
jekt einerArs combinatoria auseinandersetzt241 und damit auf die Überwin-

240 Dass die Bezeichnung dabei eine instrumentelle (von der Synthesis getrennte)
Funktion als Hervorbringung von Stellvertretern der Begriffe spielt, die die einzel-
nen Sinne involviert, jedoch nicht zur Bildung der Abstraktheit der Begriffe bei-
trägt, wird in Kap. VII behandelt.
241 Siehe Tonelli 1964. Diese Wendung lässt sich nach Marco Sgarbi (2010, S. 206f.)
durch die Deutung der Kategorien- und Schemalehre Kants anhand der Auslegung
von Rabe und der aristotelischen Tradition erklären. Mirella Capozzi hat die ver-
schiedenen Positionen Kants in diesem Zusammenhang untersucht und betont,
dass Kant in der Reflexion 4937 des Jahrs 1776 einem philosophischen Algorithmus
zwar nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber steht, seine Funktion jedoch nur in
der Läuterung und nicht in der Erweiterung der Erkenntnisse sieht, weshalb es in
einigen Bemerkungen der späteren Jahre so aussehen könne, als ob Kant dem Pro-
jekt Leibnizʼ einer Ars combinatoria eine gewisse „Superiorität“ zuerkennt, weil er
„denkt, einige grundlegende Urbegriffe, d.h. die Kategorien und die Vernunftidee,
gefunden zu haben und dass eine solche Kunst die Anwendung der möglichen
Zusammensetzungen erleichtern könnte“ (2002, S. 218f., Übersetzung L.G.). Diese
den Begriffen interne Technik dient jedoch in keinem Fall zur Erfindung neuer
Begriffe oder zur Erweiterung der Erkenntnis im Allgemeinen, sondern ist ein
Mittel zur Verdeutlichung bestimmter Zusammenhänge zwischen den Begriffen
und betrifft die bloß logische Methode. Darin liegt zugleich eine propositionale
Spezifikation jener Grammatik des Denkens, die Kant in Analogie zur Sprache so
beschreibt: „Da die Form der Sprache und die Form des Denkens einander parallel
und ähnlich ist, weil wir doch in Worten denken, und unsere Gedanken andern
durch die Sprache mittheilen, so giebt es auch eine Grammatic des Denkens“ (Kant,
AA XXIX, 1: 31). Die Parallelität von Sprache und Denken wird zum Problem, weil
beide eine eigene Form und eine je eigene Grammatik haben. In den Prolegomena
wird die Grammatik des Denkens auf die Vollständigkeit der Kategorientafel bezo-
gen, was hier nicht näher behandelt werden kann. Siehe dazu Kant, AA IV: 323.
Jürgen Villers (1997, 323f.) nimmt auf die Vorlesungen über die Metaphysik Bezug
und kritisiert Kant: „Man sieht hier wieder, wie Kant – dem auf der Schule seine
99
  IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

dung sowohl konzeptualistischer als auch nominalistischer Ansätze ab-


zielt.242
Somit erweist sich der Unterschied zwischen den Vermögen des Ver-
standes und der Sinnlichkeit als Grundvoraussetzung für den synthetischen
Charakter der Erkenntnis. Da es im Sinnlichen „keine Vollendung“ gibt,243 ist
der Gebrauch der Begriffe zwar nie vollkommen deutlich; trotzdem gelingt er in
den Sprach- und Erkenntnisprozessen, die sich im Schematismus als Versinn-
lichung konstituieren.244 Es ist nun an der Zeit, die einzelnen Schemata in
Betracht zu ziehen.

Muttersprache mit und an der lateinischen Sprache gelehrt wurde – sich de facto
vollkommen unreflektiert am Model der lateinischen Schulgrammatik orientiert
und dieses verabsolutierend tatsächlich zu glauben scheint, dass sich alles Denken
(wie auch alles Sprechen) auf die grammatischen Kategorien der Ars Latina redu-
zieren ließe. Das reine Denken aber als Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand
in der reinen Anschauung der Zeit geht dem sinnlichen Bezeichnungsvermögen
stets voraus und soll so von jedweder Verunreinigung durch die besondere Eigenart
der natürlichen Sprache bewahrt werden“.
242 Frank Obergfell (1985, S. 52) hat die Überwindung des Konzeptualismus von Locke
und des Nominalismus von Berkeley durch Kant behandelt. Vgl. dazu auch Klaus
Düsing (1995, S. 61), der den Ansatz Kants mit dem von Locke, Berkeley, Hume,
Aristoteles, Husserl vergleicht und bemerkt: „Kants Lehre vom Schematismus ist
also von grundlegender Bedeutung; sie vertritt keine der Varianten des Begriffs-
Nominalismus, ohne doch eine der traditionellen realistischen Positionen der
Metaphysik adaptieren zu müssen. Kants Fundierung seiner Theorie vom Erkennt-
niswert der Begriffe, der Anschauungen und der beide vermittelnden Schemata ist
vielmehr transzendental-idealistisch. Diese Fundierung wird deutlich an seiner
Lehre vom transzendentalen Schema“.
243 Kant, AA XVI: 539.
244 Darauf verweist bereits Cassirer, wenn er bemerkt (ECW, 3, S. 600): „Die Ein-
schränkung der Kategorien auf die Sinnlichkeit bedeutet gegenüber der rationali-
stischen Metaphysik eine völlig neue und paradoxe Forderung, und diese Forde-
rung galt es durchzuführen, ohne dadurch das logische Recht des reinen Begriffs
nach der Art des Sensualismus verkümmern zu lassen“.
V. D ie S chemata

Laut Kant gibt es drei Arten von Begriffen, die schematisiert werden können:
empirische, rein sinnliche und reine. Die Schematisierung der reinen Verstan-
desbegriffe folgt der internen Architektonik der Kritik der reinen Vernunft und
kann als notwendiger Schritt für die Bestimmung der Grundsätze der Erfah-
rung gelten. Die Schemata der rein sinnlichen und empirischen Begriffe werden
von Kant dagegen nur angedeutet. Obwohl sie nicht die gleiche Systemstellung
der Kategorien haben, werde ich zeigen, dass sie grundlegend für Erkenntnis- und
Sprachprozesse sind. Diese Schemata sind in unterschiedlicher Hinsicht bedeu-
tende Bestandteile des kritischen Denkens: Die Schematisierung sinnlicher
Gegenstän­de in der Mathematik unterscheidet sich wegen ihres Konstruktions-
verfahrens deutlich vom diskursiven, philosophischen Denken. Und die Schema-
tisierung empirischer Gegenstände, die auf den ersten Blick vollkommen unpro-
blematisch erscheinen kann, verweist bei genauerem Hinsehen auf das Problem
des Gebrauchs und der Bildung von Erfahrungsbegriffen und deren sprach-
lichen Ausdrücken.
Die Unterscheidung zwischen drei Arten von Schemata und Schema-
tisierungen ist nicht zu vernachlässigen, weil sie – wie aus den logischen Schrif-
ten hervorgeht – sich im Gebrauch der Begriffe widerspiegelt. Der Gebrauch
strukturiert damit für Kant auf unterschiedlichen Ebenen die Bedeutung der
Begriffe. Sowohl in Bezug auf den Schematismus als Prozess der Urteilskraft als
auch auf die Funktion der Beispiele im Denken konnte die zentrale Stellung des
Gebrauchs für die Anwendung und das Erkennen von Begriffen aufgewiesen
werden, wie sie wiederum mit Kants Auffassung der Begrifflichkeit zusammen
hängt, die auf die Überwindung konzeptualistischer und nominalistischer Posi-
tionen zielt. Wie bereits erklärt, werden in den logischen Schriften Kants drei
Arten von Begriffen bestimmt: der Materie nach werden sie in gegebene (dati)
und gemachte (factitii) unterschieden; beide können zudem entweder a priori
oder a posteriori sein. A priori gegebene Begriffe sind Notiones, a posteriori
101
  V. Die Schemata

gegebene Begriffe hingegen Erfahrungsbegriffe. A priori gemacht sind die


mathematischen Begriffe und a posteriori gemachte Begriffe sind diejenigen,
die wir uns aus der Erfahrung machen.
Es gibt dabei drei Ebenen der Erzeugung: eine intellektuelle, eine empi-
rische und eine willkürliche, die für ihre Anwendung in concreto der Schema-
tisierung bedürfen. Entsprechend hat auch die Schematisierung als Ermöglichung
des Gebrauchs von Begriffen drei Ebenen: die intellektuelle der Schematisie-
rung reiner Verstandesbegriffe, die empirische der Schematisierung empiri-
scher Begriffe und die konstruierte der Schematisierung rein sinnlicher Begrif-
fe. Diese Unterscheidungen dienen uns hier zunächst nur zur Einführung,
damit deutlich wird, dass die dem Schematismus zugrunde liegende, logische
Struktur systematisch ist, d.h. alle Begriffe bezeichnet, die nach Kant unser
Denken artikulieren. Zudem markieren die Unterscheidungen die Grenze zwi-
schen Begriffen und Ideen – die für Kant in keinerlei Weise schematisiert wer-
den können. Ob eine solche Unterscheidung vor der Schematisierung schon
möglich ist, wird im Folgenden zu klären sein. Es geht dabei um die Frage, ob
überhaupt ‚der Materie nach‘ von einer Gegebenheit der Begriffe die Rede sein
kann oder sie sich nicht vielmehr erst im Zuge der Schematisierung bildet. Dies-
bezüglich ist der von Makkreel eingeführte Begriff der Kristallisation hilfreich,
um mit ihm den Prozess zu erklären, „durch den das vage und flüssige Spiel der
Einbildungskraft und des Verstandes plötzlich in eine Form gefasst wird“.245
Somit wird das doppelte Wesen der Gestalt (einmal als Resultat und einmal als
Prozess) ins Spiel gebracht, was wiederum den konstitutiv gemachten Charakter
der Begriffe nicht nur bezüglich ihrer diskursiven Form, sondern auch als trans-
zendentale Bedingung ihres reflexiven Gebrauchs überhaupt anzeigt. Ich werde
später auf diesen systematischen Aspekt zurückkommen.246
Die Schematismuslehre umfasst das allgemeine Problem der Subsump­
tion und Anwendung der Begriffe verschiedener Art, die wiederum je unter-
schiedliche Verhältnisse zu den Anschauungen haben. In den nächsten Kapiteln
(V.1 bis V.3) werden die drei Arten von Schemata ganz bewusst getrennt von-
einander behandelt, um so das Grundverfahren jeder Schematisierung heraus-
zuarbeiten. Denn es handelt sich bei ihnen nicht nur um Übergänge innerhalb
des Rahmens der Bedingungen synthetischer Urteile a priori und allgemein des
Unterschieds zwischen Erkenntnis und Denken, sondern um offene Schnitt-
stellen, deren Analyse geeignet ist, einen neuen systematischen Zugang zur
Transzendentalphilosophie zu eröffnen. Im Allgemeinen kann noch einmal
betont werden, dass jede Schematisierung als ein vielschichtiger Prozess anzu-

245 Makkreel 1997, S. 87.


246 Siehe unten, Kap. 6.
102
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sehen ist, der sich zwischen Gegebenheit und Gebrauch von sinnlichen Formen
entfaltet.
Kants Unterscheidung der drei Ebenen von Schematisierung ist insofern
von herausragendem systematischem Interesse, als mit ihr zugleich drei Ebenen
einer transzendentalen Sprach- und Erkenntnistheorie angezeigt sind. Dabei ist
jedoch die vorrangige Schwierigkeit zu beachten, die eine solche isolierende
Beschreibung mit sich bringt: Sie liegt in der statischen Analyse eines grund-
sätzlich synthetischen Prozesses, der überhaupt erst Bedeutung erzeugt, die sich
in der Folge in konkreten Formen stabilisiert. Damit ist eine Spannung zwi-
schen dem Prozess und seinen Resultaten angezeigt, die alle Ebenen der Schema-
tisierung betrifft. Kant etwa bedient sich der Beispiele des Dreieckes und des
Hundes, erklärt die Schematisierung als eine Methode und deutet gleichzeitig
bestimmte Produkte an – wie das Monogramm oder das Bild. Im Folgenden soll
daher versucht werden, diese Aspekte der Schematisierung zu systematisieren,
nicht um die interne Spannung zwischen dem Prozess und seinen Resultaten
aufzulösen, sondern um seine Gründe zu erklären und zu diskutieren.

1. Sc hemat a empi r isc her Beg r i f fe


Der empirische Begriff bezieht sich nach Kant unmittelbar auf das Schema der
Einbildungskraft und kann nicht mit einem besonderen Bild der Erscheinung
gleichgesetzt werden. Zwischen einem empirischen Begriff und einem Bild
herrscht ein qualitativer Unterschied, obwohl im Bild die Realität eines empiri-
schen Begriffs zur direkten Manifestation gelangen kann – was in der Schema-
tisierung der Kategorien nicht möglich ist. Die empirischen Begriffe sind ihren
Bildern gegenüber also in einer anderen Weise als die Verstandesbegriffe hete-
rogen, die „niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden können“.247
Und dass Bilder unter empirische Begriffe subsumiert werden können, bedeutet
nicht, dass zwischen ihnen eine homogene Entsprechung gelingt.248 So gedeutet,
würde das Problem des Gebrauchs von Regeln in der Subsumption und Anwend-
ung empirischer Begriffe liegen, wie etwa Pippin bemerkt: „If the concept is not
different from its schema, then it is impossible to explain the relation between a
rule, and the conditions under which the rule can be correctly employed“.249
Die Repräsentation des Gegenstandes ist sicherlich dem Begriff gegen-
über in einer anderen Weise heterogen, indem sie mittels des Schemas in den

247 Kant, KrV, B 176, AA 137.


248 Geoffrey Warnock (1967, S. 80) und Lauchlan Chipman (1972, S. 44–46) gelingt die
Spezifizierung dieses Unterschieds zwischen empirischen Begriffen und reinen
Verstandesbegriffen. Chipman vertritt jedoch die Meinung, dass es eine vollkom-
mene Entsprechung zwischen empirischen Begriffen und deren Schemata gibt.
249 Pippin 1976, S. 166.
103
  V. Die Schemata

Anschauungen eine empirische Entsprechung finden kann, während die Ver-


standesbegriffe eine vollkommen heterogene Ebene der Vorstellung konstituie-
ren, die keine Entsprechung in den einzelnen empirischen Anschauungen hat.
Jedoch ist dieses Verhältnis zu den Anschauungen nicht mit der Identität zwi-
schen empirischen Begriffen und Bildern zu verwechseln. Beim Gebrauch
empirischer Begriffe kann man jederzeit auf die Erfahrung rekurrieren, die
ihren Gebrauch und ihre objektive Realität als berechtigt erscheinen lässt: „Wir
bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Widerrede, und
halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete
Bedeutung zuzueignen, weil wir jederzeit die Erfahrung bei der Hand haben,
ihre objektive Realität zu beweisen“.250 Ihre Anwendung ist aber deswegen nicht
unproblematisch.251 Kant selber führt die Schematisierung empirischer Begriffe
wie folgt ein:

„Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild
desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich
jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine
Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen all-
gemeinen Begriffe“.252

Das Problem liegt darin zu verstehen, wie die Subsumption und Anwendung
eines empirischen Begriffes – wie etwa eines Hundes – verfährt, ohne ständig
auf die einzelnen Anschauungen angewiesen zu sein. Die Lösung Kants liegt
darin, den Schematismus als eine Methode zu beschreiben, welche zur Bildung
der Gestalt führt. Somit steht der Begriff von einem Hund für eine Regel, „nach
welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein
verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die
Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto dar-
stellen kann, eingeschränkt zu sein“.253
Wir sind in der Lage, über einen Hund zu sprechen, ihn zu malen oder
zu zeichnen, ohne dabei immer einen besonderen Hund vor Augen haben zu
müssen. Und trotzdem verfährt die Verbindung zum partikulären Bild durch
ein Schema – was Kant als Gestalt beschreibt. Das Bild kann also als Resultat
der Anwendung der Begriffe in concreto angesehen werden.254 Einerseits erklärt

250 Kant, KrV, B 116f., A 84.


251 Vgl. Haag 2007, S. 264–272. Inwieweit diese Schemata nach Kant angeblich unpro-
blematisch sind, wird von Paul Guyer behandelt (1987, S. 159).
252 Kant, KrV, B 180, A 141.
253 Ebd.
254 Siehe dazu Pippin, 1982, S. 145: „Images are always individuals; they are in the fact
the result of the concepts used in concreto, and they thus presuppose some method
of application, some way of understanding how a universal rule, a collection of
104
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Kant die Schematisierung empirischer Begriffe quasi als Konstruktionsver-


fahren einer Gestalt, das ausgehend vom Begriff die Gestalt eines empirischen
Gegenstandes schafft, ohne auf ihn angewiesen zu sein, womit die produktive
Macht der Einbildungskraft betont wird, die uns Anschauungen gibt. Anderer-
seits ist es, wie Eco bemerkt, „wohl kein Zufall, dass Kant wenige Zeilen nach
diesem Beispiel [des Hundes] den berühmten Satz schreibt, wonach dieser
Schematismus unseres Verstandes, der sich auch auf die bloße Form der Erschei-
nungen bezieht, eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele
sei. Er ist eine Kunst, ein Verfahren, eine Arbeit, ein Konstruieren, aber man
weiß sehr wenig darüber, wie er funktioniert. Denn es ist klar, dass die schöne
Analogie mit dem Flussdiagramm, die zum Verständnis der schematischen
Konstruktion des Dreiecks hilfreich war, beim Hund sehr viel schlechter funk-
tioniert“.255 Die Auslegung Ecos – die im nächsten Kapitel genauer analysiert
wird – greift den bedeutenden Unterschied zwischen der Konstruktion eines
Dreiecks und der des Bildes von einem Hund auf.
Beim empirischen Schema ist das konstruktive Moment der objektbezo-
genen Erfahrung zugewiesen, während das rein sinnliche Schema die Kon-
struktion verlangt, ohne dabei bloße Fiktion zu sein. Der Begriff vom Hund
bezieht sich direkt auf den Gegenstand ‚Hund‘, der Teil der äußeren Wahrneh-
mung ist, während der Begriff eines Dreiecks oder eines Zeichnens ein konsti-
tutives Moment in sich schließt, das eine allgemeingültige, unveränderbare
Konstruktion ist.256 Das Schema als Anwendung in concreto wird von Bennett
als mentales Bild erklärt, und zwar als subjektive Vorstellung von einem empi-
rischen Begriff. Diese Interpretation fasst den empirischen Charakter dieser Art
von Schema als ein Bild auf, das nicht vollkommen bestimmt sein muss, und
problematisiert zugleich seine allgemeine und prozessuale Bedeutung, dank der
die Schemata empirischer Begriffe nicht mit den Bildern selber, sondern mit
ihrer Anwendung gleichzusetzen sind.257 Die Schemata empirischer Bilder sind
von einem solchen subjektiven Charakter gekennzeichnet; sie können jedoch
nicht auf diese partikuläre, subjektive Ebene reduziert werden und enthalten

general markers sufficient to distinguish that rule from others, is applied in the face
of sensible Materie. That is, he clearly insists we do need a Schematism for empiri-
cal concepts. As we shall see, such an issue is different from that relevant to tran-
scendental schemata, but important nonetheless“.
255 Eco 2000, S. 103f.
256 Siehe dazu unten Kap. V.2.
257 Bennett 1966, S. 141f.: „Admittedly, an image or mental picture need not be entire-
ly specific: imagined things, like fictional things and unlike real ones, can disobey
the law of excluded middle. But there are limits of this sort of indeterminacy. […]
Kant avoids this impasse by associating each concept with a rule“. Siehe zum refe-
rentiellen Charakter der Anwendungsregeln der Begriffe auf ihre spezifischen Fäl-
le auch S. 145.
105
  V. Die Schemata

eine prozessuale Einheit, die Pippin im Gegensatz zu Bennett als universelle


Gestalt beschreibt.258 Bei Bennetts Deutung des Schemas als mentalem Bild
hingegen wird übersehen, dass die Operation mit empirischen Begriffen nicht
nur auf einer bloß bildhaften Ebene, sondern auch auf einer Versinnlichungs-
ebene im weiteren Sinne erfolgt, die sowohl Bild- als auch Lautgestalten umfasst.
Diese transzendentale Versinnlichungsgestalt lässt sich nicht auf eine empiri-
sche, bildhafte Darstellung reduzieren, weil sie über eine eigene Semantik ver-
fügt.259Auch wenn – wie Josef Simon behauptet – „der Passus über den Schema-
tismus empirischer Begriffe im Kontext der Kritik der reinen Vernunft […] nur
eine Überleitung zum Schematismus der reinen Verstandesbegriffe ist, und
auch dieser Passus in diesem Kontext wiederum nur ein Übergang zu den
‚Grundsätzen‘ des reinen Verstandes ist“,260 führt uns gerade dieser Passus zum
wichtigen Problem der Bildung empirischer Begriffe, deren Gehalt potentiell
aus unendlichen Merkmalen besteht. Nach Kant sind „alle unsre Begriffe dem-
nach Merkmale und alles Denken ist nichts anders als ein Vorstellen durch
Merkmale“.261 Der Spezifikations- oder Abstraktionsprozess erfolgt durch eine
Reihe von Merkmalen, die unendlich ist, „weil wir zwar ein höchstes genus,
aber keine unterste species haben“.262 Das logische Wesen ist „der erste Grund-
begriff aller nothwendigen Merkmale eines Dinges (esse conceptus)“,263 und
dabei bezieht sich Kant auf die Grundmerkmale, die notwendigerweise zum
Grundbegriff eines Dinges gehören. Obwohl also der Begriff vom Hund durch
potentiell unendliche Merkmale spezifiziert werden kann, ist die Eigenschaft
des ‚Vierfüßig-Seins‘ ein Grundmerkmal, ohne das ein Ding kein Hund sein
kann. Im Vergleich zwischen dem Satz aus der Logik Jäsche, der lautet: „der

258 Vgl. Pippin 1982, S. 148: „In fact this Gestalt, clearly itself not a rule, seems to
approach the original meaning of σχήμα. For an image to be thought under a con-
cept, Kant now argues, the concept itself must be thought or represented as a unity,
a totality of components. I must be able to imagine ‘dog-in-general’ for the rule that
is the concept dog to determine all possible dog images. We should note too that this
Gestalt does not seem to be what Bennett has called a ‘private mental image’. It is a
universal Gestalt, the ground for the production of any particular image, whether
privately conceived or empirically apprehended, and again seems more and more
like an abstract object“.
259 Diesbezüglich wird oft der Vergleich zwischen dem Schema und dem Bild-Begriff
bei Wittgenstein herangezogen. Dazu Eco 2000, S. 100: „Allenfalls könnte man
sagen, dass Kants Schema weniger dem gleicht, was man üblicherweise unter einem
‚geistigen Bild‘ (das die Vorstellung einer Fotografie evoziert) versteht, als Wittgen-
steins ‚Bild‘, einem Satz, der die gleiche Form hat wie die Tatsache, die er darstellt,
in dem Sinn, wie man bei einer algebraischen Formel oder einem technisch-wissen-
schaftlichen ‚Modell‘ von ‚ikonischer‘ Beziehung spricht“.
260 Simon 2003, S. 256.
261 Kant, AA IX: 58.
262 Kant, AA IX: 59 .
263 Kant, AA IX: 61.
106
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Philosoph macht nur gegebene Begriffe deutlich“,264 und der Behauptung aus
der Logik Philippi, nach der „Gegenstände der Natur niemals vollkommen deut-
lich sind, weil wir die Reihe der coordinirten Merkmale niemals zu Ende brin-
gen“,265 scheint deutlich zu werden, dass der Schematismus für den Gebrauch
der Begriffe zuständig ist – und zwar sogar für den Gebrauch des abstraktesten
Begriffs von ‚Etwas‘.266
Im Gebrauch eines empirischen Begriffes erfolgt eine Auswahl von Merk-
malen, deren Menge potentiell unendlich ist und die dennoch im Subsumpti-
ons- und Anwendungsprozess in einer wirklichen – und in der Tat partiellen –
Gestalt zur Darstellung gelangt. Und gerade diese Teilansicht ist im Terminus
Gestalt angezeigt, und zwar als ein Ganzes, das als einheitlich wahrgenommen
wird. Wie Pippin zu Recht beobachtet: „We already know that the list of Merk-
male that define an empirical concept is indefinite, never comple­table. If that is
so, then what does the ‚imagination‘ look to in thinking some set of markers
together as a ‚universal‘ whole, a schematic totality?“.267
Der Schematismus der empirischen Begriffe lässt sich nicht auf eine
Abstraktion der Merkmale reduzieren; im Gegenteil führt er uns zum grund-
legenden Problem der Bildung von Begriffen, womit der Prozess des Gebrauchs
der Begriffe in den Vordergrund rückt.268 Die Vollkommenheit der empirischen
Begriffe ist in diesem Sinne in actu und das dank der Einbildungskraft als dem
Vermögen der Vermittlung und Vereinheitlichung verschiedener Merkmale in
einer Vorstellung. Hier ist absichtlich die Rede von Vorstellung und nicht von
Darstellung, um den aktuellen Charakter der Auswahl von Merkmalen im
Gebrauch der empirischen Begriffe hervorzuheben. Dies wird auch von Josef
Simon gesehen: „Insofern ist jeder empirische Begriff ‚mein‘ (vorläufiger)
Begriff. Jedes Bild von ihm ist eine mir hier und jetzt mögliche Vorstellung

264 Kant, AA IX: 64.


265 Kant, AA XXIV, 1: 413. Der Vergleich mit den Poeten und Rednern, die „die Deut-
lichkeit durch eine Menge coordinirter Merkmale zu Stande bringen“, ist diesbe-
züglich sehr aufschlussreich.
266 In der Logik Jäsche (AA IX: 95) bestimmt Kant den Begriff von Etwas als einen
abstrakten Begriff, „welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat.
[…] Denn das von ihm Verschiedene ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nicht
gemein“. Siehe dazu La Rocca 2003, S. 136.
267 Pippin 1982, S. 147.
268 Vgl. Haag 2007, S. 274: „Ich bin der Ansicht, dass Kants abstraktive Theorie der
Bildung empirischer Begriffe empirische Schemata nicht überflüssig macht“. Ins-
besondere bemerkt Haag (S. 264), dass die Schematisierung empirischer Begriffe
keine überflüssige Theorie sei: „Auch wenn die Schematisierung empirischer Begrif-
fe nicht im transzendentalen Sinne Bedingung der Möglichkeit von Gegenstands-
bezug ist – weil dieser Gegenstandsbezug keine empirische Begriffe voraussetzt –
erfordert die Anwendung empirischer Begriffe eine Zuordnung empirischer
Schemata“.
107
  V. Die Schemata

seines Inhalts, und nur in dem Maße, in dem ich die Kunst oder das Verfahren,
ihm sein Bild zu verschaffen, ‚blind‘ beherrsche, wird er mir deutlich“.269 Der
subjektive Charakter der empirischen Schematisierung betrifft die Bestimmung
der empirischen Einheit der Apperzeption, die nur subjektive Gültigkeit hat,
und so ist „die Einheit des Bewusstseins, in dem, was empirisch ist, […] in Anse-
hung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend“.270
Eine Interpretation, welche die Abstraktion und die Anwendung der
Begriffe als zwei Richtungen desselben Schematismus ansieht – einerseits als
Subsumierung bestimmter Merkmale und andererseits als pragmatische Schlie-
ßung einer Reihe von Merkmalen271 –, erfasst sicherlich die Bestimmung der
Gestaltung als einen aus dem Verhältnis zwischen Ganzem und Teilen resultie-
renden Prozess, also als eine endliche Auswahl von Merkmalen. Aber sie geht
das Risiko ein, den Gebrauch selbst zu umgehen und den gestaltlichen Charak-
ter der Schematisierung auf die Subsumption und Erkenntnis einzelner Merk-
male zu reduzieren. Die Gestalt als Totalität lässt sich hingegen nicht als die
Summe einzelner Merkmale verstehen und der Schematismus mithin auch
nicht als bloßer Subsumptions- und Anwendungsprozess, wie Heidegger anhand
des Beispiels eines Hauses erklärt: „Diese Vorzeichnung der Regel ist kein Ver-
zeichnis im Sinne der bloßen Aufzählung der ‚Merkmale‘, die an einem Haus
vorfindlich sind, sondern ein ‚Auszeichnen‘ des Ganzen dessen, was mit der-
gleichen wie ‚Haus‘ gemeint ist“.272 Wenn eine Anschauung einen bestimmten
Begriff als Merkmal hat, kann die Schematisierung erfolgen, und die Anschau-
ung wird zu einem Beispiel dieses Begriffes. Kant führt den Begriff des Bei-
spiels in §59 der Kritik der Urteilskraft ein, um zwei Arten von Anschauungen
zu unterscheiden: „Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer
Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren
Beispiele. Sind jene reine Verstandesbegriffe, so werden die letzteren Schemata
genannt“.273

269 Simon 2003, S. 249 und S. 354: „Der ‚Begriff‘ ist willkürlich, weil er sich meiner
Synthesis in dem Modus verdankt, in dem ‚ich‘ mit meiner Urteilsbildung zu Ende
komme. Damit ist er für mich gerade nicht willkürlich“. Geoffrey Warnock (1967,
S. 80) diskutiert die Unterscheidung zwischen der Anwendung, dem Gebrauch und
dem Besitzen eines Begriffes.
270 Kant, KrV, B 140.
271 Siehe Forgione 2006, S. 87: „[…] Schematismo e astrazione in Kant sono la stessa e
medesima operazione, considerata solo sotto due aspetti distinti e invertiti: l’astra-
zione, così come lo schematismo sussuntivo, non diversamente dai dettami dell’em-
pirismo, concerne la possibilità di registrare, di marcare una particolare nota, men-
tre lo schematismo applicativo riguarda l’applicazione dell’insieme di note o di
attributi che formano un concetto, in sede di giudizio“.
272 Heidegger, GA, 3, S. 95.
273 Kant, KU, B 254, A 251.
108
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Wie jetzt deutlich geworden ist, lässt sich die Gestalt also nicht auf Bilder
reduzieren, sondern stellt eine Auswahl von Merkmalen dar, die – sei es durch
Sprache, sei durch Bilder – als Totalität zur Darstellung gelangt.274 Wie bereits
mehrfach angemerkt wurde, eröffnet die Kritik der Urteilskraft diesbezüglich
einen weiteren Horizont, der im nächsten Kapitel mit Blick auf den Unterschied
zwischen schematischer und symbolischer Darstellung genauer zu untersuchen
sein wird. Hier ist es wichtig festzuhalten, dass der exemplarische Charakter
der Schemata empirischer Begriffe eine kreative Funktion in der Bildung der
Begriffe ausübt, die in der Kritik der reinen Vernunft nicht im Vordergrund
steht, weshalb aus dem Schematismus-Kapitel die Bildung der Begriffe jener Art
offen bleibt, deren Gebrauch nicht nur als ein Subsumptions- und Anwendungs-
prozess, sondern als Darstellung angesehen werden kann. Als „musterhaft“ gilt
in §57 der Anthropologie ein Werk des Genies, „d.i. wenn es verdient als Bei-
spiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“.275
Die unendliche Reihe der Merkmale ist für Eco gerade der Grund, warum
Kant am Anfang der Kritik der reinen Vernunft behauptet, dass „in der trans-
zendentalen Philosophie keine Begriffe auftauchen dürfen, die etwas Empiri-
sches enthalten: Gegenstand der Synthesis a priori kann nicht die Natur der
Dinge sein, die in sich ‚unerschöpflich‘ ist“.276 In der Erfahrung sind immer neue
Spezifizierungen eines empirischen Begriffs zu finden. Dieser Aspekt enthält
das Problem der Gestaltung von Bedeutung im diskursiven Gebrauch: Die
empirischen Begriffe sind nun an die Erfahrung der Sprechenden und Hören-
den gebunden und lassen sich nicht vom Kontext der einzelnen Bedeutungs-
gebungen abstrahieren. Daher könnte man fragen, ob die Schemata empirischer
Begriffe nicht einfach auf den Gebrauch empirischer Begriffe zu reduzieren
sind. Diese Frage wird oft bejaht, und zwar dann, wenn eine andere Frage ver-
nachlässigt wird, nämlich die nach der Bildung der empirischen Begriffe selbst.

274 Vgl. Fortuna 2005, S. 94: „[…] lo schema empirico di gatto o di cane è un’immagine
in concreto (visiva, uditiva o motoria che sia) che rappresenta tutta la categoria
attraverso un esempio“. Diesbezüglich hat Werner Flach (2001, S. 469) betont,
inwiefern die Schemata empirischer Begriffe Beispiele „für gegenständliche
Bestimmtheit [sind], der, und das ist hierbei ganz besonders mitzudenken, bestim-
mungslogisch die Unbestimmtheit korreliert“. In diesem Zusammenhang nähert
sich dieser Gestalt-Begriff sicherlich einer Untersuchung der Gestaltungstheorie,
die jedoch hier nicht berücksichtigt werden kann.
275 Kant, AA VII: 224: „Nun heißt das Talent zum Erfinden das Genie. Man legt aber
diesen Namen immer nur einem Künstler bei, also dem, der etwas zu machen ver-
steht, nicht dem, der blos vieles kennt und weiß; aber auch nicht einem blos nach-
ahmenden, sondern einem seine Werke ursprünglich hervorzubringen aufgelegten
Künstler; endlich auch diesem nur, wenn sein Product musterhaft ist, d.i. wenn es
verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“. Dazu siehe auch Wagner
2008, S. 140.
276 Eco 2000, S. 88.
109
  V. Die Schemata

So kann vor allem in der Folge Wittgensteins der Eindruck entstehen, der
Gebrauch erfordere kein (inhaltliches) Schema.277 Im Gegenteil ist das Schema
deshalb nicht überflüssig, weil auch im Fall der empirischen Begriffe durch die
Bildung im Gebrauch nicht erklärt werden kann, inwieweit sie sowohl durch
Bilder als auch durch Wörter zur Gestaltung gelangen und diese Gestalten als
Zeichen oder als Symbole verwendet werden können.278
Eco behandelt ähnliche Probleme anhand des Beispiels eines Schnabel-
tiers und verwendet es als Prüfstein des Schematismus: „Dass Kants Schema-
tismus – in dem Sinn, dass er diese Vorstellung zwingend nahelegt – einen Kon-
struktivismus impliziert, ist, insbesondere im Blick auf die Wiederaufnahme
Kants in den modernen Kognitionswissenschaften, keine neue Erkenntnis.
Doch in welchem Maße das Schema ein Konstrukt sein kann und muss, das
müsste sich weniger daran zeigen, dass man bereits konstruierte Schemata (wie
das des Hundes) anwendet; das eigentliche Problem ist die Frage, was geschieht,
wenn man das Schema eines noch unbekannten Gegenstandes konstruieren
muss“.279 Das Schnabeltier ist gerade ein Schema von einem noch unbekannten
Gegenstand, der später dennoch entdeckt wird. Das Beispiel stellt insofern zwei
Probleme dar: zuerst die Bildung der empirischen Begriffe, die als ‚gegeben‘
wahrgenommen werden, und zweitens die Bildung neuer Begriffe, die später als
‚gegeben‘ wahrgenommen werden. Das Problem des Schnabeltiers zieht Eco als
Prüfstein der Kritik der Urteilskraft heran, und zwar genauer der Unterschei-
dung zwischen bestimmenden und reflexiven Urteilen.280 Gerade durch die
reflexive Urteilskraft kommen Ausdrücke für Gegenstände zustande, die als
‚neu‘ zu kennzeichnen sind. Das Unbekannte findet seine erste Bestimmung als
Etwas und anschließend eine spezifischere Benennung über das Erlernen einer
konventionellen Benennung oder durch Erfindung neuer Ausdrücke. Die Erfin-
dung geschieht dabei auf einer reflexiven Ebene, die das symbolische Denken
impliziert und für Kant dann zur Bestimmung wird, wenn eine direkte Ent-
sprechung in den Anschauungen vorliegt, oder besser gesagt: wenn die Anschau-
ungen erkennbare Beispiele für die erfundenen Ausdrücke darstellen.
Die Schematisierung empirischer Begriffe erhält objektive Realität in der
Erfahrung und ihre Anwendung erfolgt in synthetischen Urteilen a posteriori,

277 Zum Beispiel Wittgenstein, PU, 73. Darauf werde ich im abschließenden dritten
Teil zurückkommen.
278 Vgl. dazu insbesondere Dascal und Senderowitcz 1992, S. 141f.: „An empirical con-
cept is nothing but a word with a determinate reference. Nevertheless, we must
remember that we have no access to the thing referred to by the word not to its
inner structure. All we know is what we can learn from experience. At this point
the importance of nominal definitions becomes apparent“.
279 Eco 2000, S. 108.
280 Vgl. Eco 2000, S. 109.
110
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die in der Erfahrung ihre Quelle haben müssen.281 Der Abstraktionstheorie


genügt jedoch nicht die Erklärung der Bildung der Begriffe als solche, wie Eco
am Problem des Schnabeltiers zeigt. Denn die Abstraktionstheorie stellt aus
Kants Sicht nur eine negative Bedingung dar und erfordert zusätzlich die posi-
tiven Bedingungen der Komparation und der Reflexion.282 Diese drei Operatio-
nen dienen bloß dazu, schon gegebene Begriffe zu spezifizieren, können jedoch
die Möglichkeit und Bildung der Begriffe selbst nicht erklären.283 Diese Span-
nung zwischen Gegebenheit und Bildung der Begriffe hinterlässt deutliche
Spuren in den logischen Schriften Kants, in denen er die empirischen Begriffe
an der Grenze zwischen Logik und Erkenntnistheorie als solche beschreibt, die
gegeben und gemacht sind. In §2 der Logik Jäsche wird eine weitere Unterschei-
dung zwischen a priori gegebenen Begriffen im Gegensatz zu a posteriori gege-
benen gezogen, und erst in §102 der Logik in der Methodenlehre erklärt Kant,
die gemachten Begriffe könnten sowohl a priori als auch a posteriori sein, wobei
letztere Gegenstände der Erfahrung seien, die synthetisch gemacht werden.284
Dass diese synthetisch gemachten Begriffe erst in der Methodenlehre vorkom-
men, ist nicht von sekundärer Bedeutung, weil Kant gerade dort zu zeigen bean-
sprucht, „wie wir zur Vollkommenheit des Erkenntnisses gelangen“.285 Und das
kann nicht analytisch erfolgen, sondern nur synthetisch, d.h. die Deutlichkeit
der Begriffe kann nicht durch die analytische Untersuchung der Merkmale
eines Begriffes erreicht, sondern nur aus der Erfahrung synthetisch hergeleitet
werden: Bei „[…] empirischen Begriffen Wasser Feuer Luft u. dgl. soll ich nicht
zergliedern, was in ihnen liegt, sondern durch Erfahrung kennen lernen, was zu
ihnen gehört. Alle empirischen Begriffe müssen also als gemachte Begriffe
angesehen werden, deren Synthesis aber nicht willkürlich, sondern empirisch
ist“.286

281 Vgl. Kant, KrV, B 1f.


282 Vgl. Kant, AA IX: 95: „Denn durchs Abstrahiren wird kein Begriff, die Abstraction
vollendet ihn nur und schließt ihn in seine bestimmten Grenzen ein“.
283 Kant, AA XVI: 552 (R 2865). Vgl. Ginsborg 2006, S. 40: „The upshot of this seems
to be that we cannot regard the appeal to comparison, reflection, and abstraction as
constituting Kant’s answer to the question of how empirical concepts are possible,
but only as explaining how concepts we already possess can be clarified or made
explicit“. Siehe auch Ginsborg für die Betrachtung der Ansätze von Locke, Berkeley
und Hume in Bezug auf das Problem der Bildung empirischer Begriffe sowie
Obergfell 1985, S. 47–51.
284 Frank Obergfell (1985, S. 64) interpretiert diese Begriffe im Sinne einer freien
Gestaltung: „Dieser Art sind alle Phantasiebegriffe und projektiven Begriffe, deren
ganzheitlicher Sachgehalt entweder nie in der Erfahrung vorfindbar ist (Sphinx)
oder noch nicht (Schiffsuhr)“.
285 Kant, AA IX: 139.
286 Kant, AA IX: 141. In der Reflexion 2935 (AA XVI: 581) zieht Kant eine Unterschei-
dung zwischen empirisch gegebenen Begriffen (wie der Begriff des Körpers) und
111
  V. Die Schemata

Die Erfahrungsbegriffe enthalten daher eine synthetische Bestim-


mungsfunktion, die ich dem Gegenstand der Erfahrung nicht einfach ablese,
sondern „willkührlich auflese“.287 Der Anwendungsbereich dieser Funktion ist
jedoch nicht ausreichend spezifiziert und schwebt oft zwischen der Abgrenzung
zur Gegebenheit des Gegenstandes und der Erweiterung des gegebenen logi-
schen Wesens: Die interne Spannung zwischen Gegebenheit und Gemacht-Sein
der Erfahrungsbegriffe erhält daher keine deutlichen Konturen in Bezug auf
den Schematismus. Einerseits scheint Kant mit ihr auf die Entgegensetzung
zwischen Willkürlichkeit und Gegebenheit des Bezugs zum Gegenstand abzu-
zielen, andererseits könnte sie auch als interne Spannung innerhalb der Defi-
nition des Begriffes selbst verstanden werden. Auf dieser letzten Ebene liegt das
von Eco besprochene Problem der Bildung empirischer Begriffe, und genauer
der Wortbestimmungen. Nach Kant muss zwischen der (logischen) Nominalde-
finition gegebener empirischer Begriffe, die das enthält, „was man iederzeit bey
einem Worte in dem Begriffe denkt“ und der Realdefinition dessen unterschie-
den werden, „was iederzeit der Sache zukomt“.288 Die Nominaldefinition bezeich-
net das logische Wesen, während die Realdefinition seine objektive Realität
betrifft, die nur a posteriori im Gebrauch dargelegt werden kann.289 Die Refle-
xion 2931 bringt meines Erachtens Licht in den Unterschied zwischen Nominal-
und Realdefinition: „Ich gebe entweder einem Wort seinen Begrif (Wortbestim-
mung) dem Gebrauch nach oder dem willkührlichen Begriff ein Wort und
errichte einen Gebrauch; das erste ist declaration nominalis, das zweyte decla-
ratio realis“.290
Und in der Reflexion 2954 schreibt Kant: „Erfahrungsbegrif ist nur Zei-
chen der Erfahrung“.291 Die gegebene und gemachte Bedeutung der empirischen

empirisch gemachten Begriffen (wie der Begriff von Wasser).


287 Kant, AA XVI: 572: „Erfahrungsbegriffe sind auch gemacht, weil sie das object
durch Warnehmungen, die ich willkührlich auflese, bestimmen und zusammen-
setzen. Aber weil der Gegenstand selbst gegeben wird, so kann man ihn analysi-
ren“.
288 Kant, AA XVI: 576.
289 Siehe Kant (Anmerkung), KrV, A 242: „Ich verstehe hier die Realdefinition, welche
nicht bloß dem Namen einer Sache andere und verständlichere Wörter unterlegt,
sondern die, so ein klares Merkmal, daran der Gegenstand (definitum) jederzeit
sicher erkannt werden kann, und den erklärten Begriff zur Anwendung brauchbar
macht, in sich enthält. Die Realerklärung würde also diejenige sein, welche nicht
bloß einen Begriff, sondern zugleich die objektive Realität desselben deutlich
macht. Die mathematische Erklärungen, welche den Gegenstand, dem Begriffe
gemäß, in der Anschauung darstellen, sind von der letzteren Art“. Vgl. dazu Böh-
me 1986, S. 29–33.
290 Kant, AA XVI: 579.
291 Kant, AA XVI: 586. Insbesondere Claudio La Rocca hat bei Kant die Funktion der
Bezeichnung für den empirischen Begriff hervorgehoben (2003, S. 137): „Ciò che
significa che il rapporto originario tra intuizione e concetto non è di rappresentazio-
112
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Begriffe kann daher wie folgt erläutert werden: Als gegeben versteht man diese
Begriffe in der Erlernung des (sprachlichen) Gebrauchs, als gemacht hingegen
sind sie mit Blick auf den Prozess ihrer Entstehung zu beschreiben. So erklärt
sich auch Ecos Schnabeltierproblem, in dem die Bezeichnung selbst eine Gestal-
tungsfunktion annimmt. Auf diese Weise erscheint der gegebene Charakter der
empirischen Begriffe in einem anderen Licht. Denn ihre Gegebenheit ist nicht
etwa ursprüngliche Voraussetzung der Schematisierung, sondern ihr Resultat,
insofern in ihr Begriffe so angewendet werden, als ob sie gegeben wären. Inso-
fern ist es korrekt zu sagen, die Begriffe realisierten sich immer nur im
Gebrauch, was für Kant im Urteilen geschieht. An diesem Punkt setzt auch die
Kritik Maimons bezüglich des fiktionalen Charakters aller Begriffe an: Die
Erfahrung – oder besser gesagt: das vorausgesetzte Faktum der Erfahrung – ist
für ihn nicht ausreichend für die Erklärung der Begriffe empirischer Art. An
seine Stelle tritt ein rationaler Prozess, der ähnlich wie im Schematismus im
Allgemeinen das Problem der Bildung und des Gebrauchs von Begriffen erklärt,
die an sich immer eine Auswahl in actu sind. Auf die Kritik Maimons an Kant
wird später noch ausführlich eingegangen;292 hier ist lediglich anzudeuten,
inwiefern sie auf eine interne Problematik des Schematismus hinweist.
Der schematische Prozess bietet eine Lösung des Problems an, das mit
dem zugleich gegebenen als auch gemachten Wesen der Begriffe angezeigt ist.
Denn er ermöglicht sowohl die Stabilität als auch die Modifikation der Bedeu-
tung der Begriffe, die in unterschiedlichen Anwendungs- und Ausdrucksfor-
men zur Vor- und Darstellung gelangen können.293 Ohne die Schematisierung
würden die empirischen Begriffe – und nicht nur sie, sondern, wie wir später
sehen werden, alle Begriffe – in ihrer sprachlichen Kristallisation294 gefangen
bleiben, ohne modifizierbar zu sein,295 wodurch der perspektivische Charakter

ne, ma appunto di designazione, ossia che il primo passo è l’aggancio segnico


dell’oggetto che può avvenire sulla base di Merkmale diversi, in unione non preor-
dinata, in certo senso arbitraria (limitata solo dalla capacità di quei Merkmale di
essere principio di identificazione)“.
292 Siehe Kap. I des zweiten Teils
293 Diesbezüglich diskutiert Henry Allison (2004, S. 208) die Ähnlichkeit zwischen
Beispielen und Bildern: „Images share with examples the property of fixedness or
determinacy, that is, they are inherently particular. That is why Kants insists in the
Schematism that mathematical and empirical concepts must be grounded in sche-
mata rather than images. (…) In other words, in order to be able to judge that a
particular figure is a triangle, one needs not simply the concept (that of a figure
enclosed by three straight lines) but also its schema“.
294 Zum Kristallisations-Begriff von Makkreel siehe oben, Kap. V.3.
295 Raphaël Ehrsam (2011, S. 151) bemerkt: „ […] le schème d’un concept empirique es
empreint de la contingence ayant marqué la formation du concept, et de ce fait, il
comprend de façon essentielle en lui-même la possibilité de sa modification“.
113
  V. Die Schemata

des Gebrauchs dieser Begriffe verloren ginge.296 Wenn dem so ist: wenn also
dem Schematismus diese konstruktive Prozessualität zukommt, dann kann
man mit Heidegger fragen, „in welchem Sinne hier überhaupt noch von Sub-
sumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.297
Die Schematisierung empirischer Begriffe bringt uns dem Problem der
semantischen Unbestimmtheit näher, das sich darin zeigt, dass die natürliche
Sprache zur konkreten Form des Ausdrucks und der Darstellung abstrakter
Begriffe wird. Denn es ist die Ebene des empirischen Ausdrucks, die den gewöhn-
lichen Gebrauch unserer Begriffe prägt. In diesem Gebrauch findet eine Aus-
wahl von Merkmalen statt,298 die Ähnlichkeiten zum symbolischen Prozess auf-
weist, in dem nach Kant eine indirekte Assoziation von schon intuitiv gegebenen
Merkmalen erfolgt. In Maimons Erweiterungsversuch dann ist es die Einbil-
dungskraft, die eine unendliche Reihe Merkmale schließt und so die unendliche
Annäherung des Begriffs ausmacht, indem sie die endliche Gestalt jedes Mal
transformiert, weshalb schließlich Herder sie explizit mit dem Wort selbst in
Verbindung bringt.
An dieser Stelle ist der Begriff der Motiviertheit einzuführen, die – wie
man sehen wird – Grundeigenschaft aller Schemata ist, sich jedoch jeweils
anders artikuliert, wie Eco beobachtet: „Man kann die Schemata auch in dem
Sinn als äußerst unnatürlich betrachten, als sie in der Natur nicht präexistieren,
doch das ändert nichts daran, dass sie motiviert sind“.299 Diese Motiviertheit der
Schemata realisiert sich im Prozess des Gebrauchs des Begriffs, der als Auswahl
von bestimmten Merkmalen angesehen werden kann, die in den Anschauungen
einen Beleg finden. Dieser Prozess nähert den Schematismus empirischer
Begriffe demjenigen symbolischen Verfahren an, das jedes Mal bestimmte
Merkmale des schon bestehenden (also motivierten, aber nicht vollkommenen)
Begriffs in ein vorläufiges Ganzes schließt. Dieser Aspekt ist daher zu Recht

296 Vgl. Haag 2007, S. 267.


297 Heidegger GA, 3, S. 110.
298 Insbesondere Emilio Garroni und Michael Hohenegger haben diesen Aspekt deut-
lich gesehen (1999, S. LIII): „[…] la formazione di uno schema empirico comporta,
rispetto all’immagine-schema, una selezione simile a quella che caratterizza speci-
ficamente (nel senso di: ‘rispetto a uno schema già costituito’) un simbolo, dato che
e nel primo caso e nel secondo bisogna selezionare alcuni tratti ed escluderne altri.
C’è di più, come si accennava: che perfino il significato delle categorie, almeno sotto
un profilo linguistico, non può essere in tutti i sensi attinto immediatamente e a
priori nel suo schema puro, e contiene anch’esso una valenza analogica, se si tiene
conto del fatto che, in tanto si può parlare di concetti puri […], in quanto le parole
che li designano hanno invece un significato indiretto, cioè un’esibizione simboli-
ca“. Siehe auch Forgione 2006, S. 100.
299 Eco 2000, S. 145.
114
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

mit der Problematik der semantischen Unbestimmtheit in Verbindung gebracht


worden.
Diese Motiviertheit in der Schematisierung empirischer Begriffe kann
als subjektiver, einzelner Gebrauch der Begriffe verstanden werden. Insbeson-
dere Cassirer deutet das eigentliche Thema der Schematismuslehre als „die
Frage nach der psychologischen Möglichkeit des Allgemeinbegriffs“,300 d.h. als
einen Gebrauch, in dem der allgemeine Begriff zur subjektiven Konkretheit
einzelner Anwendungen gelangt, ohne dabei willkürlich konstruiert zu sein.301
Beim empirischen Schematismus geht es um die Zeit und den Raum des Sub-
jektes. Das Schema stellt das Hier und Jetzt des subjektiven Gebrauchs des
­Subjektes dar, der sich in der raumzeitlichen Dimension der objektbezogen Wahr-
nehmung entfaltet. Dieser Aspekt kann auch als Perspektivismus der empirischen
Schemata bezeichnet werden, da er den subjektiven Charakter der schema-
tischen Realisierung eines empirischen Begriffes beschreibt.
An Überlegungen von Sellars anknüpfend bezeichnet Haag das Schema
der empirischen Begriffe als „die Methode der Konstruktion von Bild-Modellen
aus verschiedenen möglichen Perspektiven des Subjekts. Die Methode ist also
die Methode der Konstruktion von etwas wesentlich perspektivischem“.302 Was

300 Cassirer, ECW, 3, S. 596: „Der Schematismus ist bestimmt, die innere ‚Ungleichar-
tigkeit‘ zu heben, die zwischen dem reinen Verstandesbegriff und den sinnlichen
Anschauungen, auf die er angewandt werden soll, zu bestehen scheint. […] Es muss
gezeigt werden, wie eine sinnliche Anschauung, die als solche nur einen bestimm-
ten Einzelinhalt zu bezeichnen scheint, die Fähigkeit erlangen kann, zum Aus-
druck einer Gesamtklasse von Inhalten zu werden und zu jeden von ihnen nach
seiner konstitutiven Beschaffenheit wiederzugeben. An diesem Grundproblem
greift die Lehre vom Schematismus ein. Ihr eigentliches Thema ist die Frage nach
der psychologischen Möglichkeit des Allgemeinbegriffs“. Siehe auch Cassirer, ECW,
24, S. 234: „Concepts are psychologically actualized by ‘schemata’, not by images“.
301 Vgl. Eco 2000, S. 144: „Obwohl von ein und demselben Ding verschiedene mögliche
schematische Darstellungen gibt, darf man das Schema von ihm nicht willkürlich
konstruieren“.
302 Haag 2007, S. 289. Haag bezieht diesen Ansatz auf Sellars (1978, S. 233). Der per-
spektivische Charakter der Schemata wird auch von Sarah Gibbons (1994, S. 76f.)
diskutiert. Umberto Eco (2000, S. 105–108) behandelt das Schema empirischer
Begriffe in Bezug auf das 3D-Modell von Marr, das jedoch nur als eine Darstellung
der Bedeutungsproblematik anzusehen ist und das Schema nicht auf die bildhafte
Konstruktion zurückführen kann. Der Modell-Begriff wird hier in Bezug auf die
Auslegung von Friedrich Kaulbach (1973, S. 126f.) in Betracht gezogen, der das
Modell im Zusammenhang des Vermögens der reflektierenden Urteilskraft und in
der Gegenüberstellung zum Schema behandelt. Dazu Grüne 2009, S. 143f. und
S. 193. Obwohl es an dieser Stelle nicht möglich ist, näher auf die von Haag vertre-
tene Auslegung des Bild-Modell-Begriffs einzugehen, möchte ich kurz darauf hin-
weisen, dass eine solche Reduktion des Schemas auf die bildhafte Charakterisie-
rung nicht die ganze Weite des Schemas als Versinnlichung zwischen Bild und Laut
erfasst, obwohl Haag zu Recht darauf hinweist, dass die Rezeptivität durch sinnli-
115
  V. Die Schemata

nun in dieser Art von Schematisierung perspektivisch ist, kann am Prozess der
Referenz selbst festgemacht werden, die sich im Gebrauch von Begriffen reali-
siert und nicht nur auf die Konstruktion von Bild-Modellen zu reduzieren ist, da
es – wie gesehen – in der Schematisierung empirischer Begriffe um eine Gestal-
tung geht, die mit der Perspektivität des Gebrauchs in Verbindung steht, von
dem der Begriff nicht getrennt werden kann. Der Gebrauch kann sowohl eine
bildhafte als auch eine rein lautliche Artikulation des Begriffs realisieren. Die
Rede von Bild-Modellen erfasst also nicht die Gestaltungsfunktion dieser empi-
rischen Schematisierung, deren perspektivischer Charakter nicht mit ihrer
bloßen Subjektivität verwechselt werden darf, die vom Gebrauch unabhängig
ist. Die Gegebenheit der Begriffe erweist sich somit als Moment innerhalb des
Prozesses der sprachlichen Schematisierung, was auch Humboldt hervorhebt,
demzufolge „erst im Individuum die Sprache ihre letzte Bestimmtheit erhält“.303
Die so angezeigte Perspektivität ist zugleich Ausdruck der spezifischen Dunkel-
heit der Referenz aus subjektiver Sicht, die Josef Simon auf die schematische
Vermittlung zwischen Bild und Begriff bezieht: „Nach Kant verdanken wir die
‚Bedeutung‘ unserer Begriffe (als ihre ‚Beziehung auf Objekte‘) dem Schema-
tismus als einem ‚Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu
verschaffen‘. Das kann nun aber nicht mehr so verstanden werden, als hätte
man zunächst den Begriff von etwas, von dem man sich außerdem noch ein Bild
verschafften wollte. Ohne Bild, d.h. ohne das, was ich mir darunter vorstellen
kann, wäre der Begriff für mich kein Begriff (von etwas). Wegen dieses Rück-
bezuges auf mich bleibt auch nach Kant die Referenz dunkel. Das sie herstellen-
de Verfahren folgt keiner Regel, die man angeben könnte. […] Diese ‚Dunkel-
heit‘ ist nun aber in ihrer systematischen Notwendigkeit begriffen. Sie gehört
zur Aufklärung, insofern sie als Aufklärung über die Grenzen der ‚reinen‘ Ver-
nunft verstanden ist“.304
Eine Schematismuslehre empirischer Begriffe, die sich nur auf der Ebene
der subjektiven Anwendung der Begriffe auf die Erscheinungen durch die Kon-
struktion von Bildern oder im Allgemeinen durch die Entsprechung von inne-
ren Vorstellungen und Erscheinungen bewegt, begreift nicht den Sinn der Refe-
renz selbst, die sich subjektiv artikuliert, aber trotzdem eine Gestaltung ist, die
sich schematisch, d.h. transzendental zwischen Bildern und Wortlauten entfal-
tet.305 In ihrem fortlaufenden Prozess zwischen Ganzem und Teilen markieren

che Eigenschaften geprägt ist (siehe dazu Haag 2007, S. 429). Mein Eindruck ist,
dass die Bild-Modelle bei Haag trotzdem Gehalte und nicht prozessuale Bedingun-
gen von Vorstellungen bezeichnen (siehe weiter S. 432).
303 Humboldt, GS, VII, S. 64.
304 Simon 2003, S. 246.
305 Inwieweit die Wahrnehmung von Bildern und Wörtern dem physiognomischen
Prozess ähnelt, kann hier nicht weiter behandelt werden. Vgl. dazu insbesondere
116
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die empirischen Schemata begriffliche Kristallisationen subjektiver und per-


spektivischer Art. So hat in diesem Kontext auch die naive Bedeutung des
Schemas als stilisierte Facette, Skizze, Andeutung unter der Voraussetzung ihre
Berechtigung, dass es sich dabei nur um empirisch gegebene Verkürzungen han-
delt, die nicht die Bedeutung des Schemas in der Gestaltung des Ganzen umfas-
sen, die vielmehr dem symbolischen und sprachlichen Prozess entsprechen.
Die Sinnlichkeit in ihrer Gestaltungsfunktion wurde hervorgehoben,
um deutlich zu machen, dass die Bedeutung durch den Versinnlichungsprozess
zwischen Wortlauten und Bildern zur Artikulation kommt. Bei der Schema-
tisierung empirischer Begriffe spielt dieser Aspekt eine grundlegende Rolle:
Dieser Prozess ist die dynamische Performanz der sprachlichen Gestaltung
selbst. Genau dies meint Humboldt, wenn er sich auf die Sprache als energeia
im Unterschied zum ergon bezieht. Die Sprache hat daher ihre letzte Bestimmt-
heit im individuellen Gebrauch. Die Schematisierung empirischer Begriffe ist
somit geeignet, diese Form der Versinnlichung zu erklären, in der sich im
Gebrauch der Sprache das Denken selbst gestaltet. Der mit der Schematisierung
empirischer Begriffe einhergehende Konstruktivismus betrifft daher nicht nur
die Begriffe selbst, die – wie oben erklärt – als ‚gemacht‘ aufgefasst werden
können, sondern die Sprache als solche. Die Spannung zwischen der Gegeben-
heit und dem Gemacht-Sein der empirischen Begriffe zeigt die Tätigkeit der
Sprache als eine dynamische Funktion des Bezeichnungsvermögens an, wie sie
systematisch erst in der Nachfolge Kants von Hamann, Herder und Humboldt
ausgearbeitet wurde.

2. Sc hemat a rei n si n n l ic her Beg r i f fe


Während die Schematisierung empirischer Begriffe auf eine Entsprechung in
den einzelnen empirischen Anschauungen (mit und ohne Gegenwart des
Gegenstandes) angewiesen ist, lässt sich die Schematisierung sinnlicher Begrif-
fe als ein Konstruktionsverfahren erklären, das allein auf reinen Anschauungen
beruht und nicht direkt auf empirische Anschauungen angewiesen ist.306 Diese
Schematisierung ist nicht perspektivistisch, sondern erfolgt durch eine Kon-
struktion, die unter bestimmten Regeln erfolgt. Um diesen Aspekt an einem
Beispiel zu erklären, nimmt Kant auf die Schematisierung geometrischer Figu-
ren wie der eines Dreiecks Bezug: Dessen Schema „kann niemals anderswo als

Fortuna 2012, S. 22–32.


306 Haag 2007, S. 290: „Hinsichtlich dieses Hervorbringens interessiert uns […] die
Konstruktionsmethode selbst“. Und weiter (S. 291): „Diese Schemata [der sinnli-
chen Begriffe] können deshalb, wie auch die empirischen Schemata, auf Erschei-
nungen angewendet werden; doch ihr eigentliches Interesse liegt darin, dass wir
ohne diese Anwendung mit ihnen operieren können“.
117
  V. Die Schemata

in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungs-
kraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume“.307
Mit den rein sinnlichen Schemata kann in einer ganz anderen Art ope-
riert werden als mit den Schemata empirischer Begriffe, deren Bedeutung stets
von empirischen Sachverhalten abhängt und daher mit dem jeweiligen Gebrauch
variiert. Die rein sinnlichen Schemata dagegen sind Methoden der Konstrukti-
on. Dadurch besitzen sie einen anderen Vollzugscharakter als die empirischen
Schemata. Das bedeutet nicht, dass die sinnlichen Schemata nicht auf Gegen-
stände der Erfahrung angewendet werden könnten – der Fall des Musikinstru-
ments einer Triangel zeigt gerade das Gegenteil. Ihre primäre Funktion aber ist
eine konstruktionale. Während zum Beispiel das Erkennen der geometrischen
Figur eines Dreiecks im Musikinstrument der Triangel eine direkte empirische
Anwendung des sinnlichen Begriffs auf eine Erscheinung darstellt, ist der Drei-
ecks-Begriff selbst nicht auf die empirische Anwendung angewiesen.
Weil das konstruktionale Moment in der Schematisierung sinnlicher
Begriffe so wichtig ist, lässt sich in ihrem Fall mit Robert Butts auch von einer
Prozedur im Unterschied zum Prozess der empirischen Schematisierung spre-
chen.308 Die Prozedur ist im Vergleich zum Prozess ein geregelteres Verfahren,
d.h. ein Verfahren, das bestimmten Regeln der Konstruktion folgt. Es handelt
sich dabei um striktere Regeln – was weder das Problem ihrer Anwendung auf-
löst, noch dem Schematismus seinen prozessualen Charakter nimmt: Die
Schematisierung sinnlicher Begriffe impliziert sowohl ein synthetisches Urteil
a priori als auch eine praktische, figurative Handlung.
Es handelt sich einerseits um ein Urteil, das die Anwendung etwa eines
geometrischen Begriffs regelt, und andererseits um die Konstruktion, die eine
Figur hervorbringt – ohne diese dabei auf ein konkretes Bild zu reduzieren,
denn dieses „würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht,
dass dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf
einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein“.309 Abgesehen von der Bildung von

307 Kant, KrV, B 180, A 141. Dieser Aspekt lässt sich nach Obergfell (1985, S. 96) über
den Begriff der Erfüllung erläutern: „[…] die Mathematik [ist] sozusagen über
einen reinen Schematismus ihrer Begriffe durch die Erfüllungsbedingungen der
reinen Anschauung zu synthetischen Erkenntnissen a priori berechtigt, was empi-
rischen Begriffen nie gelingt, die ihre Erfüllungsbedingungen immer in den nach-
träglichen, zufällig empirischen Bedingungen finden“.
308 Butts (1969, S. 296) bezeichnet procedure als das schematische Verfahren der
Anwendung sinnlicher Begriffe, das eine Figur (und nicht ein spezifisches Bild)
hervorbringt: „Kant appreciated this problem, and so thought of the schema of a
sensible concept as a procedure for producing an image, a procedure that would
allow the imagination to delineate a figure without making a specific image“. Vgl.
auch Svare 2006, S. 182.
309 Kant, KrV B 180, A 141.
118
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Urteilen üben diese Schemata eine figurative Funktion aus, können aber nicht
auf Bilder reduziert werden: „In der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begrif-
fen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde“.310 Kant ver-
steht – wie etwa im Fall des Schemas eines Dreiecks – unter sinnlichen Begrif-
fen die „Figuren im Raume“.311 Trotz seines figurativen Charakters kann der
Begriff eines Dreiecks jedoch nicht auf ein einzelnes Bild reduziert werden. Des-
halb muss das Schema in sich die allgemeine Definition seiner Konstruktion
enthalten, welche den bildhaften Gebrauch des Begriffs ermöglicht. Das Schema
entspricht also nicht dem einzelnen Bild eines Dreiecks, sondern der Methode
seiner Konstruktion. Und das, obwohl man auf einem ersten Blick denken
könnte, dass das Schema des Dreiecks gleichsam sein Bild sei.312 Es handelt sich
somit um eine methodische Ebene, die nach Regeln verfährt und nicht mit der
empirischen Erfahrung vermengt werden sollte.313 Kant erklärt dies folgender-
maßen: „So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Product des empirischen
Vermögens der productiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe
(als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm der
reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst
möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema,
welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht
völlig congruieren“.314
Das Schema sinnlicher Begriffe kann nicht mit dem Bild gleichgesetzt
werden, sondern ist selbst Bedingung der Möglichkeit der Bild-Konstruktion.
Die Erkenntnis der Figuren in der empirischen Wirklichkeit wird dann durch
die Schemata empirischer Begriffe gewährleistet, deren Merkmale in der Erfah-
rung zu erkennen sind. An dieser Stelle wäre das erste Beispiel des Schematis-

310 Kant, KrV B 180, A 140f.


311 Kant, KrV, B 181, A 142.
312 Zur Diskussion dieses Ansatzes siehe insbesondere Mörchen 1930, S. 426f.: „Doch
darf dies ‚Gleichsam‘ nicht übersehen werden. Das Schema ist ja nicht ein kontinu-
ierliches Nacheinander von Bildvorstellungen; die möglichen Bilder werden
zugleich gesehen, und zwar auf Grund eines vorgängigen Überschlags der im
Begriff vorgezeichneten Möglichkeiten; sie werden als mögliche gesehen und nicht
als gleichzeitig oder nacheinander aktualisierte. Das Bild wird dadurch wirklich,
dass faktisch eine durch das Schema dargebotene Möglichkeit gewählt wird; es
wird überhaupt durch das Schema möglich, insofern die durch das Schema gegebe-
nen Möglichkeiten im Schematisieren anschaubare, d.h. Möglichkeiten von
Anschaubarem (von Bildern) sind. Denn Bild ist hier etwas in einer sinnlichen
Anschauung Aufweisbares überhaupt. Es zeigt sich so, dass das Schema in sich
selbst eine Beziehung auf mögliche Bilder hat. Diese Beziehung lässt sich nicht nur
deduzieren, sondern in der Struktur des Schemas selbst aufweisen“.
313 Somit kann man mit Sybille Krämer (2009, S.14) behaupten: „Das bedeutet,
Schemata sind die figürlichen Realisierungen begrifflicher Strukturen“.
314 Kant, KrV, B 181, A 142.
119
  V. Die Schemata

mus-Kapitels zu erwähnen, anhand dessen Kant die Gleichartigkeit des empiri-


schen Begriffs eines Tellers mit dem rein geometrischen Begriff eines Kreises
erwähnt, „indem die Rundung, die in dem ersteren gedacht wird, sich im letzte-
ren anschauen lässt“.315 Dabei besteht für Kant eine bestimmte Gleichartigkeit
zwischen beiden, deren Probleme bezüglich der Bildung empirischer Begriffe
bereits thematisiert wurden. Wie das Bild der empirischen Schematisierung
nicht nur figurativ, sondern im weiteren Sinn gestaltlich als Totalität von Merk-
malen zu verstehen ist, so ist der sinnliche Schematismus nicht rein bildhaft.
Kant versteht unter einer Figur einen geschlossenen Raum.316 Es ist hier die
Rede nicht von einem partikulären Bild ohne Grenze und Konturen, sondern
von einer Figur, die nach bestimmten Regeln konstruiert werden kann. Diese
Figur sollte nicht mit der Form verwechselt werden, die bei einem empirischen
Gegenstand gelegentlich erkannt wird – also nicht mit der Dreiecks-Form, die
wir im Musikinstrument der Triangel wiedererkennen können.
Die Konstruktion kann sicher dabei helfen, die Form eines Gegenstandes
zu erkennen und festzustellen, jedoch erschöpft sich ihre Funktion darin nicht.
Die Konstruktion einer Figur allein würde das Problem der Subsumption und
Anwendung dieser Form nicht auflösen, in der es nicht nur um die Einbildung,
sondern auch um den Gebrauch von Regeln geht – wie bei den empirischen
Begriffen. Dazu wird also mehr gefordert, nämlich – wie Kant es im Kapitel
über die Postulate des empirischen Denkens fasst – „dass eine solche Figur
unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstände der Erfahrung beruhen,
gedacht sei“.317 Das Schema enthält also die Bedingungen der Anwendung und
der Subsumption der geometrischen Figur: Das Schema des Dreiecks kann also
„niemals anderswo als in Gedanken existieren“318 und findet trotzdem in den
Anschauungen eine vollständige Realisierung.
Die Funktion des sinnlichen Schemas ist im Laufe der Rezeptions-
geschichte des Schematismus-Kapitels auf drei unterschiedliche Weisen erklärt
worden: einerseits als originär figurative Realisierung des Denkens, zweitens
als implizite, propositionale Prädikation und drittens als Subsumption- und
Anwendungsprozess semiotischer Natur (wenn das Monogramm als Schrift-

315 Kant, KrV, B 176, A 137.


316 Siehe Kant, KrV, B 268, A 220f.: „So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwei
geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei
geraden Linien und deren Zusammenstoßung enthalten keine Verneinung einer
Figur; sondern die Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst,
sondern der Konstruktion desselben im Raume, d.i. den Bedingungen des Raumes
und der Bestimmung desselben, diese haben aber wiederum ihre objektive Realität,
d.i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung überhaupt a
priori in sich enthalten“.
317 Kant, KrV, B 271, A 224. Vgl. Kant, AA VIII: 191.
318 Kant, KrV, B 180, A 141.
120
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Zeichen verstanden wird). Während die erste Auslegung auf eine Diagramma-
tik abzielt, bezieht sich die zweite auf die propositionale Bedeutung des sinn-
lichen Schemas – d.h. auf die propositionalen Definitionen der Geometrie, die
der Konstruktion einer Figur zugrunde liegen und nach Kant nur von der
Mathematik geleistet werden können. Die dritte Deutung dagegen distanziert
sich von der geometrischen Funktion des sinnlichen Schemas und damit auch
stärker vom Text des Schematismus-Kapitels, in dem allein der Terminus
‚Monogramm‘ auf einen semiotischen Prozess hindeutet. Alle drei Interpreta-
tionen erfassen wichtige Aspekte dieser Problematik, ohne jedoch eine umfas-
sende systematische Erklärung der sinnlichen Schematisierung zu leisten.

2 .1 O p er at ive Bi ld l ic h ke it

Im Zusammenhang der Artikulation von Bedeutung zwischen Bild und Wort-


laut wurde bereits erwähnt, dass mit ihr eine spezifisch figurative Dimension
der Konstruktion ins Spiel kommt, wenn Kant vom Ziehen einer Linie als Dar-
stellung der Zeit spricht. Insbesondere in der Schematismus-Interpretation von
Sibylle Krämer enthält dieses Ziehen im Keim bereits die grundlegende Funk-
tion einer operativen Bildlichkeit, d.h. es ist ein Ziehen, das keine bloße Abbil-
dung, sondern ein originäres Zeichnen ist, das sich erst in der Operation selbst
realisiert und dadurch als Prozess der Erkenntnis in konstruktionaler Weise
gedeutet werden kann. Somit entwirft Kant laut Krämer „die Lineatur des
Sche­­matismus als ein Verfahren, den erfahrungsunabhängigen Allgemeinbe­
griffen gleichwohl eine Anschauungsbasis zu eröffnen“.319
Im sinnlichen Schematismus lässt sich die produktive Bedeutung der
Konstruktion erkennen. Der Gegenstand wird durch seine Figuration nicht nur
beschrieben, abgebildet und wiedergegeben, sondern tiefgreifend geprägt. Die
figurative Konstruktion stellt die transzendentale Ebene des konstruierten
Figurativen dar, das jedoch nicht mit dem Bild gleichgesetzt werden kann, weil
sie eine zweidimensionale Fläche ist, also eine Fläche ohne Perspektive, eine
Fläche ohne dreidimensionalen Raum. Die Konstruktion lässt sich weder mit der
Figur noch mit dem sinnlichen Begriff gleichsetzten: sie ist vielmehr eine Figu-

319 Krämer 2012, S. 84: „In der Philosophie hat Kant auf die unhintergehbare Zeitlich-
keit und Prozessualität der Linie als Linienzug aufmerksam gemacht: Sich eine
Vorstellung von der Linie machen heißt, sie – in Gedanken – zu ziehen. Im Linien-
zug wird die Zeit ‚äußerlich‘ und ‚figürlich‘ mithin der Anschauung zugänglich.
Daher empfiehlt er die Lineatur des Schematismus als ein Verfahren, den erfah-
rungsunabhängigen Allgemeinbegriffen gleichwohl eine Anschauungsbasis zu
eröffnen. Die Linie und mit ihr das Schema bilden für Kant ein Mittleres und Drit-
tes, situiert zwischen Denken und Anschauung und daher auch prädestiniert, die
Kluft von Denken und Wahrnehmung, von Empirie und Idealität zu überbrücken“.
121
  V. Die Schemata

ration, die eine Regel, eine Methode des Konstruierens impliziert. Diese
Schematisierung realisiert sich als vollkommene Entsprechung von Anschau-
ung und Begriff nur in der Mathematik, deren Konstruktion nicht perspekti-
visch ist. Die Konstruktion ist in dieser Hinsicht die eigentliche Vermittlung
zwischen Figur und Begriff, und das schematische Dritte entspricht beiden. Bei
genauerem Hinsehen ist diese Konstruktion ein spezifischer Gebrauch der
Figur, etwa der geometrischen Linien und Figuren, die jedoch auch in unter-
schiedlicher Weise angewendet werden können. Die Konstruktion kann zum
Beispiel auch in der Veranschaulichung diskursiver Relationen verwendet wer-
den, ohne aber zur Konstruktion eines anschaulichen Gegenstandes zu gelan-
gen. Die mathematische Konstruktion stellt somit eine regulative Methode dar,
die für andere figurative Konstruktionen als Prüfstein dienen kann. Diese
Unterscheidung zwischen mathematischen und etwa diskursiven, konstruktio-
nalen Anwendungen dient meines Erachtens dazu, eine interne Spannung der
Diagrammatik aus kritischer Sicht zu erklären.
Die operative Funktion des Monogramms der sinnlichen Schematisie-
rung wird insbesondere von Krämer gerade mit dem Diagrammatischen in Ver-
bindung gebracht, also mit einer hybriden Form von Bild und Text, in der
Anschauung und Begriff zur Synthesis kommen. Krämer erklärt die Ähnlich-
keit zwischen dem Monogramm und dem Diagrammatischen daher wie folgt:
„Im ‚Monogramm‘ erweisen sich Sinnlichkeit und Intellektualität als komple-
mentär. Und in eben dieser Vermittlungs- und ‚Scharnierfunktion‘ zwischen
Anschauung und Begriff, die gleichwohl erst beide Seiten als aufeinander bezieh-
bare hervorbringt, vermuten wir auch die erkenntnistechnische Leistung des
Diagrammatischen“.320
Die diagrammatische Gestaltung dient in diesem Fall zur Veräußerli-
chung der Begrifflichkeit, die sich innerhalb der Fläche entwickelt und zur Hilfe
des Denkens angewendet wird. Ihr Spannungsbogen bewegt sich zwischen
Figurativem und Diskursivem. Die Fläche dient als Tilgung der bildlichen Fülle
zur reinen Konstruktion von Relationen. Sie dient zur Darstellung nicht von
Gegenständen, sondern von diskursiven Sachverhalten. Die Fläche befindet sich
somit auf der Grenze zwischen Verräumlichung und Verinnerlichung des Dis-
kursiven. Sie dient zur Visualisierung des Denkens und somit zur Darstellung
diskursiver Relationen. Durch diese Visualisierung erfolgt einerseits eine räum­
liche Fixierung, andererseits können durch die Linearität komplexe diskursive
Relationen gelesen, erfasst und revidiert werden. In der diagrammatischen Ord-
nung wird der Gedanke räumlich gestaltet, ohne dadurch dem Denken die Lesbar­
keit zu entziehen. Die Fläche wird so zur „experimentellen Tafel des Denkens“.321

320 Krämer 2009, S. 111.


321 Ebd.
122
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Sie ist einerseits bildlich, andererseits diskursiv, und deswegen wird sie als eine
Hybridform beschrieben.
Auf die transzendentale Bedeutung des Diagramms wird am Ende dieser
Untersuchung noch zurückzukommen sein. Denn jenseits der kantischen Lehre
zeigt sich die konstruierte Gestalt als hybride Funktion zwischen den Grenz-
polen des Bildes und des Diskursiven, was wiederum den Brückenschlag zu
heutigen Bestimmungen des Diagramms ermöglicht.322 Doch bereits Kants
Konzeption des sinnlichen Schemas ist bemerkenswert, und das in zweierlei
Hinsicht. Als erstes ist die diskursive Bedeutung des sinnlichen Schemas als
konstruierte Gestalt zu nennen. Kant bezieht sich auf das rein sinnliche Schema
als Monogramm. In diesem Fall handelt es sich um eine konstruierte Figur,
deren Anschauung dem Begriff vollkommen entspricht, weil es für ihre Kon-
struktion eine Regel gibt, die, wenn sie richtig angewandt wird, nicht nur zur
Erkenntnis des geometrischen Gegenstandes führt, sondern auch zur apodikti-
schen Notwendigkeit, dass es sich dabei um die vollkommene Entsprechung
zwischen Figur und Begriff handelt. Und dennoch hat diese Konstruktion ein
diskursives Moment, das die Regel gibt und die Figur erst lesbar macht. So kann
die geometrische Konstruktion nicht vom mathematischen Verfahren im wei-
testen Sinne absehen, welches das Schema des Dreiecks gibt, d.h. eine syntheti-
sche Regel konstruiert.323 Als zweites ist der Umstand zu nennen, dass diese
Regel die Form eines Urteils hat. Deshalb bezieht sich etwa Schelling auf diesen
sinnlichen Schematismus, um zu behaupten, er hätte auf der Sprache zu beru-
hen. Schelling hat die erkenntnistheoretische Problematik insofern richtig
erfasst, als er betont, das Schema sei die notwendige Bedingung der Bildung
derjenigen Urteile, bei denen eine bestimmte Figur als Dreieck (mit allen seinen
Merkmalen) erkannt wird, ohne diese Erkenntnis aber auf den Besitz weder des
Begriffes noch des Bildes zu reduzieren.324 Sie gilt für die geometrischen Figu-
ren, zeigt aber vor allem die Unmöglichkeit an, diskursive Begriffe durch Kon-

322 Diese Aspekte werden in Kap. II.1 des dritten Teils in Betracht gezogen.
323 Siehe dazu Kant, KrV, B 747f., A 719f.
324 Schelling schreibt im System des transzendentalen Idealismus (SW, 3, S. 509):
„Das Schema zeigt sich im gemeinsten Verstandesgebrauch als das allgemeine Mit-
telglied der Anerkennung jedes Gegenstandes als eines bestimmten. Daß ich, so wie
ich einen Triangel erblicke, er sey nun von welcher Art er wolle, in demselben
Augenblick des Urtheil fälle, diese Figur sey ein Triangel, setzt eine Anschauung
von einem Triangel überhaupt, der weder stumpf noch spitz- noch recht-winklicht
ist voraus, und wäre vermöge eines bloßen Begriffs vom Triangel so wenig, als
vermöge eines bloßen Bilds von demselben möglich, denn da das letztere nothwen-
dig ein bestimmtes ist, so wäre die Congruenz des wirklichen mit dem blos einge-
bildeten Triangel, wenn sie auch wäre, eine blos zufällige, welches zur Formation
eines Urtheils nicht zulänglich ist“. Und gerade auf Grund dieser notwendigen Ver-
bindung mit dem Urteilen sollte nach Schelling „der ganze Mechanismus der Spra-
che auf demselben beruhen“.
123
  V. Die Schemata

struktion zu beweisen. Das Schema ist mithin auf dieser Ebene sprachlich. Für
Kant liegen den reinen sinnlichen Begriffen in der Tat „nicht Bilder der Gegen-
stände, sondern Schemata zum Grunde“.325 Diese Schemata sind hochgradig
ambivalent, weil sie Urteile und Bilder umfassen, ohne auf sie reduziert werden
zu können.
Wenn also einerseits die sinnlichen Begriffe nicht einfach Bilder sein
können, muss andererseits erklärt werden, worin eigentlich ihre figurative
Dimension liegt und was sie vom rein diskursiven Denken unterscheidet. Die
Konstruktion stellt eine spezifische Operation dar, die sich bei Kant sowohl an
der Ausformulierung mathematischer Regeln (5.2.2) als auch an der Schrift
(5.2.3) ablesen lässt. Das sinnliche Schema kann in diesem letzten Sinn als gra-
fisches Zeichen interpretiert werden.

2 . 2 I mpl i z ite P r äd i k at ion

Die Verwendung des Konstruktions-Begriffs in der sinnlichen Schematisierung


führt, wie bereits erwähnt, bei Kant zur Problematik des Unterschieds zwischen
Mathematik und Philosophie, und es ist nicht zufällig, dass das Schema gerade
im Abschnitt über die Disziplin im dogmatischen Gebrauch der Transzenden-
talen Methodenlehre von Kant erneut erwähnt wird, in dem Kant erklärt, dass
einen Begriff zu konstruieren heißt, „die ihm korrespondierende Anschauung a
priori dar[zu]stellen“. Anhand des Kriteriums der Konstruktion zieht er eine
klare Trennlinie zwischen Mathematik und Philosophie: „Die philosophische
Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus
der Konstruktion der Begriffe“.326 Konstruieren bedeutet, dass die im Begriff
schon enthaltene Anschauung kein Muster voraussetzt. Insofern ist die Kon-
struktion produktiv im eigentlichen Sinn des Wortes. Die Mathematik bedient
sich einzelner Anschauungen in der Konstruktion von Begriffen, und dennoch
sind die Anschauungen kein Muster der Konstruktion.327

325 Kant, KrV, B 180, A 140f.


326 Kant, KrV, B 741, A 713.
327 Siehe Kant, KrV, B 741f., A 713f.: „So konstruiere ich einen Triangel, indem ich den
diesem Begriffe entsprechenden Gegenstand, entweder durch bloße Einbildung, in
der reinen oder nach derselben auch auf dem Papier, in der empirischen Anschau-
ung, beidemal aber völlig a priori, ohne das Muster dazu aus irgend einer Erfah-
rung geborgt zu haben, darstelle. Die einzelne hingezeichnete Figur ist empirisch,
und dient gleichwohl, den Begriff, unbeschadet seiner Allgemeinheit, auszudrüc-
ken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der
Konstruktion des Begriffs, welchem viele Bestimmungen, z.E. der Größe, der Sei-
ten und der Winkel, ganz gleichgültig sind, gesehen, und also von diesen Verschie-
denheiten, die den Begriff des Triangels nicht verändern, abstrahiert wird“.
124
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Mathematik konstruiert das Allgemeine im Besonderen; die phi-


losophische Erkenntnis dagegen kann das Allgemeine im Besonderen nur dis-
kursiv erfassen und im Fall des empirischen Allgemeinen erfahren.328 Nur die
Herstellung eines Bezugs auf die reine Anschauung, die sowohl für die Mathe-
matik als auch für die Philosophie konstitutiv ist, berechtigt daher zur Ver-
wendung des Schema-Begriffs auch in der Konstruktion eines mathematischen
Begriffs.329 Beide Disziplinen unterscheiden sich jedoch in der Methode, da die
Philosophie keine Begriffe konstruieren kann, während die Mathematik hin-
gegen die sinnlichen Anschauungen als vollkommene Erkenntnismittel ver-
wenden kann. Eine solche Auffassung der Versinnlichung der Begriffe als voll-
kommene sinnliche Darstellung ist für Kant eine spezifische Eigenschaft der
mathematischen Methode, zu der die Philosophie nie gelangen kann. In der
mathematischen Konstruktion schafft die Einbildungskraft eine ursprüngliche
Konstitution.330
Die Mathematik kann mit sinnlichen Anschauungen so operieren, dass
sie diese als direkte Konstruktionsmittel verwendet, die rein aus Begriffen
erzeugt werden. Anders gesagt: für die Mathematik sind die Anschauungen
nicht gegeben, sondern sie werden zur begrifflichen Konstruktion verwendet331

328 Kant, KrV, B 742, A 714: „Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Beson-
dere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar
im Einzelnen, gleichwohl doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie
dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Konstruktion
bestimmt ist, eben so der Gegenstand des Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein
Schema korrespondiert, allgemein bestimmt gedacht werden muß“.
329 Diese Auffassung ist Mirella Capozzi zu verdanken (2012, S. 329f.): „The mention
of the term ‘schema’ confirms that also mathematical concepts, that Kant calls ‘pure
sensible concepts’, need schemata in order to find a connection to something in
intuition. […] This model is called by Kant the ‘pure’ and ‘schematic’ construction
of the concept, which allows the mathematician to demonstrate, e.g. the properties
of the circle in general in any empirical construction of it“. Siehe auch Capozzi
1981, S. 445: „In the Critique the concept of geometrical space is said to require no
philosophical legitimation. Geometry’s peculiarity consists in its being a quantita-
tive science whose objects are considered ‘together with their quality’. The sche-
mata of geometrical figures are in fact monograms, i.e. ‘figurative’ schemata“.
330 Vgl. dazu Young 1992, S. 171: „The construction of arithmetical concept is said to
involve the exercise of imagination, not because Kant thinks that such knowledge
somehow rests upon mental imaging, but because he thinks that it depends upon
our ability to use such general procedures to construe sensible things as constitut-
ing collections of definite number. To construe them in this way is to construe them
as something more than what they present themselves as being, since it is to con-
strue them as conforming to certain general rules or procedures. Arithmetical
knowledge thus rests upon the exercise of imagination in just the sense that I have
suggested that Kant gives to this term in general“.
331 Siehe dazu Ferrarin 1995, S. 137: „We need to take seriously Kant’s notion that
mathematical construction is the understanding’s determination of sense: the intu-
125
  V. Die Schemata

– im Unterschied zur Philosophie, deren schematische Synthesis eine sinnliche


Bedingung erfordert, die nicht schon im Begriff enthalten ist. So schreibt Kant:
„Alle unsere Erkenntniß bezieht sich doch zuletzt auf mögliche Anschauungen;
denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun enthält ein Begriff a
priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in
sich, und alsdann kann er construiert werden; oder nichts als die Synthesis
möglicher Anschauungen, die a priori nicht gegeben sind, und alsdann kann
man wohl durch ihn synthetisch und a priori urtheilen, aber nur discursiv, nach
Begriffen, und niemals intuitiv durch die Construktion des Begriffes“.332
Die Philosophie kann den anschaulichen Gegenstand nicht allein aus den
Begriffen konstruieren, erklärt aber die Bedingungen und Regeln seiner Kon-
struktion,333 die diskursiv (und nicht axiomatisch) sind. Dieser Unterschied
zwischen Mathematik und Philosophie scheint die Verwendung des sinnlichen
Schemas auf die Konstruktion zu reduzieren; im Gegenteil aber liegt der kon-
struktive Charakter des sinnlichen Schematismus darin, dass dieser Bedingung
des Bildes ist, da nämlich durch ihn „die Bilder allererst möglich werden“.334
Somit wird auf dieser Ebene des Schematismus der Bezug zu Anschauungen
hergestellt: auch die Mathematik erfordert diesen Bezug, um dann mit den
Anschauungen konstruktiv zu operieren. Die Unterscheidung zwischen Mathe-
matik und Philosophie betrifft jedoch nicht nur die Weise, in der beide mit Bil-
dern operieren, sondern auch die Urteile, mit denen sie die eigenen Gegenstände
bestimmen.
Im Fall der mathematischen Begriffe kann man deshalb von Definitio-
nen reden, was für empirische Begriffe wegen der ständigen Variationen nicht
gilt, denen auf der empirischen Ebene ein Wort (als Bezeichnung und nicht als
Begriff) in verschiedenen sinnlichen Situationen unterliegt.335 Hierbei handelt
es sich um die Explikation, die laut Kant eigentlich nur die empirischen Begriffe
betrifft. Sie kann daher auch als Wortbestimmung gedeutet werden. Und auch
im Fall der a priori gegebenen Begriffe ist nach Kant keine Definition möglich,
da es in ihrem Fall keine direkte, vollkommene Anpassung an die Gegenstände
gibt, weshalb Kant den Begriff der Exposition präferiert. Weder empirische
noch reine Begriffe können definiert werden. Darin unterscheiden sie sich gerade

ition in which we construct mathematical objects is not just a means, an auxiliary


ladder to throw away after using it, because it exhibits the objective validity of
mathematical definitions in space and time. And the question of synthetic in math-
ematics cannot be reduced to a discussion of its method of its demonstrative proce-
dure: intuition accounts first of all for the synthetic genesis of concepts and judg-
ments“.
332 Kant, KrV, B 747f., A 719f.
333 Ebd.
334 Kant, KrV, B 181, A 142.
335 Vgl. Kant, KrV, B 756, A 728.
126
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

von den mathematischen Begriffen: „Also bleiben keine andere Begriffe übrig,
die zum Definieren taugen, als solche, die eine willkürliche Synthesis enthalten,
welche a priori konstruiert werden kann, mithin hat nur die Mathematik Defi-
nitionen“.336 Die Begriffe der Philosophie dagegen können weder mit Axiomen
noch mit Demonstrationen gleichgesetzt werden.
Im Zuge der Abgrenzung zwischen philosophischen und mathemati-
schen Begriffen erwähnt Kant bei ersteren keine rein sinnlichen Begriffe und
scheint somit eine Gleichsetzung von rein sinnlichen Begriffen und mathema-
tischen Begriffen zu suggerieren. Auch in der Kritik der Urteilskraft, in der
Schemata und Beispiele als diejenigen Anschauungen gelten, die der direkten
Darstellung dienen, werden die sinnlichen Begriffe nicht erwähnt. Lässt sich
daraus schließen, dass diese Ebene der Schematisierung auf die mathematische
Konstruktion beschränkt ist? Wenn mit dem rein sinnlichen Schema tatsächlich
die Definition und die vollkommene Figur gemeint sind, die die Konstruktion
eines mathematischen Begriffs ermöglichen, entstünde die Frage, wie sich eine
solche Gleichsetzung begründen ließe. Wenn hingegen mit diesen Schemata die
Prozedur angezeigt wird, durch welche sich die mathematischen Begriffe der
Anschauungen bedienen können, dann wären diese Schemata selbst Bedingun-
gen eines solchen anschaulichen Zugangs, der – obwohl rein konstruktiv – sich
der sprachlichen Beschreibung bediente. Die Frage ist also letztlich, ob auf die-
ser Ebene das Schema nur der Herstellung des Bezugs auf die Anschauungen
dient, ohne dass dabei die Funktion des Urteilens ins Spiel käme, welche die
Regel der Synthese selbst abgibt. Umberto Eco merkt diesbezüglich an, dass das
Schema eine Regel zur Erzeugung einer Figur sei, die gleichzeitig alle Eigen-
schaften des Begriffes enthalte: Die Figur wird sozusagen zur impliziten Dar-
stellung des Begriffes gemacht. Er vergleicht das Schema mit dem Flussdia-
gramm, das den Computer-Operationen zugrunde liegt und die Schritte visuell
veranschaulicht, denen eine zeitliche Struktur unterliegt. In ähnlicher Weise
leitet die schematische Regel die begriffliche Konstruktion geometrischer Figu-
ren an, ohne bei jedem Schritt explizit zu werden.337 Somit reduziert Eco das
Diagramm nicht auf das Figurative und hebt stattdessen die diskursive Bedeu-
tung hervor, die im Diagramm immer schon mitgedacht werden muss. Diese
zeitliche Struktur kann auch im Sinne einer implizit propositionalen Struktur
der Figur als diskursiver Regel verstanden werden.
Die sinnlichen Schemata haben somit einen deutlich diskursiven Cha-
rakter. Die schematische Regel ermöglicht den Übergang vom Begriff zur Figur
gerade mittels des Urteils, das diese Anwendung innerhalb der Mathematik
definieren und im Fall der Philosophie explizieren oder exponieren kann.

