Was ist Architektur?
‘Achtektur kénnen wir mit ,das erste Handwerk" oder als ,die ur-
spriingliche Kunst" ubersetzen (griech. arché = Anfang, Ursprung,
das Erste; techné = Kunst, Handwerk), zumal im Altgriechischen
der archtécton als der oberste Handwerker, der oberste Baumeis-
ter, galt. Seit der rémische Architekturtheoretiker Vitruy im 1 Jahr-
hundertv. Chr. diesen Begriff in seinem Werk Zehn Biicher liber
‘Architektur verwendet hat, ist er fur die Baukunst Ubernommen
worden,
Seit wann baut der Mensch?
Fiir unsere Vorfahren in der Altsteinzeit war es eine Existenzfrage,
einen bergenden Schutz vor den Widrigkeiten des Wetters und vor
wilden Tieren 2u finden. Insofern ist die Geschichte des Bauens so
alt wie die Menschheit selbst. Nachweise fir gro8e Wohnhiitten
als Vorldufer stabiler Unterschlipfe wurden zum Beispiel an der
Mittelmeerkiste bei Nizza gefunden (um 400000 v. Chr). Ausgra-
bbungen bei Catal Hiyik in der Turkei zeugen von den ersten fes
ten Wohnbauten um 7400 v.Chr. Dem Menschen Schutz zu bieten
ist also eine primare Funktion des Bauens. Ein weiteres Merkmal
ist, dass Bauen auf Bestandigkeit, also auf Dauer angelegt ist.
Ist Bauen schon Architektur?
Unser Lebensalltag wird von Bauten bestimmt, in denen und un-
ter denen wir leben. So gesehen bewegen wir uns in einer Um-
welt, die aus wie auch immer gestalteten Baukérpern besteht.
Lange galt Bauen im weitesten Sinne schon als Architektur. Aber
schafft das Obereinanderschichten von Lehmziegeln, wodurch
die ersten Siedlungen im Vorderen Orient entstanden, schon Ar
chitektur? Erzeugt das bloBe Bauen von Einfamilienhausern, von
Wohnsilos oder von Baumérkten wirklich Architektur? Erst wenn
reflektierend geplant wird, verbunden mit einem hohen Anspruch
an die Qualitét von Material und Konstruktion, wenn Bauen als
kanstlerisch gestaltender Akt verstanden wird, nur dann entsteht
echte Architektur Dann ist sie ein Zeugnis menschlicher Gestal-
tungskraft. Frihe Beispiele der Architektur sind die monumen-
talen Bauwerke im alten Mesopotamien, die gestuften Tempeltir-
ime ~ Zikkurat-Bauten (um 4000 v. Chr). Darauf griindeten sich die
biblischen Vorstellungen vor Turmbau zu Babel. Ebenso gehren
dle agyptischen Pyramiden (um 2600 v.Chr) zu den frihen Zeug-
nissen einer architektonischen Leistung wie auch das Bauwerk
von Stonehenge (um 2500 v. Chr). Diese Bauten dienten keinem
praktischen Ziveck (Wohnung oder Speicher), sondern verkérper-
ten rein kultsche Funktionen: Sie hatten eine Verbindung zwi-
schen den Menschen und den Gattern herzustellen. So soliten
diese Monumentalwerke der frihzeitlichen Architektur den Men-
schen tief beeindrucken.
Von der ,Kunst des Bauens” zur Baukunst
Von einer ,Kunst des Bauens® (Fischer 2014) kénnen wir sprechen,
wenn Auftraggeber und Architekt bemiht sind, dem Gebaude
‘ber die Wehl von Material und Konstruktion eine bestimmte,
kunstlerisch geformte Gestalt zu geben, um ihm damit einen der
Zeit gemaBen Ausdruck zu verleihen. Dabei gehen beide Uber die
‘eine Nutzform hinaus und sind sich ihrer Verantwortung gegen-
‘ber der Offentichkeit bewusst, denn das Leben mit einem Bau-
werk ist immer auch ein dffentliches. Aber ,nicht alle Architekten|
kénnen, wollen oder miissen Kiinstler sein und nicht jedes ausge-
zeichnete Bauwerk gleich ein Kunstwerk!" (ebd,) Ein ausgezeich-
netes Bauwerk ist eine Leistung, die von allen Beteiligten groSes
Kénnen und eine umfassende Qualifkation forder. im
hhungsprozess ist der Architekt der Kinstlerische Gest st
die Gesamtverantwortung dafribernimt, dass aus seiner jg,
auch Wirklchkeit wird. Diese Fahigkeitenbrachten Were hen
die als Kunst des Bauens" zu verstehen sind. Darter hina
es Bauwerke, die ihre Zeit n hervorragender Weise repisetieg,
und durch ihre kinstlrische Gestalt ein besonders hohes Ny
.Originaltat. und Ausdrucksvermdgen’ erreicht haben
ltée, um Gberhaupt aus den géingigen ésthetischen Bonen)
usbrechen und neue Wege beschreiten 2u kénnen; Ausdruckcr.
‘mégen, um es nicht nur irgendwie ,anders' zu machen, srden
dem (Zeitgeist ...] zu einem neuen Gesicht zu verelfen, i ber
haupt erst sichtbar werden 2u lassen (ebd))
Hier geht es um ,Kunstwerke in der Architeltur’, um di lonen
der alten und modernen Baukunst. Sie prégen den Stl her fp
che, sie wirkten in ihrer Zeit innovativ in Konstruktion und Fo
findung, Sie waren oder sind Vorbilder fir die durchgehend a
spruchsvolle ,Kunst des Bauens'. Damit kénnen wir ci Fu ce
,normalen’ Bauproduktion” (ebd.) abgrenzen von den Werkn, hi
ter denen ein anspruchsvolles geistiges wie kinstlerisches Kn-
zept steht.
Solche ,Mellensteine der Architektur’, diese Werke der Baus,
sollen in diesem Band vorgestellt werden. Im Zentrum der Be
trachtung stehen vorwiegend Werke der européischen Baie
schichte, die immer wieder Elemente aus fremden Kulturen a
nahmen und assimilierten, aber auch andere Kuituren sicher
beeinflussten.
Architektur im Kontext ~ die Wechselbeziehung
zwischen Aufgabe, Bedeutung und Aussage
Obersicht (S.7) zeigt die unterschiedlichsten Zugangsmégich
keiten, Uber die man sich dem Bauwerk nahem kann, Zundhst
ber das eigene Erieben als subjektiv wahrnehmendes ICH, das
sich dem Bau von auBen nahert, ihn umschreitet und, wenn mag
lich, im Inneren durch eine Begehung der Réume erlebt.