336 Kant, KrV, B 757, A 729.


337 Vgl. Eco, 2000, S. 101.
127
  V. Die Schemata

Daher ist die im Schema enthaltene Regel ein Konstruktionsbild, das sprachlich
zur Entfaltung kommt, wie Ehrsam zu Recht hervorhebt: „le schème des con-
cepts géométriques n’est rien d’autre qu’une image, mais traversée de langa-
ge“.338 Das Schema ist die dem Bild implizite propositionale Definition, die Bild
und Sprache konstruktiv verbindet.339 Die Konstruktion einer Figur ist dann
gleichzeitig ein sprachliches Urteilen, das den singulären und konkreten Cha-
rakter des Bildes explizit macht. Dabei eröffnet sich innerhalb des Schematis-
mus der Raum für eine Ebene der Bedeutungserfahrung, die das synthetische
Vermögen als Bedingung des wissenschaftlichen Wissens gründet, das eine
begrenztere Sphäre unseres Erkenntnisvermögens ist.340 Auf dieser Ebene
erfolgt eine propositionale Kristallisation wissenschaftlichen Wissens, das mit
der Philosophie eine nicht-sprachzentrierte Semiotik gemeinsam hat, die sich
figurativer Zeichen bedient und sich nicht nur auf nominaler, sondern auch auf
propositionaler Ebene entfaltet. Damit deutet sich eine restriktive Auffassung
der rein sinnlichen Schematisierung an, die von den beiden anderen Ebenen (der
kategorialen und der empirischen) spezifiziert wird.341

338 Ehrsam 2011, S. 148.


339 Raphaël Ehrsam beschreibt diese sprachliche Bedeutung des Bildes als „le fonc-
tionnement sémiotique d’une figure“. (2011, S. 149).
340 Vgl. Ehrsam 2011, S. 152: „Kant sait pertinemment que la connaissance physique
n’est pas l’horizon de la totalité de nos concepts, et, qui plus est, il sait que nos
concepts empiriques ne peuvent jamais atteindre la précision et l’invariance des
concepts géométriques“.
341 Mit ‚restriktiver Auslegung‘ ist hier eine spezifische Auffassung des sinnlichen
Schematismus gemeint. Viele Interpretationen des Monogramms sind dagegen
nicht-restriktiv, insofern sie dem Monogramm-Begriff eine viel weitere Funktion
(als generisches Synonym vom Schema) zusprechen. Diese Ansätze greifen jedoch
nicht den spezifischen konstruktiv-semiotischen Charakter der sinnlichen Sche-
matisierung auf. Siehe etwa die Interpretation von Schaper 1964, S. 290: „Kant
himself speaks of schemata as ‘monograms of the pure imagination a priori’ (B
181). My view, when fully worked out, would have to maintain that such schematic
monograms have Gestalt character, and are therefore as such not restricted to cog-
nitive and even linguistics expression. Although Kant formulated his schemata as
basic only to intellectual understanding which operates discursively, this does not
make the schemata themselves discursive. They remain that in terms of which, and
under the conditions of which, the listening of marks, the recognition of special
relations and similarities, etc., i.e., all discursive understanding, is possible. With
the adaptation of Kant’s doctrine of schemata which is here proposed (and which I
believe to be compatible with Kant’s own narrower formulation in all essentials),
schemata can be seen as the conditions under which men are active and formative
in many different ways. The schematic suggestions, so tentatively raised by Kant,
provide directions and frames also for non-discursive modes of insight, of social
and creative coming to terms with the life we are living and making“.
128
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

2 . 3 Tr a n sz e nde nt a le S e m io s e

Die dritte der hier diskutierten Interpretationen der sinnlichen Schemata


besteht darin, sie als die semiotischen Bedingungen der Bedeutungserfahrung
zu verstehen. Diese Ebene des Schematismus umfasst nicht nur die mathemati-
sche Konstruktionsmethode, sondern ist auch der Ort des transzendentalen
Fundaments der Zeichenhaftigkeit, über die sich in begrifflicher Hinsicht wie-
derum eine klare Trennlinie zwischen Mathematik und Philosophie ziehen lässt
– vor allem in Bezug auf den Unterschied zwischen Symbol und Zeichen. Diese
Deutung wird im Folgenden im Rahmen der Explikation des Versinnlichungs-
begriffs eine wichtige Rolle spielen, da sich die Entfaltung der Bedeutung zwi-
schen Bild und Wort ohne eine bezeichnende Versinnlichung kaum begründen
lässt. Der sinnliche Schematismus wird zur Bedingung des visuellen Zeichens.
Diese These kann sich auf die Bedeutung des Monogramms stützen, das im
griechischen μονόγραμμος einen graphischen Zug meint, der sich wortwörtlich
übersetzen lässt als: „aus einer Linie bestehend oder auch nur aus Linien beste-
hend, von Zeichnungen, die nur aus Linien bestehen, Umriß“. Dennoch kann
ein Monogramm auch im Anschluss an μονόγραμματος interpretiert werden,
und in diesem Fall bedeutet es „aus einem Buchstaben bestehend“.342 Als letzte-
res würde es zum Beispiel die Initiale des Vor- und Nachnamens oder wichtige
Abkürzungen (etwa von Wappen) darstellen. Im Allgemeinen ist für ein Mono-
gramm die Bedeutung einer eingeschlossenen Figur charakteristisch, die wie
eine geometrische Figur aus begrenzten und wesentlichen Zügen besteht: Es
geht bei einem Monogramm also stets darum, einerseits bestimmte Züge zu
erkennen und zu benennen, andererseits die innere Konstitution einer Figur zu
bestimmen, die eine Vollkommenheit beinhaltet. Diese Vollkommenheit kann
dabei als die Konstruktion sowohl einer geometrischen Figur als auch eines
Zeichens ausgelegt werden. Das konstruktionale Moment erinnert darin an das
Wesen des Zeichens, das ursprünglich konstruiert ist und trotzdem als vor-
gegeben angesehen werden kann. Auf der Ebene der sinnlichen Schematisie-
rung kann die Rede auch von einer eingeschlossenen Figur sein, welche keine
geometrische Figur, sondern ein Schriftzeichen ist, das eine festgelegte Form
hat.343 Damit wird ein Aspekt in den Schematismus eingeführt, den Kant der
Anthropologie zuweist. Dort dient das Bezeichnungsvermögen zur Beschaffung
von Zeichen, die nur als Wächter der Bedeutung firmieren und nicht selbst zur
Bildung der Bedeutung beitragen. So wird der willkürliche Charakter der Zei-

342 Beide Übersetzungen stammen aus dem Griechisch-Deutschen Handwörterbuch


von Pape 1908, S. 202.
343 Hans Adler bemerkt (2010, 107): „Kant formuliert hier ein Problem neu, das auch
nach ihm noch aktuell bleibt, die Frage nämlich, was bei semiotischen Prozessen im
Gehirn vor sich geht, genauer: was semiotische Prozesse überhaupt sind“.
129
  V. Die Schemata

chen unterstrichen, dessen theoretische Fundierung die Schematismuslehre als


Theorie unterschiedlicher Artikulationen der Bedeutungserfahrung leistet.344
In der Verbindung von Schematismus und Bezeichnung kann der Monogramm-
Begriff als Grundmerkmal des Schematismus auftreten, sofern dieser als semio-
tischer Prozess aufgefasst wird. Die semiotische Deutung des Monogramms ist
besonders hilfreich, um die Artikulation der Bedeutung zwischen Wort und
Bild, also zwischen akustischem und visuellem Gebrauch des Zeichens zu erklä-
ren – und somit den Unterschied zwischen Wort und Bild als prozessualen und
der Sprache immanenten zu bestimmen. Denn ohne die Annahme einer Ver-
sinnlichung bliebe dieser Gebrauch, diese semiotische energeia des Denkens
unerklärt, worauf noch zurückzukommen sein wird.
Bevor genauer auf die vorgeschlagene semiotische Deutung eingegangen
wird, sind kurz die möglichen Gründe zu erklären, die Kant zur Unterscheidung
zwischen Schema, Zeichen und Symbol bewegen. Sein Interesse ist offenbar, die
Zeichen als Wächter vom idealen und musterhaften Charakter der symbolisch
festgelegten Bedeutung getrennt zu halten, die er als symbolische Darstellung
von der Ebene der schematischen Darstellung unterscheidet, jedoch trotzdem
als eine ständige Gefahr für die Anwendung und Erkenntnis der Begriffe hält.
Der Schematismus kann nichts inhaltlich festlegen, weil die materielle Bedeu-
tung selbst sich nur in der Vermittlung zwischen Begriffen und Anschauungen
konstituiert. Deswegen stellt er die Methode der formalen Bildung und nicht der
Festlegung von Bedeutung dar. Die Schematisierung sinnlicher Begriffe gelangt
– wie sich schon in der impliziten propositionalen Bedeutung gezeigt hat – zu
einer Konstruktion, die zum Beispiel gewisse Regeln für die Konstruktion eines
Dreiecks gibt, das, wenn die Regeln nicht befolgt werden, aufhört, ein solches zu
sein. Im Fall des Monogramms als Zeichen tritt dieser Aspekt noch deutlicher
hervor, da es als eine Figur dargestellt wird, die zur Artikulation der Bedeutung
dient, ohne sie festzulegen, d.h. zum Symbol zu machen.
Dass zwischen Zeichen und Symbol eine deutliche Trennung gemacht
werden sollte, geht schon aus den frühen Beobachtungen zu §440 des Auszugs
aus der Vernunftlehre Meiers hervor. An der Stelle von Meiers Definition des
Zeichens als „signum, symbolum“345 präzisiert Kant: „Nicht jedes Zeichen ist

344 Emilio Garroni (1979, S. XIII) bemerkt in der Einleitung zur italienischen Überset-
zung des Buchs von Wolfram Hogrebe Kant und das Problem einer transzenden-
talen Semantik: „C’è che una fondazione trascendentale, improntata al pensiero di
Kant, della semiotica non può non suggerire una considerazione importante: che il
vero luogo metateorico del famoso ‘principio di arbitrarietà’, cioè il principio fonda-
mentale (nonostante ogni riserva) della semiotica moderna, è precisamente la filo-
sofia kantiana“.
345 In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeichnungskunst und die Gleichset-
zung von ‚Zeichen‘ und ‚signum, symbolum‘ bei Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f.
130
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Symbol“.346 Er greift daher wieder auf die Unterscheidung zwischen Mathema-


tik und Philosophie zurück, sofern die erste zur einer symbolischen Konstruk-
tion fähig ist, die mittels reiner Anschauungen ihr apodiktisches Wissen kon-
struieren kann, wie oben bereits geklärt wurde. Die Mathematik kann also
direkt mit Figuren und Zahlen operieren: Sie hat deshalb Zugang zur einer
direkten sinnlichen Darstellung, weil sie ihre Begriffe „auf der Tafel zeichnet und
sinnlich macht“. Dagegen können die Ideen der Philosophie „nicht ganz sinnlich
gemacht werden“.347 Die Mathematik verfügt entsprechend über eine symboli-
sche Konstruktion,348 die sich anders als die ostensive Konstruktion der Geo-
metrie Charakteren bedient – das Verfahren der Algebra wird daher auch als
charakteristische Konstruktion beschrieben.349 Gerade weil die Philosophie dis-
kursiv und nicht konstruktiv mit Begriffen operiert, lässt sie sich nach Kant
nicht auf eine symbolische Erkenntnis reduzieren und lässt sich ihr diskursiver
Charakter in kein rationales Kalkül auflösen: „Die Erkenntniß ist symbolisch,
wo der Gegenstand in dem Zeichen erkannt wird; aber bei der discursiven
Erkenntniß sind die Zeichen nicht Symbola, indem ich in dem Zeichen nicht den
Gegenstand erkenne, sondern das Zeichen mir nur die Vorstellung von dem
Gegenstand hervorbringt“.350
Der Unterschied zwischen Schema und Symbol ist außerdem relevant,
wenn es darum geht, die Anwendung der Begriffe durch den Verstand von der
durch die Vernunft getrennt zu halten: Der erste bedient sich im Urteilen bei
Begriffen, die in den Anschauungen gegeben sind; die zweite dagegen kann
einen Teil dieses Urteilens so zum Ganzen machen, als ob es in den Anschau-
ungen gegeben wäre. Der sinnliche Schematismus ermöglicht eine Konstruk­
tion, die einerseits eine konkrete Teil-Figur ist (die weiter zur Bildung eines
Zeichens zusammengesetzt werden kann), andererseits den abstrakten Cha-
rakter des Begriffs behält. Im symbolischen Verfahren gelangt eine Bedeutung
zum Ausdruck, die in den formalen Charakter des Zeichens übergeht und ein

346 Kant, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen vom Zeichen“
beschrieben. Die Problematik des Unterschieds zwischen Schema, Symbol und Zei-
chen wird in Kap. VI und VII ausführlicher untersucht.
347 Kant, AA XVI: 54. Siehe dazu M. Capozzi 2012, S. 314–315.: „[…] given that is not
possible to connect both word and concept to a sign in concreto capable of preserv-
ing the universality of the concept, the language of philosophers is never com-
pletely free from the peril of ambiguity. This being the case, philosophers do con-
sider their concepts ‘alongside the signs [neben den Zeichen]’, or ‘through the signs
[durch die Zeichen]’, but cannot imitate the mathematicians who deal with their
concepts unter den Zeichen or in den Zeichen“. Zitate aus Kant, AA II: 291 und 278.
348 Vgl. Kant, KrV, B 746, A 718.
349 Vgl. Kant, KrV, A 735, B 763.
350 Kant, AA XXVIII: 238. Siehe auch Kant, AA II: 291f. Zum Unterschied zwischen
Zeichen und Symbol in den frühen Schriften Kants im Vergleich mit Leibniz, Loc-
ke, Meier, Crusius und Baumgarten siehe Lamacchia 1970, S. 57–82.
131
  V. Die Schemata

bestimmtes Teil zum Ganzen macht, um so eine ideale, rationale Bedeutung zu


erzeugen, die keine direkte Entsprechung in der Erfahrung haben kann. Kant
nennt das Symbol das „Zeichen vom Zeichen“, also eine „analogische Anschau-
ung“,351 und definiert Symbole als „cryptische Zeichen, die durch ihre Eigen-
schaften etwas Anderes analogisches bedeuten“.352
In der Transzendentalen Dialektik erfolgt die Bestimmung der Mono-
gramme in Abgrenzung zum Ideal der Vernunft, was zur Konsequenz hat, dass
das Monogramm als ein „erreichbares Muster möglicher empirischer Anschau-
ungen“353 gefasst wird und daher auf die Seite der empirischen Erkenntnis
rückt. Doch „als ein Schema kann“ – wie Makkreel zu Recht anmerkt – „ein
Monogramm klarerweise nicht empirisch sein und muss daher als eine Regel
zur Erzeugung von Konfigurationen von Linien verstanden werden“.354 Das
Schema als prozessuale Bedingung der Referenz kann nicht auf die Erfahrung,
noch auf Ideale reduziert werden, die in ihrem Inhalt bestimmt sind. Vom Pro-
blem der Bestimmung im Verhältnis zwischen Schema und Symbol lassen sich
auch Spuren im Briefwechsel mit Hamann finden: In einem Brief an ihn vom
6.  April 1774 beschreibt Kant das Monogramm als eine schon symbolisch
erzeugte Figur, die sich gewisser Zeichen bedient. So könne ein „heiliges Mono-
gramm“, das aus sieben Punkten, Buchstaben, Zahlen usw. besteht, zum Sym-
bol unterschiedlicher Bedeutungen – etwa jeder Punkt als ein Tag in der
Schöpfungsgeschichte – dienen. Allerdings darf es für Kant eben gerade nicht
für ein Zeichen gehalten werden, weil das eine Bestimmung des Objekts bein­
halten würde. Kant schließt den Brief mit der polemischen Bitte an Hamann,
seine Meinungen doch bitte „in der Sprache der Menschen“ zu formulieren, da
er als „armer Erdensohn […] zu der Göttersprache der anschauenden Vernunft

351 Kant, AA XVI: 814.


352 Kant, AA XV: 819.
353 Kant, KrV, B 598f., A 570f.: „So ist es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches
jederzeit auf bestimmten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es sei der
Befolgung, oder Beurteilung, dienen muß. Ganz anders verhält es sich mit denen
Geschöpfen der Einbildungskraft, darüber sich niemand erklären und einen ver-
ständlichen Begriff geben kann, gleichsam Monogrammen, die nur einzelne,
obzwar nach keiner angeblichen Regel bestimmte Züge sind, welche mehr eine im
Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein
bestimmtes Bild ausmachen, dergleichen Maler und Physiognomen in ihrem Kopfe
zu haben vorgeben, und die ein nicht mitzuteilendes Schattenbild ihrer Produkte
oder auch Beurteilungen sein sollen. Sie können, obzwar nur uneigentlich, Ideale
der Sinnlichkeit genannt werden, weil sie das nicht erreichbare Muster möglicher
empirischer Anschauungen sein sollen, und gleichwohl keine der Erklärung und
Prüfung fähige Regel abgeben“.
354 Makkreel 1997, S. 48.
132
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

gar nicht organisiert“ sei. Und weiter: „Was man mir aus den gemeinen Begrif-
fen nach logischer Regel vorbuchstabieren kann, daß erreiche ich noch wohl“.355
In den Schriften Kants gibt es nur zwei andere mir bekannte Stellen, an
denen das Wort ‚Monogramm‘ auftaucht: einmal in einer Reflexion zur Anthro-
pologie, wo Kant das Monogramm im Gegensatz zum Begriff des Idols ver-
wendet,356 und einmal in einem Fragment aus dem Handschriftlichen Nachlass,
wo er mit ihm „das heilige Symbol“ der Moraltheologie anspricht, die nicht
theoretisch, sondern moralisch und von der Schwärmerei abzutrennen sei, wel-
che die Theologie mit der Theosophie verwechsle.357 Dabei kritisiert Kant die
negativen Konsequenzen der Gleichsetzung des Monogramms mit dem Idol und
somit die dogmatische Schwärmerei. Obwohl der Charakter des Monogramms
also durchaus als ambivalent zu gelten hat, kann dies keinen Schatten auf seine
Funktion im Schematismus werfen.358 Denn der Unterschied zwischen Schema
und Symbol betrifft den allgemeinen Unterschied zwischen Zeichen und Sym-
bol, da die Philosophie mit Zeichen operiert, die nicht zu Symbolen werden
können. Die Zeichen sind jedoch in einem gewissen Sinne konstruiert, obwohl
die Philosophie mittels dieser Zeichen keine Begriffe erzeugen kann.359
Das Monogramm ist innerhalb der hier vertretenen, semiotischen Deu-
tung des sinnlichen Schemas eine Bestimmungsform, die zur sprachlichen
Bezeichnung dient und nicht mit der symbolischen Festlegung gleichzusetzen
ist. Die Bedeutungsgebung der Monogramme ist nicht symbolisch, weil sie
nicht materialiter bestimmt wird, sondern sich wie das Lesen und Sprechen in
der jeweiligen Situation vollzieht. Die Vernunft kann symbolisch denken, aber

355 Kant, AA X: 156.


356 Kant, AA XV: 391 (von Adickes etwa auf 1776–1778 datiert, also um die Zeitspanne
des Briefwechsel mit Hamann): „Ein Schattenriß der Imagination ist nicht eine
Idee, welche so zu sagen ein Monogramm der Vernunft* ist welche und eine metho-
dische Zeichnung der Bilder nach einem princip. *gegen ein idol der Einbildungs-
kraft, welches sich von den oberflachen abgesondert hat. Es ist kein schema der
ideen“.
357 Kant, AA XVIII: 449: „Das ist das heilige Symbol der moraltheologie, das mono-
gramm seines geheimnisvollen wesens, aber um theosophie und theurgie zu ver-
hüten. Die dreyfache Function im Verhaltnisse muß in Gott ein dreyfaches
Ursprüngliches Princip seiner Thatigkeit voraussetzen; aber dies können wir nicht
einsehen. Numerische Identitaet ist die Einheit des Individui: dessen, was in Ver-
schiedenen Beziehungen als Viel betrachtet worden. Die specula Betrachtung Got-
tes in dieser dreiyfachen Personlichkeit ist nicht theoretisch, sondern moralisch.
theologie als theosophie als vermessenheit und Schwarmerey“.
358 Oscar Meo (2004, S. 94f.) betont diesbezüglich, wie wichtig es sei, den prozessualen
Charakter des Schemas nicht mit der negativen Bedeutung des Monogramms in der
Dialektik zu verwechseln.
359 Das Verhältnis zwischen Schema und Symbol wird sich in Teil II unserer Untersu-
chung als wiederkehrendes Motiv der Revisionsversuche von Herder, Humboldt
und Hegel erweisen.
133
  V. Die Schemata

der Verstand kann nicht symbolisch erkennen. Der Begriff des Monogramms
wird von Kant gerade in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Schema und Sym-
bol, Verstand und Vernunft verwendet, ohne ihn dabei ausdrücklich als semio-
tisch zu kennzeichnen. Das Monogramm bewegt sich also bei Kant auf der kri-
tischen Grenze zwischen Schema und Symbol und kann beide Funktionen
annehmen: als Schema kann es eine Figur sein, die zur Artikulation der Bedeu-
tung dient (jedoch keine Bedeutung festlegt); als Symbol hingegen nimmt es
eine bestimmte Bedeutung an, die als solche erkannt, aber nicht artikuliert
wird. Denn als Zeichen ist ein Monogramm nur Mittel zur Artikulation der
Bedeutung; als Symbol wird es zu einem starren Ganzen gemacht, das keiner
Artikulation dient.
Obwohl Kant das Monogramm im Spannungsfeld zwischen Schema und
Symbol, Zeichen und Idol ansiedelt, bezieht er sich nicht direkt auf das Zeichen.
Diese Deutung ist im Gegenteil nur der Rezeptionsgeschichte der Schematis-
muslehre zu entnehmen. Und, wie Eco richtig gesehen hat, zu sagen, dass „im
allgemeinen Rahmen der kantischen Lehre ein semiotisches Fundament impli-
ziert ist, ist eine Sache, eine andere aber ist die Frage, ob Kant jemals eine Theo-
rie darüber entwickelt hat, wie wir den Dingen, die wir wahrnehmen, seien es
nun Bäume, Hunde, Steine oder Pferde, Namen zuweisen“.360 Während also die
zweite (mathematisch-propositionale) Deutung – die ich in Kap. V.2.2 behandelt
habe – das Monogramm als eine allgemeine Bezeichnung im Sinne von ‚Umriss‘
oder ‚Figur‘ interpretiert,361 spricht diese hier anvisierte dritte Deutung dem
Monogramm eine rein semiotische Bedeutung zu, die das Schema nicht auf die
Funktion eines Stellvertreters – weder des Begriffes noch des Gegenstandes –
zurückführt, sondern als genetischen Prozess der Bezeichnung versteht, der die
semiotische Artikulation von Bedeutung allererst ermöglicht. Daher ist hier auch
nicht die Rede von einzelnen Zeichensystemen, sondern von Zeichenhaftigkeit
im weitesten Sinn.
Das Monogramm kann in Analogie zur Figur als das konstruktionale
Moment semiotischer Artikulation angesehen werden, ohne dabei mit der
Bedeutung identifiziert zu werden. Zwischen Bildern und Wörtern eröffnet sich
nun der Raum einer Schematisierung, die zugleich Bezeichnung ist. Insbeson-
dere Lamacchia und Makkreel haben auf die semiotische Bestimmung des
Monogramms hingewiesen. Makkreel skizziert die sowohl mathematische als
auch im weitesten Sinne sprachliche Bedeutung des Monogramms wie folgt:
„Bis hierher sind von der Einbildungskraft hervorgebrachte Monogramme als

360 Eco 2000, S. 83f.


361 Herbert James Paton (1936, S. 36) unterscheidet im Allgemeinen zwei Bedeutungen
des Monogramms: einmal als eine Reihe von Buchstaben und zweitens als eine
Skizze. Diese zweite Bedeutung ist ihm zufolge als ältere Verwendung des Mono-
gramms anzusehen.
134
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Schemata mathematischer Figuren erörtert worden. In seiner gebräuchlichsten


Verwendung ist ein Monogramm aber eine Konfiguration von Buchstaben oder
Initialen, die für einen Namen stehen. Ebenso kann die figürliche Synthesis
genauso gut sprachlich wie mathematisch expliziert werden“.362
Makkreel sollte das Verdienst zugerechnet werden, die zwei unter-
schiedlichen Anwendungsbereiche des sinnlichen Schematismus gesehen zu
haben. Er bedient sich dabei der Metapher des Lesens, um die formale Analyse
des Bewusstseins „durch Hinzufügung einer konventionellen sprachlichen
Dimension zur Erkenntnistheorie zu erweitern“.363 Diese konventionelle sprach-
liche Dimension sollte jedoch nicht dazu führen, das monogrammatische Schema
ausschließlich als alphabetisches Zeichen zu interpretieren364 – vor allem nicht
im transzendentalphilosophischen Horizont Kants, der das Schema vor den ein-
zelnen sprachlichen Konkretisierungen verortet. Ansonsten wäre die Rede von
einem transzendentalen Fundament hinfällig. Denn gerade deshalb neigt Kant
dazu, das Bezeichnungsvermögen nicht in der Transzendentalphilosophie anzu-
siedeln, da dieser sonst vorgeworfen werden könnte, eine rein psychologische
und empirische Beschreibung der Sprach- und Erkenntnisprozesse zu sein und
keine Untersuchung von deren Bedingungen.
Im Schematismus geht es also nicht um das Monogramm als einzelne
sprachliche Ausdrucksform, die mit Buchstaben oder einzelnen Ideogrammen
zu identifizieren wäre, sondern ausschließlich um die Bedingung der Zeichen-
haftigkeit, die als Fundament der Verschiedenheit der Sprachen zu gelten hat,
deren theoretische Struktur später für Humboldt zentral sein wird. Die Refe-
renz als rein semiotische kann sich zwischen der akustischen und visuellen
Tätigkeit der Sprache entfalten, deren sinnlich verflechtenden Elemente der
Vielfalt der Sprachen zugrunde liegen. Das bedeutet weder, dass die Schemata
damit sprachlich werden, noch dass ihr semantischer Bezug auf die sprachliche
Bezeichnung reduziert wird. Vielmehr bringt der Schematismus eine Semiotik

362 Makkreel 1997, S. 50. Siehe auch die Auslegung des Monogramms in Bezug auf die
zusammensetzende Bezeichnung mehrerer Buchstaben bei Makowiak 2009, S. 214
(auch Fußnote 100 auf derselben Seite).
363 Makkreel 1997, S. 50.
364 Rudolf Makkreel (1997, S. 51) räumt den Buchstaben großes Gewicht ein und neigt
dazu, die semiotische Ebene auf die Lesemetapher zu konzentrieren: „Wenn es sich
um Buchstaben handelt, dann entziffert das monogrammatische Schema sie als
alphabetische Zeichen, und das transzendentale Schema liest sie als Wörter. Tat-
sächlich können wir vier Tätigkeiten unterscheiden, die Kant mit Sprache und der
Analyse von textlichem Material verbindet, nämlich buchstabieren (spelling), ent-
ziffern (deciphering), lesen (reading) und auslegen (interpreting). Normalerweise
liest man Buchstaben als Bestandteile von Wörtern, die Bedeutung haben, aber
wenn die Buchstaben unlesbar oder durcheinander sind, muss man sie entziffern.
Wenn es, auf der anderen Seite, ein Problem auf der Ebene der Bedeutung von
Wörtern oder Sätzen gibt, muss man eine Auslegung versuchen“.
135
  V. Die Schemata

zur Entfaltung, welche nicht sprachzentriert ist und somit das Bewegungs-
potential der Zeichen sprachlicher wie nicht-sprachlicher Natur ermöglicht.365
Die Transformationen der Bedeutungen werden also nicht mit einzelnen, zei-
chenhaften Bestimmungen gleichgesetzt.
Der dynamische Charakter des Zeichens hängt daher mit dem konstruk-
tionalen Charakter der Figur als solcher zusammen. Das ist der Konvergenz-
punkt der beiden Aspekte des Monogramms (als geometrische Figur und als
Zeichen).366 Die interne Funktion als Figur ist dabei das Grundmerkmal des
Zeichens, das einerseits den sprachlichen Bezug herstellt, andererseits aber
Resultat einer Bildung ist. Diese figurative Funktion des Zeichens ist deshalb im
sinnlichen Schematismus als transzendentales Fundament anzusiedeln und als
eine Tilgung der bildlichen Fülle in der Figur zu verstehen.367 So differenziert
etwa Cesare Brandi ausgehend von der Schematismuslehre Zeichen und Bilder
als Resultate der Schematisierung: das Zeichen ist Resultat des Übergangs von
der sinnlichen Wahrnehmung zum Begriff; das Bild dagegen ist Resultat des
Übergangs vom Begriff zur sinnlichen Wahrnehmung. Brandi beschreibt diese
Übergänge aus einer historisch-genetischen Perspektive auf die Entwicklung
der Sprache vom Bild zum Zeichen, die ihm zufolge nicht als grundsätzlich
heterogen anzusehen sind. Im Gegenteil sind sie ursprünglich identisch und
werden erst im Bewusstsein getrennt.368
Hier muss lediglich festgehalten werden, dass das sinnliche Schematisie-
ren, das durch monogrammatische Schemata erfolgt, die semiotische Gestaltung
darstellt. Obwohl Ada Lamacchia erkennt, dass Kant unter Monogramm eine

365 Zur nicht-sprachzentrierten Semiotik siehe Krois 2011, S. 68.


366 Hjemslev unterscheidet zwei Funktionen der Zeichen: einmal intern als Figur und
zweitens extern als äußerer (im weitesten Sinne sprachlicher) Bezug. Vgl. Hjelms-
lev 1974, §12 Zeichen und Figuren, S. 50: „Wir haben so allen Grund zur Annahme,
dass wir mit diesem Merkmal – der Konstruktion der Zeichen aus einer stark
begrenzten Anzahl von Figuren – ein wesentliches Grundmerkmal in der Sprach-
struktur gefunden haben. Sprachsysteme lassen sich also nicht als bloße Zeichen-
systeme beschreiben. Nach dem ihnen zugeschriebenen Zweck sind sie in erster
Linie Zeichensysteme; aber nach ihrer internen Struktur sind sie in erster Linie
etwas anderes, nämlich Systeme von Figur, die zur Zeichenbildung benutzt werden
können. Die Definition der Sprache als ein Zeichensystem hat sich also nach nähe-
rer Analyse als unzulänglich erwiesen. Sie zielt nur ab auf die externen Funktionen
der Sprache, das Verhältnis der Sprache zu nichtsprachlichen Faktoren, die sie
umgeben, aber nicht auf die eigenen, internen Funktionen der Sprache“. Vgl. dazu
die Kritik von Eco 1985, S. 39f.
367 Auf diesen Aspekt werde ich in Kap. II.1 des dritten Teils zurückkommen.
368 Brandi 2001, S. 13f.: „Fra segno e immagine non c’è una eterogeneità originaria
come fra il fenomeno e la categoria: segno e immagine sono all’origine la stessa cosa
che la coscienza rivolge in due direzioni diverse“.
136
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Andeutung, eine Skizze oder einen Umriss versteht,369 deutet sie die Funktion
der Schemata als zeichenhafte Zurschaustellung370 und bestimmt darüber den
Unterschied zwischen Zeichen und Symbolen.371 Lamacchia verbindet somit
Kants Verwendung des Monogramms ausgehend vom Diktum der ‚verborgenen
Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‘ mit der Ars signandi von Leibniz,
da Kant die Bestimmungsfunktion des Schematismus damit in die Nähe einer
potentiell willkürlichen Kunst rücke.372 Die Gefahr des willkürlichen Charak-
ters des Schemas führt insofern – wie oben bereits gezeigt – zur eigentümlichen
Ambivalenz des Monogramms in den Schriften Kants insgesamt und insbeson-
dere im Schematismus-Kapitel als systematischem Ort der semantischen und
semiotischen Synthesis.
Die semiotische Deutung des Monogramms steht zunächst vor der Auf-
gabe, die Verhältnisse zwischen Schema und Zeichen so zu erklären, dass dabei
eine statische Auffassung des semiotischen Prozesses vermieden wird. Wenn
nun aber das Monogramm nicht bloß für die Anwendung des sinnlichen Begriffs
auf die Erscheinung steht und vielmehr als Grundbezeichnung für einen spezi-
fisch semiotisch-schematischen Prozess dient, dann ist mit ihm zugleich das
Problem der Bestimmung sowohl des Prozesses des Schematismus als auch sei-
ner Resultate angesprochen, das die interne Spannung des Schematismus-Kapi-
tels umfasst. Diese Spannung besteht darin, die bewegende und dynamische
Aktivität des Schematisierens von dessen Resultaten zu trennen, die als Kris-
tallisationen angesehen werden können. Somit ist den Resultaten eine (wenn
auch nur provisorische) Statik eigen. Und insbesondere das Monogramm ent-
hält – auch in seiner gewöhnlichen Bedeutung eines willkürlichen Zeichens wie
etwa als Wappen373 – den statischen Charakter einer Schriftfigur, die als Zei-
chen und als Symbol verwendet werden kann. Angesichts dieser Doppelfunk-
tion bewegt sich Kant in einem tückischen Bereich an der Grenze zwischen
Bezeichnung und Symbolisierung der Begriffe und geht jederzeit das Risiko ein,
den zeichnenden Gebrauch auf die symbolische Erkenntnis oder die schema-
tische Handlung auf das festgesetzte Produkt zu reduzieren. Daher kann das
Monogramm als mögliche Achillesferse der Schematismuslehre gelten, und
zwar als die Stelle, an der die Gestaltungsfähigkeit des Schematismus ihre Kraft

369 Lamacchia 1970, S. 128. Ada Lamacchia (1970, S. 135–151) vergleicht den Schema-
tismus mit den Phantasmata bei Thomas von Aquin, und Klaus Düsing mit den
Phatasmata bei Aristoteles (1995, S. 59).
370 Lamacchia 1970, S. 127: „Kant mostra di intendere pienamente la funzione degli
schemi come esibizione segnica“.
371 Lamacchia 1972, S. 383f. „Die determinierende Funktion der Semanteme kommt
ganz der sinnlichen und transzendentalen Einbildungskraft zu und folglich der
Produktion von Zeichen und Symbolen“.
372 Vgl. Lamacchia 1970, S. 87f. Siehe auch Lamacchia 1972, S. 380.
373 Vgl. Kant, AA VII: 192.
137
  V. Die Schemata

verliert. Kaulbach etwa schreibt dazu, dass die „Rede vom Monogramm freilich
nicht unbedenklich ist, obwohl in ihr das ‚Schreiben‘ anklingt: Sie verführt
leicht dazu, den Bewegungscharakter des Schemas vergessen zu lassen, indem
sie die Vorstellung erweckt, als handele es sich um eine Art Stempel, der fix und
fertige Figuren aufweist, von denen man durch Abdruck beliebig viele Kopien
hervorzubringen vermag“.374
Dass das Monogramm in dieser Hinsicht als problematischer Aspekt der
prozessualen Vermittlungsfunktion der Schematisierung angesehen werden
kann, ist für solche Interpretationen relevant, die wie Kaulbach den energeia-
Charakter des Schematisierens in den Vordergrund rücken, um so das Verfah-
ren insgesamt deutlich von der Fixierung seiner einzelnen Bedeutungen zu
trennen. Bei genauerem Hinsehen aber steht das Monogramm dem dyna-
mischen Charakter des Schematisierens nicht entgegen; und zwar dann nicht,
wenn es als eine allgemeine, prozessuale Bezeichnung gedeutet wird, die keinen
semantischen Ausdruck festlegt (also nicht zur Hervorbringung von festen
Symbolen dient), sondern die Möglichkeit dieses Ausdrucks auf semiotischer
Ebene bedingt.
Auf diese Weise entfaltet sich innerhalb der Schematismuslehre eine
Semiotik im Sinne einer Theorie des willkürlichen Charakters der Zeichen. Mit
ihr wird eine Verbindung zum Bezeichnungsvermögen hergestellt, das Kant auf
anthropologischer Ebene untersucht. Im nächsten Kapitel soll deshalb die Mög-
lichkeit diskutiert werden, mit Blick auf die anthropologischen Schriften Kants
Aspekte des Bezeichnungsvermögens in die Systematik des Schematismus zu
integrieren. Die semiotische Deutung, die das Monogramm als Zeichen erklärt,
distanziert sich von der Lehre Kants, in der das Bezeichnungsvermögen und die
Verhältnisse zwischen Sprache und Denken innerhalb der empirischen Psycho-
logie behandelt werden, in denen vom Begriff des Monogramms jedoch kein
Gebrauch gemacht wird.375 Die Kontinuität zwischen der Schematismuslehre
und dem Bezeichnungsvermögen soll deshalb hier durch den Rückgriff auf die
Konzeption eines Prozesses der Versinnlichung begründet werden, in welcher
der Sinnlichkeit eine wesentliche Funktion in der Artikulation der Bedeutungs-
erfahrung zwischen Wort und Bild zukommt. Die Systemstellung der Sinne in
den anthropologischen Schriften wird daher mit der transzendentalen Funktion
von Raum und Zeit im Schematismus verbunden, was zur genannten Auffas-
sung des Schematismus als Prozess der Versinnlichung (und nicht der Verkör-
perung) führt, die als Bedingung sowohl der semantischen als auch der semio-
tischen Artikulation der Erfahrung zu gelten hat.

374 Kaulbach 1973, S. 107.


375 Siehe unten, Kap. VII.
138
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die semiotische Lesart des sinnlichen Schematismus bringt im Zeichen


den prozessualen Charakter der Sinne zum Vorschein, weshalb die so ange-
zeigte Struktur als Versinnlichung zu bestimmen ist. Wenn das Schema nach
Kant eine Zeit- und Raumbestimmung ist, dann lässt sich fragen, welche Funk-
tion die Sinnlichkeit im Zeichen genau ausübt. Gerade durch die Konzeption des
sinnlichen Schematismus als semiotischem Prozess wird eine nicht-empirische,
rein sinnliche Auffassung der Sinnlichkeit nahegelegt, der im semiotischen
Prozess eine performative Funktion zukommt, ohne die eine Artikulation der
Bedeutungserfahrung zwischen Wort und Bild nicht möglich wäre. Wie aus-
gehend vom Schematismus ein semiotischer Versinnlichungsprozess entwickelt
werden kann, der den Wortlaut bestimmt, wird Thema des folgenden Kapitels
sein.

3. Sc hemat a rei ner Ver st a ndesb eg r i f fe


Nach der allgemeinen Einführung in die Problematik des Schematismus und
der beispielhaften Deutung der Schematisierung empirischer und sinnlicher
Begriffe erläutert Kant, wie die reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen
angewendet werden können. Bei ihnen handelt es sich um Begriffe, deren
Bedeutung nicht direkt durch Bilder dargestellt werden kann und die daher in
Bildern keine Entsprechung haben. Der Schematismus hat hier die Funktion, die
Heterogenität zwischen Kategorien und den reinen Anschauungen von Zeit und
Raum zu überwinden. Er ist damit die Grundlage des zweiten Hauptstücks der
Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft, in der die Grundsätze der Erfah-
rung bestimmt werden, welche die Erfahrung aller Gegenstände sinnlicher Art
ermöglichen. Die Aufgabe dieses Schematismus ist also primär, den reinen Ver-
standesbegriffen die sinnliche Bedingung vorzulegen, mittels welcher sie „allein
gebraucht werden können“.376 Das ermöglicht es, die Realität durch Kategorien
zu beurteilen. Die transzendentale Prädikation erfolgt durch die Zeit, die eine
Verinnerlichung der Erscheinungen ermöglicht, während der Raum zu ihrer
Veräußerlichung beiträgt.
Der Schematismus ist also auch auf dieser Ebene eine Restriktionslehre,
durch welche der Gebrauch der Begriffe durch die sinnlichen Bedingungen res-
tringiert und dadurch zugleich realisiert wird. Die Sinnlichkeit, die hier rezep-
tiv ist, betrifft für Kant lediglich die reinen Formen der Anschauung und in
keinerlei Weise direkt die sinnliche Mannigfaltigkeit. Diese wäre ohne die Syn-
thesis in Zeit und Raum nur eine lose sinnliche Strömung ohne Form. Die sinn-
liche Restriktion ermöglicht den Gebrauch von Begriffen und insbesondere von
reinen Begriffen, die ohne diese sinnliche Bedingung keine Bedeutung hätten.

376 Kant, KrV, B 175, A 136.


139
  V. Die Schemata

Es ist somit nicht verwunderlich, dass Kant das oberste Prinzip aller syntheti-
schen Urteile darin sieht, dass ein Gegenstand „unter den notwendigen Bedin-
gungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer
möglichen Erfahrung“ steht.377
Durch den reinen Schematismus findet die Übertragung der Katego­
rientafel in die Zeit statt. Wie Kant selber erklärt, sind die transzendentalen
Schemata durch die Ordnung der Kategorien selbst gegliedert. Dabei geht es
nicht um eine „trockene und langweilige Zergliederung dessen, was zu trans-
zendentalen Schemata reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird“,378
sondern um eine systematische Umwandlung der Kategorien durch die reinen
Anschauungen. Die Kategorien sind somit auf äußere Anschauungen anwend-
bar und können durch die Zeit alle Gegenstände der Sinne unter sich subsumie-
ren. Die von Kant in der Deduktion der Kategorien (§24 der zweiten Auflage)
der Kritik der reinen Vernunft unternommene Rechtfertigung der reinen
Begriffe macht ihre Schematisierung nicht überflüssig, weil diese den anschau-
lichen Gebrauch der Begriffe ermöglicht, die ohne sie keine Bedeutung hätten.
Die Schematisierung als Anwendungs- und Subsumtionsprozess erfolgt
auf transzendentaler Ebene durch die Zeit (und den Raum) und strukturiert sich
wiederum durch Schemata, welche die Produkte der Versetzung der Kategori-
entafel in der Zeit sind. Entsprechend der Kategorientafel ist das Schema der
Quantität die Zahl; das Schema der Qualität ein Sein in der Zeit, ein Nichtsein
in der Zeit und eine leere Zeit; das Schema der Relation die Beharrlichkeit des
Realen in der Zeit, das Reale in der Sukzession und das Zugleichsein der Bestim-
mungen zwischen Substanzen und Akzidenzien; und schließlich das Schema
der Modalität die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgendeiner
Zeit, das Dasein eines Gegenstandes in einer bestimmten Zeit und das Dasein
eines Gegenstandes zu aller Zeit.379 Die intuitive Gestaltung dieser Schema-
tisierung stellt für Kant eine nicht-figürliche Strukturierung der reinen Begriffe

377 Kant, KrV, B 145, A 110.


378 Kant, KrV, B 181, A 142.
379 Kant, KrV, B 184f., A 145: „Man sieht nun aus allem diesem, dass das Schema einer
jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der
sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Syn-
thesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die
Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen unter ein-
ander zu aller Zeit (d.i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema
der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestim-
mung eines Gegenstandes, ob und wie die zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig
mache. Die Schemata sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln,
und diese gehen, nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitin-
halt, die Zeitordnung, endlich den Zeitbegriff in Ansehung aller möglichen Gegen-
stände“.
140
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

in der Zeit dar.380 Die Synthesis zwischen Kategorien und Zeit bleibt jedoch
meines Erachtens eine bloße Korrelation und wird von Kant nicht als Prozess
der Realisierung der Kategorien selbst als zeitlichen Gestalten aufgefasst – wie
Riedel betont: „Der Kategorien bedarf auch die reine Anschauung, ein Ver-
mögen freilich nicht der reinen Vernunft, sondern der Sinnlichkeit, die sich in
eigener Weise aktualisieren muß“.381
Die reinen Begriffe lassen sich in der Zeit schematisieren. Ihrer Form
nach sind sie – wie alle anderen Begriffe auch – „gemacht“, nur dass sie, anders
als empirische und sinnliche Begriffe, keine äußere Empfindung zu ihrer Grund-
lage haben; deshalb sind sie der Materie nach a priori „gegeben“.382 Auch hier
zeigt sich somit die Relevanz einer Integration des genetischen Verhältnisses
zwischen Zeit und Gehör in die Transzendentalphilosophie: Die Zeit ist die Bedin-
gung nicht nur einer vorstellungsmäßigen Verinnerlichung, sondern der Ver-
sinnlichung der Bedeutung durch Zeichen (im weitesten Sinn), und diese Fähig-
keit zeigt sich gerade in der Bildung von Begriffen, die keine Entsprechung in
der äußeren Welt haben und trotzdem keine Fiktionen sind. Auch auf dieser
Ebene der Schematisierung kann von deren sinnlicher Gestaltung nicht abge-
sehen werden, was wiederum die Begriffe nicht auf ihre Bezeichnung reduziert,
sondern sie durch den genetischen Charakter ihres Gebrauchs bestimmt.
Die Heterogenität zwischen reinen Begriffen und Bildern ist so radikal,
dass keine Bilder von Kategorien existieren können, wie Kant eindeutig fest-

380 Die Verbindung zwischen den Kategorien und der Zeit kann als eine reine Zusam-
mensetzung gedeutet werden, also im Sinne desjenigen Zusammensetzens, das
Kant als Compositio auf die Darstellung der Zeit und des Raumes bezieht und das
im Mittelpunkt des Briefes steht, den Kant am 11. Dezember 1797 an Tieftrunk in
dem Versuch richtet, neues Licht in die Problematik des Schematismus zu bringen.
Dazu sagt Kant, AA XII: 222f.: „Der Begrif des Zusammengesetzten überhaupt ist
keine besondere Categorie, sondern in allen Categorien (als synthetische Einheit
der Apperception) enthalten. Das Zusammengesetzte nämlich kann als ein solches,
nicht angeschaut werden; sondern der Begrif oder das Bewußtsein des Zusammen-
setzens (einer Function die allen Categorien als synthetischer Einheit der Apper-
ception zum Grunde liegt) muß vorhergehen, um das mannigfaltige der Anschau-
ung gegebene sich in einem Bewußtsein verbunden, d.i. das Objekt sich als etwas
Zusammengesetztes zu denken, welches durch den Schematism der Urtheilskraft
geschieht indem das Zusammensetzen mit Beweußtsein zum innern Sinn, der
Zeitvorstellung gemäs einerseits, zugleich aber auch auf das Mannigfaltige in der
Anschauung gegebene Anderseits bezogen wird“. Jedoch kann diese Zusam-
mensetzung nicht als ein analytisches Verhältnis angesehen werden, wie Allison
(1983, S. 187f.) andeutet: „[…] since the schematized categories already stand in
connection with time (as rules for the transcendental synthesis of the imagination),
the connection between these categories and their schemata can be determined ana-
lytically“.
381 Riedel 1989, S. 51.
382 Kant, AA IX: 93.
141
  V. Die Schemata

stellt. Die Folge ist eine eigene Semantik des Schematismus reiner Verstandes-
begriffe.383 Was die figurative Gestaltung angeht, lässt sich hingegen diskutie-
ren, welches Bild der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe angemessen
sein könnte. Wie bereits erwähnt, nimmt vor allem Heidegger auch für die reine
Schematisierung eine allgemeine Bezeichnung des Bildes im Sinne einer
Erschaffung im Anblick an.384 An dieser Stelle soll jedoch nicht näher auf die
Frage des Bildseins eingegangen werden, weil der Schematismus allgemein als
Prozess der Bildung einer reinen Kristallisation aufgefasst wird, die wiederum
Bedingung der Erfahrung ist. Die Gründe für die besondere Hervorhebung der
diskursiven Dimension dieser Schematisierung liegen in der Gestaltungsfunk-
tion, welche die sprachliche Bezeichnung in ihr ausübt, die jedoch Kant selbst
nicht systematisch entfaltet und die daher im Folgenden präzisiert werden soll.
Die Kategorien sind der Materie nach gegeben, der Form nach gemacht;
dennoch bedürfen sie der Anschauungen, um gebraucht werden zu können.
Welchen Status aber haben diese Begriffe, die sich erst unter sinnlichen Bedin-
gungen realisieren, zugleich jedoch radikal von Anschauungen unterscheiden?385
Der Schematismuslehre zufolge wäre zu antworten, dass nicht die Kategorien
selbst, sondern nur deren Gebrauch sich im Schematismus realisiert. So würde
wiederum ein Dualismus zwischen Kategorien und Anschauungen angenom-
men, die im Schematismus nur zur bloßen Zusammensetzung gelangen. Die
Spontaneität dieser Zusammensetzung würde somit ausschließlich auf der Seite

383 La Rocca 1989, S. 149: „Allein das soll schon ersichtlich machen, dass die Semantik
reiner Verstandesbegriffe auf keinen Fall mit der Semantik empirischer und geo-
metrischer Begriffe gleichzusetzten ist“.
384 Heidegger, GA, 3, S. 99. Was den ideellen Charakter des Bildes angeht, fragt Hogre-
be im Anschluss an Fichte nach dem Bildsein der Schematisierung reiner Verstan-
desbegriffe (1974, S. 102): „Das Bild der Kategorien ist demnach mögliches Bildsein,
ist Bild vom Bilde. Reflektiert man auf das Ganze dieser Bestimmungen, so wird
man der Formulierung Fichtes aus seiner Transzendentalen Logik zustimmen kön-
nen, in der die Kategorien gefasst werden als ‚die absolute Denkform’, setzend eben
Sinn und Verstand und Bedeutung überhaupt alles Bildwesens“. Die Stelle von
Fichte stammt aus der Schrift Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder
transzendentale Logik (1812), Werke, IX, S. 137. Auch beim Bild des Bildes geht es
meines Erachtens um die Dimension der Begrifflichkeit in einer genetischen Per-
spektive, die für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist und
dennoch nicht anhand des Bildes erklärt werden soll. Nach Wolfram Hogrebe
ermöglichen die transzendentalen Schemata sogar die „Bestimmbarkeit von Sinn“.
Siehe dazu 1974, S. 102.
385 Diesbezüglich möchte ich auf die Untersuchung dieser Problematik bei Stephanie
Grüne hinweisen, die sich insbesondere auf ihre Deutung zwischen Konzeptu­
alisten und Nonkonzeptualisten konzentriert. In der Kritik der Auffassung von
Johannes Haag, nach welchem „das genetische Primat von Anschauungen gegen-
über Begriffen nicht in Bezug auf die Schemata der Kategorien vertreten“ werden
kann (2009, S. 137, und Haag 2007, S. 199), untersucht Grüne die Auffassung eines
solchen Primats bei Kant. Siehe dazu Vorderobermeier 2012, S. 148f.
142
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

der Begrifflichkeit selbst liegen. Wenn im Gegensatz dazu der Schematismus –


wie hier vorgeschlagen wird – als Prozess der Bedeutungsgestaltung angenom-
men wird, dann müssen auch der Status der Begrifflichkeit und die Bildung der
Begriffe in der Erkenntnistheorie Kants hinterfragt werden, was sich später ins-
besondere Maimon und Herder zur Aufgabe machen. Die nun vorzunehmende
Untersuchung der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe hat sich daher,
ähnlich wie schon die der Schematisierung empirischer Begriffe, dem Problem
der Begriffsbildung zu widmen. In der Schematisierung der Kategorien können
zwei Perspektiven unterschieden werden: die erste ist eine der Architektonik der
Kritik der reinen Vernunft immanente Perspektive, die in der Schematisierung
den Übergang von der Deduktion der Kategorien zu den Grundsätzen der
Erfahrung sieht und den Schematismus insgesamt innerhalb der kantischen
Architektonik behandelt.386 Die zweite Perspektive dagegen rückt die allgemei-
ne Problematik des Status reiner Begriffe (und nicht nur der Kategorien) in den
Vordergrund, die in den Anschauungen keine bildhafte Darstellung finden und
so das diskursive Denken konstituieren. Mit ihr werden daher die Grenzen der
kantischen Architektonik überschritten. Jenseits der bloßen Schematisierung
der Kategorientafel kann in der Schematisierung reiner Begriffe eine begriff-
liche Metaebene der Wissenschaft erblickt werden, insofern sich in ihr die
objektive Realität wissenschaftlicher Begriffe andeutet, wie sie sich zum Bei-
spiel in einer Fachsprache konstituiert. Damit ist zugleich die Grundfrage nach
dem Status abstrakter Begriffe angesprochen.387 Die Schematisierung verweist
anders gesagt auf eine begriffliche Metaebene, die im vermeintlich abstrakten
Denken gebildet und im wissenschaftlichen Diskurs gebraucht wird, der sich
nicht in Bilder fassen lässt.388
Die erste der beiden genannten Perspektiven auf die Schematismuslehre
kann auf eine lange und wechselhafte Karriere in der Kantforschung zurück­
blicken, die primär daran interessiert war und weiterhin ist, die Funktion des
Schematismus innerhalb des kantischen Systems zu verstehen. Ihr Grund-
gedanke einer bloßen Vermittlung zwischen Kategorien und Anschauungen
kann in vieler Hinsicht als widerlegt angesehen werden, weil insbesondere die
vermeintliche Gegebenheit der Begriffe zweifelhaft geworden ist und zuneh-
mend dem Schematismus als Gestaltungsprozess selbst zugesprochen wird. Die
damit einhergehende Distanzierung von der kantischen Architektonik hat der
Schematismuslehre eine neue Blüte beschert. Aber auch die zweite der beiden

386 Als prominenteste Vertreter sind zu nennen Guyer 1987, Teil III Principles of
empirical Knowledge und Pippin 1982, Kapitel 5 Schemata.
387 Es ist insbesondere Sellars (1967, S. 642), der sich im Anschluss an Aristoteles auf
die Kategorien als „meta-conceptual summa genera“ bezieht.
388 Der Unterschied zwischen Kategorien und reinen Begriffen bei Kant wird hier
nicht näher untersucht. Siehe dazu etwa Aportone 2009.
143
  V. Die Schemata

Perspektiven, die allgemein erkenntnistheoretisch geprägt ist, hat mit spezi-


fischen Problemen zu kämpfen. Besonders das Wie der Artikulation einer rei-
nen Semantik ist erklärungsbedürftig, und mit ihm stellt sich das Problem der
Bildung und der Gegebenheit der Begriffe, das einer nicht nur genetischen, son-
dern auch transzendental-synthetischen Lösung bedarf. Denn mit ihm ist neben
dem Bildungsprozess reiner Begriffe auch deren transzendentaler Gebrauch im
Gegensatz zum empirischen angesprochen.
Gerade ausgehend von der Weiterentwicklung dieser Fragen entsteht in
der Nachfolge Kants das Bedürfnis, die Sprache als Bildungsprozess des Den-
kens selbst anzusehen. Wir werden im nächsten Teil unserer Untersuchung
sehen, wie in der Nachfolge Kants die Problematik des fiktionalen und ‚gemach-
ten‘ Charakters der Kategorien aufgenommen wird und im Zuge dessen der
Schema-Begriff eine Konnotation bekommt, die ihn von seiner Bedeutung als
chimärischer Gestaltung entfernt, um an ihm einen Darstellungsprozesses her-
vorzuheben, der als sinnliche Artikulation des Denkens gefasst werden kann.389
Obwohl damit hinsichtlich der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe vor
allem die zweite Perspektive – und nicht die der Kritik der reinen Vernunft
immanente – eingenommen wird, soll hier zunächst der kantische Ansatz gel-
tend gemacht werden, um sowohl dessen eigentümliche Probleme als auch sein
systematisches Potential herauszustellen, das meines Erachtens häufig über-
sehen wird.
Hinsichtlich der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe können
zwei Ebenen unterschieden werden: einerseits eine urteilsmäßig-propositionale
Ebene, auf der die Bedeutung der Begriffe zur Explikation gelangt, andererseits
eine begrifflich-lexikalische Ebene, die primär einzelne Begriffe (wie etwa der
Zahl, der Beharrlichkeit, des Realen) betrifft. Auf der ersten Ebene sind somit
die synthetischen Urteile a priori anzusiedeln, ohne die keine Bedeutungs-
gebung erfolgen könnte; sie stellen eine Synthesis der reinen Begriffe mit reinen
Anschauungen dar. Das Resultat dieser Synthesis ist diskursiv. Es handelt sich
hierbei um synthetische Urteile a priori.390 Im Fall der synthetischen Urteile

389 Zur Bestimmung des Fiktionsbegriffs siehe Borutti 2006, insbesondere S. XXXVI:
„Una prospettiva finzionale sul senso non afferma semplicemente che conosciamo i
dati attraverso i nostri significati interpretativi presupposti: in prospettiva poietica
si può certamente parlare di interpretazione come modo di darsi del dato, ma l’in-
terpretazione va allora intesa come una messa in forma che è agente di oggettiva-
zione“.
390 Kant erläutert diesen Unterschied anhand folgender Beispiele (Kant, KrV, B 192,
A  153): „Sage ich, ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muss die
Bedingung: zugleich, dabei stehen; denn der, so zu einer Zeit ungelehrt ist, kann zu
einer andern gar wohl gelehrt sein. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch ist
gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelehrtheit) nunmehr
den Begriff des Subjekts mit ausmacht, und alsdenn erhellt der verneinende Satz
144
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

a priori handelt es sich spezifisch um Urteile, die a priori die Bedeutungserfah-


rung erweitern. Deswegen können sie nicht für empirische Beschreibungen
gehalten werden; es sind Bedingungen der Erfahrung selbst. Die durch diese
Urteile erfolgende Erweiterung des Wissens entspricht also einem transzenden-
talen Wissen, in dem sie nicht nur deskriptiv, sondern präskriptiv wirken.
Die Synthesis mit der Zeit ist zugleich eine transzendentale Strukturie-
rung. Die Zeit, als Form des inneren Sinns, ist die Bedingung und das Medium
der synthetischen Urteile a priori. In einer Anmerkung der zweiten Auflage
erklärt Kant außerdem, dass „wir, um die Möglichkeit der Dinge, zu Folge der
Kategorien, zu verstehen, und also die objektive Realität der letzteren darzu­
tun, nicht bloß Anschauungen, sondern sogar immer äußere Anschauungen
bedürfen“.391 Gerade diese Anmerkung hat zu einer Debatte über die Funktion
des Raumes im Schematismus geführt, die hier allerdings nicht weiter vertieft
werden soll,392 da sich durch eine Positionierung innerhalb dieser Debatte nichts
an der grundsätzlichen Annahme ändern würde, die Kant „das oberste Princi-
pium aller synthetischen Urteile“ nennt: „ein jeder Gegenstand steht unter den
notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der
Anschauung in einer möglichen Erfahrung“.393 Diese Begründung ist für Kant
deshalb wichtig, weil sie zeigt, inwiefern der Bezug zu Gegenständen an sich
synthetisch im Sinne einer produktiven Tätigkeit als Bedingung der Erfahrung
des Gegenstandes ist. Ohne diese Tätigkeit wäre die Vorstellung eines Gegen-
standes nur ein rein subjektives Hervorrufen, d.h. ein assoziatives Denken, das
auf die Erfahrung angewiesen wäre, jedoch nur „eine Rhapsodie von Wahr-
nehmungen sein würde, die sich in keinen Kontext nach Regeln eines durch-
gängig verknüpften (möglichen) Bewusstseins, mithin auch nicht zur trans-
zendentalen und notwendigen Einheit der Apperzeption, zusammen schicken
würden“.394 Das produktive Vermögen der Synthesis führt daher dazu, die
Bedingung der Konstitution unterschiedlicher Wahrnehmungen eines Gegen-
standes zu realisieren. So nimmt der Begriff objektive Realität an, die als Bedin-
gung aller Erfahrungen gilt. Dieser Ansatz wird im System der Grundsätze
ausführlich behandelt, in dem die Prinzipien der objektbezogenen Erfahrung
bestimmt werden.
Mit Blick auf die begriffliche Ebene hingegen behauptet Kant, dass die
Kategorie ein Verstandesbegriff sei, der „ganz außerhalb aller Anschauung liegt“,

unmittelbar aus dem Satze des Widerspruchs, ohne dass die Bedingung: zugleich,
hinzu kommen darf“.
391 Kant, KrV, B 291.
392 Siehe dazu Kap. II.5.
393 Kant, KrV, B 197, A 158.
394 Kant, KrV, B 195f., A 156.
145
  V. Die Schemata

die ihm dennoch „untergelegt werden“ müsse.395 Fraglich ist somit der Status
dieser Begriffe: sind sie vorschematisch oder werden sie erst im Schematismus
gebildet? Oder sind sie sogar angeboren? Diesbezüglich ist wichtig zu betonen,
dass diese Begriffe – anders als die empirischen Begriffe – nicht per Abstraktion
gefunden werden. Sie sind keine Produkte der Abstraktion von der Sinnlichkeit,
sondern rein. Trotzdem behandelt Kant das Verhältnis zwischen reinen Begrif-
fen und Erfahrung (in §27 der Transzendentalen Deduktion der reinen Ver-
standesbegriffe) als eine epigenetische Problematik: „die Behauptung eines
empirischen Ursprungs wäre eine Art von generatio aequivoca“.396 Die Rein-
heit der Begriffe sollte nach Kant jedoch nicht so aufgefasst werden, als seien sie
angeboren; vielmehr sind sie später erworben. Hier geht es vor allem um eine
acquisitio.397
Durch die Schematisierung werden die Begriffe im Urteilen gebraucht
und somit realisiert – und diese Realisierung lässt sich gleichzeitig als eine
Methode des Erwerbs erklären. Sie sind deshalb nicht weniger rein und werden
auch nicht aus der Erfahrung abgeleitet. Ihr Erwerb spielt sich in einer Bedeu-
tungserfahrung ab, in deren Verlauf zugleich überhaupt erst die Methode des
Erwerbs erlernt wird. Dabei ist natürlich fraglich, was dies für die Kategorien
bedeutet. Die Spannung zwischen Vorgegebenheit und Realisierung der Kate-
gorien betrifft meines Erachtens unterschiedliche Aspekte der Erkenntnistheo-
rie Kants, unter anderem die Bestimmung des funktionalen Charakters der
Kategorien und das Bezeichnungsverhältnis zwischen Begriffen und Wörtern,
die ich kurz skizzieren möchte.398
In der kritischen Philosophie, die sich jenseits der Grenzen der Logik
erstreckt, sind „die Kategorien, ohne Schemata, nur Funktionen des Verstandes
zu Begriffen“.399 Und auf Basis dieser Funktionen lässt sich eine logische wie

395 Kant, Preisschrift, AA XX: 274.


396 Kant, KrV, B 167.
397 Siehe dazu Sgarbi 2010, S. 167f. Marco Sgarbi bezieht diese kantische Charakteri-
sierung der Begrifflichkeit auf die Habitus-Theorie der aristotelischen und wolff-
schen Tradition, die weitreichende Implikationen auch für die Bedeutung des Sche-
mas hat, das, wie bereits gesehen (siehe Einleitung), gerade in der lateinischen
Tradition in engem Verhältnis zum Habitus-Begriff steht. Siehe dazu auch Pippin
1982, S. 101f.
398 Der Bezug Kants auf die ars combinatoria ist auch Teil dieser Problematik und
wurde in Kap. V behandelt.
399 Kant, KrV, B 187, A 147. Siehe auch KrV, B 130f.: „[…] denn alle Kategorien gründen
sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon Verbindung, mit-
hin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung
voraus“. Schulthess betont die Bedeutung der Differenz zwischen Kategorien und
Funktionen, die in keinerlei Weise aufeinander reduziert werden dürften: „Man
darf nun Kategorie und Funktion nicht einfach vermengen. Die Kategorie gründet
auf Funktionen. Sie ist der durch die Funktion selbst in gewisser Weise bestimmte
146
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

methodische Verbindung zwischen Verstand und Vernunft im Gebrauch der


Begriffe herstellen. Die Vernunft kann die Kategorie der Relation jenseits der
sinnlichen Erkenntnis als bedingungslos denken. Die Erkenntnis eines Gegen-
standes realisiert sich im Schematismus in Verbindung mit der Sinnlichkeit. Die
Verbindung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit ist die Bedingung der
Erkenntnis, aber nicht des Denkens. Auch ohne Anschauung ist die Form des
Denkens dennoch konsistent: „Lasse ich […] alle Anschauung weg, so bleibt
noch die Form des Denkens, d.i. die Art, dem mannigfaltigen einer möglichen
Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen“.400
Der Funktions-Begriff und seine Rolle in der Unterscheidung von Phae-
nomenon und Noumenon würden uns hier vom Kern der Betrachtung abbrin-
gen. Trotzdem muss festgehalten werden, dass Kant unterscheidet zwischen
solchen Begriffen, die eine mögliche Entsprechung in den Anschauungen haben
und also eine (sinnliche) Bedeutung annehmen können, und denjenigen, die
keine sinnliche Entsprechung und daher eine nur rationale Bedeutung (in der
Sphäre der Vernunft) haben. Es ist bereits erklärt worden, inwiefern die Sinn-
lichkeit als Kriterium der Unterscheidung zwischen Begriffen und Ideen gelten
kann.401 Auf der Seite der Spontaneität erhält diese Unterscheidung in den
unterschiedlichen Vermögen ihre Begründung: Einerseits ist die Bedeutungs-
gebung des Verstandes endlich und sinnlich, andererseits kann sich die Ver-
nunft jenseits der Grenzen der Sinnlichkeit ausdehnen und somit auch den
Ideen eine Bedeutung verschaffen, die sozusagen nicht reell ist. Diese Vermögen
haben jedoch in den Kategorien der Relation ihren Ursprung. Daher argumen-
tiert Kant, dass die Kategorien ohne die sinnlichen Bedingungen bloß Funktio-
nen seien. Der Funktions-Begriff liegt dem Unterschied zwischen Begriffen
und Ideen zugrunde, so Adickes: „die Kategorien als reine Begriffe sind auf alle

Argumentbereich der Funktion, der als solcher die Bestimmungen des Denkens
eines Gegenstandes überhaupt ausmacht, der also reine Form des Denkens eines
Gegenstandes ist. Dieses kategoriale Bestimmen des Gegenstandes überhaupt ist
aber nicht das empirische Bestimmen eines Gegenstandes. Es ist vielmehr das
trans­zendentale Bestimmen, das denn auch den bloß transzendentalen Inhalt des
Gegenstandsbegriffes und so jedes Gegenstandes ergibt“ (Schulthess 1981, S. 295).
Siehe auch Aportone 2009, S. 319: „Dass die Funktionen Begriffe genannt werden,
könnte auch als Zeichen einer Auffassung derselben gedeutet werden, welche die
strikte Dichotomie von Regeln und Vorstellungen ablehnt, d.h. die Ansicht, dass
einerseits die Vorstellungen innere Gegenstände sind und die Regeln auf sie, so wie
die Werkzeuge auf empirische Gegenstände, angewandt werden können und ande-
rerseits die Regeln keine repräsentationale Natur haben, oder anders als Vorstel-
lungen aufzufassen sind“.
400 Kant, KrV, A253f.
401 Siehe oben, Kap. II.2.
147
  V. Die Schemata

Objekte, einerlei ob Phaenomena oder Noumena, anwendbar. […] Was die letz-
tere ausschließt, ist nur der Mangel an Anschauung“.402
Der Gebrauch von Begriffen und Ideen wird durch die Entsprechung in
den Anschauungen bestimmt, löst jedoch nicht das Problem auf, das später für
Maimon und Herder so wichtig sein wird, und zwar das der sprachlichen
Bezeichnung, das ihnen gemeinsam ist und ihre Realität ausmacht. Der Funk-
tions-Begriff als „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter
einer gemeinschaftlichen zu ordnen“,403 berührt diese Sprachproblematik nur
teilweise, etwa wenn Kant den Unterschied zwischen Urteil und Satz, das
Bezeichnungsvermögen oder das Verhältnis zwischen Wörtern und Begriffen
behandelt. Der Unterschied zwischen Urteil und Satz besteht für Kant nicht
darin, dass der Satz eine sprachliche Äußerung des Urteils und letzteres nur der
(sprachlose) mentale Akt wäre, sondern liegt in der modalen Bestimmung: Das
Urteil ist problematisch, der Satz ist assertorisch. Ein irgendwie sprachloses
Denken ist folglich unmöglich. Das verdeutlicht auch die Anthropologie, in der
Kant anmerkt, dass „die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung die durch
Sprache ist, dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“.404 Ich
habe bereits erwähnt, dass ohne die Funktion des Gehörs keine Bezeichnung
vollzogen werden kann.405 Das Gehör ermöglicht sowohl eine Verinnerlichung
wie auch eine Äußerung der Bezeichnung, die zur Artikulation des Allgemei-
nen beiträgt.
Die Kategorien können als Produkte des Schematismus angesehen wer-
den, die als sprachlich konnotierte Begriffe als mögliche Funktionen des Urtei-
lens bereitstehen. Insgesamt spiegelt sich in der Bildung der Begriffe nicht nur
die subjektive Zeit des Gebrauchs von Begriffen, sondern auch die Zeit des
Gebrauchs der Sprache selbst als intersubjektiver und einzelsprachlich kon-
notierter Praxis. Dabei findet man in der Schematismuslehre sowohl die episte-
mische als auch die historische Spannung zwischen dem gleichzeitig konventio-
nellen und kreativen Gebrauch der Sprache. Der Schematismus besteht genau
genommen aus dieser Spannung und ist insofern keine bloße Vermittlung zwi-
schen Vermögen, sondern erlaubt die Einsicht in die Bildung und den Gebrauch
von Begriffen überhaupt. Stärker als bei Kant tritt dies in den Kritiken in seiner
Nachfolge hervor, die das Problem der Bildung der Kategorien in Bezug auf die
Tätigkeit der Sprache und des Denkens im Allgemeinen thematisieren, womit
eine komplette Umstellung des Prozesses selbst angezeigt ist, der als die Gestal-
tung seiner Bestandteile angesehen werden kann.

402 Adickes 1924, S. 70.


403 Kant, KrV, B 93, A 68.
404 Kant, AA VII: 192.
405 Siehe oben, Kap. III.
148
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Viele von denen, die versucht haben, die Schematismuslehre Kants aus-
zubuchstabieren, sehen in ihr den ursprünglichen Prozess der Begriffsbildung.
Zu ihnen kann später auch Heidegger gerechnet werden, der betont: „Im trans-
zendentalen Schematismus bilden sich allererst die Kategorien als Kategorien.
Sind diese aber die echten ‚Urbegriffe‘, dann ist der transzendentale Schema-
tismus die ursprüngliche und eigentliche Begriffsbildung überhaupt“.406 Und
weiter: „In der Frage nach dem möglichen Gebrauch der Kategorien wird ihr
eigenes Wesen selbst allererst Problem. Diese Begriffe stellen vor die Frage nach
der Möglichkeit ihrer ‚Bildung‘ überhaupt. Demnach ist die Rede von der Sub-
sumption der Erscheinungen ‚unter Kategorien‘ nicht die Formel einer Lösung
des Problems, sondern sie enthält gerade die Frage, in welchem Sinne hier über-
haupt noch von Subsumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.407 Und
auch Cassirer äußert sich in eine ähnliche Richtung, wenn er festhält, „daß
unsere reinen Begriffe nicht der Abstraktion, sondern der Konstruktion ihr
Dasein verdanken; daß sie nicht Bilder und Abzüge der Gegenstände, sondern
Vorstellungen eines synthetischen Grundverfahrens sind“.408 Hermann Mör-
chen etwa vertritt einen Ansatz, demzufolge „die Kategorien ‚ursprünglich‘
Schemata sind“ und verbindet somit die Bildungsfunktion der Schemata mit der
Einbildungskraft, in der die Spontaneität ihren Ursprung hat: „Die Einbildungs-
kraft ist ein ‚notwendiges Ingredienz‘ des Begriffs“.409 Lamacchia dagegen spricht
von den Kategorien als Erstarrungen (solidificazioni) von schematischen Pro-
zessen.410 Trotz der immer potentiell bestehenden Unbestimmtheit der einzel-
nen Anschauungen ist der Schematismus ein Prozess, der eine Sprache der
Kategorien ermöglicht, d.h. eine Kristallisation von Begriffen, die im Urteilen
gebraucht werden. Der Charakter der Kategorien als Bildungen zeigt dabei in
den Augen Maimons, Herders und Hegels die eminent sprachliche Funktion des
Schematismus an, die von Kant vernachlässigt wurde. Die Begriffsbildung wird
von ihnen mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung gebracht, dank derer
neue Erkenntnisse erzeugt werden können. Diese Interpretation verändert die
Funktion des Schematismus fundamental, da er sich damit als grundlegender
Prozess der Gestaltung einer begrifflichen Metaebene erweist, der nicht auf die
Deduktion der Kategorien reduziert werden kann.

406 Heidegger, GA, 3, S. 110. Vgl. Paci 1955, S. 394: „Senza lo schema e cioè senza il
legame con l’esperienza spaziale e temporale tutti i concetti, ‘indistintamente’ non
sarebbero che pensiero vuoto, pensiero puramente formale e cioè pensiero del nul-
la“. Siehe dazu auch Salvucci 1957, S. 79.
407 Heidegger, GA, 3, S. 110.
408 Cassirer, ECW, 3, S. 598.
409 Mörchen 1930, S. 438.
410 Vgl. Lamacchia 1970, S. 150.
149
  V. Die Schemata

Auch wenn die Schematismuslehre auf diese Weise durch die Annahme
einer genetischen Funktion der Begriffsbildung erweitert werden kann, löst dies
noch nicht das grundlegende Problem der schematischen Vermittlung zwischen
Begriffen und Anschauungen, das ein Problem des Objektivitätsanspruchs der
reinen Begriffe ist. Denn selbst wenn die kategorialen Formen sprachlich kon-
stituiert werden, bleibt die Frage bestehen, wie sie auf die Erscheinungen anwend-
bar sein können. Diese Frage wird von La Rocca wie folgt spezifiziert: „Aus den
reinen Formen des sprachlichen Begreifens kann nicht erkannt werden, ob (und
im bejahenden Fall wie) diese zugleich auch Formen eines Weltverstehens sind;
und weiter, ob die Formen des sprachlichen Begreifens auf die Formen einer
ursprünglichen semiotischen Strukturierung der Erfahrungswelt zurück-
geführt werden müssen, nach denen sich das phänomenale Geschehen abspielen
kann“.411
Das Modell einer Repräsentation, für das die Funktion der Kategorien in
deren Anwendung auf die sinnliche Erfahrung besteht und daher den Schema-
tismus an die Frage nach der objektiven Realität der Begriffe kettet, muss daher
durch ein transzendentales und prozessuales ersetzt werden. Kant weist darauf
hin, dass an dieser Stelle nicht eigentlich von Begriffen, sondern von Vorstel-
lungen gesprochen werden sollte: Die Zahl ist zum Beispiel „eine Vorstellung,
die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen) zusammenbe-
faßt“, während das Schema der Substanz die Beharrlichkeit des Realen in der
Zeit ist, „d.i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen
Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt“.412
Wollte man Kant präzisieren, müsste man hinzufügen, dass es eigentlich nicht
die Vorstellung, sondern genauer die Ausübung ihrer Funktion und im weites-
ten Sinne der transzendentale Gebrauch sind, die der Kategorie eine diskursive
Bedeutung verleihen. Die sinnliche Bedingung realisiert die Kategorie, indem
sie der transzendentalen Diskursivität ein Kriterium der Beschreibung unserer
Bedeutungserfahrung an die Hand gibt. Durch die sinnliche Bedingung reali-
siert sich die Kategorie rein diskursiv. Damit ist eine Metaebene der Begrifflich-
keit angesprochen, auf der allgemeingültige Prinzipien definiert werden, die
nicht die Vorstellung selbst betreffen, sondern die diskursive und formale Kon-
stitution der Bedeutungserfahrung anzeigen. Und wenn unter der sinnlichen
Bedingung ausschließlich die versinnlichende Bezeichnung verstanden wird,
dann macht dies zugleich deutlich, dass die Repräsentation bei Kant nur im
Sinne einer schematischen Bildung der Begriffe aufgefasst werden darf.

411 La Rocca 1989, S. 151.


412 Kant, KrV, B 183, A 144. (Hervorhebungen L.G.).
150
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Und genau das ist der Weg, den diejenigen Autoren eingeschlagen haben,
die den Schematismus als eine prozessuale Antizipation von Bedeutung ver-
standen haben. Aus deren Sicht handelt es sich beim Schematismus um eine
Metakonzeptualität als prozessuale Bedingung der Gestaltung von Bedeutung.
Diese geht aus einer transzendentalen Beschreibung, die darauf zielt, die Bedin-
gung der Bedeutung auf erkenntnistheoretischer Ebene zu erklären. Sie wird
mit Blick auf den Schematismus insbesondere von Hans Lenk untersucht, der
unterschiedliche Stufen der Schema-Interpretation unterscheidet, deren letzte
die der Metainterpretation ist, „nämlich die erkenntnistheoretische oder – wenn
man so will – methodologische Stufe, auf der wir uns unsere Interpretations-
verfahren und -methoden oder die Interpretationsergebnisse und -verfahren
wiederum als Gegenstände einer Analyse vornehmen und zum Gegenstand
höherstufiger (Meta-) Interpretation machen“.413 Entsprechend ließe sich im Fall
der reinen Schematisierung von einer semantischen Fixierung (Kristallisation)
der Sprache reden, insofern in der Sprache eine diskursive Metaebene aus-
gemacht werden kann, die zum Gegenstand der transzendentalen Theorie wird.
Und auch bezüglich der rein sinnlichen Schematisierung kann eine solche Fixie-
rung angenommen werden, wie ich sie in Bezug auf die mathematischen Defi-
nitionen behandelt habe. In der Erkenntnistheorie kann eine Versinnlichungs-
lehre jedoch eine gewisse Prediskursivität miteinschließen, indem sie einerseits
die sinnlichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung als Bilder, Diagramme
und Wörter fasst, andererseits die Methode ihrer Anwendung erklärt. Damit ist
zugleich die Genese des diskursiven Denkens angesprochen, die Kant zwar
andeutet, jedoch leider nicht systematisch in Bezug auf die Versinnlichung erör-
tert, welche die Erkenntnis gerade mit der symbolischen und expressiven Krea-
tivität in Verbindung bringt. Diese kann deshalb in die Konzeption des Schema-
tismus eingeführt werden, weil sich so der Raum für eine Meta-Diskursivität
als synthetischer Bedingung der Bedeutungserfahrung a priori eröffnet. Diesen
Aspekt möchte ich abschließend noch kurz in einem kritischen Ausblick ver-
tiefen, um dann die symbolische Versinnlichung, die nicht-begriffliche Schema-
tisierung und die Funktion der Bezeichnung zu thematisieren.

4. Der a nt i z ipator isc he Cha ra k ter


des Sc hemat ismus
Die Bedeutung der Begriffe lässt sich also nicht von der Schematisierung tren-
nen, die im Allgemeinen als Anwendung von Regeln verstanden werden kann.
Diese Anwendung ist jedoch durch eine interne Spannung charakterisiert:
Einerseits ist sie tatsächlich eine Anwendung gegebener Begriffe, andererseits

413 Lenk 2004, S. 79f.


151
  V. Die Schemata

steht die Schematisierung auf transzendentaler Ebene für die Bildung der
Begriffe selbst. Diese Bildung bewegt sich also zwischen Altem und Neuen,
zwischen Übertragung und Transformation, Konvention und Kreativität. Die-
ser Umstand soll im Folgenden als der antizipatorische Charakter der Schema-
tisierung bezeichnet werden. Er kann jeweils unterschiedlich spezifiziert wer-
den – je nachdem, welche der drei Ebenen der Schematisierung in Betracht
gezogen wird: empirisch gesehen steht die antizipatorische Funktion der
Schematisierung in enger Verbindung mit dem Erlernen, dem Gebrauch und der
Kreation der Begriffe, die in der empirischen Erfahrung zwischen Bildern und
Wörtern anzusiedeln sind; rein sinnlich kann die antizipatorische Funktion der
Schematisierung als eine figürliche Konstruktion mathematischer Begriffe
gedeutet werden, die keine bloße Veranschaulichung ist, sondern zugleich eine
hilfreiche Visualisierung komplexer diskursiver Relationen, die etwa mit Dia-
grammen in Verbindung gebracht werden können. Auf der Ebene der rein
transzendentalen Begriffe schließlich eröffnet sich die Dimension einer Meta-
begrifflichkeit, auf der die diskursive Erkenntnis auch als Versinnlichungspro-
zess erklärt werden kann. Gerade auf dieser letzten Ebene lässt sich somit eine
Versinnlichungslehre verorten, in der die Bedingungen der Erfahrung expli-
ziert werden. Nur so kann ein Begriff gleichzeitig als Regel und als Methode
verstanden, und nur so kann der reine Begriff zur transzendentalen Funktion
werden. Die herausragende Rolle der Regel in der Zuschreibung des Schema-
tismus der Urteilskraft wurde bereits erwähnt, um zu verdeutlichen, dass der
Schematismus keine Lehre des Inhalts ist, sondern eine Lehre der formalen
Gestaltung der Bedeutungserfahrung. Nur so kann meines Erachtens der anti-
zipatorische Charakter des Schematismus als ‚vorbegrifflich‘ verstanden werden
– aber nicht im Sinne eines nicht-begrifflichen Denkens, sondern hinsichtlich
der Entstehung der Begrifflichkeit, die in der Versinnlichung ihre gestaltende
Bedingung hat.414
Diese Auslegung stellt jedoch eine Radikalisierung und Umgestaltung
der kantischen Lehre dar, die ich im nächsten Teil anhand der Revisionsver-
suche bezüglich der systematischen Stellung des Schematismus rekonstruieren
möchte. Wenn Kant behauptet: „Denn sind die Regeln einmal weg, so weiß man
nicht voran man sich halten soll“,415 hebt er meines Erachtens die Relevanz der
Regel für das Erkennen und die Artikulation von Bedeutung hervor. Wie ich zu
zeigen versucht habe, beinhaltet der Schematismus eine tiefere transzendentale

414 In Kap. III habe ich bereits erklärt, inwieweit die Versinnlichung als ein alternativer
Ansatz in der Debatte zwischen dem non-konzeptualistischen und konzeptualisti-
schen Charakter der Erkenntnistheorie angesehen werden kann. Im dritten Teil
(Kap. I) werde ich auf diesen Punkt mit kritischem Blick auf den Ansatz von Alva
Noë zurückkommen.
415 Kant, AA XXIX, 1,1: 17.
152
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Strukturierung der Bedeutungserfahrung, die auf der Grenze von Semiotik


und Semantik liegt. Aus dieser Perspektive übt der Schematismus eine antizipa-
torische Funktion aus, die Kant richtig erfasst, wenn er das Schema nicht als
eine konkrete Gestalt, sondern als Methode deutet. Das Schema ist eine Metho-
de der Gestaltung, die jede Bedeutungserfahrung strukturiert. Die Gestaltung
kann deshalb als interne Herausforderung der Transzendentalphilosophie Kants
gelten, von der es zu zeigen gilt, dass sie notwendigerweise auftritt, wenn die
verschiedenen Ebenen des Schematismus präsent gehalten werden. Denn inner-
halb jeder Schematisierung entsteht das Problem des genetischen Charakters
der Begriffe, was zur Annahme eines systematischen Gestaltungsprozesses
nötigt, in dem deutlicher zwischen Bedingungen und Gebrauch unterschieden
wird. Nur so kann der Schematismus zur Lehre der Bedeutungsgestaltung wer-
den, in der nicht nur die sinnliche Erkenntnis, sondern auch das diskursive Den-
ken durch die Versinnlichung transzendental gestaltet wird, da es rein sprach-
lich ist. Meines Erachtens kann der Schematismus gerade in diese Richtung
erweitert werden, indem man ihn mit Blick auf die symbolische Darstellung
und das Bezeichnungsvermögen hinterfragt – was in den nächsten zwei Kapi-
teln (VI und VII) unternommen wird – und ihn so letztlich in Beziehung zu den
Problemen der Kreativität und der Expressivität setzt.
Nur so kann der Schematismus eine organisierende Gestaltung sein, die
nicht nur die sinnliche Erfahrung strukturiert, sondern auch die Darstellung
des Übersinnlichen und des Emotionalen transzendental erörtert. Erst auf diese
Weise kann der Schematismus als Versinnlichungsprozess die in ihm enthalte-
ne Grenze zwischen Erkenntnis, Denken und Gefühl überwinden. Und nur so
kann die Versinnlichungslehre die Mechanismen der Kreativität beleuchten, die
sich jederzeit in unterschiedlichen Graden in der Bedeutungserfahrung abspie-
len.
V I . ‚ D oppelte‘ V ersinnlichung und
S chematisierung ‚ohne Begriff ‘

Ausgehend von der transzendentalen Bedingung, nach der für die Realität
unserer Begriffe „immer Anschauungen erfordert werden“,416 ist bei Kant die
Darstellung eines Begriffs eine Versinnlichung, was jedoch nicht bedeutet, dass
jeder Begriff durch den Schematismus zur objektiven Realität gelangt. Denn
schematisiert werden nur diejenige Begriffe, die eine direkte Entsprechung in
den Anschauungen haben. Von dieser schematisch-bestimmenden Ebene, die
bis hierhin untersucht wurde, ist die einer symbolischen Versinnlichung zu
unterscheiden, um die es nun gehen soll.417
Der Schematismus wird von Kant als ein Erkenntnisprozess in Abgren-
zung zu anderen Handlungs- und Darstellungsprozessen definiert. Er betrifft
nicht die Typik der praktischen Vernunft, die ähnlich denen der theoretischen
Vernunft die Aufgabe haben, allgemeine Gesetze auf konkrete Fälle anzuwen-
den. Für die praktische Anwendung des Gesetzes der Freiheit ist demnach kein
Schema erforderlich.418 So wird die praktische Vernunft vor dem Mystizismus
bewahrt, der „das, was nur zum Symbol diente, zum Schema macht, d.i. wirk-
liche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen […] der Anwendung der mora-
lischen Begriffe unterlegt und ins Überschwengliche hinausschweift“.419 Somit
können Schemata nicht dazu dienen, das Übersinnliche darzustellen. In der
Kritik der reinen Vernunft diskutiert Kant in Bezug auf die Idee der Vernunft
das Problem ihrer Darstellung und bestimmt sie nur als bloßes „Analogon von
einem Schema der Sinnlichkeit“.420 Das Schema wird damit zum erkenntnis-
theoretischen Kriterium, das dazu dienen kann, die unterschiedlichen Darstel-

416 Kant, KU, B 254, A 251.


417 Zur Einführung des Versinnlichungsbegriffs siehe oben, Kap. II.4.
418 Kant, AA V: 67f.
419 Kant, AA V: 70f.
420 Kant, KrV, B 693, A 665.
154
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

lungsweisen des Denkens gegeneinander abzugrenzen. Es ermöglicht die Diffe-


renzierung der Bestimmungsebene der objektbezogenen Erkenntnis von den
anderen Prozessen der Darstellung.
Das – bereits angeführte421 – Kriterium betrifft sowohl die Begriffe, die
gerade wegen dieser sinnlichen Entsprechung von den Ideen unterschieden wer-
den, als auch die objektbezogenen Empfindungen, die nicht mit den bloß sub-
jektiven Empfindungen verwechselt werden dürfen, wie auch Lamacchia fest-
hält: „Von der einschränkenden Bedingung der Schematisierung hebt sich also
ein Denken von etwas Unbestimmten ab, das wie ein Gegenstück oder Negativ
der direkten, objektiven Determination der Erkenntnis bleibt“.422
Die Schematisierung erfolgt aufgrund einer anschaulichen Abgrenzung
in zweierlei Richtung: mittels des Verhältnisses von Begriffen und Anschau-
ungen lassen sich zum einen die Begriffe von den Ideen – als Begriffe ohne die
Restriktion der Anschauungen – abgrenzen, und zum anderen die Anschau-
ungen von den Gefühlen – als Anschauungen ohne die Restriktion der Begriffe.
Die Schematismuslehre kann daher als Abgrenzungs- und Restriktionslehre
angesehen werden, welche die objektive Erkenntnis vom Denken trennt. Nur
der Schematismus als Objektbestimmung kann dabei für Kant zur Erweiterung
unserer Erkenntnis beitragen, während der Schematismus der Analogie nur zur
Erläuterung der Ideen dient. Gerade deswegen ist der Anwendungsbereich des
Schematismus kritisch von solchen Versuchen abzugrenzen, eine Analogie als
eine direkte Darstellung zu verstehen. Die kritische Lehre des Symbols ermög-
licht es, dass jeder Begriff und jede Empfindung zur (zumindest indirekten)
Darstellung gebracht werden kann. In der Preisschrift über die Fortschritte der
Metaphysik spricht Kant explizit von einer „Symbolisierung“ und definiert sie
als eine „Nothilfe für Begriffe des Übersinnlichen“.423 So wird die Erkenntnis
als diejenige Bestimmungsebene beschrieben, die von den viel weiteren und

421 Siehe dazu Kap. II.2.


422 Lamacchia 1972, S. 381. Francesca Manco sieht in der kantischen Auffassung der
Einbildungskraft die Möglichkeit angelegt, eine Philosophie der symbolischen For-
men zu begründen (2009, S. 113–147). Dazu auch Nawrath 2010, S. 228f.
423 Kant, AA XX: 279f.: „Einen reinen Begriff des Verstandes, als einem Gegenstande
möglicher Erfahrung denkbar vorstellen, heißt, ihm objektive Realität verschaffen,
und überhaupt, ihn darstellen. […] Diese Handlung, wenn die objektive Realität
dem Begriff geradezu (directe) durch die demselben correspondirende Anschauung
zugetheil, d.i. diese unmittelbar dargestellt wird, heißt der Schematism; kann er
aber nicht unmittelbar, sondern nur in den Folgen (indirecte) dargestellt werden, so
kann sie sie Symbolisierung des Begriffs genannt werden. Das erste finden bey
Begriffen des Sinnlichen statt, das zweyte ist eine Nothülfe für Begriffe des Über-
sinnlichen, die also eigentlich nicht dargestellt, und in keiner möglichen Erfahrung
gegeben werden können, aber notwendig zu einem Erkenntnisse gehören, wenn es
auch blos als ein praktisches möglich wäre“.
155
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

unbestimmteren Regionen einerseits des Denkens und andererseits des Gefühls


umgeben ist.
In der Kritik der Urteilskraft führt Kant die symbolische Darstellung
gerade im Unterschied zur Schematisierung als direkter anschaulicher Dar-
stellung ein. Die symbolische Darstellung hat demnach einerseits eine heuristi-
sche und regulative Funktion in der Abgrenzung zwischen Denken und Erkennt-
nis, andererseits konstituiert sie eine weitere Ebene der Bedeutungserfahrung,
die in einem analogischen Verhältnis zum Schematismus steht. Daher kann
man von einer doppelten Darstellung und zugleich von einer doppelten Ver-
sinnlichung sprechen: Die direkte vollzieht die anschauliche Darstel­lung des
Begriffes durch ein Schema, die indirekte dagegen kann nur symbolisch sein
und wird durch eine Analogie hergestellt. Die Darstellung ist insgesamt Auf-
gabe der Urteilskraft, die Kant bekanntlich wie folgt definiert: „Urteilskraft ist
überhaupt das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen
zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist
die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert […] bestimmend.
Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist
die Urteilskraft bloß reflektierend“.424
In der Reflexion geht es zum einen um einen Begriff, den nur die Ver-
nunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann,425
zum anderen um ein Gefühl, das unter keinen adäquaten Begriff subsumiert
werden kann. Wie wir weiter in Kap. VI.2 sehen werden, erfolgt im Fall der Ver-
sinnlichung des Gefühls eine Schematisierung ohne Begriff.