‘AuBlerdem ist e5 zur Vertiefung der Auseinandersetzungmiteinen
Werk unerlésslich, sich mit den Intentionen des ARCHITEKTEN 2
beschaftigen: Gibt es Vorbilder, auf die er sich bezogen hat oder
suchte er gerade in einer Abgrenzung zu ihnen eine eigene For
menssprache? Diese eher stikritische Analyse lasst ein Werk besser
in eine Rezeption der baugeschichtlichen Entwicklung einorden.
‘Arbeitete der Architekt unter dem Einfluss einer Theorie des Bau
ens? Worin liegt die Qualitat seiner Gestaltungskraft? Wie komte
er das Wissen seiner Zeit iber Material und Konstruktioneiset
zen? Entscheidend ist dabei auch die Bewaltigung der geselten
Bauaufgabe; schlieflich wurde von ihm ein Bauwerk erwartt das
bestimmte Funktionen zu erfllen hat (S. 12-17).
‘Auch ist es wichtig, nach der Intention des AUFTRAGGEBERS 21
fragen, nach seiner gesellschaftlichen Rolle, seinem Vorwissen
lund seinen Absichten. Welche pragmatische oder symbolsche
Funktion solite das Gebaude in seinem Sinne erfillen? Hier kin
nen literarische Quellen (ikonologische Analyse) hinzugezogen
werden, die die soziokulturellen Faktoren, die zetgeschichtichen
Und stilistische Erwartungen beleuchten, SchlieBlich steckthinter
jedem gro8en Bauauftrag immer eine gewaltige Investtion, de
‘aus Griinden der Okonomie und des Prestiges gut angelegt wer
den will. Schon deshalb ist Bauen (meist) auf Dauer ausgerichte.
Jahrhundertelang war der Beruf des Architekten eine manniche
Domine, weshalb diese Bezeichnung in diesem Band durchee
hend verwendet wird, woh wissend, dass es seit dem 20 Jartut
dert zunehmend auch Architektinnen gibt.Architektur im Kontext
Kunstgeschichte
Gesellschaft. ,
soziokulturelle Baugesctichte
Aspekte und ihre Rezeption
Zeitgeist
Stilvorgaben Architekturtheorie
Enwartungen
ser Bauweise
" Wirkung// Ausdruck Statik
ic Material
handwerkliche /
industrielle
Herstellung,
. RCHITEKT/IN
RAGGEBER Cong ri 2 BAUMEISTER
Baukérper
Form/ Gestalt
Umraum
Bauelemente
Raum
Licht
Farbe
AM
das Lebensgefiihl ..
ICH
‘emotionale Akzeptanz
Wo eresente Ablehnung,
WahenehmungDer architektonische Bestand
Drei Arten von Bauwerken - eine Typologie
‘Aufgrund der unterschiedlichen Bauaufgaben, die dem Bauwerk
einen bestimmten Nutzwert und eine Funktion zuschreiben, ha:
ben sich im Lauf der Jahrhunderte verschiedene L8sungsformen
entwickelt. Bel allen individuellen Unterschieden zeigen sich doch
Gemeinsamkeiten in der suSeren Gestalt wie in der réumlichen
Konzeption. Formale, konstruktive oder vor allem funktionale
Merkmale fuhrten jewels zu einem Bautyp, der fur seine Bauaut:
gabe vorbildhatt wurde (grclat. typus ~ Geprége, Muster, Form).
So stellt sich der Bautypus als ein GuBerst komplexes kulturelles
Phanomen dar, des sich zwar selten ganz eindeutig bestimmen
(asst, sich aber trotadem als solches in das kollektive Gedtichnis
einschrelbt ..." (Seidl 2012)
Der Sakralbau und seine Bautypen
Trager der bauklinstlerischen Entwicklung war In der Antike und im
IMittelalter der Sakralbau (lat. sacro, sacer = geweiht, heilig; einem
religidsen Zweck dienend): Bautypen sind der Tempel (Bild 81), Kir
chen- und Kosterbauten (Bild 8.2), die Moschee (Bild 83), die Sy-
rragoge (Bild 84) und der Meditationsraum sowie die Grabanlage.
‘wei Bauformen stehen flr die sakrale Architektur: der Langhaus-
und der Zentralbau. Ausgehend von der langgestreckten Halle fir
das Abhalten von Markten und Gerichtssitzungen in der Antike,
der Basilika, entwickelte sich fur die fruhe christliche Gemeinde
ein Kirchentyp, bei dem ein erhhtes Mittelschiff (Langhaus) von
‘zwei oder vier Seitenschiffen begleitet wird. Das als weite Sulen:
halle geformte Mittelschiff schloss meist mit einer Apsis ab. Spa-
ter wurde die Basillka durch das Querhaus und einen Chor ergénzt
Und blieb im Mittelalter der Haupttypus des Kirchenbaus. Beim
Zentralbau wurde der Hauptraum Uber einem kreisrunden, ovalen
oder quadratischen Grundriss errichtet. Dabel kann er von weite-
ren, sich auf die Mitte beziehenden Raumen begleitet werden. Der
Zentralbau ist meist mit einer Kuppel dberwolbt.
Der Profanbau und seine Bautypen
Beim Profanbau (lat. profanus = vor dem heiligen Bezirk liegend;
weltch) kénnen wir die privaten Gebude von den éffentlichen
trennen: Der Wohnbau mit dem Einfamilien-(Bild 85), Reihen- und
Mehrfamilienhaus sichert die Grundbediirfnisse des menschli-
chen Lebens, doch auch Burg, Schloss (Bild 8.6), Villa sowie Buro-,
Geschafts- und Industriebauten haben private Auftraggeber. OF
fentlche Gebgude sind dagegen: der Wehr- und Festungsbau,
das Wohnheim, der Verwaltungsbau (z.B. Rathaus, Parlament;
Bild 87), der Kulturbau (2.B. Theater, Museum: Bild 88), der Ver-
kehrsbau (2.8. Bahnhof [Bild 175], Flughafenterminal, Bricke) und
der Hallenbau (2.8. Markt, Sport, Messehalle).