1. Sy mb ol isc he Da r stel lu ng
Die Reflexion ist eine indirekte Darstellung, die in kritischer Hinsicht die
Grenze zwischen Erkenntnis und Denken, oder besser gesagt: zwischen symbo­
lischer und bestimmender Erkenntnis markiert. Besonders berühmt ist in diesem
Zusammenhang Kants Metapher der Handmühle zur Darstellung des monar-
chischen Staats: Zwischen beiden besteht keine Ähnlichkeit, und trotzdem wer-
den sie verbunden, um die Bedeutung eines Begriffs mittels einer Analogie dar-
zustellen. Darin zeigt sich für Kant „ein doppeltes Geschäft“ der Urteilskraft:
„erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und
dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen
ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“.426

424 Kant, KU, B XXVf., A XXIIIf. Siehe auch AA IX: 131–133.


425 Vgl. Kant, KU, B 255f., A 252.
426 Kant, KU, B 257, A 254. Siehe auch §35 der Kritik der Urteilskraft (B146, A 144), in
dem der Sinn einer Schematisierung ohne Begriff in Bezug auf das Prinzip der
Urteilskraft erläutert wird.
156
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Reflexion erweist sich somit als weitere Funktion des Urteilens neben der
schematischen (direkten) Bestimmung des Begriffes durch eine Anschauung.
Die Unterscheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstel-
lung ermöglicht es Kant ferner, eine ausschließlich symbolische Erkenntnis von
Gott anzunehmen und einen Anthropomorphismus abzulehnen. Durch die
Trennung zwischen Bestimmungsfunktion und Analogie wird vermieden, dass
jede abstrakte Reflexion oder jedes subjektive Gefühl für einen Bestimmungs-
grund objektiver Erkenntnis gehalten wird. Der, wenn auch nur heuristische,
Unterschied zwischen Begriff, Schema und Sache selbst – in der Religion inner-
halb der Grenzen der bloßen Vernunft wird er als „μετάβασις εἰς ἄλλο γένος
(Übergang in eine andere Gattung)“427 beschrieben – begründet das komplexe
Geflecht unseres Denkens, innerhalb dessen die Reflexion für Kant nur eine
indirekte und derivative Funktion hat. Insbesondere ausgehend von der Religi-
onsschrift scheint es möglich, nicht nur von einer doppelten Versinnlichung,
sondern auch von einem doppelten Schematismus zu sprechen, da Kant präzi-
siert: „Das ist der Schematismus der Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht
entbehren können. Diesen aber in einen Schematismus der Objektsbestim-
mung (zur Erweiterung unserer Erkenntnis) zu verwandeln, ist Anthropomor-
phism“.428 Die Begriffe sind demnach zwar auf Gegenstände des Denkens über-
tragbar, stellen jedoch keine objektive Erweiterung des Denkens dar.429
Angesichts der kritischen Grenze zwischen Bestimmung und Reflexion
ist die Rede von einem doppelten Schematismus möglich, womit der Schema-
tismus selbst zum regulativen Begriff des Denkens wird. Und Kant ist sich
bewusst, dass an sich jedes Urteil, das sich nicht widerspricht, möglich ist, was
für ihn gleichzeitig bedeutet, dass es vorläufig ist und nur durch den Erwerb
von Gründen bestimmend werden kann. Dies ist ein Aspekt, den Kant am
Urteilen hochschätzt, wie etwa aus der Philosophischen Enzyklopädie hervor-
geht: „Es ist wunderbar, wie einem jeden bestimmenden Urteil ein vorläufiges
vorhergeht“.430 Die Vorläufigkeit ist konstitutives Element des Urteilens, das nur

427 Kant, AA VI: 64. Diese Anmerkung in der Religionsschrift ist entscheidend, um
die Bedeutung der Beschränktheit der menschlichen Vernunft für Kant zu erfas-
sen.
428 Kant, AA VI: 64. Siehe auch Kant, KU, B 258f., A 255: „So ist alle unsere Erkennt-
nis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand,
Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schema-
tisch nimmt, gerät in den Anthropomorphism, so wie, wenn er alles Intuitive weg-
lässt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht,
erkannt wird“. Siehe auch Kant, AA XX: 280. Zum Anthropomorphismus-Begriff
bei Kant siehe Becker 2011, S. 159.
429 Vgl. Kant, AA XVIII: 220 und Kant, AA XX: 363: „kein Schema kein[e] Erkennt-
nis“.
430 Kant, AA XXIX,1: 24.
157
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

durch Erwerbung wahrer Gründe zur Bestimmung werden kann. Das vorläu-
fige Urteil als sprachliche Äußerung betrifft sowohl die Bestimmung als auch
die Reflexion, die als Weisen der Darstellung intuitionsbezogen sind: Auch die
symbolische Ebene bezieht sich – wenn auch nur indirekt – auf Anschauungen
(seien es Bilder oder Worte), die in der Erfahrung erworben werden. Es ist daher
nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass ein mögliches Urteil zum bestimmenden
Urteil wird, jedoch ist ausgeschlossen, dass ein reflektierendes Urteil zu einem
bestimmenden wird, falls der Begriff keine direkte Entsprechung in den Anschau-
ungen hat.
Nach Kant liegt der unrechte Gebrauch des Wortes ‚symbolisch‘ genau
darin, es der intuitiven Vorstellungsart entgegenzusetzten, weil die symboli-
sche Darstellung „nur eine Art der intuitiven ist“.431 Der intuitive Charakter der
Darstellungsarten verdeutlicht meiner Meinung nach, was es heißen kann, die
Darstellung als Versinnlichung aufzufassen. Denn die Darstellungsarten sind
beide intuitiv. Auf diese Weise hebt Kant den Unterschied zwischen cognitio
symbolica und cognitio intuitiva auf, der für Leibniz, Wolff und Baumgarten
grundlegend ist.432 Die symbolische Darstellung ist folglich nicht blind, bedient
sich der Anschauungen jedoch nur indirekt, weshalb übersinnlichen Gedanken
keine objektive Realität zugeschrieben werden kann. Und diese indirekte Dar-
stellung eines Begriffs ist weiterhin nicht mit der Funktion des Zeichens zu
verwechseln, weil – wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird – das Symbol bei
Kant nicht mit dem Zeichen gleichzusetzten ist, was zu der nicht zu unterschät-
zenden Konsequenz führt, dass eine solche symbolische Darstellung nicht in
einer formalen Zeichensprache zum Ausdruck kommen kann.
Es gibt keine Erfahrung, die nicht versinnlicht und im weitesten Sinne
schematisiert ist, da die symbolische Erkenntnis für Kant auf der schematisier-
ten Begrifflichkeit basiert. Die Anschauungsbezogenheit der Begriffe, sei sie
bestimmend oder analogisch dargestellt, ist ein wichtiger Aspekt von Kants
Theorie der Darstellung, die im Allgemeinen als eine transzendentale Lehre
der Versinnlichung der Begriffe interpretiert werden kann, da jeder Begriff, um
Begriff sein zu können, einer (direkten oder indirekten) Darstellung in den
Anschauungen bedarf. Daher sind die Anschauungen in dreifacher Weise zu
erörtern: Wenn sie Bedingungen der Realität empirischer Begriffe sind, stellen
sie Beispiele dar; wenn sie Bedingungen der Realität reiner Verstandesbegriffe
sind, stellen sie Schemata dar und wenn sie Bedingungen der (indirekten) Rea-
lität der Ideen sind, stellen sie Symbole dar. In dieser Struktur liegt zugleich
eine Abänderung der Schematismuslehre: Die Schematisierung, die in der Kritik
der reinen Vernunft empirische, rein sinnliche Begriffe und Verstandesbegriffe

431 Kant, KU, B 256, A 252.


432 Vgl. dazu Meo 2004, S. 145, Rolf 2006, S. 44, und Maly 2012, S. 21–23.
158
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

umfasste, wird in der Kritik der Urteilskraft ausschließlich auf reine Verstan-
desbegriffe bezogen, und die Schemata empirischer Begriffe werden nur als Bei-
spiele bezeichnet. Es handelt sich demnach nicht um eine Erweiterung der
Schematisierung, sondern im Gegenteil um deren Abgrenzung gegenüber dem
symbolischen Denken und im weitesten Sinn der (empirischen) Sprache, inso-
fern die Schematisierung auf die Vermittlung zwischen reinen Anschauungen
und reinen Begriffen beschränkt wird.433 Sie wird mit anderen Worten von Kant
nicht zum Prozess einer vielschichtigen Bedeutungsgebung erhoben – wie er im
Keim in den drei Formen der Schematisierung der Kritik der reinen Vernunft
enthalten war –, sondern bezeichnet nun ausschließlich die Vermittlung zwi-
schen Anschauungen und Kategorien.434
Die in Bezug auf die empirischen und rein sinnlichen Schemata unter-
suchten Probleme werden also von Kant in der Abgrenzung zwischen Beispie-
len, Schemata und Symbolen aufgehoben, ohne dass dabei jedoch eine systema-
tische Theorie des Schematismus entwickelt würde, die in die angezeigte
Richtung einer Versinnlichungstheorie erweitert werden könnte, um so dem
Bewegungscharakter der symbolischen Darstellung gerecht zu werden, der
nach Kaulbach der grundlegende Charakter des Symbols ist und mit dem
Modell-Begriff zu vergleichen wäre.435 Der im vorherigen Kapitel untersuchte,
bestimmende Schematismus wirft gewisse Probleme auf: Vor allem die Bildung
der empirischen und reinen Begriffe scheint, wie gezeigt wurde, nicht auf einem
bestimmenden Schematismus zu beruhen, weil sie ein Prozess semantischer und
semiotischer Natur ist, in dem die Begriffe so vorkommen, als ob sie vorgegeben
wären, obwohl sie sich erst im Gebrauch bilden. Und ihr Gebrauch hat ausge­
prägte symbolische Elemente, die später insbesondere von Herder herausgestellt
werden, der in gewisser Weise den symbolischen Versinnlichungsprozess in
den Schematismus einbettet. Für Kant hingegen ist dieser symbolische Prozess
Bedingung der Darstellung des Übersinnlichen und steht daher nur indirekt
und analogisch mit der schematischen Bestimmungsebene in Verbindung.
Unsere Untersuchung geht jedoch gerade in die entgegensetzte Richtung
und folgt darin, wie sich noch zeigen wird, den Spuren Herders. Es ist die Rich-
tung einer Erweiterung und Systematisierung des Schematismus als Versinn-
lichungslehre, die darauf abzielt, die symbolische Darstellung in Bezug auf die
Begriffsbildung zu thematisieren. Diese Erweiterung aber lässt sich nicht durch

433 Siehe dazu Gasché 1994, S. 162.


434 Und gerade deswegen hat Kant keine großen Bedenken, sich auf einen doppelten
Schematismus in der Religionsschrift zu beziehen.
435 Siehe dazu Kaulbach 1973, S. 127: „Hier macht Kant deutlich, dass die Modellbilder,
deren sich die Sprache bedient, Ausdruck freier Bewegung der Phantasie und nicht
nach ‚Regeln‘ konstruierte Figuren sind. Daher zeigen sie, wie aus den kantischen
Beispielen sichtbar wird, Bewegungscharakter“.
159
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

den Schematismus selbst begründen, wie Kant ihn beschreibt. Man könnte
dagegen einwenden, dass Kant sich für diese genetische Frage überhaupt nicht
interessiert, da es in der Erkenntnistheorie nur um die Anwendungs- und Sub-
sumptionsproblematik zwischen Begrifflichkeit und Anschauungen gehe. Dem-
gegenüber denke ich an vielen Stellen gezeigt zu haben, dass die im Schema­
tismus sich realisierende Begriffsbildung eine ursprüngliche Übertragung
erfordert, die sich im Wortlaut kristallisiert. Wir werden gleich in Bezug auf das
Bezeichnungsvermögen auf diese Problematik zurückkommen.
Der Unterschied zwischen Schemata und Symbolen ist auf einer moda-
len Ebene von großer Bedeutung, weil er es erlaubt, die empirisch beweisbare
Erkenntnis von der subjektiv metaphorischen Sphäre des Denkens zu unter-
scheiden. Jedoch erfolgen auch im Rahmen der empirischen und wissenschaftli-
chen Erkenntnis metaphorische Übertragungen, die sich sprachlich artikulie-
ren.436 Diese Übertragung kann in Bezug auf die Funktion der Antizipation für
den bestimmenden Charakter der Begriffe aufgezeigt werden.
Doch auch mit Kant lässt sich ein Schritt in diese Richtung gehen, weil
– wie er in der Kritik der Urteilskraft bemerkt – gerade „unsere Sprache voll
von dergleichen indirekten Darstellungen [ist], nach einer Analogie, wodurch
der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein
Symbol für die Reflexion enthält“.437 Die Sprache selbst kann folglich als ein
Versinnlichungsprozess erscheinen, in dem Schematisierung und Symbolisie-
rung verflochten und nur kritisch (modal) voneinander abzugrenzen sind, um
die objektive Realität unserer Urteile zu erkennen: Die Schematisierung kann
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit und apodiktischen Objektivität der Urteile
gelangen, während die Symbolisierung nur von möglichen Urteilen Gebrauch
macht.
Genetisch gesehen lässt sich jedoch die Reflexion als ständiger Übertra-
gungsprozess nicht von der Stabilisierung der Bedeutung auf der Ebene der
bestimmenden Urteilskraft trennen. Wie Makkreel zu Recht anmerkt, spielt die
Sprache in der indirekten symbolischen Darstellung von Ideen „eine umfassen-
dere, intuitive Rolle“438 und „wir können sehen, dass die empirische Geschichte
eines Wortes selbst Hinweise für die Reflexion auf seine Bedeutung geben
kann“.439 Deshalb führt er den Begriff der Bedeutsamkeit (significance) ein, um

436 Dieser Aspekt wird im nächsten Teil dieser Untersuchung anhand der Auffassung
der symbolischen Erkenntnis bei Maimon und des allegorisierenden Prozesses des
Metaschematismus bei Herder problematisiert und im dritten und letzten Teil in
Bezug auf die Funktion der Metaphern als Verkörperungsprozesse bei George
Lakoff betrachtet.
437 Kant, KU, B 257, A 253.
438 Makkreel 1997, S. 159.
439 Makkreel 1997, S. 160.
160
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

den nichtreferentiellen Typ von Bedeutung als Modus der symbolischen Dar-
stellung zu erklären.440 Was eigentlich zur Realisation kommt, ist somit nicht
der Begriff selbst, sondern sein Gebrauch, der im Fall der Reflexion schon eine
Interpretation der Erfahrung miteinschließt: „Während Schemata ein bestim-
mendes Lesen der Natur möglich machen, erlauben uns symbolische Darstel-
lungen zu einer reflektierenden Auslegung von Dingen zu kommen, die die
Natur übertreffen“.441 Die reflektierende Urteilskraft kann daher als eine Ebene
der Interpretation gedeutet werden, und zwar als „an expansive mode of thought
that appeals not just to the understanding, but to reason as a framework for
interpreting particulars“.442
Ist nun nicht die Sprache dieser gesamte Versinnlichungsprozess, der
den prozessualen und modalen Unterschied zwischen Schema und Symbol in
sich enthält? Wenn dem so wäre, würde die Sprache den Unterschied zwischen
bestimmender und reflektierender Urteilskraft umfassen. Mit dieser Interpre-
tation ginge jedoch zugleich das Risiko einher, den prozessualen Sinn der
schematischen Artikulation zu verkürzen, welche die sinnliche Gestaltung (zwi-
schen Bildern und Wortlauten) erfasst.443 Dieser Unterschied zwischen Schema
und Symbol wäre nicht aufgehoben, sondern dynamisiert, woraus sich die Auf-
gabe jeder Kritik am Status abstrakter Reflexion ergäbe, den mehrdeutigen
Bezug zur objektiven Realität auszubuchstabieren. Somit würde die Performanz
des symbolischen Denkens in die Bildung der Begriffe einfließen.
Dennoch findet sich in der symbolischen Darstellung eine ähnliche
Spannung zwischen Produkt und Prozess, wie sie hier bereits in Bezug auf den
Schematismus diskutiert wurde. Auf transzendentaler Ebene findet sich eine
solche Spannung zwischen Begriff und Urteil, auf sprachlicher Ebene eine zwi-
schen Wort und Satz. In der symbolischen Darstellung handelt es sich ebenfalls
um eine Spannung zwischen Begriff und Urteil, die auf sprachlicher Ebene zwi-
schen dem symbolisch angewandten Wort und dem metaphorischen Satz besteht.

440 Makkreel 1997, S. 165: „Die Schemata der ersten Kritik waren direkte Weisen der
Darstellung der Kategorien des Verstandes, die sie auf die Besonderheiten der Sinn-
lichkeit anwendbar machten. Sie wurden als semantische Regeln angesehen, die
den Kategorien objektive, referentielle Bedeutung (meaning) geben. Der in der
dritten Kritik eingeführte symbolische Modus der Darstellung fügt einen nichtre-
ferentiellen Typ von Bedeutung hinzu, den wir Bedeutsamkeit (significance) nen-
nen. Symbolische Darstellungen sind indirekte Weisen des Ausdrucks bestimmter
Ideen, die direkt mittels Begriffen nicht artikuliert werden können“.
441 Makkreel 1997, S. 166.
442 Makkreel 2006, S. 223.
443 Dazu Meier-Oeser 2011, S. 86: „Schema und Symbol, die bei Kant funktional an
die Stelle dessen treten, was in den älteren Tradition der cognitio symbolica durch
die Formel ‚Wörter oder andere Zeichen‘ benannt worden war, sind für ihn weder
Wörter noch Bilder im eigentlichen Sinn“. Auf diese Problematik werde ich im
nächsten Kapitel zurückkommen.
161
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

Ein Symbol allein ist auf sprachlicher Ebene kein metaphorischer Satz –
auch nicht für Kant, wenn er in der Kritik der Urteilskraft behauptet, das Sym-
bol im Sinne einer Übertragung zu verstehen.444 Die Frage, ob Kant in der
Beschreibung der symbolischen Erkenntnis überhaupt über die Metapher spricht,
wird von Eckard Rolf mit Blumenberg und Gadamer in Verbindung gebracht,
die „diese Frage zur gleichen Zeit (1960) bejahen, der letztere eher nebenbei
(nämlich in Klammern), der erstere explizit“, was bedeute, dass „die Metapher
grundsätzlich eine bestimmte Art von Aussage, eine Prädikationsart sei. Das
jedoch, was die Metapher, d.h. die metaphorische Aussage oder Äußerung,
beinhaltet, kann ein Symbol sein“.445 Die Beispiele von Kant sind in der Tat kris-
tallisierte Metaphern, d.h. metaphorische Ausdrücke, die sich in Worten ver-
festigt haben: „So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), Abhängen (von oben
gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich aus-
drückt: der Träger der Accidenzen), und unzählige andere nicht schematische,
sondern symbolische Hypotyposen und Ausdrücke für Begriffe nicht vermit-
telst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit dersel-
ben, d.i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung
auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt kor-
respondieren kann“.446
In den Wörtern kristallisiert sich somit ein metaphorischer Prozess, der
eine implizite Geschichte in sich birgt und als metaphorische Spur der Begriffe
angesehen werden kann.447 Diese metaphorische Bestimmung betrifft gerade
Begriffe, die Beispiele von Kategorien sind, wie Riedel betont: „Die kritische
Sprachreflexion klärt auf, wie wir uns Begriffe dieser Art gebildet haben; wobei
herauskommt, daß dies nicht wesentlich anders geschieht als in der Bildung

444 Die Frage, ob das Prinzip des §59 der Kritik der Urteilskraft, demzufolge die
Schönheit ein Symbol der Sittlichkeit ist, diese Spannung wiedergibt, würde uns
vom Thema abbringen. Eines ist sicher: Mit dem Symbol ‚Schönheit‘ denken wir
nicht unmittelbar an die ‚Sittlichkeit‘ und wir bedienen uns einer Metapher, um
eine symbolische Verbindung zwischen ihnen zu herstellen, die sich als Urteil ent-
faltet.
445 Rolf 2006, S. 51. Auch Sebastian Maly (2012, S. 204–211) nimmt Bezug auf Blu-
menberg.
446 Kant, KU, B 257, A 253f.
447 Gerade diese metaphorische Spur kann mit der Auffassung der Wahrheit in Ver-
bindung gebracht werden, die Nietzsche in der Schrift Über Wahrheit und Lüge im
aussermoralischen Sinne wie folgt vertritt (KSA, I, S. 880f.): „Was ist also Wahr-
heit? Ein bewegliches Herr von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen
kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch
gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem
Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von
denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinn-
lich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als
Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen“.
162
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

jener Begriffe, die nur eine Bezeichnung und nicht den Begriff der Sache aus-
machen (wie die Kategorien). Begriffsbildung geschieht grundsätzlich durch
Analogie.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Begriffen und Symbolen besteht außer-
dem darin, dass der Gebrauch der Begriffe auf einer immer nur vorläufigen
Auswahl bestimmter Merkmale basiert, was sie den Symbolen annähert, deren
Bildung ebenfalls auf einer Auswahl beruht, indem etwa ein Teil einer Sache
zum Verständnis des Ganzen herangezogen wird. So sind auch die Kategorien
– als Begriffe, die an sich rein a priori gebildet werden sollten – nicht frei von
Bezeichnungswörtern, die eine indirekte Darstellung miteinschließen. Da die
Kategorien nicht empirisch gebildet werden können, jedoch auch nicht angebo-
ren, sondern erworben sind, stellt sich insbesondere in ihrem Fall die Frage, wie
sie eigentlich gebildet werden. Nicht zufällig ist die Kategorienbildung ein
Aspekt, auf den Maimon und Herder zurückkommen, was hier im nächsten Teil
untersucht werden soll.
Die Sprache, der die beiden Darstellungsarten sich bedienen, ist dieselbe,
während die zur Darstellung gebrachte Erfahrung verschieden ist, weshalb eine
Bedingung eingeführt werden muss, um sie zu unterscheiden – und zwar die
Möglichkeit einer direkten (oder indirekten) Bezogenheit auf die Anschauung.
Dieses Kriterium lässt sich regulativ anwenden. Zwar kann man behaupten,
eine gewisse Aussage über Gott sei bestimmend (schematisch), doch ist man
damit für Kant im Irrtum, weil es von Gott nur eine indirekte Darstellung geben
kann. Wie lässt sich jedoch dieser Unterschied in Bezug auf eine bekannte und
eine unbekannte Wahrheit erklären? Nach Kant ist der allgemeinste Begriff ein
‚Etwas‘. Wie also kommt ein unbekanntes Etwas zu einer bestimmten begriff-
lichen Bezeichnung? Hier kommt dem metaphorischen Prozess eine konstitu­
tive Funktion in der Bildung der Begriffe zu. Diesbezüglich kann man zunächst
fragen, inwieweit ein symbolischer Prozess selbst wiederum eine neue Bestim-
mung hervorbringen kann.448
Im diskursiven Denken gibt es auf lexikalischer Ebene keine Unterschei-
dung zwischen Begriffs-Zeichen und Begriffs-Symbolen, weil beides Gestalten
sind, die in der Prädikation und in der Figuration zur Explikation gelangen.
Daher unterscheiden sich für Kant auf dieser Ebene auch Philosophie und Mathe-
matik voneinander. Für letztere funktionieren Zeichen wie feste Symbole, wäh-
rend erstere den diskursiven Charakter der Begriffe nicht überwinden kann, die
daher strukturell vieldeutig bleiben. Hier haben wir es mit einer Spannung zu

448 Insbesondere Emilio Garroni hat die Wichtigkeit des Beispiel-Begriffs bei Kant
hervorgehoben. Siehe dazu Garroni 1992, S. 142: „L’espressione ‘esempio’ […] aveva
tutti i requisiti per essere destinata a mutare profondamente l’orientamento gene-
rale della filosofia critica“.
163
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

tun, insofern unser Gebrauch diskursiver Begriffe dem von Symbolen ähnelt,
weil der diskursive Gebrauch es wegen seiner Vieldeutigkeit erfordert, dass eine
(potentiell) unendliche Reihe von Merkmalen in einer sinnlichen Gestalt einge-
schlossen und gleichsam kristallisiert wird. In diesem Zusammenhang schei-
nen die Begriffe den Sachen so anzuhaften, dass keine Reflexion erforderlich ist,
um sie verstehen zu können. Die Reflexion erfolgt jedoch vor der Bestimmung.
Sie ist von vorläufigem Charakter, der – wie bereits mehrfach erwähnt – die
Erkenntnis gegenüber dem Denken auszeichnet. Hier sind alle an sich nicht
widersprüchlichen Urteile möglich, von denen nur einige zu bestimmenden
Urteilen werden können, und zwar all diejenigen, die in den Anschauungen eine
(nach Kant reine, sinnliche oder empirische) Darstellung finden. Alle anderen
Urteile bleiben reflektierende Urteile. Die schematische Versinnlichung ist
insofern das Kriterium des Übergangs von der Reflexion zur Bestimmung.
Die Frage, inwieweit dies einen intersubjektiv geteilten Gebrauch impli-
ziert, der immer wieder reflektiert werden muss, ist später insbesondere in der
Auseinandersetzung mit Wittgenstein vertieft worden.449 Im §40 der Kritik der
Urteilskraft erklärt Kant die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes gerade als
ständige Rücksicht auf die Vorstellungen der anderen in der eigenen Reflexion,
„um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und
dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, wel-
che leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Ein-
fluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, dass man sein Urteil an ande-
re, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in
die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die
unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert“.450
Im Anschluss an die Analyse des Versinnlichungsprozesses müssen zwei
problematische Aspekte hervorgehoben werden: Erstens denke ich gezeigt zu
haben, inwieweit die symbolische Darstellung in den Schematismus eingeführt
werden kann und welche sprach- und erkenntnistheoretischen Konsequenzen
sich für den Schematismus daraus ergeben würden. Zweitens möchte ich den
Status des Gefühls betonen, dem die systematische Stellung eines ursprüng-
lichen, schematisierbaren, im Leib verankerten Bewusstseins zukommt, denn:

449 Diesbezüglich soll hier insbesondere auf das Buch von Sara Fortuna Die Philoso-
phie des Kippbilds hingewiesen werden, das den Unterschied zwischen schemati-
scher und symbolischer Darstellung in Bezug auf die Bedeutung des Kippbilds bei
Wittgenstein untersucht (2012, S. 25f.): „Das Entscheidende ist, dass es sich dabei
bloß um eine bestimmte Gebrauchsweise von Sprache handelt, deren Besonderheit
Kant gegenüber dem normalen Gebrauch (bei dem die Wörter „Charakterismen“
sind) hervorheben will. Hier findet sich das Modell vom Kippbild wieder, in dem ein
Wort mehrere Bedeutungen haben kann, und wir uns dessen auch bewusst sind“.
450 Vgl. Makkreel 1997, S. 202f.
164
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

„Ästhetik ist die philosophie über die Sinnlichkeit, entweder des Erkenntnisses
oder des Gefühls“.451 Eine solche Gestaltung liegt dem Ausdruck zugrunde und
kann primär in der Kunst realisiert werden, die eine Versinnlichung ‚ohne
Begriff‘ miteinschließt, d.h. einen expressiver Gebrauch, der nicht diskursiv ist.

2. Sc hemat isier u ng ‚oh ne Beg r i f f ‘


In §35 der Kritik der Urteilskraft führt Kant in Bezug auf das subjektive Prin-
zip der Urteilskraft als Prinzip des Geschmacks den Prozess einer Schematisie-
rung ohne Begriffe ein: „Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte
zugrunde liegt, so kann es nur in der Subsumption der Einbildungskraft selbst
(bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedin-
gungen, dass der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt,
bestehen. D.i. weil eben darin, dass die Einbildungskraft ohne Begriff schema-
tisiert, die Freiheit derselben besteht […]“.452 Es handelt sich um eine freie
Schematisierung, die keine Entsprechung im Begriff haben kann und nicht von
ihm ausgeht. Mit dieser Versinnlichung hängt für Kant vor allem die Problema-
tik derjenigen Mitteilbarkeit des Gefühls (der Lust am Schönen) zusammen, die
nur zur reinen Reflexion führen kann und die „weder eine Lust des Genusses,
noch einer gesetzlichen Tätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Kontemplation
nach Ideen“ ist. Somit finden wir bei Kant eine andere Dimension der Einbil-
dungskraft, die produktiv im Sinne einer ursprünglichen Schöpfung ist. In ihr
vollzieht sich eine Transformation der sinnlichen Bedingung zur Erzeugung des
Ausdrucks, und es sei hier nur nur flüchtig daran erinnert, dass Kant die Schön-
heit „den Ausdruck ästhetischer Ideen“ nennt.453 Hierbei werden komplexe
ästhetische Verhältnisse produziert, die wiederum von den Bedingungen der
sinnlichen Wahrnehmung abhängen, also von demjenigen Verhältnis zwischen
Anschauungen (Zeit und Raum) und Sinnen, das sich uns als das Kernstück der
Versinnlichung zeigt. Und auch hier ist der Ausdruck mit der Gestaltungsfunk-
tion der Sinnlichkeit verbunden, die sich der gleichen sinnlichen Strukturen der
objektiven Wahrnehmung bedient, nur dass sie diese als rein subjektive gestal-
ten kann.

451 Kant, AA XVII: 492. Insbesondere Stephan Otto (2008, S. 104) problematisiert
einen gewissen Ausschluss der subjektiven Empfindung aus den objektiven Gren-
zen der Erkenntnis durch Kant anhand der Kritik Jacobis, welcher beobachtet: „Die
Vollkommenheit der Empfindung bestimmt die Vollkommenheit des Bewußtseyns
mit allen seinen Modifikationen. Wie die Rezeptivität, so die Spontaneität, wie der
Sinn, so der Verstand“.
452 Kant, KU, B 145f., A 143f. Siehe dazu Wagner 2008, S. 155.
453 Kant, KU, B 203f., A 201f.
165
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

Im Ausdruck zielt diese Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit nicht auf


die objektive Erfahrung des Gegenstandes, sondern auf die gesamte subjektive
Erfahrung, der kein Begriff adäquat ist. Und diese ästhetische Erfahrung arti-
kuliert sich in der den einzelnen Sinnen eigenen Macht, einen radikal subjekti-
ven Ausdruck erzeugen und direkt Gefühle erwecken zu können. Diese Wir-
kungsweise hatte sich bereits am Beispiel des Sprachtons gezeigt, der sowohl zur
Bestimmung als auch zum Ausdruck von Gefühlen dienen kann. Kant beschreibt
damit eine spezifische Eigenmacht der Sinnlichkeit, die ihren Ausdruck in einer
Kunstlehre findet. Sie skizziert eine sinnliche Produktion, für die keine objekti-
ven Beispiele gegeben werden können. Es handelt sich um jeweils neue Produk­
tionen, die in der subjektiven Performativität der Sinnlichkeit ihren Ursprung
haben. Die Wahrnehmung des Bildes lässt sich dadurch weder auf die Erkennt-
nis des dargestellten Gegenstandes noch auf das diskursive Begreifen einer Idee
reduzieren, sondern enthält eine eigene Expressivität: die Farbe. Die Bedeu-
tungserfahrung des Lautes wiederum lässt sich weder auf die Erkenntnis einer
sprachlichen Bezeichnung noch auf die symbolische Interpretation einer ideel-
len Bezeichnung beschränken; ihre Expressivität umfasst mit dem (musika-
lischen) Ton qualitativ eine zeitliche Dimension.454 Und so hat auch die Bewe-
gung im Anschluss an den Tastsinn ihre eigene sinnliche Dimension, die nach
Kant der Gestaltung in der Plastik zugrunde liegt.455
Wie Gilles Deleuze bemerkt, betrifft diese Art von Schematisierung
jedoch nicht direkt die Materie als einzelne Farbe oder einzelnen Ton, sondern
die Komposition als ihre sinnliche Zusammensetzung und Gestaltung, anhand
derer nur die Form des Gegenstandes reflektiert wird.456 In der Aufteilung der
Künste hebt Kant gerade die Bedeutung dieser sinnlichen Qualitäten für das
Verhältnis zwischen Sinnen (Gehör, Gesicht und Tastsinn) und Künsten (Musik,
Malerei, Plastik) hervor – und mit ihnen das merkwürdige Phänomen, „dass
diese zwei Sinne, außer der Empfänglichkeit für Eindrücke, so viel davon erfor-

454 Ich erinnere an die Reflexion von Kant AA XV: 108, auf die ich mich schon in Kap.
II.5 bezogen habe: „Die Sinne sind entweder objectiv oder subjectiv. Die erstere
gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder Form (Gesicht und Gehör). Die letztere
entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht und Gehör“. Kant unterscheidet den Aus-
druck im Sprechen in Artikulation (Worte), Gestikulation (Gebärden) und Modu-
lation (Töne). Siehe dazu KU, B 205, A 203.
455 Vgl. Esser zur Bestimmung der Bewegung (1997, S. 174): „Der Begriff der Bewe-
gung ist daher aus der Reflexion auf unser Sehen erst gewonnen und bestimmt
nicht die Vorlage selbst oder prädeterminiert deren Apprehension, indem er sie in
das Schema zwingt. Das wird also erst in der Reflexion über das sinnliche Aufneh-
men, über die Akte des Sehens oder Hörens konstituiert“. Auf das Problem der
Bewegung werde ich im dritten Teil in Bezug auf das Körper-Schema zurückkom-
men.
456 Deleuze 2003, S. 86f.
166
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

derlich ist, um von äußern Gegenständen, vermittelst ihrer, Begriffe zu bekom-


men, noch einer besondern damit verbundenen Empfindung fähig sind, von
welcher man nicht recht ausmachen kann, ob sie den Sinn, oder die Reflexion
zum Grunde habe; und dass diese Affektibilität doch bisweilen mangeln kann,
obgleich der Sinn übrigens, was seinen Gebrauch zum Erkenntnis der Objekte
betrifft, gar nicht mangelhaft, sondern wohl gar vorzüglich fein ist“.457
Im Ausdruck zeigt sich also die eigene Macht der Sinnlichkeit, die in der
Kunst den Verstand sogar verwirren kann, wie Kant in der Anthropologie
anmerkt: „Der Reichtum, den die Geistesprodukte in der Redekunst und Dicht-
kunst vom Verstande auf einmal (in Masse) darstellen, bringt diesen zwar oft in
Verlegenheit wegen seines vernünftigen Gebrauchs, und der Verstand geräth oft
in Verwirrung, wenn er sich alle Acte der Reflexion, der hiebei wirklich, obzwar
im Dunkelen, anstellt, deutlich machen und auseinander setzen soll. Aber die
Sinnlichkeit ist hiebei in keiner Schuld, sondern es ist vielmehr Verdienst von
ihr, dem Verstande reichhaltigen Stoff, wogegen die abstracten Begriffe dessel-
ben oft nur schimmernde Armseligkeiten sind, dargeboten zu haben“.458
Wie an diesen Stellen paradigmatisch deutlich wird, schreibt Kant der
Sinnlichkeit also durchaus eine eigentümliche Macht zu, die sie als unabhängig
vom Begriff erscheinen lässt und die sogar als Herausforderung unseres begriff-
lichen Vermögens auftreten kann, insofern wir etwa vor der Aufgabe stehen,
mächtige oder uns bislang unbekannte Gefühle unter einen Begriff bringen zu
wollen. Somit wird die Bedeutungserfahrung durch drei Formen der transzen-
dentalen Produktion erweitert: erstens durch den Ausdruck der subjektiven
Empfindung, zweitens über die symbolische Darstellung und drittens durch die
schematische Darstellung. Diese drei intuitiven Ebenen konstituieren den gan-
zen Versinnlichungsprozess bei Kant.

3. D ie Per for mat iv it ät


der sy mb ol isc hen Ref lex ion
Das diskursive Denken steht vor der komplexen Herausforderung, transzenden-
tale Urteile formulieren zu müssen, die keine direkte Entsprechung in den
Anschauungen haben, und daher nicht empirisch überprüft werden können, die

457 Kant, KU, B 212f., A 210.


458 Kant, AA VII: 144f. Dazu bemerkt Claudio La Rocca (2003, S. 266): „In questa sin-
golare oscurità si muove lo schematismo estetico: nella strana penombra di un sen-
timento di sé che non è autocoscienza e di una lettura del fenomeno che non è pre-
dicazione, dunque che ha luogo senza la luce del concetto e che tuttavia toglie ogni
cecità al nostro rapporto con le immagini, le moltiplica, le rifrange, le fa parlare. In
questo gioco d’ombre l’immagine prende vita“. Siehe dazu auch Wagner 2008,
S. 131–142.
167
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

jedoch trotzdem Bedingungen der Erfahrung sind. Sie sind diskursiv, aber den-
noch keine Metaphern. Sie werden durch Reflexion erzeugt, also durch eine
derivative Art der Versinnlichung, zu der es lediglich der Worte bedarf. Bewe-
gen wir uns im Kreis?
Führen wir uns die verschiedenen Ebenen der Schematisierung noch
einmal vor Augen: Bei der empirischen Schematisierung ist der Übergang von
der Reflexion zur Bestimmung weniger problematisch. Genetisch gesehen ist er
möglich, weil die Reflexion den Status der Hypothese annehmen kann, die dann
empirisch überprüft wird. Dieser Prozess betrifft auch all diejenigen erworbe-
nen Begriffe, deren Gebrauch wir erlernen und fast für selbstverständlich hal-
ten. Im Falle empirischer Urteile können wir in der Regel zwischen einer
bestimmenden und einer metaphorischen Redeweise unterscheiden. Es handelt
sich um erstere, wenn sich empirische Gründe für das Urteil anführen lassen;
geht dies nicht, haben wir es mit einem metaphorischen Ausdruck zu tun, der
sich nur indirekt auf die empirische Realität bezieht.
Die sinnliche Schematisierung dagegen beinhaltet eine Konstruktion,
die sich grundsätzlich von der Bestimmung der empirischen Schematisierung
unterscheidet, da es in ihr zu einer vollkommenen Entsprechung zwischen Begriff
und Anschauung kommt. So gibt es eindeutige Regeln für die Konstruktion
etwa geometrischer Figuren – was sich für die Konstruktion von Diagrammen
nicht uneingeschränkt behaupten lässt, da letztere immer auch diskursive Kom-
ponenten enthalten. Die Konstruktion mathematischer Figuren erweist sich
daher als regulatives Ideal, an dem die Überprüfbarkeit der Erkenntnis restrik-
tiv gemessen werden kann.
Im philosophischen Denken ist hingegen im Unterschied zur empiri-
schen und sinnlichen Schematisierung keine Übereinstimmung von Begriff
und Anschauung möglich, weshalb die Begriffe auch nicht gebildet werden kön-
nen, indem von Anschauungen abstrahiert wird. Gleichzeitig aber handelt es
sich bei philosophischen Urteilen nicht – wie in der Mathematik – um Defi-
nitionen. Trotzdem können sie nicht einfach als metaphorisch beschrieben wer-
den, da in ihnen die Möglichkeit enthalten ist, bestimmend zu sein. Um die
Transzendentalphilosophie als bestimmend zu charakterisieren, verfolgt Kant
daher die Strategie, sie als Bedingung der Entstehung von Bedeutung auszuwei-
sen. Dies erfolgt auf propositionaler Ebene, auf der die Urteilskraft nicht rein
reflexiv, sondern bestimmend wirkt, was systematisch in den Grundsätzen aus-
geführt wird. Wir haben hingegen gesehen, inwiefern sich in einer Unter-
suchung des Schematismus die Gegebenheit der Begriffe als problematisch
erweist, die doch eigentlich Grundlage der Schematisierung sein sollte. Doch
der Schematismus leistet meines Erachtens nicht nur die Synthesis zwischen
Begriffen und Anschauungen – denn dies würde bereits die Gegebenheit von
Begriffen voraussetzen – sondern kann so aufgefasst werden, dass er gerade die
168
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Bildung von Begriffen ermöglicht. Begriffe formieren sich zunächst als laut­
liche Einheiten und werden folglich lautlich versinnlicht. Das gilt ausdrücklich
auch für reine Begriffe, d.h. also solche, denen keine Anschauung zugeordnet
werden kann, wenn Versinnlichung hier eben nicht diese mechanische Zuord-
nung bedeutet, sondern für den Prozess der Formierung des Begriffs als Wort-
laut steht – wobei mit Wortlaut verständlicherweise nicht allein die arbiträre
Form gemeint ist, sondern der grundlegendere Umstand, dass Begriffe erst in
ihrer sinnlichen (und das heißt vor allem: zeitlichen) Äußerung Realität haben
und nur so gedacht werden können. Obwohl somit das Resultat dieses Prozesses
als geschlossene Bestimmung erscheinen kann, impliziert der Prozess eine im
weitesten Sinne metaphorische Übertragung. Dem trägt eine Wendung aus der
Logik Dohna-Wundlacken Rechnung, die aus Sicht der Kritik der reinen Ver-
nunft zunächst überraschend erscheinen mag: „Die ersten Philosophen waren
Poeten. Es gehörte nämlich Zeit dazu, für abstrakte Begriffe Worte auszufin-
den, daher man anfangs die übersinnlichen Gedanken unter sinnlichen Bildern
vorstellte“.459
Die metaphorische Übertragung versinnlicht den ideellen Begriff und
kann Grund der Kristallisation sogar philosophischer Begriffe sein. Die Ver-
sinnlichung ist in diesem Fall ein Gebrauch. Wenn also der metaphorische Pro-
zess einerseits eine abgeleitete Funktion hat, indem er sich der Begriffe so
bedient, als ob sie vorgegeben wären, so hat er andererseits auch eine ableitende
Funktion, indem er die Begriffe selbst transformiert. Die symbolische Darstel-
lung erweitert den bestimmenden (im engsten Sinn schematischen) Gebrauch
der Begriffe, was deshalb möglich ist, weil beide Versinnlichungen urteilende
Tätigkeiten und Gebrauchsweisen sind. Es handelt sich daher um eine Sym-
bolisierung und nicht nur um eine Festlegung von Symbolen – ansonsten wäre
unser Denken eine Reihe von schematischen Abkürzungen ohne propositiona-
len Gebrauch. Durch den metaphorischen Prozess erst wird die Schematisierung
dynamisch, weil das Schema und die in ihm eingeschlossenen Prädikate zum
Zwecke neuer begrifflicher Konstellationen übertragen werden; somit „wirken
die sprachlichen und nicht-sprachlichen Metaphern hier ursprünglich-organi-
sierend. Sie entziehen sich der begrifflichen Positivierung“.460 Die im metapho-
rischen Prozess enthaltene Reflexion wirkt auch antizipatorisch, weil sie einen
bestimmten Inhalt extrapoliert und so die Darstellungskraft der Bedeutungs-
erfahrung erweitert,461 wie auch Fortuna anmerkt: „Metaphorische Ausdrücke
haben demnach kein wörtliches Äquivalent, sondern die primäre gegenständ­

459 Kant, AA XXIV: 698. Den Hinweis auf dieses Zitat habe ich Mirella Capozzi zu
verdanken, siehe insbesondere Capozzi 2006.
460 Abel 1993, S.83.
461 Vgl. Makkreel 2006, S. 242.
169
  VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

liche Bedeutung verschiedener Wörter wird mittels eines analogischen Prozes-


ses transformiert. Daher wird dieser Prozess, der gegenständliche Bedeutungen
in metaphorische Bedeutungen transformiert, als völlig natürlich und allen
Sprachen inhärent betrachtet“.462 Die symbolische Darstellung zeigt also durch
die Metapher eine fundamentale Verbindung zwischen Denken, Sprache und
Erfahrung auf, und sie zeigt vor allem, dass die Unterscheidung zwischen
Erkenntnis und Denken zunächst eine kritische und heuristische ist, die als
Hilfs­­mittel angesehen werden muss, um die verschiedenen Funktionen der
Sprache zu differenzieren. Insbesondere die Bezeichnungsfunktion der Sprache
soll daher im nächsten Kapitel näher beleuchtet werden.

462 Fortuna 2012, S. 172f.


V I I . Z eichen und S ymbol
als ‚G ebrauchsweisen‘ sinnlicher
G estalten

Der sprachliche Charakter der Vernunft und ihrer Begriffe ist der Ausgangs-
punkt für die Metakritik Hamanns am sogenannten Purismus der Vernunft,
und es ist zugleich einer der Kernpunkte der kritischen Auseinandersetzung
mit der kantischen Philosophie in der Nachfolge. Trotz der Tatsache, dass Kant
die Betrachtung der Sprache nicht in die Transzendentalphilosophie einführt,
finden sich in Kants Schriften zahlreiche Spuren zur Sprache, denen auch in der
Kantforschung immer mehr Beachtung geschenkt wird.463 Inwieweit Kant über
die Sprache geschwiegen hat oder inwieweit es unterschiedliche Phasen in sei-
nem Denken über die Sprache gibt, ist eine Frage, die in der Kantforschung
kontrovers diskutiert wird, wobei unterschiedliche Ursachen in Betracht gezo-
gen werden, um zu erklären, weshalb eine systematische Untersuchung der
Sprache bei Kant fehlt.464
Einige Aspekte der Sprachtheorie Kants sind bereits im Zusammenhang
der ersten zwei Kapitel erwähnt worden und sollen hier nur noch einmal kurz
zusammenfasst werden. Eine eigenständige Rekonstruktion kann an dieser
Stelle dagegen nicht unternommen werden. Mir geht es vielmehr darum, die
transzendentale Systemstelle zu beschreiben, an der eine Untersuchung der

463 Insbesondere Capozzi (2012) untersucht bei Kant das Verhältnis zwischen Begriff
und Wort und die Relevanz des Bezeichnungsvermögens für die Begriffsbildung.
Dazu auch Formigari 1994. Für eine Zusammenfassung der unterschiedlichen
Ansätze siehe auch Forgione 2006, S. 16–23.
464 Tullio De Mauro (1965) hat die Frage nach Kants ‚Schweigen‘ bezüglich der Sprache
aufgeworfen. Zur Kritik der kantischen Auffassung der Sprache ist sicherlich die
Untersuchung von Jürgen Villers (1997) erneut zu erwähnen, der eine ausführliche
Rekonstruktion der ‚historischen und systematischen Gründe für die Sprachlosig-
keit der Transzendentalphilosophie‘ entfaltet. Siehe dazu auch Paltrinieri 2009,
S. 141 und Nawrath 2010, S. 207f. Ob Kant eine Philosophie der Sprache vertreten
hat, ist die Frage des Aufsatzes von Michael Forster (2012), der diese Problematik
auf die unterschiedlichen Phasen des kantischen Denkens bezieht.
171
  VII. Zeichen und Symbol

Sprache zu verorten wäre.465 Gerade deshalb habe ich mich vor allem in der
Behandlung der Sinnlichkeit und des Monogramms auf die Sprache bezogen.
Zuerst soll die schon angedeutete Funktion der Sprache zusammengefasst wer-
den, um dann die Abgrenzung zwischen Darstellung und Bezeichnung bei Kant
angehen zu können. Die Sprache wurde hier zum ersten Mal in Bezug auf die
Behandlung des Unterschieds zwischen Urteil und Satz thematisch: beide sind
sprachlich und nur auf modaler Ebene zu differenzieren. Das bedeutet, dass es
nach Kant kein sprachloses Denken gibt. Mit dem Urteilen wird also die Sprache
zum Problem, und die Darstellung lässt sich nicht vom Urteilen trennen, sei es
bloß bestimmend oder reflektierend.
Das Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen, das sich direkt
oder indirekt im Urteilen realisiert, ist nicht willkürlich, weil die Darstellung
selbst bei Kant nicht willkürlich ist. Damit ist zugleich der grundlegende Unter-
schied zwischen Symbolen und Zeichen angesprochen, insofern letztere ein
willkürliches Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen herstellen und
dazu dienen, Begriffe hervorzurufen.466 Dass zwischen Zeichen und Symbol
eine klare Trennung vorgenommen werden sollte, geht bereits aus einer frühen
Bemerkung zu §440 der Vernunftlehre Meiers hervor. Zu Meiers Definition des
Zeichens als „signum, symbolum“467 präzisiert Kant wie bereits erwähnt: „Nicht
jedes Zeichen ist Symbol“.468
In der Kritik der Urteilskraft grenzt Kant die zwei Arten der Darstel-
lung sehr deutlich vom Bezeichnungsvermögen ab, das Charakterismen ver-
wendet, die „Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen“
sind und „die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten,
sondern nur jenen, nach dem Gesetze der Assoziation der Einbildungskraft, mit-
hin in subjektiver Absicht, zum Mittel der Reproduktion dienen; dergleichen

465 Daher bewegt sich meine Untersuchung im Horizont der transzendentalen Seman-
tik von Hogrebe (1976), der die Sprache in Bezug auf die Vermittlungsfunktion des
Schematismus behandelt. Vgl. Schönrich 1981. Siehe dazu auch Di Cesare 1997,
S. 183.
466 Wie schon erwähnt, heißt es in den Vorlesungen über die Metaphysik (AA XXVIII:
238): „Die Erkenntnis ist symbolisch, wo der Gegenstand in dem Zeichen erkannt
wird; aber bei der diskursiven Erkenntnis sind die Zeichen nicht Symbola, indem
ich in dem Zeichen nicht den Gegenstand erkenne, sondern das Zeichen mir nur die
Vorstellung von dem Gegenstand hervorbringt“. Rolf vergleicht (2006, S. 8) den
willkürlichen Charakter des Zeichens bei Kant mit dem Ansatz Saussures.
467 Meier, Vernunftlehre §440. In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeich-
nungskunst und die Gleichsetzung von ‚Zeichen‘ mit ‚signum, symbolum‘ bei
Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f.
468 Kant, R 3398a, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen“, d.h. als eine
„analogische Anschauung“ beschrieben. Diese Problematik ist von mir auch in
Kap. V.2.3 in Bezug auf die semiotische Deutung des Monogramms in Betracht
gezogen worden.
172
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sind entweder Worte, oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als
bloße Ausdrücke für Begriffe“.469 Somit wird nicht nur die Bezeichnung, die eine
bloß willkürliche Begleitung der Begriffe ist, auf die instrumentelle Funktion
der Zeichen reduziert, sondern auch die sprachliche Ausdrucksfunktion als solche
(abgesehen von der Dichtkunst). Dies erschließt sich ebenfalls aus der Unter-
suchung des Bezeichnungsvermögens in der Anthropologie, in der die symbo­
lische Darstellung von der Zeichenverwendung unterschieden wird: „Charaktere
sind noch nicht Symbole; denn sie können auch bloß mittelbare (indirekte) Zei-
chen sein, die an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf
Anschauungen und durch diese auf Begriffe führen; daher die symbolische
Erkenntnis nicht der intuitiven, sondern der diskursiven entgegengesetzt werden
muss, in welcher letzteren das Zeichen (charakter) den Begriff nur als Wächter
(custos) begleitet, um ihn gelegentlich zu reproduzieren“.470
Andererseits deutet Kant den Gebrauch der Zeichen im Zusammenhang
der engen Verbindung zwischen Zeit und Gehör. Dieses nimmt keine (visuelle)
Gestalt wahr; es richtet sich auf die abstrakte Form selbst und dient zur Bezeich-
nung des abstrakten Charakters der Begrifflichkeit. Die Dimension des Den-
kens ist schon immer eine der Sprache und diese ein innerliches Hören – wie
folgende Bemerkung Kants aus der Anthropologie zeigt:

„Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umgekehrt die vor-
züglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, dieses
größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen. Denken ist Reden mit
sich selbst […] folglich sich auch innerlich (durch reproductive Einbil-
dungskraft) Hören“.471

Diese Verbindung zwischen Denken, Hören und Zeit wurde in Bezug auf die
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit untersucht, um zu zeigen, dass sie in der
Konzeption der Einbildungskraft enthalten ist und eine wesentlich bedeutende-
re Stellung in der Erkenntnistheorie einnehmen sollte, als dies von Kant sugge-
riert wird, der sie zu Unrecht nicht in die Transzendentalphilosophie einführt,
wie hier argumentiert wurde. Diese Verbindung sollte entsprechend nicht der
reproduktiven, sondern der produktiven Einbildungskraft zugeschrieben wer-
den. Die Reproduktion dagegen ist für Kant eng mit der Assoziation und dem
Gedächtnis verknüpft.472 Wie bereits gezeigt werden konnte, nimmt Kant einen

469 Kant, KU B 255–256, A 252.


470 Kant, AA VII: 191.
471 Kant AA VII: 192.
472 Kant, AA XV: 818: „Die (wilkührlichen) Zeichen sind entweder stellvertretend
(vicaria) oder blos begleitende (associata). […] Jene sind die Buchstaben in der
Algebra, diese sind Gedächtniszeichen. Unter den letzten sind die Worte die beste,
weil sie an sich nichts bedeuten […]“.
173
  VII. Zeichen und Symbol

Primat des Gehörs bei der Verwendung von abstrakten Begriffen an, indem er
den Taubgeborenen die Fähigkeit zum Besitz abstrakter Begriffe abspricht.
Unter den Sinnen zeichnet sich das Gehör tatsächlich dadurch aus, dass es keine
Vorstellung des Gegenstandes hervorbringt, sondern sie nur begleitet, wie am
Beispiel der Hervorbringung der Gestalt durch das Sehen (das Gesicht) und den
Tastsinn erklärt werden konnte. Wenn wir die bis hier beschriebene Funktion
des Gehörs mit der oben genannten Bestimmung der Zeichen vergleichen, „die
an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf Anschauungen
und durch diese auf Begriffe führen“,473 kommen wir meines Erachtens zu fol-
gender Schlussfolgerung: Im Übergang vom konkreten Bild zum abstrakten
Wort spielen die Sinne eine zentrale Rolle. Und angesichts der begleitenden
Funktion des Gehörs ist dieser Übergang kaum von der sprachlichen Bezeich-
nung zu trennen, indem gerade das Gehör exakt die Eigenschaften der Zeichen
besitzt, nämlich nicht an der Gestalt des Gegenstandes beteiligt und zugleich
zeitlich zu sein. Gerade das Gehör, das – wie bereits erwähnt – „auf die Zeit ein-
schlägt“,474 begleitet alle Verstandesvorstellungen vom Objekt.
Die lautlichen Zeichen befinden sich im Einklang mit dem formalen
Charakter der akustischen Wahrnehmung und mit der zeitlichen Verinnerli-
chung wahrgenommener Merkmale. Trotzdem sind die Zeichen bloße Begleiter
dieser Wahrnehmung, die an sich eine begriffliche Gestaltung und keine zei-
chenhafte zu sein scheint. Den Zeichen kommt Kant zufolge dennoch eine
wichtige Funktion im Denken zu, da sie bestimmte Gedanken und Begriffe ins
Gedächtnis rufen. Ohne Zeichen könnten wir keine Begriffe verwenden, gerade
weil diese sonst keine Form hätten. Und – wie es in den Vorlesungen über Meta-
physik heißt – „Worter sind nicht symbola, denn sie geben kein Bild ab“.475 Mit
Sinnlichkeit bezeichnet Kant sowohl die Vorstellung des Gegenstandes durch
den Sinn (also in dessen Gegenwart), als auch diejenige Vorstellung ohne die
Gegenwart des Gegenstandes, welche die Einbildungskraft vollzieht. Daher bin
ich zu dem Schluss gekommen, dass die Sinne keine bloßen Rezeptoren sind,
sondern eine grundlegende Rolle in der Vorstellung der Gegenstände und, wie
wir anschließend sehen werden, für die Möglichkeit ihrer Bezeichnung spielen.
Dies ist ein Aspekt, der in der Kritik der reinen Vernunft nicht ausführlich
behandelt wird, da Kant die Anschauung dort unter Abstraktion von jeder empi-

473 Kant, AA VII: 191.


474 Kant, AA XV: 99.
475 Kant, AA XV: 710. Aber in der gleichen (zwischen 1775–1777 datierbaren) Refle­
xion 1486 beobachtet Kant: „In ieder Sprache bedeuten die Worter blos symbola
und durch diese die Verstandesbegriffe. Die Anschauung wird nicht dem symboli-
schen, sondern der Erkentnis durch Begriffe entgegengesetzt. Die symbolische
Vorstellung dient vielmehr zur Anschauung. Characteristisch ist ein Begrif, wenn
er den ganzen Unterschied ausdrückt“.
174
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

rischen Bestimmung untersucht; er ist jedoch in der Anthropologie und in den


auf die Anthropologie bezogen Reflexionen präsent. Hier bestimmt Kant die
Funktionen der Sinne in Bezug auf die Vorstellung der äußeren Gegenstände
und die Erkenntnis der abstrakten Begriffe. Ich habe gezeigt, wie vor allem die
zeitliche Dimension des Gehörs eine Verinnerlichung der Sinnesdaten ermög-
licht. Denken, Sprechen und Hören sind über ihre zeitlichen Eigenschaften
wesentlich verbunden.
Die Abgrenzung zwischen der Konkretheit der Bilder und der Abstrakt-
heit der Begriffe spielt im Schematismus deshalb eine entscheidende Rolle,
weil das Schema als Gestalt den Übergang vom Bild zu demjenigen Begriff
ermöglicht, dem keine Bilder entsprechen. Meiner Meinung nach liegt das
Hauptinteresse Kants darin zu vermeiden, dass der Schematismus auf eine
Bedeutungsgebung reduziert wird, in der die Bedeutung mit einem festen Sym-
bol identifiziert wird, das einem Bild ähnelt. Im Allgemeinen würde sich ohne
Schematismus die Prädikation der Realität entweder auf rein fiktionale Begriffe
einer privaten Sprache beschränken, oder sie würde auf eine enttäuschende
Suche nach der notwendigen Objektivität des sinnlichen Datums hinauslaufen.
Die transzendentale Bestimmung der Zeit und des Raumes in Zusammenhang
mit dem Gehör- und dem Gesichtssinn zeigt zunächst, inwiefern in der schema-
tischen Bedeutungsgebung immer schon die abstrakte phonetische Gestalt und
die konkrete bildliche Gestalt involviert sind. Der Schematismus ermöglicht
folglich gerade als Versinnlichung den Übergang vom Bild zum Begriff, ohne
dabei die semantische und semiotische Funktion von Bildern und Wort-Lauten
aufeinander zu reduzieren. Und diese Funktion lässt sich grundsätzlich nicht
von der Sprache als Bedingung des semantischen Bezugs zur Welt trennen. Es
mag vielleicht überraschen, dass Kant in einer Reflexion zur Anthropologie
schreibt:

„In unsrer Muttersprache sind wir von den sachen zu Worten, in einer
fremden von den Worten zu Sachen gekommen; daher in der unbekann-
ten die Worte die Sachen und alsden dadurch die Muttersprache geben,
aber umgekehrt nicht“.476

Ich denke, dass gerade diese Reflexion die grundlegende Rolle der Sprache bei
Kant hervorhebt, die sich als Bedeutungsgebung auf den Prozess des Schema-
tismus gründet, bei dem es sich nicht um einen Anpassungsprozess handelt, in
dem die Bedeutung als solche schon vorgegeben ist, sondern sich erst in der
Gestaltung realisiert. Daher stellt der Schematismus einen Referenzprozess dar,
in dem das Schema den Begriff bedeutet und im Erlernen der Sprache zugleich
Zugang zur Sache ist.

476 Kant, AA XV: 147.


175
  VII. Zeichen und Symbol

Das Zeichen ist für Kant nicht am Inhalt der Vorstellung beteiligt. Ihm
kommt als Resultat einer willkürlichen Beziehung eine formale Funktion zu,
die jedoch bei Kant eine bloße Begleitung der Begriffe durch Wörter ist. Und
diese Begleitung setzt schon einen Gebrauch der Sprache voraus. Das ist der
Grund, warum ich mich von Kant distanzieren und im folgenden, dritten Teil
der Untersuchung auf Zeichen und Symbole als Gebrauchsweisen sinnlicher
Gestalten beziehen werde. Denn Zeichen und Symbole sind selbst wohlgemerkt
keine Gestalten, sondern können als solche gebraucht werden, was darauf hin-
weist, dass ihnen eine Funktion in Gebrauchs- und Interpretationspraktiken
zukommt. Daher ist Kants strikte Trennung zwischen Zeichen und Symbolen
meines Erachtens zwar ernst zu nehmen, wobei jedoch präsent gehalten werden
muss, dass er ihren Status als Gebrauchsweisen und mithin als transzendentale
Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung gerade nicht sieht, was
letztlich dazu beiträgt, dass die Sprache und das Zeichen innerhalb der kanti-
schen Systematik von nur geringer Relevanz sind. Nur am Rande soll erwähnt
sein, dass die wesentliche Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung
auch Konsequenzen für Kants Beurteilung der unterschiedlichen Sprachen hat –
wie aus den Vorlesungen über die Anthropologie (schon aus den Jahren 1772/1773)
deutlich hervorgeht: Während die griechische Sprache durch die lautliche Arti-
kulation die Abstraktheit der Begriffe erreichen kann, wird das Chinesische von
Kant als eine Sprache beschrieben, die der Starrheit des Bildes verhaftet bleibe
– dieselbe Starrheit, die den ersten Spracherwerb bei Kindern auszeichnet.
Anhand der sprachphilosophischen Versuche Humboldts und Hegels, die es im
nächsten Teil der Untersuchungen zu berücksichtigen gilt, wird deutlicher wer-
den, inwieweit Kants Trennung zwischen Darstellung und Bezeichnung zur
negativen Beurteilung sowohl des Sprachgebrauchs bei Taubgeborenen als auch
des Chinesischen führt. Insbesondere Humboldts ‚antisemiotischer Ansatz‘ und
seine Annahme einer dynamischeren Verbindung zwischen Darstellung und
Bezeichnung werden sich als ein schlüssigerer Ansatz hinsichtlich der Artiku-
lation erweisen, die nicht mit der Begleitungsfunktion der Zeichen zu verwech-
seln ist.477

477 Siehe dazu Kant, AA XXV, II: 126, 338. Siehe dazu insbesondere Kap. IV des zwei-
ten Teils. Diese konstitutive Auffassung der Bezeichnung in Bezug auf den doppel-
ten Schematismus bei Kant ist der Ausgangspunkt für Sara Fortuna in ihrer Unter-
suchung zum Problem des Kippbilds. Sie beobachtet (2012, S. 37): „Die Beziehung
nämlich, die ursprünglich zwischen sinnlichem Schema und symbolischem Schema
besteht, ist keineswegs willkürlich und ebenso wenig ikonisch (in der allgemeinen
Bedeutung von Ikonizität als natürlicher Ähnlichkeit). Es handelt sich vielmehr um
eine Verbindung von Bedeutung und Zeichen, die a posteriori auf die Verdoppelung
der ersten Ebene der Wahrnehmung, die von der Einbildungskraft hervorgebracht
wird, aufbaut und weshalb alle, die eine Sprache beherrschen, Lautbild und Bedeu-
tung als miteinander verknüpft empfinden; die Verbindung von Bedeutungen und
176
  Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die zeitliche Natur des Zeichens lässt sich nicht auf die „Erkenntnis des
Gegenwärtigen als Mittel der Verknüpfung der Vorstellung des Vorhergesehen
mit der des Vergangenen“478 verkürzen, wie Kants Definition des Bezeichnungs-
vermögens lautet. In transzendentaler Hinsicht ist also eine produktive zeitliche
Dimension des Zeichens anzunehmen, die Kant nicht in seine Erkenntnistheo-
rie einbettet, in der Zeit und Raum als transzendentale Anschauungen gelten.479
In der Anthropologie hingegen lässt sich eine solche Dimension erkennen, die
ich unter dem Oberbegriff eines Prozesses der Versinnlichung in die Transzen-
dentalphilosophie einführen möchte. Die Gründe dafür werden meines Erachtens
von Kant selbst bereitgestellt – und zwar in seinen Überlegungen zum Zusam-
menhang zwischen Anschauungen, Sinnen und Begriffen. Zugleich lassen sich
auf diese Weise die offenen Probleme des Schematismus erklären, der ohne die
Annahme einer solchen Versinnlichung nicht als Prozess der Gestaltung von
Bedeutungserfahrung verstanden werden kann. Im nächsten Teil der Unter-
suchung werde ich zeigen, dass die metakritischen Revisionsversuche gerade
darauf zielen, die eigentümliche Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit und mit
ihr der Sprache hervorzuheben.480

Lauten wird von den Sprechenden als notwendig wahrgenommen, ohne dass dies
auf eine objektive Begründung zurückgeführt werden könnte“.
478 Kant, AA VII: 191.
479 Reinhard Brandt (1994, S. 31) bezieht diese Zeit-Problematik im Allgemeinen auf
die Unterscheidung zwischen Transzendentaler Ästhetik und Anthropologie:
„Hierauf beharrt die Anthropologie und nötigt damit die ‚transzendentale Ästhe-
tik‘, sich in folgender Alternative zu entscheiden: Entweder werden Raum und Zeit
aus der perspektivlosen Anschauung eines omnipräsenten Wesens entwickelt, oder
aus der Perspektivbindung des Menschen. Wenn das letztere der Fall ist, gehören
zu den notwendigen Vorstellungen beim Raum ein jeweiliges Hier und bei der Zeit
die modalen Zeitbestimmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie
sie in der kantischen Anthropologie tatsächlich entwickelt werden, während die
‚Transzendentale Ästhetik‘ sie rigoros ausschließt“.
480 Riedel 1989, S. 60.
R evision
des S chematismus in
der N achfolge K ants
Im vorherigen Teil habe ich die Schematismuslehre untersucht und dabei ins-
besondere zwei unterschiedliche Formen der Darstellung beschrieben: Die
schematische und symbolische Darstellung bilden Kants Lehre einer doppelten
Versinnlichung, die er wiederum vom Bezeichnungsvermögen abgrenzt. Der
Schematismus artikuliert sich zwischen der Konkretheit der einzelnen Anschau-
ungen und der Abstraktheit der Begriffe, und ihm wird die schwierige Aufgabe
zugeschrieben, die Bedingung der Bedeutung zu sein, ohne dabei jedoch die
irreduzible Unbestimmtheit der einzelnen Anwendungen aufzuheben. Der
Schematismus ermöglicht die Bestimmung eines partikulär Erkennbaren, aber
er löst sich nicht in ihm auf. Er lässt das Denken zur Erkenntnis gelangen, ohne
dadurch die Erfahrung des Partikularen auf ein hypostasiertes Allgemeines zu
reduzieren, dem keine Veränderungen zukommen. Er ermöglicht den Übergang
von einzelnen Anschauungen zu Begriffen durch Gestaltungsformen (wie Bil-
dern, Zeichen, Wörtern). Er kann jedoch nicht mit diesen Gestaltungsformen
gleichgesetzt werden, weil er die Methode der Gestaltung selbst ist, in der letzt-
lich der spezifische Gehalt der einzelnen Anwendungen nicht vorgeschrieben
werden kann. Dabei ermöglicht er die Bedeutungsgestaltung, die sich weder von
den Gestaltungsformen noch von deren Gebrauch ablösen kann. Doch dieser
Gestaltungsprozess selbst wird von Kant nicht ausführlich entfaltet.
In der Tat scheint Kant in der Kritik der Urteilskraft für die ausschließ-
liche Beschränkung des Schematismus auf das reine Erkenntnisvermögen zu
argumentieren: Der Schematismus ist dort nur für die Anschaulichkeit der rei-
nen Verstandesbegriffe zuständig, also nicht mehr für die empirischen Begriffe
und sowieso nicht für die Vernunftbegriffe, welche nur durch Symbole versinn-
licht werden können. Und in der Anthropologie wiederum werden diese Gestal-
tungsformen, trotz ihrer Untersuchung im Zusammenhang von Sinnlichkeit,
Einbildungskraft und Bezeichnungsvermögen, nicht in das System einer trans-
zendentalen doppelten Versinnlichungslehre eingeführt. Dort werden auch die
180
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Gestalten der Dinge, „so fern sie nur zu Mitteln der Vorstellung durch Begriffe
dienen“, als Symbole und die daraus resultierende Erkenntnis als „symbolisch
oder figürlich (speciosa)“ bezeichnet.1 Die anthropologische Untersuchung ist
jedoch außerhalb des Systems situiert, obwohl sie möglicherweise mit diesem
kompatibel wäre. Somit wird der Schematismus selbst nicht zum prozessualen
Verbindungsfaden der Gestaltungsformen, der er potentiell hätte sein können.
Der gestalterische Charakter der schematischen und symbolischen
Erkenntnis kann daher als eine von Kant offen gelassene Problematik angesehen
werden, die er selbst in gewisser Weise im Opus Postumum anspricht, wenn er
behauptet, dass „Ideen Dichtungen sind“.2 Diese in der unmittelbaren Nachfol-
ge Kants unbekannte Behauptung über den dichterischen Charakter des Den-
kens wird hingegen zum Leitmotiv der Revision seiner Philosophie. Sie wird als
ein systematisches Erfordernis angesehen, das nicht nur den Status der Ideen
selbst, sondern im Allgemeinen die ganze Architektonik der kantischen Phi-
losophie betrifft und von einer gewissen – oft dualistisch gedeuteten – Auffas-
sung von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit ausgeht, die es weiter zu entwickeln
gelte. Die von mir bislang als heuristisch bezeichnete ‚isolierende Methode‘
Kants wird damit zum erkenntnistheoretischen Problem erhoben. An dieser
Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die genetische Bestimmung der Trans-
zendentalphilosophie eine Reaktion auf Kant ist, obwohl Kant selbst bereits die
für diese Bestimmung notwendige transzendentale Wende geschaffen hat. Der
Versuch, die unterschiedlichen Bestandteile dieses Prozesses heuristisch zu
trennen, kann als transzendentaler Versuch gedeutet werden, vor dem eigent-
lich semantischen Prozess selbst die Bedingungen seiner Gestaltung auszu­
buchstabieren. Das kantische System stellt meines Erachtens die Grundlagen
für diese semantische Interpretation der Transzendentalphilosophie bereit und
enthält bereits das ihr eigentümliche Potential, das es allerdings zu explizieren
gilt. Diese Perspektive – die von Anfang an profiliert wurde – führt meine
Untersuchung damit notwendigerweise über die primär interne Rekonstruktion
der kantischen Philosophie hinaus, wie sie im ersten Teil durchgeführt wurde.
Im zweiten Teil der Untersuchung wird die Umgestaltung der Schema-
tismuslehre in der Nachfolge Kants untersucht. Diesbezüglich möchte ich zwei
unterschiedliche Ansätze zur Untersuchung heranziehen: Erstens werde ich
zeigen, dass in der Nachfolge Kants Schematismuslehre mit dem Ziel revidiert
wird, einen Ort für die Sprache im weitesten Sinne zu schaffen und eine radikal
prozessuale Auffassung des Denkens zu entwickeln. Zweitens werde ich gegen
Ende der Darstellung dieser Revisionsversuche erklären, inwieweit diese Auf-
fassung mit der Schematismuslehre als Versinnlichungslehre kompatibel ist. Ich

1 Kant, AA VII: 191.


2 Kant, AA XXI: 101 (Hervorhebung L.G.).
181
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

möchte also die Schematismuslehre Kants heranziehen, um zu erklären, inwie-


weit die Revision ihrer Funktion nach zu einer Erweiterung und Prozessualisie-
rung der Transzendentalphilosophie führt. Bedeutende Aspekte der Schematis-
muslehre werden somit erneut in Betracht gezogen, um sie mit den Meta­kritiken
der kantischen Philosophie zu konfrontieren. Gleichzeitig möchte ich erklären,
inwieweit die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, der Sprache und der sym-
bolischen Erkenntnis in Bezug auf den Schematismus thematisiert werden
kann. Die Kriterien dieser Revision können mit Cassirers Worten wie folgt
zusammengefasst werden:

„Alle ‚Metakritik‘, die gegenüber der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ ver-
sucht wurde, knüpfte immer wieder an diesen Punkt (Sprache) an und
versuchte, von ihm aus das kantische System aus den Angeln zu heben.
[…] Und doch hat die ‚Kritik der reinen Vernunft‘, obwohl sie selbst den
Problemen der Sprache fernstand, durch die mittelbaren Wirkungen, die
von ihr ausgegangen sind, auch die Form der Sprachphilosophie ent-
scheidend umgestaltet“.3

Ich werde mich im Folgenden häufig auf die transzendentale Stellung des
Schematismus beziehen, womit der Schematismus als Bedingung der Bedeu-
tung gemeint ist, die durch die Einbildungskraft gestaltet wird. Ich beziehe mich
damit nicht direkt auf den Schematismus, weil dieser in der Nachfolge meist für
überwindbar oder gar für überflüssig gehalten wird. Trotzdem sollen die Kon-
sequenzen dieser Überwindungsversuche untersucht und zugleich gezeigt wer-
den, dass die Schematismuslehre in der Nachfolge zu Unrecht als verzichtbar
beschrieben wird.
Mein Vorhaben ist es hier, den philosophischen Wert dieser Umgestal-
tung der Schematismuslehre aufzuweisen, die nur auf den ersten Blick statisch
zwischen Bildern und Begriffen situiert ist, bei genauerem Hinsehen jedoch
dynamisch, in ständiger Wechselwirkung zwischen transzendentalen Bedin-
gungen, Prozessen und deren Produkten zur Entfaltung kommt. Im Schema-
tismus findet man tatsächlich diejenige alte Spannung zwischen energeia und
ergon wieder, die seit Aristoteles diskutiert und insbesondere von Humboldt in
Bezug auf die Sprache untersucht wird. An dieser Stelle sollte daher angemerkt
werden, dass die Kritik des statischen Charakters des Schematismus in den
Revisionsversuchen der kantischen Philosophie mit der Betonung des entschei-
denden Gestaltungscharakters der Sprache einhergeht; die Sprache wird gewis-
sermaßen zum Synonym des Schematismus. Gleichwohl sollte dessen semanti-
sche Dimension nicht grundsätzlich auf den sprachlichen Gebrauch eingeengt
werden, da sie auch andere, nicht-diskursive Gebrauchsweisen miteinschließt,

3 Cassirer, ECW, 16, S. 108f.


182
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

wie sie zum Beispiel im Erkennen von Bildern auftreten. Der Schematismus ist
vielmehr auf noch zu erläuternde Weise Bedingung der Sprache. Dieser Aspekt
wird etwa von Schelling aufgegriffen, wenn er im System des transzendenta-
len Idealismus anmerkt, dass sich aus der Notwendigkeit des Schematismus
schließen lasse, „dass der ganze Mechanismus der Sprache auf demselben beru-
hen wird“.4
Im Allgemeinen kann man mit Blick auf die Kritik an Kant behaupten,
dass die Vermittlungsfrage des Schematismus deshalb als ein Problem der Spra-
che weiterentwickelt wird, weil in der Sprache der Anschauungsbezug immer
schon impliziert ist. Dennoch ist bislang bereits deutlich geworden, dass der
Schematismus nicht uneingeschränkt mit einer Vermittlungsfrage zu identifi-
zieren ist, obwohl die von Kant angewandte isolierende Methode leicht zu einer
solchen Überzeugung führen kann. Der Schematismus lässt sich nicht auf seine
sprachliche Dimension reduzieren, weil er einen Prozess der Artikulation und
Gestaltung von Bedeutung zwischen Bildern und Wörtern umfasst und daher
über eine semiotische Weite im Sinne eines allgemeinen Bezeichnungsprozes-
ses verfügt, die Bedingung der Sprache selbst ist. In der Nachfolge wird gerade
diese semiotische Deutung des Schematismus nicht nur mit Blick auf die Spra-
che, sondern vor allem auf die Anschauungsbezogenheit des Denkens hervor-
gehoben. Gerade deswegen ist die Auffassung der Sprache in der Nachfolge
Kants nicht nur eine Erweiterung oder Ergänzung, sondern eine Umgestaltung
der Philosophie Kants, welche die Erkenntnistheorie im Ganzen betrifft. Daher
halte ich diese Umgestaltung nicht nur für eine wichtige Phase innerhalb der
Geschichte der Erkenntnistheorie, sondern auch für ein noch immer aktuelles
Problem zeitgenössischer Erkenntnistheorien – vor allem unter Berücksichti-
gung des Verkörperungsansatzes, der im dritten Teil kritisch behandelt wird.
Die von mir getroffene Auswahl an Ansätzen, welche die kantische Phi-
losophie rezipiert, revidiert und transformiert haben, ist verständlicherweise
nicht erschöpfend, da etwa auf Reinhold, Jacobi, Schleiermacher, Schelling und
Fichte nicht ausführlich eingegangen wird. Außerdem wären Denker zu berück-
sichtigen, die abgesehen von Kant, vor Kant und zur Zeit von Kant alternative
Ansätze entwickelt haben. Beispiele sind Giambattista Vico, der in La scienza
nuova eine performative Auffassung der Sprache, der Zeichen und der Einbil-
dungskraft vertritt,5 oder Francis Bacon, der den Schema-Begriff ebenfalls ver-
wendet und später ein wichtiger Bezugspunkt für Herder sein wird.
Viele Denker in der Nachfolge Kants jedoch erwähnen den Schematis-
mus entweder gar nicht oder nur flüchtig und entwickeln dennoch ihre Ansätze

4 Schelling, SW, 3, S. 509.


5 Siehe dazu den von Jürgen Trabant herausgegebenen Sammelband Vico und die
Zeichen (1995).
183
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

gerade um diesen prozessualen Kernpunkt herum. Insbesondere die Denker, die


ich behandeln werde, haben diesen Kernpunkt in Bezug auf die Sprache thema-
tisiert. Zwei Kriterien haben die Untersuchung angeleitet. Berücksichtigt wer-
den nur solche Revisionsansätze der kantischen Schematismuslehre, die (1.) den
transzendentalen Prozess, der bei Kant von der doppelten Versinnlichung und
ihrem Verhältnis zum Bezeichnungsvermögen ausgeübt wird, auf genetische
Weise bestimmen und die (2.) die Umgestaltung dieses transzendentalen Pro-
zesses auf die Sprache als Artikulation der Bedeutung zwischen Bild, Symbol
und Zeichen beziehen. Die Kombination der beiden Kriterien kann folgender-
maßen ausbuchstabiert werden: In diesem Teil der Untersuchung geht es um
die in der Nachfolge Kants durchgeführte, genetische Umgestaltung des trans-
zendentalen Prozesses (des Schematismus) in Bezug auf die Sprache als Arti-
kulation der Bedeutung zwischen Bild, Symbol und Zeichen.
Die Ansätze, die aus dieser Auswahl hervorgehen, sollen als Zwischen-
stationen des Argumentationsweges, der in diesem Teil eingeschlagen wird,
vorab kurz skizziert werden. Salomon Maimon kehrt die Philosophie Kants in
dem Versuch um, einen rationalistischen Dogmatismus und einen empirischen
Skeptizismus zu vertreten. Die Erweiterung der Dimension des Denkens geht
mit einer Auffassung der Realität einher, die sich von der Voraussetzung der
sinnlichen Gegebenheit der Erfahrung emanzipiert. Die Realität ist insofern ein
Gemachtes und betrifft auch die Ideen, die eine unendliche Annäherung impli-
zieren, welche Maimon mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung bringt
und folglich eine Lehre der gedichteten Begriffe entwickelt, deren Realität allein
durch den unendlichen Verstand gesichert ist. Trotz der starken Gewichtung der
konstruktiven Einbildungskraft und der symbolischen Prozesse, die Maimon
eine gewisse Achtung Fichtes einbringt,6 reduziert er die Anschauungen auf
rationale Bestimmungen, die wiederum nicht als prozessuale Bedingungen des
endlichen Denkens begründbar sind.
Die Metakritik Hamanns hingegen betrifft eine eigentümliche, tief
sinnliche Materialität der Sprache, die jedoch im Unterschied zu Maimon theo-
logisch begründet wird. Maimon und Hamann stellen meines Erachtens zwei
Seiten derselben Problematik dar, und zwar die eines Denkens, das – nach Mai-
mon formaliter und nach Hamann materialiter – von einer symbolischen
Rationalität geprägt ist, die jedoch nicht durch die dem Denken eigene Prozes-
sualität allein gewährleistet werden kann. So gesehen stellen beide Ansätze eine
spezifische Überschreitung derjenigen ontologischen Grenzen des kritischen
Denkens dar, die bei Kant dem Problem der synthetischen Bedingungen der

6 Fichte (GA, IV, 3, S. 32) bezieht sich auf Maimon, um die Relevanz der Konstruk­
tionsmethode hervorzuheben. Dieser Aspekt wird von Engstler 1990, S. 243–260
und Beiser 2003, S. 233–247 behandelt.
184
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Erfahrung a priori zugrunde liegen. Herder wiederum entwirft eine Sprach-


lehre, die nicht nur auf Abbildung, sondern primär auf die Gestaltung des Den-
kens abzielt. Daher entwickelt er eine Metakritik des Schematismus als einer
sinnlichen Gestaltung, in der vom Bild ausgehend der Weg zum Begriff gebahnt
wird. Damit verbindet Herder die Ansätze von Hamann und Kant, indem er die
Materialität der Empfindung in den Gestaltungsprozess der Reflexion mitein-
bezieht.7 Und trotzdem erreicht diese Reflexion als Gestaltungsprozess nicht die
Ebene des Symbolisch-Transzendentalen, sondern wird von Herder vor allem
auf die Kunst und das Gefühl bezogen. Herder offenbart insofern schlicht ein
anderes philosophisches Interesse als Kant, da es ihm nicht um eine transzen-
dentalphilosophische Bestimmung einer der Sprache zugrundeliegenden Pro-
zessualität geht. Auch der Ansatz Humboldts ist von einem tief sprachlichen
Interesse motiviert, jedoch von einer gewissen Immanenz geprägt, weil Sinn-
lichkeit und Spontaneität in der Sprache vereinigt werden, die sich durch das
Wort zwischen Bild und Zeichen artikuliert. Der Fokus liegt damit auf derjeni-
gen Tätigkeit der Sprache, die das Denken prägt und strukturiert. Diese Tätig-
keit wird schließlich zum Hauptinteresse Hegels: sie bildet den Kern seines
Geistbegriffes, dessen Bewegung zugleich als eine eminent sprachliche erscheint.
All diese Ansätze setzen sich demnach auf unterschiedliche Weise mit dem Pro-
blem der Spontaneität des Denkens in dem Versuch auseinander, sie zu begrün-
den und bis in ihre sinnlichen Gestaltungen zu verfolgen. Hegel steht nicht
etwa deshalb am Ende dieses Weges, weil es nach Hegel kein Sinn mehr hätte zu
philosophieren, sondern weil er in gewisser Weise zu Kant zurückkehrt, und
zwar zum Problem der Funktion der Anschauung, der Sprache und der Einbil-
dungskraft im Denken, deren Verhältnis ich deshalb im dritten Teil eine eigen-
ständige Untersuchung in Bezug auf die Verkörperungstheorie von Mark John-
son und George Lakoff widmen werde.
Diese unterschiedlichen Ansätze bilden die Konturen einer Konstellati-
on von Themen, die ich hier als wiederkehrende Motive bezeichnen möchte. Der
Ausgangspunkt vieler der Metakritiken betrifft in erster Linie die Einbildungs-
kraft in dem Versuch, den als ontologisch rezipierten Dualismus einerseits zwi-
schen Sinnlichkeit und Verstand, andererseits zwischen produktiver und repro-
duktiver Einbildungskraft zu überwinden.8 Dieser Versuch einer Erweiterung
der Funktion der Einbildungskraft führt erstens zu einer Neugewichtung der
Konstruktionsmethode, zweitens zur Priorisierung der Anthropologie gegen-
über der Psychologie und motiviert drittens die Einführung und Einbettung der

7 Siehe dazu Cassirer, ECW, 4, S. 117: „Man könnte die Ableitung der Sprache aus
Affekt und Leidenschaft das Hamannsche Moment, ihre Rückführung auf die
Kraft der Reflexion und Besonnenheit das kantische Moment in Herders Spracht-
heorie nennen“.
8 Siehe dazu Metz 1991, S. 382–386.
185
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Sprache in die Erkenntnistheorie, die gleichzeitig durch ihre anthropologische


und sprachliche Erweiterung nicht vom Denken und der Vernunft abzulösen ist.
Auf diese Weise wird auch die weitergehende Kritik der kantischen Unterschei-
dung zwischen Verstand und Vernunft sowie zwischen Mathematik und Phi-
losophie verständlich, die etwa Herder äußert: „Auch die Philosophie konstru-
iert Begriffe, zwar nicht durch Linie oder andre mathematische Zeichen, aber
durch Worte“.9
Die Sprache steht nun in einer engen Verbindung mit der Tätigkeit des
Denkens und kann nicht als ein bloßes Produkt oder Ausdrucksmittel angese-
hen werden. Folglich lässt sich die Sprache auch nicht von ihrem Gebrauch tren-
nen. In diesem Rahmen wird die Funktion des Zeichens und des Symbols in der
Bildung der Begriffe betont und somit der nachrangige Charakter der Begriffe
– sogar der reinen Begriffe wie etwa der Kategorien – in den Vordergrund
gerückt, da ihre Gegebenheit nicht schlicht vorausgesetzt werden kann und mit
der Sprache im weitesten Sinne in Verbindung steht. Die Tätigkeit der Sprache
und im Allgemeinen des Denkens wiederum wird auf eine bestimmte Auffas-
sung der Sinnlichkeit bezogen, die eine eigene Gestaltungsfunktion ausübt, die
den ganzen Mensch prägt und eng mit der Erlernung der Sprache verbunden ist.
Dieser holistische Ansatz konfrontiert die Transzendentalphilosophie daher mit
der historischen Dimension des Denkens, seiner Relativität und der Verschie-
denheit der Sprachen in dem Versuch, auf diese Weise das Verhältnis zwischen
Anthropologie, Ontologie und Wissenschaft genauer ausbuchstabieren zu kön-
nen.10 Zusammenfassend wird der Schematismus also mit der produktiven,
holistischen und sprachlichen Auffassung der kognitiven Prozesse konfrontiert,
durch die Begriffe zur Gestaltung gelangen.
Durch diese Konstellation kommen nun dem Schematismus neue Auf-
gaben und Aktionsradien zu. Und trotzdem wird sich am Ende dieses Teiles
zeigen, dass er weiterhin als der transzendentale Prozess der Bedeutungserfah-
rung gelten kann. Ungeachtet dieser Zielvorgabe soll die Betrachtung der
Ansätze weder als eine schlicht historische Progression, noch als ein Argu-
mentationsweg im engeren Sinn gedeutet werden. Der Weg von Kant zu Hegel
sollte hinsichtlich des Schematismus als eine Radikalisierung der Gestaltungs-
funktion gelesen werden, deren Stationen den Leitfaden zur Untersuchung der
zwischen ihnen liegenden Ansätze abgeben können. Zugleich aber ist den
jeweils unterschiedlichen Interessen der Autoren an dieser Thematik Rechnung
zu tragen. Die kritischen Ausblicke am Ende jedes Kapitels dienen dazu, diese

  9 Herder, WE, VIII, p. 563.


10 Siehe dazu Quillen 1993, S. 35f.: „Rispetto ai contemporanei l’interprete ha il van-
taggio di disporre di un certo distacco, che gli consente di apprendere tutta la storia
della filosofia post-kantiana come un’oscillazione tra due versanti della filosofia:
antropologico e ontologico“.
186
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Verschiedenheit der philosophischen Interessen aufzuzeigen. Es geht dabei vor


allem darum, die Funktion des Schematismus insbesondere in Bezug auf seine
Abgrenzung zu empirischen Bildern, Zeichen und Symbolen zu behandeln.
Somit wird zwar sein Aktionsradius deutlich erweitert, aber gleichzeitig die
systematische Frage nach seiner Funktion radikalisiert. So artikuliert sich die
Schematismus-Problematik nicht allein historisch, sondern verfolgt ein dezi-
diert theoretisches Interesse. Hier übernimmt die Interpretation der Geschichte
die Aufgabe einer Umgestaltung, welche die Problematik selbst erweitert und
transformiert.
Die unterschiedlichen Ansätze in der Nachfolge Kants sollen entspre-
chend als ein Argumentationsweg nur im dem Sinne begriffen werden, dass sie
durch eine epistemologische Linse gelesen werden, um so die eigentümliche
Prozessualität des Denkens ausgehend von der Versinnlichung hervorzuheben.
Alle diese Denker behandeln die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit und kri-
tisieren die apriorische Gegebenheit der Anschauungen. Einige, wie Humboldt
und Hegel, sprechen an unterschiedlichen Stellen ausdrücklich von einer Ver-
körperung und einer Verleiblichung, ohne jedoch Bezug auf den Versinn-
lichungsbegriff zu nehmen, den Kant in der Kritik der Urteilskraft einführt
und dessen prozessualer Charakter meines Erachtens durch die Revisionsver-
suche mit Blick auf die Tätigkeit der Sinnlichkeit, der Sprache und des Denkens
erneut ans Licht gebracht werden kann. Doch dieser entscheidende Schritt – der
schließlich die systematische Einführung des Versinnlichungsbegriffs erfordert
– ist erst im Rückblick auf gesamten Weg möglich, der im Folgenden nach-
gezeichnet werden soll.
I . D ie symbolische Vollendung
der E rkenntnis
nach Salomon M aimon

Der Versuch einer Revision der Transzendentalphilosophie wird zuerst durch


die Philosophie Salomon Maimons unternommen, der gegen eine steife und
unkritische Auslegung des kantischen Systems gekämpft hat. Seine Lektüre der
Kritik der reinen Vernunft begann 1786.11 Der entstandene Kommentartext
wurde 1789 durch die Vermittlung von Marcus Herz an Kant weitergeleitet, der
sich mit der positiven Anmerkung äußerte, dass „nur wenige zu dergleichen
tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn besitzen möchten, als Hr. Maymon“.12
In Maimons Versuch über die Transzendentalphilosophie dient die
Methode des Kommentars ausgehend von der jüdischen Tradition der Textexe-
gese einerseits einer möglichst treuen Wiedergabe der Argumentation der Kritik
der reinen Vernunft, andererseits einer Revision und Ergänzung des kantischen
Systems mit dem Ziel, ein neues „Koalitionssystem“ zu schaffen, das sich
ergänzend auf die gesamte Philosophiegeschichte bezieht.13 Die vielschichtige
Form, in der Maimon seine Überlegungen präsentiert, hat ihm nicht selten die
Kritik eingebracht, unklar zu sein.14 Die Verflechtung von Deutungsebenen,

11 Maimon schreibt in seiner Lebensgeschichte (LG, S. 201f.): „Ich beschloss nun,


Kants Kritik der reinen Vernunft, wovon ich oft hatte sprechen hören, die ich aber
noch nie gesehen, zu studieren. Die Art, wie ich dieses Werk studierte ist ganz
sonderbar. Bei der ersten Durchlesung bekam ich von jeder Abteilung eine dunkle
Vorstellung, nachher suchte ich diese durch eigenes Nachdenken deutlich zu
machen und also in den Sinn des Verfassers einzudringen, welches das eigentliche
ist, was man sich in ein System hineindenken nennt“.
12 Kant, AA XI: 49.
13 So schreibt Maimon in seiner Lebensgeschichte (S. 202): „Daher muß dieses Buch
demjenigen zu verstehen schwerfallen, der aus einer Steifigkeit im Denken sich
bloß das eine dieser Systeme geläufig gemacht hat, ohne auf alle andern Rücksicht
zu nehmen“.
14 Kant schreibt jedoch im März 1794 abwertend an Reinhold (AA XI: 495): „Was aber
z. B. ein Maimon mit seiner Nachbesserung der kritischen Philosophie (dergleichen
die Iuden gerne versuchen, um sich auf fremde Kosten ein Ansehen von Wichtig-
188
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

sprachlichen Aspekten und terminologischen Übersetzungsversuchen kann


jedoch nicht über den Drang zur Ergründung der Wahrheit hinwegtäuschen,
der Maimon antreibt, wie er selbst in seiner Lebensgeschichte erklärt.15 Was
diese Verflechtung von Interpretationsebenen vor allem nicht verdecken kann,
ist Maimons deutliche Kritik des Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Ver-
stand, hinter dem er eine Starrheit des Denkens vermutet. Insbesondere Deleu-
ze hat das Problem einer solchen Starrheit als eines der genetischen Methode
insgesamt angesehen, die gerade von Maimon und Fichte in den Mittelpunkt
ihres Denkens gerückt wird. Kant hätte, laut Deleuze, die Kritik Maimons
durchaus ernst genommen und in der Kritik der Urteilskraft das Verhältnis
zwischen den Vermögen dynamisiert aufgefasst.16 Allerdings lässt sich diese

keit zu geben) eigentlich wolle, nie recht habe fassen können und dessen Zurecht-
weisung ich Anderen überlassen muß“. Kiesewetter schreibt am 15. Dezember 1789
an Kant (AA XI: 115): „Maimon habe ich bei ihm [Marcus Herz] kennen gelernt.
Sein äußeres verspricht nicht viel, um so mehr, da er wenig und schlecht spricht.
Ich habe seine Transcendentalphilosophie zu lesen angefangen, bin aber noch nicht
weit fortgerückt; doch bin ich schon gleich Anfangs nicht seiner Meinung; auch
mangelt ihm, wie es mir scheint, sehr oft Präcision“. Engstler (1990, S. 30f.) etwa
betont, dass „jeder Interpret, der unter den im Versuch verstreuten Äußerungen
einen nachvollziehbaren, argumentativen Zusammenhang herstellen will, daher
genötigt ist, den Gang von Maimons Denken gegen den Gang seiner Darstellung zu
rekonstruieren“. Zur Methode des Kommentars bei Maimon siehe auch Freudent-
hal 2003, S. 7. Zum philosophischen Stil von Maimon siehe Cassirer, ECW, 4, S. 78.
15 Maimon, LG, S. 146: „Da ich nun die Wahrheit aufzusuchen, meine Nation, mein
Vaterland und meine Familie verlassen habe, so kann man mir nicht zumuten, dass
ich geringfügiger Motive halber der Wahrheit etwas vergeben sollte“.
16 Deleuze 2003, S. 89f.: „Die Postkantianer, insbesondere Maimon und Fichte, erho-
ben gegen Kant einen grundlegenden Einwand: Kant habe die Anforderungen einer
genetischen Methode ignoriert. Dieser Einwand hat zwei Bedeutungen, eine objek-
tive und eine subjektive: Kant stützt sich auf Tatsachen und sucht lediglich nach
deren Bedingungen; aber er beruft sich auch auf fix und fertige Vermögen und
bestimmt deren Verhältnis oder Proportion, wobei er bereits voraussetzt, daß sie
irgendeiner Harmonie fähig sind. Wenn man bedenkt, daß der Versuch über die
transzendentale Philosophie von Maimon aus dem Jahre 1790 stammt, muß man
einräumen, daß Kant dem Einwand seiner Schüler teilweise zuvorkam. Die beiden
ersten Kritiker beriefen sich auf Tatsachen, suchten nach den Bedingungen dieser
Tatsachen und fanden sie in den bereits ausgebildeten Vermögen. Gerade dadurch
verwiesen sie auf eine Genese, die sie selbst nicht zu leisten vermochten. Aber in
der Kritik der (ästhetischen) Urteilskraft stellt Kant das Problem einer Genese der
Vermögen in ihrer ersten freien Übereinstimmung. […] Die allgemeine Kritik hört
auf, eine bloße Konditionierung zu sein und wird zu einer transzendentalen For-
mation, einer transzendentalen Kultur, einer transzendentalen Genese“. In Diffe-
renz und Wiederholung (1992, S. 223) bezieht sich Deleuze auf die Kritik Maimons
an der Dualität von Begriff und Anschauung und spricht vom Paradox einer „bloß
äußeren Harmonie in der Lehre der Vermögen“.
189
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

Rezeptionslinie nur schwer nachweisen.17 Und wichtiger ist an dieser Stelle


auch, die erkenntnistheoretische Bedeutung des Ansatzes von Maimon in Bezug
auf die Unterscheidung zwischen einer schematischen und symbolischen Dar-
stellung herauszustellen, die bei Kant in der Abgrenzung der Erkenntnis vom
Denken in der Kritik der reinen Vernunft seinen erkenntnistheoretischen Aus-
gang nimmt und in der Kritik der Urteilskraft ausführlicher in Bezug auf die
symbolische Darstellung formuliert wird. Vier Aspekte der Erkenntnistheorie
Maimons sollen daher in Betracht gezogen werden, um seine Kritik an Kant
hinsichtlich der Unterscheidung von Vermögen in der Bildung von Begriffen
und Ideen zu verdeutlichen: Erstens die Beschreibung von Maimons philosophi-
schem Ansatz eines dogmatischen Rationalismus und empirischen Skeptizis-
mus (I.1), zweitens die Funktion der Einbildungskraft (I.2), drittens die Auf-
stellung des Satzes der Bestimmbarkeit als expliziter Ersatz der
Schematismus-Lehre Kants (I.3), und schließlich die Erweiterung der Funktion
der Vernunft, der Einbildungskraft und der symbolischen Erkenntnis im Kon-
text der Bildung der Begriffe (I.4).