Architektonische Utopien
Der menschlichen Fantasie sind keine physikalischen und dkono-
mmischen Grenzen gesetzt. So gab es schon immer Vorstellungen
Uber utopische Wohnformen. Was vor 300 Jahren nach reine Vision.
war, erscheint heute machbar. Unsere heutigen Utopien filhren
weit hinaus ins All, wobel extraterrestrische Wohnformen wie die
Raumstationen zumindest das tempordre Wohnen im Weltraum
cerméglichen, Auf der Erde gehen die Utopien in die entgegenge-
setzte Richtung, Hier geht es eher um Fragen, wie der Mensch res-
sourcenschonend, Bkologisch und nachhaltig bauen kann (S. 54).
Die Vorstellungen Uber mégliche Kolonien im grenzenlosen Welt-
raum stehen in Konkurrenz zu den Visionen, die sich mit der wei-
teren Besiedlung der Erde beschaftigen.
841-844 Sakralbauten: Tempel (8.1), Kathedrale (8.2,
Synagoge (8.4)
8.5~8.8 Profanbauten: Wohnhaus (8.5), Schloss (8.6), Pazlanen |
‘Museum (8.8)
$9°8-10 Wohnutopic 1789 (8.9) und Hightech-Utopie 2015 (810Der Baukérper - das Auffen und Innen
Umraum
Zunichst ist da ein Ort, ein bestimmter Punkt in einer landschaft-
lichen oder urbanen Umgebung, an dem ein Gebaude errichtet
wird, Im Idealfall reagiert der Architekt auf die geografischen,
historischen oder soziologischen Merkmale dieses Ortes, nutzt
dessen Lage und gewachsene Wertigkeit, um sein Gebiiude in
Beziehung zu setzen zur Aura (Ausstrahlung) des vorgefundenen
Ortes. Diesem genius loci (,Geist des Ortes') flgt er sein Bauwerk
hinzu, entweder indem er es einfllgt und anpasst oder indem er es
bewusst in Kontrast dazu setzt. Immer steht das Gebsude im Kon:
text seiner Umgebung, wird in sie integriert oder prégt sie neu.
‘Augen ~ die Gestalt des Baukérpers
as Einzelgebaude oder der Gebaudekomplex beziehen sich in ih
rer Gestalt zundchst auf den Grundriss. Dieser gibt vor, ob es sich
cher um einen Zentralbau, einen gerichteten Langsbau (Longitu:
dinalbau) oder eine offene organoide Kérperform handelt. Schon
der Begriff ,Baukérper* beschreibt das umbaute Volumen, das
Dreidimensionale. Ausgehend von elementaren Kérpern wie Ku-
bus, Kugel, Quader und Zylinder haben wir es meist mit Mischfor-
men und Varianten zu tun. Die Baumassen gliedem, addieren und
durchdringen sich, wobei sie den umgebenden Raum deutlich ab:
welsen, Bewegte, sich verschleifende und skulpturale Baumassen
konnen dagegen den Raum aufnehmen und einschlieBen. Offene
Konstruktionen erzeugen oft so vie! Transparenz, dass der umbau-
te Raum nicht mehr als geschlossener Baukérper erlebt wird. Im-
mer geht es um einen Dialog zwischen Baukdrper und Umraum.
Fassade - die Hauptansichtsseite?
Auch wenn ein freistehendes Bauwerk eine Allansichtigkelt anbie-
tet ist es seine Hille, die seine Wirkung unterstreichen soll (symn-
bolische Funktion, S. 14). Ob streng und orthogonal gegliedert,
ob rhythmisch bewegt, ob vor- und zurlickdréngend, ob durch
besonderes Material oder durch Farbe, viele Bauelemente geben
dder Augenhaut ein ,Gesicht" (lat. facies). Die Hauptansichtsseite
kann dabei die Ausrichtung eines Bauwerks unterstreichen, was
besonders die Baumeister der gotischen Kathedralen mit ihren
reich gestalteten Schauseiten zu einer hohen Kunst entwickelten
(Bild 272). Heute steigert nicht nur das wechselnde Tageslicht
die Plastizitat der Gebaudehille, auch neue Technologien kénnen
mit Hilfe von LED und digitalen Displays die gesamte Fassade in
eine sich dynamisch verdndernde Auenhaut (Medienfassade;
Bild 10,7) verwandeln.
Innen ~ der Innenraum
Im Kern bedeutet Bauen immer das Schaffen von lnnenraumen.
Der Baukirperist zunichst die Hille um diesen Raum. Dieser kann
sich als Longitudinalraum in die Lange strecken oder als Zentral-
‘aumeine Mitte betonen. Réume gruppieren sich bilden ein hierar
chisches System, werden zu unuibersichtlich spharisch gekrmm:
ten Gebilden oder bilden eine Raumfolge, axial ausgerichtet mit
durchgehender Blickachse (Enflade). Die Raumform kann auBen
2m Baukérper abgelesen werden oder gegenUber dem AuSeren
\erschleiert werden. Dieses besondere Verhaltnis von Innenraum
und Baukérper zeigt sich auch darin, wie der Ubergangsbereich
Znischen innien und auBen gestaltet wurde (Fenster Tur Terrasse,
Treppenanlage, Rampe etc). Flr die Raumwahmehmung spielen
‘uch das Baumaterial und seine Oberflachenbeschaffenheit, die
Farbe und besonders de Lichtfunrung eine entscheidende Roll.
Sakral- und Profinbaus
9.79.8 Das Innen am Beispiel des Sakral- und ProfanbausDer Baukérper - die Bauelemente
as Bauwerk in seiner Gesamtheit ist auch die Summe seiner Ele-
‘mente, die den Bau formen, gliedem und schmiicken. Unabhingig,
\von Material, Kenstruktion, Epoche und Stil hat sich eine Vielzahl
\von Bavelementen herausgebildet, die so viele Fachbegriffe her-
vorgebracht hat, dass sie selbst im Glossar nicht alle aufgefuhrt
werden kénnen. Die wichtigsten Bauelemente sollen hier genannt
werden. Grundsdtzlich besteht jedes Gebaude aus einem Funda-
ment, einem tragenden System Wand und Stiitze) und dem Dach.
Konstituierende Bauelemente (das tragende System)
Jedes Bauwerk grindet auf einem Fundament (Unterbau, Krepis).
Die Stiitze, urspringlich ein Baumstarim und das aiteste Bauele-
‘ment Uberhaupt, tit den Querbalken (Architrav) und damit das
Gebilk, Im Steinbau wird die Stitze zu einer zylinderférmigen
Siule, die plastisch leicht konvex anschwuillt (Entasis) und oft mit,
Basis und Kapitel ausgestattet ist (Sdulenordnung). Der stitzende
Preiler hat eine glatt durchgehende Form, meist mit viereckigem
‘oder polygonalemn Querschnitt.Die aufrecht stehende Wandschei-
be als tragendes Element bildet zugleich die Hille eines Gebiiudes
nd schlieSt es nach auffen ab. Das Dach ist der wesentliche Wet-
terschutz ~ auSen sichtbar, von innen selten offen gezeigt.
Raumbegrenzende, -éfinende, -verbindende Bauelemente
Die Wand (gerade oder gekurvt)bildet mit Boden und Decke den
Innenraum (Bild 102). Die Decke als horizontales Bauteil schlieft
den Raum nach oben ab; ein gekurvter Abschluss nach oben wird
GGewélbe genannt (mhd. gewelbe = Rundung) und ist auBen in der
Regelnichtidentisch mitder Dachform. Weitere raumbildende Ele-
mente sind: Stitze, Bogen, Apsis, Nische, Erker und Portikus. Eine
raumtfende Funktion haben vor allem Tui und Fenster (Bild 10.3)
als die eigentichen kommunikativen Elemente. Sie offnen den
Wandabschluss und stellen eine Verbindung zwischen innen und
auen her Diese Aufgabe haben auch Terrasse, Loggia und Bal-
kon. Die Enflade bezeichnet eine verbindende Raumflucht, bei
der die Durchgéinge auf einer Achse angeordnet sind (Bild 10.4,
Treppen und Rampen gliedem den Raum, verbinden REume und
entfalten als offenes oder geschlossenes ,Treppenhaus” eine eige-
re Reumwvirkung (Bild 105)
Dekorative Bauelemente (Bauschmuck)
Die Sinne solten schon immer durch dekorative Elemente ange-
sprochen werden, wobei diese Bautelle oft schmilickende und kon-
struktive Funktion zugleich Gbernehmen kénnen (Sule, Kapitell,
Fiale, Mafwerk, Baluster, Gesims, Volute, Konsole etc.). Ein wich-
tiger Bauschmuck ist das Omament (lat. ornare = schmilcken),
das sich im Wesentlchen aus pflanzlichen Motiven heraus entwi-
cet hat (Akentusblatt, Knospe, Muschel etc). Die Gestaltung des
Bauschmucks ist vom Zeitstil abhéngig und verleiht ihm seinen
‘ypischen Ausdruck, Weitere Schmuckelemente sind Akroter, Kar-
tusche, Krabbe, Kreuzblume, Rocaille, Wappen, Fries, Gesims, Zier-
giebel (Wimperg) u.2. Der Wand- und Deckengliederung dienen
Blendbogen, Lisene, Gesims und Kassette, Von der Antike bis i
das 19, Jahrhundert bestimmte die Bauplastik einen groen Tei
des Bauschmucks (zB. Relief, Portalfiguren; Bild 10.6). SchlieBlich
spielte selt den frihen Kulturen die Farbgebung eine wichtige Rol-
leinder Architektur von der Bemalung (Polychromie in Antike und
‘Mittelater) Uber edle Materialien (besondere Stein- und Glassor-
ten, beschichtetes Aluminium, Kunststoffe etc) bis hin zum farbi-
‘gen Licht in der Gegenwart (Hightech-Medienfassade, Bild 10.7).
40.4 Konstituierende Bauclemente am Beispiel eines Tempels
Fundament/Unterbau; Bauktirper im Sinne des tagenden Systems
mit Stitze/Séule, Querbalken und tragender Wand; Dach
40.2-10.5 Raumbegrenzende Bauclemente: Boden, Wand, Deske (102;
raumoffinende Bauelemence: Tir und Fenster (10.3); raumverbindende
Bauclemente: Raumfluchten (10.4) und Treppen (10.5)
10.6 -10.7 Dekorative Bauclemente: ornamentaler und bauplastch
‘Schmuck (10.6) sowie farbiges Licht einer Medienfassade (10.7)Die drei Dimensionen der Architektur
Zugangswege
Schon die Herkunft des Begriffs ,Architektur”(S. 6) weist auf ei-
rien Zusammenhang hin, der bis heute seine Giltigkeit nicht ver
loren hat: € geht immer um das Bauen im Sinne seiner nutzli-
chen Funktion, eben einen Raum zu umbauen und standfest zu
machen, aber auch darum, ihm eine Form, eine Gestalt zu geben.
Verwirklcht werden kann der Bau schlieSlich nur durch das richtig
{gewahlte Material und eine stabile Konstruktion (lat. construere =
zusammenschichten, verbinden, aufbauen; hier: Bauweise). Der
rémische Architekturtheoretiker Vitruv (S. 6) formulierte daraus
Forderung, was ein Bauwerk zu leisten habe: utiltas -firn-
tas - venustas (@2weckmatigkeit - Festigkeit - Schénheit). Dieser
“Anspruch besteht im Kern bis heute.
Welche Wege gibt es, um ein Bauwerk besser zu verstehen? Zu-
nichst stehen wir einem Baukérper gegentiber, dann umrunden
wirhn gegebenenfalls und erkunden schlieSlich sein Inneres, um
dreidimensionale Gestalt im Ganzen zu erfassen. Wenn wir
den Bau nicht selbst in Augenschein nehmen kénnen, bedienen
wir uns in der Regel fotografischer Wiedergaben, ergénzt durch
Grundrsse, Schnitte und Aufrisse (vg. 5.19). Sehr anschaulich ist
auch eine ,filmische Begehung” des Gebaudes, da die Kamera uns
eine nachvollziehbare raumliche Erfahrung vermitteln kann.