1. R at iona ler Dog mat ismus


u nd empi r isc her Skept i z ismus
Der Versuch über die Transzendentalphilosophie zeichnet sich durch eine
besondere Sensibilität für das Problem der Darstellung aus: Maimon begreift
die Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand als das Grundproblem der
Erkenntnistheorie Kants. Und er legt ein besonderes Augenmerk auf den Unter-
schied zwischen quid juris und quid facti als dem Problem der Legitimierung
der Anwendung von Begriffen auf Erscheinungen einerseits und dem Problem

17 Salomon Maimon schrieb den Versuch über die Transzendentalphilosophie zwi-


schen 1786 und 1789. Eine Kopie des Buchs wird durch Marcus Herz am 7. April
1789 an Kant geschickt, der am 26. Mai 1789 einen Kommentarbrief an Herz
zurückschickte, in dem er anmerkte (AA XI, S. 49): „Ich war schon halb entschlos-
sen das Manuskript so fort, mit der erwähnten ganz gegründeten Entschuldigung,
zurück zu schicken; allein ein Blick, den ich darauf warf, gab mir bald die Vorzüg-
lichkeit desselben zu erkennen und, daß nicht allein niemand von meinen Gegnern
mich und die Hauptfrage so wohl verstanden, sondern nur wenige zu dergleichen
tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn besitzen möchten, als Hr. Maymon […]“.
Die Lektüre des Versuches durch Kant liegt demnach vor der Veröffentlichung der
Kritik der Urteilskraft – für deren Einsendung sich Maimon am 15. Mai 1790
bedankte; zwar gibt es in der dritten Kritik keine Spur einer Berücksichtigung der
Kritiken Maimons, obwohl dies – wie noch zu zeigen sein wird – von einem inhalt-
lichen Gesichtspunkt aus durchaus angemessen gewesen wäre.
190
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

der Gegebenheit der Erscheinungen selbst andererseits.18 Maimon deutet dieses


Problem im Lichte des Verhältnisses zwischen Seele und Körper:

„Wollen wir die Sache genauer betrachten, so werden wir finden, dass
die Frage quid juris? mit der wichtigen Frage die alle Philosophen von
jeher beschäftigt hat, nämlich die Erklärung der Gemeinschaft zwischen
Seele und Körper, oder auch mit dieser, die Erklärung von Entstehung
der Welt (ihrer Materie nach) von einem Intelligenz; einerlei ist“.19

Hinsichtlich des Faktums der Erfahrung ist Maimon der Auffassung, dass Kant
es voraussetzt, ohne es transzendental zu begründen und damit einen ontologi-
schen Dualismus einführt. Die Frage lautet daher für Maimon:

„Ist die Ausfüllung dieser Lücke möglich, und können wir sie daher
unter die Desiderate zählen? Oder ist dieses bloß eine eitle Hoffnung, die
nie erfüllt werden kann? Nach Kant muss man das Letzte zugeben,
indem nach ihm Sinnlichkeit und Verstand zwei Hauptrequisite zum
Denken eines Objekts sind“.20

Nach Maimon sind drei Ansätze zur Beantwortung der Fragen quid juris und
quid facti auszumachen: erstens derjenige der Empiristen, die „kein so wenig
materielles als formelles Prinzip a priori zugeben wollen“; zweitens der Ansatz
der empirischen Dogmatiker und rationalen Skeptiker, die behaupten, „dass
die Objekte unsrer Erkenntnis uns a posteriori gegeben, aber die Formen dersel-
ben in uns a priori sind“, und drittens der Ansatz der rationalen Dogmatiker
und empirischen Skeptiker, die annehmen, „dass sowohl die Formen als die
Objekte unsrer Erkenntnis selbst in uns a priori sind, und dass dieses Vermögen
nicht bloß darin bestehet, uns gegebene Objekte durch von uns gedachte For-
men zu erkennen, sondern durch diese Formen die Objekte selbst hervorzubrin-
gen“.21 Der zweite Ansatz entspricht nach Maimon der Erkenntnistheorie Kants,
in der das Erkennen nicht durch eine unmittelbare Wahrnehmung, „sondern
bloß vermittelst der Wahrnehmung eines Schema’s oder Merkmals an den
Objekten“ geschieht.22 Die dritte Position hingegen ist die Umkehrung des kan-
tischen Ansatzes, die Maimon für sich beansprucht: Sie dient einerseits zur
Erweiterung der Funktion der Vernunft, andererseits zur Bezweiflung der
Gegebenheit der Erfahrung.
Die Gegebenheit der Erfahrung wird laut Maimon von Kant nicht erklärt
und bleibt deswegen eine unbezweifelbare Annahme, die er selbst im Unter-

18 Für den Unterschied zwischen quid juris und quid facti siehe Kant, KrV, B116, A84.
19 Maimon, VT, 62.
20 Maimon, GW, II, S. 521.
21 Maimon, VT, 433/436.
22 Maimon, VT, 435.
191
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

schied jedoch zu Kant hinterfragt, indem er versucht, den gedeuteten Dualis-


mus der Erkenntnistheorie Kants auf eine Auffassung zu gründen, welche unter
Realität diejenige der Gegenstände nicht nur der Erkenntnis, sondern auch des
Denkens auffasst. Er versteht diese Verschiebung als eine Erneuerung des
Rationalismus in Analogie zu Leibniz und vergleicht seinen rationalistischen
Ansatz mit dem von Platon, für den die Ideen „die wahren Objekte des Ver-
standes“ seien.23 Diese Erweiterung der Realität auf das Denken im Allgemei-
nen spiegelt sich in der Bestimmung seiner Philosophie als dogmatischer Ratio-
nalismus und empirischer Skeptizismus wieder, in der die rationalistische
Erweiterung ihr Pendant in der Skepsis gegenüber der Gegebenheit von Erfah-
rung findet, womit der Rationalismus die Skepsis fundiert. So fasst Maimon
seinen Ansatz folgendermaßen zusammen:

„Ich behaupte nämlich mit Herrn Kant, dass die Gegenstände der Meta-
physik keine Objekte der Anschauung, die in irgend einer Erfahrung
gegeben werden können, sind. Ich weiche aber von ihm darin ab, indem
er behauptet, dass sie gar keine Objekte sind, die auf irgend eine Art vom
Verstande bestimmt gedacht werden können. Ich hingegen halte sie für
reelle Objekte, die ob sie schon an sich bloße Ideen sind, dennoch durch
die aus ihnen entspringenden Anschauungen bestimmt gedacht werden
können; und durch Reduktion der Anschauungen auf ihre Elemente,
sind wir im Stande, neue Verhältnisse unter ihnen zu bestimmen, um
dadurch die Metaphysik als Wissenschaft zu behandeln“.24

In diesem Rahmen erfolgt eine Reduktion der Anschauungen auf rationale Ver-
hältnisse. Die Bestimmung der Objekte ist auf diese Weise rational und ihre
Realität ist primär im Denken anzusiedeln. Somit vertritt Maimon einen empi-
rischen Skeptizismus, der gleichzeitig die Realität der Objekte auf die Bestim-
mungsfunktion der kantischen Vernunft zurückführt, womit der negative,
‚sinnliche‘ Unterschied zwischen Begriffen und Ideen unterlaufen wird.25 In
diesem Zuge wird der Schematismus rationalisiert, und es entsteht für Maimon
das systematische Problem, ein gemeinsames Verfahren für alle Begriffe zu
beschreiben – seien es Begriffe oder seien es Ideen im kantischen Sinne.26 Das
Objektive findet daher bei Maimon seinen Grund im Erkenntnisvermögen

23 Maimon, GW, II, S. 521f.


24 Maimon, VT, 195f.
25 Siehe dazu Gasperoni 2012, S. 111–128.
26 Cassirer (ECW, 4, S. 80) merkt diesbezüglich an: „Die Erkenntnis bedarf, um den
Sinn der Entgegensetzung zwischen Subjekt und Objekt zu erfassen, keineswegs
der Annahme einer realen Sphäre, die gänzlich außerhalb des Systems des Wissens
und des Wißbaren liegt. Vielmehr ergibt sich diese Entgegensetzung aus der Auf-
gabe und dem Charakter des Wissens selbst“.
192
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

selbst. In diesem werden diejenigen Funktionen des Denkens bestimmt, die den
Objekten Realität verleihen.
Maimon entwickelt nun eine Theorie der unendlichen Annäherung, in
der sich die objektive Notwendigkeit der Denkbestimmungen im Gebrauch der
Begriffe auflöst, der ihre Allgemeinheit und Gültigkeit gewährleistet.27 Die sub-
jektive Notwendigkeit der Darstellung hängt entsprechend mit der Auffassung
der Vollkommenheit der Begriffe zusammen, die nach Maimon eine unendliche
Annäherung impliziert, die dem unvollkommenen Charakter des menschlichen
Verstandes inhäriert und sich vom unendlichen Verstand unterscheidet, für den
diese Vollkommenheit in actu ist. Dabei strebt der endliche Verstand eine ideel-
le Vollkommenheit an, und in seiner Endlichkeit befindet er sich immer in einer
antinomischen Spannung zur vollkommenen Unendlichkeit.
Entsprechend gibt es für Maimon auch keine Idee, die nicht antinomisch
ist. Der Begriff der Antinomie erfährt daher eine eigenständige Entwicklung,
die auf der Rezeption der jüdischen Tradition und dem Studium von Autoren
wie Maimonides, Spinoza, Wolff und eben auch Kant basiert. Dem Studium der
Kabbala und der Texte von Maimonides verdankt Maimon die Problematik des
Unterschieds von Form und Materie, die er auf den Unterschied von Form und
Inhalt bezieht, der im Zusammenhang der Bestimmung von heiligen Namen
auftritt. Die heiligen Namen, als an sich willkürliche Zeichen, werden in der
Auslegung der Kabbala als natürlich betrachtet, sodass „alles, was mit diesen
Zeichen vorgenommen wird, auf die Gegenstände selbst, die sie vorstellen, Ein-
fluss haben muss“.28 Maimon kritisiert jedoch diese ontologische Verbindung
von Form und Inhalt. Die Kabbala als Lehre ist für ihn daher nichts anderes als
‚ein erweiterter Spinozismus‘, in dem die Entstehung der Welt als eine Ein-
schränkung des göttlichen Wesens verstanden wird. Während die Kabbalisten
jedoch behaupten, dass die Kabbala eine objektive göttliche Wissenschaft sei,
tendiert Maimon im Gegenteil dazu, die von Gott repräsentierte Unendlichkeit
mit den Kategorien zu verbinden, die „im Subjekt selbst gegründet“29 seien, um
so die Verbindung von Unendlichkeit und Endlichkeit in den Bestimmungen des
Denkens zu verankern. Und noch wichtiger ist seine Bestimmung Gottes als
„letztes Subjekt“, das die vollständige Bestimmung der Unendlichkeit dar-

27 In der Tat schreibt Maimon (VT, 175): „Der Ausdruck: objektive Notwendigkeit hat
gar kein[e] Bedeutung, indem Notwendigkeit immer einen subjektiven Zwang,
etwas als wahr anzunehmen, bedeutet. In Ansehung der Evidenz in Wissenschaf-
ten müssen wir auf die Allgemeinheit der Sätze Acht haben, und dieses auch nicht
an und für sich, weil ein allgemeiner Satz nicht mehr wahr ist, als ein weniger all-
gemeiner, es kommt nur auf den richtigen Gebrauch dieser Sätze an, nämlich je
allgemeiner ein Satz ist, je weniger läuft man Gefahr sich in dessen Gebrauch zu
irren“.
28 Maimon, LG, S. XIV. Vgl. dazu Gasperoni 2016.
29 Maimon, LG, S. XIV.
193
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

stellt.30 In der kritischen Auseinandersetzung mit den Schriften der Kabbala


entwickelt Maimon nicht zuletzt die Kernfrage seiner Philosophie, und zwar:
wie die Spannung von Endlichem und Unendlichem zu erklären sei, die in der
Erkenntnistheorie der Spannung von Darstellung und Vorstellung und in der
Sprache derjenigen von Form und Inhalt entspricht. Maimon sieht also von
Anfang an eine symbolische Spannung zwischen Unendlichem und Endlichem,
die die Sprachlichkeit der Begriffe charakterisiert.
Die unendliche Annäherung betrifft sowohl Begriffe als auch Ideen und
ist eine transzendentale Bedingung unseres Denkens, die Maimon als eine all-
gemeine Antinomie des Denkens bestimmt, die von grundlegender Bedeutung
für den Gebrauch von Begriffen in der Sprache ist. Diese konstitutive Unvoll-
kommenheit verhindert jedoch nicht etwa den Gebrauch, sondern befördert ihn
im Gegenteil. Der antinomische Charakter des Denkens betrifft dabei die Ideen
aller Wissenschaften, insofern „sie nicht nur in der Metaphysik, sondern auch
in der Physik, ja sogar in der evidentesten aller Wissenschaften, nämlich der
Mathematik anzutreffen sind, und […] daher die Antinomien eine weit all-
gemeinere Auflösung erfordern“.31 Die unendliche Annäherung unterscheidet
sich je nachdem, ob es um Verstandes- oder Vernunftideen geht: bei den ers-
teren handelt es sich um eine materiell gesetzte Vollkommenheit, die die kon-
stitutive Unvollkommenheit der Anschauungen überwindet; bei den letzteren
dagegen handelt es sich um eine formal gesetzte Vollkommenheit, die die kon-
stitutive Unvollkommenheit des Denkens überwindet. Die erste Überwindung
geschieht durch Wiederholung der Regel,32 während die zweite die antinomische
Struktur des Denkens selbst anzeigt, die Maimon systematisch über das mathe-
matische Beispiel der irrationalen Wurzel erklärt.33 In diesem Fall „gerät die
Vernunft in eine Antinomie, indem sie eine Regel, wornach man diese mit
Gewissheit finden muss, vorschreibt, und zugleich die Unmöglichkeit dieses zu

30 Maimon, VT, 226.


31 Maimon, VT, 227.
32 Maimon, VT, 79f.: „Sie [die Verstandesideen] brauchen nur zu ihrer materiellen
Vollständigkeit eine beständige Wiederholung eben dieser Regeln. Da aber diese
Wiederholung ihren Bedingungen nach, unendlich sein muß, so bleiben sie bloße
Ideen, sie haben mit dem Grade ihrer materiellen Vollständigkeit einerlei Grad der
Richtigkeit in der Anwendung“.
33 Vgl. dazu auch Jacobs 1960, S. 261 und Verra 1976, S. 682: „Es wird dann Aufgabe
der Mathematik sein, das Problem ‚quid juris‘ auf eine ganz andere Weise zu
begründen, gerade weil die Mathematik tatsächlich eine Art von ‚reellem‘ Denken
ist, sogar die einzige Art des Denkens, in der die Kategorien legitim Anwendung
finden können. Diese von Maimon vertretenen Thesen bedeuten aber keine bloße
Entwicklung oder Vervollständigung des kantischen Kritizismus, sondern viel-
mehr eine grundsätzliche Veränderung von dessen Hauptlinien“. Vgl. dazu Buzaglo
2002, Kauferstein 2006 und Gasperoni 2015.
194
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

bewerkstelligen, beweiset. Dieses sind Beispiele von Ideen und den daraus ent-
springenden Antinomien der Mathematik“.34

2. D ie E i nbi ldu ngsk ra f t u nd d ie Vol lendu ng


der u nend l ic hen A n nä her u ng
Der Prozess der unendlichen Annäherung gilt somit für alle Vermögen: sowohl
der Verstand als auch die Vernunft ermöglichen eine Vollendung, die sich der
Idee entweder materiell oder formal unendlich annähert. Die Einbildungskraft
hingegen ist das Vermögen, das die Funktion hat, die unendliche Reihe zu schlie-
ßen, um eine Totalität vorzustellen, die „keine Funktion der Vernunft, wie Kant
haben will, sondern der transzendenten (die Gränzen der Erkenntniß über-
schreitenden) Einbildungskraft“ ist, „worin sie also mit der Vernunft im Wider-
streit geräth. Das Streben nach Totalität (beständige Näherung zu derselben) ist
ein unbezweifeltes Faktum, und betrifft nicht blos das Erkenntnißvermögen,
sondern alle Vermögen ohne Unterschied“.35
Maimon verdeutlicht diese antinomische Spannung zwischen Vernunft
und Einbildungskraft durch die Funktion einer unendlichen Reihe, die von einer
irrationalen Zahl geschlossen wird. Die Zahl ist ein Beispiel für die Vernunft-
idee, weil sie einerseits eine unendliche Annäherung impliziert, andererseits
aber in der Darstellung diese Reihe abschließt und den Gebrauch ermöglicht.
Die Vernunftidee, die vom Bedingten ausgehend das Unbedingte denkt, „kann
nur alsdann gebraucht werden, wenn diese Reihe endlich ist“. Und diese end-
liche Vollendung wird der Einbildungskraft zugeschrieben, die mittels einer
Übertragung eine konkrete Darstellung hervorbringt, welche für die Vernunft
nur imaginär ist.36 Die Vorstellung eines letzten Gliedes einer unendlichen Rei-
he hat demzufolge in der Einbildungskraft ihren Ursprung.37 Trotzdem sind die
Produkte der Einbildungskraft bloße Fiktionen, die in Konflikt mit der Ver-
nunft geraten können: „Die Einbildungskraft treibt ihr Spiel mit ihnen, und
stellt ihre Fikzionen als reelle Objekte vor. Die Vernunft aber kehrt sich daran
nicht, und erklärt sie für was sie wirklich sind, für bloße Fikzionen“.38 Diesbe-

34 Maimon, VT, 229.


35 Maimon, NL, S. 197f.: „Das Streben nach Totalität in unserer Erkenntniß ist eine
besondere Art von dem Streben nach der höchsten Vollkommenheit überhaupt. Die
Vorstellung dieser höchsten Vollkommenheit aber ist umgekehrt eine besondere
Art von der Vorstellung der Totalität unserer Erkenntniß überhaupt. Das Streben
nach Totalität ist eine Vollkommenheit, die Vorstellung dieser Totalität als Objekt
aber ein Mangel. Nicht auf diese Vorstellung, sondern auf das Streben muß natür-
liche Religion und Moral gegründet seyn“.
36 Siehe dazu Maimon, NL, S. 203.
37 Siehe dazu Maimon, NL, S. 205.
38 Maimon, NL, S. 206.
195
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

züglich kann man in der Philosophie Maimons von einem Monismus der Ein-
bildungskraft reden, weil er der Einbildungskraft die grundlegende Funktion
der Realisierung des Denkens zuschreibt.39
Das antinomische Verhältnis zwischen Vernunft und Einbildungskraft
ändert nach Maimon den regulativen Gebrauch, der für Kant die Ideen charak-
terisiert, denn: „nicht die bloße Vorstellung der Unendlichkeit einer Reihe, son-
dern die Vorstellung dieser unendlichen Reihe und ihr letztes Glied als gegeben,
macht sie zu einer Idee“.40 Die Ideen werden daher nicht von der Vernunft, son-
dern durch die Einbildungskraft vollendet, und nur in ihrem fiktionalen Cha-
rakter können sie als Methoden verstanden werden, um neue Wahrheiten zu
erfinden. So gelten die Ideen als bloße Fiktionen, die jedoch für die Philosophie
unerlässlich sind, da sie eine neue Reflexionsebene schaffen, auf welcher neue
Wahrheiten erfunden werden können. Eine Fiktion oder Erdichtung ist nach
Maimon „in der allgemeinsten Bedeutung eine Operation der Einbildungskraft,
wodurch eine nicht objektiv notwendige Einheit im Mannigfaltigen eines
Objekts hervorgebracht wird“.41 Somit ist Gegebenheit bei Maimon nicht von
einer fiktionalen Gestaltung trennbar, und es ist, wie Atlas richtig betont hat,
eigentlich das Schema, das die Idee symbolisiert und damit gerade die Ebene der
kantischen Reflexion realisiert.42 Die sinnliche Gegebenheit wird daher rationa-
lisiert. Maimon behauptet, dass „die sinnlichen Objekte verworrene Vorstel-
lungen von diesen Vernunft-Objekten“ sind.43 Und es ist gerade dieser Aspekt,
der Kant auf den Plan ruft, der in einem Brief an Herz vom 26. Mai 1789 Mai-
mons Ansatz mit demjenigen der leibniz-wolffschen Schule gleichsetzt.44 Kant

39 Dazu Jacobs 1960, S. 267: „Maimon’s contribution to the thought of his time was to
extend the tether of the imagination from the gross world of sense to which Kant
had confined it, to the distilled world of pure concepts. He freed the imagination
from the toils of metaphor and anthropomorphism and established its fundamental
allegiance to the world of ideas, its root and anchor. If he dimmed the glare of sense,
it was the better to reveal the invisible world to the inner vision“.
40 Maimon, NL, S. 206.
41 Maimon, GW III, S. 61.
42 Vgl. Atlas 1964, S. 101f. Auch Hogrebe (1974, S. 32) betont die Relevanz des Fikti-
ons-Begriffs bei Maimon, welcher die systematische Stellung der Konstitutionsfra-
ge bei Kant annimmt.
43 Maimon, VT, 436.
44 Siehe Kant, AA XI: 49f.: „Wenn ich den Sinn derselben richtig gefaßt habe, so
gehen sie darauf hinaus, zu beweisen: daß, wenn der Verstand auf sinnliche
Anschauung (nicht blos die empirische, sondern auch die a priori) eine gesetzge-
bende Beziehung haben sollt, so müsse er selbst der Urheber, es sey dieser sinnli-
chen Formen, oder auch sogar der Materie derselben, d.i. der Obiecte, seyn, weil
sonst das qvid juris nicht Gnugthuend beantwortet werden könne, welches aber
nach Leibnizisch-Wolfischen Grundsätzen wohl geschehen könne, wenn man
ihnen die Meynung beylegt, daß Sinnlichkeit von dem Verstande gar nicht speci-
fisch unterschieden wären, sondern jene als Welterkenntnis bloß dem Verstande
196
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

begreift also die Gefahr, die eine Reduktion der Sinnlichkeit auf Verstandes-
bestimmungen mit sich bringen kann, und bekämpft sie mittels der Apologie
der Sinnlichkeit.45 Angesichts der behaupteten Selbstständigkeit der Sinnlich-
keit erklärt sich auch die geringe Achtung für den dichterischen Charakter des
rationalen Prozesses, der bei Maimon die Funktion der Einbildungskraft aus-
macht. Es steht dabei für Kant zu viel auf dem Spiel und das – wie ich noch zei-
gen werde – auch mit gewissem Recht.
Die Sinnlichkeit wird von Maimon jedoch nicht im Sinne der leibniz-
wolffschen Schule gedeutet. Denn Maimon teilt grundsätzlich das Vorhaben
Kants, die Sinnlichkeit nicht einfach logisch auf die Deutlichkeit des Verstandes
zu reduzieren. Er betont nämlich, dass der Unterschied zwischen Sinnlichkeit
und Intellektuellem „offenbar transzendental ist und nicht bloß die Form der
Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt dersel-
ben betrifft, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich
selbst nicht bloß undeutlich, sondern gar nicht erkennen, und, so bald wir unsre
subjektive Beschaffenheit wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigen-
schaften, die ihm die sinnliche Anschauung beilegte, überall nirgend anzutref-
fen ist, noch angetroffen werden kann, indem eben diese subjektive Beschaffen-
heit die Form desselben als Erscheinung bestimmt“.46
Maimons Rationalisierung der Sinnlichkeit durch den Verstand ist daher
nicht logisch, sondern transzendental. Das beginnt mit der Auffassung von Zeit
und Raum, welche wie bei Kant „so wohl Begriffe als Anschauungen“ sind, wobei
Maimon hinzufügt: „die letztern setzen die ersten voraus“.47 Zeit und Raum
können nur als empirische Anschauungen verstanden werden. Als reine Anschau-
ungen sind sie eigentlich Erdichtungen, die von der Einbildungskraft vorgestellt
werden: „Das Außereinandersein in Zeit und Raum, hat in der Verschiedenheit
der Dinge seinen Grund, d.h. die Einbildungskraft die eine Nachäfferin des Ver-
standes ist, stellet darum die Dinge a und b außer einander in Zeit und Raum
vor; weil der Verstand sie als verschieden denkt“.48 Wegen der Zurückführung
der reinen Anschauungen auf den Erdichtungsprozess und der damit verbunde-

zukomme, nur mit dem Unterschiede des Grades des Bewusstseyns, der in der erste-
ren Vorstellungsart ein Unendlich-Kleines, in der zweyten eine gegebene (endli-
che) Größe sey und daß die Synthesis a priori nur darum objective Gültigkeit habe,
weil der Göttliche Verstand, von dem der unsrige nur ein Theil, oder, nach seinem
Ausdrucke, mit dem unsrigen, obzwar nur auf eingeschränkte Art, einerley sey, d.i.
selbst Urheber der Formen und der Möglichkeit der Dinge der Welt (an sich selbst)
sey“.
45 Dies wurde in Kap. II.1 des ersten Teils gezeigt.
46 Kant, KrV, B 61f., A 44.
47 Maimon, VT, 18.
48 Maimon, VT, 133f.
197
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

nen Überwindung des vermuteten Dualismus ist Maimon genötigt, den Schema-
tismus aufzugeben, um eine neue Vermittlungsebene zur Erklärung der Gege-
benheit und objektiven Realität der Gegenstände zu schaffen.

3. Da s D i f ferent ia le u nd der Sat z


der Best i m mba rkeit a ls Ü b er w i ndu ng
des Sc hemat ismus
Die Schematismuslehre Kants wird von Maimon zuerst durch den Differential-
begriff und später im Versuch einer neuen Logik durch den Satz der Bestimm-
barkeit (als abstrakte Verbindung von Subjekt und Prädikat) ersetzt, ohne dabei
aber die Funktion der Sinnlichkeit zu integrieren, die ebenfalls rationalisiert
wird: „Die Verstandsideen, d. h. das Unendlichkleine jeder sinnlichen Anschau-
ung und ihrer Formen, welches den Stoff zur Erklärung der Entstehungsart der
Objekte liefert“.49 Wie Cassirer zu Recht betont hat, wird „der Begriff und Ter-
minus des Differentials zum Ausdruck für das Problem der Erkennbarkeit und
logischen Beherrschbarkeit des Besonderen“50 und „der Verstand verlangt Begrif-
fe, in denen diese Verschiedenheit [der Dinge] gegründet ist“.51 Wenn die objek-
tive Realität der Empfindungen geleugnet wird, dann ist es das Differentiale,
das die bis zum unendlich Kleinen sich annähernde Verbindung zwischen
Erscheinung und Bewusstsein gewährleistet: „Diese Differentiale der Objekte
sind die sogenannte Noumena; die daraus entspringende Objekte selbst aber
sind die Phänomena“.52 Das Problem des Bezugs der Erkenntnis auf reelle Objek-
te wird im Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794
durch den Satz der Bestimmbarkeit weiter ausbuchstabiert, der für Maimon
seine Antwort auf die Schematismus-Problematik darstellt.53

49 Maimon, VT, 82.


50 Cassirer, ECW, 4, S. 93. Siehe auch Moiso 1972, S. 9, und Kauferstein 2006, Kapitel
XII. Luis Eduardo Hoyos (2008, S. 277) erklärt, inwieweit Maimon sich vom Diffe-
rential-Begriff von Leibniz distanziert: „Maimon borgt sich das Philosophie-
Modell von Leibniz nur formell, d.h. ohne sich für die ontologisch-transzendenten
Folgen zu interessieren, die aus der Monadologie folgen“. Für einen Verglich zwi-
schen Leibniz und Maimon siehe auch Yakira 2003, S. 54–79.
51 Cassirer, ECW, 4, S. 95.
52 Maimon, VT, 32. Ernst Bloch (1985, S. 154) entwickelt eine metaphorische Deutung
des Differentialen bei Maimon: „Mit einem Blick: Ein Mann geht in den Wald und
findet ein kleines Schiffchen aus Borke, mit Ornamenten und einem kleinen Mast,
der daraufgeklebt ist, und er nimmt es mit nach Hause. Es ist ihm dieses Schiffchen
gegeben, er hat es wirklich nicht gemacht. Er hat es aber gemacht, als er sechs Jahre
alt war, und an dieser Fundstelle liegen lassen“.
53 Maimon, NL, S. 171: „Auf diese Frage: mit welchem Recht wir diese Erkenntniß,
die sich auf reelle Objekte überhaupt bezieht, von bestimmten Objekten gebrau-
chen können? antwortet Kant durch den Schematismus unter Bestimmungen der
198
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Der Satz der Bestimmbarkeit wird in drei untergeordnete Grundsätze


gegliedert: erstens den Grundsatz des Subjektes, nach dem „das Subjekt in einem
Urteile […] an sich (außer seiner Verbindung mit dem Prädikate) darstellbar
sein“ [muss], zweitens den Grundsatz des Prädikats, nach dem „das Prädikat […]
nicht an sich, sondern bloß in der Verbindung mit dem Subjekte darstellbar
sein“ muss, und einen dritten Grundsatz, nach dem „von allen Paaren einander
entgegen gesetzter möglicher Prädikate […] einem gegebenen Subjekte nur
eines aus einem einzigen bestimmbaren Paar unmittelbar zukommen“ kann.54
Das Schema wird bei Maimon so zur Vermittlungsmethode zwischen dem reel-
len, gedachten Objekt und dem Objekt der Anschauung, und selbst die Notwen-
digkeit der Kategorien „beruht auf dem Grundsatze der Bestimmbarkeit“.55
Das Objekt der Anschauung ist im kantischen Sinn das Schema des
gedachten Objekts, lediglich die Vermittlung ist eine rationale, unendliche
Annäherung; somit ist zum Beispiel das Schema zur Idee eines unendlichen
Verstandes nach Maimon unser Verstand.56 Wir nehmen „(zum wenigsten als
Idee) einen unendlichen Verstand an, bei dem die Formen zugleich selbst die
Objekte des Denkens sind; oder der aus sich alle mögliche Arten, von Beziehun-
gen und Verhältnissen der Dinge (der Ideen) hervorbringt. Unser Verstand ist
eben derselbe, nur auf eine eingeschränkte Art“.57 Hier verortet Maimon ent-

nothwendigen Form der Anschauung. Ich nehme gleichfalls diesen Schematismus


an, entwickle aber denselben aus dem Grundsatze der Bestimmbarkeit“. Maimon
(NL, S. 391) spezifiziert die Aufgabe des Grundsatzes wie folgt: „[…] man soll ein
synthetisches Prinzip (Grundsatz), das sich, so wie das analytische, auf ein Objekt
überhaupt bezieht, ausfindig machen, woraus sich alle synthetischen sich auf
bestimmte Objekte beziehenden Urtheile herleiten lassen“.
54 Maimon, GW, VII, S. 203. Siehe Ehrlich 1986, S. 84, Beiser 1987, S. 311 und Schech-
ter 2002, S. 40.
55 Maimon, NL, S. 134.
56 Vgl. Maimon, VT, 365/367.
57 Maimon, VT, 65. In Bezug auf die Funktion eines unendlichen Verstandes bei
Maimon siehe Atlas 1964, S. 62–108, und Ehrensperger 2006, S. 114–121. Hoyos
(2008, S. 275) thematisiert die zwei unterschiedlichen Auslegungen des unendli-
chen Verstandes bei Maimon. So kann dieser Begriff als ein epistemologisches oder
als ein ontologisches Ideal angesehen werden: im ersten Fall handelt es sich um eine
‚schwache‘, im zweiten Fall um eine ‚starke‘ Auslegung, die den unendlichen Ver-
stand als ontologische Bedingung der Realität behandelt. Die Grenze zwischen den
zwei Auslegungen ist meines Erachtens bei Maimon oft verschwommen; mein
Augenmerk liegt jedoch hier auf der ersten, epistemologische Auslegung, die den
unendlichen Verstand mit Blick auf das Problem einer ideellen Darstellung
betrachtet. Siehe dazu Atlas 1964, S. 73: „If it were possible to dissolve synthetic
propositions into analytic ones, the question quid juris would be satisfactorily
solved. For in that case propositions concerning experience would be identical with
logical, formal propositions, and the former like the latter would contain an iden-
tity of form and matter. In fact, the concept of an intellectus infinitus implies for
199
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

sprechend die Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urtei-


len, die als eine Unterscheidung im Grad an Vollkommenheit der Erkenntnis
verstanden werden kann.58 Da das Verstandesvermögen beschränkt ist, kann sie
nicht zur analytischen Vollkommenheit gelangen, die allein dem unendlichen
Verstand eigen ist.59 Die Sinnlichkeit selbst ist das Resultat dieser Unvollstän-
digkeit:

„Herr Kant behauptet, dass Sinnlichkeit und Verstand zwei ganz ver-
schiedene Vermögen sind, ich behaupte hingegen, dass, ob sie schon in
uns als zwei verschiedene Vermögen vorgestellt werden müssen, sie doch
von einem unendlichen denkenden Wesen als eine und eben dieselbe
Kraft gedacht werden müssen, und dass die Sinnlichkeit bei uns der
unvollständige Verstand ist“.60

Für eine eigenständige Funktion der Sinnlichkeit hat Maimon folglich wenig
übrig. Die ideelle Vollständigkeit des Denkens affiziert das endliche Denken
und gewährleistet den Bezug zur objektiven Realität, die von einer tief verwur-
zelten Einheit abhängt. Trotz dieser Aufhebung des Endlichen in einer ana-
lytisch vollendeten Unendlichkeit,61 die als solche die Erkenntnis erweitern und
eine beispielhafte Entsprechung in der Mathematik finden kann,62 hat Maimon
auch den endlichen Prozessen der Einbildungskraft und des symbolischen
Erkennens eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt, was im Folgenden noch zu
vertiefen ist.

Maimon the idea of an a priori anticipation of the logical possibility of reality, i.e.,
a reality dissolvable into analytical propositions“.
58 Vgl. Maimon, VT, 61/63. Siehe dazu auch den Aufsatz von Maimon Über die
Wahrheit, erschienen 1790 im Berlinischen Journal für Aufklärung. Hier befasst
sich Maimon mit dem Ansatz von Tieftrunk und bestätigt die Auffassung der syn-
thetischen Erkenntnis, die dieser „in Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes
annimmt; und darin werde ich leicht mit ihm [Kant] einig werden“ (GW, II, S. 489).
59 Maimon, VT, 181: „Die Allgemeinheit muß freilich einen objektiven Grund haben,
d.h. der Satz muß bei einem unendlichen Verstande analytisch sein, den wir aber
nicht einsehen können“.
60 Vgl. Maimon, VT, 182/184.
61 Maimon, NL, S. 25.
62 Dies lässt sich daran ablesen, dass Maimon den kantischen Unterschied zwischen
Mathematik und Philosophie nicht leugnet (VT, 1/2): „Die Mathematik bestimmt
ihre Gegenstände völlig a priori, durch Konstruktion; folglich bringt darin das
Denkungsvermögen sowohl die Form, als die Materie seines Denkens aus sich
selbst heraus. So ist es aber nicht mit der Philosophie beschaffen: in derselben
bringt der Verstand bloß die Form seines Denkens aus sich selbst heraus; die Objek-
te aber, worauf diese angewandt werden soll, müssen ihm von irgend anders woher
gegeben werden“.
200
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

4. D ie sy mb ol isc he Erken nt n is
Aufgabe der produktiven Einbildungskraft ist die Schaffung von Idealen.63
Maimon tendiert dazu, die Einbildungskraft als ein transversales Vermögen zu
betrachten, das systematisch den Dualismus zwischen der produktiven und der
reproduktiven Einbildungskraft unterläuft. Dabei leugnet er nicht den Unter-
schied zwischen diesen beiden Formen der Einbildungskraft, sondern erweitert
die Funktion der produktiven Einbildungskraft bis hin zur Bestimmung derje-
nigen transzendentalen Ausdrücke, welche die Philosophie charakterisieren.
Das bedeutet, dass die produktive Einbildungskraft die Vollendung solcher
Begriffe ermöglicht, die als ideale Ausdrücke mit transzendentaler Bedeutung
gelten können.
Diese Problematik entwickelt Maimon in der Schrift Über die philoso-
phischen und rhetorischen Figuren von 1793,64 sowie in seinem Versuch einer
neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794. Hier werden diejenigen
Begriffe hinterfragt, die den Wortschatz der Philosophie konstituieren und die
Maimon in seinem Philosophischen Wörterbuch aufführt. Die philosophischen
Figuren sind „Vorstellungsarten, die in Ansehung des Objekts worauf sie sich
beziehen, nicht ursprünglich, sondern durch eine Operation der Einbildungs-
kraft, von andern übertragen sind“, aber „durch eine Täuschung“ als direkte
Beziehung auf jene Objekte angesehen werden.65 Trotz des täuschenden Cha-
rakters der Fiktionen führt Maimon damit eine gewisse sprachliche Dimension
in das produktive Vermögen der Einbildungskraft ein. In dieser Hinsicht ist seine
Auslegung der Tropen wichtig, d.h. der Ausdrücke, „die von ihrer ursprüng-
lichen auf andre Bedeutungen abgeleitet worden sind“.66 Die Fiktionen der Phi-
losophie bringen eine Übertragung hervor und stellen einen willkürlichen
Bezug zwischen Wort und Begriff her. Diese Bedeutung der symbolischen
Erkenntnis begründet etwa die Hochachtung, die Maimon später bei Hans Vai-
hinger genießt, für den „Maimon insbesondere das ganze Ergebnis der kanti-
schen Philosophie ganz richtig dahin zusammen[fasst], dass nur symbolische
Erkenntnis möglich sei“.67
Der Versuch über die Transzendentalphilosophie endet mit einer Abhand-
lung Über die symbolische Erkenntnis – und dieser Schluss erscheint noch
bedeutender, wenn wir bedenken, dass Maimon, wie erwähnt, den Versuch als
einen Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft konzipiert. Maimon unter-

63 Vgl. Maimon, GW, IV, S. 268.


64 Diese Schrift ist in den Streifereien im Gebiete der Philosophie (GW, IV, S. 245–272)
enthalten.
65 Maimon, GW, IV, S. 260.
66 Maimon, GW, IV, S. 270.
67 Vaihinger 1911, S. 43.
201
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

sucht die Bedeutung der Tropen hier in Bezug auf die transzendentalen Aus-
drücke: „In jeder Sprache finden sich transzendentale Ausdrücke, oder solche,
die materiellen und immateriellen Dingen gemein sind“.68 Die symbolische
Erkenntnis ist für Maimon deshalb von so großer Bedeutung, weil wir durch
ihre Hilfe „sowohl zu den abstrakten, als zu den aus diesen verschiedentlich
komponierten Begriffen [gelangen], und […] im Stande [sind], aus schon bekann-
ten Wahrheiten neue zu erfinden, d.h. überhaupt unsere Vernunft zu gebrau-
chen“.69 Der symbolische Bezug präsentiert sich zwar als vollkommen, ist jedoch
nur eine Täuschung, die gleichwohl in der Philosophie von großem Nutzen ist,
vor allem in der Beschreibung und Entwicklung von Theorien – Leibniz’ Mona-
den, der Begriff vom leeren Raum, die Vorstellungen von Raum und Zeit als
Objekten der Anschauungen an sich sind für Maimon Fiktionen solcher Art. Er
zeigt damit, dass transzendentale Begriffe keine ursprünglichen Ausdrücke
sind, sondern gewissermaßen eine symbolische Geschichte enthalten: „Die
Erfindung der Sprache verrät außerordentlich viel Witz und Scharfsinn zugleich;
denn die transzendentalen Ausdrücke bedeuten transzendentale Begriffe“.70
Maimon verbindet außerdem durch die symbolische Erkenntnis das Pro-
blem der symbolischen Darstellung mit dem des willkürlichen Charakters der
Zeichen, die Verhältnisse unter Gedanken darstellen, ohne das philosophische
Denken in eine ars characteristica aufzulösen.71 Diese Verbindung von sym-
bolischer Erkenntnis und Bezeichnungsvermögen – die für Kant getrennt blei-
ben sollten – ist die Folge der rationalistischen Auffassung der Realität: „Wir
sehen uns also hier gezwungen, etwas als ein reelles Objekt zu denken, ohne
dass wir es anschauend erkennen, wir können es also nicht anders, als durch
Zeichen vorstellen, und es ist daher (wenn es ein Gegenstand der Erkenntnis
überhaupt sein soll) ein Gegenstand symbolischer Erkenntnis“.72 Diese Vor-
stellung lässt sich nicht konstruieren, weil sie reine Formen betrifft, die keine

68 Maimon, VT, 306.


69 Maimon, VT, 265. Diese Auffassung der symbolischen Erkenntnis geht auf Lam-
bert zurück (siehe §12 des Neues Organon).
70 Maimon, VT, 309. Siehe dazu Atlas 1957, S. 260: „These terms were originally and
genuinely formed to signify material objects; only at later time were they trans-
ferred from their original domain of sensuous objects to the realm of abstract ideas.
The employment of these terms for the designation of intellectual and abstract con-
cepts is not original with man but it is an ideational superstructure produced by the
later development of the human mind“.
71 Vgl. Maimon, VT, 284/285: „Die philosophische Symbolik ist hierin von der
mathematischen unterschieden, daß nämlich in dieser, die Zeichen der irresolubi-
len Begriffe, so wie die, ihrer verschiedenen Beziehungen auf einander, von allen,
die sich derselben bedienen, auf einerlei Art verstanden werden; in jener hingegen
nur die letztern, nicht aber die erstern, dieses Glück haben, woraus Mißverständ-
nisse und ewige Wortstreitigkeiten notwendig entspringen müssen“.
72 Maimon, VT, 272 (Hervorhebungen L.G.).
202
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Objekte der Anschauung selbst sind.73 Zu diesen Formen zählt Maimon auch die
Kategorien74, die eine willkürliche Assoziation zwischen Wörtern und Begrif-
fen darstellen. Die symbolische Erkenntnis betrifft daher nur eine bestimmte
Art von Zeichen, nämlich die willkürlichen, d.h. Zeichen, die kein Ähnlich-
keitsverhältnis mit Objekten haben.75
Während die natürlichen Zeichen „alle Worte sind, wodurch Anschau-
ungen oder Begriffe, die in Anschauungen dargestellt werden können, aus-
gedrückt werden“,76 sind die willkürlichen Zeichen im Gegenteil Wörter, „die
nicht durch Assoziation des Wortes mit dem Gegenstande, sondern mit dem, bei
Veranlassung des Gegenstandes gedachten, Begriff erlernet werden“.77 Diese
Wörter beziehen sich nicht auf Gegenstände der Anschauungen und müssen
erlernt werden, jedoch nicht wie natürliche Zeichen durch eine Wiederholung
der willkürlichen Verknüpfung des Worts mit der dadurch bezeichneten Sache,
sondern in Bezug auf das Zeichen selbst. Alle Zeichen sind daher willkürlich,
auch wenn einige als natürlich gebraucht werden. Dieser Unterschied wird von
Maimon in Bezug auf den Unterschied zwischen bildenden Künsten und der
Sprache erläutert: erstere „enthalten entweder zu viel oder zu wenig, in Bezug
auf das dadurch bezeichnete Ding“.78 Sie greifen nicht das Allgemeine im Begriff.
Die willkürlichen Zeichen der Sprache scheinen im Gegenteil bestimmte Defi-
nitionen zu enthalten, die zum Beispiel die Übersetzbarkeit der Begriffe von der
Muttersprache in eine Fremdsprache ermöglichen.
Der Unterschied zwischen einer bestimmend-anschauenden und einer
symbolischen Darstellung lässt sich nun bei Maimon nicht von der Bezeichnung
und von der Sprache trennen.79 Das Zeichen ist in keinem Fall ein bloßer Beglei-
ter, sondern es stellt ein Mittel dar, „das[,] was an sich kein Objekt der Anschau-
ung ist, doch als ein solches vorzustellen“.80 Und wenn Maimon schreibt, dass
„die symbolische Erkenntnis sogar einen Vorzug vor der anschauenden hat,
indem jene sich weiter erstreckt als diese“, spricht er als Kritiker Kants in dem

73 Siehe Maimon, VT, 276/278.


74 Siehe Maimon, VT, 276/278.
75 Siehe dazu Maimon, VT, 312/314.
76 Maimon, VT, 276/278.
77 Maimon, VT, 277.
78 Maimon, VT, 293.
79 Maimon, VT, 294: „Von dieser Art ist die Sprache, welche eine Sammlung von, aus
einer geringen Anzahl möglicher Töne, durch ihre mannigfaltigen Kombinationen
entspringenden, Worten ist. Ich will hier nicht die Sprachen ihrem Ursprung nach,
sondern bloß wie sie bei uns jetzt sind, betrachten“. Vgl. auch Maimon, VT, 278:
„Die Worte, die zur symbolischen Erkenntnis gehören, werden nicht durch Asso-
ziation des Wortes mit dem Gegenstande, sondern mit dem, bei Verlassung des
Gegenstandes gedachten, Begriff erlernet“.
80 Maimon, VT, 278.
203
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

Versuch, die Wirksamkeit der symbolischen Erkenntnis für die reelle Gestal-
tung des Denkens anzudeuten.81
Die Annahme des Erlernens philosophischer Begriffe, die in einer unvoll-
endeten Sprache gefasst sind, vermeidet die Gleichsetzung zwischen philoso-
phischer und mathematischer Symbolik, weil „nämlich in dieser, die Zeichen
der irresolubilen Begriffe, so wie die, ihrer verschiedenen Beziehungen auf
einander, von allen, die sich derselben bedienen, auf einerlei Art verstanden wer-
den; in jener hingegen nur die letztern, nicht aber die erstern, dieses Glück
haben, woraus Mißverständnisse und ewige Wortstreitigkeiten notwendig ent-
springen müssen“.82 Somit greift Maimon den kantischen Unterschied zwischen
Mathematik und Philosophie auf, obwohl er – wie bereits gezeigt wurde – den
Unterschied zwischen intuitiver und diskursiver Erkenntnis verwischt, indem
er die Bildung mathematischer Begriffe in das Verfahren des Verstandes und
der Vernunft einschließt.83
Die symbolische Gestaltung ist nach Maimon ein Kriterium, das dazu
dient, Sprachen zu vergleichen und herauszufinden, inwieweit einige von ihnen
vollkommener als andere seien. Diese Problematik wird in der Folge insbeson-
dere von Humboldt und Hegel näher behandelt und stellt insgesamt ein wieder-
kehrendes Motiv der Sprachphilosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts dar.
Maimon führt dazu den Begriff der Vollkommenheit der Sprache ein und
bezieht die Sprache auf eine angenommene ideale Sprache, in der – wie in seiner
Darstellungstheorie insgesamt – „Zeichen (Wörter) mit den dadurch bezeichne-
ten Dingen (Begriffen) aufs genauste übereinstimmen“.84 Die wirklichen Spra-
chen stehen daher in einem Verhältnis der unendlichen Annäherung an die
idealische und vollkommene Sprache, die Maimon primär als eine Sprache der
Philosophie versteht und die ihn entsprechend veranlasst, ein philosophisches
Wörterbuch zu verfassen.85 Trotz der Betonung des konstruktiven Charakters
des Denkens folgt Maimon also Kant auf dem Weg einer diskursiven Bestim-
mung der Sprache, welche die Begriffe nicht auf rationale Rechnungen zurück-
führen will.

81 Vgl. dazu Rolf 2006, S. 52.


82 Maimon, VT, 284/285.
83 Vgl. Maimon, VT, 285f.
84 Maimon, VT, 298. Vgl. auch VT, 301: „Man wird die Entstehungsart der Begriffe
und ihre Verhältnisse zu einander aus der Entstehungsart der Zeichen und ihrer
Verhältnisse zu einander mit Gewißheit angeben können, und dadurch die Einsicht
der Wahrheit sehr erleichtern“.
85 Siehe dazu Maimon, VT, 327/329.
204
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

5. D ie R at iona l isier u ng der Si n n l ic h keit

Ein Vorzug von Maimons Gedankengang – den ich hier nur skizziert habe –
lässt sich meines Erachtens in der Erweiterung der Rolle der Einbildungskraft
im Verhältnis von Denken und Sprache erkennen. Damit zeigt er auf, inwiefern
die Transzendentalphilosophie hinsichtlich der Bildung der Begriffe einen neu-
en Bezug zur symbolischen Erkenntnis eröffnen kann, deren Gebrauch jedoch
zugleich eine skeptische Distanz erfordert, weil er nur als subjektiv notwendig
gelten kann. Dies unterläuft den kantischen Unterschied zwischen einer pro-
duktiven und einer reproduktiven Einbildungskraft, indem letztere bis zur
Assoziation erweitert wird, deren Gesetz sogar „die Entstehungsart der trans-
zendentalen Begriffe erklären lässt“.86 Das wiederum führt Maimon dazu, den
Status der philosophischen und wissenschaftlichen Sprache zu hinterfragen.
Auf diese Weise werden Semantik und Semiotik von Maimon durch die Erklä-
rung der Entstehung und des Gebrauchs philosophischer Begriffe transzenden-
tal verbunden – das Beispiel des fiktionalen Charakters von Raum und Zeit zeigt
dies eindrücklich.
Obwohl der Fiktionsbegriff bei Maimon immer auch die Konnotation
der Täuschung beibehält, führt er mit ihm eine wichtige Funktion hinsichtlich
der Gestaltungsfunktion des Schematismus ein, die für Kant von der symboli-
schen Erkenntnis und der Bezeichnung getrennt gehalten wird. Die Fiktionali-
tät der Einbildungskraft kann mit der Bedeutung der Gestalt als endlicher Aus-
wahl von (potentiell unendlichen) Merkmalen in Verbindung gebracht werden,
und zwar als eine Gestalt, die einen provisorischen Dogmatismus mit sich bringt,
weil sie den Gebrauch ermöglicht, ohne ihn definitiv festzulegen. Außerdem
impliziert diese Fiktionalität auch einen Skeptizismus, der die provisorische
Schließung der Merkmale wieder öffnen und transformieren kann.
Doch ein empirischer Skeptizismus wie derjenige Maimons lässt sich
meines Erachtens nicht einfachhin über die Rationalisierung der Sinnlichkeit
begründen. Dass der mit ihm verbundene provisorische Dogmatismus die Rea-
lität gestaltet und dadurch Begriffen Realität gibt, impliziert meines Erachtens
keine schlichte Rückkehr zum graduellen Übergang von der Sinnlichkeit zur
Begrifflichkeit, aber er allein kann nicht die Grundlage des empirischen Skepti-
zismus sein, der einer Begründung bedarf, um die Sinnlichkeit als eigentüm­
liche Funktion der Erkenntnis auszuweisen. Die Gestaltungsfunktion der Ein-
bildungskraft als provisorische Schließung einer Reihe von Merkmalen kann
als ein Versinnlichungsverfahren angesehen werden, das in der transzendenta-
len Beschreibung der Sinne und in der Sprache seinen systematischen Ort hat.
Ein Skeptizismus im Bewusstsein des provisorischen Charakters des Dogmatis-

86 Maimon, GW, IV, S. 458f.


205
  I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

mus ändert nämlich die Auffassung sowohl des Rationalismus als auch des
Empirismus und eröffnet den Raum für eine Versinnlichungstheorie, in der
Fiktion in Gestalt übergeht, sich im Gebrauch konkretisiert und nicht länger als
täuschend erscheint.
Der kritische Punkt der Philosophie Maimons besteht daher einerseits in
der radikalen Rationalisierung der Sinnlichkeit, andererseits in der Bestim-
mung der positiven und fruchtbaren Leistung der Idee, die er – wie Cassirer
betont – „dennoch wiederum zur bloßen Fiktion herabsetzt“.87 Die Idee wird
von Maimon als die Bedeutungserfahrung schlechthin betrachtet, womit sie das
sinnlich bedingte Feld des Verstandes umfasst. Die Idee ist die funktionale
Bestimmung der Erfahrung und unterläuft den kantischen Unterschied zwi-
schen Begriffen und Ideen, zwischen Verstand und Vernunft. Und ihre Funk-
tion kann sich nicht ohne die Einbildungskraft verwirklichen, welche die für die
Idee konstitutive unendliche Annäherung fiktiv abschließt und brauchbar
macht. Maimon führt daher zwar Kontingenz in die Sprache ein, in die Beson-
deres und Allgemeines zusammen einfließen, er verkennt jedoch ihre Konsis-
tenz im Gebrauch, die nur fiktional bleibt. Was er damit sieht, ist der willkürli-
che Charakter der symbolischen Erkenntnis in der Bezeichnung des Allgemeinen;
was er hingegen nicht erklärt, ist, was diese willkürliche Bezeichnung an sich
motiviert und inwiefern sie nicht auch von dritten Instanzen gewährleistet sein
könnte.
In diesem Sinn kann man bei Maimon von einem Monismus der Ein-
bildungskraft reden, dessen Realitätsbezug jedoch nicht wie bei Kant von der
Sinnlichkeit, sondern vom Verstand, der Vernunft und in letzter Instanz vom
unendlichen Verstand bedingt ist. Die Konsequenz ist eine gewisse Abwertung
der Sinnlichkeit, die riskiert, im Fall der bestimmenden Funktion der Einbil-
dungskraft in den graduellen Übergang von einer verworrenen Sinnlichkeit zur
deutlichen Begrifflichkeit zurückzufallen. Cassirer spricht an dieser Stelle von
einem Missverständnis Maimons hinsichtlich der kantischen Sinnlichkeits-
theorie, deren Funktion eigentlich eine sinnliche Bedingung des Erkenntnisver-
mögens und keine direkte Einwirkung auf es sei: „Denn die Kritik der reinen
Vernunft versteht unter der Erfahrung, unter der Erkenntnis a posteriori nicht
eine durch die Dinge an sich bewirkte Erkenntnis, sondern eine Erkenntnis, die
nicht durch die bloßen Gesetze des Erkenntnisvermögens bestimmt wird“.88
Dadurch präsentiert sich bei Maimon erneut die Kluft zwischen Besonderem
und Allgemeinem, die nach Cassirer den Verknüpfungspunkt zwischen der Phi-
losophie Maimons und der Kritik der Urteilskraft darstellt, insofern „in beiden
ein und derselbe eigenartige metaphysische Hilfsbegriff auftritt. Die Kluft

87 Cassirer, ECW, 4, S. 100.


88 Cassirer, ECW, 4, S. 87.
206
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

z­ wischen dem Allgemeinen und dem Besonderen der Erkenntnis erscheint vom
Standpunkt des ‚endlichen‘ empirischen Verstandesgebrauchs freilich als unüber­
­brückbar: Aber sie schließt sich, sobald wir den Gedanken eines unendlichen
und göttlichen Verstandes wenigstens problematisch zulassen und einführen“.89
In dieser Hinsicht besteht das Risiko, die Objektivität der Bedeutungs-
erfahrung auf andere Entitäten zu übertragen, wie etwa auf den Vorgang der
Konstruktion, auf den analytischen Charakter der Mathematik oder auf die
ideale Vollkommenheit eines unendlichen Verstandes. Es ist das Risiko eines –
wenn auch subjektiven – graduellen und angleichenden Übergangs von einer
unvollkommenen Vorstellung zu einer vollkommenen (jedoch idealen) Darstel-
lung. Obwohl Maimon die Philosophie als eine „Sprachlehre“ definiert,90
bezieht er die wirkliche Sprache immer auf eine ideale Sprache, in der „Zeichen,
(Wörter) mit den dadurch bezeichneten Dingen (Begriffen) aufs genauste über-
einstimmen“.91 Die höchste Vollkommenheit sei zwar nie zu erreichen, „wir
können uns aber doch, wenn wir nur wollen, derselben bis ins Unendliche
immer mehr nähern“.92 Der Ansatz Maimons ist schließlich behandelt worden,
um zu zeigen, dass die Zentralität der sprachlichen und fiktionalen Bedeutung
der Begrifflichkeit das Risiko mit sich bringt, die Funktion der sinnlichen
Gestaltung in der Sprache zu übersehen. Außerdem kann sie die Rückkehr zu
einer rationalistischen Erkenntnistheorie implizieren – muss es jedoch nicht
unbedingt –, die nur mit großen Schwierigkeiten transzendental begründet
werden könnte, ohne die begrifflich-diskursive Relativität zu unterlaufen. Die
Zeichen würden auf diese Weise zu wirklichen Repräsentationen einer idealen
Darstellung, in der sich die Funktion der Zeichen selbst auflöste. In Bezug auf
den im ersten Teil untersuchten Schematismus könnte man schließlich mit
Maimon die semantische und semiotische Dimension der symbolischen Dar-
stellung in den Schematismus einbetten, ohne dadurch die Sinnlichkeit abzu-
werten, weil gerade die Sinnlichkeit das konkrete Gewand der symbolischen
Übertragung darstellen kann. Dieser Aspekt, der schon in Bezug auf den Ver-
sinnlichungsprozess bei Kant untersucht wurde, wird im nächsten Kapitel in
Hinsicht auf die Kritiken Hamanns und Herders erneut in Betracht gezogen
werden.

89 Cassirer, ECW, 4, S. 90. Für eine vertiefende Diskussion des Revisionsansatzes von
Maimon siehe Bondeli 2006, S. 319–340.
90 Maimon, VT, 296.
91 Maimon, VT, 298.
92 Maimon, VT, 329.
I I . H amanns K ritik
am ‚ P urismus der V ernunft ‘

Der genetisch-symbolische Charakter des Denkens kann mit Hamanns Kritik


am Purismus der kantischen Vernunft in Verbindung gebracht werden, wie er
sie in seiner Metakritik von 1784 vorträgt. Hamann erklärt diesen Purismus
mittels der drei Reinigungen der kritischen Philosophie. Nach dem formalen
Versuch Maimons kann die Metakritik Hamanns – so die These – als die mate-
rielle Variante der Erweiterung der kantischen Vernunft angesehen werden. Im
folgenden, kürzeren Kapitel werde ich die Einführung der Materialität der Spra-
che in die kantische Vernunft behandeln (II.1) und schließlich ihre problemati-
sche theologische Begründung herausstellen (II.2).

1. D ie k a nt isc hen Rei n ig u ngen der Ph i losoph ie


Es sind drei Reinigungen der Philosophie, die Hamann widerlegen möchte: die
erste ist die Reinigung der Philosophie von aller Überlieferung, Tradition und
allem Glauben; die zweite betrifft die transzendentale Bestimmung des Den-
kens unabhängig „von der Erfahrung und ihrer alltäglichen Induction“.93 Die
dritte Reinigung betrifft die Sprache, die Hamann als „das einzige und letzte
Organon und Kriterion der Vernunft“ bezeichnet und mit der Überlieferung
und Usum in Verbindung bringt.94 Somit führt er eine revidierte Fassung der
Zweideutigkeit der Vernunft selbst ein, die er mit dem Satz „Rezeptivität der
Sprache und Spontaneität der Begriffe!“ zusammenfasst.95 Die Sprache mit
ihren Wörtern wird so zur gemeinsamen Wurzel der Zweistämmigkeit der Ver-
nunft, die als Denken auf ihr beruht und durch sie zur Gestaltung gelangt.96

93 Hamann, MK, 1967, S. 222.


94 Ebd.
95 Ebd.
96 Hamann rezipiert das Problem der Zweistämmigkeit der Erkenntnis zuerst in der
Rezension der Kritik der reinen Vernunft von 1781. Siehe Hamann 1967, S. 216.
208
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Sprache enthält die gelungene endliche Entsprechung zwischen Aus-


druck und Begriff, ohne dabei die unendliche Fülle des Ausdrucks aufzulösen,
die sich historisch und sinnlich entfaltet. Sie hat folglich gleichzeitig eine raum-
zeitliche Geschichte, in der das Denken sich durch die Sprache der Musik – die
Hamann als die „älteste“ bezeichnet –, der Malerei und der Zeichnung konsti-
tuiert. Bei Hamann handelt es sich daher um viele Arten von Zeichen und
dadurch „erweitert sich“ – wie Josef Simon betont – „der Zeichenbegriff über
die Sprachzeichen im engeren Sinn hinaus“.97
Die Verbindung zwischen Anschauungen, Sinnen und Sprachzeichen
wird von Hamann jedoch nicht nur in einem historisch-genetischen Horizont
entfaltet, sondern erhält zugleich eine transzendentale Stellung: „Laute und
Buchstaben sind also reine Formen a priori, in denen nichts, was zur Empfin-
dung oder zum Begriff eines Gegenstandes gehört, angetroffen wird, und die
wahren, ästhetischen Elemente aller menschlichen Erkenntnis und Vernunft“.98
Die Wörter werden somit zu den eigentlichen Vermittlungsbestimmungen,
weil sie einerseits als „sichtliche und lautbare Gegenstände“ zur Sinnlichkeit,
andererseits „nach dem Geist ihrer Einsetzung und Bedeutung“ zur Begriff-
lichkeit gehören.99 Die Wörter haben demnach für Hamann sowohl ein ästheti-
sches als auch ein logisches Vermögen.100 Sie treten so an die transzendentale
Stelle der kantischen Schematisierung: „Folglich sind Wörter sowohl reine und
empirische Anschauungen, als auch reine und empirische Begriffe: Empirisch,
weil Empfindung des Gesichts oder Gehörs durch sie bewirkt; rein, in so fern
ihre Bedeutung durch nichts, was zu jenen Empfindungen gehört, bestimmt
wird“.101 Somit übernimmt die Sprache die Rolle einer Bedeutungsgebung der
Mannigfaltigkeit und impliziert gleichzeitig auch diejenige indirekte Versinn-
lichung, die Kant in der Kritik der Urteilskraft als symbolisch bezeichnet, was
jedoch Hamann noch nicht wissen konnte.102 Der empirische Charakter der
Begriffe wird nicht direkt mit der Erfahrung gleichgesetzt, jedoch mit der Sinn-
lichkeit in Verbindung gebracht. Gesicht und Gehör werden auf diese Weise zu
transzendentalen sinnlichen Bedingungen der Entfaltung der Bedeutung zwi-
schen Bildern und Wörtern. Zu Recht bezeichnet Achermann daher den Ansatz
Hamanns als semiotischen Naturalismus, um ihn so vom sensualistischen

Zum Problem des Verhältnisses zwischen Erscheinungen und Begriffen in Bezug


auf die Schematismuslehre siehe Simon 1979, S. 143.
  97 Simon 2005, S. 25.
  98 Hamann, MK, S. 224.
  99 Hamann, MK, S. 226. Siehe dazu Achermann (2005, S. 53), der die Zeichentheorie
Hamanns, in der eine „drastische Aufwertung von Lautfolge und Zeichenbild“
erfolgt, mit den Ansätzen von Peirce und Husserl vergleicht.
100 Vgl. Hamann, MK, S. 226.
101 Hamann, MK, S. 226.
102 Vgl. Simon 2005, S. 27.
209
  II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘

Immaterialismus oder Spiritualismus Berkeleys zu unterscheiden. Die Position


Hamanns beruht ihm zufolge „auf einer intimen Verknüpfung von Zeichen-
mittel und Kraftübertragung“.103 Achermann betont, dass bei Hamann „die
fundamentale Körperlichkeit des Worts sinnliche Erfahrung erst ermöglicht“.104
Eine grundlegende Funktion der Sinnlichkeit in Verbindung mit der
raum-zeitlichen Dimension anzunehmen bedeutet jedoch nicht, den Unter-
schied zwischen Zeichen, Empfindungen und Begriffen zu eliminieren. Nichts
in den Zeichen gehört zur Empfindung oder dem Begriff des Gegenstandes –
wie die schon erwähnte Beobachtung Hamanns deutlich zeigt: „Laute und
Buchstaben sind also reine Formen a priori, in denen nichts, was zur Empfin-
dung oder zum Begriff eines Gegenstandes gehört, angetroffen wird“.105 Wegen
des qualitativen Unterschieds zwischen Gedanken und Zeichen, Begriffen und
Wörtern stellt sich das Problem, wie ein Übergangsprozess zwischen ihnen
möglich ist. Die synthetische Kraft dieses Prozesses kann nicht auf die Sinnlich-
keit reduziert werden, weil er eine Spontaneität impliziert, die zur Einheit der
mannigfaltigen Ausdrücke führt.106
In den letzten Abschnitten seiner Metakritik kommt Hamann auf das
Problem der Konstruktion und Erfindung von Wörtern auf der Seite des Ver-
standes zurück und bezieht sich erneut auf das Problem der Verbindung zwi-
schen Form und Materie in der nominalen Bestimmung, die den Kernpunkt
seines Briefwechsels mit Kant um 1774 ausmachte: „Ist es möglich aus dem
Begriffe der Vernunft die Materie ihres Namens, d.i. die 7 Buchstaben oder 2
Silben im deutschen oder irgend einer andern Sprache zu finden?“.107 Während
der kritische Ansatz eine negative Antwort darauf bedeuten würde, lässt sich
mit Blick auf die Sprache eine bejahende Antwort begründen, da sie diejenige
Übertragung ermöglicht, die von Kant in der Religionsschrift als μετάβασις εἰς
ἄλλο γένος bezeichnet wird.108

103 Achermann 2005, S. 46.


104 Achermann 2005, S. 49. Jürgen Villers (1997, S. 233–246) fasst die sprachlichen
Kernthesen Hamanns wie folgt zusammen: „1. Sprache ist autonomer Gegenstand
der Philosophie […] 2. Sprache konstituiert Vernunft 3. Sprache und damit auch
Vernunft sind geschichtlich bedingt […] 4. Sprache und Vernunft sind gesellschaft-
lich bedingt […] 5. Eine reine Vernunft ist […] eine Fiktion […] 6. Sprache vermit-
telt Rezeptivität und Spontaneität […] 7. In der Philosophie sollte an die Stelle der
Vernunftkritik Sprachkritik treten […]“.
105 Hamann, MK, S. 224.
106 Vgl. Achermann 2005, S. 50.
107 Hamann, MK, S. 226.
108 Diese Übertragung kann zwar für Kant nur von regulativer Bedeutung sein, für
Hamann (MK, 1967, S. 227) jedoch lässt sie selbst die Trennung zwischen Judentum
und Heidentum als einen Idealismus erscheinen. John R. Betz nimmt auch auf
Hamanns Abhandlung Golgotha und Scheblimini Bezug und betont (2009, S. 257):
„Thus, any ultimate opposition or dialectic between paganism (qua the quest for the
210
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

2. D ie ‚Sa k ra l it ät ‘ der Sprac he

Diese Wandlung, die für Kant in der Sprache nur ein endliches Mittel finden
kann, gründet dagegen für Hamann in der Veranschaulichung der Sprache
selbst, die von höchster Spiritualität ist: „was die Transzendental-Philosophie
metagrabolisirt [im Sinne von ‚eine Leere ausloten‘],109 habe ich um der schwa-
chen Leser willen, auf das Sacrament der Sprache, den Buchstaben ihrer Ele-
mente, den Geist ihrer Einsetzung gedeutet“.110 Ähnlich dem Sakrament ist das
Wort bei Hamann nicht nur die Vermittlung selbst, sondern auch Mitteilung,
Einprägung und Einverleibung,111 und die spirituelle Wandlung, die das Wort
daher mit sich bringt, lässt sich bei ihm nicht anders als theologisch begründen.
Wie Josef Simon betont, versteht Hamann grundsätzlich den kritischen
Gesichtspunkt einer menschlichen Endlichkeit, die auch die Beziehung zwi-
schen Sprache und Vernunft bestimmt; trotzdem ist für ihn diese Endlichkeit
weder als ein Erkenntnisanspruch noch als eine pragmatische Resultante, son-
dern theologisch ‚als Geschöpf‘ zu verstehen, das der Mensch selbst ist.112 Auch

eternal truths of reason) and Judaism (qua historical revelation) collapses. And
when, under metacritical leverage, it finally does, when it finally gives way, as
Hamann fully intends, the result is a metabasis eis alles genos, i.e., a categorical
leap into Christianity, to which paganism (qua reason) and Judaism (qua the law)
respectively point, and in which both are fulfilled“.
109 Siehe dazu Bayer 2002, S. 414.
110 Hamann, MK, S. 227 [Hervorhebung L.G.]. Siehe auch Bayer, 2002, S. 422: „Im
Schlusssatz seiner Metakritik stellt Hamann dar, wie er Kants Kritik der reinen
Vernunft gelesen hat. Was Kant lang und breit über die reine Vernunft zu sagen
hat, wendet Hamann im Kern auf die Sprache, die, sakramental verstanden, als das
wahre Element der Vernunft sichtbar gemacht wird. Hamann überlässt es der Akti-
vität seines Lesers, mit Hilfe des lutherischen Sakramentsverständnisses den die-
sem korrespondierenden Gesichtspunkt der Idiomenkommunikation und damit die
Ehekunst gegen die von Kant geübte Scheidekunst fruchtbar zu machen“.
111 Siehe Hamann, MK, S. 226.
112 Josef Simon bemerkt dazu (2005, S. 31): „Hamanns Denkansatz ist im Grunde nicht
philosophisch, sondern theologisch bestimmt. Wenn er ‚den Menschen‘ nicht wie
Kant unter dem Gesichtspunkt der Kritik definitiver Erkenntnisansprüche nur
noch in ‚pragmatischer Hinsicht‘ bestimmt, sondern theologisch als Geschöpf und
damit als ein ‚endliches‘ Wesen ansieht, versteht er Kant dennoch ‚besser‘ als z.B.
Jacobi […]“. Die Problematik der theologischen Begründung der Philosophie
Hamanns wird auch von Oswald Bayer thematisiert (2002, S. 396): „Hamanns auf
sprachliche Vermittlung von Sinnlichkeit und Verstand abhebende Kritik der ‚rei-
nen‘ Vernunft ist in seinem Gottes personale Anrede und elementare Weltimma-
nenz verbindenden Schöpfungsverständnis begründet. Ohne die sprachliche Wahr-
nehmung der darin zur Geltung kommenden konkreten Kreatürlichkeit muss die
metaphysische Frage nach Gott trotz ihrer auf letzte Gewissheit gehenden Absicht
in reine Willkür ausarten. Dies gilt zugleich für die von Gott mit der Sprache ein-
gesetzte Vernunft, die nur von dieser Einsetzung her in Wahrheit verstanden wer-
den kann“. Vgl. dazu auch Weishoff 1998, S. 138f. und Gaier 2006, S. 115–117.
211
  II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘

wenn Kant, der sich als „armer Erdensohn“ versteht, der „zu der Göttersprache
der anschauenden Vernunft gar nicht organisiert“ ist,113 ihn an die apologeti-
sche und symbolische Bedeutung seines Denkens erinnert, ist Hamann und
seiner Metakritik das Verdienst anzurechnen, die gestalterische und einprägen-
de Bedeutung der Wörter herausgestellt zu haben und den weiten erkenntnis-
theoretischen Sinn von Zeichen im Gebrauch zu erörtern, der sich im Reden
realisiert. Reden ist nach Hamann immer ein Übersetzen: ein Übersetzen „aus
einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt, Gedanken in Worte, –
Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch,
oder symbolisch oder hieroglyphisch – und philosophisch und charakteristisch
sein können“.114 Die Begriffe sind jedoch nicht vorgegeben, sondern realisieren
sich erst im Gebrauch; und trotzdem bleibt das Problem der Gewährleistung des
Verstehens von einem ideellen Wesen abhängig, wie wiederum Josef Simon
bemerkt hat:

„Das Entscheidende ist, dass das Andersverstehen für Hamann also nicht
nur eine Schwäche des menschlichen sprachlichen Verhaltens ist. Ihm
steht kein demgegenüber ‚idealer‘ Sprachbegriff eines göttlichen Logos
mehr gegenüber, in dem identisches Verstehen garantiert und der das
nachzuahmende Vorbild wäre“.115

Trotz des willkürlichen Bezugs der Zeichen auf die Begriffe dienen sie nicht nur
dazu, Begriffe hervorzurufen, sondern haben die Funktion einer ständigen Ver-
sinnlichung der Bedeutung, die nach Hamann die schöpferische Kraft der Spra-
che enthüllt, die jedoch letztlich nicht von ihrer Funktion als Vermittlerin des
göttlichen Geistes zu trennen ist.116 Während bei Maimon eine bestimmte
Sakralisierung der Vernunft auffällt, durch welche die Sinnlichkeit in eine
rationalisierte Einbildungskraft eingebettet wird, erfolgt bei Hamann also eine
Sakralisierung der schon immer versinnlichten Endlichkeit, die sich nicht von
ihrem Status, die Endlichkeit eines Geschöpfes zu sein, trennen lässt. Wenn bei
Hamann demnach eine Transzendierung und – wie Michael Forster beobachtet
– eine Übersimplifizierung des ganzen kantischen Systems erfolgt,117 so stellt er
dennoch eine grundlegende Frage an das System selbst, und zwar die Frage nach
der historischen und anthropologischen Bildung der Begriffe und der impliziten

113 Kant AA X: 156.


114 Hamann, SW, II, S. 199.
115 Simon 1983, S. 15. Mit Vorsicht vergleicht Josef Simon (1983, S. 16–18) die Bedeu-
tung des Übersetzens bei Hamann mit der These Quines zur Unbestimmtheit der
Übersetzung.
116 Auf diesen Aspekt hat insbesondere Peter Meinhold (1979, S. 63) hingewiesen.
117 Vgl. Forster 2010, S. 292.
212
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Funktion, die diese Bildung im Gebrauch hat.118 Genau diese Spannung zwi-
schen dem gegebenen und gemachten Charakter der Begriffe wird deshalb im
nächsten Kapitel in Bezug auf die Auslegung des kantischen Schematismus
durch Herder zu untersuchen sein.

118 Siehe für die Betrachtung dieses Aspekts bei Hamann Majetschak 1989, S. 470.
I I I . H erders ‚ M etaschematismus
t ö nender G edankenbilder‘

Während der Schematismus bei Maimon und Hamann nicht in allen seinen
Bestandteilen untersucht und kritisiert wird, erfolgt bei Herder das Gegenteil.119
Seine Metakritik der reinen Vernunft bewegt sich – ähnlich dem Versuch von
Maimon – in die Richtung einer Akzentuierung des performativen Charakters
des Denkens, der jedoch in der Sprache und im weitesten Sinn in der Sinnlich-
keit seinen Ursprung hat, worin Herder wiederum Hamann näher steht als
Maimon.120 Bei Herder ist meines Erachtens der Versuch zu beobachten, die
Gestaltung des Denkens durch die Sinnlichkeit zu erklären, sodass reine Spon-
taneität nicht ohne Sinnlichkeit zu denken ist.121 Ich werde die Kritik Herders an
der kantischen Schematismuslehre daher als einen ersten Schritt auf dem Weg
in Richtung einer eigentlichen Versinnlichungstheorie interpretieren, die jedoch
bei Herder noch rein subjektiv bleibt.
Schon in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772
sieht Herder die Aufgabe des Philosophen darin, „einen Faden der Empfindung
liegen[zu]lassen, indem er den andern verfolgt“ und fügt hinzu: „In der Natur

119 Michael Forster (2010, Kap. 8) vertritt zwei Thesen: die erste ist, dass eine zeitliche
Priorität der sprachlichen Theorie Herders Hamann gegenüber beweisbar sei; die
zweite ist, dass die sprachliche Theorie Herders höherwertig sei. Er behauptet (S.
314): „In sum, the common picture of Hamann as a deep well of seminal ideas in the
philosophy of language, who inspired Herder to reproduce and publicize them, and
thereby founded a whole intellectual tradition, is basically a myth. Herder was the
real innovator here, and his ideas are also greatly superior to Hamann’s in sub-
stance“ (Hervorhebung L.G.). Von den zwei Thesen, die er vertritt, ist hier vor
allem der zweite in Betracht zu ziehen, da er von der Überzeugung geprägt ist, dass
die enge Verbindung zwischen Denken und Sprache bei Herder ausführlicher und
systematischer als bei Hamann ausbuchstabiert ist.
120 Für einen systematischen Vergleich zwischen Hamann und Herder siehe Forster
2010, S. 132–134.
121 Siehe dazu insbesondere Borsche 2006, S. 140.
214
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

aber sind alle die Fäden ein Gewebe!“122 Die Philosophie isoliert die einzelnen
Funktionen der Sinne, die jedoch in der Wahrnehmung in einer für den Men-
schen konstitutiven Synästhesie zusammenfließen. Der Mensch ist in den
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit „noch ein Zögling des
Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmählich erst verstehen ler-
net“.123 Das Denken ist bei Herder grundsätzlich an eine Besinnung gebunden,
deren performative Kraft in der sinnlichen Wahrnehmung anzusiedeln ist, wie
Cassirer betont: „Erst die Besinnung ist es, die flüchtige sinnliche Regung zu
einem in sich Bestimmten und Unterschiedenen und damit erst zu einem eigent-
lichen geistigen Inhalt macht“.124
Die Sprach- und Erkenntnistheorie Herders verfolgt daher die Strategie,
die gestalterischen Prozesse hervorzuheben, die zur Darstellung des Gegen-
standes führen, ohne sie jedoch zu rationalisieren; vielmehr werden sie in der
Sinnlichkeit fundiert. Daher wird diejenige Metastasis näher untersucht, die
wir nach Herder „nicht begreifen“, aber durch welche „uns der Gegenstand ein
Gedanke“ ist.125 Die Konstitution von Denkbildern ist bei Herder als eine radi-
kale Versinnlichung zu interpretieren, da die Begriffe nicht von ihrer sinnlichen
Gestaltung isoliert werden können. Er bezieht sich jedoch nicht erkenntnistheo-
retisch auf den Versinnlichungsbegriff. Das kantische Schema ist entsprechend
für Herder eine „dritte Fiktion zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“.126
Im Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand, im Übergang von Bildern
zu Begriffen erweist sich das Schema als ein Technizismus, ein fiktionales Kon-
strukt, welches den Prozess der Gedankenbildung nicht wiedergibt. Erst durch
eine Metastasis, die wir nach Herder nicht begreifen, wird der Gegenstand zum
Gedanken. Somit ist das Problem der Konstitution von Denkbildern nicht bei-
gelegt, sondern erscheint lediglich in einem anderen Licht.
Bei Herder stellt die Einbettung der Sinnlichkeit in den Gestaltungspro-
zess einen Physiologismus dar; trotzdem wird der Gestaltungsprozess selbst in
der Beschreibung der Funktion der Sinne nicht auf die physiologische Empfin-
dung reduziert. Ähnlich wie Kant zielt Herder nicht darauf, eine direkte Ent-
sprechung von Begriffen und Sinnesdaten zu entwickeln. Mehr jedoch als Kant
wird von Herder die Dimension der Empfindung im Denken problematisiert.

122 Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, in FHA, 1, S. 745 Für die
Entstehung des Schema-Begriffs bei Herder siehe den Aufsatz von Gaier (2010,
S. 22), der sich auf die Verwendung der Begriffe ‚Schema‘ und ‚Metaschematisie-
ren‘ bei Paulus bezieht. Für diese Deutung in Bezug auf Hamann siehe auch den
Aufsatz von Hans Adler (2010, S. 139f.).
123 Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in FHA, 6, S. 141.
124 Cassirer, ECW, 11, S. 95.
125 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 418.
126 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.
215
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Das Denken steht damit gewissermaßen vor der Aufgabe, die Sinnlichkeit als
Ganze nicht zu transzendieren.127 Das betrifft im Allgemeinen auch die Wahr-
nehmung der Gegenstände durch die Sinne, die uns Typen und Gestalten lie-
fern. Damit wird jedoch das Problem des Unterschieds zwischen Empfindung
und Erfahrung nicht aufgelöst: Das wahrgenommene Bild kann nicht mit dem
durch die Sinnesorgane empfundenen Bild gleichgesetzt werden, und das emp-
fundene Bild entspricht nicht dem Bild auf der Netzhaut des Auges. Die Sprache
ist entsprechend die Artikulation, die Typen zur Entfaltung bringt, die nur not-
gedrungen auch als Abbilder dienen. Somit verbindet Herder die raum-zeitliche
Dimension mit den Sinnen des Sehens und des Gehörs und erkennt, dass das
Gehör dabei eine grundlegendere Rolle in der Artikulation der Sprache aus-
übt.128 So ergibt sich eine neue und dynamischere Form des Schematismus, der
als „ein neuer Metaschematismus tönender Gedankenbilder“129 definiert wird,
und in dem ein Übergang vom Bildhaften bis zum abstrakten Begriff nur im
Horizont einer Versinnlichung überhaupt möglich ist. Die sinnliche Dimension
wird damit zum integralen Bestandteil des Schematismus, da dieser gerade in
den Sinnen seine Dynamik entfaltet.
Die Dimension des Denkens lässt sich bei Herder nur als eine historische,
genealogische, holistische, anthropologische Dimension erklären, die sprach-
gebunden ist.130 Die Philosophie kann daher die Frage der Genese der Begriffe
nicht unterlaufen, wie auch Ralf Simon bemerkt: „Es ist letztlich der Beginn des
genealogisches Denkens, der sich bei Herder abzeichnet. […] Genese ist geltungs-
relevant, so Herder“.131 Im Gegensatz dazu riskiert der Schematismus bei Kant
wegen des Mangels einer systematischen Behandlung der Sprache als statische
Fiktion interpretiert zu werden. Herder entwickelt stattdessen in der Metakritik
der reinen Vernunft eine antireduktionistische und vor allem sprachliche Form
des schematischen Überganges.

127 Diesbezüglich betont Hans Adler (2010, 142): „Was Kant als konstruktive Funktion
der Einbildungskraft bei der Begriffsbildung herausarbeitet – d.h. gerade nicht auf
Abstraktion von Gegebenem abhebt – wendet Herder in eine Kritik unfundierter
Abstraktion, deren Kern in der Kritik an der Distanz von den menschlichen Sinnen
oder der Abwesenheit der menschlichen Sinne in diesem Prozess besteht“.
128 An dieser Stelle nimmt Herder – wie Brigitte Hilmer (2010, S. 199) betont – eine
Umgestaltung der kantischen Anschauung durch die Sprache an, welche jedoch so
lange nicht als eine Auflösung interpretiert werden kann, wie die Anschauungen
weiterhin ihre eigene Funktion in der Sprache ausüben sollen.
129 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.
130 Angelica Nuzzo (2010, S. 200) sieht den Vorzug der Philosophie Herders darin, der
Spannung zwischen Logik und Geschichte die zentrale Stellung im philosophi-
schen Diskurs und der Logik eine genetische Bedeutung verliehen zu haben (S.
204): „Herder’s account of logic is primarily developmental or genetic“.
131 Simon, 2010, S. 118.
216
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Im Folgenden soll es primär darum gehen, die angedeutete Transforma-


tion der kantischen Schematismuslehre durch Herder in der Metakritik und der
Kalligone nachzuzeichnen; deswegen wird auf die früheren Schriften nur
Bezug genommen, um bestimmte Aspekte von Herders Sinnlichkeits- und Sprach­
t­ heorie aufzunehmen, die zweifellos eine andere Prägnanz besitzen als die
anthropologischen Reflexionen Kants, welche von ihm nicht in den Kontext der
Transzendentalphilosophie eingebettet werden können. Ich habe mich bewusst
dafür entschieden, die Untersuchung von Herders Standpunkt mit denjenigen
Schriften anzufangen, die in direkter Auseinandersetzung mit den Schriften
Kants stehen, um so den Fokus auf den Schematismus zu legen. Die These des
Übergangs vom Tastsinn zum Gesichts- und Gehörsinn in der Entwicklung der
Sprache wurde von Herder schon im Vierten Kritischen Wäldchen von 1769, in
Schriften wie Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772, Vom
Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele von 1774 sowie in Plastik
von 1778 entworfen. Diese Schriften sollen im Folgenden untersucht werden,
wobei hin und wieder zugleich vertiefend auf den späteren Versuch Herders ein-
zugehen ist, eine Umgestaltung des kantischen Schematismus vorzunehmen.
Es gilt also mit Herder zu verstehen, ob eine Versinnlichungslehre zur
Erweiterung der gesamten semantischen Artikulation des Denkens führen oder
lediglich eine Erweiterung des semiotischen (willkürlichen) Ausdrucks mit sich
bringen würde. Anders gefragt: Lässt die Einbettung der Gestaltungsfunktion
der Sinne in die Transzendentalphilosophie eine neue Dimension der Bedeu-
tung erscheinen, oder erklärt sie nur besser und vielseitiger, wie Bedeutung
zum Ausdruck kommt? Im ersten Fall wäre die Metaschematisierung als solche
als Versinnlichung und Versprachlichung zu verstehen. Durch die Einführung
des Metaschematismus könnte der Schematismus tatsächlich zu dem originär
semantischen und semiotischen Verfahren werden, das er zumindest potentiell
bereits bei Kant schon ist. Es wird daher versucht, den statischen Charakter
einer rein vorgegebenen Begrifflichkeit zu überwinden, die ohne sinnliche
Gestaltung nur eine haltlose Dichtung darstellt, welche nach Herder nicht von
dem Sinn und der Konstruktion des Sinnes getrennt werden kann. Im zweiten
Fall wäre eine solche Erweiterung zwar suggestiv, jedoch würde die Transzen-
dentalphilosophie nicht konstitutiv davon profitieren, da ihr synthetisches Ver-
mögen unverändert bliebe. Der Ansatz Herders scheint daher als Prüfstein
geeignet zu sein, um die Bedeutung einer solchen Einbettung zu untersuchen
und um zu verstehen, ob sie eine Erweiterung der Transzendentalphilosophie
oder einen Ausweg aus dieser darstellt.132

132 Das vorliegende Kapitel kann zugleich als Auseinandersetzung mit den Beiträgen
des von Ulrich Gaier und Ralf Simon herausgegebenen Sammelbands Zwischen
Bild und Begriff: Kant und Herder zum Schema (2010) gelesen werden, in dem die
217
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Hier ist jedoch zunächst Schritt für Schritt vorzugehen. Die folgende
Untersuchung der Philosophie Herders geht von der Erörterung seiner Kritik
des kantischen Schematismus aus (III.1) und vertieft insbesondere drei Aspekte,
die in den abschließenden Kapiteln behandelt werden – und zwar den aposterio-
rischen Charakter der Begrifflichkeit (III.2), die Funktion der Sinnlichkeit (III.3)
und die Bestimmung der symbolischen Darstellung (III.4).

1. D ie Me t a k r it i k a m k a nt isc hen Sc hemat ismus


In der Metakritik von 1799 kehrt Herder die Schematismuslehre Kants um,
indem er den Grund der Gestaltung des Denkens und der Verbindung zwischen
Sprache und Denken ausgehend von der Sinnlichkeit erörtert, deren Behand-
lung ausdrücklich auch die Sinne miteinbezieht. Somit erfolgt eine sprach- und
erkenntnistheoretische Verknüpfung der Transzendentalphilosophie im engeren
Sinn mit den historischen und anthropologischen Dimensionen des Denkens,
die Adler mit dem Ausdruck der „mesokosmische[n] Dimension der Philoso-
phie“ belegt hat, nach welcher „das Ganze der menschlichen Erkenntnis auf der
Ganzheit des erkennenden Menschen basiert“.133 Dieser holistische Ausgangs-
punkt macht die Transzendentalphilosophie zur Beschreibung eines Prozesses,
in dem Bedeutung und ihre Artikulation zusammenfallen. Dieser gesamte Pro-
zess lässt sich nicht vom sprachlichen Ausdruck im weitesten Sinne isolieren.134
Transzendentalphilosophisch gesehen werden durch diese holistische Per-
spektive die Grenzen des reinen Verstandes gesprengt, dessen Spontaneität nun
die Aufgabe zukommt, alle Dimensionen des Denkens zu umfassen. Der in die-
sen Grenzen eingezwängte Schematismus bleibt dabei dunkel. Herder behauptet:
„Der menschliche Verstand hat eine viel höhere Kraft als dunkel zu schema-
tisieren. Er kann seine erfassten Merkmale durch Worte ausdrücken, er kann
sprechen, dass man Dinge sehe und ihn vernehme“.135 Die Spontaneität muss
daher immer in Verbindung mit der Sinnlichkeit stehen.136

sogenannte Vermittlungsfrage des Schematismus mit dem metaschematischen


Ansatz von Herder von verschiedenen Seiten beleuchtet wird.
133 Adler 1990, S. 44. Siehe dazu auch Gaier 2010, S. 32. Katherine Arens deutet den
holistischen Ansatz Herders als eine Erweiterung seiner Psychologie (1990, S. 189):
„His psychology is not a study of mind, but rather soul – Herder extends the ideal-
ist definition of mind towards the modern notion of psyche, including more than
conscious potentials which can be revealed in dreams or visions“.
134 Insbesondere Charles Taylor (1995, S. 95) hat den Ausdruck „holism of meaning“ ver­
­wendet, um dieses Zusammenfallen in der Sprache zu beschreiben: „The holism of
meaning is one of the most important ideas to emerge from Herder‘s new perspective“.
135 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 425.
136 Auf die Verbindung von Spontaneität und Rezeptivität hat insbesondere Ulrich
Gaier hingewiesen (1988, S. 205).
218
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Herder hält den Schematismus für ein überflüssiges Geschäft des Ver-
standes und sieht seine Aufgabe in der Versprachlichung selbst, auch wenn er –
wie Bertram betont hat – eine nicht-reduktionistische Auffassung der Sprache
vertritt: Er „begreift die Sprache als ein irreduzibles Moment menschlicher
Praxis, ohne sie als differentia specifica dieser Praxis zu verstehen“.137 In der
Sprache verbinden sich also Ausdruck und Wahrnehmung, in deren Zusam-
menhang Form und Materie unzertrennlich sind.138 Und Herder bezieht sich
explizit auf die Begriffe von Materie und Form, die „in der Metaphysik so viel
leere Begriffe, schneidende Behauptungen und aus ihnen entspringende, Wort-
kriege verursacht, dass wir uns, wenn von irgendeiner Sache etwas Bestimmtes
gesagt werden soll, vor ihnen zu hüten haben“.139 Er beschreibt die Materie als
Bauzeug und die Form als die Konstruktion des Baues. Die Trennung zwischen
ihnen verhindert ihm zufolge die Erklärung der Gestaltung und führt lediglich
zur Schaffung von Idolen, wie es Raum und Zeit in der Sinnlichkeitstheorie
sind, die, als isoliert betrachtet, die Funktion der Sinnlichkeit nicht ausschöpfen.
Die Metakritik ist daher im Kern eine Kritik der isolierenden Methode
Kants, durch welche die beschriebenen Begriffe zu starren und leeren Dichtun-
gen und das Geflecht des kritischen Denkens zu einer separierenden Analyse
seiner Bestandteile werden, die als lebens- und gebrauchsfremd erscheinen. Die
Metakritik könnte insofern als eine Lehre der Einwirkung aller Kräfte der See-
le aufeinander gelesen werden,140 in der zunächst keine reine Sinnlichkeit gege-
ben ist, sondern die Anschauungen immer schon in Verbindung mit den einzel-
nen Sinnen stehen. Raum und Zeit sind daher nicht vom Hören und Sehen zu
trennen. Somit verbindet Herder die transzendentale, empirische und anthro-
pologische Ebene der kantischen Erörterung der Sinnlichkeit zu einer „Physio-
logie der menschlichen Erkenntniskräfte“,141 womit auch die Kategorientafel
revidiert wird,142 die als Bestimmungstafel oder als Versinnlichungstafel bezeich-

137 Bertram 2006, S. 227f.


138 Diesbezüglich ist es wichtig, an den Unterschied zwischen broad expressivism und
narrow expressivism zu erinnern, den Michael Forster (2010, S. 103–106) in Bezug
auf Hamann und Herder einführt, nach welchem für Herder „non-linguistic art
involves thought and meaning, and hence language“.
139 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 347.
140 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 319f.: „Alle diese Kräfte sind nicht nur im
Gebrauch, sondern auch in ihrer Entwicklung, vielleicht auch in ihrem Ursprunge
einander so nah, so mitwirkend und verwickelt ineinander, dass wir nicht wähnen
dürfen, wir haben ein anderes Subjekt genannt, wenn wir eine andere Verrichtung
desselben nannten. Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unserer Seele; wir tei-
len sie nicht ein, sondern bezeichnen ihre Wirkungen, die Anwendung ihrer Kräf-
te. Die empfindende und sich Bilder erschaffende, die denkende und sich Grundsät-
ze erschaffende Seele sind ein lebendiges Vermögen in verschiedener Wirkung“.
141 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 343.
142 Diese Tafel findet sich in Metakritik, in FHA, 8, S. 369.
219
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

net werden könnte. Angesichts dieser Kritik von Sinnlichkeit und Begrifflich-
keit kann kaum erstaunen, dass auch die Revision des Schematismus in den
Fokus der Metakritik rückt, für welche die Subsumption nicht nur den Gebrauch
bestehender, sondern die Erwerbung neuer Erkenntnisse darstellt.
Der Versuch Herders muss daher nicht allein als eine Umkehrung des
kantischen Schematismus, sondern zugleich als eine Radikalisierung der syn-
thetischen Erweiterung der Erkenntnis durch die Sinnlichkeit gelesen werden.
Die Handlung des Verstandes ist in dieser Hinsicht keine ursprüngliche, spon-
tane Handlung, sondern ein Verstehen, das immer schon produktiv sinnlich ist.
So erklärt Herder entsprechend die doppelte Bestimmung der Begrifflichkeit,
die bei Kant einerseits als gemacht, andererseits als gegeben auftritt. Auf der
ersten Ebene handelt es sich um die Begrifflichkeit in ihrer Genesis als dem Pro-
zess selbst, der zur Bildung der Begriffe führt.143 Hier erfolgt nach Herder die
eigentliche Präformation auf der Seite der Sinnlichkeit. Die Spontaneität wird
mit einer Handlung des Verstehens zusammengesetzt, die sich in der Sprache
(im weitesten Sinne) realisiert. Auf der zweiten Ebene jedoch haben die Begriffe
den Charakter eines Gegebenen, da sie in der Sprache formiert und im Gebrauch
immer wieder aktualisiert werden. Auch auf dieser Ebene erfolgt also eine For-
mierung, die jedoch nicht ursprünglicher als die der Sinnlichkeit ist, sondern als
eine solche nur erscheint, weil die Begriffe als vorgegeben empfunden werden.
Anhand der Verbindung dieser zwei Ebenen lässt sich die revidierte Auffassung
der Kategorien bei Herder erklären. Seine Antwort auf die Frage „Wie entstan-
den also diese Kategorien? Etwa priorisch, ohne Gegenstände, von einem andern
Wesen dem menschlichen Verstande als eine Tafel angeheftet, damit durch sie
Erfahrung möglich würde?“, ist eindeutig ablehnend:

„Offenbar nicht also. Menschlich sind diese Begriffe gedacht, in einer


menschlichen Sprache ausgesprochen. Der Actus, durch den sie hervor-
gebracht wurden, ist die Handlung des Verstandes selbst, und zwar seine
einzige, fortwährende Handlung, ohne welche er kein Verstand ist.
Sobald der menschliche Verstand begreift, muß er kategorisieren“.144

Es wird daher nicht verwundern, dass die Tafel von ihm auch als eine „Genea-
logie menschlicher Verstandesbegriffe“ bezeichnet wird,145 die sich auf zweier-

143 Diese Spannung zeigt meines Erachtens, dass für Kant die Gegebenheit der Begriffe
durchaus ein Problem darstellt. Sicherlich interessiert er sich – wie Tilman Borsche
betont hat (2010, S. 61) – für das Problem der Geltung der Begriffe. Trotzdem wür-
de ich sein Interesse am gegebenen Charakter der Begriffe nicht nur als „beiläufig“
bezeichnen, weil diese Spannung als eine erkenntnistheoretische an vielen Stellen
des kantischen Werks auftritt.
144 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 413.
145 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 365.
220
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

lei Weise spezifizieren lässt: einerseits als die Bestimmung des Seins, anderer-
seits als die Übertragung dieser Bestimmung in etwas, was in uns organisch
selbst gegeben ist. In der ersten Tafel finden wir Sein, Nebeneinander, Nach-
einander, In- und Durcheinander. In der zweiten organischen Tafel werden
diese Bestimmungen als Bewusstsein, Gesicht (als Organ des Nebeneinander),
Gehör (als Organ des Nacheinander) und Gefühl (als Organ des In- und Durch-
einander) verstanden.146
Die Sinne sind daher in jeder Gestaltung schon immer miteinbezogen,
wie Herder unmissverständlich schreibt: „Die Sinne präformieren, d.i. sie bil-
den ihm [dem Verstand] das Mannigfaltige zu Einem, das er sich nicht erschafft,
sondern anerkennend sich aneignet und eben hierdurch Verstand ist“.147 Und er
bezeichnet als „vorzüglich“ gerade die drei Sinne, die Kant in der Anthropologie
als eher objektiv denn subjektiv darstellt, und zwar Gesicht, Gehör und Gefühl
(Tastsinn).148 Hierin scheint bei Herder der Gedanke einer Versinnlichung auf,
in welcher der Verstand nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zu
trennen ist.149 Der Satz „Ich habe verstanden“ bringt daher den tieferen Sinn
der eigentlichen Funktion des Verstandes zum Ausdruck und beugt dem Ein-
druck einer Verworrenheit der Vorstellung im Verhältnis von Verstand und
Sinnlichkeit vor: „Soll unser Verstand verstehen, so muss ein Verständliches
vor ihm sein, das für ihn Bedeutung habe; Verstand ohne alles Verständliche ist
ein Unding, so viel leere Wortkapseln wir ihm auch anhängen mögen“.150 Wör-
ter, die nicht am Prozess des Verstehens teilnehmen, sind nicht nur – wie bei
Kant – Wächter der Begriffe, sondern vielmehr leere Wächter der Begriffe,
„Wortlarven“, welche unter der ‚Knute der Übervernunft‘ stehen.151 Die Sprache
übt im Gegenteil eine aktive Funktion aus, und die Wörter sind keine bloßen
Begleiter, sondern die eigentlichen Mittel des Denkens – so Herder:

146 Vgl. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 401f.


147 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe dazu auch die Beobachtung Herders
(S. 402): „Organisation ist unsre Form, Wesen des Verstandes, wie des Verstande-
nen, ohne welche dieses ihm nichts, ohne welche er sich selbst aber auch nichts
bedeutet. Er hat diese Form und nimmt sie in Alles, worüber er sich verständigt“.
148 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe oben, Kap. II.5 des ersten Teils.
149 Siehe dazu Heinz 2010, S. 220: „Der Verstand gestaltet seine Begriffe notwendiger-
weise in beiderlei Kunstformen, d.h. er versinnlicht sie in Formen des Neben- und
Nacheinander, in Bildern und Tonfolgen“.
150 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 397. Für die Auseinandersetzung Herders mit der
Philosophie Leibniz’ und der an dieser von Kant geübten Kritik sind die Seiten
485–488 der Metakritik aufschlussreich, in denen Herder sich auf das Problem der
Verworrenheit der Sinnlichkeit bezieht. Für ihn scheint der Preis, den Kant für die
Kritik der Position Leibniz’ zahlt, die Annahme des nicht weniger problematischen
Dinges an sich zu sein.
151 Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 558.
221
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

„Die menschliche Seele denkt mit Worten; sie äußert nicht nur, sondern
sie bezeichnet sich selbst auch und ordnet ihre Gedanken mittelst der
Sprache. Sprache, sagt Leibniz, ist der Spiegel des menschlichen Verstan-
des, und, wie man kühn hinzusetzen darf, ein Fundbuch seiner Begriffe,
ein nicht nur gewohntes, sondern unentbehrliches Werkzeug seiner Ver-
nunft. Mittelst der Sprache lernten wir denken, durch sie sondern wir
Begriffe ab und knüpfen sie, oft haufenweise, ineinander“.152

Ausgehend von dieser Auffassung der Sprache und der Sinnlichkeit fragt Her-
der nach dem genetischen Verfahren, das zur Bildung der Begriffe führt und
damit direkt den Schematismus betrifft: „Statt nämlich zu transzendieren, kehre
die Vernunft auf den Ursprung ihres Besitzes, d.i. in sich selbst zurück, mit der
Frage: ‚Wie kamst du zu dir und zu deinen Begriffen? Wie hast du diese ausge­
drückt und angewandt, verkettet und verbunden? Woher kommt es, dass du
ihnen allgemeine, notwendige Gewißheit zueignest?‘“153 Die Antwort Herders
kehrt zur Begrifflichkeit zurück und problematisiert die Gegebenheit der Begriffe
in dem Versuch, sie in einer Erfahrung zu begründen, die den Unterschied zwi-
schen Materie und Form dynamisiert und nicht hypostasiert. Somit erweitert
Herder den Aufgabenbereich jeder Schematisierung. Die Schemata werden als
statische Fiktionen beschrieben. Herder bezieht so den ursprünglichen Schema-
tismus-Begriff auf Bacon, „der aber ganz etwas anderes und Reelleres damit
wollte“.154 Im Gegensatz dazu verkenne Kant das Schema als Funktion einer
dritten Fiktion „zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“155 – wobei Fiktion
hier nicht das Produkt eines Prozesses, sondern einen Schemen im Sinne eines
vagen Konstrukts meint, das keine Begründung erfährt.
Der Schematismus basiert demnach für Herder grundsätzlich auf einem
falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Regel und Bild, was sich an der
Adaption des Beispiels einer Schematisierung des empirischen Begriffs des

152 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 320. Siehe dazu Adler 1990, S. 37: „Bei Herder
erreicht das Dunkle schließlich einen neuen Status mit der Behauptung, daß es
nicht nur thematisiert werden müsse, sondern daß es den Status eines grundsätzli-
chen Problems habe, ohne dessen Lösung alles Philosophieren bodenlos und – des-
halb – vergebens sei. […] Dieser Weg ist die Geschichte der Anerkennung des
Dunklen als nicht hintergehbares anthropologisches Datum, das in der ‚Wissen-
schaft von der sinnlichen Erkenntnis‘ (def. Baumgarten) – der Ästhetik – seinen
philosophischen Ort findet“.
153 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 342.
154 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414, Anmerkung 1. Francis Bacon ist ein wichti-
ger Bezugspunkt der Metakritik Herders. Siehe etwa die Stelle (S. 344), an der
Herder in Bezug auf Bacon bemerkt, dass dieser keinen Unterschied zwischen Ido-
len und Ideen, „zwischen leeren Satzungen und wahren Bezeichnungen“ sehe.
155 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.
222
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Hundes verdeutlichen lässt. Er nimmt Bezug auf die Behauptung Kants, dass der
Begriff vom Hund eine Regel bedeute, „nach welcher meine Einbildungskraft
die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf
irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder
auch ein jedes mögliche Bild, was in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu
sein“.156 Diesbezüglich fragt er sich einerseits, warum man bei einem vierfüßi-
gen Tier unbedingt an einen Hund und nicht auch an ein Pferd oder einen Esel
denken müsse. Denn diese Beliebigkeit wird vom Schematismus nicht aus-
geschlossen, da gerade die Abstraktion von bestimmten Merkmalen die Gattung
erweitert und damit die Vorstellung generischer macht. Andererseits betrifft
die Kritik Herders die Möglichkeit, ein vierfüßiges Tier ohne Gestalt zu denken:
„Soll ich es mir aber ‚ohne irgendeine Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet,
ohne jedes mögliche Bild, das ich in concreto darstellen kann‘, denken, so denke
ich in der Regel (denn kein vierfüßiges Tier lässt sich ohne Tiergestalt und ohne
vier Füße denken) gar nichts“.157 Kant würde demnach – so die Kritik – dem
Schematismus eine Funktion zuschreiben, die er nicht haben kann, und zwar
„sich Bilder in abstracto ohne jedes mögliche Bild in concreto vorzustellen“.158
Die Vorstellung setze daher einen Schema-Begriff voraus, der systematisch
zwar der Gestalt vorgeordnet sei, trotzdem jedoch die Gestalt selbst vorstellt.
Herder nennt diese Vorstellung einen Unbegriff, dem eigentlich die formieren-
de Kraft fehle, um die Wandlung der Begriffe in Gestalten zu vollziehen. Da der
Schematismus von einem Unbegriff ausgeht, eignet er sich nicht zu der ihm
zugeschriebenen Funktion. Auch die Kritik Herders am Schematismus bewegt
sich daher meines Erachtens gerade im Spannungsfeld zwischen gegebenem
und genetischem Charakter der Begriffe.
Soviel zunächst zur Kritik Herders an der Schematismuslehre Kants. Die
Deutung Herders hat jedoch nicht nur die aufgezeigte negative Seite, die darauf
zielt, die Lehre Kants zu entwerten, sondern enthält auch eine systematisch weit
interessantere und konstruktive Bedeutung, die dadurch zur Geltung kommt,
dass Herder die eigentliche Fragestellung des Schematismus thematisiert, die
für ihn in den Denkbildern des menschlichen Verstandes besteht.159 Diese posi-
tive Seite der Kritik Herders wird nun genauer zu untersuchen sein.

156 Kant, KrV, B 180, A 141.


157 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 415.
158 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 416.
159 Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 417: „Überhaupt musste diese ganze
Schematopöie mißraten, da sie von einem Unbegriff (der Vorstellung eines Trian-
gels, der alle Gestalten der Triangel, eines Hundes, der alle Hundegestalten vor-
stellte) ausging. Lasset uns, vergessend diese dunkeln Formeln, von Denkbildern
des menschlichen Verstandes reden“.
223
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Herder erkennt die Funktion einer Empfindung und Denken betreffen-


den Metastasis, die „wir nicht begreifen“ und durch die „uns der Gegenstand
ein Gedanke“ ist.160 Und er bemerkt gleichzeitig, dass durch den inneren Sinn
eine Verinnerlichung stattfindet, die dazu dient, die unterschiedlichen Eindrü-
cke der einzelnen Sinne zusammenzubringen und zu vergleichen. Zwei Aspekte
sind dabei besonders hervorzuheben: der erste betrifft die Bezeichnung der Ein-
drücke einzelner Sinne als Typen, die auf die einzelnen Organe zurückzuführen
sind, mittels derer sie empfunden werden. Damit werden Bilder, Töne, Gerüche,
Geschmacks- und Gefühlarten als einzelne Sinne in die transzendentale Sphäre
eingeführt. Der zweite Aspekt besteht darin, dass der innere Sinn als sensorium
commune, „das aller dieser verschiedenen Eindrücke inne ward, notwendig eine
Versammlung der Abdrücke (Ektypen) sehr verschiedener Typen“ wird.161 Der
innere Sinn ermöglicht insofern eine Synthesis zwischen den Sinnen, die eine
Präformation vollzieht.
Diese Annahme hebt jedoch nicht den Unterschied zwischen Empfin-
dung und Erfahrung auf, da – wie schon erwähnt – das wahrgenommene Bild
nicht mit dem durch die Organe empfundenen Bild gleichgesetzt werden kann:

„Das Bild, das meine Seele empfängt, ist ganz ihrer Art, nicht das Bild
auf der Netzhaut des Auges; es ist von ihr empfangen, in ihre Natur
metaschematisiert. Indessen war’s vom Eindruck veranlasst, und sofern
ein geistiges Bild einem körperlichen ähnlich sein kann, ist es ihm ähn-
lich“.162

Der Eindruck ist nun der Ausgangspunkt des Denkens, und zwischen dem geis-
tigen und dem körperlichen Bild herrscht ein Ähnlichkeitsverhältnis, jedoch
keine Entsprechung. Hier wird von einem neueren „Metaschematismus tönen-
der Gedankenbilder“163 gesprochen, der diese Metastasis realisiert und in dem
die Einbildungskraft die Funktion hat, diesen geistigen Typus zu behalten.
Der geistige Typus lässt sich transformieren und auf unterschiedliche
Ebenen beziehen: er kann Gegenstand des Willens, der Triebe, der Wünsche
usw. werden. Die Einbildungskraft hingegen gewährleistet diejenige Beharr-
lichkeit, die Kant der Substanz zuschreibt und die nach Herder im Denkbild
selbst zu finden ist. Und innerhalb dieses Typus kommt eine Synästhesie zum
Ausdruck, die sich subjektiv realisiert, je nachdem, wie die Sinne wirken. In dieser
Synästhesie sind zum Beispiel die Typen des Auges und Ohrs „abgesetzter, reiner,
heller und klarer“ als die anderen Sinne. Die Synästhesie beschreibt also nicht

160 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 418.


161 Ebd.
162 Ebd.
163 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.
224
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

nur die Verhältnisse der Sinne untereinander, sondern sie wird zur transzen-
dentalen Bedingung der Artikulation des Denkens selbst. Ralf Simon legt diese
philosophische Grundintention Herders deshalb als eine „Sensualisierung der
begriffslogischen Grundannahmen des Rationalismus und damit als dessen
radikaler Gegenentwurf“ aus und erklärt sie – mit einem Neologismus – zum
„Projekt einer characteristica sensualis“.164 Herder integriert demnach die
Sinnlichkeit direkt in den Schematismus, da dieser von der Gestaltungsfunk-
tion des Tons lebt, und schlägt somit eindeutig den Weg einer Versinnlichung
ein, in welcher der Unterschied zwischen Anthropologie und Psychologie defi-
nitiv überwunden scheint.
Noch wichtiger ist hervorzuheben, wie gerade in der Zusammensetzung
die Entstehung der Sprache durch Artikulation stattfindet. Die Sprache selbst
ist diese sinnliche Artikulation,165 welche die Typen zur Entfaltung bringt. Die
Sprache ist somit gleichzeitig versinnlichend und versinnlicht, indem die Sinne
sowohl produktiv als auch rezeptiv sind.166 Die Sinne sind in der Sprache immer
schon aktiv, aufgrund des Metaschematismus, der in der Sprache erfolgt.167 Sie
ermöglichen die Artikulation des Denkens zwischen Bild und Wort, welche als
diejenigen Pole angesehen werden können, die schon in der Schematismuslehre
Kants zu finden sind, da das Schema selbst Methode des Überganges zwischen
Begriff-Wort und Bild ist. Was bei Herder hingegen wesentlich deutlicher aus-
buchstabiert wird, ist die semiotische Aufgabe einer Schematisierung, die ihre
Semantik überhaupt nur mittels sinnlicher Gestalten realisiert.168 Die Sprache

164 Simon 2010, S. 100f. Zum Begriff der Synästhesie siehe insbesondere die Interpre-
tationen von Maurer (2010, S. 57–72) und Bertram (2006, S. 235). Dieser beobach-
tet: „Die sinnliche Organisation des Menschen, die in dieser Weise untrennbar mit
der Sprache zusammenhängt, lässt sich am besten mit dem Begriff der Synästhesie
fassen. Wer Sprache versteht, dessen Sinnlichkeit gewinnt eine synästhetische
Anlage: Alle Sinne spielen für ihn zusammen“.
165 Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 419 und Bertram (2006, S. 228) für die
Interpretation eines nicht-reduktionistischen Ansatzes der Sprache bei Herder.
166 Vgl. dazu Hilmer 2010, S. 202f.: „Schematisierung findet auf drei Ebenen statt:
durch die einzelnen Sinne, durch die sprachliche Grammatik und durch die Worte
selbst. Die Schemata sind nicht vorgegeben, sondern bilden sich in der Betätigung
und Erfahrung aus. […] Die Sinne schematisieren in ihrem Bereich sowohl ‚rezep-
tiv‘ […] als auch ‚produktiv‘“.
167 Siehe dazu Fortuna 2005, S. 145: „[…] la Metacritica individua nella schematizza-
zione un dispositivo attivo già all’interno dei sensi“.
168 Insbesondere Ralf Simon (2010, S. 116f.) unterstreicht die grundlegende Beziehung
zwischen Bezeichnung und Bild bei Herder: „Es ist die sprachliche Funktion der
Bezeichnung, die dem bildhaften Charakter des innerlichen Gepräges zum Bild
verhilft. Herder denkt die Sprache als eine in die sinnlichen Vorstellungen hinein
vermittelte Exegese dieser Vorstellungen so, dass daraus beides zugleich entspringt:
artikulierte Sprache und Bild“. Tilman Borsche betont, dass mit der Auffassung
jedes Begriffs als Bildwortes kein iconic turn als Überwindung des linguistic turn,
225
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

ist daher „mehrfach ikonisch gebunden“, wie wiederum Ralf Simon bemerkt:
„als Protobilder wandern sensuelle Reize in den inneren Sinn ein und dort wer-
den sie semiotisiert, damit die semiotische Funktion manifeste Vorstellungs-
bilder erzeugen kann“.169
Das Wort als lautbares Merkmal ist nach Herder das Resultat einer Span-
nung zwischen der ständigen Veräußerung und Verinnerlichung im Denken:

„Er [der Mensch] musste, er wollte äußern, was er in sich sah und fühlte;
so ward, unterstützt von Stimme und Gebärden, den innern Abdrücken
seiner Seele, ein lautbares Merkmal, das Wort. Zwischen beiden Sinnen,
dem Ohr und Auge, und den verschiedenen Eindrücken, die beide
gewährten, drängte es sich hervor; es ward der empfangenen Eindrücke
typisierender Ausdruck“.170

Im Metaschematismus ist die Synästhesie nicht von der sinnlichen Wirkung


trennbar, die mit den Sinnen zusammenhängt. Dadurch transformiert sich die
kantische Synthesis von Neben- und Nacheinander in ein sinnliches Fließen der
Wahrnehmung, die jederzeit von der Plötzlichkeit des Bildes oder der Stimme
unterbrochen werden kann: „Wenn also Gedankenbilder eindringen, wecken,
einander schnell folgen, wenn sie regsam bezeichnen, dauernd in uns hallen und
wiederhallen sollen, so mußten sie tönen“.171 Trotz dieser Wirksamkeit sind
Bilder Denkbilder, und die Sprache lässt sich nicht auf die Sinnlichkeit reduzie-
ren. In Anschluss an Überlegungen von Jürgen Trabant kann auch davon die
Rede sein, dass bei Herder die Kategorien zu Begriffen der sprachlichen Ver-
nunft werden.172

sondern eine Erweiterung des linguistic turn selbst angesprochen ist (2006, S. 141):
„Herder schreibt in dem Bewusstsein, dass jedes Wort Antwort ist. Mehr noch,
dass jeder Begriff Bildwort ist: d.h. etwas darstellt, das er selbst nicht erdacht, son-
dern vorgefunden hat, indem er es aufnimmt, wiedergibt und ggf. modifiziert bzw.
kritisiert. Grundbegriffe sind Bildworte. Das ist nicht der iconic turn, der den
Grundsatz lehrt: Bilder statt Worte, sondern eine Überwindung des linguistic turn
durch Erweiterung: Worte als Bilder, nicht Abbilder von Sachen, Einkleidung der
Begriffe, sondern Wort-Bilder als Quellen neuer Gedanken. Bilder werden Begriffe
durch ihre Signatur im Wort. Begriffe entstehen, indem Bilder zu Worten geprägt
und damit Glieder eines unendlichen Netzes von Analogien – dem Gewebe der
‚Sprache‘ – werden; eines Gewebes von Gewohnheiten, das weitere Gewebe an sich
bindet: solche von Gewohnheiten des Wahrnehmens, des Urteilens, der morali-
schen Gefühle usw.“. Siehe dazu auch Hilmer 2010, S. 204.
169 Simon 2010, S. 111. Vgl. auch Heinz 2010, S. 219.
170 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.
171 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420
172 Vgl. Trabant 2006, S. 249.
226
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Das Begreifen erstreckt sich über die Bilder hinaus, und die Sprache, um
diese übertragende Abstraktion zu ermöglichen, tönt und klingt „ätherisch“173:
„In diesem Verstande ist die ganze Sprache Allegorie; denn jederzeit drückt in
ihr die Seele ein anderes durch ein anderes aus (ἄλλο ἀγορεύει, ἄλλο νοεῖ),
Sachen durch Zeichen, Gedanken durch Worte, die im Grunde nichts miteinander
gemein haben“.174 Und trotzdem wird das Begreifen nicht auf das sich allego-
risch Entfaltende des Denkens reduziert, dessen Begriffe auch die Möglichkeit
haben, sich von den Bildern zu entkleiden, obwohl auch dem hellsten Begriff
„das Bildhafte nie ganz entnommen werden kann“.175 Herder nimmt an dieser
Stelle Bezug auf die Algebra176 als Beispiel einer Disziplin, die sich gerade auf die
Entsprechung von Zahlen und Zeichen gründet, und unterscheidet sie von der
Philosophie. Wie schon Kant, hebt auch Herder den diskursiven Charakter des
philosophischen Denkens hervor; jedoch begründet er die Diskursivität phi-
losophischer Begriffe nicht durch die Unmöglichkeit, sie in Bilder zu überset-
zen, sondern vielmehr durch den genetischen Prozess, der von Bildern aus-
gehend zu Begriffen gelangt, die keinen Bezug zu jenen haben. Das Verhältnis
zwischen spekulativen Begriffen und Bildern ist daher auf nicht-reduktive Art
sprachlich:

„Da man sich nämlich bei spekulativen Begriffen keine groben Bilder
der Erfahrung denken konnte, nahm man, wie der Zufall sie gab, aus
dem Zusammenhang der Sprache, aus Erinnerungen, wo und wann man
das Wort zuerst gehört hatte, oft aus dem Schalle des Worts selbst Züge
zusammen und formte daraus eine Nebengestalt, wie die Kritik sie
angibt, ein Schema“.177

Wenn das Schema nur eine Nebengestalt ist, stellt sich die Frage, woher die
ursprüngliche Gestalt kommt. Sie entspricht nicht dem Wort selbst, das – letzt-
lich ähnlich wie bei Kant – nur den Begriff aufruft und von ihm unterschieden
bleibt. Das Schema ist vielmehr als Nebengestalt eine Schattierung der Sache

173 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Diesbezüglich betont Ralf Simon (2010,
S. 101): „Sprache ist grundsätzlich die Exegese ihrer sinnlichen Herkunft, selbst
wenn im Zuge der Sprachentwicklung die fundierende Bildlichkeit zurückgedrängt
wird und die Begriffe der Verständigkeit in den Vordergrund treten“.
174 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421.
175 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Siehe dazu Gaier 2010, S. 9: „Wollte man es
auf Schlagworte verkürzen, dann stellt sich Kant die Frage, wie man Kategorien
veranschaulicht, während Herder die Frage stellt, wie man Bilder verbegrifflicht“.
176 Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422: „Die Algebra selbst mit ihren
Zahlen und Zeichen, durch Ordnung, Stellung, Verwandlung und Minderung der-
selben hat dieses Bildhafte (es betreffe Größe und Operation) auf genaueste
bestimmt und eben hierauf die Sicherheit ihres Geschäfts gegründet“.
177 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422.
227
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

selbst.178 Der Schematismus wird folglich in eine Sprachlehre gewandelt, die


nach Herder nicht ein Schema des Sinns, sondern den Sinn selbst zur Darstel-
lung bringt: „Denn was nicht reiner Ausdruck des Begriffs, sondern nur sein
Schema ist, war nur die Frucht eines schematischen, d.i. Wortspielenden Schat-
tenverstandes. Sinn kann durch nichts dargestellt oder vertreten werden, als
durch sich selbst; ein Schema seiner ist Leersinn“.179 So wird in der gesamten
Sprache die Handlung des Verstandes erkannt, die sich in jeder menschlichen
Sprache spiegelt. Somit beschreibt Herder den Übergang vom Metaschematis-
mus – der den allegorischen Charakter des Denkens zur Schau stellt – zur
Bestimmung einer Grammatik des Denkens, das an sich schon Rede und Spra-
che als solche voraussetzt. Er behauptet nämlich: „der Grundbau der Rede in
allen Sprachen ist Typus eines zusammenhängenden Akts des wirkenden Ver-
standes“.180
Die so bezeichnete Aktivität des Verstandes wird über die grammati-
schen Funktionen der Sprache erläutert, geht jedoch das Risiko ein, die Frage des
Schematismus unbeantwortet zu lassen. Bei Herder – wie bei Kant – ist der Ver-
stand durch eine spezifische Spontaneität charakterisiert. Obwohl nämlich den
Begriffen eine gewisse Aposteriorität zugeschrieben wird, stellt der Verstand
für Herder eine apriorische Kraft dar: Wenn die Spontaneität beim Verstand
liegt, dann muss jedoch – anders als bei Kant – sein semantischer Bezug von der
Sprache gewährleistet sein: „Durchaus bezeichnen in ihr sinnliche Worte die
feinsten Begriffe des Verstandes, sodass nicht welches Wort, sondern in wel-
chem Sinn das Wort dort und hier gebraucht wird, den Ort des Begriffes ent-
scheidet“.181 Der prozessuale Charakter des Verstehens – das Herder oft mit der
Begriffsbildung gleichsetzt – führt zu einer im Vergleich zu Kant konkreteren
Auffassung der Begriffsbildung. Das Allgemeine, so Herder, ist nämlich eine
Generalisierung, die als Absicht immer eine Partikularisierung hat.182
Herder sieht folglich keinen Platz für den ursprünglichen Schematismus,
sondern nur für einen Metaschematismus, der eine grundlegendere semioti-
sche Funktion als der kantische einnimmt, da es in ihm letztlich um den Bil-
dungsprozess der Sprache selbst geht, die sowohl in ihrer Ausdrucks- als auch
Bedeutungsgebung bestimmt wird.183 Schafft ein solcher Metaschematismus –

178 Siehe zur Verwendung der Bezeichnung der Wortschatten als σκιάματα und nicht
als σχήματα Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 425.
179 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 427.
180 Ebd.
181 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 482. Siehe dazu auch S. 593f.
182 Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 513.
183 Hans Adler (2010, S. 146) schreibt diesbezüglich: „Metaschematisieren als produk-
tiver Rezeptionsprozess wird als Äquivalent der Arbitrarität des Sprachzeichens im
Prozess des Ausdrucks (Semiose) begriffen, wobei die Zeichen letzten Endes deik-
tische Funktion haben“.
228
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

so ist zu fragen – den semiotischen und semantischen Übergang von Bildern zu


Gedankenbildern? Löst Herder auf diese Weise nicht die eigentümliche Funk-
tion der Schematisierung auf und verliert durch die Betonung ihrer sprach-
lichen Funktion den Sinn der Schematisierung selbst? Der Punkt ist hier also, ob
Herder mit seiner Metaschematisierung die ursprüngliche Frage des Schema-
tismus beantworten kann – und zwar die Frage nach einer transzendentalen
Semantik, welche in der Artikulation des Denkens zwischen Bild und Wort die
Bedingung des Bezugs der Begriffe auf die Gegenstände der Erfahrung erklärt.
Kant selbst stellt diese Frage, wenn er – wie aus der Metaphysik Volckmann
hervorgeht – die Physiologie von der Metaphysik unterscheidet: Die Erste bezieht
sich zwar auf die Frage des Ursprungs, die nach Kant auch wichtig sein mag,
ohne aber die grundlegende Frage der Metaphysik zu beantworten, welche die
Anwendung selbst der (irgendwie) schon gegebenen Begriffe betrifft. Darüber
hinaus behauptet er: „Die Untersuchung der Physiologie ist immer gut; allein
sie gehört nicht in die Metaphysic. So kann man z.B. fragen: wie kommen wir
zur Sprache? zu den Organen? Aber die Metaphysik frägt eigentlich nur, was
wir damit für einen Gebrauch machen sollen?“184 Bei Herder hingegen ist die
semiotische Entstehung und Entfaltung gleichzeitig eine semantische Bedin-
gung. Gerade weil der Begriff sich ausgehend vom Bild generiert, ist er auch im
Bild wiederzuerkennen.
Die Einführung des Begriffs der Artikulation scheint mir in diese Rich-
tung zu gehen, indem damit ein Schema-Begriff eingeführt wird, der immer
schon eine Handlung ist, was später insbesondere für Fichte und Bergson wich-
tig sein wird.185 Damit gelingt es Herder, das kantische Problem der Vermitt-
lung zu lösen und die Schematisierung als eine Versprachlichung zu beschrei-
ben, die immer schon eine Versinnlichung impliziert, in der die Begrifflichkeit
zur Entfaltung kommt.186 Es ließe sich jedoch auch darauf hinweisen, dass
sowohl Kant als auch Herder von verschiedenen Standpunkten ausgehend ver-
suchen, die Gestaltung des Denkens nicht als ein Vermittlungsproblem, son-
dern als ein Synthesis-Problem zu behandeln. Denn für beide sind Begrifflich-
keit und Sinnlichkeit schon immer in der Erkenntnis involviert, jedoch ist für
Herder eine deutliche Ausweitung der Gestaltungsfunktion der Synthesis zu
verzeichnen: wie auch für Maimon ist das gesamte Denken – und nicht nur die
Erkenntnis – von dieser Gestaltungsfunktion betroffen. Das bedeutet aber nicht

184 Kant, AA XXVIII: 377.


185 Sowohl Fichte als auch Bergson verwenden den Begriff des Schemas in Bezug auf
den Handlungsprozess (nicht nur im praktischen Sinn). Vgl. Borsche 2010, S. 87.
186 In dieser Hinsicht kann man die Meinung von Ralf Simon (2010, S. 113) teilen, der
bemerkt hat, dass „Kant und Herder am selben Vermittlungsproblem“ arbeiten,
„einmal vom bewusstseinstheoretischen Standpunkt aus, einmal von einem sen-
sualistischen Standpunkt aus“.
229
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

etwa, dass Herder die Vermittlung des Schemas nicht mehr braucht und eine
Philosophie ohne ein Drittes vertritt, sondern lediglich, dass dieses Dritte eben
die Gestaltung selbst ist und ihre einzelnen Bestandteile nur in heuristischer
Weise als getrennt betrachtet werden können. Die Frage hat sich daher auf den
Grund dieses heuristischen Verfahrens zu fokussieren. Jede Vermittlung ist bei
Herder eher eine Artikulation und Gestaltung als die Überbrückung eines
Dualismus, da dieser in der Erfahrung immer schon überwunden ist. Dieser
Ansatz hat zwei unmittelbare Konsequenzen: erstens Herders Versuch, in einer
Topik der Regionen der Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes eine
strikte Grenzziehung zwischen den Vermögen zu vermeiden,187 und zweitens
die Kritik des Unterschieds zwischen phaenomenon und noumenon. Letzterer
wird von ihm wie folgt erklärt:

„Phänomenon heißt, was erscheint; Noumenon, was sich der Verstand


(νοῦς) denkt. Dies denkt er sich nicht hinter und außer, sondern an dem
Phänomenon; und damit ist die ganze Verwirrung gehoben. Die grie-
chischen Worte bezeichnen beide Begriffe so genau, dass hierbei kein
Missverständnis sein sollte“.188

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Artikulation nicht in der
Lage ist, die ganze Weite der Schematismusproblematik abzudecken. Denn diese
als Kern einer Transzendentalphilosophie hat nicht allein die semiotische Arti-
kulation zwischen Bildern und Begriffen sowie die Entstehung und den
Gebrauch von Zeichen zu erklären, sondern auch die synthetische Funktion des
Denkens, das nicht auf die Sinnlichkeit reduziert werden kann. Gefragt ist dem-
nach die Erhellung der semantischen Artikulation als ein Versinnlichungspro-
zess, der nicht nur die semiotische Entfaltung von Bedeutung zwischen Wörtern
und Bildern, sondern auch ihren Gebrauch erklärt. Auf dem Spiel steht damit
eine mögliche Entsprechung von Semiotik und Semantik im Gebrauch, welche
in der Folge nicht zufällig mit der Problematik des kindlichen Spracherwerbs in
Verbindung gebracht wird. Um dieses Thema etwas eingehender zu beleuchten,
wird es im Folgenden zunächst um den aposteriorischen Charakter der Begriff-
lichkeit, dann um die Funktion der Sinnlichkeit und den Primat des Hörens und
schließlich um Herders Analyse der symbolischen Darstellung in Kants Kritik
der Urteilskraft gehen.

187 Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 484.


188 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 469.
230
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

2. Der ap oster ior isc he Cha ra k ter


der Beg r i f f l ic h keit
In der Metakritik schreibt Herder: „Wie es ohne Gegenstände keine Anschau-
ungsformen gab, so gibt es ohne sie auch keine Gedankenformen“.189 Begriff-
liche Gegebenheit ist nicht einfach voraussetzbar, ohne die Anschauungen mit-
einzubeziehen, weil der Gedanke immer schon eine sinnliche Verwandlung
impliziert. Damit wird der Schematismus zu einem genetischen Prozess der
Begrifflichkeit, der sich vom Bildlichen über den Ausdruck und die Bezeichnung
erstreckt. Das Allegorisieren, das nach Herder unsere Seele und Sprache ständig
vollziehen,190 ist demnach eine Versinnlichung, welche zum Gebrauch und
gleichzeitig zur Bildung der Begriffe dient.191 Somit verschärft sich die Funktion
einer Schematisierung, in der die Subsumption der Erscheinungen unter Begriffe
nicht mehr von der Anwendung der Begriffe auf Erscheinungen zu trennen ist.
Hierbei lässt sich schließlich von einer Gestaltung im engeren Sinne, zumindest
aber von einer ständig provisorischen Situiertheit der Begriffe und der mit
ihnen implizierten Metaphern sprechen.192
Die Begrifflichkeit präsentiert sich nun in einer sinnlichen Bestimmung
und bleibt offen für andere Anwendungen. Aus diesem Grund wird für Herder
auch das Thema der Erlernung und des Gebrauchs der Sprache bei Kindern
relevant, dessen Reichweite sich bis in die logischen Strukturen des Denkens

189 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 469.


190 Vgl. Herder, Über Bild, Dichtung und Fabel, in FHA, 4, S. 635.
191 So interpretiert Michael Forster den sprachphilosophische Ansatz Herders (2010,
S. 16): „1. Thought is essentially dependent on, and bounded in scope by, language
– i.e. one can only think if one has a language, and one can only think what one can
express linguistically. […] 2. Meanings or concepts are – not the sorts of things, in
principle autonomous of language, with which much of the philosophical tradition
has equated them, e.g. the referents involved, Platonic forms, or mental ideas, but
instead – usages of words. 3. Conceptualization is intimately bound up with (per-
ceptual and affective) sensation“.
192 Die Situiertheit der Begriffe wird von Liisa Steinby wie folgt erklärt (2010, S. 159):
„Was man genau mit dem Begriff meint, schwankt je nach dem einzelnen konkre-
ten Gegenstand“. Siehe auch S. 155: „Während Erkenntnis für Kant als Subsumtion
des Gegenstandes unter einen Begriff, d.h. als ein Wiedererkennen des Angeschau-
ten im Begriff erscheint, besteht begriffliche Erkenntnis für Herder darin, dass
etwas (Nicht-Begriffliches) auf den Begriff gebracht wird. Ein weiterer Unterschied
ist, dass während der Gegenstand der Erkenntnis für Kant phänomenal, d.h. dem
Akt des Erkennens immanent ist, für Herder kein Zweifel besteht, dass die Erkennt-
nis als ‚das Ding an sich‘, d.h. Gegenstände außerhalb von uns, betrifft. Herder
kritisiert die Idee eines prinzipiell unerreichbaren ‚Dinges an sich‘ und sieht in
diesem ein Produkt reiner Abstraktion, eine irregelaufene, leere Idee als ein Ding
hypostasiert“.
231
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

erstrecken kann.193 Dieses Phänomen wird übrigens auch von Maimon berück-
sichtigt, der – wie bereits angedeutet wurde – die Funktion der symbolischen
Erkenntnis auf die Begrifflichkeit ausweitet. In Bezug auf die Möglichkeit, den
Gebrauch der Begriffe in abstracto zu bestimmen, schreibt Maimon: „Allein
hier ist nicht die Rede von den Begriffen, sondern von ihren Ausdrücken. Es ist
unmöglich den Gebrauch dieser letztern in Abstracto kennen zu lernen, ehe
man denselben in Konkreto kennen gelernt hat“.194 Hierbei geht es um Aus-
drücke, deren Bedeutung im Gebrauch zu suchen ist. Diese Passage entstammt
Maimons Abhandlung Erklärung einer allgemeinbekannten merkwürdigen
anthropologischen Erscheinung von 1800, die er dem von Kant gestellten Pro-
blem der Erlernung des Wortes ‚Ich‘ bei Kindern widmet. Das Wort Ich sowie
die ‚Fürwörter‘ – also die Pronomen – lernt das Kind laut Maimon durch den
Gebrauch: das Sprechen, dessen Folge ein inneres Bewusstsein ist, in dem sich
die Reihe des Ich vollendet. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die
damit verbundenen Probleme detailliert zu erörtern, sondern lediglich darum,
auf die genetische Methode Maimons hinzuweisen, die eine aposteriorische
Auffassung der Begriffe mit sich bringt, indem ihre Bildung auf die kognitive
Entwicklung des Kindes zurückgeführt wird, in der die Sprache eine schöpferi-
sche Funktion übernimmt.195 Die Sprache lässt sich insofern nicht von ihrer
anthropologischen und historischen Dimension trennen, die entsprechend
einen Überlieferungsprozess erfordert.

193 Zur Bildung der Begriffe siehe insbesondere das Werk Viertes Kritisches Wäld-
chen, in FHA, 2, S. 252–255. Angelica Nuzzo hat zuletzt mit Blick auf die Bedeu-
tung bemerkt, die Herder den Kindermädchen wegen der ‚begrifflichen‘ Erziehung
der Kinder zuspricht (2010, 206): „Concepts are the a posteriori of language. Think-
ing is one with speaking so that we would not be able to think were we not thinking
in and through language. Framing this thesis in the developmental perspective of
the earlier essay, Herder repeats that ‘in our first education we learn thoughts
through words, and the nursemaids that form our tongue are hence our first teach-
ers of logic’. Genetically, the first concepts are always ‘sensible concepts’ [Abhand-
lung über den Ursprung der Sprache, in FHA 1, S. 556f.]“.
194 Maimon, GW, VII, S. 528.
195 Dazu Gaier 1988, S. 198: „Der Verstand bleibt in einem dialektischen Verhältnis an
den historischen Moment der Wortschöpfung gebunden. […] Die in Merkmalen
bezeichnende und den so konstituierten Begriffe in Sprache festhaltende Funktion
des Verstandes ist es auch, die für Herder ein Äquivalent dessen schafft, was Kant
sich nur als Apriori der reinen Verstandesbegriffe erklären kann“. Vgl. auch Adler
2010, S. 147. In Bezug auf die Funktion der Sprache schreibt Lisa Steinby (2010,
S. 156): „Begriffe und Sprache stehen somit für Herder – anders als für Kant – in
einer engen, inneren Beziehung zueinander: in der Sprache sind die Erzeugnisse
unseres Verstandes und des Verstands der vor gegangenen Generationen gespei-
chert, und die angeeignete Sprache schenkt uns die Mittel, unsere Welt zu begrei-
fen“.
232
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Wie schon gesehen, spricht Herder in Bezug auf das Allgemeine von
einem Prozess der Generalisierung, der eine Partikularisierung zur Absicht hat.
Diese Absicht jedoch gründet nicht in der Sprache selbst, sondern in einer ange-
borenen Fähigkeit des Menschen, die Herder als Besonnenheit bestimmt, die –
wie Trabant beobachtet – als das „Bedürfnis des Menschen, die Welt kennen-
zulernen“, zu verstehen ist.196 Diese Fähigkeit stellt lediglich eine Disposition
zur Sprache dar, weil Herder die kognitive, innerliche Sprache als nicht angebo-
ren, sondern dialogisch bestimmt.197 Die Disposition zur Sprache lässt sich wie-
derum nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit trennen, weil sie sich
durch die Sinne realisiert. Im folgenden Kapitel wird daher die dichtende Funk-
tion der Sinnlichkeit bei Herder zu untersuchen sein, um auf diesem Weg erklä-
ren zu können, inwiefern durch die Sinne das Allgemeine immer schon in einer
Partikularisierung begriffen ist. Genauer geht es um die Frage der Bildung von
abstrakten Begriffen, also um die Begründungsfrage, die wiederum die Sponta-
neität des Metaschematismus bei Herder betrifft: Wie kommt dieser Prozess
zu seinen eigenen Begriffen?

3. D ie Fu n k t ion der Si n n l ic h keit u nd d a s Gehör


a ls Si n n der Sprac he
Die Sinne gewinnen schon in den früheren Schriften Herders als Bedingungen
der Sprache und der Erkenntnis an Bedeutung. Die Sinne, die Kant in der
Anthropologie behandelt – und zwar nicht im Rahmen der schematischen und
symbolischen Darstellung –, erfahren bei Herder die aufgezeigte Aufwertung.
Ohne die Sinne, so lautet Herders Grundauffassung, würde das Denken nicht
zur Gestaltung kommen. Die Sinne vollziehen daher die Präformation der
Empfindungen; sie sind eng mit der Sprache verbunden und bereiten das Terrain
für das Verstehen. Zur Verdeutlichung sei noch einmal der wegweisende Satz
angeführt: „Die Sinne präformieren, d.i. sie bilden ihm [dem Verstand] das
Mannigfaltige zu Einem, das er sich nicht erschafft, sondern anerkennend sich
aneignet und eben hierdurch Verstand ist“.198
Das Verhältnis zwischen Sinnen und reinen Anschauungen – das bei
Kant in den Tiefen der anthropologischen Reflexion rekonstruiert werden

196 Siehe dazu Trabant 2006b, S. 220.


197 Trabant 2006b, S. 223.
198 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe dazu auch die Beobachtung Herders
auf den Seiten 109–110: „Sogar in die Konformation der Sinne trägt der Verstand
solche nicht über; denn nicht er, der diese Konformation nicht einmal versteht,
sondern nur gebraucht, einzig und allein der allumfassende Verstand des Weltgan-
zen hat ihm diese Konformation zubereitet. […] Er hat diese Form und nimmt sie
in alles, worüber er sich verständigt“.
233
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

musste199 – ist für Herder offenkundig. Was das grundsätzliche Verständnis der
Sinne angeht, unterscheiden sich meines Erachtens Kant und Herder jedoch
nicht wesentlich. Beide heben die sprach- und erkenntnistheoretische Funktion
der ‚objektiveren‘ Sinne (also Gesicht, Gehör und Tastsinn) hervor, und finden
vergleichbare Unterschiede zwischen ihnen, die sich grob zusammengefasst wie
folgt ausnehmen: Das Gesicht ermöglicht die Bildung der figürlichen Gestalt,
während der Tastsinn zur Bildung einer körperlichen Gestalt führt und das
Gehör der Sinn der Sprache ist.
Jedoch ist die Stellung der Sinne bei beiden zu unterscheiden: Bei Kant
ist die Funktion der Sinne nicht transzendental, sondern physiologisch und
anthropologisch konnotiert, und die Verbindung zwischen Sinnen und Anschau-
ungen wird bei ihm erst im Rahmen der Bestimmung von Gestalten, Bildern
und Wörtern ausgeführt. Diesbezüglich ist deutlich geworden, dass Kant –
obwohl er den Sinnen keine ausdrücklich transzendentale Stellung zuspricht –
die semantische Artikulation zwischen Bildern und Wörtern in seiner Trans-
zendentalphilosophie ohne Rückgriff auf die Sinne nur unzureichend erklären
kann, insbesondere weil das Gehör für Kant wesentlich zum Gebrauch abstrak-
ter Begriffe beiträgt, ohne dass Kant damit die begriffliche Anwendung und
Subsumption erhellen könnte. Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung bei Her-
der durchaus auf die Sinnlichkeit zurückzuführen, die das Denken gestaltet.
Folglich bettet er das Bezeichnungsvermögen in die bestimmende und – wie im
nächsten Kapitel deutlicher werden wird – auch die symbolische Darstellung
im kantischen Verständnis ein,200 die sich daher nicht voneinander trennen las-
sen. Der Metaschematismus erklärt so, inwiefern im Denken immer schon eine

199 Siehe oben, Kap. II.5 des ersten Teils.


200 Dieser Aspekt ist von Christian Stetter deutlich gesehen worden (2010, S. 78, Note
39): „Kants und Herders Sprachauffassung unterscheiden sich, so betrachtet, weni-
ger hinsichtlich ihrer grundlegenden semiotischen Funktion, die auch von Herder
in der Repräsentation gesehen wird, als hinsichtlich ihrer Stellung in der ‚Topolo-
gie‘ des menschlichen Bewusstseins. Bei Herder ist Sprache der Metasinn, der die
Funktion der menschlichen Sinne im buchstäblichen Verstand des Wortes zu einem
System kommunizierender Röhren zusammenschließt – und daher selbst noch als
ein Sinn aufzufassen ist. Bei Kant steht die Sprache gewissermaßen quer zur
grundlegenden Unterscheidung von Sinnlichkeit und Intellektualität: in Betracht
ihrer willkürlich artikulierten Formen ist sie dem Erkenntnisvermögen zuzurech-
nen, obwohl sie, phänomenal betrachtet, sinnlich wahrgenommen wird. Dank die-
ser ihrer Doppelnatur sitzt die Sprache als philosophisch zu bedenkender Gegen-
stand exakt im ‚blinden Fleck‘ der kantischen Erkenntnistheorie“. Siehe dazu auch
Simon 2001, S. 149: „Herders zentrales Argument gegen Kant besteht darin, dass
die Sprachlichkeit des Denkens die vorgebliche ‚Reinheit‘ der Vernunft demen-
tiert“.
234
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Versinnlichung am Werk ist, da ohne sie keine Gestaltung möglich wäre, die
den apriorischen Charakter der Begrifflichkeit aufhebt.201
Meine Auslegung ist zunächst als ein Versuch zu verstehen, die bei Kant
rekonstruierte Versinnlichungslehre durch das Verständnis der Sinne bei Her-
der zu erweitern, die jedoch nicht frei von anthropologischen und ästhetischen
(im Sinne einer Schönheitslehre) Implikationen ist, wie ich am Ende dieses
Kapitels zeigen möchte. Daher möchte ich im Folgenden zunächst Herders
Verständnis der Sinne direkt mit der Transzendentalphilosophie Kants in Bezie-
hung setzen, weil auf diese Weise die Interpretation des Schematismus als
semiotischem und semantischem Prozess schärfere Konturen gewinnt. Dazu
muss geklärt werden, inwiefern die aufgezeigte Physiologisierung der Psycho-
logie durch Herder tatsächlich mit der Transzendentalphilosophie Kants kom-
patibel ist. Ob schließlich die Theorie zum embodied mind in der Version von
Mark Johnson und George Lakoff einen ähnlichen Weg einschlägt, wird im
letzten Teil der Untersuchung zu fragen sein.202
Der geeignete Ausgangspunkt für die Analyse der herderschen Sinn-
lichkeit ist der Begriff der Synästhesie. Denn erkenntnistheoretisch wird der
innere Sinn von Herder als sensorium commune definiert, in dem alle Sinne
zusammenfließen. In der Natur ist insofern „nichts geschieden, alles fließt
durch unmerkliche Übergänge auf- und ineinander; und gewiß, was Leben in
der Schöpfung ist, ist in allen Gestalten, Formen und Kanälen nur Ein Geist,
Eine Flamme“.203 Die Philosophie ist daher angehalten, nicht nur die einzelnen
Wirkungen der Sinne, sondern auch die Kraft selbst zu betrachten, in der sie
immer schon vereint sind. Bei Herder ist die Synästhesie gleichermaßen eine
Synergie.204 Deshalb ist es schwierig, bei Herder von einer Hierarchie als ver-
tikaler Ordnung der Sinne untereinander zu sprechen, gerade weil die Sinne
verschiedene Wirkungen haben, die in der Wahrnehmung immer schon im
Zusammenfluss sind. Es handelt sich im Gegenteil – wie Trabant betont – um
eine horizontale Ordnung der Sinne.205

201 Zur Kritik des Apriorismus Kants in Bezug auf die Sinnlichkeit siehe insbesondere
Gaier 1988, S. 185–195.
202 Siehe unten, Kap. I.2 des dritten Teils.
203 Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 338.
Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass für Herder keine Psychologie möglich
ist, „die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei“ (S. 340).
204 Siehe dazu Formigari 2003, S. 137.
205 Trabant 1990, S. 358. Dieser Aspekt ist auch bei Kant wichtig, der die einzelnen
Funktionen der Sinne aus der Perspektive ihres Mangels bei Menschen untersucht
– wie das Beispiel der Taubgeborenen für die Betrachtung des Gehörs gezeigt hat,
bei dem er zur Behauptung kommt (AA VII: S. 155), dass ein Taubgeborer „nie zu
etwas Mehrerem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“ könne. Dazu
schreibt Herder bereits 1774 (Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen
235
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Was die Funktionen der einzelnen Sinne angeht, nimmt der Tastsinn
eine prominente Stellung ein, was sich auch in der Kunsttheorie Herders wider-
spiegelt.206 Die vom Tastsinn gebildete Gestalt ist dabei eine körperliche:

„Etwas, was wir täglich erfahren könnten, wenn wir aufmerkten, dass
das Gesicht uns nur Gestalten, das Gefühl allein, Körper zeige: dass
Alles, was Form ist, nur durchs tastende Gefühl, durchs Gesicht nur
Fläche, und zwar nicht körperliche, sondern nur sichtliche Lichtfläche
erkannt werde“.207

Außerdem scheint das Gefühl eine gewisse Zweideutigkeit zu implizieren: es


steht nämlich einerseits für das innere Gefühl und andererseits für das äußere
Gefühl. Während das erstere mit dem Gehör als Sinn der Verinnerlichung in
Verbindung steht, ist das äußere Gefühl gerade der Tastsinn. Beide sind jedoch
verwandt, weil der Tastsinn die Grundlage für die weitere Artikulation der Lau-
te mittels des Gehörs bildet.208 Und im Vierten Kritischen Wäldchen wird das
Gefühl als „das Organ aller Empfindung andrer Körper“ definiert.209 Der inne-
re Sinn des Gefühls ermöglicht somit den Übergang zwischen den Sinnen und
schafft eine komplexere Dimension des Raumes, in der sowohl das Gesicht als
auch der Tastsinn wirksam sind.210 In der Plastik entwickelt Herder eine Lehre
der Wahrheit, die dem Gefühl zugeschrieben werden kann, insofern es keine
Täuschung zulässt.

Seele, in FHA, 4, S. 357), Stumm- und Taubgeborene zeigten „durch sonderbare


Proben, wie tief die Vernunft, das Selbstbewußtsein, wo sie nicht nachahmen kön-
nen, schlummre […]“. Joachim Gessinger bemerkt diesbezüglich (1994, S. 84), bei
Herder sei auffällig, dass er sich nicht ausdrücklich mit Diderots Lettre sur les
sourds et muets auseinandergesetzt hätte.
206 Siehe dazu Plastik, in FHA, 4, S. 250f. Zur Aufwertung des Tastsinns in der Philo-
sophie Herders siehe Zeuch 2000, S. 1: „Bei der Aufwertung des Tastsinns wird
Johann Gottfried Herder eine Schlüsselrolle zugesprochen. Unter diesem Vorzei-
chen erfährt er eine Renaissance“. Siehe dazu auch Adler 1990, S. 121.
207 Herder, Plastik, in FHA, 4, S. 15.
208 Zur Zweideutigkeit siehe Gessinger 1994, S. 81 und Kim 2002, S. 165–167.
209 Herder, Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 296.
210 Zum Gefühl siehe auch Gessinger 1996, S. 41: „In short, the fourth Kritisches
Wäldchen was designed to untangle the aesthetical perceptions of the three main
senses and to discuss them in terms of their proper spheres (though in fact Herder
more than once was led astray by the terms he employed in his description). He
argued that the eye perceives the simultaneity and contiguity of objects, the ear
their succession in time, and touch their coexistence and composition, their totality.
Touch was therefore preeminent, and this encouraged Herder to use ‘Gefühl’ as a
general term for aesthetical sentiment […]“. Gessinger (1994, S. 88) sieht die Sin-
nen-Lehre Herders explizit als eine Erweiterung des komplementären Paares
Gesicht und Gefühl durch das Gehör an und spricht von deren Trias. Siehe dazu
auch Kim 2002, S. 165, Tani 2000, S. 90, und Fortuna 2005, S. 124f. Zuletzt ist die-
ses Thema auch von Yann Philipp Leiner untersucht worden (2012, S. 151f.).
236
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Das Gehör ist der Sinn der Sprache, dem eine Mittelstellung in der Sin-
nesordnung zukommt, wie aus dem Wäldchen deutlich hervorgeht:

„Das Gehör allein, ist der Innigste, der Tiefste der Sinne. Nicht so deut-
lich, wie das Auge ist es auch nicht so kalt; nicht so gründlich wie das
Gefühl ist es auch nicht so grob; aber es ist so der Empfindung am nächs-
ten, wie das Auge den Ideen und das Gefühl der Einbildungskraft. Die
Natur selbst hat diese Nahheit bestätigt, da sie keinen Weg zur Seele
besser wusste, als durch Ohr – und Sprache“.211

Die Mittelstellung des Gehörs hängt näher mit der Struktur des Lautes zusam-
men, der den Ausdruck ermöglicht. Während die Gegenstände des Gesichts für
Herder unaussprechlich bleiben, sind die Gegenstände des Gehörs „mit Bewe-
gung verbunden“. Doch auch diese Bewegung ist artikuliert; sie bleibt nicht
schwebend, sondern bestimmt ihre Gegenstände im Ausdruck. Der Laut wird
somit zum Dritten des Ausdrucks: bei ihm lässt sich die semantische Verwand-
lung jener Artikulation erkennen, in der er zur sprachlichen Bezeichnung
wird.212 Wir werden sehen, inwieweit auch Humboldt und Hegel diese Funktion
der sprachlichen Artikulation für das Denken hervorheben.

211 Herder, Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 357. Diese Mittelstellung des
Gehörs wird in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache (FHA, 1, S. 746–
749) durch die unterschiedlichen Weisen bestätigt, in denen das Gehör als mittlerer
Sinn bezeichnet wird. Sechs Aspekte spezifiziert Herder genauer: das Gehör ist der
mittlere der menschlichen Sinne in Ansehung (1.) der Sphäre der Empfindbarkeit
von außen, (2.) der Deutlichkeit und Klarheit, (3.) der Lebhaftigkeit, (4) der Zeit, (5.)
des Bedürfnisses, sich auszudrücken sowie (6.) der Entwicklung des Menschen.
Empfindungen, Anschauungen und Sprache erscheinen so in einer holistischen
Perspektive. Zur Bestimmung des Gehörs als Mittelsinn siehe Trabant 1990, S. 358,
Gessinger 1996, S. 44, Kim 2002, S. 171–173, und Maurer 2010, S. 65.
212 Dazu Fortuna 2005, S. 147: „In questo modo il linguaggio verbale bilancia costante-
mente la componente espressiva attraverso una sua peculiare sospensione, una for-
ma di distacco che è resa possibile attraverso la forma fonica“. In Bezug auf die
Funktion des unartikulierten und artikulierten Lautes vergleicht Jürgen Trabant
(1990, 363f.) Herder, Humboldt und Hegel: „Leaving the phoné in the interiority of
the reflecting soul, Herder seems to anticipate the fundamental idea of Derrida’s
Grammatology : the inner soundless mark is an architrace. But the central position
of audition contradicts such an assumption: sound and listening to the sound are
the starting-point of language. But the sound present in Herder’s language nucleus
is the voice of the object, not the voice of the subject. And this voice is, according to
an Aristotelian distinction, psóphos, unarticulated sound, and not phoné, articu-
late sound. We might speak of a psopho-centrism in Herder. But since the reflective
listening to the voice of the object is the real starting-point of human language,
Herder’s position then is, actually, best referred to as oto-centrism. […] The voice of
the speaker and the dialogue do enter the scene immediately after the constitution
of the nucleus of language. But, quite obviously, the voice of the object and the
subject’s ear occupy a privileged position. […] Humboldt thus considers all possi-
237
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Das Bezeichnungsvermögen kann nicht von Verstand und Urteil getrennt


werden. Die Benennung ist daher Teil des Verstandes und des Urteiles: „Auch in
den tiefsten Sprachen ist Vernunft und Wort nur Ein Begriff, Eine Sache: logos.
Der Mensch gaffet so lange Bilder und Farben, bis er spricht, bis er, inwendig in
seiner Seele, nennet. Die Menschen, die, wenn ich so sagen darf, viel von diesem
innern Wort, von dieser anschauenden, göttlichen Bezeichnungsgabe haben,
haben auch viel Verstand, viel Urteil“.213 Die Bezeichnung ist also für Herder
eine Gestaltung, die eine metaphorische oder besser: eine übertragende Gestal-
tung impliziert, welche sie vom Empirischen absondert. Es ist jedoch wichtig
anzumerken, dass diese Gestaltung in der Sinnlichkeit anzusiedeln ist.
Die Einführung der Gestaltungskraft als Transformationsvermögen lese
ich als Versuch Herders, den ontologischen Dualismus zwischen Verstand und
Sinnlichkeit definitiv zu überwinden. Beide gehen zusammen und haben trotz-
dem eine je eigene Prozessualität und Synthesis, welche der Versinnlichungs-
prozess selbst ist. Michael Forster spricht daher im Zusammenhang der innigen
Verbindung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit bei Herder von einer
„quasi-empirist theory of concepts“, die er wie folgt erklärt: „sensation is the
source and basis of all our concepts, but we are able to achieve non-empirical
concepts by means of a sort of metaphorical extension from the empirical ones –
so that all our concepts ultimately depend on sensation in one way or another“.214
Zusammengefasst liest sich das so: „all our meanings, or concepts, are of their
nature based in (perceptual or affective) sensation“.215 Was Forster hier als Qua-
si-Empirismus bezeichnet, sollte jedoch meines Erachtens eindeutiger als Ver-
sinnlichung beschrieben werden, weil erst damit die Bedeutung der Gestal-
tungsfunktion der Sinnlichkeit herausgestellt wird, deren Funktion eben gerade
nicht empirisch ist, obwohl sie sich in der Erfahrung abspielt. Denn die Trans-
formationen und Gestaltungen, die aus dieser Versinnlichung resultieren, sind
nicht empirisch, sondern sinnlich. Das hat meiner Auffassung nach weitrei-
chende Implikationen auf heuristischer Ebene, auf der die Bedeutungserfahrung
eben nicht empirisch, sondern transzendental zu beschreiben ist, um so eine
Versinnlichungstheorie ausbuchstabieren zu können, die der Komplexität der
Artikulation von Bedeutung gerecht wird. Gerade der Quasi-Empirismus hat

bilities opened up by the voice, he is the most complete phonocentrist. […] Sound
[in Hegel] is not, as in Herder, between the tactile and the visual impression, it is at
the top of sensory impressions due to its quasi-immaterial quality. Hegel’s primacy
of the voice can therefore more precisely be labelled subjective phono-supramacy“.
213 Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 358.
Wie Michael Maurer (2010, S. 66) betont, bieten die Sinne bei Herder sowohl die
körperliche Voraussetzung des Geistigen als auch das ‚Mittel‘ der Ideenbildung.
214 Forster 2010, S. 16f.
215 Forster 2010, S. 71.
238
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

nach Forster bedeutende Konsequenzen für die Übersetzungs- und Interpreta­


tionstheorie Herders, da die quasi-empiristische Auffassung der Begrifflichkeit
bestimmte Gebrauchsaspekte impliziert. Auch an dieser Stelle würde ich jedoch
eher von einer Versinnlichung sprechen. Damit ist zugleich eine kritische Dis-
tanz zu Herders Verständnis der Sinnlichkeit verbunden, weil in ihr offen
bleibt, ob sie die Fähigkeit hat, einen synthetischen Prozess zu begründen, der
nicht nur aposteriorisch, sondern auch apriorisch ist, d.h. einen synthetischen
Prozess, der Bedingung der Gestaltung selbst ist.
Die Beschreibung der Sinnlichkeit bei Herder kann meines Erachtens vor
allem in seinen genetischen Zügen eine transzendentale Dimension entfalten,
in der das Denken seinen synthetischen Charakter a priori behält, weil, wie
Forster richtig sieht, gerade die sinnliche Dimension der Bedeutung die Bestim-
mung des Denkens nicht im Gebrauch der Begriffe auflöst. Sie schafft stattdes-
sen eine – wie ich es nennen möchte – transzendentale Stelle für die Empfin-
dungen und Bilder. Die Annahme einer solchen Stelle ermöglicht gerade die
metaphorische Verwandlung des Empirischen, die bei Herder eine sinnliche
Konnotation hat. Denken kann bei Herder nicht auf etwas hinweisen, ohne ver-
sinnlicht zu werden.216 Und die Bestimmung der einzelnen Funktionen der Sin-
ne wird nicht auf den physiologischen Körper als Ort ihrer Zusammenwirkung
reduziert. Die Sinnlichkeitslehre entspricht daher nicht einer Verkörperungs-
lehre, obwohl der Körper ihr transzendentales Areal darstellt – denken wir zum
Beispiel an die Funktion, die nach Herder das Nervengebäude spielt.217 Die ein-
zelnen Sinne sind nicht von der Darstellung und dem Ausdruck zu trennen.218
Damit werden die Sinne letztlich zur transzendentalen Bedingung der Artiku-
lation der Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wort.

216 Insbesondere Lia Formigari (2003, S. 135) hat auf die Bestimmung eines „pensée
corporelle“ bei Herder hingewiesen: „l’esprit trouve dans le corps l’organe qui per-
met d’organiser et communiquer les perceptions. Le corps, écrivait Herder dans les
Kritische Wälder, est le point de contact de l’esprit avec le monde“. Siehe dazu auch
Tani 2000.
217 Siehe zum Beispiel Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen See-
le, in FHA, 4, S. 346: „Unterlag unsre Seele dem Meere kommender Wellen von
Reiz und Gefühl von außen: so gab uns die Gottheit Sinne; von innen, so webte sie
uns ein Nervengebäude“.
218 Vgl. dazu Pénisson 1990, S. 293f., und Scheider 1996, S. 59: „The tactile paradigm of
aesthetic experience established by Herder against the visual paradigm of the
Enlightenment opens up a dimension of depth behind what is now only the surface
of appearances, it penetrates the exterior into an interior which by this act comes
into being. This new paradigm is shaped after the model of bodily self-awarness
which Herder celebrates as an originating moment, the symbolic moment of origin
where the ‘soul creates a body for itself’, which also is the origin of symbolic expres-
sion“.
239
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

4. Da r stel lender, ausd r üc kender u nd


re el l b edeutender Geist
Wie gezeigt übt nach Herder der symbolisch-allegorisierende, sprachliche Pro-
zess eine genetische Wirkung auf die Begrifflichkeit aus, die nach Kant im dop-
pelten Geschäft der Urteilskraft zur Darstellung gelangt. Es wäre daher zu
prüfen, ob der angezeigte Prozess auch in der Lage ist, die Unterscheidung zwi-
schen schematischer und symbolischer Versinnlichung aufzunehmen und gege-
benenfalls zu transformieren. Jenseits dieser Unterscheidung kann die Sprache
für Herder, mit Cassirer gesprochen, „ganz als ein Erzeugnis der unmittelbaren
Empfindung und zugleich als ein Werk der Reflexion, der Besinnung gefasst
werden: weil ebendiese letztere nichts Äußeres ist, was nachträglich zum Inhal-
te der Empfindung hinzutritt, sondern weil sie in ihn als konstitutives Moment
eingeht“.219 Das Problem ist nun, den Status einer Verleiblichung der Sinnlich-
keit zu verstehen, in deren Folge die Empfindung in den Mittelpunkt von Her-
ders Ästhetik rückt – vor allem diejenige subjektive Empfindung, die aus Kants
Sicht nie zur Bestimmung objektiver Erkenntnis fungieren kann. Im Interesse
einer systematischen Weiterentwicklung der Schematismuslehre ist daher Her-
ders sensualistische Erweiterung des Schematismus wieder an die Grenzen einer
transzendentalen Artikulation der Bedeutung zurückzubinden, um zu verste-
hen, ob die Fragestellung Herders – wie etwa Borsche behauptet – „in Konkurrenz
zur Transzendentalphilosophie“220 steht.
Wenn bei Herder tatsächlich eine Neugewichtung der symbolischen
Darstellung erfolgt und seine gesamte Philosophie letztlich mit Pénisson als
eine Dekategorisierung verstanden werden kann,221 dann drängt sich verständ-
licherweise die Frage auf, inwieweit Herder sich mit der symbolischen Darstel-
lung und dem Bezeichnungsvermögen auseinandersetzt, wie sie von Kant in der
Kritik der Urteilskraft behandelt werden. In der Kalligone behauptet Herder:

„Alles am Menschen ist darstellend, ausdrückend, reell bedeutend. Nicht


wie in einer Schachtel wohnt der Menschen Geist, die ihn belebende, ihm
angeborene Kraft, sondern charakteristisch und energisch ausgedrückt
in seinen Gliedern, Bewegungen und Gebärden. Die Stirn des Menschen,
sie zeigt nicht etwa nur jetzt und dann Gedanken, sie ist eine Gedanken-
form“.222

219 Cassirer, ECW, 11, S. 95. Zeuch (2010, S. 261f.) spricht von einem „Weg aus der
Krise der Repräsentation in der Moderne“.
220 Borsche 2010, S. 55. Vgl. Gaier 2006, S. 124f.
221 Pénisson 1990, S. 292.
222 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 720. Vgl. Fortuna 2005, S. 143: „La condizione per-
ché si produca questa sintesi sensoriale e cognitiva è la componente espressiva“.
240
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Schon in Bezug auf den aposteriorischen Charakter der Begrifflichkeit und die
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit ist gezeigt worden, inwieweit die Metapher
bei Herder ein genetischer Prozess ist.223 Sie hat eine grundlegende Erkenntnis-
funktion, weil das Begreifen in sich schon eine Verwandlung und Übertragung
impliziert. Dieser Aspekt lässt sich daher mit der kantischen Unterscheidung
zwischen direkter (schematischer) und indirekter (symbolischer) Versinn-
lichung vergleichen.224 In der Kalligone setzt sich Herder explizit mit der Kritik
der Urteilskraft auseinander. So schreibt er in der Vorrede:

„Mit eben dem Recht und aus eben der Pflicht, aus und mit welchen ich
der Kritik der leeren Vernunft eine Metakritik zugab, führe ich der Kritik
der Urteilskraft eine Kalligone zu, gleich unbekümmert, wie man sie
aufnehme: denn wer sich darüber den mindesten Kummer machte, hätte
keine Metakritik geschrieben“.225

In der Schrift widmet er dem §59 eine ausführliche Interpretation, in dem Kant
die Schönheit zum Symbol der Sittlichkeit erklärt und seine Lehre einer doppel-
ten Versinnlichung entwirft. Herder nun scheint Kant eine ungenaue Verwen-
dung des Symbol-Begriffes vorzuwerfen, denn – so behauptet er – „nicht jeder
Begriff […], den ich mit einer Sache verbinden will, instituiert Symbole“.226 Und
er merkt an, Kant irre sich im Fall des Beispiels der Handmühle und gerate in
eine Wortverwirrung,227 denn es sei ein „sinnverkehrender Gebrauch des Wor-
tes“, das nicht für jeden ein Symbol darstelle. Vor allem erkenne man die meta-
phorische Bedeutung nicht im, sondern am Symbol. Gerade diese Kritik ist
bedeutend, weil sie klarstellt, dass es im Beispiel der Handmühle um ein Urteil
und nicht um ein Wort geht, oder anders gesagt: um eine Metapher und nicht
um ein Symbol. Insofern setzt das Beispiel immer schon eine Interpretation
voraus.228 Das Symbol steht für die anschauliche Entsprechung mit dem Begriff,
wobei das Natursymbol die vollkommenste Entsprechung darstellt. An ihm
lässt sich die Bedeutung so direkt erkennen, als ob sie naturgegeben wäre.
Herder unterscheidet – ähnlich wie Maimon – zwischen Natursymbolen
und konventionellen Symbolen. In Bezug auf erstere erklärt er, dass „jedes
Ding bedeutet, d.i. es trägt die Gestalt dessen was es ist“. Daher werden Natur-
symbole als „die darstellendsten, ausdrückendsten, prägnantesten“ beschrieben.229

223 Dazu Steinby 2010, S. 143.


224 Dieser Aspekt wurde in Kapitel VI des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung
behandelt.
225 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 647.
226 Herder, Kalligione, in FHA, 8, S. 952.
227 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 952.
228 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 953.
229 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 956.
241
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Zwar sind auch diese Symbole konventionell, doch hat nach Herder jede echte
Konvention in der Natur ihren Grund. Damit erklärt Herder die Wirkung, die
jede Symbolisierung in sich trägt und die zur Ausdrucksfähigkeit jedes Ding
beiträgt. Für die konventionellen Symbole bedeutet dies, dass sie als graduierbar
im Sinne eines Aufstiegs zum Natursymbol verstanden werden können. Die
natürliche Verbindung kann daher als Vorbild für die Orientierung der kon-
ventionellen Bedeutungsgebung gelten.
Somit skizziert Herder mit wenigen Strichen eine menschliche Sym-
bolik: „Die Kunst also, die am Naturausdruck lebendiger Formen haftet, ist
äußerst strenge und sparsam mit Symbolen“.230 Von dieser symbolischen Ver-
wandlung sind auch Hören und Sehen betroffen. Natürliche und konventionelle
Symbole haben eine unterschiedliche Stellung, je nachdem, ob sie durch das
Auge oder das Ohr zum Ausdruck gelangen. Die Malerei sollte dementspre-
chend den Naturgestalten möglichst nahe kommen, und die Griechen gelten
Herder in Sachen Naturtreue als die „weisesten Meister“.231 Im Gegensatz dazu
üben die Symbole für das Ohr eine andere Funktion aus:

„Dem Ohr dagegen sind Symbole von einer andern Art; sie legen ihre
Natur ab und werden selbst, was sie bedeuten. So Töne; ihr Klang und
Gang und Rhythmus bedeuten nicht nur, sondern sind Schwingungen
des Mediums sowohl als unsrer Empfindungen; daher ihre innigere
Wahrheit, ihre tiefere Wirkung. So die Worte der Sprache; das Sym-
bolische der Laute oder gar der Buchstaben bleibt in einer uns geläufigen
Sprache außerhalb der Seele; diese schaffet und bildet sich aus Worten
eine diesen ganz fremde, ihr selbst aber eigne Welt, Ideen, Bilder, wesen-
hafte Gestalten“.232

Die Funktion des Symbols für das Ohr wird dennoch zum Kriterium der
Betrachtung der Dichtung und ihrer inneren Wirkungen, die sie von der Male-
rei oder dem allegorischen Drama unterscheiden. Dieser Aspekt wird jedoch
von Herder nicht primär erkenntnistheoretisch, sondern kunsttheoretisch ver-
tieft, wobei es ihm um die ästhetische Bedeutung des Lautes geht. Das Hören ist
derjenige Sinn, der eine Vermittlung zwischen Lauten und den innersten
Gefühle der Seele leistet. Die Aufmerksamkeit wird dabei eher auf die „innige
Wahrheit“ und „tiefere Wirkung“ der Laute gelenkt, womit die Ästhetik zu
einem kunsttheoretischen Verständnis der Sinne wird.

230 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 958.


231 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 958: „Auch hierin waren die Griechen die weise-
sten Meister. Ihre Allegorien und Personifikationen, geschweige ihre untergeord-
neten Merkzeichen, sind fast Natursymbole“.
232 Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 959.
242
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Bei Herder lässt sich insofern der Versuch erkennen, nicht nur eine Psy-
chologie, sondern auch eine Ästhetik auszubuchstabieren, welche die Physiolo-
gie miteinbezieht.233 Die Analyse der Sinne, die in einem sprach- und erkennt-
nistheoretischen Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann, entfaltet
sich hauptsächlich in der Bestimmung der einzelnen Künste. Herders auf das
Gefühl ausgerichtete Auffassung der Sinnlichkeit führt weiterhin zu einem
bestimmten Verständnis des Verhältnisses von Plastik und Malerei, wie schon
das Gehör zur Bestimmung der Musik beitrug.234 Die angenommene Synästhe-
sie entfaltet ihre volle Kraft in Herders Interpretation der Kunst und lässt sich
schwer von seiner Auffassung der kulturell geprägten Lebensformen trennen.235
So tritt sie zum Beispiel in der Abhandlung Über Bild, Dichtung und Fabel
hervor, in der die Bestimmung der Sinne mit regionalen Unterschieden in Ver-
bindung gebracht wird: „Nach dem Auge hat sodann Ohr und Gefühl, insonder-
heit die tastende Hand, der Seele die meisten Ideen gegeben; der Geschmack und
Geruch weniger, insonderheit in den nordischen Regionen“.236 Solche Beobach-
tungen anthropologischer und physiologischer Art bestätigen Kant wiederum
in der Überzeugung, bei Herders Analyse handele es sich nur um poetische
Erklärungen und Allegorien, die nicht zur Philosophie gehörten und beliebig
blieben.237 Jenseits oberflächlicher Differenzen liegt der gegenseitigen Verken-

233 In diese Richtung geht auch die Kritik von Bertram (2006, S. 235f.) an Michael
Forster.
234 Siehe dazu die Bestimmung der Sinne in Bezug auf die einzelnen Künste in Plastik
(FHA, 4, S. 263): „In der Bildnerei, bei einem Solido kann nichts durchscheinen: sie
arbeitet für die Hand und nicht fürs Auge“. Und weiter (S. 276): „Die Formen der
Skulptur sind so einförmig und ewig, als die einfache reine Menschennatur; die
Gestalten der Malerei, die eine Tafel der Zeit sind, wechseln ab mit Geschichte,
Menschenart und Zeiten“. Zum Begriff der Synästhesie siehe Zeuch 2000, S. 279,
und zur Bedeutung der Plastik insbesondere Leiner 2012, S. 152.
235 John H. Zammito bezeichnet Herder als „an aesthetic psychologist“ und bemerkt
(2002, S. 332): „Herder’s theory of developmental psychology thus carried him
inevitably to a theory of cultural difference and of historical proliferation and
cumulation“.
236 Herder, Über Bild, Dichtung und Fabel, in FHA, 4, S. 633.
237 Für diese Kritik siehe Kants Rezension zu Herders Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit, insbesondere folgende Beobachtung (AA VIII: 60):
„Aber so wenig wollen wir untersuchen, ob nicht der poetische Geist, der den Aus-
druck belebt, auch zuweilen in die Philosophie des Vf. eingedrungen; ob nicht hier
und da Synonymen für Erklärungen und Allegorien für Wahrheiten gelten; ob
nicht, statt nachbarlicher Übergänge aus dem Gebiete der philosophischen in den
Bezirk der poetischen Sprache, zuweilen die Grenzen und Besitzungen von beiden
völlig verrückt seien; und ob an manchen Orten das Gewebe von kühnen Meta-
phern, poetischen Bildern, mythologischen Anspielungen nicht eher dazu diene,
den Körper der Gedanken wie unter einer Vertügade zu verstecken, als ihn wie
unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen“.
Zum Denkstil der Philosophie Herders siehe Herz 1996, S. 45f. und 63–68. Für
243
  III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

nung jedoch bei näherem Hinsehen ein je systematisch zu unterscheidendes


Verständnis von Dichtung zugrunde: Für Kant ist die Philosophie Herders eine
Dichtung, weil sie mit Metaphern und Allegorien arbeitet und die erkenntnis-
theoretischen Grenzen der Philosophie überschreitet; für Herder wiederum ist
die Philosophie Kants eine Dichtung, weil sie statisch und erfahrungsfremd ist,
womit das Schema eine bloße Fiktion bleibt.238
Pénisson behauptet, dass „[…] die Herdersche Semiotik keine Philoso-
phie [ist], sondern eine endlose Produktion des Sinns, eine Semiose, dem gewid-
met, was Hegel mit dem Namen ‚schlechte Unendlichkeit‘ brandmarkte“. Folge-
richtig bezeichnet er die Semiotik Herders als eine „philosophia non perennis“.239
Ich würde nicht so weit gehen. Denn wie gezeigt werden konnte, lässt sich von
Herders Verständnis der Sinne ausgehend eine Versinnlichungslehre denken,
die durchaus philosophisch relevant ist. Trotzdem bleibt Pénissons Einwand
berechtigt, und das aus zwei Gründen: erstens weil er – obzwar in kritischer
Absicht – den provisorischen Charakter der Begrifflichkeit bei Herder hervor-
hebt, den auch Michael Forster240 – jedoch in affirmativer Weise – in Verbin-
dung mit dem Gebrauch von Regeln bringt; zweitens, weil er somit den proble-
matischen Kern der Herdeschen Philosophie hervorhebt, in der das Problem der
Bedeutung als solche und vor allem ihrer begrifflichen Kristallisation noch
offen bleibt.241 Denn Herder versäumt es zu erklären, inwiefern sich durch das
genetische Verständnis der Begriffsbildung das semantische Verhältnis zwi-
schen Mannigfaltigkeit und Einheit ändert. Es mangelt Herder an einer trans-
zendentalen Begründung der Gestaltung selbst, verstanden als sprach- und
erkenntnistheoretische Wandlung der Begrifflichkeit, die sich semantisch kris-
tallisiert, um dann als gegeben zu erscheinen und zur Bedeutungsartikulation
gebraucht zu werden.242
Trotz der grundsätzlichen Möglichkeit, mit Herder einen transzenden-
talphilosophischen Erweiterungsversuch der Schematismuslehre anzuvisieren,
bleibt doch zu konstatieren, dass bei ihm das Verständnis der Sinne letztlich

einen grundlegenden Vergleich zwischen Kant und Herder in Bezug auf die
Anthro­pologie siehe insbesondere Zammito 2002, S. 315.
238 Den Begriff der Dichtung bei Kant und Herder untersucht Tilman Borsche (2010,
S. 65).
239 Pénisson 1990, S. 302.
240 Siehe Forster 2010, S. 72f.
241 Siehe oben, Kap. V des ersten Teils.
242 Siehe dazu Leiner 2012, S. 139: „Somit hat Herder keinen abstrakten Erkenntnisbe-
griff, sondern Erkennen ist für ihn immer an die unmittelbare Tätigkeit aus der
Empfindung heraus gebunden; es ist selbsttätiges Schöpfen aus der verborgenen
Gottesnatur heraus, die über Gefühl und Empfindung annäherungsweise erfahrbar
wird und die letzten Endes Quell und Antrieb aller Erkenntnis und Kulturgestal-
tung ist“.
244
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

einer Anthropologisierung und Ästhetisierung unterzogen wird, in deren Mit-


telpunkt eine auf dem Empfindungsbegriff aufbauende Ästhetik steht – wobei
hinzuzusetzen ist, dass es sich dabei um die subjektive Empfindung handelt, die
für Kant grundsätzlich ungeeignet zur Bestimmung objektiver Erkenntnis ist.
Der subjektive Charakter der Sinnlichkeit bei Herder ist gerade Ausgangspunkt
für die Kritik Plessners, der in Abgrenzung dazu eine objektive Ästhesiologie
entwickelt, die ich im dritten Teil mit Merleau-Ponty243 und den Ansätzen zum
embodied mind in Verbindung bringen werde. Vor allem die letzten in der Vari-
ante von Mark Johnson und George Lakoff schlagen einen ähnlichen Weg ein,
insofern sie für die metaphorische Ausweitung der Begrifflichkeit durch die
körperliche Handlung und einen monistischen Ansatz der Einbildungskraft ein-
treten, ohne sich dabei jedoch auf Herder zu beziehen.244
Bevor diese Verkörperungsansätze näher untersucht werden, sollen hier
abschließend die semantischen Aspekte der Versinnlichung vertieft werden. In
den nächsten Kapiteln werden zwei weitere Ansätze in Betracht gezogen: einer-
seits derjenige Wilhelm von Humboldts, durch den der produktive Charakter
des Schematismus mit der internen Dynamik der Sprache in Verbindung gebracht
werden kann; andererseits derjenige Hegels, dessen behaupteter Übergang vom
Bild zum Denken mittels der Zeichen erzeugenden Phantasie näher zu beleuch-
ten sein wird.

243 Yann Philipp Leiner vergleicht diesbezüglich Herder mit Merleau-Ponty (2012,
S. 137): „Wie für Herder ist auch für Merleau-Ponty der Leib die Grundlage der
menschlichen Erkenntnis. Mit der Kategorie des Leibes versucht letzterer zwei
Sachgassen zu umgehen; einmal diejenige eines zu starken Empirismus und auf der
anderen Seite diejenige eines zu strengen Intellektualismus. Beide Sichtweisen sind
sich nach Merleau-Ponty der Bedeutung des Leibes und seiner konstituierenden
Wirkung auf alle Erkenntnis nicht hinreichend bewußt. Der Leib wird als Ursache
beider Sichtweisen verkannt, obwohl auf der leiblichen Erfahrungsebene die
Grundlage und Grenze aller Erkenntnis zu sehen ist. Sowohl die leibliche Wahr-
nehmung der Innerlichkeit, als auch die Wahrnehmung von Äußerem vollziehen
sich im Zentrum des Leibes, der in seiner natürlichen und weltlichen Bedingtheit
das eigentliche Subjekt der Erkenntnis ist. Der Leib bildet folglich eine Zwischen-
sphäre von innen und außen, innerhalb derer beide Erfahrungsebenen Anteil
haben“.
244 Insbesondere Hans Adler (2010, S. 153) hat auf diesen Aspekt hingewiesen.
I V. Das Wort zwischen S ymbol
und Z eichen
bei W ilhelm von H umboldt

Die Sprache ist für Wilhelm von Humboldt die eigentlich gestaltende Dimensi-
on des Denkens. Sie dient nicht nur und nicht primär der Darstellung, sondern
hauptsächlich der Gestaltung des Denkens und ist „kein freies Erzeugnis des
einzelnen Menschen“,245 sondern gehört zum Geist eines ganzen Volks. Die
Sprache ist somit gleichermaßen ständige Erzeugung des Neuen als auch Über-
lieferung des Alten. Sie verkörpert die Spannung zwischen gemachtem und
gegebenem Charakter der Begriffe, die als die Kernproblematik der herderschen
Kritik an der kantischen Begrifflichkeit herausgearbeitet wurde. Und wie gese-
hen, betrifft einer der wichtigsten Kritikpunkte Herders an Kant den Entste-
hungsprozess der Begriffe – und zwar insbesondere der abstrakten Begriffe oder
Kategorien, die bei Kant als Bedingungen der Erkenntnis gelten, von Herder
hingegen als Resultate eines Gestaltungsprozesses gedacht werden.
Die Beschreibung dieses Prozesses, der bei Herder ein enges Verhältnis
zwischen sprachlichem Gebrauch und Denken involviert, wird von Humboldt
dagegen nicht mehr mit der Frage nach dem Ursprung der Sprache verbunden,246

245 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in Gesammelte Schriften


(GS), IV, S. 24.
246 Vgl. Trabant 1990, S. 107f. Siehe dazu auch Stetter 1997, S. 405: „Von der Transzen-
dentalphilosophie ‚entlehnt‘ Humboldt den Gedanken der Weltkonstitution, der
dem Sensualismus Herders grundsätzlich fremd war, und eben hierin gelangt er
ein wesentliches Stück über den herderschen Standpunkt hinaus. Erst damit ist der
Gesichtspunkt gewonnen, aus dem sich die ‚ursprüngliche‘, poetische Produktivität
der Sprachfähigkeit kategorial entfalten lässt. Anschließend an Herders Theorie
der ‚Verwillkürlichung‘, d.h. der Konventionalisierung des Wortes qua Element der
menschlichen Sprache, die er im zweiten Teil des Fragments referiert, wird Hum-
boldt in der Betrachtung der literarischen Produktion Goethes und insbesondere
Schillers die sprachliche Artikulation als dasjenige Verfahren begreifen, das es der
dichterischen Einbildungskraft ermöglicht, gegen ‚das Reich der Wirklichkeit‘ eine
ideale Welt des Möglichen zu entwerfen“.
246
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

sondern – im Anschluss an Kant und beeinflusst von Fichte – als transzenden-


tale, prozessuale Bedingung des Denkens selbst angesehen: In einem kurzen
Text zu Reinholds Rezension von Fichtes Wissenschaftslehre bezieht sich Hum-
boldt auf den Unterschied zwischen Kant und Fichte hinsichtlich des Verhält-
nisses zwischen Resultat der Tätigkeit und der Tätigkeit selbst. Den Begriff der
Tätigkeit bringt er dabei vor allem mit dem Ansatz Fichtes in Verbindung, die
Möglichkeit der Abstraktion im Handeln selbst zu begründen,247 wohingegen
Kant „bei den Resultaten anfängt, nicht bei der Kraft selbst“.248 Und das führt
nach Humboldt dazu, dass Kant nicht dazu kommt, „das Theoretische mit dem
Praktischen hinlänglich zu verbinden“.249 Der Vergleich zwischen Kant und
Fichte zeigt die Richtung der Methode Humboldts an, die einerseits von der
hypothetischen Vorgehensweise der kantischen Erkenntnistheorie, andererseits
von Fichtes praktischem Impetus inspiriert ist.
Das Geistige bleibt – so schreibt Humboldt 1827 in einem Brief an Becker
– „das Erste und Hauptsächliche an der Sprache“,250 die nicht auf die weiterhin
wichtigen Funktionen des Materiellen (Phonetischen) und der Physiologie redu-
ziert werden darf. Die Sprache ist somit keineswegs nur das Resultat einer bloßen
Abbildung und Bezeichnung von Gedanken; im Gegenteil ist sie die „einzige
Vermittlerin“251 dieser beiden Dimensionen in einem tätigenden, handelnden
Dritten, welches das Wort ist, das mehr ist als ein Abbild. Auf diese Weise trans-
formiert Humboldt die Auffassung der Einbildungskraft, die nun „theils sym-
bolisierend, theils sonst bildend, vorzüglich in der Sprache beschäftigt ist“.252 Im
Folgenden hat insbesondere die Funktion des Wortes im Zentrum zu stehen,
weil sie einerseits die Vermittlungsfunktion des Schemas in einem neuen Licht
erscheinen lässt, andererseits dazu geeignet ist, das Verhältnis von Bildern und
Zeichen zu erhellen – beide Aspekte sind im ersten Teil bereits im Kontext der
kantischen Schematismuslehre herausgestellt worden.
Der Sprache kommt bei Humboldt die Funktion einer dynamischen
Kristallisation zu: In ihr lassen sich die Bestimmungen erkennen, die jede Ein-
zelsprache formieren, ohne dass dabei die Sprache überhaupt als ein ‚totes‘ Pro-

247 Siehe Humboldt, Materialien vom Mai 1798, in GS, XIV, S. 451: „Die rein wissen-
schaftliche Philosophie stellt die durch sich selbst bestimmte (von der Erfahrung
unabhängige) Möglichkeit (des Selbstbewusstseyns und der Erfahrung, als der von
der kritischen vorausgesetzten, und in Rücksicht auf ihre Möglichkeit unbestimmt
gelassen Thatsachen), als ihr Objekt auf. Diese Möglichkeit ist der rein wissen-
schaftliche Vernunftgebrauch selbst in seinen schlechthin nothwendigen Hand-
lungsweisen“.
248 Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 452f.
249 Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 453.
250 Humboldt, Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266.
251 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
252 Humboldt Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266f.
247
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dukt definiert würde, das mechanisch erlernt werden könnte, wie an der
berühmten Stelle aus Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
zu lesen ist:

„Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig


und in jenem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung
durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Auf-
bewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen
Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern
eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine
genetische seyn“.253

Humboldt bringt mit diesen Worten exemplarisch zum Ausdruck, was unter
einer sprachlichen Versinnlichung zu verstehen ist: Ein aktivischer, verlebendi-
gender Prozess in Abgrenzung zum Verständnis der Sprache als System fixer
Bedeutungen. Dieser Sinn, der durch die Parallelisierung mit der energeia im
Unterschied zum ergon noch unterstrichen wird, soll im Folgenden in seinen
Konsequenzen für das Verständnis sowohl der Einbildungskraft als auch der
Versinnlichung untersucht werden.
Der Akzentuierung des aktivischen Charakters zufolge lässt sich die
Sprache jenseits des Sprechens nicht porträtieren, und das Sprechen als Vorgang
gestattet jeweils nur Momentaufnahmen, in denen eine unzertrennliche Ver-
bindung zwischen Intellektualität und Sprache stattfindet. Die Bestimmung der
Sprache als energeia zeigt den entscheidenden Primat der Tätigkeit vor dem
Produkt an, der mit Humboldts Hochachtung für Fichtes Auffassung der Tätig-
keit des Anschauens in Verbindung gebracht werden kann. Humboldts Sprach-
begriff füllt nicht allein eine Lücke innerhalb der kantischen Systematik, sondern
er verschiebt die Grenze zwischen schematischer, symbolischer und zeichen-
hafter Darstellung und öffnet auf diese Weise den Blick für eine dynamische
Bestimmung dieses Prozesses. Wir haben es hier demnach tatsächlich mit einer
transzendentalphilosophischen Umgestaltung zu tun, da es Humboldt – im Unter-
schied zu Herder – nicht an methodischer Strenge mangelt.254
Die genetische Bestimmung der Sprache ist für Humboldt kein rein lin-
guistisches Problem und kann auch nicht als psychisches Phänomen abgetan
werden, sondern betrifft das Denken im Allgemeinen, das jenseits seiner Ver-
sinnlichung nicht zur Erscheinung gelangen kann. Der spezifisch genetische

253 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 45f. (Hervorhebung L.G.).
254 Gerade wegen der Nähe zur strengen Methodik der kantischen Schule einerseits
und zum Gedanken der dynamischen Entwicklung der herderschen Schule ande-
rerseits sieht Cassirer (ECW, 16, S. 118) in der Sprachphilosophie Humboldts eine
Versöhnung des Konflikts zwischen Kant und Herder.
248
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Charakter der Sprache stellt dabei eine besondere Herausforderung für ihre
Beschreibung dar, denn – wie Eugenio Coseriu anmerkt – „da die Sprache dyna-
misch ist, muss sie auch dynamisch dargestellt werden“.255 Das hat nicht nur
Konsequenzen für die moderne Linguistik, sondern trägt die Reflexion auf den
Status einer Transzendentalphilosophie, welcher es um die systematische Inte-
gration der Sprache geht und die daher vor der Aufgabe steht, den semantischen
Bezug zwischen Subjektivität und Objektivität durch die Sprache neu zu bestim-
men. In diesem Rahmen räumt Humboldt – wie schon Herder – der Anthro-
pologie eine grundlegendere Stellung ein als Kant.
Bei Humboldt lässt sich Sprache grundsätzlich nicht von der intellektu-
ellen Tätigkeit und der Synthesis der Sinne trennen.256 Die genetische Bestim-
mung der Sprache betrifft also die Konstitution des Gegenstandes als solchem,
die als sprachlich bedingt aufgefasst wird. Damit distanziert sich Humboldt von
Vorstellungen der Sprache als bloßem Verständigungsmittel – als Instrument
zur Darstellung schon bestehender Gedanken –, um in ihr „das bildende Organ
des Gedanken“ zu erblicken.257 Zwischen Denken und Sprache besteht insofern
keine Isomorphie; im Gegenteil steht die Sprache für die dem Denken eigen-
tümliche Synthesis: „Subjektive Tätigkeit bildet im Denken ein Object“.258 Wie
Humboldt schreibt, ist die Sprache die eigentliche Vermittlerin sowohl zwischen
Subjekt und Objekt als auch zwischen verschiedenen Subjekten: „Die Sprache
ist gerade insofern objectiv einwirkend und selbständig, als sie subjectiv gewirkt
und abhängig ist“.259 Folglich betrachtet Humboldt die Synthesis- und Vermitt-
lungsproblematik Kants auch aus einem anderen Gesichtspunkt, da das Objek-
tive „das eigentlich zu Erringende“260 ist. Das Denken ist somit nicht nur ein
„Reden mit sich selbst“,261 sondern auch ein Reden mit den Anderen. Die neue

255 Coseriu 1988, S. 11.


256 Siehe Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS,
VII, I, S. 53–55.
257 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 53.
258 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 55.
259 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S.63. Für Christian Stetter gründet die Überwindung der Cartesischen Tradition
der Isomorphie von Gedanken und sprachlichem Ausdruck darin, dass Humboldt
die Sprache als Medium (2012, S. 116f.) „nicht mehr vom Standpunkt der Repräsen-
tation aus betrachtet, nicht mehr als pures Mittel der Darstellung fasst, […] als
Medium im modernen Sinne, das dem Mediatisieren gegenüber nicht neutral ist,
sondern es durch seine internen Formen prägt“.
260 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 28. Vgl. dazu auch
Cassirer ECW, 16, S. 122.
261 Kant, AA VII: 192.
249
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dialogische Dimension262 instituiert einen ebenfalls neuen Dualismus „zwi-


schen Anrede und Erwiderung“,263 in dem sich Verstehen (und Nicht-Verstehen)
vollziehen und in dem die Gegebenheit der Begriffe als Resultat eines dialogi-
schen Prozesses erscheint: in Begriffen vererbt sich der Prozess ihrer Heraus-
bildung, die im Sprechen erfolgte und ständig von Neuem erfolgt. Das dialogi-
sche Sprechen ist daher eine notwendige Bedingung des Denkens, denn es
vollzieht sich darin die Prüfung und Anerkennung der Objektivität der Worte.
Damit festigt sich die zentrale Rolle, die dem Prozess des Erlernens einer Spra-
che schon von Maimon und Herder zugesprochen wurde.
Die Kraft des kantischen synthetischen Urteils wird von Humboldt auf
die Sprache und vor allem auf das Sprechen übertragen, ohne dabei die Bedeu-
tungsgestaltung auf ein rein psychisches Phänomen zu reduzieren. Das heißt
meines Erachtens, dass die Sprache – und insbesondere das Wort – in die gesam-
te doppelte Versinnlichung Kants hineingezogen wird. Und nicht nur das. Aus-
gehend vom Geflecht zwischen Bestimmtem und Bestimmbarem wählt Hum-
boldt den ‚Weg der Verschiedenheit‘ der Sprachen. So bereitet die Bestimmung
der Sprache als energeia (und nicht als ergon) die wichtige Unterscheidung zwi-
schen Sprache und Sprechen vor, die das „Gewebe“ der Sprache ausmacht, „in
dem jeder Theil mit dem andren und alle mit dem Ganzen in mehr oder weniger
deutlich erkennbarem Zusammenhange stehen. Der Mensch berührt im Spre-
chen, von welchen Beziehungen man ausgehen mag, immer nur einen abge-
sonderten Theil dieses Gewebes, thut dies aber instinctartig immer dergestalt,
als wären ihm zugleich alle, mit welchen jener einzelne nothwendig in Uebe-
reinstimmung stehen muß, im gleichen Augenblick gegenwärtig“.264 Im Spre-
chen realisiert sich das hic et nunc jedes Gebrauchs und gerade „im Individuum
erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit“.265 Dennoch ist nicht jede sprach-
liche Handlung eine reine Schöpfung, sondern zunächst einmal ein besonderer
Gebrauch in (mehr oder weniger bewusster) verändernder Absicht. Somit steht
ein einzelner Akt im Zusammenhang einer potentiellen Unendlichkeit von
Bestimmungen, welche die Sprache (wenn auch nur in ihren parat gehaltenen
Bestimmungen) ist. Die Sprache ist nach Humboldt „eine unerschöpfliche
Fundgrube, in welcher der Geist immer noch Unbekanntes entdecken und die

262 Insbesondere Donatella Di Cesare hat auf diesen Aspekt hingewiesen und ihn als
„Dreidimensionalität der Sprache“ (2004, S. XLI) bezeichnet. Sie sieht in dieser
neuen Dimension der Sprache die Überwindung des Schematismus selbst als die
Überwindung des Solipsismus, den sie allerdings für ein Kennzeichnen der Meta-
physik bis hin zu Kant und Hegel hält.
263 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
264 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 70.
265 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 64.
250
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Empfindung noch nicht auf diese Weise Gefühltes wahrnehmen kann“.266 Gerade
deswegen sind, wie bei Kant,267 Synonyme in der Sprache letztlich nur eine
oberflächliche Erscheinung, insofern es nicht zwei oder mehrere Wörter geben
kann, die genau die gleiche Bedeutung haben. Auch wenn eine Sprache zwei
unterschiedliche Ausdrücke für angeblich denselben Gegenstand kennt – Hum-
boldt nennt das Beispiel von freedom und liberty im Englischen –, „so ist der
Gebrauch derselben bei feinsinnigen und sprachkundigen Rednern doch nicht
gleichgültig“.268 Der Gebrauch also erzeugt die semantische Differenziertheit
und hält sie am Leben.
Dieser unerschöpfliche Charakter der Sprache verleiht ihr eine „dunkle,
unenthüllte Tiefe“.269 Die Sprache impliziert eine Unendlichkeit, die für Hum-
boldt die Frage nach dem Ursprung der Sprache zu einer unbeantwortbaren
werden lässt. Beide Aspekte – die einzelne Aktualisierung von potentiell unend-
lichen Bestimmungen sowie die Tiefe und Unendlichkeit der Sprache – sind
auch dem Schematismus nicht fremd, dessen Ursprung nicht zu finden ist, weil
er, wie Josef Simon betont hat, gerade die Komplexität der Referenz selbst zur
Schau stellt. Mit Humboldt kann nun deutlicher werden, inwieweit das Prozes-
suale des Schematismus mit der Sprache, verstanden als energeia, in Verbindung
steht. Gleichzeitig stellt sich die Frage, die alle bis hierher behandelten Kritiken
betrifft, ob der Schematismus Kants als eine semantische wie semiotische – und
im weitesten Sinne sprachliche – Gestaltung des Denkens verstanden werden
kann. Für ihre Beantwortung oder mindestens ihre Vertiefung ist es meines
Erachtens wichtig, die Bestimmungen der Artikulation und des Wortes in der
Vermittlungsproblematik bei Humboldt einer eingehenderen Prüfung zu
unterziehen.