So ware zunchst eine erste Annaherung Uber die Beschreibung
der dufBeren Gestalt, ihrer Form sinnvoll: WAS steht vor mir? Um
welchen Bautyp handelt es sich? Das Bauwerk ist das Ergebnis
eines ausgesprochen vorgegebenen Wollens. In seiner Gestalt
Die asthetische,
die sichtbare Gestalt
FORM
drickt sich der Wille des Auftraggebers und/oder des Architekten
aus. Wir kénnen auch sagen: Architektur ist Gestalt gewordener
Wille, Diese erste Beschreibung des Bautyps, seiner Lage, seiner
‘auSeren und inneren Gestalt und seiner ErschlieSung geht naht-
los Uber in eine formale Analyse der architektonischen Gestal
tungsmittel (Baukérper, Fassade, Innenraum, Bauelemente, Kom
position, Proportion, Bauschmurck u.a.). Diese Untersuchung fahrt
ns zur nachsten Fragestellung: WARUM und WOZU wurde dieses
Bauwerk errichtet? Es ist die Frage nach dem Zweck, nach seiner
Funktion. Hier zeigt sich das Anliegen des Auftraggebers in der
beabsichtigten Nutzung des Gebaudes: die Bauaufgabe. Dabei
kénnen sich durchaus verschiedene Funktionen dberlagern: die
ppragmatische, die symbolische und die ésthetische Funktion. Wel
tere Fragen kénnten folgen: WIE wurde das Werk realisiert? Mit
welchem Material wurde es errchtet? Was ist das Merkmal seiner
Konstruktion? Die so zusammengetragenen Erkenntnisse ergeben
rer Gesamtschau eine erste Interpretation des Bauwerks in
seiner Ganzheit (ikonografischer Ansatz)
SchlieBlich fahren Literaturecherchen zu weiteren Bezugsfel
dem, was unerlasslich ist, wenn das Bauwerk als Summe seiner
Gegenstandlichkeit, seiner Gestaltung, seiner Bedeutung und se-
nner Beziehung zu Auftraggeber, Architekt und ihrer Zeit verstan-
den werden soll (ikonologischer Ansatz): Es geht um den a) bio-
grafischen Zusammenhang zum Architekten und eventuell zum
Auftraggeber, b) den gesellschaftlichen Zusammenhang mit der
vertiefenden Frage nach Zweck und Funktion, sowie c) den stiige-
schichtlichen Zusammmenhang,
= Bautyp
= Umraum, Lage
= Baukérper (AufBen, Fassade, Innenraum)
Die Bauaufgabe
= pragmatische Funktion
= symbolische Funktion
sthetische Funktion
FUNKTIONDie Form
Was sind die ersten Eindriicke, die sich uns einpragen, wenn wir
einem Bauwerk gegentiberstehen? Wie wirkt seine Gesamtgestalt
auf mich, wie sein Umriss? Wie wirkt seine Dimension in Bezug auf
sne GrbBe? - In jedem Fall erfassen wir ein Bauwerk auf
den ersten Blick in seiner Gesamtgestalt, die sich von ihrer Umge-
bung abhebt oder sich in diese einfiigt. Diesen Wahrehmungs-
vorgang kénnen wir in der Begegnung mit allen dreidimensiona-
len Objekten feststellen,
Formcharakter
Was zeichnet den Formcharakter eines Bauwerks aus? Neben
seiner Gréfe ist es seine Gestalt, seine Kérperform. Dabei spielt
der Umriss fur die Wahmehmung eine entscheidende Rolle. Er
charakterisiert den Bau als geschlossen, ruhig oder - ganz im Ge-
gensatz ~ als nach auSen hin offen oder auch dynamisch bewegt.
So kénnen grundsétzlich folgende Charaktere voneinander un-
terschieden werden: das geometrisch, des organisch und das frei
skulptural geformte Bauwerk.
Das Kunsthaus in Bregenz (Bild 13:1) beispielsweise erinnert mit
seinem scharf begrenzten und geometrischen Charakter an die
stereometrische Grundform des Kubus, auch wenn das Gebaude
genau genommen einem stumpfen Quader entspricht. Am Kir
cchenbau von St. Michael in Hildesheim (Bild 13.4) finden wir wei-
tere, ahnliche Grundkérper wie Pyramide, Quader, Zylinder, Kegel
und deren Abwandlungen (Halbzylinder, Dreieck- und Achteckpris-
ma). Das ganze Bauwerk erweckt den Eindruck, als ware es aus
diesen geometrischen Kérpem zusammengefugt worden.
Im Gegensatz zur rational verwendeten Geometrie solcher Bau-
Werke muten uns organisch wirkende Bauten ganz anders an. Die
Plastischen an- und abschwellenden Kérperformen am Kunsthaus
in Graz (Bild 13.2) vermitteln den Eindruck, als seien sie der leben
den Natur direkt abgeschaut. Das ,Aus- und Einatmen’ des sonst
statischen Baukérpers vermag sich auf unseren eigenen Organis-
‘mus zu ibertragen. Hier dominiert nicht die klare Ratio, sondern
es beeindruckt eher die emotionale Wirkung, der man sich kaum
entziehen kann,
Nicht vergleichbar sind Bauwerke, die wie frei behauene Steinbl6-
‘ke wirken: Der Erweiterungsbau des JUdischen Museums in San
Francisco (Bild 135) erinnert eher an eine abstrakte Skulptur als
anein traditionell in sich fest stehendes Gebaude. Trotz seiner, wie
ein Kristall anmutenden, geometrischen Erscheinung scheint sich
der ganze Bau in Bewegung zu befinden: Dynamik statt Statik,
ratselhaftes Zeichen statt sich erklarender Bau
Ma8 und Proportion
Die Proportionen der Villa Barbaro (Bild 13:3) gestaltete Palladio
nach einem festen geometrischen Schllissel. So weist zum Bei-
spiel die Auflenfassade mehrere Seltenverhaltnisse im Goldenen
Schnitt auf: 2.B. das groBe Rechteck des Hauptgebaudes, dort
auch die beiden ,Rechtecke’, die durch je zwei Sdulen mit SockeF
linie und Kranzgesims gebildet werden, dann die Fenster- und Tur-
‘ffrnungen oder die Offnungen zwischen den Pfellern der Loggien,
Auch die vertialen Rechtecke in den beiden flankierenden Gebau-
den weisen dieses Seitenverhaltnis auf. Typisch fr Palladio ist die
Verwendung eines bestimmten Grundmafes als Modul. Hierbei
stehen die MaBe eines Raumes (Lange, Breite, Hohe) in einem
bestimmten Zahlenverhéltnis zueinander. In seinem Bestreben,
seine Architektur nach einem Schénheitsideal zu schaffen, berief
er sich aut die Geometrie des Pythagoras. Diesem griechischen
Philosophen und Mathematiker war es auf der Suche nach ey
tniversellen Harmonieverstehen gelungen, die als hamong
empfundenen Intervalle in der Musik durch einfache Zaher.
haltnisse abzubilden, So konnte mit Hilfe der Geometie cine,
monisches Verhaltnis der Einzeltele zu ihrem Ganzen dpe
‘werden. Palladio bezog sich auch auf den Architekten, Mathenar.
ker und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti er 1452in seinen
Architekturtraktat eine Philosophie des Schiinen” entwikete gy
er vor allem auf die Baukunst ubertragen sehen wollte. Darin des
nierte er seine Kriterien der Schénheit aus numerus (Zhi, fy
(Beziehung) und collocatio (Anordnung). Fur Palladio und Abe
bot Vitruv den eigentlichen Zugang fur ein Verstehen der antien
Harmonielehre: wie Zahl, Ma® und Proportion zusammenvirten
Bei St. Michael (Bild 13.4) bildet das Quadrat im Grundrss dere
rung die grundlegende Ma®einheit fir den gesamten Bau. Ne
diesem Modul wurde der Grundriss konsequent durchgesta.