266 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 62.
267 Siehe dazu Kant AA VIII: 152: „Denn obgleich in jeder Sprache einige Worte in
mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht warden, so kann es doch gar
nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauche desselben Anfangs veruneinigt
haben, den Mißverstand bemerken und sich an deren Statt anderer bedienen: daß es
also am Ende eben so wenig wahre Homonyma als Synonyma giebt“. Für den Hin-
weis auf diesen Aspekt des kantischen Denkens habe ich Mirella Capozzi zu danken
(siehe 2012, S. 334).
268 Humboldt, Grundzüge, S. 107.
269 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 62. Siehe dazu auch S. 56f.
251
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

1. D ie A r t i k u lat ion

Die Artikulation macht nach Humboldt das Wesen der Sprache aus. Sie ist
Bedingung der eigentlichen Versinnlichung des Tons, dessen Bedeutung nur in
seinem artikulierten Gewand wahrgenommen werden kann. Sie wird gleich-
wohl nicht auf die körperliche Dimension der durch die Organe erfolgenden
Artikulation reduziert, sondern stellt den eigenen Prozess der Sprache dar, die
als „sich ewig wiederholende[n] Arbeit des Geistes“ beschrieben wird, „den
artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen“.270 Eben diese
vorrangige Bedeutung der Artikulation für die Gestaltung des Denkens erklärt
auch den ständigen Bezug Humboldts auf die Taubstummen, die, obwohl sie
keinen Zugang zu den Lauten haben, durch die Verbindung zwischen Denken
und Sprachwerkzeugen das Artikulationsvermögen beherrschen.271 Wie schon
gezeigt wurde,272 bezieht sich Kant auf dasselbe Beispiel, um mit diesem die
Unersetzlichkeit des Gehörs zu erklären. Trotz der Hilfe des Sehens und der
Übertragung der Laute durch Nachahmung von Bewegungen der Sprachorgane
kommt der Taubgeborene für Kant „nie zu wirklichen Begriffen, weil die Zei-
chen, deren er dazu bedarf, keiner Allgemeinheit fähig sind“.273 Daran zeigt sich
erneut, wie eng das Verhältnis zwischen Zeichen und Laut bei Kant ist: ohne die
lautlichen Zeichen kann der Taubgeborene ihm zufolge nicht zu Begriffen
gelangen, welche jenseits des partikulären Charakters des Bildes nur durch die
spezifisch zeitliche Dimension des Lautes artikuliert werden können. Für Hum-
boldt hingegen ist die Artikulation nicht mehr auf den Mechanismus der Laut-
erzeugung beschränkt, sondern macht das Wesen der Sprache selbst aus. Ent-
sprechend hängt die Beherrschung des Sprachvermögens von der als nicht lautlich
verstandenen Artikulation ab, in welcher dem Laut als Zeichen eine dienende
Funktion zukommt.274
Die Sprache besitzt damit in der Tat die doppelte Natur, die schon Kant
im Zusammenhang des Gehörsinns zu finden meint: letzterer dient in seiner
artikulierten Form entweder zur Bildung der Begriffe oder er wirkt direkt auf
das Gemüt. Im ersten Fall erscheint die unzertrennliche Verbindung zwischen
intellektueller Tätigkeit und dem Ton als transzendentale Bedingung, da durch
sie das Denken zur Ausprägung gelangt und der Übergang von der Vorstellung

270 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 46.
271 Vgl. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS,
VII, I, S. 66.
272 Siehe oben, Kap. II.5.
273 Kant, AA VII: 159.
274 Für eine ausführliche Behandlung dieses Themas im 18. Jahrhundert siehe Gessin-
ger 1994, S. XVIIf.
252
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

zum Begriff möglich wird.275 Im zweiten Fall ist der Laut die subjektive Emp-
findung und hängt in seiner Wirkung nicht von der Artikulation ab.
Als artikulierter ist der Laut der Vermittler schlechthin.276 Ähnlich wie
die Zeit bei Kant die Vermittlungsfunktion des Schemas trägt, ermöglicht bei
Humboldt der Laut die Vermittlung von sinnlicher Vorstellung und Begriff
gerade dank seiner Zugehörigkeit zu beiden. Der Laut verbindet Materie und
Form, ist somit rezeptiv wie produktiv und stellt eine innerlich-äußere Dimen-
sion dar; nur so kann er die Brücke zwischen dem Subjektiven und dem Objek-
tiven schlagen, die etwa Cassirer folgendermaßen beschreibt: Der Laut „ist auf
der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und
geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der
sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt“.277 Der Laut ist gleichzeitig materiell
und formell und vermittelt zwischen Gegenstand und dem Menschen, der –
Humboldt zufolge – „sich mit einer Welt von Lauten“ umgibt, „um die Welt von
Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten“.278
Der Ton ist dabei vor der Schrift einzuordnen und betrifft alle Schrift-
arten – auch diejenigen, die als Figurenschriftarten verstanden werden. Dieser
Problematik widmet Humboldt den Aufsatz Über die Buchstabenschrift und
ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau von 1824. Die Buchstabenschrift gilt
Humboldt darin als „Schrift des Tons“: „Die Eigenthümlichkeit der Sprache
besteht darin, dass sie, vermittelnd, zwischen dem Menschen und den äussren
Gegenständen eine Gedankenwelt an Töne heftet“.279 Daher erklärt Humboldt
eine vom Laut unabhängige Begriffsschrift für unmöglich und setzt die Ver-
bindung zwischen Denken und Laut als grundsätzlich voraus.280 Daraus folgt,

275 Humboldt, Grundzüge, S. 44.


276 Siehe dazu Borsche 1981, S. 274–277: „Die Artikulation als solche kann also nicht
als ein natürliches Phänomen begriffen werden, und zwar weder akustisch noch
physiologisch. Dennoch ist sie, wie Humboldt betont, vom natürlichen Laut nicht
zu trennen. […] So ist die Artikulation zwar sinnlich durch ihre notwendige Ver-
bindung mit dem natürlichen Laute. […] Obwohl also die Artikulation notwendig
an den Laut gebunden ist, kann man sie von ihrer äußeren Gestalt, dem hörbaren
Laut her gar nicht begreifen. Ihr innerer Zweck allein kann ihren Begriff erschlie-
ßen. […] Die Artikulation ist das Formprinzip der Sprache […] Mit Hilfe des
Begriffs der Artikulation läßt sich also in der Tat deutlicher bestimmen, inwiefern
die Sprache die Fähigkeit besitzt, dem Menschen als das Medium zu dienen, in dem
er ‚zugleich sich selbst und die Welt bildet‘. Selbstbewußtsein und dessen Artikula-
tion in der Sprache sind eins und unzertrennlich voneinander“.
277 Cassirer, ECW, 11, S. 23.
278 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 60. Dazu Roscher 2006, S. 113–116, und Ferron 2009, S. 75f.
279 Humboldt, Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem
Sprachbau, in GS, V, S. 110.
280 Vgl. Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 112. Besonders Jürgen
Trabant (1998, S. 81) hat in seinen Artikulationen dieser Problematik bei Hum-
253
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dass alle Schriftarten – auch die sogenannten Figurenschriftarten – in Wahrheit


nicht um den Laut umhin können. Außerdem entwickelt Humboldt eine Lehre
des Vorzugs der alphabetischen Schrift vor anderen Schriftsystemen, da sie für
ihn das Gliederungswesen der Sprache zur Schau stellt und der artikulierten
und artikulierenden Natur der Sprache angemessener ist als die Figurenschrif-
ten.281 Letztere, wie zum Beispiel die hieroglyphische Schrift, werden von ihm
daher auf ihre lautlichen Elemente zurückgeführt, obwohl sie an der Bildlich-
keit haften, die sie von der prozeduralen Natur des Lautes entfernt. Es kann hier
keine abschließende Einschätzung des Unterschieds der Schriftarten und des
vermeintlichen Vorzugs der Flexion in der Satzbildung gegenüber der Einver-
leibung und der Isolation vorgenommen werden.282 Stattdessen ist systematisch
gesehen vorrangig, die prozedurale Stellung des Wortes zwischen Symbol und
Zeichen bei Humboldt zu beleuchten.

2. Da s Wor t
Der Ton leistet die Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff; als artiku-
lierter ist er in der Wortform zu finden, denn „allein das tönende Wort ist
gleichsam eine Verkörperung des Gedanken, die Schrift eine des Tons“.283 Der
artikulierte Laut schlechthin ist das Wort und dieses der verkörperte Begriff.
Das Wort gibt dem Begriff sowohl seine Gestalt als auch eine sinnliche Geltung;
denn es ist gleichermaßen allgemein und individuell; es kann als unteilbares
Ganzes und zugleich als Teil eines unendlichen Ganzen angesehen werden.284 Es

boldt große Aufmerksamkeit gewidmet und dabei versucht, die sprach-theoreti-


schen Implikationen von Humboldts Schrifttheorie anzugehen und zu betonen,
inwiefern Humboldt erkannt hat, „dass die sogenannten Ideo-graphien in Wirk-
lichkeit Logo-graphien sind“.
281 Vgl. Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 115: „Das alphabetische
Lesen und Schreiben dagegen nöthigt in jedem Augenblick zum Anerkennen der
zugleich dem Ohr und dem Auge fühlbaren Lautelemente, und gewöhnt an die
leichte Trennung und Zusammensetzung derselben; es macht daher eine vollendet
richtige Ansicht der Theilbarkeit der Sprache in ihre Elemente in eben dem Grade
allgemein, in welchem es selbst über die Nation verbreitet ist“.
282 Siehe dazu Trabant 2012, S. 310f. Jürgen Trabant hält diesen Aspekt für „völlig
inaktuell“ bei Humboldt.
283 Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 109.
284 Siehe dazu Humboldt, Grundzüge, S. 53f.: „Das Wort kann allerdings auch als
unteilbares Ganzes genommen werden, wie man auch in der Schrift wohl den Sinn
einer Wortgruppe erkennt, ohne noch ihrer alphabetischen Zusammensetzung
gewiß zu sein, und es wäre möglich, dass die Seele des Kindes in den ersten Anfän-
gen des Verstehens so verführe. […] Nun aber ist dasjenige, was die Artikulation
dem bloßen Hervorrufen seiner Bedeutung (welches natürlich auch durch sie in
höherer Vollkommenheit geschieht) hinzufügt, daß sie das Wort unmittelbar durch
seine Form als einen Teil eines unendlichen Ganzen, einer Sprache, darstellt. […]
254
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

schafft Einheit und bleibt trotzdem in seiner Artikulation partikular und für
eine mannigfaltige Bestimmung offen. Diesen Vermittlungsprozess bezeichnet
Humboldt selbst als Verkörperungsprozess, in dem Denken und Anschauung in
der energeia der Sprache unzertrennlich verbunden sind. Auf diese Weise stellt
das Wort ein in der Sprache erzeugtes Objekt dar. In den Grundzügen des all-
gemeinen Sprachtypus schreibt Humboldt diesbezüglich: „Das Wort ist kein
Gegenstand, vielmehr den Gegenständen gegenüber etwas Subjektives, nun
aber soll es im Geiste des Denkenden doch ein Objekt, von ihm erzeugt und auf
ihn zurückwirkend sein“.285
Trotz des allgemeinen, synthetischen Charakters der Sprache aber ver-
liert Humboldt die systematische Differenzierung zwischen Wort, Symbol und
Zeichen nicht aus den Augen, die in den Grundzügen entwickelt wird. Dabei ist
auffällig, dass diese Differenzierung keine starre Abgrenzung von einzelnen
Bestandteilen der Sprache, sondern eine sensible Beschreibung der vielschich­
tigen und prozessualen Gestaltung von Bedeutung in der Sprache darstellt. Das
Wort wird zum Prozess, der sich zwischen symbolischem und zeichenhaftem
Gebrauch artikuliert und im Unterschied zu beiden dynamisch bleibt. Es ist nun
an der Zeit, die spezifische Entfaltung dieses Prozesses näher zu untersuchen.
Insofern die Sprache im Allgemeinen „zugleich Abbild und Zeichen, nicht
ganz Product des Eindrucks der Gegenstände, und nicht ganz Erzeugniss der
Willkühr der Redenden ist, so tragen alle besondren in jedem ihrer Elemente
Spuren der ersteren dieser Eigenschaften, aber die jedesmalige Erkennbarkeit
dieser Spuren beruht, ausser ihrer eigenen Deutlichkeit, auf der Stimmung des
Gemüts, das Wort mehr als Abbild, oder mehr als Zeichen nehmen zu wollen“.286
Das Wort wird somit zur konkreten Form der Gestaltung des Denkens, die
jedoch als Abbild oder Zeichen aufgefasst werden kann. Es darf hingegen nicht
als Abbild oder Zeichen definiert werden, obwohl es in beide Richtungen hin
ausgelegt werden kann – je nachdem, wie das in ihm enthaltene Verhältnis zwi-
schen Inhalt und Ausdruck bestimmt wird, wie Trabant bemerkt: „Das Wort ist
nun insofern Abbild und Zeichen zugleich, als es […] – wie das Bild – eine
unauflösliche Verbindung von Ausdruck und Inhalt hat“.287 Das Wichtige ist
daran nicht nur, dass Humboldt die Einbettung des Zeichens und des Bildes im
Wort erkennt, sondern auch, dass er die Spezifizität beider erhält. Somit spielen
auch das Bild und das Abbildhafte in der Sprache eine grundlegende Rolle.288

Das Sprachlernen von Kindern ist […] ein Wachsen des Sprachvermögens durch
Alter und Übung“.
285 Humboldt, Grundzüge, S. 50.
286 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 29. Zur der Stel-
lung des Wortes zwischen Abbild und Zeichen siehe Stetter 1997, S. 437.
287 Trabant 2012, S. 166.
288 Vgl. Trabant 2012, S. 169.
255
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

Der Grundirrtum der Sprachwissenschaft liegt nach Humboldt darin,


„die Wörter als bloße Zeichen anzusehen“.289 Seine eindeutige Weigerung, das
Wort mit dem Zeichen zu identifizieren, kann als antisemiotischer Ansatz sei-
ner Sprachphilosophie gelten, welche die Vermittlung als semantische Artiku-
lation auffasst, die durch die semiotische Willkürlichkeit der Zeichen nicht auf-
gehoben wird.290 Dieser entscheidende Aspekt wird dort noch deutlicher, wo
Humboldt das Wort ausdrücklich vom Symbol und vom Zeichen unterscheidet.
Eigentlich ist das Wort zwar sowohl mit dem Zeichen als auch mit dem Symbol
verwandt, aber trotzdem „seiner innersten Natur nach von beiden verschie-
den“.291 Die Angabe der Verwandtschaft des Wortes mit Zeichen und Symbol
hängt davon ab, wie das Verhältnis zwischen Idee und Körperstoff, zwischen
Sinnlichem und Unsinnlichem, zwischen Form und Materie im Wort gemeint
ist. Indem der Laut den Begriff gestaltet, ist das Verhältnis zwischen Laut und
Begriff mit dem Symbol verwandt:

„Insofern das Wort den Begriff in einen sinnlichen Stoff vor der Einbil-
dungskraft verwandelt, gleicht es dem Symbol. Denn es schiebt der Idee
eine Gestalt unter und abstrahiert bei dem körperlichen Gegenstand von
der Totalität seiner Wirklichkeit, indem es ihn an einem Merkmale fest-
hält und ihn in diesem durch etwas ihm Fremdes, einen Ton, bezeich-
net“.292

Dennoch lässt sich das Wort nicht mit dem Symbol gleichsetzen, weil es die Ein-
heit zwischen Form und Materie nicht erreicht, die das Symbol ausmacht. Das
Wort schließt somit die Möglichkeit einer vielschichtigen Gestaltung des Ver-
hältnisses zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem in sich, in dem die Sprache
sich zwischen Konkretheit und Abstraktheit der Gedanken artikuliert.293

289 Humboldt, Grundzüge, S. 99.


290 Dieser Ansatz wird insbesondere von Tilman Borsche (1981), Donatella Di Cesare
(2004) und Jürgen Trabant (1990, S. 32f., und 2012) vertreten. Insbesondere Trabant
rekonstruiert in seiner zuletzt erschienenen Monografie Weltansichten (2012,
S. 157–167) die Entwicklung der Sprachphilosophie Humboldts in den Jahren 1795–
1826 in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Wort und Zeichen. Für einen Ver-
gleich zwischen Humboldt und Saussure siehe Kuße 2007, S. 149–171.
291 Humboldt, Grundzüge, S. 99.
292 Humboldt, Grundzüge, S. 99.
293 Siehe dazu Borsche 1981, S. 258: „Das Symbol ist nicht gleichgültige Hülle des
sonst ‚unabhängigen‘ Begriffs, beide sind wesentlich verbunden. Im Zeichenver-
hältnis zeigt sich der Begriff als gänzlich losgelöst von dem beliebigen Zeichen, im
Symbolverhältnis erscheint er als durchaus gebunden an das bestimmte Symbol.
Das Wort aber vermittelt beide Verhältnisse, indem es den Begriff allererst bildet.
Das ausgesprochene Wort meint einen Begriff, es hat Bedeutung; dieses Verhältnis
ist ihm wesentlich. Der Begriff aber, den es meint, ist der konkrete Begriff, der
nichts anderes ist als das jeweils im Sprechen Bedeutete“.
256
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Gestalten sind jenseits dieses Gebrauchs nicht vorgegeben. So impli-


ziert die Sprache auf der Ebene des Gebrauchs diejenige doppelte Versinn-
lichung, die für Kant von den unterschiedlichen Darstellungsweisen abhängt.294
Die Sprache kann daher als abbildende, zeichenhafte oder symbolische Tätigkeit
ausgelegt werden, und „das Wort, als Bezeichnung des Begriffs, ist verwandt
mit dem Zeichen und mit dem Symbol“.295 Auf der anderen Seite ist das Zeichen
nicht mit dem schriftlichen Ausdruck gleichzusetzen; dieser stellt vielmehr für
den Laut die Möglichkeit dar, vom Begriff abzuweichen und darin seine will-
kürliche Gestaltung zu erkennen. Bedeutung realisiert sich also in der Tätigkeit
der Sprache selbst und in ihrem Gebrauch. Entsprechend beendet Humboldt den
Abschnitt der Grundzüge, in dem er Wort, Symbol und Zeichen voneinander
abgrenzt, mit folgender Beobachtung:

„Wörter und Wortlaute können aber, wie alle anderen Gegenstände, in


ihrer Beschaffenheit und Zahl und im Zusammenhang mit ihrer Bedeu-
tung als Symbole behandelt werden, und so mag es wohl zu verstehen
sein, wenn von den ägyptischen Priestern erzählt wird, daß sie die Götter
durch das aneinander gereihte Austönen der sieben Vokale feierten“.296

Diese Bemerkung ist insofern bedeutsam, als die Annahme, dass die Zahl der
Buchstaben symbolisch gedeutet werden kann, einen der thematischen Leitfä-
den des Briefwechsels zwischen Kant und Hamann darstellt, wie er bereits im
ersten Teil der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf die semiotische Deu-
tung des Monogramms erwähnt wurde.297
Im Brief vom 6. April 1774 an Hamann diskutiert Kant in einer Inter-
pretation der Hermes-Figur die Darstellung der göttlichen Zahl 7. Diese Dar-
stellung hält Kant in kritischer Perspektive nicht für göttlich, sondern für sym-
bolisch – und zwar als indirekte sinnliche Darstellung des Unsinnlichen.
Deswegen bittet er Hamann ironisch, seine Meinungen doch in der Sprache der
Menschen und nicht in derjenigen der Götter zu formulieren. Denselben Weg
verfolgt nun auch Humboldt, der das Symbolische zwar in bestimmten Ausdrü-
cken und Wörtern erkennt, jedoch nicht mit dem Wortlaut gleichsetzt. Gerade
weil die Sprache kein Produkt, sondern eine Tätigkeit ist, liegt das Symbolische

294 Siehe dazu Kap. VI.


295 Humboldt, Grundzüge, S. 99. In Bezug auf die symbolische Verwendung des Wor-
tes bemerkt Humboldt (Ebd.): „Insofern das Wort den Begriff in einen sinnlichen
Stoff vor der Einbildungskraft verwandelt, gleicht es dem Symbol. Denn es schiebt
der Idee eine Gestalt unter und abstrahiert bei dem körperlichen Gegenstand von
der Totalität seiner Wirklichkeit, indem es ihn an einem Merkmale festhält und ihn
in diesem durch etwas ihm Fremdes, einen Ton, bezeichnet. Der Laut schließt also,
auf diese Weise einer Hieroglyphe gleich, den Begriff in sich“.
296 Humboldt, Grundzüge, S. 100.
297 Siehe oben, Kap. V.2.3.
257
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

im Gebrauch, wodurch auch die Annahme verschiedener Grade symbolischen


Denkens möglich wird.
Das Wort ist einerseits eine Gestaltungsform nicht nur im Sinne eines
transzendentalen Prozesses und hat andererseits die konkrete Form einer Ein-
zelsprache, die in bestimmten Formen zur Gestaltung gelangt, wie Humboldt
erklärt:

„Das Wort faßt jeden Begriff als einen allgemeinen auf, bezeichnet streng
genommen immer Klassen der Wirklichkeit, selbst wenn es ein Eigen-
name ist, das es alsdann alle, der Zeit und dem Raum nach verschiedenen
Zustände des Bezeichneten (ihn als eine Klasse vorstellend, in welcher er
in allen diesen Zuständen ebenso, wie verschiedene Individuen, in einem
Gattungsbegriffe enthalten ist) zusammenfaßt. Er macht aber sich selbst
und mithin auch den in ihm enthaltenen Begriff zu einem Individuum
der Sprache“.298

Eine gewisse Verkörperung des Wortes lässt sich bei Humboldt auf der trans-
zendentalen Ebene durch die Bestimmung der Sprache selbst als Vermittlung
erklären, in der Rezeptivität und Intellektualität, Anschauung und Begriff,
Sinnliches und Unsinnliches zusammenfallen; zur gleichen Zeit betrifft die
Sprache auch die konkrete Gestaltung der Einzelsprache, die daraus resultiert.
Somit weist Humboldt auf eine mögliche Synthesis zwischen transzendenta-
lem, universellen Prozess und partikularer Mannigfaltigkeit hin.299 Gerade
durch die prozessuale genetische Beschreibung der Sprache zeichnet Humboldt
ein Bild der sprachlichen Vielfalt, das nicht in einen Relativismus führt, sondern
die Notwendigkeit der Transzendentalphilosophie selbst aufzeigt, die sich dem-
zufolge auf die Prozessualität und nicht auf den Gehalt der Repräsentation zu
konzentrieren hat. In der Gestalt wird eine Synthesis zwischen Äußerem und
Innerem nicht auf der Basis der Repräsentation, sondern auf der des Prozesses
instituiert, der sie bildet. Aus diesem Grund kann Humboldt – im Vergleich zu
Kant und Herder – in noch radikalerer Weise die Überwindung des Repräsen-
tationalismus zugutegehalten werden: Nicht der repräsentationale Gehalt, son-
dern der Prozess der Sprache selbst ist dabei der spannende Punkt, der – wie
gezeigt – verschiedene Aspekte seiner Philosophie betrifft.300

298 Humboldt, Grundzüge, S. 90f.


299 Dieser Aspekt wird vor allem von Jürgen Trabant (1998, S. 191) hervorgehoben, der
im Anschluss an den kognitivistischen Ansatz von George Lakoff betont, dass „es
nicht darum geht, den Relativismus zu hassen, sondern ihn in einem vernünftigen
Universalismus aufzuheben“.
300 Siehe dazu insbesondere die Aufsätze von Christian Stetter (2010 und 2012, S. 119),
der die Philosophie Herders noch dem Repräsentationalismus zuordnet. Außerdem
möchte ich auf den Aufsatz von Gerold Prauss, Wilhelm von Humboldt als Kantia-
258
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Tätigkeit der Sprache und die Entwicklung des Denkens lassen sich
nach Humboldt nicht nur in Bezug auf die lexikalische Ebene der Begriffe, son-
dern vor allem mit Blick auf die syntaktische Ebene der Rede analysieren, die
sich zudem in Typologie und Grammatik der Sprachen spiegelt – was hier
jedoch nicht näher behandelt werden kann. Die Rede ist die höchste Manifesta-
tion der Freiheit des Sprechenden, der im Gebrauch seine eigene Gestaltung der
Sprache realisiert:

„Vieles im Periodenbaue und der Redefügung lässt sich aber nicht auf
Gesetze zurückführen, sondern hängt von dem jedesmal Redenden oder
Schreibenden ab. Die Sprache hat dann das Verdienst, der Mannigfaltig-
keit der Wendungen Freiheit und Reichthum an Mitteln zu gewähren,
wenn sie oft die Möglichkeit darbietet, diese in jedem Augenblick selbst
zu erschaffen“.301

Hier tritt die Rede als prozessuale Strukturierung der Sprache hervor, die jedes
Mal neu gestaltet werden muss – auch wenn Humboldt bewusst ist, dass jede
Realisierung bis zu einem gewissen Grad von der Zugehörigkeit zu einer Spra-
che und einem bestimmten Volk abhängt. Die damit verbundene, transzenden-
tale Bedeutung der Tätigkeit – die sozusagen Bedingung der Sprache selbst ist
– spiegelt sich für Humboldt außerdem unmittelbar in der inneren Sprachform:
„Dieser ihr ganz innerer und rein intellectueller Theil macht eigentlich die
Sprache aus“.302 Gerade wegen ihres innerlichen Charakters ist diese Sprach-

ner über Sprache verweisen, in dem er die Sprachphilosophie Humboldts mit den
Anschauungen der Zeit und der Raumes in Verbindung bringt (2010, S. 200): „Rei-
ne Subjektivität als reine Geistigkeit ist Sprache, weil wie erstere auch Sprache
ontologisch reine Zeitlichkeit ist. Denn jedoch bedarf jedes Subjekt als ein solches
Zeitlich-Inneres für ein anderes solches Inneres als ein anderes Subjekt zu äußern,
wie auch umgekehrt, damit ein jedes einem jeweils anderen begegnen könne. Denn
als zueinander anderes Inneres können sie, wie jedes Andere für ein Subjekt, auch
füreinander nur in der Gestalt von etwas Äußerem begegnen. Möglich ist das nur,
indem ein jedes solche Innere in etwas Äußeres hinein sich äußert: in Gestalt von
diesem oder jenem Objekt, so dass dadurch solches Innere selbst als solches Äußere
auftritt. Und mit dieser Theorie der Sprache als Sich-Äußern eines Inneren ist
Humboldt auch der erste, der sie nicht mehr auf die bloße Repräsentation verengt,
wie es die Überlieferung seit Platons Kratylos und Aristoteles‘ De Interpretatione
tat, und wie auch Kant es noch im vollen Umfang tut, und wovon sich Hamann oder
Herder noch nicht lösen können“.
301 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 93. Donatella Di Cesare (2004, S. LXXVIIIf.) hat die Tätigkeit der Sprache als
Enérgeia bezüglich der Priorität der Rede erklärt.
302 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 86. Zur inneren Sprachform siehe den Vergleich zwischen Herder und Humboldt
von Brigitte Hilmer (2010, S. 205): „Humboldt konnte erkennen, dass die aus der
Einheit des Selbstbewußtseins geborenen Formen der Vernunft und die von Herder
259
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

form schwer zu fassen, zumindest schwerer als die Erfassung ihrer Manifesta-
tionen in der äußeren Form, die durch die Sprache gestaltet wird. Der innerliche
Charakter der Sprachform kann meines Erachtens als Spur des impliziten kan-
tischen Erbes Humboldts gedeutet werden: Denn die innere Sprachform ist eine
Tätigkeit, die nie vollkommen ausbuchstabiert und auf Gesetze zurückgeführt
werden kann; sie ist gewissermaßen in der Seele angesiedelt und schwer zu grei-
fen. Ähnlich wie die verborgene Kunst des Schematismus bei Kant scheint sie
auf einen in der Seele versteckten Mechanismus zurückzugreifen. Trotz der all-
gemeinen, transzendentalen Differenzierungen bleibt die Untersuchung Hum-
boldts jedoch nicht auf dieser (vielleicht überschätzten) Ebene stehen, sondern
wird in Bezug auf die äußere Form der Sprache weiterentwickelt.303 Deshalb
reduziert er meines Erachtens die Problematik der Rede auch nicht auf den all-
täglichen Gebrauch und nimmt stattdessen den weiteren semantischen Gebrauch
der Sprache in Poesie und Prosa zum Vorbild. Im täglichen Gebrauch erfolgt
eine gewisse Abnutzung der Metaphern,304 da sie implizit verwendet werden –
ein Aspekt, der später für Nietzsche von grundlegender Bedeutung sein wird.305
Im Gegensatz dazu kann in der Poesie die metaphorische Bedeutung der Spra-
che ans Licht kommen.
Humboldt beschreibt einen prozessualen Charakter der Sprachen,306 in
dem der Geist eines Volkes zur Entfaltung kommt. Hier geht es um die Tätigkeit
der Sprache als allgemeiner Bedingung für die vielfältige Gestaltung des Den-
kens, die wiederum in Kultur und Geschichte durchscheinen kann. Der Gebrauch
hat dabei nicht nur eine individuelle Bedeutung, sondern kann auch auf einer
allgemeineren Ebene untersucht werden, die für Humboldt die Manifestation
des Geistes eines Volks in der Sprache darstellt. Und er weist auf den Unter-

dagegen gehaltenen Strukturen der Bildungen produktiver Sinnlichkeit in einem


eigenen Grund (der ‚inneren Sprachform‘) zusammenhängen müssen“. Das Thema
wird auch von Plessner (GS, III, S. 156–163) behandelt. Siehe unten, Kap. I.1 des
dritten Teils.
303 Gerade deswegen teile ich die Auslegung von Donatella Di Cesare (2004, S. LXXIV–
LXXVI), die die innere Sprachform als einen Grenzbegriff deutet und für eine
Relativierung der herausgehobenen Stellung plädiert, die Humboldts Begriff der
inneren Sprachform schon von Steinthal verliehen worden ist – was sich vor allem
in der Auffassung ausdrückte, dass die äußere Sprachform von der inneren Sprach-
form abhänge. Im Gegenteil argumentiert Di Cesare für die Relevanz der äußeren
Sprachform und der Rede als eigentlich realisierender Tätigkeit des Denkens.
304 Dieser Abnutzungsprozess bezüglich der Metaphern wird von Humboldt erklärt,
siehe Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 94.
305 Siehe dazu Nietzsche, KSA, I, S. 880f. Dieses Thema ist in Kap. VI.1 schon erwähnt
worden.
306 Humboldt widmet dieser Problematik den Abschnitt ‚Charakter der Sprachen‘ in
seinem Werk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, siehe GS,
VII, I, S. 165–192.
260
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

schied zwischen einem bloß alltäglichen und einem tief poetischen Gebrauch
der Sprache hin.307 Davon betroffen sind sowohl der Ausdruck der tieferen
Gefühle der Menschheit als auch der Gebrauch der Begriffe einer Fachsprache
und der Philosophie selbst. Diesbezüglich schätzt Humboldt insbesondere das
Sanskrit als Ausdruck des Indischen Geistes, der „vorzugsweise auf die Sonde-
rung und Aufzählung der Begriffe hinging“,308 sowie die Bedeutung der Prosa
für die Philosophie – die, wie gezeigt wurde, auch ein wichtiges Thema für Kant
und Maimon ist.309

3. E i nb e t t u ng der dopp elten Ver si n n l ic hu ng


i n d ie Sprac he
Der Umstand, dass der Gestaltungsprozess nicht nur etwas Geistiges, sondern
in erster Linie eine lautliche Versinnlichung ist, in welcher der artikulierte Laut
den Unterschied zu einem bloß durch einen unartikulierten Schrei geäußerten
Gefühl ausmacht, rückt die Artikulation ins Zentrum der Sprachphilosophie
Humboldts. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wird damit auf den Laut
bezogen, der die Artikulation trägt. Denn der Laut ermöglicht einen Gestal-
tungsprozess, der in der Sinnlichkeit erfolgt und in inniger Verbindung mit der
Zeit steht. Hierbei hat die Sinnlichkeit eine gewisse Gestaltungspriorität. Sie ist
auf transzendentaler Ebene die eigentümliche Formung der Materie, weil ihre
eigene Gestaltungsfunktion nicht ohne geistige Tätigkeit zu erfassen ist. In
diesem Sinn könnte der geistige Prozess selbst als eine Versinnlichung im Wort
angesehen werden, in der „Sinnen- und Gefühlsgehalt zugleich, und wieder
synthetisch, als Stoff vernichtet und als Form erhalten wird, was das Werk der
Einbildungskraft ist, der Vermittlerin der entgegensetzen Naturen in der
Menschheit“.310
Das Wort ist nach Humboldt ein verkörperter Begriff. Obwohl die Ver-
wendung des Verkörperungsbegriffs hier gerade im Sinne der Verlautlichung
ausgelegt werden soll, bin ich der Meinung, dass es sich bei Humboldt gerade

307 Siehe dazu Di Cesare 2004, S. CIIIf.


308 Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I,
S. 191.
309 Siehe dazu Kant AA XXVIII: 369f. und Maimon, VT, 314/315.
310 Humboldt, Grundzüge, S. 91. Dazu Stetter 2004, S. 21: „Die Funktion des Wortes
besteht darin, die logische Geltung, d.h. seinen semantischen Wert, mit seiner
sinnlichen und seiner Gefühlsgeltung zu vermitteln. Möglich ist dies nur – das
klassische Schematismus-Problem –, indem sein Sinnen- und Gefühlsgehalt ‚als
Stoff vernichtet und als Form erhalten wird‘ [Grundzüge, S. 91], d.h. als die nach
den Möglichkeiten des Lautsystems gebildete artikulierte Form, die nur als solche
logische Geltung gewinnen kann, eben darum aber auch die Wahrnehmung und
das Gefühl ‚affiziert‘, d.h. stets den ganzen Menschen anspricht“.
261
  IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

nicht primär um eine Verkörperung, sondern um eine Versinnlichung handelt.


Denn nur so könnte die wichtige Abgrenzung zwischen Wort, Zeichen und
Symbol als eine gelungene Kritik der doppelten Versinnlichung bei Kant begrif-
fen werden, der die Versinnlichung letztlich auf eine anschauliche (direkte oder
indirekte) Darstellung reduziert und diese vom Zeichen abgrenzt. Vom Gesichts-
punkt Humboldts aus, demzufolge die Sprache sich stets zwischen Abbild und
Zeichen bewegt und das Wort mit dem Zeichen und dem Symbol verwandt ist,
lässt sich dagegen eine umfassendere Versinnlichungslehre entfalten, ohne ihre
Gegenstände zu toten Entitäten zu erklären. Die Abgrenzung zwischen Zei-
chen, Wort und Symbol bleibt kritisch: Die Realisierung der Sprache durch
diese Gebrauchsweise impliziert eine kritische Arbeit des Geistes, die darauf
ausgelegt ist, die Artikulation des Unsinnlichen durch das Sinnliche zu begrei-
fen. In der Funktion des Wortes lässt sich jedoch ein Versinnlichungsprozess
erkennen, in dem die Dimensionen des Zeichens und des Symbols zu kommuni-
zierenden Bereichen werden, wobei die Materialität der Sprache nicht zur will-
kürlichen Bezeichnung herabgesetzt wird, sondern der semantischen Artikula-
tion des Lautes dient, die den Sprachen ihre besondere Form gibt.311
Das Wort als artikulierter Laut wird nun zur Bedingung der Entstehung
der Bedeutung, die sich zwischen Bildern, Zeichen und Symbolen artikuliert.
Die Artikulation ist daher eine semantische, in der die Sprache nicht auf die
Arbitrarität des Zeichens reduziert werden kann. Die Artikulation lässt sich
nicht vom Gebrauch als intentionaler Tätigkeit trennen. Ein gutes Beispiel dafür
ist Humboldts Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem und konventionel-
lem Gebrauch der Sprache:

„Beide gehören insofern in Eine Classe, als sie, die eigenthümliche Wir-
kung der Sprache, als eines selbstständigen Stoffes, vertilgend, dieselbe
nur als Zeichen ansehen wollen. Aber der wissenschaftliche Gebrauch
thut dies auf dem Feld, wo es statthaft ist, und bewirkt es, indem er jede
Subjectivität von dem Ausdruck abzuschneiden, oder vielmehr das
Gemüth ganz objektiv zu stimmen versucht, und der ruhige und ver-
nünftige Geschäftsgebrauch folgt ihm hierin nach; der conventionelle
Gebrauch versetzt diese Behandlung der Sprache auf ein Feld, das der
Freiheit der Empfänglichkeit bedürfte, drängt dem Ausdruck eine, nach
Grad und Farbe bestimmte Subjectivität auf, und versucht es, das Gemüth
in die gleiche zu versetzen“.312

311 Vgl. insbesondere Trabant 2012, S. 240: „Die Materialität der Sprache ist nichts
Gleichgültiges, Arbiträres. Sie ist selber semantisch. Und es ist – nebenbei gesagt
– auch gerade der Laut, die Stimme, die nichts Gleichgültiges für die Sprache ist:
Menschliche Sprache ist, was immer Derrida dazu sagt, an die phöné gebunden“.
312 Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 30f.
262
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

In dieser Unterscheidung zeigt sich meines Erachtens, dass die Artikulation des
Wortes nicht auf einer rein lexikalischen Ebene stehen bleibt, sondern als
Gebrauch schon den Satz – und somit das kantische Urteilen – impliziert, der die
potentielle Entfaltung des Wortes zwischen Zeichen und Symbol zur Ausführung
bringt. In dieser semantischen Ausführung der ‚Rede‘, in der nach Humboldt
das ‚Wesen der Sprache‘ liegt,313 kommt Neues zustande; denn in ihr kann sich
in Form der alternativen Anwendung endlicher Artikulationsmittel Kreativität
entfalten und einen neuen Gebrauch etablieren, der letztlich – im Sinne Kants
– die Möglichkeit besitzt, wiederum exemplarisch zu werden und somit dem
Denken neue semantische Dimensionen zu eröffnen.314
Die genetische Methode, in der die kantische Vermittlungsproblematik
anklingt und die offenbar von der kritischen Methodik beeinflusst ist, kehrt
damit schließlich zum transzendentalphilosophischen Ansatz Kants zurück,
belehrt diesen allerdings über das prozessuale Potential der Schematismuslehre.
Sie ist Ausdruck eines neuen Holismus, der jedoch die diskursive Vernunft als
regulatives Prinzip respektiert.315 Humboldt rekurriert demnach, wie schon
Kant, auf die Einbildungskraft, um die Sinnlichkeit mit dem Denken in Ver-
bindung zu bringen, obwohl er ihr eine stärker schöpferische Kraft zuspricht,
als Kant dies tut. Die Einbildungskraft stellt „überhaupt eine Welt von Lauten
zwischen den Menschen und die Wirklichkeit“ dar und kann von der Sprache
grundsätzlich nicht getrennt werden.316 Humboldt verleibt sich insofern die
Transzendentalphilosophie Kants gewissermaßen ein, ohne jedoch seine Sprach-
philosophie als Transformation der Systematik der Gemütskräfte anzusehen, an
der er festhält.
Die Umgestaltung der Denkvermögen erfolgt meines Erachtens erst bei
Hegel in Bezug auf das Verhältnis von Anthropologie und Psychologie sowie die
Funktion des Zeichens als Übergang zum Denken.

313 Siehe dazu Humboldt, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues,
in GS, VI, I, S. 147: „Die Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik
und Wörterbuch sind kaum ihrem todten Gerippe vergleichbar“.
314 Zur Einführung neuer Regeln in die Sprache vgl. Di Cesare 2004, S. LXVII.
315 Vgl. Kuße 2007, S. 168.
316 Humboldt, Grundzüge, S. 126f. Dazu auch Ferron 2009, S. 76.
V. D ie ‚ Z eichen machende
P hantasie‘ bei H egel

Auch Hegel fügt an der Systemstelle des Schematismus eine Untersuchung der
Sprache und der Funktion des Zeichens ein.317 Die Einführung der Sprache als
Prozess der Vermittlung und der Synthesis hat Hegel mit den Revisionsver-
suchen der bis hierher behandelten Denker gemeinsam, die Kant aus unter-
schiedlichen Motiven heraus dafür kritisieren, die Dimension der Sprache ver-
nachlässigt zu haben.318
In der Bestimmung des Theoretischen Geistes – mit seinen drei Momen-
ten der Anschauung, der Vorstellung und des Denkens – bezieht Hegel sich
zwar nicht auf die Schematismuslehre. Doch er gibt der Tätigkeit des Geistes
eine eindeutig synthetische Funktion, die in Bildern, Zeichen und Symbolen zur
Ausgestaltung kommt und nicht nur eine Vermittlung zur Erzeugung eines
aggregierten Dritten darstellt, sondern die Umarbeitung des Unmittelbaren zu
einem Geistigen und gleichzeitig die Ermöglichung des Denkens und der Kate-
gorien ist. Die damit angezeigte Tätigkeit ist auch für Hegel eminent sprach-
licher Art. Somit wird der Sprache eine gestaltende Dimension zugesprochen,

317 Siehe Sandkaulen 2004, S. 158: „Die ‚nahmengebende Kraft‘ der Sprache tritt
funktional an die Stelle des Schematismus: dass Hegel diesem Gedanken gemäß
Kants Transzendentalphilosophie von Grund auf reformuliert und sie so zugleich
als erste Etappe der Philosophie des Geistes in sein System integriert, ist evident,
obwohl bisher, wie es scheint, nicht bemerkt“.
318 Vor allem Hamann, Herder und Humboldt sind von Hegel rezipiert worden – nur
Maimon bleibt in dieser Hinsicht eine Stimme außerhalb des Chors. Siehe auch
Simon 2003, S. 559: „Die Sprachbezogenheit ist bei Kant in dieser Deutlichkeit
noch nicht mit im Blick. Der spätere Philosoph kann den früheren verdeutlichen.
Bei Hegel ist die Sprache ‚in ihrer eigentümlichen Bedeutung‘ die individuelle
‚Kraft des Sprechens als eines solchen, welche das ausführt, was auszuführen ist‘.
Ihre ‚eigentümliche Bedeutung‘ hat sie in der Gestaltung der Darstellung des eige-
nen Fürwahrhaltens angesichts der Differenz der individuellen Gesichtspunkte.
Die ‚Kraft des Sprechens‘ ist die sich auf fremde Vernunft hin gestaltende Urteils-
kraft“. Zum Einfluss Herders auf Hegel siehe Forster 2011, S. 146f.
264
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

die – um den Kernbegriff dieser Untersuchung in Bezug auf Hegel einzuführen


– nicht nur als eine Versinnlichung, dem sinnlichen Ausdruck entsprechend,
von Unsinnlichem (etwa durch Zeichen), zu gelten hat, sondern gewissermaßen
die Entstehung des Denkens selbst vorführt. Dieser Prozess einer sprachlichen
Entäußerung, in dem ausgehend von der Empfindung das scheinbar Unmittel-
bare zum Mittelbaren wird, kommt zunächst in der Phänomenologie des Geis-
tes ans Licht, und zwar im Kontext der Einführung der Sprache in der sinn-
lichen Gewissheit und später in der Bestimmung der Sprache als Dasein des
Geistes.319
Besonders der Abschnitt zur sinnlichen Gewissheit verdeutlicht, wie
sich durch die Sprache in partikularen Ausdrücken wie „dieses Stück Papier“
eine allgemeine Bezeichnung realisiert: „Als ein Allgemeines sprechen wir
auch das Sinnliche aus; was wir sagen, ist: Dieses, d. h. das allgemeine Diese“.320
Die Sprache hebt somit im Sprechen die gemeinte Partikularität durch die All-
gemeinheit des Bezeichnenden auf. Diese Dialektik ermöglicht eine auf das
Wissen ausgerichtete Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, in der das sub-
jektive Aufzeigen des Objektes als Hier und Jetzt die eigentliche Natur des
Unmittelbaren enthüllt: denn erst diese Bezeichnung erschließt das allgemeine
Hier und Jetzt. Somit erzeugt die Sprache selbst die Bewegung innerhalb der
sinnlichen Gewissheit, die an sich diese Bewegung erfährt, sie wieder vergisst
und immer wieder von vorne anfängt. Sie wird von nun an von Hegel als die
„Dialektik der sinnlichen Gewissheit“ bezeichnet,321 die gerade wegen ihres
sprachlichen Ausdrucks nicht in sich selber gefangen bleibt, sondern in das
Moment des Wahrnehmens übergeht. Diesen Übergang beschreibt Hegel als die
‚göttliche Natur‘, die das Sprechen hat und die näher darin besteht, „die Mei-
nung unmittelbar zu verkehren, zu etwas anderem zu machen, und so sie gar

319 Siehe zu diesem letzten Aspekt, der hier nicht ausführlicher behandelt werden
kann, folgende Stelle aus der Phänomenologie des Geistes (W, 3, S. 478f.): „Wir
sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes. Sie ist das für andere
seiende Selbstbewußtsein, welches unmittelbar als solches vorhanden und als die-
ses allgemeines ist. Sie ist das sich von sich selbst abtrennende Selbst, das als reines
Ich = Ich sich gegenständlich wird, in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als
dieses Selbst erhält, wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und ihr
Selbstbewußtsein ist; es vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen
wird, und das Vernehmen ist das zum Selbst gewordene Dasein. Der Inhalt, den die
Sprache hier gewonnen, ist nicht mehr das verkehrte und verkehrende und zerris-
sene Selbst der Welt der Bildung, sondern der in sich zurückgekehrte, seiner und in
seinem Selbst seiner Wahrheit oder seines Anerkennens gewisse und als dieses
Wissen anerkannte Geist. […] Der Inhalt der Sprache des Gewissens ist das sich als
Wesen wissende Selbst“.
320 Hegel, W, 3, S. 85.
321 Hegel, W, 3, S. 90.
265
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

nicht zum Worte kommen zu lassen“.322 Möchte ich dieser Verkehrung hin-
gegen damit vorbeugen, „dass ich dies Stück Papier aufzeige“ – so Hegel weiter
–, „so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit in
der Tat ist; ich zeige es auf, als ein Hier, das ein Hier anderer Hier, oder an ihm
selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, d.h. ein Allgemeines ist; ich nehme
so es auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein unmittelbares zu wissen, nehme
ich wahr“.323 Die Sprache wird hier in gewisser Weise schematisch, weil sie
ermöglicht, dass das Allgemeine im Besonderen ausgesprochen und erkannt
wird. Die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis wiederum deutet den problema-
tischen Status des Allgemeinen an, das mittels der Sprache die Grenzen der
unmittelbaren sinnlichen Gewissheit überwinden kann. Im hegelschen System
erweist sich die Sprache daher in keiner Weise als bloß instrumentell; im Gegen-
teil ist sie die Methode selbst, die die dialektische Bewegung des Geistes voran-
treibt.324
Hegels Kritik trifft dabei mit der dualistischen und isolierenden Vor-
gangsweise der kantischen Erkenntnistheorie denselben Punkt, der auch bei den
übrigen der bislang untersuchten Ansätze ausgemacht werden konnte. Kant
gelinge es nicht – so ließe sich der Einwand zusammenfassen –, eine prozessua-
le Synthesis zu bestimmen, die den dynamischen, historischen und holistischen
Charakter des Denkens zur Entfaltung bringt. Obwohl direkte Bezugnahmen
Hegels auf die Schematismuslehre selten sind, bewegt sich auch seine Kritik an
Kant im Allgemeinen in eine ähnliche Richtung: Was die Transzendentalphi-
losophie Kants nicht greife, sei die Einheit von Sinnlichkeit und Verstand, obwohl
er in der transzendentalen Einbildungskraft „beide Erkenntnisstücke in Eins
gesetzt“ habe. Und trotzdem: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlich-

322 Hegel, W, 3, S. 92.


323 Hegel, W, 3, S. 92. Dazu Simon 1966, S. 22: „Die Abstraktheit, Unwahrheit der Stufe
der ‚sinnlichen Gewissheit‘ erweist sich an der Unvollkommenheit ihres sprachli-
chen Ausdrucks (Unartikuliertheit), die der Wahrheit des menschlichen Beweußt-
seins unangemessen ist. – In diesem Sinne ist es konsequent, wenn die Sprache
überhaupt zum Anlass der Aufhebung der Stufe der ‚sinnlichen Gewißheit‘ wird
und damit die dialektische Bewegung der ‚Phänomenologie‘ in Gang bringt“. Siehe
auch Simon 2002, S. 35: „Bei ihrem eigenen Wort genommen, müßte die ‚sinnliche
Gewißheit‘ ein stummes, wortloses Zeigen bleiben, und was nicht zum Wort kom-
men kann, kann auch nicht in die Philosophie kommen. Von einem wortlosen deik-
tischen Bezeichnen kann keine ‚Rede‘ sein, und deshalb ist die ‚rein‘ sinnliche
Gewißheit auch kein möglicher Anfang“.
324 Dazu Nuzzo, 2006 S. 77: „My aim is to show that the language in which Hegel’s
philosophy is written is constitutive of the dialectical method that structures spec-
ulative philosophy as system. Language is not simply the static medium, given once
and for all, in which method is carried through; language, for Hegel, is itself meth-
od. Method, in turn, is neither instrument of knowledge nor the particular man-
ner or mode peculiar to the process of cognition“. John McCumber vertritt einen
ähnlichen Ansatz (2006, S. 112).
266
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

keit ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden,
wie ein Holz und Bein durch einen Strick“.325 Die Einheit dieser Bestandteile ist
hingegen für Hegel nicht als äußerliches Aggregat, sondern als ein Verhältnis
höherer Prozessualität, Wahrheit und Einheit zu betrachten:

„Das Isolieren der Tätigkeiten macht den Geist ebenso nur zu einem
Aggregatwesen und betrachtet das Verhältnis derselben als eine äußerli-
che, zufällige Beziehung. […] Das Wahre, das solcher Befriedigung zuge-
schrieben wird, liegt darin, dass das Anschauen, Vorstellen usf. nicht
isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vor-
handen ist“.326

Die Notwendigkeit eines Erweises der originären Synthesis, welche die unter-
schiedlichen Bestandteile nicht als bloßes Aggregat, sondern als Einheit enthält,
motiviert unter anderem den Weg einer genetischen Entwicklung des Erfah-
rungsbegriffs in der Phänomenologie und sorgt bei Hegel für eine systemati-
sche Abgrenzung zwischen Anthropologie und Psychologie. Geist wird dabei
mit den Stichwörtern „Tätigkeit“, „Einheit“ und „Prozess“ assoziiert, das Geist-
lose wiederum stellt das „Einheitslose“ dar.327 Die Ausdifferenzierung dieser
Tätigkeit ist Hegel entsprechend der Leitfaden, anhand dessen die Beschreibung
der einzelnen Seelenvermögen von der Bewegung ihres Tuns unterschieden
wird. Obwohl Hegel sich im Abschnitt zum Theoretischen Geiste in der Enzy-
klopädie nicht direkt auf die Schematismuslehre bezieht, nimmt er darin de
facto die Grundelemente der kantischen Erkenntnistheorie auf, um sie allerdings
in der Überzeugung umzugestalten, dass die Philosophie Kants bei der Auffas-
sung des Geistes als Bewusstsein stehen bleibe, weil sie das „Ich als Beziehung
auf ein Jenseitsliegendes“328 und somit die Ideen immer auf das Phänomen als
solches reduziere.
In der Anmerkung zu §420 der Enzyklopädie heißt es entsprechend:
„Die nähere Stufe des Bewusstseins, auf welcher die kantische Philosophie den
Geist auffasst, ist das Wahrnehmen, welches überhaupt der Standpunkt unsers
gewöhnlichen Bewusstseins und mehr oder weniger der Wissenschaften ist“.329
Ausgehend von dieser Kritik entwickelt Hegel seine phänomenologische Psy-
chologie, die ihre deskriptive Grundlage in der anthropologischen Beschreibung
der Vermögen hat, der es jedoch letztlich nicht gelingt, die spezifische Einheit
der Tätigkeit des Geistes zu erklären. Die Abgrenzung zwischen Anthropologie

325 Hegel, W, 20, S. 348.


326 Hegel, Enz., §445 (Anmerkung)
327 Siehe Hegel, Vorlesungen über die Philosophie des subjektiven Geistes, in GW,
25.1, S. 151f. und S. 157.
328 Hegel, Enz., §415 (Anmerkung)
329 Hegel, Enz., §420 (Anmerkung)
267
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

und Psychologie wird daher das Thema des ersten Kapitels zu Hegel sein, das
nicht als Versuch verstanden werden sollte, eine systematische Erörterung seiner
Psychologie zu leisten, sondern das lediglich einige ihrer Aspekte beleuchtet,
um an ihnen die Umgestaltung des transzendentalen Ortes des Schematismus
anzudeuten. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Aspekte der Tätigkeit
des Geistes behandeln: erstens die Funktion der Verleiblichung in der Anthro-
pologie (V.1), zweitens die artikulierende Tätigkeit der Sprache (V.2) und drittens
den Prozess der Zeichen machenden Phantasie (V.3).

1. Verleibl ic hu ng u nd Fu n k t ion der Si n ne


i n der A nt h rop olog ie
Hegels Unterscheidung zwischen Anthropologie und Psychologie bewegt sich
in den Bahnen des kantischen Standpunkts, von dem aus betrachtet die Anthro-
pologie auf der Ebene der empirischen Erkenntnis verbleibt. Dennoch wertet
Hegel die systematische Stellung der Anthropologie auf. Denn sie fungiert ihm
zufolge nicht als empirische Abhandlung jenseits der Grenzen der Transzenden-
talphilosophie, sondern markiert die erste Stufe des Subjektiven Geistes – d.h.
des Geistes in Beziehung auf sich selbst330 – und stellt insofern das Moment der
Unmittelbarkeit des Geistes dar.331 Wie Herder hebt Hegel die konstitutive Funk-
tion der Anthropologie hervor und ordnet ihr ebenfalls die Untersuchung der
Empfindung zu. Beide behandeln die Empfindung mithin als Ausgangspunkt
der synthetisierenden Prozesse des Denkens und verbinden die Empfindung mit
der Betrachtung der einzelnen Sinne, die Kant als primäre Aufgabe der Anthro-
pologie ansieht. Somit setzen sie die beiden von Kant in der Einführung zur
Transzendentalen Ästhetik unterschiedenen Arten von Empfindungen mit-
einander in Beziehung, von denen Kant nur die objektbezogene Empfindung als
der Erkenntnis fähig hält.332
Diese Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Empfindung
wird von Herder und Hegel auch nicht geleugnet. Für Herder ist jedoch ins-
besondere die subjektive Empfindung Ausgangspunkt desjenigen Umgestal-
tungsprozesses, den er als Metaschematismus bezeichnet, und der die tragende
Säule seiner Ästhetik bildet. Und auch für Hegel sind sie relevante Unterschei-
dungen eines Systems, das die kantische Transzendentalphilosophie jedoch auf
gewisse Weise radikalisiert. Während Herder die Anthropologie selbst als holis-
tische Philosophie behandelt, weist Hegel ihr eine untergeordnete Funktion

330 Vgl. Hegel, Enz., §385.


331 Vgl. Hegel, Enz., §387.
332 Siehe dazu oben, Kap. II.2 des ersten Teils.
268
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

gegenüber der systematisch auf sie folgenden Psychologie zu.333 Insbesondere


die Empfindung spielt dabei trotz ihres unmittelbaren Charakters eine grund-
legende Rolle: „Alles ist in der Empfindung und, wenn man will, alles, was im
geistigen Bewußtsein und in der Vernunft hervortritt, hat seine Quelle und
Ursprung in derselben; denn Quelle und Ursprung heißt nichts anderes als die
erste, unmittelbarste Weise, in der etwas erscheint“.334 Das erste Auftreten auch
geistiger Gehalte in der Empfindung ist mithin kein Ausdruck eines systemati-
schen Vorrangs letzterer. Und auf dieser Übergangsstufe findet auch eine spezi-
fische Verleiblichung statt,335 die Hegel als sowohl organisches wie geistiges
Moment deutet: Sie ist genauer die Entäußerung innerer Empfindungen, wobei
das Subjekt überhaupt „erst durch die Verleiblichung der inneren Bestimmun-
gen“ dazu kommt, „dieselben zu empfinden“.336 Die Verleiblichung ist daher
äußerlich betrachtet Gegenstand der Anthropologie; tritt jedoch die innere
Beziehung der Empfindungen in den Vordergrund, die nur durch die Verleibli-
chung fassbar sind, wird sie zum Gegenstand der Psychologie und ist hier wie-
derum die erste Bedingung der Entäußerung des Sinnlichen.
In der Unterscheidung zwischen Anthropologie und Psychologie spielen
die Sinne bei Hegel deshalb eine grundlegende Rolle, weil sie die empirische
Grundlage des Geistigen darstellen – wobei wiederum zu beachten ist, dass es
sich bei dieser Grundlage nicht um einen systematischen Vorrang handelt. „In
der Empfindung ist die ganze Vernunft, – der gesamte Stoff des Geistes vor-
handen“.337 Auf der anthropologischen Ebene ist die Empfindung jedoch sinn-
lich strukturiert. Die Sinne bilden „das einfache System der spezifizierten Kör-
perlichkeit“338 und gliedern sich in drei Momente: erstens die physische Idealität,
welche die Sinne des bestimmten Lichts und des Klanges umfasst; zweitens die
differente Realität der Sinne des Geruchs und Geschmacks, und drittens die
irdische Totalität als Sinn des Gefühls.

333 Dazu Trabant 2006b, S. 218: „Die Sprachlichkeit der Vernunft macht Herders
Anthropologie tatsächlich zu einer Philosophie der Sprache. Und dies ist etwas
wirklich Neues, und insofern ist Herder, wie sehr er auch immer eingelassen ist in
europäische Diskurstraditionen, wirklich ein Neuanfang. Humboldt wird ihm
genau in dieser Hinsicht nachfolgen. So wie die Sprachlichkeit der Vernunft die
Differenz Herders zu Kant ausmacht, so macht sie auch die Differenz Humboldts
zu Hegel aus – vielleicht weniger radikal, weil Hegel im Gegensatz zu Kant ja
durchaus die Ebene der sprachlichen Vernunft kennt, sie dann durchschreitet und
hinter sich läßt. Humboldts ‚Geist‘ dagegen verbleibt (fast) völlig im Bereich des
Sprachlichen“.
334 Hegel, Enz., §400 (Anmerkung)
335 Siehe dazu Hegel, Enz., §401.
336 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).
337 Hegel, Enz., §447 (Zusatz).
338 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).
269
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

Abgesehen von der eigenwilligen Bezeichnung der Sinne, die schon auf
ihre nicht rein organische Grundlage hinweist, distanziert sich Hegel nicht von
der anthropologischen Differenzierung der Sinne bei Kant und, was die Mittel-
stellung des Gehörs angeht, Herder. Die Klarheit, mit der er die Verbindung
zwischen Gehör, Zeit und Ton herstellt, ist trotzdem nennenswert: Im Unter-
schied zum Gesicht, „dem Sinne der innerlichkeitslosen Idealität“, wird das
Gehör als „der Sinn der reinen Innerlichkeit des Körperlichen“ bezeichnet. Der
schon von Kant angedeutete Bezug des Gesichts und des Gehörs auf Raum und
Zeit wird bei Hegel zwar grundsätzlich bestätigt, aber anders gewichtet. Denn
es handelt sich dabei nicht um Raum und Zeit als gegebene Anschauungen a
priori, sondern um den Bezug des Gesichts auf das Licht als „physikalisch
gewordenen Raum“, sowie den Bezug des Gehörs auf den Ton als „physikalisch
gewordene Zeit“.339
Die Mittelstellung des Gehörs zwischen Gesicht und Gefühl wird hin-
gegen in der Anmerkung zu §448 deutlich: „Für das Gehör endlich ist der
Gegenstand ein materiell bestehender, jedoch ideell verschwindender, im Tone
vernimmt das Ohr das Erzittern, d.h. die nur ideelle, nicht reale Negation der
Selbständigkeit des Objektes. Daher zeigt sich beim Gehör die Abtrennlichkeit
der Empfindung zwar geringer als beim Gesicht, aber größer als beim Geschmack
und beim Geruch“.340 Der Ton steht somit in engster Verbindung mit der Mate-
rialität und Idealität des Wahrgenommen und ist der eigentliche materielle Träger
des Übergangs zum Geistigen.

2. D ie A r t i k u lat ion der Sprac he


i m ‚The ore t isc hen Geist ‘
Hegel betont, dass die Haupterscheinungen dieser Verleiblichung durch die
Sprache bekannt sind.341 Die Sprache besitzt als leibliche Erscheinung ihre eigene
Stellung in der Anthropologie, die sich auf die abstrakte Leiblichkeit der Stim-
me stützt, die durch Verbreitung und das Verschwinden des Tons die innere
Realität zur Artikulation bringt. Diese abstrakte Leiblichkeit ist aber „auf dem
Standpunkte der natürlichen Seele“ noch kein „vom freien Willen hervorge­
brachtes Zeichen, noch nicht durch die Energie der Intelligenz und des Willens

339 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).


340 Hegel, Enz., §448 (Zusatz).
341 Siehe dazu Hegel, Enz., §401 Zusatz. Zur Verwandlung der Stimmgebärde in
Sprachlaute siehe Gessinger 2002, S. 112: „Der entscheidende Vorgang, der die
Stimmgebärde in Sprachlaute verwandelt, ist die Artikulation. Dort, wo die Stim-
me etwas janusköpfig auf das ungegliederte Ganze des Leibes und das System arti-
kulierter Sprachlaute blickt, bilden Gebärde und Artikulation das Gelenk zwischen
Körperzeichen und Sprachsymbol“.
270
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

artikulierte Sprache, sondern nur ein von der Empfindung unmittelbar hervor-
gebrachtes Tönen, das, obgleich dasselbe der Artikulation entbehrt, sich doch
schon vielfacher Modifikationen fähig zeigt“.342 Wie Kant, Herder und Hum-
boldt verbindet auch Hegel Sprache und Ton mittels der Artikulation: „Die
artikulierte Sprache ist daher die höchste Weise, wie der Mensch sich seiner
innerlichen Empfindung entäußert“.343 Die Artikulation entfaltet die Tätigkeit
der Sprache als eine Entäußerung von der Empfindung. Alles, was in der Emp-
findung enthalten ist, wandelt sich damit in Denken, in dem wiederum die Spra-
che sich in der Artikulation der Unmittelbarkeit der Empfindung zum Mittel-
baren wandelt. Die Wandlung der Empfindung in Denken ist daher ein mittelbarer
Prozess.
Die Sprache gewinnt bei Hegel die Funktion einer Vermittlung, die gleich-
zeitig ein Übergang von der Unmittelbarkeit zur Mittelbarkeit ist, da die
geschaffene Vermittlung keine äußerliche, sondern eine innerlich-wissende
Beziehung ist, in der Subjektivität und Objektivität in Einheit begriffen sind.
Diese Wandlung ist das Moment des Geistes als dem subjektiven, theoretischen
Geist, dem Hegel denjenigen Teil der Enzyklopädie widmet, der in den ent-
sprechenden Vorlesungen von 1822 bis zur letzten Fassung von 1830 immer
mehr Bedeutung erlangt.344
Der Theoretische Geist entfaltet sich in drei Momente: Anschauung,
Vorstellung und Denken. In der Anschauung erfolgt die Objektivierung des
inneren und äußeren Empfundenen. Sie ist damit der „Beginn des Erkennens“345
und ihre Tätigkeit „bringt sonach zunächst überhaupt ein Wegrücken der Emp-
findung von uns, eine Umgestaltung des Empfundenen in ein außer uns vor-
handenes Objekt hervor“.346 Im Zuge dieser Umgestaltung, die Hegel auch als
Umwandlung bezeichnet, werden die Empfindungen räumlich und zeitlich
gesetzt. Jedoch bleibt die Anschauung in das Außersichsein ‚versenkt‘ und darf
nicht mit der Vorstellung verwechselt werden: „Erst wenn ich die Reflexion
mache, dass ich es bin, der die Anschauung hat, erst dann trete ich auf den
Standpunkt der Vorstellung“.347 Der vorstellende Geist eignet sich entsprechend
die Anschauung an, die nun erinnert wird und deshalb gegenwärtig bleibt. Zur
Erklärung rekurriert Hegel auf das sprachliche Beispiel des Satzes ‚ich habe dies
gesehen‘: „Damit wird keine bloße Vergangenheit, vielmehr zugleich die Gegen-

342 Hegel, Enz., §401 (Zusatz).


343 Ebd.
344 Siehe insbesondere Hegel, GW, 13 (Enzyklopädie 1817), S. 207–217, GW, 19 (Enzy-
klopädie 1827), S. 325–343 und GW, 25.1 und 25.2 für die Vorlesungen zwischen
1822 und 1828.
345 Hegel, Enz., §448 (Zusatz).
346 Ebd.
347 Hegel, Enz., §449(Zusatz).
271
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

wärtigkeit ausgedrückt; […] was ich gesehen habe, ist etwas, das ich nicht bloß
hatte, sondern noch habe, – also etwas in mir Gegenwärtiges“.348
Die Vorstellung als „erinnerte Anschauung“ ist die „Mitte zwischen dem
unmittelbaren Bestimmt-Sich-Finden der Intelligenz und derselben in ihrer
Freiheit, dem Denken“.349 Sie konstituiert damit das zweite Moment des Theo-
retischen Geistes und untergliedert sich in Erinnerung, Einbildungskraft und
Gedächtnis. Auf der ersten Stufe handelt es sich in der Vorstellung um densel-
ben Inhalt der Anschauung, also einer Empfindung in Zeit und Raum – jedoch
– wie gezeigt – als erinnerter und bewahrter. Das Bild dagegen ist das Resultat
dieser Erinnerung, die nicht mehr die unmittelbare Gegenwart der Sache erfor-
dert, was auf Kosten der Klarheit und Frische der Vorstellung geht, wie Hegel
betont: „Die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde
wird“.350 Diese Aufbewahrung der Anschauung im Bild ist nach Hegel ein
bewusstloses Meiniges.351 Auch wenn Hegel also ähnlich wie Kant das Bild als
die Ablösung der Vorstellung von der unmittelbar gegebenen Anschauung
sieht, behandelt er das Bild nicht als Produkt – wie Kant – der empirischen Ein-
bildungskraft, sondern der Erinnerung. Das Bild ist ein innerliches Produkt,
ein, wie man sagen könnte, mentales Bild, das, um zum Dasein zu kommen, die
Anschauung erfordert.352 Auch bei Kant ist das Bild nicht mit dem Gegenstand
gleichzusetzen, sondern ist ein Resultat der Einbildungskraft, deren Aufgabe
darin besteht, „das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild [zu] bringen“.353
Jedoch entsteht die Subsumptionsproblematik bei Hegel in einer gewisserma-
ßen phänomenologischen Perspektive ausgehend vom Bild selbst und setzt
somit nicht schon den Begriff voraus, der hier systematisch noch nicht relevant
ist. Die eigentümliche Vorstellung realisiert sich also in der „Synthese des

348 Hegel, Enz., §450 (Zusatz).


349 Hegel, Enz., §451.
350 Hegel, Enz., §452 (Zusatz).
351 Dieser Aspekt wird in Enz. §453 deutlich: „Das Bild für sich ist vorübergehend, und
die Intelligenz ist als Aufmerksamkeit die Zeit und auch der Raum, das Wann und
Wo desselben. Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, son-
dern als solche das Subjekt und das Ansich ihrer Bestimmungen; in ihr erinnert, ist
das Bild, nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt“. Und: „Das Bild ist das
Meinige, es gehört mir an; aber zunächst hat dasselbe noch weiter keine Homo-
geneität mit mir, denn es ist noch nicht gedacht, noch nicht in die Form der Ver-
nünftigkeit erhoben; zwischen ihm und mir besteht vielmehr noch ein von dem
Standpunkt der Anschauung herrührendes, nicht wahrhaft freies Verhältnis, nach
welchem ich nur das Innerliche bin, das Bild aber das mir Äußerliche ist“.
352 Siehe dazu Enz., §454: „Solches abstrakt aufbewahrte Bild bedarf zu seinem Dasein
einer daseienden Anschauung; die eigentliche sogenannte Erinnerung ist die Bezie-
hung des Bildes auf eine Anschauung, und zwar als die Subsumtion der unmittel-
baren einzelnen Anschauung unter das der Form nach Allgemeine, unter die Vor-
stellung, die derselbe Inhalt ist“.
353 Kant, KrV, A 120.
272
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

innerlichen Bildes mit dem erinnerten Dasein“.354 Diese genetische Perspektive


verbindet Hegel mit Herder, da es für beide darum geht, die Heterogenität zwi-
schen Bild und Begriff nicht aufzuheben, sondern die Entstehung des Begriffes
ausgehend vom Bild zu erörtern.
Hier erfolgt nun der Übergang von der Erinnerung zur eigenständigen
Vorstellung, die in der Einbildungskraft zur Gestaltung kommt und drei For-
men enthält: sie kann erstens als reproduktive Einbildungskraft, in der das Bild
ins Dasein tritt, zweitens als assoziative Einbildungskraft, in der das Bild sich
durch die Assoziation mit anderen Bildern zu einer allgemeinen Vorstellung
fortbildet, und drittens als symbolisierende und zeichnende Phantasie bezeich-
net werden, in der das sinnliche Dasein des Bildes die doppelte Form des Sym-
bols und des Zeichens annimmt. Auf dieser letzten Stufe wird die sinnliche
Gestaltung der allgemeinen Vorstellung realisiert und gleichzeitig semiotisiert.
Die Verwirklichung der allgemeinen Vorstellung kommt als Symbol und als
Zeichen zustande: „Die Phantasie ist der Mittelpunkt, in welchem das Allgemeine
und das Sein, das Eigene und das Gefundensein, das Innere und Äußere voll-
kommen in eins geschaffen sind“.355
Die im Bild veranschaulichte Allgemeinheit der Vorstellung ist jedoch
zunächst eine nur subjektive Objektivität, die noch vom Dasein des Gefundenen
abhängt. Das Bild enthält also einerseits die allgemeine Vorstellung, anderer-
seits ihre Entsprechung im Dasein der Anschauung. In der Vorstellung erfolgt
die Emanzipation des Bildes vom Gefundenen, vor allem von seiner Materiali-
tät. Hier beweist sich die eigentliche Tätigkeit der Intelligenz, die diese Materia-
lität aufhebt und umgestaltet.356 Der subjektive und objektive Charakter des
Bildes kann sich dabei in zwei Formen entfalten – je nachdem, ob die Tätigkeit
der Intelligenz sich auf die Verallgemeinerung der Subjektivität oder der Objek-
tivität des Bildes richtet: der erste Fall betrifft das Symbol, der zweite das Zei-
chen. Das Symbol und das Zeichen sind daher beide konstitutiv in der „doppel-
ten Form des bildlichen Daseins“.357
Die symbolisierende Phantasie „wählt zum Ausdruck ihrer allgemeinen
Vorstellungen keinen anderen sinnlichen Stoff als denjenigen, dessen selbstän-
dige Bedeutung dem bestimmten Inhalt des zu verbildlichenden Allgemeinen

354 Hegel, Enz., §454.


355 Hegel, Enz., §457 (Anmerkung).
356 Diesbezüglich lässt sich die im Bild erfolgende Aufhebung bei Hegel mit der Bild-
Theorie Fichtes vergleichen, derzufolge das Bild des Bildes erst im Verstand konsti-
tuiert wird. Zur paradigmatischen Bedeutung der Lehre vom Bild in der Wissen-
schaftslehre siehe Asmuth 1997, S. 297. Dazu Siemek 2001, S. 54: „Erst im Bild des
Bildes wird das Bild selbst erkannt, aber nicht mehr dargestellt. Auf der Suche nach
dem Sinn verschwindet das Bild, so wie die bloße Darstellung des Bildes immer die
Frage nach seinem Sinn aufwirft“. Siehe auch Bertinetto 2001, S. 269–306.
357 Hegel, Enz., §455 (Zusatz).
273
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

entspricht“,358 während im Zeichen der äußerliche Stoff willkürlich gewählt


wird: „Wenn die Intelligenz etwas bezeichnet hat, so ist sie mit dem Inhalte der
Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde
Bedeutung zur Seele gegeben“.359 Und auch Hegel weist darauf hin, dass auf-
grund dieses willkürlichen Verhältnisses die Bedeutung der Zeichen – ins-
besondere der Sprachzeichen – erst gelernt werden muss, was von Anfang an
ein wiederkehrendes Motiv unserer Untersuchung war. Im Zeichen zeigt sich
also die freie und willkürliche Tätigkeit der Intelligenz, welche die äußere
Anschauung für die Produktion neuer Bedeutung braucht. Die Bedeutung wird
nicht von der gegebenen Anschauung bedingt, sondern gestaltet sie im Zeichen
selbst und emanzipiert sich damit zugleich vom bildhaften Charakter des Sym-
bols: „Durch diese dialektische Bewegung kommt somit die allgemeine Vor-
stellung dahin, zu ihrer Bewährung nicht mehr den Inhalt des Bildes nötig zu
haben, sondern an und für sich selber bewährt zu sein, also unmittelbar zu
gelten“.360 Die Gegebenheit wird in diesem Gestaltungsprozess aufgehoben,
weshalb Hegel von einer Tilgung des unmittelbaren und eigentümlichen Inhalts
der Anschauung spricht, die einen anderen semantischen Inhalt erhält. Die
Sprache erweist sich somit in systematischer Hinsicht als Aufhebung der
unmittelbaren Anschauung, in deren Folge das räumliche Dasein verinnerlicht
wird, was gleichzeitig eine Aufhebung in der Zeit ist. Dieser Prozess geschieht
im Ton, den Hegel als „die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlich-
keit“ beschreibt.361
Die Willkürlichkeit ist der zentrale Aspekt der Zeichenhaftigkeit als
Tilgung der Anschaulichkeit. Hegel steht somit in der langen Tradition der
semiotischen Auffassung der Sprache, die von Humboldt durch die Unterschei-
dung zwischen Wort und Zeichen erweitert wird: Humboldt leugnet nämlich
nicht, dass das Zeichen willkürlich ist, sondern vertritt einen Ansatz, demzufol-
ge das Wort nicht auf das Zeichen reduziert werden kann. Der Grundirrtum der
Sprachwissenschaft besteht nach Humboldt darin, „die Wörter als bloße Zei-
chen anzusehen“.362 Diese antireduktionistische Position ist daher als antise-
miotischer Ansatz seiner Sprachphilosophie bezeichnet worden, da der Laut im
Wort nicht nur zur Bezeichnung dient, sondern der Sprache eine Form gibt.
Insbesondere Jürgen Trabant deutet Hegels Auffassung der Tilgung der
Anschauung durch die Zeichenhaftigkeit als eine Vernichtung des Materials in
Abgrenzung zur Auffassung Humboldts. Hegel würde die symbolischen Quali-
täten vernachlässigen, die Humboldt in der Sprache hervorhebt: „Vom Blickpunkt

358 Hegel, Enz., §457 (Zusatz).


359 Ebd.
360 Ebd.
361 Hegel, Enz., §459.
362 Humboldt, Grundzüge, S. 99.
274
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

der Hegelschen Systematik siedelt Humboldt die Sprache etwas ‚tiefer‘ an als
Hegel: Sie sitzt gleichsam an der Übergangstelle zwischen dichterisch-sym-
bolisierender und zeichenmachender Phantasie. Und diese tiefere Position ist
eigentlich die modernere und interessantere“.363 Während die Tilgung der
Anschauung im Zeichen bei Hegel sicherlich weder zur Wertschätzung der
Materialität des Lautes in der Sprache noch zur Bestimmung der lautlichen
Eigenschaften der verschiedenen Sprachen führt, kann sie als Ausdruck der
Prozessualität des Geistes gedeutet werden. Die Tilgung des Materials im Zei-
chen ist zwar ein Hauptresultat des rationalistischen Ansatzes Hegels, aber nicht
in dem simplen Sinne, dass die Vernunft sich das Material aneignet; im Gegen-
teil konstituiert sie sich allererst in der Aufhebung des Materials. Dass diese
Aufhebung nicht zur Wertschätzung des Lautes führt, kann meines Erachtens
als eine Differenz im theoretischen Interesse Hegels und Humboldts gedeutet
werden: Während Hegel darauf abzielt, die Tätigkeit des Geistes bis hin in die
Formen des Denkens zu erklären, konzentriert Humboldt seine Untersuchung
auf die Beschreibung der Tätigkeit und Form der Sprache selbst, ohne das Pro-
blem der Entstehung der Begrifflichkeit in der Tätigkeit der Sprache syste­
matisch näher zu beleuchten. Diese Differenz erklärt ferner auch die Kritik
Derridas an Hegel, die sinnlichen und symbolischen Aspekte des Zeichens
unterschätzt zu haben. Auch hier wäre auf die besondere Stellung zu verweisen,
die Hegel der Sprache zuspricht: Das Problem besteht für ihn nicht darin, die
sinnlichen und symbolischen Nuancen der Sprache zu untersuchen, sondern
darin, den Prozess auszubuchstabieren, in dem der Geist das Symbol im Zeichen
aufhebt, um so die Möglichkeit einer von der Sinnlichkeit entäußerten Begriff-
lichkeit zu erklären.364 Das produktive Gedächtnis hat es folgerichtig für Hegel
„nur mit Zeichen zu tun“.365
Die durch diese Tilgung charakterisierte Begrifflichkeit wird nicht vor-
gegeben, sondern überhaupt erst ‚gemacht‘. Josef Simon hebt deshalb die Funk-
tion des Zeichens als ein „reines Tun“ hervor: „Das Zeichen hat als ein wesent-
lich sinnliches die Problematik der Sinnlichkeit in ihrer ganzen Schärfe an sich.
Das Problem der Transzendenz ist bei Hegel in das Problem des Zeichens und
letztlich in das der Sprache ‚aufgehoben‘“.366 Die Sprache selbst und das Wort

363 Trabant 2012, S. 173f.


364 Für einen eingehenderen systematischen Vergleich zwischen Hegel und Derrida
siehe Dow Magnus 2001, insbesondere S. 89 und S. 109.
365 Hegel, Enz., §458 (Anmerkung).
366 Simon 1966, S. 165–167. Dazu auch S. 169: „Die Eindeutigkeit des Zeichens bedeu-
tet, dass die Verknüpfung zwischen Zeichen und Bedeutung (trotz des absoluten
Gegensatzes) jeweils fest steht, aber nicht a priori und auch nicht in der Sprache als
positivem System“. In Bezug auf die Funktion des Zeichens als „Befreiung des Den-
kens von den Einschränkungen der Anschauung“ siehe Sánchez de León Serrano
2013, S. 82f.
275
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

sind nicht vorgegeben. Wenn also nach Humboldt das Wort die doppelte Form
des Zeichens und des Symbols enthält, ist bei Hegel das Bild der Ausgangspunkt
dieser doppelten Artikulation, das Wort hingegen Resultat des Tilgungspro-
zesses. Wenn Hegel also einerseits die Tilgungsfunktion des Zeichens – das die
Abstraktion des Denkens ermöglicht – stärker macht, ist er andererseits nicht
unbedingt daran interessiert zu untersuchen, inwieweit das Wort die symboli-
sche und zeichenhafte Natur des Bildes reproduziert. Aber das ist, wie erwähnt,
ein spezifisches Problem der Sprachphilosophie, das Humboldt vertieft und das
nicht im systematischen Fokus Hegels liegt.
Nichtsdestotrotz führt Hegel einige Probleme an, die in der vergleichen-
den Sprachforschung seiner Zeit zur Debatte standen und die er durch die Lupe
seines Begriffs des tätigen Geistes betrachtet. Einerseits behandelt er die Korre-
lation zwischen der Vollkommenheit der Grammatik und dem Bildungsniveau
der Völker, andererseits äußert er sich über den Vorzug der Buchstabenschrift
gegenüber der Hieroglyphenschrift. Was die erste Problematik betrifft, so ist
der Einfluss von Humboldt eindeutig, obwohl Hegel sich ausdrücklich erst in
der Enzyklopädie von 1830 auf die Abhandlung Über den Dualis bezieht, in der
Humboldt die Ansicht vertritt, die Sprache sei „Abdruck des Geistes und der
Weltansicht der Redenden“367 und insofern die eigentümliche Vermittlerin zwi-
schen den Denkkräften und in keinem Fall bloßes Verständigungsmittel.368
Was die zweite Problematik anbelangt, vertritt Hegel die These, dass die
Buchstabenschrift für das Denken deshalb von Vorteil sei, weil sie durch die
Tonsprache zur vollkommeneren Artikulation gelange: „Die Buchstabenschrift
ist an und für sich die intelligentere; in ihr ist das Wort, die der Intelligenz
eigentümliche würdigste Art der Äußerung ihrer Vorstellungen, zum Bewußt-
sein gebracht, zum Gegenstand der Reflexion gemacht“.369 Während die Hiero-
glyphenschrift von der Analyse der Vorstellungen ausgeht, entsteht der Name
in der Buchstabenschrift durch die Analyse der Natur des Zeichens selbst, was

367 Humboldt, Über den Dualis, in GW, VI, I, S. 23.


368 Humboldt, Über den Dualis, in GW, VI, I, S. 26: „Die Objektivität erscheint aber
noch vollendeter, wenn diese Spaltung nicht in dem Subjekt allein vorgeht, sondern
der Vorstellende den Gedanken wirklich außer sich erblickt, was nur in einem and-
ren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist“.
369 Hegel, Enz., §459 Anm. Siehe dazu McCumber 2006, S. 119: „Because words are
derived from tones and so are actual sounds, they have externality to Spirit; but the
externality is merely transient, and because its connection to thought is arbitrary,
it is resistance-free. It is this combination of transient externality a lack of resist-
ance, in turn, which constitutes the great virtue of the word for Hegel. For the word
alone permits the intelligence (and by extension scientific Spirit itself) to remain
fully with itself in its utterance, satisfy itself internally, and, in the form of com-
prehensive cognition [des begreifenden Erkennens], to bring into being the unlim-
ited freedom and reconciliation of mind with itself (Enz., §444 Zusatz)“. Vgl. auch
Forster 2011, S. 162f.
276
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

eine dynamische und von der Vorstellung abstrahierte Artikulation des Gedan-
kens ermöglicht. Daher bezeichnet Hegel eine auf einer hieroglyphischen
Schriftsprache fußende Philosophie auch als ‚statarisch‘.370 Für ihn ist die Spra-
che in keiner Weise nur eine bloße Bezeichnung und Vermittlung der Gedan-
ken, sondern konstitutive Gestaltung des Denkens selbst. Es geht dabei weniger
um die Beziehung zwischen Schrift und dem Denken im Allgemeinen, als viel-
mehr um diejenige zwischen Schrift und Philosophie als spekulativem Denken,
dem nach Hegel die Buchstabenschrift angemessener ist.371
Es ist daher wichtig anzumerken, dass Hegel die Willkürlichkeit des
Zeichens als das Produkt der Tätigkeit des Geistes und nicht als das Produkt
eines Abstraktionsprozesses versteht, der von einer bildhaften und symboli-
schen Imitation der Natur ausgeht. Dieser antinaturalistische Ansatz in der
Auffassung der Entstehung des Zeichens markiert die Grenze zwischen Hegel
und Herder, der das Zeichen als semiotisches Produkt eines langen, evolutionä-
ren Prozesses sieht und die Sprache noch von der Abbildung her versteht.372
Diese Distanz zu Herder kann wiederum als Nähe zu Humboldt gelesen wer-
den, der im Wort die Verwandtschaft zwischen Symbol und Zeichen setzt.
Sicherlich geht Hegel nicht tiefer auf die Problematik der Artikulation
des Wortes zwischen Symbol und Zeichen in Bezug auf unterschiedliche Spra-
chen und ihre jeweiligen Typologien ein. Somit kommt Hegel trotz des explizi-
ten Bezugs auf Humboldts Über den Dualis zur eindeutigen Feststellung des
Vorzugs der alphabetischen gegenüber der hieroglyphischen Schrift – ohne
anzumerken, dass beide zunächst eine lautliche Natur haben.373 Dieser Gedanke
prägt insbesondere Humboldts Abhandlung Über die Buchstabenschrift, die
Hegel nicht erwähnt und der zufolge das Wort als Laut sich in Richtung eines
Bildes oder in Richtung eines Zeichens artikulieren kann.
Die Artikulation führt zur eigentlichen Natur des Namens als „Ver-
knüpfung der von der Intelligenz produzierten Anschauung und ihrer Bedeu-
tung“,374 die als zunächst vorübergehende die Tätigkeit des Gedächtnisses erfor-
dert, um etabliert und gebraucht zu werden. Entscheidend ist dabei, dass es das

370 Hegel, Enz., §459 (Anmerkung).


371 Gessinger 2002, S. 115: „Die von Hegel gegenüber der ‚hieroglyphischen‘ Schrift-
sprache der Chinesen als ‚intelligenter‘ qualifizierte Buchstabenschrift war aber für
ihn nicht deshalb intelligenter, weil sie eine höhere Stufe der Progression des
menschlichen Geistes darstellte, sondern weil sie der Form des Denkens angemes-
sener sei“. Im gleichen Band siehe auch den Aufsatz von Franco Lo Piparo (S. 145–
152), der diese Problematik in Bezug auf Platon und Aristoteles behandelt.
372 Dieser Unterschied zwischen Hegel und Herder wird genauer von Lucia Ziglioli
(2014) untersucht.
373 Zum Vorzug der Hieroglyphenschrift siehe den kritischen Beitrag von Eschbach
und Eschbach-Szabo 2002, S. 139.
374 Hegel, Enz., § 460.
277
  V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

Gedächtnis für Hegel nicht mehr mit dem Bild, sondern mit dem Wort zu tun
hat: „Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftes
Dasein“.375 Hier entwickelt sich eine so tiefe Vertrautheit mit der Bedeutung des
Wortes, dass das Äußere selbst fast verschwindet.376 Die Bedeutung hat vertraut
zu werden, damit sie der Vergegenständlichung dient und somit die Einheit
zwischen Subjektivität und Objektivität erschafft: „Das Gedächtnis ist auf diese
Weise der Übergang in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr
hat, d.i. von dessen Objektivität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist,
so wie diese Innerlichkeit an ihr selbst seiend ist“.377 Und somit schafft Hegel
den Übergang zum Denken, das als „Gedanken haben“378 die Einheit von Inhalt
und Gegenstand ist.

3. D ie Nac hsprac h l ic h keit des Den kens


Insofern lässt sich das Denken – sogar das logische Denken – grundsätzlich
nicht von der Tätigkeit der Sprache ablösen. Die Sprache schafft eine Metaebene
der Begrifflichkeit. Dies ins Auge fassend, lässt Eugenio Coseriu seinen Aufsatz
über die Überwindung der Einzelsprachlichkeit im Wort mit der Feststellung
beginnen, „dass wir mit Hegel über Hegel hinausgehen müssen, in der Sprach-
philosophie und auch in der Philosophie des Zeichens“.379
Ausgehend von der Auffassung der Sprache als intentioneller Gestal-
tung vertritt Coseriu den Ansatz der Nachsprachlichkeit von Fachsprachen, die
nicht vorsprachlich oder nichtsprachlich sind, sondern erst auf Grundlage der
Sprache möglich werden: „Damit ist die Fachsprache stets Überwindung der
Einzelsprachlichkeit, wenigstens im lexikalischen Bereich (d.h. gerade in dem
Bereich, der unmittelbar die erste Gestaltung der Welt betrifft)“.380 Dieses Thema
jedoch kann bei Hegel nicht weiter vertieft werden. Es betrifft das Verhältnis
zwischen Wissen und Sprache, zwischen Logik und Sprache. Insbesondere kann
hier nicht der Weg des formellen Charakters der Sprache betreten werden, der
ein Werk des Verstandes ist, „der seine Kategorien in sie einbildet“.381 Hier

375 Hegel, Enz., § 462 (Zusatz).


376 Dazu Hegel, Enz., §462.
377 Hegel, Enz., §464. Siehe dazu Simon 2002, S. 41f.
378 Hegel, Enz., §465. Siehe auch dazu §467 Zusatz: „Das Denken hat folglich auf die-
sem Standpunkte keinen anderen Inhalt als sich selber, als seine eigenen, den
immanenten Inhalt der Form bildenden Bestimmungen; es sucht und findet im
Gegenstande nur sich selbst. Der Gegenstand ist daher hier vom Denken nur
dadurch unterschieden, dass er die Form des Seins, des Fürsichbestehens hat. Somit
steht das Denken hier zum Objekt in einem vollkommen freien Verhältnisse“.
379 Coseriu 1992, S. 3.
380 Coseriu 1992, S. 25.
381 Hegel, Enz., §459 (Anmerkung).
278
  Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

spricht Hegel sogar von einem logischen Instinkt,382 der das Grammatische her-
vorbringt, womit letztlich zugleich das Problem der Herleitung der Kategorien
angesprochen ist, das sich ihm in der Logik stellt. Mit diesem ist eine bestimm-
te Auffassung der philosophischen Tätigkeit als Bewegung des Begriffes selbst
verbunden, die dessen empirische, theologische oder ästhetische Konnotation
aufhebt. Dieser Gedanke verbindet Hegel mit der kantischen Transzendental-
philosophie, die er in gewisser Hinsicht radikalisiert.
Abschließend gilt es aufzuzeigen, inwieweit Hegel den transzendentalen
Ort des Schematismus einerseits bestätigt und andererseits neu gestaltet: Die
Bestätigung betrifft wesentlich die Gestaltungsfunktion der Vorstellung – und
in dieser der Sprache, die als genetischer Prozess zwischen Anschauung und
Denken, zwischen Bild und Wort aufgefasst wird. Somit realisiert sich aus-
gehend vom Bild diejenige doppelte Versinnlichung, die schon Kant annimmt,
und in der die schematische und die symbolische Darstellung sich anhand der
Begriffe einerseits und der Anschauungen andererseits unterscheiden lassen.
Die Gedanken operieren bei Hegel jedoch nicht mit Bildern und sind trotzdem
versinnlicht und versinnlichend. Das Symbol und das Zeichen sind im Wort
und weiter im Begriff enthalten, dessen Semiose jedoch Hauptinteresse der
Semantik geworden ist. Somit wird der Schematismus zur Vermittlung zwi-
schen Anschauung und Begrifflichkeit im Reich der Vorstellung. Insofern ver-
tritt Hegel einen repräsentationalen Ansatz, der eine Versinnlichung beschreibt,
die von der Physiologie bis zur abstrakten Ebene des Denkens reicht, ohne des-
wegen die einzelnen Stufe zu vernichten. Folglich können bei Hegel wie bei
Kant die eigenen Gedanken sowohl auf der Stufe des Symbols ausgedrückt als
auch weiter in Richtung des abstrakten Denkens realisiert werden, in dem eine
dynamische Philosophie zur Entfaltung gelangen kann. Aufgrund dieser
Fokussierung auf die eigentümliche Tätigkeit des Geistes wird jedoch von Hegel
nicht näher untersucht, inwieweit die Sinnlichkeit, die Sprache und das Symbol
selbst als konstitutive Elemente auf dem Weg zum Zeichen und Wort aufgefasst
werden können. Die Tätigkeit des Geistes riskiert somit, die tragende Kraft ihrer
eigenen Bewegung zu sein, die, um sich weiter ausgestalten zu können, immer
eine bewusste Handlung zu implizieren scheint. In diesem Sinne kommt bei
Hegel sicherlich der Verleiblichung eine wichtige Funktion zu, obwohl er sich
nie auf den eigentümlichen Prozess der Versinnlichung als eigene Gestaltungs-
tätigkeit des Geistes bezieht. Dieser Aspekt ist daher im nächsten und letzten
Teil meiner Untersuchung in Bezug auf die Begriffe der Versinnlichung und der
Verkörperung zu thematisieren.

382 Hegel, Enz., §459 (Anmerkung).


S chematismus als
V ersinnlichung
Das Schema ist bei Kant die transzendentale Bedingung der Bedeutung, wäh-
rend der Schematismus der Prozess ist, durch den die Bedeutung sich realisiert.
Ohne Schematismus haben weder Begriffe noch Anschauungen einen Gebrauch.
Dieser konkretisiert sich in Schemata als sinnlichen Gestalten. Im ersten Teil
unserer Untersuchung konnte gezeigt werden, dass im Schematismus-Kapitel
drei Ebenen der gestalterischen Hervorbringung zu unterscheiden sind: eine
empirische, eine sinnliche und eine rein begriffliche. Der Schematismus ins-
gesamt ist für Kant ein Bestimmungsprozess, der sich innerhalb der Grenzen
der anschaulichen Erkenntnis vollzieht. Jenseits dieser Grenzen hingegen ist
lediglich eine indirekte Darstellung der Begriffe und Gefühle möglich, die auch
als symbolische Erkenntnis bezeichnet wird. Die gesamte Darstellung wird also
entweder direkt oder indirekt realisiert, und somit gibt es keine Bedeutungs-
erfahrung, die nicht versinnlicht ist. Es ist sogar von einer Versinnlichung aus-
zugehen, die so ursprünglich erzeugend ist, dass sie ohne Begriffe operieren kann.
Diese drei Formen der Darstellung sind wiederum insgesamt vom Bezeich-
nungsvermögen abzugrenzen, das die Funktion der willkürlichen Begleitung
der Begriffe durch Zeichen ausübt und so ermöglicht, dass im Denken abstrakte
Bestimmungen versinnlicht werden. Nur so können diskursive Bestimmungen
zum anschaulichen Ausdruck gelangen, mit denen nicht konstruktiv operiert
werden kann, wie es im Gegenteil für Kant etwa in der Mathematik der Fall ist.
Schemata sind als Versinnlichungsmethoden keine repräsentationalen
Inhalte, sondern transzendentale Prozesse des semantischen Bezugs zur Welt.
Im Gegensatz dazu deuten andere Autoren vor und nach Kant die Schemata im
Sinne einer semantisch-repräsentationalen Struktur, wodurch sie als bloße Trä-
ger der Bedeutung aufgefasst werden. Ausgehend vom Beispiel des Schemas
eines Hundes als stilisierter Figur hat sich diese Auffassung des Schemas als
Träger derjenigen Merkmale etabliert, die für die Wiedererkennung des Gegen-
standes und die Anwendung des Begriffs unbedingt notwendig sind. Sie läuft
282
  Schematismus als Versinnlichung

jedoch Gefahr, das Schema als einen Schemen im Sinne einer verkürzten
Zusammensetzung inhaltlicher Merkmalen anzusehen. Insofern ist der ver-
meintliche Dualismus zwischen Schema und Realität nicht so sehr, wie David-
son meint, ein Dogma, sondern vielmehr Anzeichen eines falsch gestellten Pro-
blems. Denn wie Kant richtig sieht, ist das Schema ein Prozess und kein fixer
Inhalt.1 Einem ähnlichen Missverständnis erliegen auch all diejenigen Inter-
pretationen, welche die Schemata zu bloßen Trägern der Bedeutung machen
und dadurch ebenfalls die prozessuale Natur des Schematismus vernachlässi-
gen.2 Dieses Problem wird schon bei Kant als die Schwierigkeit beschrieben, den
Schematismus von seinen Resultaten getrennt zu halten. Die einzelnen Schema-
ta sind also nur in einem prozessualen Sinn und nicht als Resultate des Prozes-
ses zu erfassen. Die Ausblendung des prozessualen Charakters der Schemata
kann zugleich als Mangel einer transzendentalen Perspektive angesehen wer-
den, den etwa Umberto Eco für das Hauptproblem derjenigen zeitgenössischen
Theorien hält, die den Schema-Begriff bzw. ihm ähnliche Begriffe wie Prototyp
oder Modell anwenden.3 Dieser spezifisch prozessuale Charakter des Schema-
tismus hingegen rückt in der unmittelbaren Nachfolge Kants von Maimon bis
Hegel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wenngleich bei diesen Autoren auf
den ersten Blick eine Verabschiedung des Schematismus zu verzeichnen ist.
Dass Kant mit der Schematismuslehre ins Herz des synthetischen Wesens der
Denkprozesse vorgestoßen ist, wird in der Nachfolge erkannt, wobei jedoch die
performative Kraft dieser schematischen Artikulation hinterfragt und zugleich
erweitert wird, was meines Erachtens sowohl zur Verabschiedung als auch zur
Wiedergeburt des Schematismus beigetragen hat. Die Schwierigkeit der Inter-
pretation bestand gerade darin, dass das Schema in der Nachfolge Kants kaum
noch ausdrückliche Beachtung findet, weil ausgehend von der Kritik an der
Gegebenheit der Begrifflichkeit und der Sinnlichkeit der gestalterische und
pragmatische Charakter des Denkens und der Sprache hervorgehoben und der
Schematismus als zu überwindender, repräsentationaler Prozess angesehen
wird. Ich habe mich dennoch auf diese Versuche bezogen, da sie gerade in dieser
Überwindung den Kern des Schematismus freilegen und weiterentwickeln.
Dabei hoffe ich gezeigt zu haben, inwieweit sich durch eine nicht-reduktionisti-
sche Auslegung der Schematismuslehre Kants und ihrer Rezeption dessen sys-

1 Vgl. Abel 1993, S. 320–328.


2 Dazu rechne ich auch die Verwendung des Schema-Begriffs von Strawson (1993,
S. 39): „Material bodies constitute the framework. Hence, given a certain general
feature of the conceptual scheme we possess, and given the character of the availa-
ble major categories, things which are, or possess, material bodies must be the basic
particulars“.
3 Siehe dazu Eco 2000, S. 146.
283
  Schematismus als Versinnlichung

tematische Relevanz erweisen lässt. In diesem Zusammenhang war jeweils auf


die besonderen Interessen einzugehen, die diese Revisionsversuche anleiten.
Die Rede von einer Versinnlichungslehre impliziert zweifellos eine Umge-
staltung der Schematismuslehre Kants, die durch deren unterschiedliche Revi-
sionen inspiriert ist. Trotz der damit verbundenen, teilweisen Umgewichtung
bin ich davon überzeugt, dass der Schematismus, wie Kant ihn entworfen hat,
als transzendentale Semantik gelesen werden kann. Drei Gründe sprechen dabei
für die Aktualität der Schematismuslehre Kants: Erstens hat Kant den Schema-
tismus in eine Lehre über die Bedingung der Bedeutungsentstehung überführt,
zweitens hat er diese Lehre auf den Unterschied zwischen Bild, konstruierter
Figur und Wortlaut bezogen und drittens hat er erkannt, dass die Entstehung
von Bedeutung sich nur im Gebrauch realisieren kann. Der Gebrauch wiederum
wird von ihm semantisch in drei Weisen der Darstellung unterschieden: eine
eigentlich schematische, eine symbolische und eine schematische, die jedoch
ohne Begriff auskommt. Noch zu klären sind hingegen folgende Fragen: Inwie-
weit ist die Entstehung von Bedeutung als eine Bedeutungserfahrung zu ver-
stehen? Inwiefern ist die Unterscheidung zwischen Bild, konstruierter Figur
und Wortlaut innerhalb der heutigen Philosophie relevant? Und wie können die
genannten drei Weisen der Darstellung in Bezug auf die Bezeichnung spezifi-
ziert werden?
Die kantische Schematismuslehre ist zwar grundsätzlich erweiterbar,
darf jedoch nicht zu einer bloß empirischen Beschreibung verkommen, damit
weiterhin von einem transzendentalen Ansatz gesprochen werden kann. Die
Erweiterung betrifft insbesondere den Erfahrungsbegriff, der nicht ausschließ-
lich empirisch verstanden werden darf, sondern eine Bedeutungserfahrung
anzeigt, welche die bestimmende Darstellung, die symbolische Darstellung und
die Bezeichnung umfasst. Bei Kant steht die bestimmende Darstellung allein
für den Schematismus. Ich jedoch möchte aus den bereits aufgezeigten Gründen
alle drei der genannten Prozesse unter dem Begriff des Schematismus zusam-
menfassen. Insgesamt beinhaltet der Schematismus als semantischer wie
semiotischer Prozess sowohl die bestimmende und die symbolische Darstellung
als auch die Bezeichnung, ohne deshalb seinen transzendentalen Charakter zu
verlieren, der hier als antizipatorischer Charakter bestimmt wurde.4 Im Anschluss
an seine zuvor rekonstruierte Revision definiere ich die Schematismuslehre als

4 Siehe oben, Kap. VI.3. Anhand der Auslegung von Makkreel ist bereits betont wor-
den, wie die im metaphorischen Prozess implizierte Reflexion antizipatorisch
wirkt, weil sie einen bestimmten Inhalt zum Dienst einer Erweiterung der Darstel-
lungskraft der Bedeutungserfahrung selbst extrapoliert. Dazu Fortuna 2012,
S. 172–173: „Metaphorische Ausdrücke haben demnach kein wörtliches Äquiva-
lent, sondern die primäre gegenständliche Bedeutung verschiedener Wörter wird
mittels eines analogisches Prozesses transformiert. Daher wird dieser Prozess, der
284
  Schematismus als Versinnlichung

modale Theorie der Versinnlichung der Bedeutungserfahrung. Im vorliegen-


den, abschließenden Teil geht es mir darum, diese Definition systematisch zu
erläutern und von Ansätzen der Verkörperung abzugrenzen. Diese Versinn-
lichungslehre beinhaltet dreierlei: (1.) Die Erfahrung wird auf die gesamte
Bedeutungserfahrung erweitert, womit das Denken von Ideen und der Aus-
druck subjektiver Empfindungen in den Schematismus miteinbezogen werden.
(2.) Die Artikulation der Bedeutungserfahrung erfolgt über sinnliche Gestalten
(Bild, Figur und artikulierter Laut) als transzendentale Bedingungen der Ver-
sinnlichung. (3.) Genauer besteht die Artikulation im Gebrauch der sinnlichen
Gestalten als Zeichen oder als Symbole.
In Kapitel I möchte ich erklären, inwieweit der Versinnlichungsprozess
eine eigentümliche, transzendentale Dimension der Erkenntnis anzeigt, die mit
dem zeitgenössischen Verkörperungsansatz nur unzureichend bestimmt wer-
den kann. Hierbei werde ich also einen großen Sprung hin zu zeitgenössischen
Debatten der kognitiven Semantik machen. Das Spektrum der Theorien zum
embodied mind kann sicherlich nicht auf diesen Ansatz reduziert werden. Unter
dem Oberbegriff ‚Embodiment‘ sammelt sich eine Vielzahl an Theorien. Den-
noch scheint mir der Ansatz von Johnson und Lakoff derjenige zu sein, der Kant
noch am nächsten kommt. Gerade deswegen kann in Abgrenzung zu diesem die
Aktualität Kants noch deutlicher hervortreten. Johnson und Lakoff halten das
Problem der semantischen Bedingungen der Kognition für ein Problem der
Erkenntnistheorie, verstehen die Bedeutung nicht als vorgegebene und ver-
suchen, ihren Entstehungsprozess auszubuchstabieren. Außerdem beziehen sie
sich explizit auf die Erkenntnistheorie Kants und insbesondere auf den Schema-
Begriff. Sie sprechen vom Embodiment im Sinne einer Erweiterung der Ein-
bildungskraft. Die Differenz zwischen Versinnlichung und Verkörperung
beziehe ich dabei erstens auf die Ästhesiologie von Plessner und zweitens auf
den Ansatz des Embodiment in der Version von Mark Johnson und George
Lakoff. In Kapitel II werde ich dann meinen eigenen Ansatz des Schematismus
als eine modale Versinnlichungslehre ausführen.

gegenständliche Bedeutungen in metaphorische Bedeutungen transformiert, als


völlig natürlich und allen Sprachen inhärent betrachtet“. Zur antizipatorischen
Funktion ästhetischer Schemata siehe Desideri 2015.
I . V ersinnlichung und
E mbodiment

In diesem abschließenden Teil der Untersuchung soll also diejenige Versinn-


lichungsproblematik aufgegriffen werden, die im ersten Teil in Bezug auf die
Sinnlichkeit eingeführt wurde. Ich möchte insbesondere spezifizieren, was es
heißt, die Schematismuslehre als eine Lehre der Versinnlichung zu interpretie-
ren und dabei zugleich aufzeigen, warum sie nicht als Lehre der Verkörperung
verstanden werden darf – obwohl sie mit dieser auf empirischer Ebene kom-
patibel ist. Und schließlich geht es mir darum zu zeigen, dass gerade Embo­
diment, was häufig mit ‚Verkörperung‘ übersetzt wird, nicht mit der Ver­
sinnlichung gleichzusetzen ist. Der Embodiment-Ansatz kann demzufolge die
angezeigte Weite des Schematismus nicht ausschöpfen. Deshalb bedarf der als
Versinnlichung verstandene Schematismus einer systematischen Erklärung, die
meines Erachtens von Kant im Keim vorbereitet und in der Nachfolge weiter
entfaltet wird – wie ich hoffe, in dieser Untersuchung bereits anhand der seman-
tischen und semiotischen Auslegungen der transzendentalen Stellung des
Schematismus ans Licht gebracht zu haben.
Versinnlichung ist der Begriff, den Kant für die Darstellung von Bedeu-
tung insgesamt verwendet. Er entzieht diesen Begriff damit dem semantischen
Feld der Rhetorik und bezeichnet mit ihm den Darstellungsprozess des Den-
kens, da es ihm letztlich um die Möglichkeit der Darstellung aller Gegenstände
des Denkens geht, seien es Begriffe oder Ideen. Damit gibt er dem Gedanken
eines Gestaltungsprozesses, der im 18. Jahrhunderts in kunsttheoretischen Debat­
­ten prominent war, eine systematische Stellung. Es ist eine Versinnlichung, die
nicht von der Steigerungs- und Ausdruckskraft der Sprache und im Allgemei-
nen der Kunst zu trennen ist, durch die – wie Oschmann in Bezug auf die Ver-
wendung der Inversion in der Sprache bei Condillac, Diderot und Herder zeigt
– die Bewegung in der Sprache selbst erfahrbar gemacht und also die Sprache als
Organon des ganzen Denkens aufgefasst wird.5

5 Vgl. Oschmann 2002, S. 300.


286
  Schematismus als Versinnlichung

Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde unter Versinnlichung die


Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit bei Kant als dasjenige Vermögen verstan-
den, das auf transzendentaler Ebene Sinne, Anschauungen und Einbildungs-
kraft verbindet. Diesbezüglich habe ich erklärt, inwieweit Kants anthropologi-
sche Bemerkungen über die prozessualen Relationen zwischen ‚objektiven‘
Sinnen (Gehör, Gesicht und Tastsinn), Anschauungen (Zeit und Raum), Dar-
stellung und Bezeichnung in den Zusammenhang seiner Transzendentalphi-
losophie eingebettet werden können, ohne diese deshalb auf eine physiologische
oder psychologische Lehre zu reduzieren. Die Verbindung zwischen Gehör, Zeit
und der Abstraktheit der Begriffe, zwischen Gesicht, Raum und Gestalt, und
schließlich zwischen Tastsinn und physischer Gestalt wird jedoch von Kant
selbst nicht auf den Schematismus bezogen. Im Gegenteil eröffnet meines Erach-
tens erst die Erklärung dieser Relationen als Elemente einer transzendentalen
Versinnlichungslehre den Raum für eine Analyse der gestaltenden Funktion
der Sprache, deren Fehlen in der Nachfolge Kants als der eigentliche Mangel
seiner Philosophie angesehen wird. Durch die Umgestaltung der kantischen
Theorie der Sinnlichkeit wird meines Erachtens daher die systematische Stelle
offengelegt, an der es die Transzendentalphilosophie zu erweitern gilt, ohne
dabei ihr heuristisches Potential zu verschenken.6
Über die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit eröffnet sich zugleich der
Raum für eine andere Erweiterung der kantischen Erkenntnistheorie bezüglich
der so genannten ‚doppelten Versinnlichungslehre‘ und der Unterscheidung
zwischen dieser und der Bezeichnung.7 Es ist gezeigt worden, dass Kant den Ver-
sinnlichungsbegriff in der Kritik der Urteilskraft zusammen mit dem Begriff der
Hypotypose verwendet, um die Darstellung insgesamt auszudifferenzieren,
indem er zwischen einer schematischen und einer symbolischen Darstellung
unterscheidet, wobei erstere zur direkten Darlegung der Begriffe durch Anschau-
ungen dient, während die zweite eine indirekte Darstellung ist, die durch Ana-
logie verfährt und Symbole verwendet. Die schematische Darstellung wird
dabei auf die Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe begrenzt, da die
empirischen Schemata als Beispiele definiert und die Schemata rein sinnlicher
Begriffe nicht erwähnt werden. Die Funktion des Schematismus wird da einge-
schränkt, wo sie nur noch für die Versinnlichung der Kategorien zuständig ist.
Hier haben das Bild, das Monogramm und die Bezeichnung der Begriffe – seien
sie rein, sinnlich oder empirisch – keine transzendentale Funktion. Das Wort
hingegen wird mit Blick auf seine metaphorische Entwicklung und auf die
Bezeichnung eingeführt. Der symbolischen Versinnlichung kommt die Funk-
tion zu, Begriffe darzustellen, denen keine Anschauung angemessen ist. Diese

6 Vgl. oben, Kap. II.3–II.5 des ersten Teils.


7 Siehe oben, Kap. VI und VII.
287
  I. Versinnlichung und Embodiment

Genese ist jedoch nicht ursprünglich, sondern stützt sich indirekt auf die erkennt-
nistheoretische Ebene der Schematisierung, die Begriffe darstellt, die eine Ent-
sprechung in den Anschauungen haben können. Die symbolische, indirekte
Darstellung basiert daher auf der direkten Darstellung.
In Bezug auf die symbolische Darstellung konnte außerdem gezeigt wer-
den, inwieweit sie potentiell dazu in der Lage ist, eine ursprüngliche Präsentati-
on zu erzeugen, d.h. die Darstellung eines Gegenstandes ‚ohne Begriff‘. In §35
der Kritik der Urteilskraft erklärt Kant die eigentümlich subjektive Macht einer
Schematisierung ohne Begriff, die er als das originäre Prinzip der Urteilskraft
bezüglich des Geschmacks beschreibt. Es handelt sich hierbei um eine dritte Art
der Versinnlichung, durch die Gefühle zum Ausdruck gelangen. Wenn also bei
Kant überhaupt von einem nicht-begrifflichen Charakter der Darstellung
gesprochen werden soll, dann hier. Diese Schematisierung ‚ohne Begriff‘ beruht
auf der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die nicht nur
unabdinglich für die Erkenntnis ist, sondern auch Begriffe generieren kann. Bei
Gefühlen handelt es sich folglich für Kant um eine Schematisierung ohne
Begriff, der in der Versinnlichung gewissermaßen erst zum begrifflichen Aus-
druck kommt. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die weder auf den
Körper noch auf die Begrifflichkeit reduzierbar ist, stellt diejenige transzenden-
tale Verbindung zwischen Sinnen, Anschauungen und Begriffen dar, die es
ermöglicht, die gesamte Bedeutungserfahrung in Zeit und Raum zu gestalten.8
Trotz der Bezeichnung dieses Prozesses als Versinnlichung bei Kant hat sich
dieser Terminus in der Erkenntnistheorie nicht etabliert. Seine Verwendung
bleibt auf den Bereich der künstlerischen Gestaltung begrenzt, weil er gerade
dort seine primäre Erklärungskraft entfaltet.9
Die generative Funktion der Darstellung als Versinnlichung wird in der
Nachfolge Kants vor allem von Herder und insbesondere in Bezug auf die Spra-
che und die Einbildungskraft hervorgehoben. Das zeigt sich vornehmlich am
Begriff der sinnlichen Präformation bei Herder: „Die Sinne präformieren“.10
Herder hält die gestaltende Funktion der Sinnlichkeit für die eigentümliche
Kraft des Metaschematismus, hebt sie jedoch hauptsächlich in den Künsten her-
vor. Trotzdem ist es Herder, der meines Erachtens die transzendentale, empirische

  8 Diese Gestaltungsfunktion kann auch mit all denjenigen Praktiken in Verbindung


gebracht werden, die auf ein knowing-how im Gegensatz zum knowing-that
zurückgeführt werden können, nicht-begrifflich sind und dennoch ständig begriff-
liche Bedeutung generieren. Vgl. dazu Abel 2010. Dieser Aspekt ist in Bezug auf die
figurative Handlung in der Gestaltung insbesondere von Krämer (2012) hervorge-
hoben worden, die im Schematismus eine generative synthetische Figuration am
Werk sieht. Siehe dazu Kap. V.2.1.
  9 Auch dazu und zur Bedeutung der Inversion bei Condillac, Diderot und Herder
siehe Oschmann 2002, S. 293.
10 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe Kap. III des zweiten Teils.
288
  Schematismus als Versinnlichung

und anthropologische Ebene des kantischen Ansatzes der Sinnlichkeit zu einem


philosophischen Projekt verbindet, das er als „Physiologie der menschlichen
Erkenntniskräfte“ bezeichnet,11 durch welche die Kategorientafel zu einer
Bestimmungstafel wird, die somit aus meiner Sicht gleichsam als eine Versinn-
lichungstafel zu bezeichnen wäre. Wir haben bereits gesehen, wie auch Hum-
boldt sich des Verkörperungsbegriffs bedient, um die Verkörperung des Gedan-
kens im Wort als artikuliertem Laut zu erklären, jedoch in Bezug auf die Schrift
auch von einer Versinnlichung spricht, die vor der komplexen Aufgabe steht, die
Lebendigkeit des Wortlautes darzustellen.12 Damit ist jedoch in keiner Weise
eine isomorphe und physiologische Beziehung zwischen Gedanken und Gegen-
stand gemeint, im Gegenteil: es ist eine sinnliche Funktion der Artikulation im
Laut, der sicherlich auch physiologisch im Körper zu finden ist. Hegel unter-
scheidet hingegen deutlicher zwischen Sinnlichkeit und Körper, wenn er in der
enzyklopädischen Anthropologie von einer Verleiblichung spricht13 und sie als
ein Moment des Organischen begreift, ohne dabei zu vergessen, dass „erst
durch die Verleiblichung der inneren Bestimmungen das Subjekt dahin [kommt],
dieselben zu empfinden“.14 Innerlich betrachtet wird die zunächst äußerliche
Verleiblichung dann zum Gegenstand der Psychologie und dadurch zur ersten
Bedingung der Entäußerung des Sinnlichen.
Mit der Umgestaltung der transzendentalen Stellung des Schematismus
geht meines Erachtens bei Herder, Humboldt und Hegel die Hervorhebung der
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit einher, welche die sprachliche Bestimm-
barkeit der Bedeutung ermöglicht. Trotzdem etabliert sich der Versinnlichungs-
begriff in der Folge nicht im erkenntnistheoretischen Kontext. Ein Grund dafür
liegt vermutlich darin, dass – wie oben in Bezug auf die Bewegung bereits gezeigt
wurde – in der Versinnlichung häufig eine Form der Darstellung gesehen wird,
die die Lebhaftigkeit des Ausdrucks (und nicht die Konstitution) des Denkens
betrifft. Insbesondere von Herder und Humboldt aber wird die Konstitution des
Gegenstandes mit dem genetischen Charakter der Sprache selbst in Verbindung
gebracht wird, ohne dies jedoch transzendental weiter zu begründen. Diese
Begründung erfolgt bei Hegel in Bezug auf das Zeichen, obwohl auch er den
Versinnlichungsbegriff nicht systematisch verwendet.
Trotz seiner vielfältigen Erweiterungen und Revisionen wird der
Schematismus nicht für eine geeignete Theorie zur sinnlichen Entfaltung von
Denkprozessen gehalten. Nur Herder geht in diese Richtung, wenn er seinen
Ansatz als einen „neuen Metaschematismus tönender Gedankenbilder“ prä-

11 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 343.


12 Vgl. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS,
VII, I, S. 46. Dazu Kap. IV des zweiten Teils.
13 Siehe dazu Hegel, Enz. §401. Siehe Kap. V des zweiten Teils.
14 Hegel, Enz., §401 Zusatz.
289
  I. Versinnlichung und Embodiment

sentiert.15 Deshalb möchte ich mit dem Versinnlichungsbegriff gegen alle Ver-
suche einer Substantialisierung der Sinnlichkeit und für eine formale Auffas-
sung derselben argumentieren, nach welcher die Sinnlichkeit Bedingung der
sinnlichen Form der Begrifflichkeit ist, die sich zwischen Bild und Laut artiku-
liert. Wenn man diese Artikulation nicht als immer schon vorausgesetzt anneh-
men und eine transzendentale Begründung ihrer unterschiedlichen Anwendun-
gen einfordern möchte, dann bietet sich meines Erachtens nur der Weg, die
Versinnlichung als Gestaltungsprozess einzuführen. Diesen Weg haben meines
Erachtens sowohl Heidegger als auch die Autoren des Projekts einer philosophi-
schen Anthropologie eingeschlagen, von denen ich insbesondere Plessner her-
vorheben möchte.
Der Schematismus lebt von der transzendentalen Auffassung der Sinn-
lichkeit als der eigentlichen Bedingung jeder Gestaltung. Es ist insbesondere
Heidegger, der die systematische Stellung der Versinnlichung in der Schema-
tismuslehre hervorgehoben hat. Da das Schema weder auf das empirische Bild
noch den isolierten Begriff reduziert werden kann, braucht es eine Charakteri-
sierung, die seine eigene Funktion beschreibt. Dies ist für Heidegger die Ver-
sinnlichung, die „primär in der Einbildungskraft geschieht“.16 Wie bereits
erwähnt, definiert er die Schemabildung als „die Versinnlichung von Begrif-
fen“.17 Er bezieht sich auf die reine Versinnlichung als „das Hinnehmen von
etwas, was sich im Hinnehmen selbst zwar allererst bildet, also eines Anblickes,
der aber gleichwohl nicht das Seiende darbietet“.18 Insofern sei diese ursprüng-
liche Versinnlichung bei Kant keineswegs nur als Aufzählung von Merkmalen,
sondern als „Auszeichnen des Ganzen“ zu deuten,19 womit Heidegger aner-
kennt, dass diese Versinnlichung primär in der Einbildungskraft geschieht, die,
an sich als „heimatlos“ zwischen Rezeptivität und Spontaneität schwebend,20 die
eigentliche Wurzel der beiden Stämme der Erkenntnis und die transzendentale
Verwurzelung der reinen Anschauung sei, womit die systematische Stellung
der Sinnlichkeit rückblickend in Frage gestellt wird: „So, wie die transzendenta-
le Ästhetik am Anfang der Kritik der reinen Vernunft steht, ist sie im Grunde
unverständlich. Sie hat nur vorbereitenden Charakter und kann eigentlich erst
aus der Perspektive des transzendentalen Schematismus gelesen werden“.21 Den-
noch vertieft Heidegger nicht weiter, inwieweit dieser Versinnlichungsprozess
mit der Wahrnehmung in Verbindung steht. Die reine Anschauung entspringt

15 Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.


16 Heidegger, GA, 3, S. 96–97.
17 Heidegger, GA, 3, S. 97.
18 Heidegger, GA, 3, S. 91–92.
19 Heidegger, GA, 3, S. 95.
20 Heidegger, GA, 3, S. 136.
21 Heidegger, GA, 3, S. 145.
290
  Schematismus als Versinnlichung

der Einbildungskraft und wird nicht in ihrer eigenen Gestaltungsfunktion


untersucht. Diese Untersuchung scheint hingegen ein primäres Anliegen der
philosophischen Anthropologie zu sein, wie hier nur angedeutet werden kann.
Cassirer, Scheler und Plessner beziehen sich um 1930 herum explizit auf die
aktive Funktion der Sinnlichkeit, die von ihnen im Rahmen eines Verkörpe-
rungsansatzes interpretiert wird, der jedoch meines Erachtens die Merkmale
einer Versinnlichungstheorie erfüllt.22
Das bedeutet wohlgemerkt nicht, der Gestaltungsprozess könne von der
Synästhesie absehen, welche die Wahrnehmung empirisch konstituiert. Die
Sinne sind physiologische Bedingungen der Gestaltung, doch ihre Gestaltungs-
funktion selbst lässt sich nicht deshalb allein physiologisch beschreiben. Sie ist
Bedingung eines Konstitutionsprozesses, der Bedeutung realisiert und damit
systematisch vor der empirischen Synästhesie des Körpers einzuordnen ist. Die
Sinnlichkeit stellt somit die transzendentale Bedingung einer rezeptiven Spon-
taneität dar und ist das formale Konstitutionsmoment der Begrifflichkeit.
An dieser Stelle mag es hilfreich erscheinen, sich die Kritik Cassirers am
dogmatischen Sensualismus in Erinnerung zu rufen. Dieser Ansatz hyposta-
siert die Gegebenheit der Empfindungen als solche und verkennt darin, „dass es
auch eine Aktivität des Sinnlichen selbst, um den Goetheschen Ausdruck zu
gebrauchen, auch eine ‚exacte sinnliche Phantasie‘ gibt, die sich in den verschie-
densten Gebieten geistigen Schaffens als wirksam erweist“.23 Es gibt demnach
eine Aktivität des Sinnlichen, die nicht mit dem bloßen Sensualismus zu ver-

22 Siehe insbesondere Krois 2011, S. 181: „Philosophical anthropology, by contrast


[gegen Husserl] can be characterized as the consistent, systematic attempt to over-
come Cartesianism. Instead of beginning with the individual thinking subject,
philosophical anthropology began with the irreducible fact of human Embodiment,
taking this to include the first, second and third person perspectives“.
23 Cassirer, ECW, 11, S. 17–18. Diese Beobachtung findet sich in der Einleitung und
Problemstellung der Philosophie der symbolischen Formen, deren Analyse insbe-
sondere der Sprachphilosophie Herders und Humboldts eine wichtige Referenz für
unsere Untersuchung darstellt. Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass die Wie-
derbelebung der Lehre Goethes mit der Hervorhebung der Aktivität des Sinnlichen
einhergeht. An dieser Stelle möchte ich den Ansatz von Jean Petitot (2004, S. 17)
erwähnen, der in seiner Morphologie Goethe große Beachtung schenkt. Die Mor-
phologie ist außerdem Grundlage für die von Petitot entwickelte Lehre eines mor-
pho-dynamischen Schematismus (1975), die jedoch hier nicht vertieft werden
kann – es sei jedoch auf Bondì 2012 für eine Untersuchung der Theorie semanti-
scher Formen verwiesen, die im CREA (Centre de Recherche en Épistémologie
Appliquée) in Frankreich entwickelt worden ist. Zu Goethe bemerkt Petitot: „Dans
la Métamorphose goethéenne s’unifient ainsi le régulier et le singulier, le géné-
rique et le spécifique, le collectif et l’individuel, l’unité et la diversité. Et si un type
peut avoir une diversité ouverte de variantes, c’est que ces variantes sont reliées
entre elles par des transformations. La morphologie goethéenne est inséparable de
la ‘Métamorphose’ comme théorie des transformations morphologiques“.
291
  I. Versinnlichung und Embodiment

wechseln ist. Inwieweit das Projekt einer philosophischen Anthropologie Cassi-


rers sich auf die Schemata bezieht und den Symbol-Begriff wie auch die Gestalt-
theorie miteinbezieht, kann hier nur flüchtig erwähnt werden.24 Es ist jedoch
wichtig zu betonen, dass sich eine transzendental-konstitutive Versinnlichungs-
lehre meines Erachtens auf der Ebene einer philosophischen Anthropologie
bewegt, der es um die Bestimmung der Sinnlichkeit zwischen Transzendental-
philosophie und Anthropologie geht, was insbesondere an der Sinnlichkeitstheo-
rie Plessners verdeutlicht werden kann, in der die Sinne zu Modalitäten werden.

1. D ie Ä st hesiolog ie Plessner s
Plessners Projekt einer philosophischen Anthropologie bezieht sich explizit auf
Kants Schematismus, der in Die Einheit der Sinne als Konstitutionsproblem
eingeführt und in Bezug auf die Sinne gedeutet wird. Ich lese den Ansatz Pless-
ners daher als Ergänzung zu dem hier unternommenen Versuch, eine Versinn-
lichungslehre zu entwickeln.
Bezüglich der Auffassung der sinnlichen Organisation des Menschen
unterscheidet Plessner drei Ansätze: der erste, den er als absolut bezeichnet,
betrifft die Auffassung der sinnlichen Qualitäten „als unmittelbarer Offen-
barungen“.25 Es handelt sich dabei um die Verabsolutierung des Abbildungscha-
rakters der Eindrücke – Plessner bezieht diese Auffassung auf Bergson und auf
die von ihm für besser gehaltene Variante der Goethe-Piklerschen Theorie, der
Cassirer – wie vorhin schon erwähnt – in der Kritik des dogmatischen Sensua-
lismus eine systematische Stellung einräumt. Herder hingegen wird von Pless-
ner die Einsicht in die Subjektivität der Sinnenqualität zugeschrieben, welche
eine detaillierte Charakteristik einzelner Sinne erlaube, aber bei der Beschrei-
bung subjektiver Zustände und bloßen Vorstellungsweisen stehen bleibe. Diese
Kritik steht insofern im Einklang mit meinem kritischen Ausblick bezüglich der
Auffassung der Sinnlichkeit bei Herder, in dem es letztlich ebenfalls um die
Kritik der Subjektivierung der Sinne insbesondere in Bezug auf ihre Funktion
in den in der Kunst versinnlichten Gefühlen ging.26
Mit Plessner erfolgt daher eine weitere Umgestaltung der Sinnlichkeit
nach Herder, der bis hierhin als derjenige gelten konnte, der die eigentümliche
Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in Abgrenzung zu Kants Schematismus
erkannt und zugespitzt hatte. Plessner deutet die Ästhesiologie Herders folglich
als eine subjektive Ästhesiologie, der zwar das wichtige Verdienst zugerechnet

24 Ich verweise bezüglich der Untersuchung der philosophischen Anthropologie


Cassirers wieder auf Krois 2011, S. 185, und auf Cassirer, ECN, 1, insbesondere
S. 34–36.
25 Plessner, Einheit der Sinne (1923), in Gesammelte Schriften (GS), III, S. 306.
26 Vgl. Kap. III.4, S. 99.
292
  Schematismus als Versinnlichung

werden sollte, sich von einer absoluten Auffassung der Sinnlichkeit entfernt zu
haben, die jedoch durch eine objektive Ästhesiologie weiterentwickelt werde
müsse. Letzteres bezeichnet die Strategie Plessners, sowohl die absolute als auch
die subjektive Auffassung der Sinne zu überwinden: „Die Qualitäten sind nicht
absolute Seinszustände und sie sind keine subjektiven Zustände. Sie sind viel-
mehr die Weisen, in denen absolutes, das heißt vom Bewusstsein losgelöst
beharrendes Sein, der Stoff, die Materie gegenständlich: für ein Bewusstsein
wirklich werden kann“.27
Die so objektiv gedeuteten Sinnesqualitäten werden von Plessner als
„Verbindungsarten“ verstanden, „die Brücken zwischen Geist und Körperleib
und damit zwischen Geist und körperlicher Welt“28 schlagen und somit in ihrer
Vermittlungsfunktion mit der systematischen Funktion des Schematismus ver-
glichen werden können: „die Ästhesiologie setzt an Stelle der kantischen Kon-
stitutionstheorie der Natur, wie sie in der transzendentalen Ästhetik, in der
Kategorienlehre und im Schematismus niedergelegt ist, eine neue Theorie der
Naturgegenständlichkeit, deren Zentralidee die Lehre von den Modalitäten ent-
hält“.29 Der Begriff der Modalität ist für Plessner der Anschauungslehre von
Zeit und Raum gegenüber vorzuziehen, weil er sowohl konkreter als auch uni-
verseller sei. Die Modalität ermöglicht eine Perspektive auf die Sinne, die im
Allgemeinen von allen Typen der Sinngebung handelt und sich nicht nur für die
„physikalische Deutung der Natur“ interessiert.30
Die Vielschichtigkeit der Architektonik Plessners stellt, ohne hier ins
Detail gehen zu können, meines Erachtens ein wichtiges Beispiel des trans-
zendentalen Wertes der isolierenden Methode dar, durch welche die Sinne, die
in der synästhetischen Wahrnehmung nur vermischt vorkommen, heuristisch
getrennt werden. Was Plessners Modalitätstheorie vor allem im Anschluss an
Kant wieder einführt, ist die Abgrenzung zwischen einer transzendentalen und
einer empirischen Betrachtung der Sinnlichkeit, die von Herder nivelliert wor-
den war. Die empirische Betrachtung impliziert schon das intentionale Ver-
hältnis zwischen Subjekt und Objekt, während die transzendentale die einzel-
nen Modalitäten der Sinnlichkeit nur heuristisch beschreibt. Plessner denkt
somit die empirische Verkörperung ausgehend von den Modalitäten der Sinne
– und nicht umgekehrt die Sinne ausgehend von der Verkörperung. Denn diese
ist überhaupt nur ausgehend von der Spezifizität der Sinne zu verstehen, die

27 Plessner, GS, III, S. 310.


28 Plessner, GS, III, S. 300.
29 Plessner, GS, III, S. 305. Zum Konstitutionsproblem im Lichte Kants siehe auch
S. 313–314.
30 Plessner, GS, III, S. 305.
293
  I. Versinnlichung und Embodiment

nicht so sehr den Gehalt, sondern vielmehr die Funktion der Empfindung als
sinnlicher Struktur betrifft.31
Die Funktion der Verkörperung ist die empirische Synästhesie, in wel-
cher die Sinne in ihrem Zusammenwirken die Erfahrung schon intentional
gestalten.32 Wenn innerhalb dieser Synergie die Sinne heuristisch – also vor der
Erfahrung – analysiert werden sollen, ist die richtige Methode nach Plessner
diejenige, „Grenzfälle“ aufzusuchen, bei denen das Material in seiner „Reinheit
als Ton, Farbe, Linie usw. auftritt“: „an solchen Fällen, wie sie etwa im Musizie-
ren, Zeichnen, Schreiben, Sprechen, in den Versuchen abstrakter Bildkunst, im
konstruktiven Verfahren der Geometrie gegeben sind, lässt sich die spezifische
Tragfähigkeit eines sinnlichen Modus für einen spezifischen Modus mensch-
lichen Verhaltens erproben“.33 Die Synästhesie kann im Gegensatz dazu nicht in
ihrem reinen Charakter untersucht werden, weil sie als Zusammenwirken unter-
schiedlicher Sinne schon eine intentionale Zuwendung voraussetzt:

„Dieser ganze Aktionsbereich zielt auf die Menschen zugängliche Welt


und schließt somit ihn mit allen seinen Sinnen ein. Auf dieses Dispositiv
an Sinnlichkeit fällt der einzelne zurück, greift er zurück, wenn er seine
Möglichkeiten auskosten will. Auskosten schließt immer auch Aktivität
mit ein“.34

Da, wo die Sinne verschmelzen, entsteht also für Plessner eine Handlung, in der
er dreierlei unterscheidet: „Schematismus der Wissenschaft (der reinen Geo-
metrie)“, „Tagmatismus der Sprache und Schrift“ und „Thematismus der Kunst
(der reinen Kunst)“.35 Diese Leistungen können wiederum als Grenzfälle ver-
standen werden: Die Konstruktion steht für das „methodische Vorgehen mit
Rechnung und Zeichnung“, das syntagmatische Bedeuten erfolgt durch die
Gliederung der Bedeutung durch Sprache und Schrift, und die thematische
Sinngebung „leistet die Kunst durch Formung ihres jeweiligen Materials nach
Maßgabe der Proportion“.36 Diese dreifache Artikulation der Bedeutung erin-
nert nicht zufällig an Kants Unterscheidung zwischen schematischer Darstellung,
symbolischer Darstellung und Schematisierung ohne Begriff. Doch obwohl
Plessner den Schematismus als allgemeine Konstitutionsfrage behandelt,37 bezieht

31 Vgl. Plessner, Anthropologie der Sinne (1970), in: Plessner, GS, III, S. 375–378.
32 Plessner, GS, III, S. 201–203, S. 379 und S. 390. Zu beachten ist auch der Bezug Ples-
sners auf das Theater (S. 391).
33 Plessner, GS, III, S. 380.
34 Plessner, GS, III, S. 388.
35 Zur Architektonik siehe Plessner, GS, III, S. 189–190.
36 Plessner, GS, III, S. 190.
37 Siehe Plessner, GS, III, S. 381: „Schreiben, Zeichnen, Schematisieren, graphisch
Darstellen und verwandte Operationen bergen ein eminentes Problem, das Kant im
Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft berührt hat. In Richtung auf
294
  Schematismus als Versinnlichung

er ihn in seiner Architektonik der Sinne ausschließlich auf die Konstruktion


und nicht auf die komplette Artikulation der Grenzfälle, die nun zwischen sinn-
lichen Modalitäten und Leistungen erfolgt. Beide Bereiche sind außerdem durch
die Sinnlichkeit verbunden: Denn die Konstruktion agiert in der optischen
Sphäre und bedient sich der Bilder, während die Musik eine Komposition in der
akustischen Sphäre darstellt und eine rein zeitliche Kunst ist. Die Grenzfälle
schlechthin – von Plessner auch als reine Fähigkeiten bezeichnet – sind also
Raum und Zeit in den jeweiligen Operationen der Geometrie und der Musik:
Während die erste für Plessner tief mit dem Schematismus Kants verbunden ist
und allein eine Linienschematik besitzt,38 welche die geometrische Begriffsbil-
dung als eine rein optische bestimmt, gehört die Musik allein der akustischen
Sphäre an. Die Sprache agiert hingegen sowohl optisch als auch akustisch und
gelangt dadurch zu der ihr eigenen Sinngebung, deren Gehalte für Plessner in
der Kunst „thematisch gedeutet“ werden können.39
Die Synästhesie selbst, in der diese Leistungen zur intentionalen Aus-
führung kommen, kann nicht als Grenzfall beschrieben werden, sondern ist
schon immer eine Verkörperung. Diese Verkörperung liegt den vielen Fällen
zugrunde, in denen ein fehlender Sinn durch einen anderen ersetzt wird. Die
zahlreichen Beispiele von Blinden, die mit dem Tastsinn ihre Sehfähigkeit erset-
zen, sind für Plessner kein Anzeichen einer transzendentalen Synästhesie, son-
dern im Gegenteil ihres empirischen Charakters, weil die Grenzfälle über-

die Erkenntnis der Möglichkeit exakter Naturbeschreibung erscheint bei ihm das
Schema als Zwischen- und Bindeglied, dem die Anwendbarkeit der Kategorien auf
Anschauung zu danken ist, als Vorstellung einer Methode, wonach Bilder allererst
möglich werden. Den derart gesichteten Zusammenhang zwischen ‚Natur‘, Exakt-
heit ihrer Darstellung nach Gesetzen, Schematisierung und bildmäßiger Anschau-
lichkeit dahingestellt – liegt nicht die Vermutung analoger Funktionen der Einbil-
dungskraft zumindest für den Aufbau der Geisteswissenschaften nahe, die auf
Exaktheit, Typisierung und bildmäßige Anschaulichkeit, wenn auch in einem
anderen Sinne als die Naturwissenschaften, nicht verzichten können? Wird die
Phantasie nicht zu anderen, der Schematisierung verwandten, nur andersartigen
‚Methoden‘ der Vermittlung, Verdichtung, Konkretisierung aufgerufen und auch
imstande sein, wenn es sich um Durchführung einer Idee im künstlerischen oder
praktisch-politischen Sinne handelt? Zwischen Vernunft, Vernehmen und Hören,
das kein Anschauen und keine bildhafte Verarbeitung von Tönen ist, […] besteht
ein innerer, gewachsener Zusammenhang, der an der unverwechselbaren Eigenart
musikalischer Mitteilung sinnfälligen Ausdruck gewinnt“.
38 Vgl. Plessner, GS, III, S. 190: „Kant hat zum ersten Male in dieser Weise das
Geheimnis des geometrischen und algebraischen Wertes der Linien zu deuten ver-
standen, indem er zur Vermittlung zwischen Kategorie und Anschauung das Sche-
ma als Verfahren, wonach Bilder allererst möglich werden, einschob, welche Ent-
deckung in der Tat jene Bewunderung verdient, die ihr Hegel und Schopenhauer
haben zuteil werden lassen“.
39 Plessner, GS, III, S. 177.
295
  I. Versinnlichung und Embodiment

schritten werden, um bestimmte Leistungen zu erfüllen. Diese Überschreitung


kann wiederum methodisch gewendet werden, um die unterschiedlichen Moda-
litäten zu untersuchen, ohne selbst eine transzendentale Modalität zu sein –
zumindest nicht vom Gesichtspunkt des sinnlichen Gebrauchs aus. Hier geht es
vielmehr um „Bedeutungsakzente“, durch welche das Weltbild kulturell zu
einer vielfältigen Gestaltung kommt – dieses Verschiedenheitspotential liegt
auch der Hochachtung zugrunde, die Plessner für Herder und Humboldt hegt,
die den Wert fremder Kulturen hervorgehoben haben.40 Auf diese Weise behan-
delt Plessner die Bedeutung der inneren Sprachform, die nur in der Verände-
rung dieser Akzente zur äußeren Form gelangen kann. Dieser Ansatz der Syn-
ästhesie, der im Folgenden mit dem von Merleau-Ponty verglichen werden soll,
steht meines Erachtens für einen transzendentalen Versuch, die Verkörperung
als empirisch und relativ zu erklären und ihr als verkörperter Bedeutungserfah-
rung eine heuristisch isolierende Untersuchung der Modi der Sinnlichkeit vor-
zuordnen, die synthetisch a priori mit den Prozessen ihres Gebrauchs verbun-
den sind. Die Sinne stehen in direkter Verbindung mit den Operationen und den
unterschiedlichen Gebräuchen, die von den sinnlichen Gestalten gemacht werden.
Durch eine solche Auffassung der Modalität kann laut Plessner eine
Hermeneutik der Sinne entworfen werden, welche der Philosophie bis dato
fehle. So beendet Plessner seine Anthropologie der Sinne wie folgt: „Als Moda-
litäten des Daseins geben die Sinne ihr Geheimnis nicht preis. Erst in der Arbeit
mit und an ihnen zeigen sie, was sie können und was ihnen verwehrt ist“.41 So
zieht Plessner meines Erachtens die methodische Grenze zwischen transzenden-
taler und empirischer Beschreibung der Bedeutungserfahrung und entwickelt
eine kritische Theorie der Verkörperung, deren Artikulation in sich eine Unter-
suchung der Modalität der Sinne und der Leistungen einschließen muss, die ich
als transzendentale Versinnlichung bezeichnen möchte. Es bleibt hervorzuhe-
ben, dass für Plessner die Wahrnehmung für ein leibliches Wesen gerade „der
Modalität nach“ a priori ist.42
Anhand des Primats der Wahrnehmung lässt sich die Nähe zwischen
Plessner und Merleau-Ponty erkennen, die jedoch nur vereinzelte schriftliche
Spuren hinterlassen hat. Ich werde meine Aufmerksamkeit vor allem auf die
methodische Verschiedenheit zwischen beiden hinsichtlich ihrer Konzeption der
Synästhesie als Synthesis der Sinne richten: während nämlich Plessner, wie
bereits gesehen, die isolierende Methode anwendet, um die Sinne in ihrer Ver-

40 Siehe dazu zum Beispiel Plessner, GS, III, S. 172.


41 Plessner, GS, III, S. 393.
42 Plessner, GS, III, S. 310.
296
  Schematismus als Versinnlichung

schiedenheit und gegenseitigen Kontrastierung zu untersuchen, spricht Merleau-


Ponty der synthetischen Kraft der Sinne das Primat in der Wahrnehmung zu.43
Dieser Vergleich, der hier nur skizziert werden kann, ist meines Erach-
tens aufschlussreich, da sich auf diesem Weg die Unterscheidung zwischen Ver-
körperung und Versinnlichung präzisieren lässt. Mit Plessner habe ich für die
Relevanz der Versinnlichung hinsichtlich einer Untersuchung der Modalitäten
der Sinnlichkeit – und zwar der (transzendentalen) Grenzfälle in der Sinnlich-
keit – argumentiert, um diese transzendentale Versinnlichung zugleich von
derjenigen Verkörperung abzugrenzen, die als synästhetisch und immer nur
kultur-relativ aufzufassen ist. Diese Kritik werde ich im nächsten Kapitel auf
den Verkörperungsansatz von Johnson und Lakoff beziehen. In diesem Kapitel
möchte ich jedoch zunächst noch genauer untersuchen, ob die Synästhesie
geeignet ist, eine transzendentale Versinnlichungstheorie zu begründen. Mer-
leau-Ponty gilt als einer der wichtigsten Verfechter des Primats der Synästhesie
in der Wahrnehmung. Er betont die Bedeutung des Köper-Schemas für die
Synästhesie nicht zufällig gerade dort, wo er sich auf Herders sensorium com-
mune bezieht. Sowohl Plessner als auch Merleau-Ponty heben demnach die
Auffassung der Sinnlichkeit bei Herder hervor, obwohl die Absicht Plessners,
wie bereits gesehen, gerade darin liegt, diese von ihm für subjektiv gehaltene
Konzeption Herders durch eine objektive Untersuchung der Modalitäten der
Sinnlichkeit zu ersetzen. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Merleau-Ponty
um eine Zuspitzung der Auffassung von Herder, welche die Gestaltungsfunk-
tion der Sinnlichkeit in den Vordergrund stellt.
In der Phänomenologie der Wahrnehmung richtet sich Merleau-Pontys
Kritik gegen den Intellektualismus, der das Subjekt von der Wahrnehmung abs-
trahiere und die Wahrnehmung auf die Wahrnehmung von etwas reduziere.
Diese Auffassung der Wahrnehmung und somit der Sinne scheitere an der
Beschreibung der wirklichen Erfahrung. Sie reduziere die Sinne auf Instru-
mente, durch welche die Erfahrung ein bloß sinnliches Gewand erlange, das
vom Denken abstrahiere. So seien die Sinne keine Zugänge zur Erfahrung, son-
dern nur getrennte Teile eines intellektualisierten Ganzen. In Wahrheit ist das
Sinnliche für Merleau-Ponty dieses Ganze, in dem Empfindung sich als „Koexis-
tenz und Kommunion“ erweist.44 Die Besonderheit jedes Sinnes steht jedoch
nicht vor dem Ganzen, sondern realisiert sich erst im Ganzen: „Die synästheti-

43 Vgl. dazu Russo 2010, S. 8–11.


44 Merleau-Ponty, PW, S. 251. Siehe auch S. 250: „Doch in Wahrheit ist da nur die
räumliche und zeitliche Spur der Bewußtseinsakte. Betrachte ich diese innerlich, so
finde ich nur ein einziges Erkennen, das ohne Ort ist, eine Seele ohne Teile, und es
ist so wenig ein Unterschied zwischen Denken und Wahrnehmen als zwischen
Sehen und Hören“.
297
  I. Versinnlichung und Embodiment

sche Wahrnehmung ist die Regel“.45 Dieses Ganze als ‚Kommunikation‘ der
Sinne untereinander ist demnach für Merleau-Ponty das Wesen der Synästhesie
selbst,46 die nur durch eine Rückkehr vom Intellektualismus hin zum Leib
begreifbar wird.47 Nur als Synästhesie kann der Gegenstand zur umfassenden
Wahrnehmung gelangen, nur so kann die Struktur eines Dinges erfasst werden.
Diese Synästhesie ist keine geistige Tätigkeit, sie „ist vom Körper (nicht vom
Subjekt) gemacht“.48 Und trotzdem gelangt man dadurch nie zum Gegenstand
selbst: „ein jeder Aspekt des Dinges, der in unsre Wahrnehmung fällt, bleibt
eine Einladung, noch über ihn hinaus wahrzunehmen, und ein bloßer momen-
taner ‚Anhaltspunkt‘ im Prozess des Wahrnehmens“.49
Es muss jedoch als fraglich gelten, ob diese synästhetische Einheit des
Körpers geeignet ist, das gesamte Spektrum abzudecken, das Merleau-Ponty
dem Körperschema zuschreibt, d.h. Einheit gleichzeitig des Leibes, der Sinne
und des Gegenstandes und außerdem noch für Ausdruck, Darstellung und
Bedeutung verantwortlich zu sein.50 Der Leib allein soll sowohl Natur- als auch
Kulturgegenständen ihren Sinn geben; dennoch ist er angeblich vor jeglicher
Reflexion und Wissenschaft einzuordnen.51 Meines Erachtens müsste hingegen
zwischen zwei Arten von Synästhesie unterschieden werden: Einer präreflexi-
ven und einer reflexiven Synästhesie, in der Wahrnehmung eine intentionale
Zuwendung miteinschließt. Merleau-Ponty dagegen läuft Gefahr, im Gegensatz
zu Plessner die Diversität der einzelnen Sinne auf transzendentaler Ebene zu

45 Merleau-Ponty, PW, S. 268.


46 Dazu Merleau-Ponty, PW, S. 260: „Es ist durchaus kein Widerspruch und nicht
unmöglich, dass ein jeder Sinn im Inneren der großen eine kleine Welt konstitu-
iert, ja eben auf Grund seiner Besonderheit ist ein jeder Sinn dem Ganzen notwen-
dig und öffnet er sich seinerseits diesem Ganzen“.
47 Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 263: „Die Sinne sind voneinander und von der intellek-
tuellen Einsicht verschieden, insofern ein jeder von ihnen eine nie völlig übertrag-
bare Seinsstruktur mit sich trägt. Dies erkennen wir, wenn wir uns von allem
Bewußtseinsformalismus befreien und den Leib als das Subjekt der Wahrnehmung
begreifen“.
48 Merleau-Ponty, PW, S. 272.
49 Merleau-Ponty, PW, S. 273.
50 Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 274–275: „Durch den Begriff des Körperschemas ist
nicht allein die Einheit des Leibes auf neue Weise bestimmt, sondern durch diese
auch die Einheit der Sinne und die Einheit des Gegenstandes. Mein Leib ist der Ort
des Phänomens des Ausdrucks, oder vielmehr dessen Aktualität selbst; in ihm geht
jede visuelle Erfahrung z.B. mit einer auditiven schwanger und umgekehrt, und ihr
Ausdruckswert begründet die vorprädikative Einheit der wahrgenommenen Welt
und hierdurch auch die Darstellung im Verbalausdruck wie die intellektuelle
Bedeutung. Mein Leib ist die allen Gegenständen gemeinsame Textur, und zumin-
dest bezüglich der wahrgenommenen Welt ist er das Werkzeug all meines ‚Verste-
hens‘ überhaupt“.
51 Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 275.
298
  Schematismus als Versinnlichung

nivellieren. Die reflexive Synästhesie – sei sie auch Produkt einer im engeren
Sinne körperlichen Intentionalität, durch welche beispielsweise die eigene
Wahrnehmung einer synästhetischen Dimension genauer begriffen oder Funk-
tionsstörungen der Sinne ersetzt werden können – hängt immer von einer inten-
tionalen Zuwendung ab, die einen faktischen Gebrauch impliziert. Die trans-
zendentale Versinnlichung abstrahiert heuristisch vom Körper und untersucht
die Sinnlichkeit als potentielle Gestaltungsfunktion, die im Schematismus zum
Gebrauch kommt. Das bedeutet nicht, dass die Versinnlichung ‚ohne Körper‘ ist;
sie geht nur nicht primär von den Erscheinungen des Körpers aus, sondern hin-
terfragt die Bedingungen dieser Erscheinungen und minimiert sie zu Grenz-
polen.
Im Vergleich der unterschiedlichen Funktionen der Synästhesie bei
Plessner und Merleau-Ponty habe ich versucht, die transzendentale Grenze zu
erklären, welche die objektive Auffassung der Modalitäten der Sinne von der
empirischen Auffassung ihrer Einheit abgrenzt, welche wiederum eine synäs-
thetische Verkörperung darstellt, die vom intentionalen Gebrauch abhängt. Die-
ser setzt eine schon intentionale Zuwendung voraus und entfaltet sich dadurch
subjektiv und relativ. Diese Grenze ermöglicht es trotzdem, in der Kunst von
einer Synästhesie zu sprechen, die neue sinnliche Synthesen hervorbringen
kann, denen keine diskursive Erkenntnis angemessen ist.
Die Verkörperung setzt also immer eine intentionale (aber nicht unbe-
dingt bewusste) Handlung voraus, durch welche die potentielle Synästhesie zur
Gestaltung kommt. Auf dieser Ebene bewegen wir uns – wie Plessner richtig
bemerkt – schon in Weltbildern. Diese systematische Stellung der Verkörpe-
rung kann ebenfalls mit dem Ansatz von Alva Noë in Verbindung gebracht
werden, der sich explizit auf Merleau-Ponty bezieht und den kantischen Unter-
schied zwischen Anschauungen und Begriffen im Sinne der sensomotorischen
Bedeutung der Anschauungen deutet, die für Kant blind sind und für Noë die
praktisch-motorische Erkenntnis charakterisieren: „To perceive you must be in
possession of sensorimotor bodily skill“.52 Trotz der Betonung praktischer
Fähigkeiten in der sensomotorischen Wahrnehmung kommt Noë gleichzeitig
zu der Feststellung, dass Farben und Laute eine wesentliche (salient) Funktion
in der Wahrnehmung ausüben,53 so als ob sie grundlegendere, strukturierende
Aspekte der Wahrnehmung seien, die anhand empirischer Einzelfälle bewiesen
werden – ohne dass dies jedoch weiter erläutert würde.

52 Noë 2004, S. 11.


53 Vgl. zur Funktion der Laute – am Ende der Untersuchung der Funktion der Farben
– bei Alva Noë (2004, S. 161): „Colors als visually salient ways objects affect their
enviroment. Sounds, in comparison, are audibly salient ways in which events […]
affect their environment“.
299
  I. Versinnlichung und Embodiment

Die isolierende Methode Kants in Bezug auf die Sinne, die sich in unse-
rer Untersuchung als extrem fruchtbar erwiesen hat, wird schlicht nicht ange-
wendet. Die durch McDowell filtrierte Lektüre von Kant und die fast vollkom-
mene Ausblendung der Sinnlichkeitsdebatte im 18. Jahrhunderts bei Noë haben
meines Erachtens als Haupthindernisse für die Erfassung der funktionalen
Bedeutung der Sinnlichkeit im Schematismus zu gelten, die in der Dichotomie
zwischen Nicht-Konzeptualismus und Konzeptualismus befangen bleibt, in der
letztlich keine systematische Stellung der Versinnlichung vor der sensomotori-
schen Verkörperung vorgesehen ist. Dieses Vor sollte nicht im Sinne einer Kon-
zeptualisierung, sondern einer Transzendentalisierung gelesen werden – an der
es vielen der gegenwärtigen Ansätze des Kognitivismus mangelt, weshalb ihre
Einführung zu deren Umgestaltung beitragen kann. Denn aus transzendentaler
Sicht lassen sich die Grenzfälle sinnlicher Erfahrung und ihre Synästhesie
diskursiv beschreiben, was jedoch nicht als Intellektualisierung sinnlicher Ver-
hältnisse missverstanden werden darf. Bevor ich diese Perspektive in einer
eigenständigen Lesart der Schematismuslehre entwickle, soll nun erneut die
Unterscheidung zwischen Versinnlichung und Verkörperung geprüft werden,
indem sie auf den kognitivistischen Ansatz der Verkörperung von Lakoff und
Johnson bezogen wird. Dieser stellt in meiner Untersuchung sowohl wegen
seines expliziten Bezugs auf den kantischen Schema-Begriff als auch wegen
seiner Annahme basaler sinnlichen Strukturen einen exemplarischen Prüfstein
dar, anhand dessen gezeigt werden kann, dass Versinnlichung nicht auf Ver-
körperung reduziert werden kann.

2. Ver si n n l ic hu ng a ls t ra nszendent a le
Bed i ng u ng der Verkör p er u ng
In diesem Kapitel werde ich den Versinnlichungsansatz Kants in Beziehung zur
Konzeption des Embodiment setzen, wie sie Johnson und Lakoff seit den acht-
ziger Jahren in mehreren Schriften entwickelt haben. Wie bereits erklärt, wird
diese Konzeption aus dem weiteren Spektrum der Embodiment-Theorien des-
halb ausgewählt, weil Johnson und Lakoff eine semantisch-kognitivistische
Grundlage des Erkenntnisprozesses annehmen und sich explizit auf Kant bezie-
hen. Dennoch zeigen sich meines Erachtens zugleich Parallelen zu Plessner und
Merleau-Ponty, genauer zu deren Skepsis gegenüber einem Intellektualismus
der Wahrnehmung.54 Obwohl ihr Ansatz im Vergleich mit dem Enaktivismus
eine moderate Variante des Embodiment darstellt, ist er aufgrund dieser Kritik
des Intellektualismus und der Hervorhebung des Interaktionsraums zwischen
Subjekt und Umwelt für die Verkörperungstheorien repräsentativ, die hier nicht

54 Siehe dazu Johnson 2007, S. 11.


300
  Schematismus als Versinnlichung

detaillierter untersucht werden können. Dabei kann gezeigt werden, dass Sinn-
lichkeit oftmals zu schnell mit Verkörperung gleichgesetzt wird, Versinn-
lichung oft zu schnell zur Verkörperung geworden ist. In der Folge hat man die
transzendentale Begründung der Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt
verabschiedet oder auf die körperliche Ebene reduziert. Das hat auch dazu bei-
getragen, dass im Embodiment viele Aspekte zusammenfließen, die eigentlich
durch Versinnlichung und Verkörperung zu erklären wären. Ich argumentiere
dafür, die bestehenden Embodiment-Theorien durch eine grundlegendere Ebe-
ne zu ergänzen, die ich als transzendental bezeichnen werde.
Johnson und Lakoff beziehen ihren Ansatz direkt auf die Konzeption der
Einbildungskraft und die Schematismuslehre Kants und erweitern sie durch die
Annahme verkörperter Schemata. Diese Erweiterung von Johnson und Lakoff
entspricht meines Erachtens nur teilweise dem bereits erwähnten Versuch, die
Erkenntnistheorie Kants als eine Verkörperungslehre auszulegen, wie er vor-
nehmlich von Helge Svare und Angelica Nuzzo unternommen wird.55 Beide
Interpretationen zeigen primär, wie sinnvoll die Einbeziehung der Philosophie
Kants im Rahmen des Embodiment-Ansatzes ist, entfalten die Versinnlichung
jedoch nicht als transzendentale Bedingung der Verkörperung. Dies bleibt mei-
nes Erachtens ein offenes Problem, insofern die Verkörperung die Schematis-
muslehre in diesem Fall nur auf der Ebene empirischer Bedeutung erweitern
kann. Die Erkenntnistheorie Kants wird damit gewissermaßen durch eine wei-
tere Dimension ergänzt, indem der Sinnlichkeit die Kinästhesie und die Bewe-
gung zur Seite gestellt werden, doch diese Erweiterung betrifft nicht die syste-
matische Stellung des Schematismus, dessen empirische Ebene der Verkörperung
in der Versinnlichung gründet. Durch die Analyse der Verkörperungsproble-
matik bei Kant wird mit anderen Worten dessen Anschauungstheorie mittels
des Embodiment-Begriffs revidiert, ohne dass aber in entgegengesetzter Rich-
tung mit Hilfe Kants der Embodiment-Begriff einer Revision unterzogen wür-
de. Dieser Versuch ist im zweiten Teil schon in Bezug auf Herder ausgeführt
worden, der als der eigentlich klassische Vertreter des Embodiment-Ansatzes
angesehen werde sollte und dessen Revision in gewisser Weise von Hegel unter-
nommen wird, für den die Anthropologie eine Theorie der Verleiblichung ist,
die systematisch der Psychologie vorgeordnet wird, jedoch dafür zuständig
bleibt, die Gestaltung der Begrifflichkeit auszuführen. Somit zeichnet Hegel
den Weg der Erweiterung der Anthropologie durch die Verkörperung vor,
obwohl er sie als eine bloße Verleiblichung beschreibt und ihre Gestaltungs-
funktion in der Psychologie verortet, in der die Sinnlichkeit angesiedelt wird,

55 Auf beide wurde im ersten Teil dieser Untersuchung bereits eingegangen, um den
Versinnlichungsbegriff einzuführen und ihn von dem der Verkörperung abzu-
grenzen. Siehe dazu Kap. II.3.
301
  I. Versinnlichung und Embodiment

die sich im Zeichen realisiert, ohne dass dieser Prozess ausdrücklich als Ver-
sinnlichung gekennzeichnet würde. Als ein ähnlicher Versuch wird sich in die-
sem Kapitel derjenige von Johnson und Lakoff erweisen.
Ich möchte daher nicht die Möglichkeit einer Kompatibilität zwischen
Transzendentalphilosophie und Theorie des Embodiment ausschließen, sondern
lediglich zeigen, dass der Embodiment-Begriff nicht die ganze Weite des Schema-
tismus abdeckt und daher einige Aspekte seiner transzendentalen Semantik
übersieht, die ich für systematisch relevant halte, da sich aus ihnen eine anti-
skeptische und nicht-relativistische Theorie der Bedeutungserfahrung ent-
wickeln lässt. Meine These ist, dass die Annahme eines Embodiment auf empi-
rischer Ebene mit Kant kompatibel ist und trotzdem nicht die transzendentale
Tiefenstruktur der kantischen Schematismuslehre erreicht, die ich als eine
modale Versinnlichungslehre auslege. Dieses Kapitel steht vor der Aufgabe, die
Aktualität der Transzendentalphilosophie in Bezug auf den Schematismus auf-
zuzeigen. Zunächst werde ich den Embodiment-Ansatz von Johnson und Lakoff
rekonstruieren, um ihn anschließend mit demjenigen Kants zu konfrontieren.
Zunächst möchte ich das Verständnis der kognitiven Semantik erklären,
die Johnson und Lakoff als die notwendige Grundlage ihres experiential realism
ansehen und die ihren Ansatz meines Erachtens demjenigen Kants annähert. In
Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind
untersucht Lakoff die Funktion der kognitiven Semantik in der Erkenntnis-
theorie. Seine Grundthese lautet: „A philosophy of experiential realism requires
a cognitive semantics“.56 Dem Embodiment-Ansatz zufolge ist unsere Erfah-
rung vorbegrifflich (preconceptually) strukturiert.
Die Strategie von Johnson und Lakoff besteht darin, einen dritten Weg
zu den Positionen aufzuzeigen, die sie als Objektivismus und Subjektivismus
fassen und als ‚Mythen‘ ablehnen. Das fundamentale Prinzip des Objektivismus
ist die objektive Realität, in der die Objekte feste Eigenschaften haben, die objek-
tiv erkannt werden können. Der Subjektivismus hingegen behauptet, Gefühle
und Emotionen seien die einzigen verlässlichen Quellen unseres Erkennens.
Seine Gefahr liegt darin, die Bedeutung des abstrakten Denkens zu unterschla-
gen, sodass die metaphorische Sprache nur Zeichen unserer Unfähigkeit ist,
objektiv zu sprechen und denken. Die von Johnson und Lakoff untersuchte drit-
te Dimension ist demgegenüber die einer experientialist synthesis, in der die
Kluft zwischen Objektivismus und Subjektivismus überwunden und die Objek-
tivität der Erkenntnis bestimmt wird. Diese beinhaltet drei Elemente: erstens
die Verkörperung des Geistes, zweitens das kognitive Unbewusste und drittens
das metaphorische Denken.

56 Lakoff 1987, S. 269.


302
  Schematismus als Versinnlichung

Die metaphorische Bestimmung der kognitiven Semantik ist der Kern-


punkt von Metaphors we live by. Hier versuchen Lakoff und Johnson eine
Metaphorologie der kognitiven Strukturen und insbesondere der Bild-Schema-
ta zu entwickeln. Unsere Konzeptualisierung und Kategorisierung ist demnach
wesentlich metaphorisch. Die Metapher wird folglich nicht nur im Sinne einer
sprachlichen Übertragung verstanden, sondern betrifft das Denken insgesamt.57
Die metaphorischen Übertragungen und Erweiterungen der wortwörtlichen
(literal) Bedeutung haben eine empirische Grundlage und sind nicht bloß will-
kürlich. Der Embodiment-Ansatz kennzeichnet diese empirische Grundlage
anhand schematischer, räumlicher Strukturierungen. Demnach gibt es kein
Denken, das rein abstrakt und disembodied ist, vielmehr ist das ganze Denken
verkörpert und hat insofern eine empirische Grundlage,58 die im Denken selbst
erweitert und transformiert werden kann. Diese Erweiterung ist nun im wei-
testen Sinne metaphorisch, was jedoch im vertrauten, alltäglichen Gebrauch
meist übersehen wird. In Wahrheit ist die Kultur selbst metaphorisch:

„The conceptual systems of cultures and religions are metaphorical in


nature. Symbolic metonymies are critical links between everyday expe-
rience and the coherent metaphorical systems that characterize religions
and cultures. Symbolic metonymies that are grounded in our physical
experience provide an essential means of comprehending religious and
cultural concepts“.59

Metaphern existieren also nicht nur in der Erfahrung, sondern wirken auf die
Erfahrung und die Handlung selbst und gestalten diese. Es sind sogar Meta-
phern anzunehmen, denen eine realitätserschaffende Kraft zukommt.60
Der Embodiment-Ansatz unterscheidet so zwar zwischen direktem und
indirektem Verstehen, was stark an Kant erinnert, ohne allerdings beides deut-
lich voneinander abzugrenzen.61 Diese metaphorische Ebene fundiert das so

57 Johnson/Lakoff 1980, S. 6: „The most important claim we have made so far is that
metaphor is not just a matter of language, that is, of mere words. We shall argue
that, on the contrary, human thought processes are largely metaphorical. This is
what we mean when we say that the human conceptual system is metaphorically
structured and defined. Metaphors as linguistic expressions are possible precisely
because there are metaphors in a person’s conceptual system“.
58 Johnson/Lakoff 1980, S. 19: „In actuality we feel that no metaphor can ever be com-
prehended or even adequately represented independently of its experiential basis“.
59 Johnson/Lakoff 1980, S. 40.
60 Johnson/Lakoff 1980, S. 145: „New Metaphors have the power to create a new real-
ity. This can begin to happen when we start to comprehend our experience in terms
of a metaphor, and it becomes a deeper reality then we begin to act in terms of it“.
61 Vgl. dazu Johnson/Lakoff 1980, S. 176 und insbesondere S. 177 für die Auflistung.
Diese Unterscheidung integriert zugleich einen Ansatz der semantische Wahrheit,
auf den hier nicht näher eingegangen werden kann (S. 179): „It is because we
303
  I. Versinnlichung und Embodiment

genannte abstrakte Denken der Wissenschaften und der Philosophie, die somit
ihre Grundlage in der Erfahrung hat. Auf der ersten Ebene – für Kant diejenige
des bestimmenden Schematismus – finden wir bestimmte Schemata, die unsere
direkte Erfahrung strukturieren und Grundlagen für das metaphorische Ver-
stehen sind. Sie funktionieren vor-begrifflich.62 Diese Schemata sind also
Strukturen, die zusammen mit basalen Begriffen für universell wirksam gehal-
ten werden können, obwohl Johnson und Lakoff an dieser Stelle nicht zufällig
nur von einer Hypothese reden.63 Im Gegensatz dazu sind alle anderen Begriffe
kultur-relativ. Ich halte diesen Bezug auf den hypothetischen Charakter der
objektiven Schemata für ein Symptom der transzendentalen Unterbestimmt-
heit der Schemata des Embodiment-Ansatzes. Die Bestimmungsfunktion der
Schemata kann nur hypothetisch objektiv sein – und das meines Erachtens des-
halb, weil der transzendentale Charakter der Schemata nicht erkannt wird und
ihre Bedeutung essentiell an eine Verräumlichung gebunden bleibt.64 So werden
nur bestimmte Aspekte der Sinnlichkeit stark gemacht, insbesondere die visuel-
le und motorische Struktur des Raumes, während andere Aspekte – etwa die
akustische Bestimmung der Wahrnehmung – ausgeblendet bleiben.
Ich möchte an dieser Stelle genauer auf den Bezug des Embodiment-
Ansatzes auf Kant eingehen, wie ihn Johnson in The Body in the mind heraus-
stellt. Er erkennt darin die Relevanz der Schematismuslehre an, insofern diese
die zentrale Rolle der Einbildungskraft betont: „there can be no meaningful
experience without imagination“.65 Johnson hält die Spaltung zwischen bestim-

understand situations in terms of our conceptual system that we can understand


statements using that system of concepts as being true, that is, as fitting or not
fitting the situation as we understand it. Truth is therefore a function of our con-
ceptual system. It is because many of our concepts are metaphorical in nature, and
because we understand situations in terms of those concepts, that metaphors can be
true or false“.
62 Zur Definition des Experiential Bases of Metaphors-Ansatz siehe Lakoff 1987,
S. 278: „Schemas that structure our bodily experience preconceptually have a basic
logic. Preconceptual structural correlations in experience motivate metaphors that
map that logic onto abstract domains. Thus, what has been called abstract reason
has a bodily basis in our everyday physical functioning“.
63 Vgl. dazu Lakoff 1987, S. 302: „The existence of directly meaningful concepts –
basic-level concepts and image schemas – provides certain fixed points in the objec-
tive evaluation of situations. The image-schematic structuring of bodily experience
is, we hypothesize, the same for all human beings. Moreover, the principles deter-
mining basic-level structure are also universally valid, though the particular con-
cepts arrive at may differ somewhat“ (Hervorhebung L.G.).
64 Lakoff 1987, S. 272: „The basic logic of image schemas is due to their configurations
as gestalts – as structured wholes which are more than mere collections of parts.
Their basic logic is a consequence of their configurations. This way of understand-
ing image schemas is irreducibly cognitive“.
65 Johnson 1987, S. 151.
304
  Schematismus als Versinnlichung

mender und reflektierender Einbildungskraft für hoch problematisch und


erweitert deshalb die Funktion letzterer auf die bestimmende Einbildungskraft,
die ihm entsprechend ebenfalls als kreativ gilt.
Auf der Ebene der einzelnen Bestandteile des erkenntnistheoretischen
Prozesses bezieht sich Johnson explizit auf Kant, indem er die non-propositiona-
le Strukturierung der Schemata aufgreift. Denn sie ist das Schema, das Johnson
von seiner Konnotation bei Neisser und Rumelhart abgrenzt.66 Johnson nennt
die Schemata Bild-Schemata (image-schemes), „because they function prima-
rily as abstract structures of images. They are gestalt structures, consisting of
parts standing in relations and organized into unified wholes, by means of
which our experience manifests discernible order“.67 Er bezieht sich also auf die
gestaltliche Funktion der Schemata, durch die ein diskretes Ganzes realisiert
wird, was zur Manifestation der Bedeutungserfahrung dient. Für Johnson ist es
das Verdienst Kants, die imaginative und non-propositionale Funktion des
Schemas erkannt zu haben.68 Die non-propositionale und prozessuale Funktion
des Schemas zieht für Johnson zugleich die Grenze zwischen dem Schematis-
mus und dem diagrammatischen Ansatz, in dem Schemata mit besonderen
Bildern identifiziert werden. Er beschreibt dabei das Missverständnis der dia-
grammatischen Auslegungen der Schemata wie folgt: „they tend to make us
identify embodied schemata with particular rich images or mental pictures. The
distinction between schemata and rich images is crucial and merits considerable
attention“.69 Die Schemata sind hingegen weder einzelne, konkrete Bilder noch
mentale Bilder; sondern sie operieren auf der abstrakten Ebene der Organisation
unserer Erkenntnis. Sie haben innerhalb dieser Organisation also einen dyna-
mischen Charakter.70 Johnson verbindet somit den dynamischen Charakter der

66 Johnson 1987, S. 19: „I want to propose a meaning for the term ‘schema’ that differs
in important respects from what has come to be the standard meaning of the term
in recent cognitive science. My use of the term derives from its original use as it
was first elaborated by Immanuel Kant. He understood schemata as nonproposi-
tional structures of imagination. Today, by contrast, schemata are typically thought
of as general knowledge structures, ranging from conceptual networks to scripted
activities to narrative structures and even to theoretical frameworks“.
67 Johnson 1987, S. XIX.
68 Siehe dazu Johnson 1987, S. 21: „Kant understood schemata as structures of imagi-
nation that connect concepts with percepts. He described them as ‘procedures for
constructing images’ and as thus involving perceptual patterns in our bodily expe-
rience. As we shall see, Kant’s interpretation is somewhat limited by his peculiar
view of concepts, but he does recognize the imaginative and nonpropositional
nature of schemata“.
69 Johnson 1987, S. 23.
70 Johnson 1987, S. 29: „It is important to recognize the dynamic character of image
schemata. I conceive of them as structures for organizing our experience and com-
prehension. Kant went so far as to claim [… ] that schemata are actually preconcep-
tual structuring processes whose structures can ‘fit’ general concepts and can gen-
305
  I. Versinnlichung und Embodiment

Schemata mit der Einbildungskraft, die auch bei Kant das generative Vermögen
der Schemata ist. Letztere haben keine starre Struktur, sondern sind von einer
bloß relativen Stabilität gekennzeichnet, indem sie eine konventionelle Fixie-
rung in unserem semantischen Gebrauch erfahren, die jedoch nicht absolut fest-
steht, sondern vom Kontext und von anderen semantischen Variablen abhängt.
Diese konventionelle Bedeutung der Schemata bezeichnet Johnson als „literal“71
und löst so diejenige Spannung zwischen dem gegeben und dem gemachten
Charakter der Begrifflichkeit bei Kant auf, die er trotz der grundsätzlichen
Anerkennung der imaginativen Natur der Schemata für eine Grenze der kanti-
schen Philosophie hält.72
Johnson greift die imaginative Natur der Schemata in der Geschichte der
Philosophie – insbesondere bei Platon, Aristoteles und Hobbes – auf, um so den
Ansatz Kants als eine Alternative zum Verständnis der Einbildungskraft als
bloßer Kreativität in der Kunst, in den wissenschaftlichen Erfindungen oder als
rein psychisches Phänomen zu präsentieren. Bei Kant selbst geht er auf den
Unterschied zwischen reproduktiver und produktiver Einbildungskraft ein,
betont die zeitliche Dimension der letzteren und weist auf die methodische
Schwierigkeit hin, in der Schematismuslehre den Prozess von dessen Produkten
zu trennen. Die Bedeutung der kantischen Einbildungskraft für seinen eigenen
Ansatz schildert er folgendermaßen: „all meaningful experience and all under-
standing involves the activity of imagination which orders our representations
(the reproductive function) and constitutes the temporal unity of our conscious-
ness (the productive function)“.73 Er bezieht sich dabei auf den Hypotyposis-
Begriff der Kritik der Urteilskraft – ohne jedoch den Versinnlichungsbegriff
aufzugreifen oder die Schwierigkeit zu thematisieren, den Schematismus von
der symbolischen Darstellung zu differenzieren, insofern vermeintlich ‚wort-
wörtliche‘ Ausdrücke eine metaphorische Darstellung voraussetzen. Johnson
sieht bei Kant zu überwindende Probleme: einerseits die Kluft zwischen Begriff-
lichkeit und Sinnlichkeit, andererseits diejenige zwischen schematischen und
metaphorischen Strukturen. Und auf beide wendet er eine Erweiterungsstrate-
gie an: hinsichtlich der ersten vertritt er einen Verkörperungsansatz, nach wel-
chem „there is no particular reason to exclude embodied imagination from the

erate particular images, thereby giving our experience meaningful order and
organization that we can understand. He also saw schemata as structures of imagi-
nation“.
71 Siehe auch Johnson 1987, S. 30: „Such conventionalized meanings are called ’liter-
al’. It is necessary, however, to remember that even these literal meanings are nev-
er wholly context-free – they depend upon a large background of shared schemata,
capacities, practices, and knowledge“.
72 Vgl. dazu Johnson 1987, S. 21.
73 Johnson 1987, S. 157.
306
  Schematismus als Versinnlichung

bounds of reason“.74 Was die zweite Kluft anbelangt, erweitert er die Funktion
der Kreativität auch auf unsere Erfahrung und nicht nur auf die Entstehung des
Neuen: „Creativity is possible, in part, because imagination gives us image-
schematic structures and metaphoric and metonymic patterns by which we can
extend and elaborate those schemata“.75
Diese Erweiterung stellt gleichzeitig eine Umgestaltung der Funktion
des Schematismus dar, die sich bei Johnson vor allem als eine des Begriffs der
‚Erfahrung‘ erweist:

„Experience, then, is to be understood in a very rich, broad sense as


including basic perceptual, motor-program, emotional, historical, social,
and linguistic dimensions. I am rejecting the classical empiricist notion
of experience as reducible to passively received sense impressions, which
are combined to form atomic experiences“.76

Diese Auffassung der Erfahrung ermöglicht es ferner, dass die Schemata nicht
zu relativistischen Strukturen werden und dennoch als embodied objektiven
Charakter haben.77 Johnson argumentiert so für eine nicht-objektivistische Ver-
teidigung des Realismus und der Erkenntnis, indem er eine experientialist
cognitive semantics vertritt, die darin besteht, die Erkenntnis anhand ihrer
Strukturen zu verstehen.78
Bestandteile dieses erkenntnistheoretischen Ansatzes sind die prototy-
pische Kategorisierung, die Bild-Schemata, die so genannten metaphorischen
Projektionen, die Metonymie und die narrativen Strukturen. Der Embodiment-
Ansatz lässt sich daher so zusammenfassen, dass erstens die metaphorische und
abstrakte Sphäre des Denkens weit ausgedehnter als die empirische und dass
zweitens die Grundlage dieser Metaphorik sensomotorisch ist. Die Ähnlichkeit
mit Kant betrifft meines Erachtens zunächst vor allem die Methode, da der
Embodiment-Ansatz den Körper in gewisser Weise für die Bedingung der
Strukturierung des Denkens hält. Er vertritt also keinen objektivistischen Ansatz,
sondern untersucht gerade gegen den Objektivismus den Prozess, der die Erfah-
rung als solche strukturiert. Diese ist nun nicht bloß gegeben und dadurch reell,

74 Johnson 1987, S. 168.


75 Johnson 1987, S. 169.
76 Johnson 1987, S. XVI.
77 Johnson 1987, S. 196: „Image schemata can have a public, objective character (in a
suitably defined sense of ‚objective‘), because they are recurring structures of
embodied human understanding“.
78 Johnson 1987, S. 209: „The basic epistemological finding of this ‚experientialist‘
(cognitive semantics) approach is that knowledge must be understood in terms of
structures of embodied human understanding, as an interaction of a human organ-
ism with its environment (which includes its language, cultural traditions, values,
institutions, and the history of its social community)“.
307
  I. Versinnlichung und Embodiment

sondern erfordert eine kognitivistische Erklärung. Insofern ist der Embodi-


ment-Ansatz im Einklang mit dem kantischen Ansatz, an dem ihn das Wie des
Verhältnisses zwischen Körper und Geist interessiert:

„My purpose is not only to argue that the body is ‘in’ the mind (i.e., that
these imaginative structures of understanding are crucial to meaning
and reason) but also to explore how the body is in the mind – how it is
possible, and necessary, after all, for abstract meanings, and for reason
and imagination, to have a bodily basis“.79

Somit nimmt der Embodiment-Ansatz einen Begriff der Bedeutung an, der als
transzendental angesehen werden könnte, da er auf die Erörterung der Bedin-
gungen der Erfahrung zielt. Und Johnson und Lakoff gehen tatsächlich in diese
Richtung, wenn sie ihren Ansatz als nonpropositional bezeichnen. Denn die
Bedeutung wird als Element einer verkörperten und nicht-propositionalen
Struktur untersucht, um zu zeigen, dass sie der propositionalen Struktur des
Denkens zugrunde liegt: Die nicht-propositionale Struktur übt eine eindeutig
antizipatorische Funktion auf die propositionale aus, was nicht bedeutet, dass
propositionale Strukturen weniger wirksam seien, sondern lediglich, dass sie
sich auf eine grundlegendere Ebene beziehen. Und gerade diese Antizipation ist
von mir als die Hauptfunktion des Schematismus erklärt worden. In metho-
discher Hinsicht könnte der Ansatz von Johnson also als transzendentalphi-
losophisch gelten. Zudem ist er grundsätzlich in der Lage, die Revisionsversuche
der kantischen Schematismuslehre zu integrieren, wie sie hier rekonstruiert
wurden. Insbesondere Maimon und Herder haben die wesentliche Funktion der
Einbildungskraft und der symbolischen Erkenntnis im Denken angenommen.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten fällt der Ansatz von Johnson und Lakoff
meines Erachtens hinter das historisch erreichte, transzendentale Niveau zurück.
Denn die Verwurzelung des metaphorischen Denkens in der sensomotorischen
Strukturierung der Schemata bleibt auf kultur-relative Praktiken beschränkt.
Zudem kommt der Sinnlichkeit keine systematische Relevanz zu. Die Schemata
als Bedingungen kultureller und empirischer Gegebenheiten können aufgrund
ihrer sensomotorischen Struktur nicht als objektive ausgewiesen werden und
bleiben hypothetisch objektiv – zumindest bis zum Beweis ihres Innatismus,
dessen Annahme meines Erachtens für ein weiteres Symptom einer mangeln-
den transzendentalen Fundierung gehalten werden muss. Die sensomotorische
Strukturierung kann empirisch erforscht werden, ist deshalb wesentlich Teil
einer Verkörperung, die uns aber nicht über die synthetischen Strukturen a
priori belehrt, welche als Bedingungen der Gestaltung des Denkens zu gelten

79 Johnson 1987, S. XVI.


308
  Schematismus als Versinnlichung

haben.80 Diese Gestaltungsfunktion ist ein wesentlicher Teil des Schematismus


als Versinnlichung.
Die Verkörperungstheorie widerspricht diesem Ansatz nicht, bleibt aber
meines Erachtens auf der Ebene der empirischen Erkenntnis stehen, die a pos-
teriori wesentlich durch Isomorphie mit der Realität charakterisiert ist. Trotz
der prominenten Rolle der metaphorischen Diskursivität wird letztlich die zen-
trale Frage des Schematismus nicht gestellt, und zwar inwieweit die syntheti-
sche Erkenntnis a priori transzendentale Bedingung der Bedeutungserfahrung
ist. Daher bleiben die sinnlichen und reinen Schemata unbehandelt. Bilder, Dia-
gramme und Wortlaute werden lediglich als empirische Erscheinungen behan-
delt und nicht als Elemente einer eigentlich operativen Dimension, in der sich
die Erscheinung erst entfaltet und durch die das Denken zum Gebrauch und zur
Transformation der Begrifflichkeit gelangt. Die Frage des kantischen Schema-
tismus ist die, wie Bedeutung entsteht. Und die Beantwortung dieser Frage
erfordert einen transzendentalen Ansatz, der vom Embodiment-Ansatz nicht
zur Kenntnis genommen wird. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich erneut
betonen, dass der Ansatz Plessners eine Kritik dieser Form der Verkörperung
ist, insofern er die Verkörperung nicht leugnet, sondern transzendental zer-
gliedert und daher gerade als empirische Gestaltung einsichtig macht. Im nächs-
ten Kapitel möchte ich abschließend zeigen, was systematisch unter einer trans-
zendentalen Auffassung des Schematismus als Versinnlichungslehre verstanden
werden kann.