Was als harmonisch gilt, war allerdings immer auch dem Zetge
schmack der jeweiligen Epoche unterworfen. So gab es Phasein
denen bestimmte MaBverhaltnisse eine wichtige Rolle spite in
anderen wieder nicht. Dennoch gilt gerade in der Architektur dr
Satz des Protagoras: ,Der Mensch ist das Maf aller Dinge’ dash
Bauen immer auf die Proportionen des Menschen bezient.
Ordnungsstrukturen und dominierende Richtungen
Ein fur den Architekten wichtiges Mittel der Kompositon it
die Wahl zwischen Symmetrie (Bild 13.3, 134) oder Asymmetie
(Bild 132, 135). Das gilt fir die Gestaltung des Grundhisses we
fur die Fassade, fir die Lage und Mae der Raume wie fr ci Ge
staltung des ganzen Baukérpers. Strukturen zeigen, we enzene
Bauteile in Beziehung zueinander stehen, in welche Ordrung se
sich eingliedern oder welches Raumsystem sie gemeinsam iden
Die strukturelle Gliederung der Villa Barbaro (Bild *23) und des
‘Aufbau ihrer Fassade zeigen, worauf es Palladio ankam: Geschut
lan der rémischrantiken Baukunst gab er dem Haupthaus ene a
tike Tempelfront mit Unterbau, Sdulenordnung und Giebelmetx
Die dem Tempel eingeschriebene Symmetrie bestimmt axch ier
das gesamte Gebaude. Wahrend die aufen liegenden Neberge
baude das Haupthaus betont einrahmen, Ubernehmen di Logg
eneine verbindende Funktion. Zusarimen entstand so ein sterg
axialsymmetrische Komposition. - Das St. Michael charaktersie
rende Gliederungselement, das Grundrissquadrat der Vieng
zelgt sich auch aufen durch eine gestaffelte Konzentraton de
Bauteile auf eben die beiden Vierungstlirme. Um die mit Pyan:
dendachern abgeschlossenen Turme gruppieren sich alle andes
Baukérper. In der Regel besitzt ein Gebaude eine horizontale As
dehnung und verweist damit auf seine dominierende Austr
Hier gelang dem Baumeister ein Ausgleich von betont vets
len Curmgruppen) und horizontalen Bauteilen (Lang- und Que"
haus). - Ganz anders die Gestaltung bei Libeskind (Bild 135) He
durchdringt der moderne Erweiterungsbau (Vordergrung) sche
bar den aiteren Baukérper (Hintergrund) und zerlegt sich date
selbst in zwei Teile. Diese Asymmetrie mit ihrer Zersplitetur’
Und vielen Linien, Kanten und Fléchen mit schrig verlaufenden
Richtungen erzeugt eine starke Dynamik.
Grundsatzlich muss uns bewusst sein, dass keine dieser gestae
rischen Entscheidungen um ihrer selbst willen getroffen wut
llnnen lag in jedem Fall ein Wunsch des Auftraggebers undode
eine gestalterische Absicht des Architekten zugrunde. Ob es 8
Suche nach Harmonie, der Wille zur Verunsicherun des Beta
ters oder das nach Aufmerksamkeit heischende Signalist~imme
steht hinter jeder Form eine beabsichtigte Funkto« (vg 5-1184 Sc. Michael, Hildesheim, 1010-1035Zweck und Funktion
Hinter jeder Bauaufgabe steht eine Zweckbestimmung. Deshalb
lohntes sich danach zu fragen, wozu ein Bauwerk errichtet wurde.
Der Begriff des Zwecks beschreibt sehr genau, was der Auftragge-
ber mit dem Errichten eines Gebaudes beabsichtigte, was also das
Ziel seines Bauauftrags war. Diese Bauaufgabe filhrte im Lauf von
Jahrhunderten zur Entwicklung der unterschiedlichsten Bautypen
(al S.2),
Wenn wir danach fragen, wie ein Gebsude den ihm verordneten
‘weck schlieBlicherfilt,fragen wirnach seiner Funktion. Zundichst
bedeutet functi (lat) so viel wie Verrichtung oder Ausfihrung, Im
ibertragenen Sinne ist gemeint, dass das Bauwerk ein sinnvol-
les Benutzen moglich machen soll also bestimmte Verrichtungen
‘erméglicht, diese untersttitzt. Ob das nun Wohnen, Arbeiten, das
Lager von Dingen oder das Zusammenfilhren von Menschen be-
deutet - Gebaude hatten schon immer einen bestimmten Zweck
zu erfillen, Daraus ergibt sich die Frage: Wie erfullt das Bauwerk
die ihm gestellte Aufgabe? Gerade bel Werken der Baukunst kén-
rnen sich die verschiedenen Funktionen Uberlagemn, wobei mal die
eine, mal die andere Funktion im Vordergrund steht.
{Ais einfinrendes Beispiel sollen die héchsten Bauwerke der anti-
ken Welt, die Pyramiden von Gizeh (Bild 15.1) dienen. Vordergrtin-
dig gab es fr ihre Entstehung einen ganz pragmatischen Zweck:
Ziel der monumentalen Sakralarchitektur war es, eine Grabkam-
‘mer 2u schaffen, die auf Dauer Bestand haben und Unbefugten
keinen Zutritt erlauben sollte. Dass daraus zum Beispiel mit der
CCheops-Pyramide ein Uber 146 m hohes Grabmal wurde, geht auf
den theologischen Anspruch zuriick, fur den Gott-Konig ein augen-
falliges Symbol zu schatfen. Uberlieferte Texte verweisen auf eine
Vielschichtige Symbolik, die sich auf den Kult des Sonnengottes
RE bezieht: Von der Spitze eines Bundels von Sonnenstrahlen
steigt KA die Seele des Pharao, zur Sonne auf. So steht bei den Py-
ramiden die symbolische Funktion im Vordergrund, wahrend sich
die pragmatische Funktion wie von selbst ergab. Insofern erflllten
die Pyramiden ihre symbolische Funktion in besonderem Mage.
Diese Monumentalbauten reprasentieren in der weiten Ebene der
\Wiste uniibersehbar den Anspruch der Pharaonen an ihr Gott-
K@nigtum und symbolisieren nach deren Tod ihren Obergang in
den Himmel
Heute hat sich die Funktion der Pyramiden verschoben. Beein-
Die symbolische Funktion
Werke der Baukunst sind in der Regel sakrale und roar
bauten. Insofer spiegelt die Geschichte der Arcitelurdaye”
lige gesellschaftliche Situation ihrer Zeit. Nur wer iber ge."
sprechenden Ressourcen verfuigt, kann monumental 8
in Auftrag geben. Pharaonen, Casaren, Paste, sche, ge
Fursten, Konige, Kaiser, Diktatoren, Industrielle, Vortide y:
Banken, Versicherungen, Industriekonzemen oder Kirstany
lungen, aber auch gewahite Regierungen suchten sich ite ry,
tekten aus und bestimmten, was gebaut werden solte, vil,
noch heute fest, was gebaut werden soll So ist die Barat
auch eine Reprasentation der bestehenden poltischen wie we
schaftlichen Machtverhaltnisse. Deren Tiger suchten ston.
mer nach einer ihnen gemaBen reprasentativen Form unde
Demnach sind die monumentalen Werke der Baukunstauh ge
baute Zeichen” (Baumberger 2010), welche die Menschen be:
drucken und ihre Gefiihle ansprechen sollen
Erste Beispiele der Architektur, denen wir eine eindeutg sto |
lische Funktion zusprechen konnen, sind die fruhesten sean |
‘Monumentalbauten der Menschheitsgeschichte. Hiezu gies
die Zikkurate in Mesopotamien, die Pyramiden in Agyoter te
auch die Werke der Megalithkulturen (vgl.S. 6) Sie ale dtr
tinem kultischen Zweck, ebenso wie die spiterensidee |
Tempelbauten der Antike oder die Kathedralen des Mittlates
Weltliche Macht symbolisierten die profanen Gro8tautn de
Rémischen Antike, die das Volk unterhalten sollten: de gol
Thermen und die Amphitheater. Den sagenhaften Palisten de
Kulturen im Vorderen Orient oder der Casaren folgten Bae
Schldsser, bischéfliche und farstliche Residenzen, ie gens”
ten Herrenhéiuser, Landsitze und grofen Villen. jeder dieser Ba
typen verkiindet eine Botschaft und besitzt seine eigene yx
lische Kraft.
Die begehbare gliserne Kuppel tiber dem Plenarsaal des Reis |
tagsgebaudes (Bild 15.3) steht so zum Beispiel fir eine Synbik,
die von der ,Transparenz der Demokratie” inden soll.
Die dsthetische Funktion
Erfillt das Bauwerk seine pragmatische und eventuell axhsyt |
bolische Funktion im Sinne des Auftraggebers, dann kama et
den Architekten ein idealer Zustand sein, wenn er mit des
Werk zusatzlich seine eigenen asthetischen Ideen vewitiht
Dies gilt etwa bei dem Gebiude des CCTV in Peking (id 8
von Koolhaas und Scheeren, das wie eine abstrekte Monunet>
plastik seine urbane Umgebung dominiert und unathingg
Vorbilder eine eigene Asthetik entwickelt. Hier begin sede
kunstlerische Qualitat des Architekten zu entfalten Blt vt
normativen Stilvorgaben entsteht Raum flr ungewohnte, ett
Iden, flr avantgardistische architektonische Formen as Es
hen von noch nie Dagewesenem hat zu allen Zeiten Archit"
Uberraschend neu erleben, als neuartig wahmnehmen laser De
ses Ringen um einen fortschrittlichen asthetischon Ausduc
immer wieder Werke mit hohem kunstlerischen Ansprch en
hen ~ Baukunst eben.45.3 Norman Foster: Kuppel des Reichstagsgebiudes, Belin, 19951999)
15.2 Wohohochhiuse
Bein, Marzahn-Hellers
4BA Kohlhaas, Scheeten (OMA): CCTV Zentae, Peking, 2002
So4aa8 a)Konstruktion und Material
We ist der Bau zusammengefugt? Wie kinnen wir seine Bauwel-
se erkennen und beschreiben? Fragen, die auf de innere Stuktur
des Baukérperszielen, seinen materialen und konstruktiven Kern
erfassen wollen. Die Konstrukton eines Gebaudes ist die Antwort
auf die Naturgesetze und auf die grundiegenden Eigenschaften
der Baumaterialien (lat. construct = Zusammentigen, Verbin-
den). .Jedes Bouwerk unteriegt der Einwirkung von Krdften, denen
es standzuhalten hat. Von oben dricken Schnee- und Regenlasten
«uf le Bacher von der Seite ist es dem Angi des Windes ausge-
setzt, und auf dos Fundament wirken Bodenverschiebungen. Vor
allem aber hat ein Bauwerk dem Eigengewicht seiner Bautele und
einer meist beachtchen Nutzlaststandzuhalten” (Kalberer 1983)
Diese aus verschiedenen Richtungen wirkenden Kréfte galt es
bbeim Bauen schon immer zu berticksichtigen: Druck- und Schub-
kcafte (durch die Last von Dach und Gewsélbe), Zughrafte (ls Aus-
gleich von Schub und Druck), Tosionskrfte (durch Verdrehung)
und Scherkréfte (durch seitichen Schub). Beim griechischen Tem-
pel handelt es sich noch um eine recht einfache Statik von Tragen
Und Lasten (lat. stare = stehen): Die Druckkréfte werden von den
Ssulen und den innenliegenden Wanden der Cella aufgenommen
tnd in das Fundament abgeleite (Bild 23:1). Dynamischen Kraften
hatten diese Bauwerke nichts entgegenzusetzen, schon bel leich-
ten Erdbeben stirzten sie ein. Die gewaltigen Druck: und Schub-
krafte, die durch de riesigen Gewolbe der gotschen Kathedralen
entstanden (Bild 27), wurden durch Gegenkrafte aufgehoben:
Das Kreuzrippengewélbe lenkt diese Kréfte auf wenige Punkte, auf
die Dienste an der Hochschiffwand, Ein Teil der Drucrafte wird
der den Dienst nach unten weitergeetet, wobei die Hauptlast
nach auifen driickt. Dort nehmen Strebebogen die Schublrafte
au, heben einen Tel der Krfte dank des entstehenden Kraftecks
mit der Resultierenden auf und bilden mit gro8en Strebepteilem,
die entscheidende Gegenkraft. Mit dieser Konstruktion konnten
die Baumeister des Mittelalters in ihren GroSbauten ein Gleich
gewicht der Krafte erreichen. Heute ist die computergesttzte
Berechnung der Statik eine der Voraussetzungen dafir dass iber-
haupt so komplizierte GroBbauten, wie Bid 125, 493, 511 und 513
sie zeigen realsiert werden Kénnen. Gustave Eiffel musste fr set
rnenTurm (Bild 353) den enormen Winddruck bis zur rkanstirke)
noch ohne die Hilfe modemer Computerprogramme berechnien
lassen, Dabel wurden die Resultierenden aller Krafte noch fir je-
des Konstruktionstel einzeinfestgelegt
Material
Jeder Baustoff hat seine eigenen physikalischen Eigenschaften
und reagiert unterschiedlich auf die Druck: und Zugkrafte, ist un-
terschiedlich witterungsbestindig und hat durch seine Eigenfarbe
und Oberflichenstruktur eine ganz eigene asthetische Wirkung.