80 Insbesondere Lia Formigari (2007, S. 87f) hat die Grenzen der kognitiven Semantik
bezüglich des Isomorphismus herausgestellt.
I I . S chematismus als
modale V ersinnlichung

Den Schematismus als Versinnlichung zu begreifen heißt nicht, seine trans-


zendentale Form empiristisch aufzulösen; vielmehr ist damit eine Einbettung
der symbolisierenden und bezeichnenden Versinnlichung in den Schematismus
angezeigt. Die Versinnlichung ist daher ausdrücklich nicht als Embodiment im
Sinne der Verkörperung zu verstehen. Sie steht für die Gestaltungsfunktion der
Sinnlichkeit, wie sie im Gebrauch aktualisiert wird. Nur so kann eine prozes-
suale Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit statthaben. Die
Schematismuslehre hält diese Ebenen zusammen und macht sie dennoch nicht
zu starren Abstraktionen. Im Gegenteil ist die transzendentale Epigenesis eine
Gestaltung, die gleichzeitig eine funktionale Morphogenese enthält, ohne den
semantischen Inhalt zu bestimmen; nur so zeigt sich die performative und gene-
tische Kraft des Schematismus.
In diesem Kapitel möchte ich nun meine eigene Lesart der Schematis-
muslehre vorstellen, der zufolge die sinnlichen Gestalten auf transzendentaler
Ebene als Bild, Figur und Wortlaut zu fassen sind, die sich wiederum auf der
modalen Ebene des Gebrauchs als Zeichen oder Symbol artikulieren können.
Die erste Ebene bestimmt die elementaren sinnlichen Gestalten, während die
zweite Ebene deren Gebrauch betrifft. Aus diesen zwei Ebenen besteht der
Schematismus. Gerade aus seiner systematischen Stellung als Gestaltung des
Gegenstandes heraus ist es möglich, eine Theorie der Artikulation der gesamten
Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wortlaut zu entwickeln. Dieser Ansatz
zielt mithin darauf, die ersten zwei Teile der vorliegenden Untersuchung zu ver-
binden, indem er die im zweiten Teil herausgearbeitete systematische Stellung
des Schematismus als Gestaltungsfunktion erneut auf Kants Konzeption
bezieht.
Die daraus resultierende Lesart des Schematismus kann daher als letzte
der hier aufzuzeigenden Umgestaltungen der Schematismuslehre verstanden
werden. Ich beziehe mich dabei auf die Begriffe ‚Schematismus‘, ‚Schemata‘ und
310
  Schematismus als Versinnlichung

‚Schematisierung‘ einerseits noch im kantischen Sinne, weil ich denke, dass der
Schematismus zu Recht als Bedingung der Artikulation von Bedeutung auf
reiner, rein sinnlicher und empirischer Ebene gilt. Ohne den Schematismus
kann die Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit nicht erfasst wer-
den. Andererseits revidiere ich die kantische Lehre, indem ich die semantische
Bestimmung der Erfahrung auf die gesamte Bedeutungserfahrung erweitere
und somit die Grenze zwischen Erkenntnis und Denken mindestens in Bezug
auf die Sinnlichkeit aufweiche und den Schematismus als eine Versinnlichung
auslege, die nicht nur bestimmend, sondern auch reflexiv und expressiv ist. Ich
behalte die kantische Unterscheidung zwischen empirischen, rein sinnlichen
und reinen Begriffen somit bei, spitze jedoch zugleich ihre formale Gestaltung
durch die Schemata und ihre funktionale Bestimmung durch den Gebrauch zu.
Auf diesem Weg möchte ich auch die Bedeutung des Schema-Begriffs als Gren-
ze des Begreifens erneut rehabilitieren, wie sie die Geschichte dieses Begriffs
gekennzeichnet hat.81 Diese Grenze ist jedoch nicht – wie für Kant – als eine
sinnliche Grenze zwischen Erkenntnis und Denken zu verstehen, sondern als
eine modale Grenze zwischen den verschiedenen Gebrauchsweisen von trans-
zendentalen Gestalten, die alle als Versinnlichungsprozesse zu gelten haben.
Die Begrifflichkeit ist folglich kein fertiges Produkt, sondern wird stän-
dig im Gebrauch gestaltet. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Unterscheidung
zwischen Schematismus und Gebrauch insofern relevant ist, als im Schematis-
mus eine transzendentale Strukturierung des Gebrauchs erfolgt, der seine
Gestaltungsbedingung ist. So operiert der Gebrauch sowohl mit empirischen als
auch mit transzendentalen Regeln, die den Gebrauch nicht vorgeben, sondern
formal anleiten. Somit möchte ich zeigen, dass die Unterscheidung zwischen
Schema und Gebrauch keine Metaposition ist82 und auf transzendentaler Ebene
weiterhin Sinn ergibt, gerade weil Bilder, Wörter, Schriftzeichen und Diagram-
me keine isolierten Erscheinungen der Bedeutung sind, von denen wir beliebig
Gebrauch machen können, sondern deren systematischer Zusammenhang
anhand spezifischer Gestaltungsfunktionen erklärt werden kann, womit sie als
formale Bedingungen der Bedeutung selbst erfasst werden. Die Unterscheidung
zwischen Schemata als transzendentalen Gestalten und Schematisierung als
transzendentaler Gestaltung im Gebrauch ist insofern essentiell. Der Gebrauch

81 Siehe dazu Stegmaier 1992, S. 1246.


82 Insbesondere Sybille Krämer (2002) hat die Frage gestellt, wie sinnvoll die Unter-
scheidung zwischen einem Schema und seinem Gebrauch in der Sprache ist und
diese unter anderem auf Wittgenstein bezogen. Ich beziehe diese Frage hingegen
nicht nur auf die Unterscheidung zwischen Schema und Gebrauch im Verhältnis
zwischen Sprache und Sprechen, sondern im Allgemeinen auf die Gestaltung der
Bedeutung, also auch im engen Sinne nicht-sprachlicher Bedeutung.
311
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

wiederum ist im Anschluss an Kant in einen zeichenhaften, einen symbolischen


und einen expressiven zu differenzieren.
Die behauptete transzendentale Struktur der Schematismuslehre, die auf
der Unterscheidung zwischen Gestalten (Bild, Figur und Wortlaut) und Gebrauch
(zeichenhaft, symbolisch und expressiv) beruht, lässt sich über den Begriff der
Versinnlichung – verstanden als Gestaltungsprozess – verbinden. Damit zeigt
sich eine transzendentale Potentialität, die im Gebrauch zur Ausführung und
Aktualisierung kommt. Die Schematismuslehre wird somit zu einer Theorie der
Versinnlichung der Bedeutungserfahrung, welche auf die Freilegung der trans-
zendentalen Regeln der Bedeutungsgestaltung zielt. Damit soll ausdrücklich
dem kantischen Gedanken Rechnung getragen werden, nach dem in der trans-
zendentalen Bestimmung Begriffe nicht auf Bilder reduziert werden können;
stattdessen können sie von Zeichen begleitet, symbolisch ausgedrückt und
expressiv geprägt werden. All diese Themen sind meiner Ansicht nach bei Kant
schon angelegt und werden in der Nachfolge lediglich ausdrücklicher hervor-
gehoben. Diese Konstellation von Themen erscheint heutzutage meist als eine
Ansammlung isolierter Problemstellungen: Phänomenologische und semioti-
sche Bildtheorien, diagrammatologische Erklärungen und sprachanalytische
Ansätze sind Beispiele für Versuche, die Eigentümlichkeit jeweils nur einer Ebene
der Gestaltung zu thematisieren, ohne sie in einer systematischen Theorie
zusammenzuführen. Einer solchen Theorie nähert sich hingegen die Beschrei-
bung des Zusammenhangs zwischen Schemata und Schematismus, Gestalten
und Gestaltungen, Produkten und Prozess. Was auf den ersten Blick rein deskrip-
tiv erscheinen mag, kann uns darüber belehren, mit welchen gestalterischen
Modalitäten wir operieren und inwieweit und mit welchem Ausdrucksziel diese
synthetisiert werden können. Vor allem aber erweist sich so die produktive – und
nicht nur abbildende – Macht der Gestaltung. Über den sinnlich-transzendenta-
len Charakter der Gestaltung lässt sich die vielfältige kulturelle Verkörperung
des Denkens erfassen und als Erscheinung der transzendentalen Versinnlichung
verstehen. Diese Relation zwischen Verkörperung und Versinnlichung ist mei-
nes Erachtens nicht frei von praktischen Implikationen, die im Schlusswort in
Form eines Ausblicks in Bezug auf die Pädagogik und die Kunsttheorie angedeu-
tet werden sollen. Anhand des Ansatzes von Plessner konnte bereits gezeigt
werden, dass die verschiedenen erkenntnismäßigen, mathema­tischen und künst-
lerischen Erscheinungen als Facetten der gleichen systematischen Konstitu­
tionsfrage zu gelten haben, die er zusammenfassend einer objektiven Ästhesio-
logie zuordnet.83

83 An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Relevanz des Konstitutions-
problems der Ausgangpunkt einer transzendentalen Semantik bei Wolfram Hogrebe
ist (1974, insbesondere S. 15–38).
312
  Schematismus als Versinnlichung

Eine solche systematische Entfaltung der Gestaltung im Schematismus


kann mit anderen Worten nur über sein Verständnis als Versinnlichung erfol-
gen, während die oben erwähnten Ansätze – insbesondere der Bildtheorie – in
der Regel auf den Verkörperungsansatz rekurrieren. Der Embodiment-Ansatz,
wie er von der Versinnlichung abgegrenzt wurde, spielt beispielsweise in der
zuletzt zu verzeichnenden Renaissance des Schema-Begriffs im Rahmen der
Bildakttheorie eine wesentliche Rolle, die sich jedoch meist aus der antiken Ver-
wendung des Schemas speist.84 Das Schema wird so als ein formales Kriterium
gedeutet, das vor allem in der Kunst musterhaft auf den Betrachter wirkt. Diese
Wirkung wiederum wird auf die verkörperte Natur der Bewegung bezogen, die
durch das Bild erkannt und miterlebt wird. Auf diese Weise lässt sich der
Schema-Begriff der Antike im Sinne einer Vermittlung von Bewegungsfiguren
durch eine Verkörperungspraxis aufgreifen.85 Auf transzendentaler Ebene lässt
sich der Schema-Begriff der Antike jedoch meines Erachtens nicht mit dem
Schema insgesamt gleichsetzen, gerade weil das Schema, wie gezeigt, nicht auf
das Empirisch-Musterhafte reduziert werden kann, das immer schon eine Inter-
pretation und intentionale Hinwendung auf körperliche Bewegungen voraus-
setzt.
Das Schema ist Bedingung der Bedeutungserfahrung und nicht nur ihr
musterhafter Vermittler. Das verkörperte Musterhafte – wie es auch die Bezeich-
nung des Schemas als einer Sphäre von Etiketten bei Goodman andeutet86 – ist
hingegen meines Erachtens auf der Ebene einer empirischen Interpretation
anzusiedeln, die eine bereits bestehende, kulturelle Artikulation der Bedeutung
entfaltet.87 In transzendentaler Hinsicht ist die Schematismuslehre somit eine
systematische Theorie der Versinnlichung, die nicht nur Bilder, sondern auch
konstruierte Figuren, Diagramme, Schriftzeichen und Wortlaute untersucht,
ohne sie dabei als bloße Erscheinungen oder Repräsentationen für sich stehen zu
lassen. Denn sie orientiert sich an der transzendentalen Frage, wie Begrifflich-

84 Dieser Bezug geht vor allem von der eingangs besprochenen Untersuchung Catonis
(2005) zum Schema-Begriff in der Antike aus. Siehe dazu die Einleitung.
85 Horst Bredekamp schreibt diesbezüglich (2010, S. 104): „Das Schema gibt Stan-
dards der Bewertung und damit auch der Orientierung und der Nachahmung durch
die besondere Form der lebendigen Figur vor“. Somit wird das Schema nicht als
bloßes Schema der Wahrnehmung gedacht, womit für die lebendige Haltung, die
das Bild musterhaft vermittelt, plädiert und das Bild selbst als schematischer
Bildakt interpretiert wird, dessen Definition bei Bredekamp lautet (2010, S. 104):
„Er umfasst Bilder, die darin musterhafte Wirkungen erzielen, dass sie auf unmit-
telbare Weise lebendig werden, oder Lebendigkeit simulieren“.
86 Siehe dazu Goodman 1975, S. 76–78.
87 Dieser Aspekt ist von mir im vorherigen Kapitel im Vergleich zwischen Plessner
und Merleau-Ponty und in der Kritik der kognitiven Semantik von Johnson und
Lakoff angedeutet worden.
313
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

keit zu einer sinnlichen Gestaltung kommt. Schließlich kann der Schematismus


auch nicht auf die Figuration reduziert werden, obwohl letztere sicherlich – wie
etwa Gottfried Boehm betont – mit „einer Akzentverschiebung vom Produkt
auf den Prozess“ verbunden und auch von einer inhärenten Zeitlichkeit gekenn-
zeichnet ist.88 Der Schematismus enthält neben dem Figurativen jedoch zugleich
eine Diskursivität, die rein zeitlich ist, im Fall theoretischer Begriffe nicht direkt
unter Bilder gebracht werden kann und insgesamt ein lautlicher Grenzpol der
Darstellung ist. Die Schematismuslehre ist meines Erachtens eine Methode der
Gestaltung, in der heuristisch zwischen Gestalten und deren Gebrauch unter-
schieden werden kann.

1. Bi ld , Fig u r u nd Wor t laut a ls


t ra nszendent a le Gest a lten
Bild und Wortlaut konstituieren jeweils den akustischen und visuellen Grenz-
pol der Bedeutungserfahrung und bleiben in einer heuristisch-analytischen
Betrachtung starr und bewegungslos. In der Erfahrung hingegen treten sie in
einer Synästhesie als einer Synthese auf, die zur Wahrnehmung des empiri-
schen Gegenstandes in Zeit und Raum unerlässlich ist. Im künstlerischen Aus-
druck kann freilich mit bestimmten Aspekten der Sinnlichkeit operiert werden,
während andere vollkommen ausgeblendet bleiben; und gleichzeitig kann mit
synästhetischen Kombinationen gespielt werden. Denn es gibt viele Synästhe-
sien, welche die Empfindung suggeriert, die Wahrnehmung hervorhebt und die
Kunst intentional hervorbringt, um so Erkenntnis, Denken und Ausdruck zu
erweitern. Die Sprache selbst ist eine komplexe Synästhesie, in der die Materia-
lität der inneren und äußeren Wahrnehmung erfasst und ausgedrückt wird –
gerade diese expressive Kraft der Sprache begründet die rhetorische Bedeutung
der Versinnlichung.
Die Grenzpole des Bildes und des Wortlautes werden hier als potentiell
gestalterische Bedingungen der gesamten Bedeutungserfahrung verstanden:
Sie artikulieren das Hier und Jetzt des gegenwärtigen, erinnerten und projek-
tierten semantischen Bezugs. Im Bild realisiert sich die Bedeutung in der Dis-
tanz des Räumlich-Visuellen und im Wortlaut der akustischen Artikulation.
Dazwischen liegt die Figur, die als räumlich konstruierte – wie im Fall des Dia-
gramms – auch diskursive Bestandteile enthalten kann; das Diagramm ist dabei
eine hybride Form, die zum konkreten Hilfsmittel bei der Ausdifferenzierung
zwischen Bildlichkeit und Diskursivität dienen kann. Zwischen diesen drei
Gestalten artikuliert sich potentiell unsere Bedeutungserfahrung. Der poten-
tielle Charakter dieser Artikulation sollte jedoch nicht im Sinne einer Entkräf-

88 Siehe Boehm 2007, S. 34 und S. 52.


314
  Schematismus als Versinnlichung

tung ihrer Gestaltungsfunktion verstanden werden, sondern dient vielmehr als


Hinweis auf ihre transzendentale Funktion, die ihnen als Bedingung der Bedeu-
tungserfahrung zukommt. Die Gestalten entsprechen daher nicht unmittelbar
den wahrgenommenen Gestalten; es sind in erster Linie Erkundungsgestalten
der Wahrnehmung. Es ist hier nicht möglich, alle drei Gestalten im Detail zu
analysieren, da mit ihnen jeweils ein eigener Bereich der Sprach- und Erkennt-
nistheorie angezeigt ist. Ich möchte hier daher nur die transzendentale Stellung
andeuten, die jede dieser drei Gestalten von den jeweils anderen im Schematis-
mus abgrenzt.
Das Bild in seiner Konkretheit und Simultaneität bringt uns direkt mit
dem empirischen Charakter unserer Wahrnehmung in Verbindung, in der wir
nach dem konkreten Charakter des Wahrnehmungsgegenstandes fragen. Die
Visualisierung ist für Kant nach dem Tastsinn – der jedoch grob bleibt – das
konkreteste Kriterium für den Realitätsbezug unserer Wahrnehmung; und
alles, was nicht unter ein Bild gebracht werden kann, wird als rein diskursiver
Gebrauch bezeichnet. Es geht mir jedoch gerade nicht um die Frage, wie man
zur Bildung von Bildern gelangt, weshalb auch die Debatte, ob Bilder existieren
oder nur von Bildlichkeit die Rede sein kann, hier nicht weiter vertieft werden
soll. Für die Analyse des Gebrauchs hingegen wird die Bildlichkeit von besonde-
rem Interesse sein.89 Auf formaler, gestalterischer Ebene möchte ich jedoch fest-
stellen, dass der konkrete Charakter der Bilder sich insbesondere in ihrer Fülle
zeigt, die die eigene Semantik der Bilder ausmacht und ihre haptische Dimensi-
on als einen sekundären Aspekt erscheinen lässt.90 Letztere betrifft nicht die
Bilder als solche, sondern eher den Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. Das
Bild existiert, insofern es eine visuelle Fülle besitzt, die es – wie sich mit Plessner

89 Siehe unten, Kap. II.2.


90 Dazu Stetter 2005, S. 119 und Boehm 2004, S. 28f.: „Bilder besitzen eine eigene, nur
ihnen zugehörige Logik. Unter Logik verstehen wir: die konsistente Erzeugung von
Sinn aus genuin bildnerischer Mitteln. Und erläuternd füge ich hinzu: Diese Logik
ist nicht-prädikativ, das heißt nicht nach dem Muster des Satzes oder anderer
Sprachformen gebildet. Sie wird nicht gesprochen, sie wird wahrnehmend realisie-
rend“. Obwohl Boehm dadurch die Potenz des Ikonischen hervorhebt, aufgrund
derer das Bild als anschauliche Fülle nicht auf die Sprache und Diskursivität redu-
ziert werden kann, bringt er das Bild in eine Entgegensetzung zur Sprache als ver-
baler Auffassung des Sinnes. Die nicht-verbale Natur ist jedoch meines Erachtens
kein Sonderrecht des Bildes, sondern aller Gebrauchsweisen der Wahrnehmung,
welche sich der Verbalisierung entziehen. Ich werde in Bezug auf die ‚Schematisie-
rung ohne Begriff‘ auf diesen Aspekt zurückkommen. Dieser Aspekt wird in
gewisser Weise auch von Gottfried Boehm gesehen, wenn er bemerkt (2004, S. 43):
„Jenseits der Sprache existieren gewaltige Räume der Visualität, des Klanges, der
Geste, der Mimik und der Bewegung. Sie benötigen keine Nachbesserung oder
nachträgliche Rechtfertigung durch das Wort. Der Logos ist eben nicht nur die
Prädikation, die Verbalität und die Sprache. Sein Umkreis ist bedeutend weiter. Es
gilt ihn zu kultivieren“ (Hervorhebung L.G.).
315
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

annehmen lässt – zum Grenzpol der Wahrnehmung macht, da das Bild nicht auf
andere sinnliche Gestalten reduziert werden kann. Hierbei wird das Bild nicht
in seinem bildlichen Gehalt, sondern in seiner formalen Gestaltung betrachtet.
Somit kann man meines Erachtens feststellen, dass eine Gestalt ohne Fülle kein
Bild ist.91 Der Umstand, dass auch Blindgeborene etwa bestimmte bildliche
Sachverhalte über den Tastsinn wahrnehmen können, verweist zwar auf eine
zweifellos im Bild enthaltene haptische Komponente, über die sich in gewissen
Fällen der dargestellte Sachverhalt erschließen lässt. Dennoch kann die Wahr-
nehmung von Bildern nicht auf das Erkennen eines solchen Sachverhaltes ver-
kürzt werden. Dass bei der Wahrnehmung wie auch bei der Hervorbringung
von Bildern eine haptische Dimension ins Spiel kommt, ist ein physiologischer
Aspekt, der alle Sinne betrifft, die in ihrer Ausführung physiologisch durch
motorische und phonetische Bewegungen artikuliert werden und zur Orientie-
rung für die Erkenntnis von sinnlichen Sachverhalten dienen kann. Davon
bleibt die transzendentale Ebene jedoch unberührt, da auf ihr die Fülle als die
formale Bedingung des Bildes untersucht wird. Als Grenzpol der Wahrneh-
mung ist das Bild eine anschauliche Fülle, die dem haptischen Gebrauch fremd
bleibt, sodass sogar John Michael Krois letztlich anerkennt, dass „das rein visu-
elle Element der Rothko-Bilder – ihre Farbe und die vorgetäuschte Tiefe – für
Menschen ohne Sehvermögen nicht zugänglich ist“.92 Und das, obwohl er sonst
die Ansicht vertritt, dass die Ikonizität des Bildes keine Augen brauche und
nicht ausschließlich vom Sehen abhänge. Zwar kann der Linienzug haptisch
übersetzt und somit auch wahrgenommen werden, aber diese sinnliche Überset-
zung ist immer schon ein intentionaler Verkörperungsakt und damit ein spezi-
fischer Gebrauch von Bildern – wie etwa das Lippenlesen bei Menschen ohne
Hörvermögen.
Jenseits der haptischen und visuellen Dimension des Bildes lässt sich eine
weitere Dimension der Visualisierung annehmen, die das kantische Mono-
gramm aufgreift. Es handelt sich um die Figur, die primär zur konstruktiven
Realisierung der Begrifflichkeit dient. Kant selbst zeigt, dass für diese figurative
Gestaltung eine körperliche Dimension erforderlich ist, die für die Bewegung
und die Orientierung zuständig ist. In ihnen erweist sich indirekt ihre grund-
legende Funktion, und zwar diejenige, mit Bildern performativ zu handeln bis
hin zur Aufhebung des konkreten, dichten Charakters des Bildes und zur Ver-
räumlichung des diskursiven Lautes. Diese Figuration kann mit dem Diagramm
in Verbindung gebracht werden, das einerseits mit der Zweidimensionalität und
Simultaneität des Bildes operiert, andererseits die diskursive Linearität mitein-
schließt, und somit eine Hybridisierung von Sprache und Bild ist, wie Krämer

91 Siehe dazu Stetter 2005, S. 119.


92 Krois 2011, S. 160.
316
  Schematismus als Versinnlichung

anmerkt: „die Fläche wird zum Denkzeug und Gedankenlabor. Wir denken auf
dem Papier, mit dem Papier“.93
Das Diagramm als hybride Form lässt sich einerseits als Verflachung des
Bildes in seiner Fülle und als Verräumlichung der Sprache ansehen. Trotzdem
sollte seine eigene, prozedurale Dimension hervorgehoben werden. So schreibt
etwa Schmidt-Burkhardt: „Die Verflachung des Denkraums in die zweite
Dimension wird durch die reflexive Tiefe des Diagramms, die sich als semanti-
sche Dichte niederschlägt, wieder aufgehoben“.94 Es handelt sich dabei jedoch
um eine potentielle Operation, die das Denken selber zur neuerlichen Gestal-
tung bringen kann. Ob dieser Operationsraum eine echte Alternative zum Bild
und Text sein kann, betrifft nicht das Diagramm selbst als Gestalt, sondern den
Gebrauch, der von ihm gemacht wird: Es kann also sowohl Motor einer neuen
Verbalisierung als auch nur bloße Darstellung komplexerer diskursiver Verhält-
nisse sein. Diesbezüglich halte ich die Ausdifferenzierung von Goodman für
beachtenswert, der das Diagramm als Aufhebung der konstitutiven Merkmale
der Bilder deutet und betont, Diagramme seien artikulierter als Bilder. Inner-
halb der Unterscheidung zwischen artikulierten und dichten Schemata unter-
gliedert er die dichten Schemata in piktoriale und diagrammatische Schemata,
zwischen denen er einen graduellen Übergang annimmt.95 Gerade weil Dia-
gramme eine eigene, operative Dimension zwischen Bildern und Diskursivität
darstellen, sind sie durch eine performative Visualisierung gekennzeichnet, die
uns über den nicht-figurativen Charakter der Diskursivität belehrt – und dies-
bezüglich sollte gegebenenfalls auch der konstruktive Charakter der Mathema-
tik erneut hinterfragt werden.
Außerdem stellt die Konstruktion der Figur, die nicht auf das Diagram-
matische reduziert werden kann, gerade dasjenige Moment dar, in dem die
Figur als Schrift-Zeichen gebraucht werden kann. Das figurative Zeichen löst
sich von der vollkommenen (etwa geometrischen) semantischen Identität zwi-
schen Begriff und Anschauung und wird zum anschaulichen, figurativ Bezeich-
nenden, das an sich keine feste Bedeutung hat und zur Bezeichnung dient. In der
zeichenhaften Artikulation wird man sich – wie im Anschluss an Humboldt
und Hegel gesagt werden könnte – des artikulierten Wesens der Begrifflichkeit

93 Krämer 2012, S. 97. Zur Bestimmung des Diagramms siehe Krämer 2003, S. 158
und als Einführung in die unterschiedlichen Ansätze der Diagrammatologie
Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40–45.
94 Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40.
95 Vgl. Goodman 1975, S. 212. Christian Stetter (2005, S. 121–126) spricht an dieser
Stelle von dem Resultat von Tilgungsoperationen, womit die Diagramme als
(S. 125) „graphische Abkürzungsverfahren für komplexe Schematisierungen“ ver-
standen werden, deren Voraussetzung ihre logische Lesbarkeit ist. Zur Funktion
der Diagramme als kognitive Bilder siehe Boehm 2004, S. 28–43.
317
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

bewusst und kann mit ihr in einer Weise operieren, die sich der Visualisierung
entzieht.
Der artikulierte Laut stellt das Moment der Abstraktion von der visuel-
len Gegenstandsbezogenheit des Bildes und den Übergang zum rein diskursiven
Denken dar. Ihm ist eine Konstruktion eigen, die der Weg zur Allgemeinheit
ist, insofern sie rein diskursiv vom Bild absieht und die Möglichkeit philosophi-
scher und ideeller Begriffe ausmacht. Dieser Unterschied zwischen bildhafter
und zeichenhafter Entwicklung hat sowohl epistemologische als auch sprach-
theoretische Implikationen, indem er eine Entwicklung vom Bild bis hin zur
Sprache anzeigt: Das Bild kann erstens an seinen eigenen anschaulichen Gehalt
gebunden bleiben und so nur in seinen bildhaften Zügen erscheinen; zweitens
kann es als Bezeichnung des Begriffes verwendet werden und somit in Richtung
einer Artikulation der Begrifflichkeit gehen, die im Laut die letzte Abstrakti-
onsstufe erreicht, wie etwa Hegel hervorhebt.96
Die Gestalten sind daher potentielle Tilgungsgestalten, die nur im
Gebrauch entfaltet werden und vom Bild zum Wortlaut führen können. Dazu
bemerkt Stetter, dass die Unterwanderung des Diagrammatischen durch die
Logik des Bildes ein Resultat von Tilgungsoperationen ist, die am Material
exemplifiziert werden.97 Mit Tilgungsoperation ist jedoch hier nicht gemeint,
dass die Gestaltung gezielt auf die diskursive Bezeichnung reduziert würde. Sie
ist keine Purifikation des Materials, sondern seine potentielle Gestaltung, die
dabei nicht vom Bild oder Schriftzeichen bereinigt werden sollte. Die operative
Fülle des Bildes und der operationale Charakter der Figur sind für die Erkennt-
nis und das Denken im Allgemeinen konstitutiv. Den Schematismus möchte ich
jedoch nicht auf diese operative Visualisierung reduzieren, sondern zeigen, dass
er gerade die Gestaltung zwischen Bild und Wortlaut ermöglicht und somit
Bedingung auch derjenigen Diskursivität ist, die durch die Versinnlichung
allererst möglich wird.
Der zeichenhafte Charakter des Gebrauchs realisiert sich diskursiv durch
die Artikulation des Lautes. Kant hat richtig gesehen, dass die Abstraktheit der
Begriffe eine tautologische Bestimmung ist, da der Begriff an sich immer abs-
trakt ist und sich erst im Gebrauch realisiert und ausdifferenziert. Das mag auch
der Grund dafür sein, dass er die versinnlichende Natur des Lautes nicht in die
Transzendentalphilosophie einführt. Damit ist im Gegenteil diejenige Perspek-
tive angesprochen, die von Herder, Humboldt und Hegel eingenommen wird,

96 Siehe dazu Brandi 2009, S. 13. Stetter bezieht sich auf die ‚Verschriftlichung der
Sprachen‘ als Tilgungsprozess (2005, S. 116): „Damit jede Sprache der Welt mit
einem Repertoire von dreißig bis vierzig Figuren verschriftet und geschrieben wer-
den konnte, musste aus diesen jede Spur von Ikonizität, mehr noch: jede Spur von
Bedeutung getilgt sein“.
97 Vgl. Stetter 2005, S. 121.
318
  Schematismus als Versinnlichung

bei denen die Verbindung zwischen Gehör, Zeit und Laut zur Bedingung der
Artikulation des Denkens und der Abstraktheit der philosophischen Begriffe
wird, die im Horizont Kants rein diskursiv bleiben. Somit kann die Akroamatik
des Denkens nicht vom Versinnlichungsprozess als ihrer Bedingung getrennt
werden. Der Schematismus ist folglich nicht auf die Visualisierung und Figura-
tion beschränkt, da er zugleich eine andere Art der Versinnlichung mitein-
schließt, die den Laut betrifft. Die lautliche Artikulation der Begrifflichkeit wird
in der Schematismuslehre rehabilitiert, und das nicht im Sinne des Phonozen-
trismus, sondern der grundlegenden Gestaltungsfunktion, welche die lautliche
Artikulation – wie Humboldt zeigt – in allen Sprachen innehat.
Um Missverständnisse zu vermeiden, muss angemerkt werden, dass es
bei dieser Auffassung der Gestaltung nicht um die bloße Artikulation ‚dersel-
ben‘ Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut geht, sondern eigentlich um die
Entstehung der Bedeutung selbst in dieser Gestaltung. Damit ist eine funktio-
nale Weltansicht verbunden, in der das Denken in unterschiedlichen Proportio-
nen mit zeichenhaftem oder metaphorischem Gebrauch behaftet ist. Der damit
angezeigte, genetische Transformationsprozess ist bisweilen auch als ein fak-
tisch-genetischer Übergang vom Bild zum Wortlaut in der historischen Ent-
wicklung der Sprache gedeutet worden, wie er sich insbesondere im Vergleich
zwischen hieroglyphischen und phonetischen Sprachen zeigt, der vor allem
Hegel zur Annahme des Vorzugs der Buchstabenschrift hinsichtlich der Ent-
wicklung des philosophischen Denkens geführt hat. Diesbezüglich ist wiede-
rum der Ansatz Humboldts zu berücksichtigen, da bei ihm das Wort sowohl mit
dem Zeichen als auch mit dem Symbol verwandt ist, die seine Gebrauchsweisen
sind.98
Der Unterschied zwischen visueller und akustischer Verarbeitung der
Bedeutung ist, wie bemerkt, sowohl epistemologisch als auch im engeren Sinne
sprachtheoretisch relevant. Dies ist insbesondere von Brandi gesehen worden,
der ausgehend von der Schematismus-Problematik die genetischen Aspekte des
Schemas untersucht. Mit Blick auf die Erkenntnistheorie betont er, dass „gerade
die Bildung des Schemas den Punkt anzeigt, an dem die Wahrnehmung von
etwas in die Erkenntnis von etwas übergeht; doch das Schema, gerade weil es
noch kein Begriff ist, bleibt zugleich Bild und Erkenntnis von etwas. Und je

98 Vgl. Humboldt, Grundzüge, S. 99. Siehe dazu IV.2 des zweiten Teils der vorliegen-
den Untersuchung. Der Laut lässt sich als die eigene Gestalt der abstrakten Refle­
xion fassen. Wie gezeigt werden konnte, verfügen auch Kulturen ohne Schrift über
eine Metasprache. Dieses Thema kann hier nicht weiter vertieft werden – stattdes-
sen soll auf den lehrreichen Aufsatz von Ludwig Jäger (2003, 199) hingewiesen
werden, der eine solche These vertritt. Dieser Aufsatz ist in Bezug auf die Kritik
Derridas an Hegel schon zitiert worden. Im Grunde vertritt Jäger den Humboldt-
schen Ansatz, nach welchem auch Schriftsysteme Lautsprachen sind (siehe S. 205f.).
319
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

mehr es Bild bleibt, desto mehr wird die Erkenntnis intuitiv strukturiert und
weniger intellektuell entwickelt“.99 Die Gestalten sind in diesem Sinne trans-
zendentale Grenzgestalten, zwischen denen die Schematisierung sich entfalten
kann. Die Bedeutungserfahrung realisiert sich insofern immer gestaltlich und
bewegt sich stets zwischen diesen Grenzpolen, die unsere empirische Wahr-
nehmung strukturieren, wobei der Laut den Modus der Zeit und das haptische
und visuelle Bild den Modus des Raumes anzeigt.
Gerade weil diese Gestaltung nicht die bloße Artikulation einer schon
gegebenen Bedeutung ist, sondern ihre Produktion umfasst – die natürlich
sowohl ursprünglich schöpferisch als auch vom gewöhnlichen, vertrauten
Gebrauch geprägt sein kann – ist jede Gestalt von einer spezifischen Operativität
charakterisiert, die meines Erachtens transzendental ist.100 Das bedeutet, dass
die Gestalten sinnliche Bedingungen der potentiellen Gestaltung sind, die sie
bedingen, aber nicht bestimmen. Die Gestalten sind in einer potentiellen Form
schon Methode der Gestaltung, weil ihre Grenzeigenschaften zur Gestaltung
beitragen und sie bedingen. Diese transzendentalen Schemata sind also funk-
tionale Begriffe, doch dies nur potentiell. Sie sind rein rezeptiv und werden im
Gebrauch aktiviert.101 Erst im Schematismus als modaler Haltung werden die
Gestalten als Grenzpole bewegt; ihre Grenzeigenschaften werden in actu, ver-
mischen sich synästhetisch und bringen uns an die Grenzen der Erkenntnis, des
übertragenden Denkens und der Expressivität. Die Versinnlichung ist also die
potentiell formale Bedingung der Verkörperung.
Die Gestalten sind Methoden der Realisierung der Begrifflichkeit, sodass
in deren Aktualisierung die Ab- und Anwesenheit dieser Gestalten erkannt wer-
den kann. Sie sind rein formal, in keiner Weise intentional und somit Haupt-
momente einer performativen Theorie der Medialität, die letztlich ein anderer
Ausdruck für die Schematismuslehre ist, in der die Medien nicht auf die bloße
Vermittlung und Übertragung von Wissen zu reduzieren sind, sondern die

  99 Brandi 2009, S. 12 (Übersetzung L.G.): „La formazione dello schema segna il punto
in cui la percezione della cosa trapassa in conoscenza della cosa stessa: ma lo sche-
ma, appunto perché non è ancora concetto, resta contemporaneamente immagine e
conoscenza della cosa. E tanto più resterà immagine, quanto più la coscienza sarà
strutturata intuitivamente e meno sviluppata intellettualmente“.
100 Günter Abel hat einen ähnlichen Aspekt in Bezug auf Bilder betont (2004, S. 369):
„Alle diese Funktionen von Bildern in Prozessen hängen im Kern von ihrer sinnli-
chen Anschaulichkeit, von der sinnlich-ästhetischen Form ihrer Bedeutung und
mithin auch von unserer Fähigkeit ab, uns auf sie zu verstehen“.
101 Hierin teile ich die Auffassung von Christoph Asmuth (2011), der die Bildlichkeit
(S. 109) nicht als Teil der Objektwelt interpretiert. Sie ist (S. 113) „ein Konzept, dass
erkenntnistheoretisch formuliert, erst durch Konstruktion in der Wirklichkeit her-
vorgebracht wird, um dann in der Wahrnehmung eingelöst zu werden. Dazu ist die
Sprache gar nicht notwendig, sondern nur ein Wissen, das durchaus als performa-
tiv zu betrachten ist“.
320
  Schematismus als Versinnlichung

Bedeutung selbst erschaffen. Wie bereits erklärt, entkräftet die Annahme ihrer
Potentialität nicht die Behauptung ihrer Gestaltungsfunktion, weil letztere
transzendental gemeint ist.
Der Schematismus ist letztlich der Versinnlichungsprozess der Artikula-
tion der Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wortlaut. Und somit ist das
Schema kein Drittes, sondern die funktionale Bedingung der Gestaltung selbst.
Es kann schließlich in keiner Weise auf die begrifflichen, inhaltlichen Bezeich-
nungen reduziert werden, die es selber hervorbringt. Diese potentielle Versinn-
lichung ist die gestaltliche Bedingung der Artikulation der Bedeutung, die sich
im Gebrauch realisiert, der im nächsten Kapitel kurz erörtert werden soll.

2. D ie Gest a lten i m Gebrauc h


Die Realisierung der zuvor erläuterten sinnlichen Gestalten erfolgt über drei
Formen des Gebrauchs: Dieser kann zeichenhaft, symbolisch und expressiv
sein. Wurde bislang aufgezeigt, wie die Gestalten den Gebrauch sinnlich präfor-
mieren, geht es in diesem Kapitel darum zu verdeutlichen, inwiefern die Reali-
sierung der Gestalten von ihrem Gebrauch abhängt. Das Verhältnis zwischen
Gestalten und Gebrauchsweisen soll zudem anhand von Beispielen erläutert
werden. Die transzendentalen Gestalten (Bild, Figur, Wortlaut) sind die Formen
der Versinnlichung und nicht die Regeln ihres Gebrauchs, obwohl die skizzierte
Gestaltenlehre eine Metareflexion auf die Medialität sicherlich nicht ausschließt.
Bilder, Figuren und Wortlaute sind an sich keine Zeichen und auch keine Sym-
bole, sondern sie können als solche gebraucht werden.102 Zeichenhafte, sym-
bolische, expressive Gebrauchsweisen sind deshalb als transzendentale Haltungen
zu bestimmen, d.h. Schematisierungen im Sinne von Methoden der Gestaltung
selbst. Sie erinnern nicht zufällig an die kantische Unterscheidung zwischen
bestimmender oder symbolischer Versinnlichung und einer Schematisierung
ohne Begriff.
Diese Gebrauchsweisen sind keine sinnlichen Vermittler, sondern mediale
Prozesse,103 die auch für eine Aktivierung der Gestalten im Gebrauch stehen
können, d.h., dass die Bedeutung selbst aus der Synthesis zwischen Gestalten
und Gebräuchen resultiert. Letztere betreffen nicht den partikulären Inhalt
jedes empirischen Gebrauchs, sondern seine formale und modale Struktur. Des-
wegen sollten sie nicht mit dem empirischen Gebrauch etwa der Sprache ver-
wechselt werden. Im empirischen Gebrauch sind die sinnlichen Gestalten For-
men der mannigfaltigen Erscheinung und können daher für bloß verkürzte
Schemata der Erfahrung gehalten werden. Hier ist der Gebrauch eine kulturelle,

102 Vgl. die Auffassung des Zeichens bei Günter Abel, insbesondere 2004, S. 20–24.
103 Siehe dazu Posner 2010, S. 145.
321
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

historische und subjektive Praxis, die das Schema als verkürzten Inhalt eines
Sachverhaltes verwendet. Diesbezüglich hat Wittgenstein gezeigt, dass die
Bedeutung eines Wortes mit dem Gebrauch zusammenhängt, der nicht auf die
bloße Bezeichnung reduziert werden kann, der zufolge die Zeichen für die
Sachen stehen, sondern einen komplexeren Prozess andeutet – was wiederum
das Verständnis vom Erlernen eines bestimmten Gebrauchs radikal verändert,
indem eine handlungspragmatische Komponente eingeführt wird, da die Bezeich-
nung selbst keine bloße Benennung einer schon gegebener Bedeutung ist.104 Der
Gebrauch selbst ist der semantische Prozess, der bestimmten Regeln folgt. Diese
Bedingtheit der semantischen Gestaltung durch den Gebrauch kann auf empiri-
scher Ebene durch das Schema erklärt werden, das einerseits bestimmt ist und
dadurch zur Vermittlung von Inhalten und Praktiken führt, andererseits unbe-
stimmt bleibt und dadurch die Transformation von Inhalten und Praktiken
erlaubt. Das Schema ist somit eine Konkretisierung von Inhalten und Prakti-
ken, die sich potentiell auch anders hätten entwickeln können, wobei die Vielfalt
dieser Konkretisierungen ein Beweis für die angesprochene Potentialität ist.
Diese Vielfalt an möglichen Konkretisierungen von Inhalten und Prak-
tiken kann meines Erachtens zwar empirisch auf den Gebrauch zurückgeführt
werden; die eigentümliche Gestaltungsfunktion des Gebrauchs als Gestaltung
von Bedeutung aber kann nur über die Annahme einer transzendentalen Syn-
thesis als der formalen Strukturierung des Gebrauchs erklärt werden. Es han-
delt sich hierbei um die Strukturierung des Gebrauchs vor dem Inhalt, d.h. um
die Modalität, mit der ein schematischer Inhalt zur Gestaltung kommt. Die
Einführung der Konzeption eines transzendentalen Gebrauchs kann daher als
Methode für die heuristische Analyse der Gebrauchsweisen sinnlicher Gestal-
ten angesehen werden. Die Spontaneität, die Kant im Schematismus dem Ver-
stand zuschreibt, ist nun eigentlich der Gebrauch, der zeichenhaft, symbolisch
oder rein expressiv die sinnlichen Gestalten aktualisiert.
Die transzendentale Untersuchung dieser Gebrauchsweisen geht also
mit einer Suspendierung des empirischen Gebrauchs einher, die jedoch nicht
als eine Vernichtung der konstitutiven Unbestimmtheit jedes Gebrauchs gele-
sen werden sollte. Hier geht es nämlich nicht um den Inhalt, sondern um den
Prozess der Schematisierung, die gerade den provisorischen Charakter des
Gebrauchs sinnlicher Gestalten stiftet. Nehmen wir etwa folgende Beobachtung
Wittgensteins: „Wenn wir die Bedeutung eines Symbols auf einen Schlag erfas-
sen, können wir das Verstehen als intuitiv betrachten. Das Verstehen kann aber
auch diskursiv sein: man gelangt zur Kenntnis der Bedeutung durch die Kenntnis

104 Vgl. Wittgenstein, PU, 26.


322
  Schematismus als Versinnlichung

des Gebrauchs“.105 Was Wittgenstein hier beschreibt, ist nicht das einzelne
empirische Erfassen von Bedeutung, sondern die prozessuale Struktur des
Erfassens im Fall von symbolischer Bedeutung. Es geht dabei um die Weisen
dieses Erfassens, die Wittgenstein wie folgt beschreibt: Die intuitive Weise ist
eine unmittelbare („auf einen Schlag“), während die diskursive ein mittelbares
(„durch die Kenntnis des Gebrauchs“) Erfassen anzeigt. Diese zwei Weisen stel-
len eine formale Struktur des Erfassens von Bedeutung dar, die jede partikuläre
Erfahrung betrifft, die uns nach unserem Erfassen selbst belehrt, weil wir uns
im intuitiven Erfassen eines Symbols beispielsweise über dessen diskursiven
Charakter bewusst werden und so zu einer anderen Eigenschaft des Symbols
gelangen können. Dieser Blickwechsel im Erfassen des Symbols ist möglich,
weil die sinnliche Gestalt präsent bleibt und die sinnliche Grundlage eines sol-
chen Wechsels abgibt. Dieser Blickwechsel ist die eigentliche Realisierung der
sinnlichen Gestalt, deren Bedeutung also nicht nur das Erfassen des dargestell-
ten Sachverhaltes, sondern genauer die Weise dieses Erfassens ist. Indem so der
prozessuale Charakter der Wittgensteinschen Unterscheidung hervorgehoben
wird, lässt sich feststellen, dass es sich bei genauerem Hinsehen nicht um ein
Symbol handelt, sondern um eine sinnliche Gestalt, die als Symbol gebraucht
wird. Denn die sinnlichen Gestalten entfalten in ihrer Synthesis mit dem sym-
bolischen Gebrauch andere Funktionen, gerade weil sie eine eigene Präformation
ausüben, die von Gebrauchsweisen vielfältig realisiert werden kann. Im Folgen-
den möchte ich erklären, wie diese Synthesis zwischen Gestalten und Gebrauchs-
weisen genauer zu bestimmen ist.
Der zeichenhafte Gebrauch entspricht einer direkten Gestaltung der
Bedeutung mittels einer sinnlichen Gestalt. Der symbolische Gebrauch ist dage-
gen eine analogische Gestaltung der Bedeutung. Der rein expressive Gebrauch
schließlich steht für eine ausschließlich sinnliche Gestaltung, die nur mit der
Sinnlichkeit, also ‚ohne Begriff‘ operiert. Die Synthesis zwischen Gestalten und
Gebrauchsweisen möchte ich nun anhand dreier Beispiele verdeutlichen.
In der Visualisierung können Bilder für direkte Darstellungen der Wirk-
lichkeit gehalten werden. In diesem Halten – die das Schema etymologisch von
Anfang an ist106 – werden visuelle Gestalten als Inhalte erkannt. Die Bilder sind
somit Hinweise auf die Wirklichkeit von Begriffen, deren objektive Realität
durch visuelle Gestalten direkt zur Schau gestellt werden kann. Gerade wegen
ihrer visuellen Fülle und Konkretheit sind Bilder für direkte Darstellungen der
Wirklichkeit zu halten, und da die Differenz zwischen Gestalt und Gegenstand

105 Wittgenstein, Vorlesungen 1930/1935, S. 182. Zur Ähnlichkeit mit Kant siehe Rolf
2006, S. 35.
106 Siehe dazu das zweite Kapitel der Einleitung zur Vermittlungsfunktion des Sche-
ma-Begriffs.
323
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

sich nur schwer erfassen lässt, ist diese Erfassung im Fall von Bildern meist
intuitiv. So mag es scheinen, dass auf visueller Ebene die Bilder den Sachen
unmittelbar anhaften; doch das ist nicht die einzige Funktion des Bildes, die sich
erst im Gebrauch erweist. Denn die Bedeutung wird den Gegenständen so zuge-
ordnet, als ob der Gegenstandsbezug unmittelbar empfunden wäre. Diese
Unmittelbarkeit stellt jedoch in Wirklichkeit eine Verkürzung des transzenden-
talen Horizontes auf die intuitive Erfahrung der Erkenntnis von Bildern dar, die
von einem Gebrauch abhängt, der die Bedeutung inhaltlich gestaltet. Wenn
man dagegen von dem der Gestalt unmittelbar zugeschriebenen Inhalt absieht
und somit nur die Gestalt ‚ohne Inhalt‘ für möglich hält, kann man dieselbe
Gestalt als Gestalt für eine andere Bedeutung ansehen und somit das Bild in
seiner zeichenhaften Natur erkennen – insofern haben Kant und vor allem
Hegel Recht, wenn sie die Bezeichnung nicht auf die Darstellung verkürzen, um
so die Tilgungsoperation hervorzuheben, die der zeichenhafte Gebrauch auf das
Bild ausüben kann und die den Weg zum Begriff eröffnet.
Ausgehend vom Bewusstsein dieses zeichenhaften Gebrauchs kann man
in Bildern eine Als-Ob-Struktur erkennen: Wir können Bilder als Symbole von
etwas erkennen, was nicht in der äußeren Wahrnehmung zu finden ist; und wir
bringen Bilder hervor, die wiederum nur als Symbole dienen. Während also der
zeichenhafte Gebrauch eines Bildes die Bestimmungsfunktion hat, übt der
symbolische Gebrauch eine Übertragungsfunktion aus. Der expressive Gebrauch
des Bildes hingegen betrifft ihren sinnlichen Charakter, den ich bereits in Bezug
auf die Fülle eingeführt habe.107 Diese drei Gebrauchsweisen des Bildes möchte
ich am Beispiel des Betrachtens von Gemälden erläutern – was jedoch nicht zu
dem Missverständnis verleiten soll, der Bild-Begriff würde damit auf den eines
Gemäldes zurückgeführt. Es soll vielmehr nur deshalb von einem Gemälde aus-
gegangen werden, um ‚das gleiche materielle Bild‘ als Betrachtungsobjekt mit
den Lesern gemeinsam zu haben.
Das Gemälde der Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist ein Kunst-Bild.
Als sinnliche Gestalt präformiert es potentiell die Operativität des Gebrauchs,
weil man durch ein Bild nicht zur direkten sinnlichen Darstellung eines ideellen
Begriffes gelangen kann. Diese Präformation ist also eine potentielle Bedingt-
heit der Darstellung und ist – gerade im Sinne des kantischen Schemas – die
Methode der Darstellung selbst. Im Gebrauch wird das Bild aktualisiert und
somit zum Medium der Darstellung selbst gemacht, sodass die Wahrnehmung
vom Bild eine bestimmte Konkretisation dieser Medialität ist.108 Im Gemälde

107 Der expressive Gebrauch ist in Bezug auf Kants Schematisierung ohne Begriff in
Kap. VI.2, in Bezug auf die Fülle als Eigenschaft des Bildes in Kap. II.1 dieses Teils
untersucht worden.
108 Der Konkretisations-Begriff geht auf die literarische Phänomenologie Roman
Ingardens zurück, der jede Auslegung des literarischen Werks als Konkretisation
324
  Schematismus als Versinnlichung

der Mona Lisa lassen sich die drei unterschiedlichen Gebräuche heuristisch
analysieren: zuerst kann der dargestellte Sachverhalt für ein Zeichen gehalten
werden; so werden die Linienzüge zum Erkennen des Darstellungsgegenstandes
genutzt, und zwar einer ‚Frau in einem bestimmten Alter, mit besonderen
Gesichtszügen, Kleidern, hinter der eine Landschaft abgebildet ist‘, usw. Außer
dieser bestimmenden Charakterisierung können im Gemälde sinnliche Merk-
male als Symbole für eine ideelle Bedeutung gehalten werden – in den ver-
schiedenen Auslegungen hat sich zum Beispiel eine eigene ‚Hermeneutik des
Lächelns der Mona Lisa‘ entwickelt, um zu verstehen, wofür dieser physiogno-
mische Ausdruck steht. Und schließlich kann man von diesen begrifflichen
Bedeutungen absehen und nur die anschaulichen Eigenschaften des Ölgemäldes
analysieren, in erster Linie ihre Fülle, Perspektive, das Verhältnis der Farben
usw. Alle diese Elemente können auf den ersten Blick als nicht-begrifflich auf-
gefasst werden, obwohl ihr Wahrnehmungsgehalt begrifflich klassifiziert wird.
Und trotzdem ist diese sinnliche Betrachtung vor der Klassifikation wichtig, um
zu bemerken, inwieweit beispielsweise der sinnliche Gebrauch der Farbe den
Begriff der Farbe selbst in der Kunst transformiert. So könnte man der Ansicht
sein, Leonardo habe den Begriff der Perspektive oder Caravaggio den Begriff des
Lichts in der Malerei transformiert, weil sie kraft der sinnlichen Expressivität
der Darstellung den Begriff zu einer neuen Bestimmung gebracht haben, sodass
zum Beispiel der Begriff des Lichts in der Kunst ohne die ästhetische Praxis von
Caravaggio heute schwer vorstellbar wäre.
Im Gemälde der Mona Lisa sind alle der genannten Gebrauchsweisen zu
finden; doch die Kopräsenz der Gebrauchsweisen ist keine notwendige Bedin-
gung für das Erfassen des Bildes. In der Farbfeldmalerei Rothkos etwa ist der
zeichenhafte Gebrauch sehr schwach ausgeprägt und nur an der Bezeichnung
von Feldern zu erkennen, während der expressive Gebrauch von Farben domi-
niert. In der realistischen Fotografie hingegen ist der zeichenhafte Gebrauch
sehr präsent.
Die drei transzendentalen Gebrauchsweisen sind auch im Fall von Figu-
ren wiederzufinden, die aus Linien bestehen. Die Linie ist ein gutes Beispiel für
die Relevanz der transzendentalen Unterscheidung zwischen Gestalt und
Gebrauch in den Figuren. Die Linie kann die Funktion der Abgrenzung von
Gegenständen ausüben. Sie dient zur Abgrenzung der kennzeichnenden Züge,
die den Gegenstand hervorbringen. Die Gestaltpsychologie hat gezeigt, inwie-
fern diese Abgrenzung eine ideelle und nicht immer eine faktische Wahrneh-

von schematischen Aspekten auffasst, in der bestimmte Aspekte aktualisiert wer-


den, die potentiell im Werk enthalten sind. Daher kann er das literarische Werk als
eine schematische Struktur von Aspekten bezeichnen. Vgl. Ingarden, LK, §62–64,
S. 343–370. Siehe dazu auch die Einleitung der vorliegenden Untersuchung.
325
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

mung ist, weil hier eine Interpretationspraxis im Spiel ist, die sie vervollständigt
und abrichtet. Die Konturen eines Schattens sind oft unscharf und werden
trotzdem als Linien eines Schattenrisses wahrgenommen. Die Techniken der
bildenden Kunst, die angewandt werden, um mit den Bestimmungslinien der
figurativen Darstellung zu spielen, sind vielfältig und ebenso die Kippbilder, die
unserer Wahrnehmung den täuschenden Charakter unseres Vertrauens zur
Linie vor Augen führen. Die Konstruktion einer Figur basiert auf der Linie, die
nämlich figurativ ist – weshalb Kant zu Recht anmerkt, dass wir „keine Linie
denken können, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.109
Mit der Konstruktion wird die Linie zeichenhaft verwendet. Wenn zum
Beispiel eine gerade Linie nicht geometrisch konstruiert oder handgezeichnet
ist, ist sie dem Bild ähnlicher als der Figur. Die Verwendung der Linie im Gemäl-
de etwa ist nicht ausschließlich auf die Konstruktion ausgerichtet, sondern kann
auch die materielle Eigenschaft und ästhetische Qualität ihres Zuges unter-
streichen. Die Linie kann auch für symbolisch gehalten werden; für Kant ist sie
die analogische Darstellung der Zeit schlechthin. Die Bedeutung der Linie ent-
stammt – wie im Fall des Bildes – also einerseits ihrer sinnlichen Bedingtheit
und andererseits ihrem Gebrauch. Beide sind eng verbunden und nur heuris-
tisch voneinander zu trennen, um die unterschiedlichen möglichen Gebrauchs-
weisen der Linie zu begreifen – sodass zum Beispiel eine Linie ein Symbol für
bestimmte Begriffe und nicht für andere ist.
Die Linie kann dabei für die Konstruktion von Figuren, Diagrammen
und Schriftzeichen verwendet werden. Wenn hingegen eine konstruierte Figur
als Symbol verstanden wird, ist sie dem Bild ähnlicher. Insbesondere das Dia-
gramm kann also das Resultat unterschiedlicher Synthesis-Prozesse sein: die
Synthesis zwischen hybrider Figur und Konstruktion führt zu neuem Wissen,
die Synthesis zwischen hybrider Figur und symbolischem Gebrauch zur bild-
lichen Darstellung komplexerer diskursiver Verhältnisse, während die Synthe-
sis zwischen hybrider Figur und expressivem Gebrauch die Auflösung des Dia-
gramms in das Bild anzeigt. Eines ist sicher: Trotz seiner kognitiven Leistung
erreicht das Diagramm nicht die Ebene der diskursiven Kristallisation, auf der
sich der Begriff durch die lautliche Versinnlichung realisiert. Im zeichenhaften
Gebrauch wird die Dichte des Bildes aufgehoben, das als bloße Figur zur Bestim-
mungsgestalt der Konstruktion dienen kann. Die Konstruktion der Schriftzei-
chen kann aber im diskursiven Denken die vollkommene Entsprechung von
Anschauung und Begriff nicht erreichen. So ist die diskursive Bestimmung von
Bedeutung grundsätzlich von der mathematischen Konstruktion zu unterschei-
den, in der Zeichen als Symbole gelten.

109 Kant, KrV, B 154.


326
  Schematismus als Versinnlichung

Der zeichenhafte und der symbolische Gebrauch haben im Wortlaut


keinen sinnlich erkennbaren Unterschied: Durch einen Wortlaut lässt sich
sowohl ‚Spiegel‘ als auch ‚Seele‘ versinnlichen, und nur wenn diese Wortlaute
in einem Urteil verwendet werden, kann ihr Gebrauch bestimmt werden. Die
Urteile ‚der Spiegel ist rund‘ und ‚die Augen sind der Spiegel der Seele‘ kenn-
zeichnen zwei unterschiedliche Gebrauchsweisen desselben Wortes: im einen
Fall wird der Spiegel zeichenhaft, im anderen symbolisch für die Versinn-
lichung der Bedeutung von ‚Seele‘ gebraucht. Während das Wort allein uns
nicht direkt mit dieser Unterscheidung konfrontiert – weshalb wir uns oft in der
Verwendung von Wörtern ihres Gebrauchs nicht bewusst sind – ist der Unter-
schied zwischen diesen zwei Versinnlichungen im Bild sofort ersichtlich: Das
Wort ‚Spiegel‘ lässt sich unter ein zeichenhaftes Bild bringen, das Wort ‚Seele‘
dagegen nur unter ein symbolisches Bild. Und so ist der Gebrauch eine Inter-
pretationspraxis im weitesten Sinn, die auch nicht-linguistische Zeichen und
Symbole betrifft.110
Im Bild wie im Urteil spielt der Kontext eine grundlegende Rolle, wes-
halb wir im Gemälde Der falsche Spiegel von Magritte sofort merken, dass das
Auge symbolisch gebraucht werden kann und soll. Auch wenn auf syntakti-
scher Ebene dieser Unterschied auch lautlich durch bestimmte metaphorische
Konnektoren wie ‚als ob‘ oder ‚wie‘ erkennbar sein kann, ist die Unterscheidung
zwischen Begriffen und Ideen im Gebrauch der Urteile zu erweisen – indem der
symbolische Gebrauch eine Analogie impliziert, die kein Bestimmungsurteil
sein kann. Aus dieser Perspektive wird die Urteilskraft Kants von der Gegeben-
heit der Begriffe emanzipiert und dagegen ihr primär genetischer Charakter
hervorgehoben. Denn die Gegebenheit ist nur im Sinne des etablierten Gebrauchs
der Begrifflichkeit möglich und betrifft nicht die Begriffe selbst, sondern ihren
Gebrauch – wie auch Josef Simon bemerkt: „Der Begriff ist in jedem Fall einge-
bettet in ein besonderes Zeichengeschehen als eine besondere Geschichte“.111
Die Tatsache, dass auf lexikalischer Ebene intuitiv keine Unterscheidung
zu fassen ist, deutet gerade auf die Funktion des Wortlautes hin, der den zei-
chenhaften Gebrauch schlechthin versinnlicht. Hierbei wird die Unmittelbar-
keit der visuellen Realität des Denkens getilgt, in dem auch diejenigen Gegen-
stände versinnlicht sind, die nicht visualisiert werden können. In der lautlichen
Synthesis realisiert sich das diskursive Denken und somit die Sprache, die abs-
trakt operieren kann. Diese Abstraktheit bedeutet hingegen nicht, dass das
Denken nicht sinnlich ist; es wird lautlich versinnlicht, d.h. vom Laut bedingt,

110 Poser schreibt (1992, S. 164): „[…] Zeichen sind nicht fixierte Designatoren, son-
dern durch Interpretationsregeln charakterisiert […]“.Vgl. Abel 1993, S. 439.
111 Simon 1989, S. 67.
327
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

womit das Denken letztlich kraft der lautlichen Gestalt ein Reden mit sich selbst
und mit anderen sein kann.
Durch die lautliche Versinnlichung erfolgt diejenige Kristallisation der
Begrifflichkeit, die ich in Bezug auf die drei Arten der Begriffe,112 die das
Schematismus-Kapitel gliedern, bereits behandelt habe. Empirische, rein sinn-
liche und reine Begriffe entsprechen kraft der lautlichen Versinnlichung der
gleichen Gestalt, und zwar dem Wortlaut. Ihre Unterschiede entfalten sich erst
im Gebrauch. Erst im Urteilen kommt die lautliche Gestalt für Kant zur Prädi-
kation der Bedeutungserfahrung und zur Begriffsbildung. Besonders die phi-
losophische Begrifflichkeit lässt sich nicht von der Dimension der Sprache ablö-
sen. Dieser Aspekt wird schon von Kant mit Blick auf die Verbindung zwischen
Zeit, Laut und Begriff erwähnt und dann in seiner Nachfolge hervorgehoben, in
der die Schematisierung zum transzendentalen Prozess der im weitesten Sinne
sprachlichen Bildung der Begriffe umgestaltet wird. Die Sprache ist hier ins-
besondere als energischer Charakter der Schematisierung angesehen worden,
als seine versinnlichende Kraft, durch die er sich bis zur symbolischen Dimen-
sion erweitert, ohne damit die Begriffe selbst als Symbole zu behandeln. Im
Gegenteil eröffnet sich im Schematismus ein sprachlicher Raum, in dem kein
Platz für Freges ‚drittes Reich‘ reiner Bedeutungen ist. Und trotzdem erfolgt in
diesem Raum diejenige Überwindung der Einzelsprachlichkeit, durch welche –
für Coseriu in einer Radikalisierung des kantischen Ansatzes durch Hegel – die
Sprache zur Objektivität und Abstraktion gelangen kann.113
Außer dem zeichenhaften oder symbolischen Gebrauch umfasst die
lautliche Versinnlichung ohne Zweifel auch einen expressiven Gebrauch. Wie
im Fall der figürlichen Konstruktion von der Dichte oder Fülle des Bildes abs-
trahiert wird, so kann von der lautlichen Resonanz dann abgesehen werden,
wenn es allein um die begriffliche Bestimmung geht. Davon wird hingegen in
Sprache, Dichtung und Musik nicht abgesehen, die vom expressiven Gebrauch
des Lautes leben.
Nur im Gebrauch realisiert sich die Begrifflichkeit, die als Zeichen oder
als Symbol verwendet werden kann. Kant hat nicht nur gesehen, dass nicht alle
Zeichen Symbole sind, sondern ebenfalls, dass die urteilsmäßige Dimension des
Gebrauchs sowohl den Schemata als auch den Symbolen zuzuschreiben ist, die
jeweils in der bestimmenden und in der reflektierenden Urteilskraft zur Dar-
stellung gelangen und somit das ganze Denken versinnlichen. Kants Unter-
scheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstellung ist im Sinne
einer methodisch-modalen Unterscheidung zwischen einer bestimmenden und
einer metaphorischen Verwendung der Begrifflichkeit zu verstehen, die sich

112 Siehe dazu Kap. V des ersten Teils.


113 Siehe dazu Kap. V.3 des zweiten Teils.
328
  Schematismus als Versinnlichung

beide derselben Sprache bedienen und trotzdem in unterschiedlichen modalen


Bereichen des Denkens bewegen.
Die transzendentalen Gebrauchsweisen können zudem hinsichtlich ihres
modalen Charakters unterschieden werden. In der kantischen Erkenntnistheo-
rie erweist sich die Modalität somit als konstitutiv für die Unterscheidung zwi-
schen Erkenntnis, Denken und Gefühl, in denen sich ihm zufolge drei unter-
schiedliche Versinnlichungen realisieren. Gerade weil sie in der Versinnlichung
vermischt sind, erfolgt ihre analytische Trennung nicht auf der Ebene der Rela-
tion, sondern der Modalität, die auch für Kant quer zu den übrigen Kategorien
liegt. Dies geschieht im Horizont der kritischen Unterscheidung Kants zwi-
schen einem rein möglichen und einem solchen möglichen Denken, das als
wirklich bewiesen werden kann. Rein möglich ist für Kant ein Denken, das rein
subjektiv bleibt und keines empirischen Beweises fähig ist. Es wird nie zur
Erkenntnis im engeren Sinne. Das Denken hat daher einen größeren Umfang
als die Erkenntnis. Es kann nämlich rein subjektiv, privat oder analogisch sein
und muss nicht den Kriterien der Erkenntnis genügen. Die Bedeutungserfah-
rung kann also anhand des Schematismus heuristisch analysiert werden, um so
nicht nur eine Theorie der Medialität, sondern eine Kritik der Medialität zu
entwerfen, in der die Verbindung zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen
modal verknüpft wird. Ohne diese modal geprägte Kritik wäre es nicht möglich,
den konventionalen vom kreativen Gebrauch jeder Versinnlichungsgestalt zu
unterscheiden.114
Diese Struktur des Schematismus kann als ein potentiell genetischer
Prozess der Artikulation von Begrifflichkeit zwischen Bild, Figur und Wortlaut
im Gebrauch gedeutet werden. Es handelt sich dabei um Transformationen der
unterschiedlichen Gestaltungen – etwa die Transformation von einem Bild in
ein Schriftzeichen, von diskursiven Bestimmungen in Diagramme, von Pikto-
grammen in lautliche Bestimmungen usw., die ich hier nicht im Detail behan-
deln kann. Wie Humboldt anmerkt, ist die Hieroglyphe keine feste gestalteri-
sche Bestimmung des Denkens, sondern eine interne Dimension der Sprache:
Die Weltansicht lässt sich deshalb nicht auf die Figur reduzieren, weil sie primär

114 Insofern lässt sich diese Interpretation durchaus mit Cassirers Auffassung der
symbolischen Formen vergleichen (Cassirer, ECW, 11, S. 40): „Die Symbolischen
Zeichen aber, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten,
‚sind‘ nicht zuerst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeu-
tung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung.
Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf. Hier ist das
Bewußtsein, um das Ganze im Einzelnen zu erfassen, nicht mehr auf die Anregung
des Einzelnen selbst, das als solches gegeben sein muss, angewiesen, sondern hier
erschafft es sich selbst bestimmte konkret-sinnliche Inhalte als Ausdruck für
bestimmte Bedeutungskomplexe“.
329
  II. Schematismus als modale Versinnlichung

eine Dimension des Gebrauchs zur Schau stellt, der sich abbildend, zeichenhaft
und symbolisch in der Sprache artikulieren kann.
Der Schematismus als Versinnlichung ermöglicht die Gestaltung von
Bedeutung, in der nur heuristisch zwischen Gestalten und deren jeweiligem
Gebrauch unterschieden werden kann. Der Schematismus ist somit ein regel-
förmiges Bestimmungsverfahren, das sich für die Hervorbringung neuer Bedeu-
tungen symbolischer Prozesse, für die Erkenntnis aber empirischer Beweise
und sinnlicher Konstruktionen bedient. Für den diskursiven Zugang zur
Begrifflichkeit und insbesondere der reinen Begrifflichkeit der Wissenschaften,
der Fachsprachen und der Philosophie hingegen bedient es sich der Sprache.
S chlusswort und Ausblick

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Schematismuslehre Kants als
transzendentale Theorie der Bedeutung aufzuzeigen. Die Verwendung des
Schema-Begriffs sollte hervorgehoben und dabei zugleich abgegrenzt werden
von den anderen Verwendungen dieses Begriffs in der Philosophiegeschichte,
welche in einigen Fällen zwar dessen Vermittlungsfunktion erkennen, sie jedoch
nicht mit der transzendentalphilosophischen Bestimmung dieses Prozesses in
Verbindung bringen, was sich hingegen als unerlässlich erwiesen hat, wenn im
Schematismus die Bedingung der Bedeutungsgebung gesehen werden soll.
Drei zentrale Überlegungen haben zu dieser Schlussfolgerung geführt.
Zuerst wurde die Schematismuslehre Kants als Bedingung der Entstehung von
Bedeutung untersucht. Hierbei wurde insbesondere Kants Darstellungstheorie
in Betracht gezogen, die sich als schematisch, symbolisch und schematisch
‚ohne Begriff‘ entfaltet und vom Bezeichnungsvermögen unterschieden wird.
Ziel dieses Abschnittes war es, die Bestimmungsfunktion mit symbolischen
und rein expressiven Prozessen in Verbindung zu bringen, womit gleichzeitig
die transzendentale Funktion eines zeichenhaften Prozesses für die Entstehung
der Bedeutung aufgezeigt wurde. Die Verbindung zwischen schematischen und
symbolischen Prozessen sowie die gestalterische Funktion der Sprache und der
Sinnlichkeit wurden in der Nachfolge Kants zu Themen der Revision seiner
Sprach- und Erkenntnistheorie; das zu zeigen war das zweite Hauptanliegen der
Arbeit. Trotz der Hervorhebung der unterschiedlichen Interessen der behandelten
Autoren habe ich sie als ein Prisma der Umgestaltung der Schematismuslehre
Kants in dem Versuch gelesen, die interne Spannung zwischen Schemata und
Schematismus in die Richtung des Verhältnisses von Gestalten und ihren Ge­
brauchsweisen sowie der Hervorhebung der transzendentalen Gestaltungsfunk-
tion der Sinnlichkeit zu verschieben. Dieser Aspekt steht im Zentrum des dritten
Abschnitts der Arbeit, in dem ich die Versinnlichung vom Embodiment abgren-
ze und meinen eigenen Ansatz des Schematismus als Versinnlichung erkläre.
332
  Schlusswort und Ausblick

Auf diesem Weg konnte gezeigt werden, dass die Bedeutung im Schema-
tismus in zweierlei Hinsicht zur Gestaltung kommt: als Gestalten sind die
Schemata einerseits die sinnlichen Vermittlungsformen der Bedeutung, als
Gestaltung anderseits ist der Schematismus der Gebrauch dieser sinnlichen
Gestalten. Der Schematismus erscheint somit insgesamt als Versinnlichung, die
einerseits die Gestalten (Bild, Figur und Wortlaut) sowie anderseits ihre trans-
zendentalen Gebrauchsweisen (zeichenhaft, symbolisch und expressiv) umfasst.
Die Gestalten sind nur in ihrer Anschaulichkeit potentielle Formen der Bedeu-
tung, die in der Aktualisierung der Gebrauchs- und Interpretationspraktiken
zur Erfassung gelangen. Die Bedeutung ist somit eine Synthesis zwischen
Gestalten und Gebrauchsweisen.
Mit der so verstandenen Theorie der Versinnlichung geht eine Kritik der
Medialität einher, d.h. eine Kritik der unterschiedlichen Modalitäten, durch
welche die Bedeutungserfahrung sich realisiert. Die Bedeutung erscheint durch
die sinnlichen Modalitäten im empirischen Gebrauch: Kraft des sinnlichen Cha-
rakters dieser Vermittler ist es möglich, den Gebrauch zu hinterfragen, der von
den Modalitäten gemacht wird. Dass die Bedeutung erfasst wird, sollte kein
Grund sein, nicht über ihre eigene Strukturierung nachzudenken, die im
Gegenteil ein Reservoir von gestalterischen Möglichkeiten bietet, welche die
Form unserer Bedeutungsgebung ändern können. Diese Versinnlichungslehre
bezieht somit die Bedeutung nicht primär auf den Gegenstand der Darstellung,
sondern auf die Gestaltung selbst. Es geht dabei nicht um die Erfassung des
Gegenstandes der Darstellung, sondern um die Modalität der Darstellung. Die-
ser Aspekt wird oft ausgeblendet, als ob Erkenntnis und Denken primär auf die
inhaltliche Erfassung der Gegenstände unserer Versinnlichung gerichtet seien;
im Gegenteil ist die Versinnlichung selbst konstitutiv für unsere Bedeutungs-
erfahrung. Wir erleben alltäglich, dass die Modalität unserer Versinnlichung
ein wesentlicher Teil unserer Bedeutungserfahrung ist. In einem Streit finden
wir oft nicht dessen Gegenstand selbst, sondern die Art und Weise, wie sich die
andere Person uns gegenüber verhält, störend; in der Kunst lassen wir uns von
der ‚Art‘ überzeugen, wie auch bereits lang bekannte, universelle Themen ver-
sinnlicht werden; und viele der Begegnungen mit Menschen anderer Kultur-
kreise hinterlassen in uns den Eindruck, dass wir den Gegenstand ihrer Rede
vielleicht erfasst haben, die Denkweise der anderen Kultur hingegen noch nicht
– ein Prozess, der mit Humboldt auch auf die Denkstile und Charaktere der
Sprache bezogen werden kann. Die Semantik ist daher nicht nur inhaltlicher,
sondern auch modaler Natur: Bedeutung hängt nicht nur vom Gehalt, sondern
von den Modalitäten ihrer Versinnlichung ab. Diesen Aspekt der Bedeutung
hat die vorliegende Arbeit gezielt beleuchtet, ohne dabei jedoch auf der Ebene
einer empirischen Beschreibung der genannten Phänomene stehen zu bleiben.
Sie hat dabei die transzendentale Strukturierung dieser Versinnlichung her­
333
  Schlusswort und Ausblick

vorgehoben, ohne dabei die Unbestimmtheit der empirischen Erfahrung zu


leugnen.
Eine Kritik der Medialität kann insofern als das systematische Ergebnis
dieser Untersuchung angesehen werden, weshalb abschließend auf mögliche
Anwendungsfelder hingewiesen werden soll, welche die kritische Stoßrichtung
veranschaulichen und zugleich als Ausblick auf verbleibende Probleme einer
Theorie der Versinnlichung dienen können.
Ein Anwendungsfeld der Versinnlichungstheorie besteht in der im wei-
testen Sinne pädagogische Methodik, da mit ihr die Vermittlung von Bildern,
Figuren und Wortlauten in Bezug auf die Konstruktion, die Darstellung und
den Ausdruck von Wissen, diskursiven Begriffen und Gefühlen angesprochen
ist. So ließe sich etwa an eine ausgleichende Verwendung rein diskursiver Dar-
stellungsformen in Anbetracht des Übergewichts der Bilder und Diagramme im
Rahmen der Wissensvermittlung denken. Gerade weil Bilder nicht alle diskur-
siven Sachverhalte zur Darstellung bringen können, ist es wichtig, nicht den
Eindruck zu erwecken, Bilder stünden für die Realität unseres Denkens.1 Im
Gegenteil kann die Abstraktionsfähigkeit der Sprache gerade als kritische Ein-
stellung zum vermeintlich gegeben Charakter der Realität und als gestalteri-
sches Medium der intersubjektiven Kommunikation hervorgehoben werden,
ohne dabei zu vergessen, dass von jeder sinnlichen Gestalt unterschiedlich
Gebrauch gemacht werden kann. Im pädagogischen Rahmen sollte also die Gren-
ze zwischen Figurativem und Diskursivem gewahrt bleiben, was nicht bedeutet,
dass auf die Verwendung von figurativen Schemata ganz zu verzichten wäre.
Die Aufmerksamkeit sollte jedoch auf der Frage liegen, inwieweit Schemata
Organisations- und Versinnlichungsstrukturen sind, die sowohl Bestimmungs-
formen als auch analogische Übertragungen ermöglichen, weshalb wir schon
als Kinder erfahren können, dass unsere Versinnlichung ein Prozess des Ler-
nens, der Revision und der Erweiterung von Bedeutung ist. Durch eine Kritik
der Medialität gelangt man meines Erachtens auch zur Bestimmungen der für
die Konstruktion von Wissen und Modellen geeigneten sinnlichen Prozesse und
Modalitäten.2

1 Dazu siehe Brandt, 2008, S. 35f.: „Das optisch Wahrnehmbare sagt für sich gar nichts,
wenn es nicht mithilfe vorhergehender Gedanken und Erkenntnisse erkannt wird. […]
Die Kompetenz der Bilder wird zu Lasten der Begriffe und der sprachlichen Erkenntnis
überschätzt. In den Schulen führen sie, wenn die begriffliche Arbeit nicht auf das Bilder-
begucken folgt, zur Infantilisierung, wie der Markt es sich wünscht. Bilder haben rheto-
rische Funktionen, sie sollen den Käufer hin zum Kauf der Ware führen, Bilder sind
suggestiv, sie machen uns glauben, wir hätten irgend etwas erkannt“.
2 Zur Anwendung der Schemata im Sinne des problem solving siehe die ausführliche Unter-
suchung von Marshall (1995), die den Schema-Begriff Kants insbesondere mit den psy-
chologischen Studien von Bartlett und Piaget vergleicht und auf die Konstruktion von
Modellen und Diagrammen bezieht. Siehe dazu auch Desideri 2016.
334
  Schlusswort und Ausblick

Die Kritik der Medialität – die unter Rückgriff auf Peirce und Dewey
systematisch zu vertiefen wäre – kann außerdem auf die Kunst bezogen werden,
um in ihr die Modalitäten des sinnlichen Ausdrucks zu unterscheiden und zu
analysieren. Diese heuristische Untersuchung der Modalitäten der künstleri-
schen Handlung sollte nicht nur als eine bloße Zergliederung ihrer Elemente,
sondern als Möglichkeit zur Potenzierung der Versinnlichungsmodalitäten und
-prozesse aufgefasst werden, zu denen die Kunst freien Zugang hat. Somit
könnte die Versinnlichungsaufgabe der Kunst erneut unterstrichen werden,
wenn diese in der Darstellung die Bedeutung selbst transformiert und neu
erzeugt und somit wiederum als Beispiel für die Wahrnehmung dienen kann.
Der exemplarische Charakter des Kunstwerks richtet sich dabei nicht primär auf
die Bedeutung als Gegenstand, sondern auf seine Versinnlichungskraft.3
Eine dritte und letzte Anwendung der Versinnlichungslehre, die ich
andeuten möchte, besteht in der Möglichkeit, eine systematische Untersuchung
von Entwurfsprozessen vorzunehmen, die aus mehreren Medien bestehen. Der
architektonische Entwurfsprozess ist dafür paradigmatisch. Die Anwendung
von Diagrammen in der Architektur ist zum Beispiel ein Mittel, um durch
figürliche Visualisierung einen Entwurf zu schaffen, der als ‚Schema‘ des Werks
fungiert. Es ist hier nicht möglich, die etablierte Verwendung des Diagramm-
Begriffs in der Architektur näher zu untersuchen, die nicht unumstritten ist.
Die Versinnlichungslehre bietet die Möglichkeit, den konstruktionalen Cha-
rakter des Diagramms zu untersuchen, um dabei diejenigen Aspekte hervor-
zuheben, die empirisch prüfbar und mathematisierbar sind und im Diagramm
zur Bestimmung gelangen können, gleichzeitig jedoch auch Aspekte auszuma-
chen, die sich dieser Diagrammatisierung entziehen – wie etwa diskursive, his-
torische oder rein subjektive Wahrnehmungen, die gegebenenfalls anderer Ver-
sinnlichungsmodalitäten des Entwerfens wie etwa einer literarischen oder rein
expressiven Gestaltung bedürfen.
Dies sind lediglich drei denkbare Anwendungen einer Kritik der Media-
lität, deren Kern die transzendentale Umgestaltung der Schematismuslehre Kants
darstellt. Als transzendentale erhebt sie den Anspruch, in der Untersuchung der
verschiedenen Versinnlichungsmodalitäten und -prozesse nicht reduktionis-
tisch zu verfahren. Wenn sie als Versinnlichung bestimmt wird, soll dies gerade
nicht heißen, sie erschöpfe sich in einer empirischen Synthesis. Die Versinn-
lichung ist transzendentale Bedingung der Verkörperung und als solche Grund-
lage des ästhetischen Experimentierens wie auch der semantischen Fülle.

3 In diese Richtung kann auch der Versuch von Boehm verstanden werden, der die Lesart
von Bildern als reine ‚Linearität‘ in Frage stellt – als einer Lesart, die nur bestimmende
und keine symbolischen oder rein expressiven Aspekte des Linienzugs und des Bildes
aktualisiert (Boehm 1988, S. 67).
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P ersonenregister

Abel, Günter 7, 14, 168, 282, 287, 319f., Brandi, Cesare 22, 135, 317–319
326 Brandt, Reinhard  55, 176, 333
Achermann, Eric 208f. Bredekamp, Horst  4, 21, 312
Adickes, Erich 48, 132, 146f. Butts, Robert E.  22, 86, 92, 117
Adler, Hans 128, 215, 217, 221, 227, 231, Buzaglo, Meir  193
235, 244 Capozzi, Mirella  22, 28, 38, 47, 69, 91,
Adorno, Theodor W. 33 97f., 124, 130, 168, 170, 250
Albano Leoni, Federico 72 Caravaggio  324
Allison, Henry E. 70, 93, 112, 140 Casewitz, Michel  3
Ameriks, Karl 22, 58 Cassirer, Ernst  21f., 27, 31, 49, 87, 93, 99,
Aportone, Anselmo 22, 38, 142, 146 114, 148, 181, 184, 188, 191, 197, 205f.,
Arens, Katherine 217 214, 239, 247f., 252, 290f., 328
Aristoteles 2, 39, 70, 99, 136, 142, 181, Catoni, Maria Luisa  3f., 4, 21, 312
258, 276, 305 Chiodi, Pietro  22, 67, 74, 78
Asmuth, Christoph 272, 319 Chipman, Lauchlan  22, 102
Atlas, Samuel 195, 198, 201 Coseriu, Eugenio  248, 277, 327
Auerbach, Erich 4 Dascal, Marcelo  109
Bahr, Petra 29 Davidson, Donald 6–8
Battaglia, Fiorella 55 Deleuze, Gilles 40, 165, 188
Bayer, Oswald 23 De Mauro, Tullio 170
Becker, Ferdinand 246 Desideri, Fabrizio 2, 284, 333
Becker, Ralf 156 Di Cesare, Donatella 23, 171, 249, 255,
Beiser, Frederick C. 183, 198 258–260, 262
Bennett, Jonathan 22, 74, 86, 90, 104f. Dow Magnus, Kathleen 274
Bertinetto, Alessandro 272 Düsing, Klaus 22, 74, 99, 136
Bertram, Georg W. 23, 218, 224, 242 Eco, Umberto 1, 6, 22, 48f., 88, 104f.,
Betz, John R. 209 108f., 111, 113f., 126, 133, 135, 282
Bloch, Ernst 197 Ehrensperger, Florian 198
Boehm, Gottfried 313f., 316, 334 Ehrlich, Avraham 198
Böhme, Gernot 111 Ehrsam, Raphaël 112, 127
Bondeli, Martin 206 Engstler, Achim 183, 188
Bondì, Antonino 290 Erdmann, Benno 65
Borsche, Tilman 23, 213, 219, 224, 228, Eschbach, Achim 276
239, 243, 252, 255 Eschbach-Szabo, Viktoria 276
Borutti, Silvana 3, 143 Esser, Andrea Marlen 165
348
  Personenregister

Ferron, Isabella 252, 262 Humboldt, Wilhelm von 14–16, 18–20, 22,
Fichte, Johann Gottlieb 2, 40, 141, 182f., 79, 81, 115f., 132, 134, 175, 181, 184,
188, 228, 246f., 272 186, 203, 236, 244–263, 268, 273–276,
Flach, Werner 36, 108 288, 290, 295, 316–318, 328, 332
Forgione, Luca 107, 113, 170 Husserl, Edmund 4f., 99, 208, 290
Formigari, Lia 22f., 170, 234, 238, 308 Ingarden, Roman 2, 4f., 90, 92, 323f.
Forster, Michael N. 23, 170, 211, 213, 218, Jacobi, Friedrich Heinrich 39, 164, 182, 210
230, 237f., 242f., 263, 275 Jacobs, Noah Jonathan 193, 195
Fortuna, Sara 22, 108, 116, 163, 168f., 175, Jäger, Ludwig 318
224, 235f., 239, 283 Johnson, Mark 2, 20, 24, 234, 244, 284,
Freudenthal, Gideon 188 296, 299–307, 312
Gaier, Ulrich 23, 210, 214, 216f., 217, 226, Jung, Tobias 5
231, 234, 239 Kauferstein, Christian 193, 197
Garroni, Emilio 22, 113, 129, 162 Kaulbach, Friedrich 22, 34, 79f., 114, 137,
Gasché, Rodolphe 24, 61, 88, 158 158
Gasperoni, Lidia 90, 191–193 Kim, Dae Kweon 235f.
Gessinger, Joachim 23, 235f., 269, 276 Krämer, Sybille 86, 118, 120–122, 287, 310,
Gibbons, Sarah L. 22, 57, 74, 77, 114 315f.
Ginsborg, Hannah 110 Krois, John Michael 135, 290f., 315
Goethe, Johann Wolfgang von 245, 290f. Kuße, Holger 255, 262
Goodman, Nelson 312, 316 Lakoff, George 2, 20, 24, 159, 184, 234,
Grüne, Stephanie 22, 114, 141 244, 257, 284, 296, 299–303, 307, 312
Guyer, Paul 22, 48, 64, 103, 142 Lallot, Jean 3
Haag, Johannes 22, 64, 74, 103, 106, Lamacchia, Ada 22, 130, 133, 135f., 148, 154
113–116, 141 Lambert, Johann Heinrich 29
Hamann, Johann Georg 15, 18f., 39, 42, La Rocca, Claudio 47, 53, 106, 111, 141, 149,
65, 116, 131f., 170, 183f., 206–214, 218, 166, 175
256, 258, 263 Leibniz, Gottfried Wilhelm 39, 47f., 71, 98,
Hanna, Robert 22, 82, 84 130, 136, 157, 191, 195–197, 201, 220f.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 15f., Leiner, Yann Philipp 235, 242–244
18–20, 40, 132, 148, 175, 184–186, 203, Lenk, Hans 1, 5, 29, 150, 241, 269
236f., 243f., 249, 262–278, 282, 288, Leonardo da Vinci 323f.
294, 300 316–318, 323, 327 Longuenesse, Béatrice 22, 67, 74, 89, 95,
Heidegger, Martin 14, 21, 27, 59, 74f., 87, 130, 275
93, 107, 113, 141, 148, 289 Lo Piparo, Franco 276
Heidemann, Dietmar 22, 83 Magritte, René 326
Heinz, Marion 220, 225 Maimon, Salomon 15, 18f., 22, 40f., 62,
Hepfer, Karl 64, 74 112f., 142, 147f., 159, 162, 183, 187–207,
Herder, Johann Gottfried 1, 15f., 18–20, 211, 213, 228, 231, 240, 249, 260, 263,
22f., 39–42, 62, 65f., 83, 113, 116, 132, 282, 307
142, 147f., 158f., 162, 182, 184f., 206, Majetschak, Stefan 212
212–245, 247–249, 257f., 264, 267–270, Makkreel, Rudolf A. 22, 87, 96, 101, 112,
272, 276, 285, 287–292, 295f., 300, 307, 131, 133f., 159f., 163, 168, 283
317 Makowiak, Alexandra 79, 134
Hermann, Theo 1, 5, 20 Maly, Sebastian 157, 161
Herz, Andreas 242 Manco, Francesca 154
Herz, Marcus 187–189, 195 Marconi, Diego 6, 85f.
Hilmer, Brigitte 215, 224f., 258 Marshall, Sandra P. 1, 333
Hogrebe, Wolfram 12f., 22, 30, 90, 92, Maurer, Michael 224, 236f.
129, 141, 171, 195, 311 McCumber, John 265, 275
Hohenegger, Hansmichael 113 McDowell, John 7, 56, 82f., 299
Hoyos, Luis Eduardo 197f. Meier-Oeser, Stephan 160
349
  Personenregister

Meinhold, Peter 211 Scaravelli, Luigi 72


Meo, Oscar 132, 157 Schaper, Eva 127
Merleau-Ponty, Maurice 72, 244, 295–299, Schechter, Oded 198
312 Scheider, Helmut 238
Metz, Wilhelm 184 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 122,
Mörchen, Hermann 22, 73f., 76f., 118, 148 182
Moiso, Francesco 197 Schmidt-Burkhardt, Astrit 316
Nawrath, Thomas 154, 170 Schönrich, Gerhard 22, 171
Nietzsche, Friedrich 161, 259 Schulthess, Peter 145f.
Noë, Alva 151, 298f. Senderowitcz, Yaron 109
Nuzzo, Angelica 24, 48, 56f., 215, 231, Sgarbi, Marco 98, 145
265, 300 Shell, Susan Meld 24, 57
Obergfell, Frank 4, 22, 92, 99, 110, 117 Siemek, Marek 272
Oschmann, Dirk 24, 60f., 285, 287 Simon, Josef 12, 22f., 38, 105–107, 115,
Otto, Stephan 46, 60, 77, 107, 113, 164 208, 210f., 250, 263, 265, 274, 277, 326
Paci, Enzo 74, 148 Simon, Ralf 23, 215f., 224–226, 228, 233
Paltrinieri, Gian Luigi 171 Stegmaier, Werner 1f., 7, 20, 310
Paton, Herbert J. 133 Steinby, Liisa 230f., 240
Pendlebury, Michael 37 Stetter, Christian 23, 233, 245, 248, 254,
Pénisson, Pierre 238f., 243 257, 260, 314–317
Peruzzi, Alberto 34 Sturm, Thomas 66
Petitot, Jean 290 Strawson, Peter Frederik 64, 282
Pikler, Julius 291 Svare, Helge 24, 48, 55f., 117, 300
Pippin, Robert B. 22, 90, 102f., 105f., 142, Tani, Ilaria 235, 238
145 Taylor, Charles 217
Plessner, Helmuth 20, 66, 72, 244, 259, 284, Tonelli, Giorgio 98
289–299, 308, 311f., 314 Trabant, Jürgen 8, 23, 182, 225, 232, 234,
Poser, Hans 326 236, 245, 252–255, 257, 261, 268, 273f.
Posner, Roland 320 Vaihinger, Hans 39f., 53, 200
Pozzo, Riccardo 129, 171 Verra, Valerio 193
Prauss, Gerold 54, 257 Villers, Jürgen 22, 42, 98, 170, 209
Quillien, Jean 185 Vorderobermeier, Konrad 141
Quine, Willard van Orman 7, 211 Wagner, Astrid 108, 164, 166
Reinhold, Carl Leonhard 39, 182, 187, 246 Warnock, Geoffrey J. 102, 107
Riedel, Manfred 22, 140, 161, 176 Weishoff, Axel 210
Rolf, Eckard 157, 161, 171f., 203, 322 Wittgenstein, Ludwig 11, 90, 105, 109,
Roscher, Rainhard 252 163, 310, 321f.
Rothko, Mark 315, 324 Wunsch, Matthias 48, 74, 77, 96
Rumerlhart, David 5, 304 Yakira, Elhanan 197
Russo, Marco 296 Zammito, John H. 58, 242f.
Salvucci, Pasquale 148 Zeuch, Ulrike 235, 239, 242
Sánchez Léon Serrano, José Maria de 274 Ziglioli, Lucia 276
Sandkaulen, Birgit 263
Actus
et I mago

Berliner Schriften für Bildaktforschung


und Verkörperungsphilosophie

Herausgegeben von Horst Bredekamp und Jürgen Trabant

Bilder sind keine Abbilder, sondern erzeugen im Bildakt, was sie darstellen. Sie
verfügen über eine handlungsstiftende Kraft und wirken selbst lebendig. Bild-
kompetenz lässt sich keineswegs ausschließlich aus der traditionell überbewer-
teten Visualität des Menschen ableiten: Menschen reagieren auch deshalb auf
Bilder, weil ihr unbewusstes neurologisches Körperschema, das aus der Integra-
tion taktiler, propriozeptiver, vestibulärer, visueller und akustischer Informa­
tio­nen entsteht, durch Bildschemata affiziert wird. Diese neuere Erkenntnis der
Kognitionswissenschaften entspricht älteren Vorgaben der Verkörperungsphi-
losophie, die eine genuine Tradition im europäischen Sprachraum hat.
In den Studien der Reihe „Actus et Imago“ wird eine Bild- und Verkörpe­
rungstheorie entwickelt, die in der Lage ist, Bildproduktion, Bildverstehen und
Bildakte zu erklären. Im Ausgang vom belebten Leib leisten sie einen Beitrag
zum Verständnis des menschlichen Reflexionsvermögens, das sich in ikoni­schen
wie sprachlichen Formen und Interaktionen verkörpert.
In der Reihe sind bereits erschienen:

Band 1 Sehen und Handeln


hrsg. von Horst Bredekamp und John M. Krois
ISBN 978-3-05-005090-4

Band II John Michael Krois. Bildkörper und Körperschema


hrsg. von Horst Bredekamp und Marion Lauschke
ISBN 978-3-05-005208-3

B a n d I I I Thomas Gilbhard
Vicos Denkbild. Studien zur „Dipintura“ der „Scienza Nuova“
und der Lehre vom Ingenium
ISBN 978-3-05-005209-0

B a n d I V Stefan Trinks
Antike und Avantgarde. Skulptur am Jakobsweg
im 11. Jahrhundert: Jaca – León – Santiago
ISBN 978-3-05-005695-1

Band V Das bildnerische Denken: Charles S. Peirce


hrsg. von Franz Engel, Moritz Queisner und Tullio Viola
ISBN 978-3-05-005696-8

B a n d V I Verkörperungen
hrsg. von André L. Blum, John M. Krois und
Hans-Jörg Rheinberger
ISBN 978-3-05-005699-9

B a n d V I I Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit


hrsg. von Markus Rath, Jörg Trempler und Iris Wenderholm
ISBN 978-3-05-005765-1
Band VIII John Bender und Michael Marrinan
Kultur des Diagramms
übers. von Veit Friemert
978-3-05-005765-1

Band IX Bodies in Action and Symbolic Forms. Zwei Seiten


der Verkörperungstheorie
hrsg. von Horst Bredekamp, Marion Lauschke und
Alex Arteaga
ISBN 978-3-05-006140-5

Band X Ulrike Feist


Sonne, Mond und Venus. Visualisierungen astronomischen
Wissens im frühneuzeitlichen Rom
ISBN 978-3-05-006365-2

Band XI Paragone als Mitstreit


hrsg. von Joris van Gastel, Yannis Hadjinicolaou und
Markus Rath
ISBN 978-3-05-006425-3

Band XII Bildakt at the Warburg Institute


hrsg. von Sabine Marienberg und Jürgen Trabant
ISBN 978-3-11-036463-7

B a n d X I I I Robert Felfe
Naturform und bildnerische Prozesse. Elemente einer
Wissensgeschichte in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts
ISBN 978-3-11-036455-2

B a n d X I V Carolin Behrmann
Tyrann und Märtyrer. Bild und Ideengeschichte
des Rechts um 1600
ISBN 978-3-11-036350-0

B a n d X V Das Entgegenkommende Denken


hrsg. von Franz Engel und Sabine Marienberg
ISBN 978-3-11-043956-4
B a n d X V I Formwerdung und Formentzug
hrsg. von Franz Engel und Yannis Hadjinicolaou
ISBN 978-3-11-043847-5

B a n d X V I I Andreas Plackinger
Violenza. Gewalt als Denkfigur im
michelangelesken Kunstdiskurs
ISBN 978-3-11-040346-6

B a n d X V I I I Yannis Hadjinicolaou
Denkende Körper – Formende Hände. Handeling in Kunst
und Kunsttheorie der Rembrandtisten
ISBN 978-3-11-0403885-7

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