Der Architekt wahit seinen Werkstoff deshalb nach konstruktiven,
funktionalen und dkonomischen Kriterien aus, aber auch nach sei-
rnen asthetischen Qualitsten. SchlieBlich reagieren wir mit unse
rem Seh- und Tastsinn stets auf das verwendete Material, sei es,
‘nun Leh, Holz, Naturstein, Ziegelmauerwerk, Marmor, Sandstein,
Beton, Glas, Gusseisen, Stahl, Aluminium, Titan oder Kunststoft
as Material, die technologischen Méglichkeiten und asthetische
Vorstellungen schaffen die Bedingungen fur jede Konstruktion in
ihrer Zeit. Je nach der Art des Zusammenfigens der Baumateri-
alien werden drei Konstruktionsprinzipien baw. drei Bauweisen
Unterschieden: der Massivbau, der Skelettbau und das raumliche
Tragwerk.
Der Massivbau - das Flachentragwerk
Die urspringlichste Bauweise ist das Aufschichten von Lehmmnas
se, von ungebrannten, in der Sonne getrockneten Lehmbiacten,
‘oder von Holastémmen (Blockhaus). Der massive Steinbau be.
steht urspringlich aus Mauerwerk, bel dem Steine mit oder ine
Martel aufgeschichtet werden. Die so aufgebauten Wandscheien
bilden zusammen mit der Deckenplatte ein sogenanntes Flichen
tragwerk. Beim massiv errichteten Bauwerk Ubemnehmen die ta
kgenden Wande die Druck: und Schubkréfte von Dach, Gewélbe
‘oder Kuppel. Optisch lassen sich tragende und nichttragende
\Wende kaum unterscheiden, wobei die tragenden Wende meist
die groBere Starke aufweisen. Beide Wandarten bilden gli
zeitig den Raumabschluss, die Raumhille, Heute werden Wande
auch in Schalungen mit Beton ausgegossen. Die geschossene ta
igende Wand last in der Regel nur kleine Offrungen fir Fenster
und Turen zu, was dem Massivbau einen Bindruck von Masse und
Festigkeit git (Lochfassade; Bild 25.1, 25.2).
Der Skelettbau - das Stabtragwerk
Beim Skelettbau Ubernehmen einzelne Glieder aus Holz, Stein
Stahl oder Stahibeton die Funktion des Tragens. Damit wid de
Druck- und Schublast (von Dach und Gewdlbe) auf viele Punite
vertelt und Uber diese ,Stabe" abgeleitet. Der Skelettbau mits
‘nem Gliedersystem aus Stltzen und Tragern Ubernimmt - wie bi
einem Knochengertist - die ganze tragende Funktion. Die den
Raum abschilieSenden Wande haben dadurch keine tragende, sr
ddern nur noch rein fullende und ,hUllende” Funktion. Besonders
beim Stahl und Stahlbetonskelett ergeben sich durch die rich
tragenden Wande flexible Gestaltungsmoglichkelten von Réumen
und Fassaden (Curtain Walls; Bild 41.4, 452). Fruhe Formen des
Skelettbaus sind der Holzstinderbau (Fachwerk) und der Steir
gliederbau (griechischer Ringhallentempel, gotische Kathecrae
‘Beim Fachwerkhaus, beim Tempelbau wie auch bei den Hightech-
Bauten der Moderne (Bild 475) ist das Skelett von aufen 2usehen
Dadurch wird die Konstruktion nachvollziehbar.
Réumliche Tragwerke
Heute ist es méglich, mit Stahl oder Stahlbeton weite Raume mit
tls rdumlicher Tragwerke zu Uberspannen. Hierbei werden die
einzeinen Stabelemente in einem Rahmen gitterartig so miter
ander verspannt, dass sie ein geschlossenes stabiles Raumgitr
ergeben. Beim Faltwerk und bel mehrfach gekrimmten Schaler
konstruktionen (Bild 47:1) wird Stahibeton in einer den Schicht
stiltzenfrei eingespannt. Seit der Entwicklung durch Frei Oto
(Bild 474) aberspannt das Hangetragwerk wie ein Zeltdach roe
lichen. Seilund Netzsysteme haben ein geringes Eigengewicht.
Otto war auch an der Entwicklung der ersten Lufttragwerke bet
ligt die pneumatische Hallen bilden und wie riesige Luftisens}
teme wirken. Allen réumlichen Tragwerken ist gemeinsam, de
sie eine auSerst komplizierte Konstruktion darstellen, da sie d®
Druck; Schub:, Zug- und Scherkrafte auf extrem viele Punke ver
tellen missen, sodass mit sehr geringen Materialstrken gerbe
‘tet werden kann. Dies alles stellt hchste Anforderungen an dé
statischen Berechnungen. Dabei werden mit Hilfe aufnendge?
Computerarbeit heute auch parametrische Geometren fir W
benartige Zellstrukturen entwickelt, die selbsttragend sin schwe
bendes Gleichgewicht erzeugen. Das Eigengewicht de: Basta
wird zum entscheidenden Faktor. Bei immer weiter zu iberspat
nenden Flichen geht die Entwicklung zu neuen VerbundwertstF
fen (glasfaser- und kohlenfaserverstirkte Kunststoffe), zum Tel
auch in Verbindung mit Mineral- und Textifasem,