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Johannes Tauler

(ca. 1300 bis 16.6.1361)

Das Reich Gottes in uns


Das Reich Gottes in uns
Gott ruft und beruft uns
Gottsucher sind Gottgesuchte
Der Mensch – ein Tempel Gottes
Vom rechten Beten
Der Weg nach innen
Hilfen auf dem inneren Weg
Hinwendung zu Gott
Erneuerung aus dem Geiste
Vom göttlichen Reifen
Fünffache Fesselung
Das Gesetz des Ausgleichs
Weisheit der Abgeschiedenheit
Von der Dreieinigkeit des Menschen
Vom Seelengrund
Seelengrund und Gottesgrund
Die göttliche Dreieinigkeit im Seelengrund
Rechte Nachfolge
Stete Wachsamkeit
Leid weist lichtwärts
Freisein von Sorgen
Äußere und innere Liebe
Vom inneren Beten
Mache Dich auf und werde licht!
Rechte Meditation
Entwerden des Ich
Vom Nicht-Ich
Aus dem Geiste leben
Seligkeit der Gott-Verbindung
Vom Wirken Gottes in uns
Vom Aufnehmen Christi
Vom geistigen Genießen Gottes
Vom Gottesgrund
Vorbereitung der Geburt Gottes in uns
Von der Himmelfahrt
Heimkehr in Gott
Gottes Geburt im Menschen
Vom Wirken aus dem Geiste
Die sieben Gaben des Geistes
Fest des ewigen Lebens

DAS REICH GOTTES IN UNS

"Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles übrige
zufallen." Matth. 6; 33
Im Evangelium des Matthäus werden wir mit dem Hinweis auf das Beispiel der Lilien und der
Vögel zum Nichtsorgen ermahnt: Sorget nicht, was ihr essen und trinken und womit ihr euch
kleiden werdet; denn Gott weiß, daß ihr des alles bedürfet. Sondern trachtet zuerst nach dem Reiche
Gottes; dann werden euch diese Dinge hinzugegeben.
Niemand – heißt es vorher – kann zwei Herren dienen: Gott und den äußeren Dingen. Wenn er den
einen liebt, wird er den anderen lassen. Und die Vergeblichkeit allen Sorgens wird mit den Worten
angedeutet: Wer kann mit all seinem Sorgen seinem Leibe oder Leben mehr Länge geben?
Besinnen wir uns, wie viel Kraft und Zeit, Arbeit, Fleiß und Hingabe wir Tag für Tag dem widmen,
das dem Ich dient, und wie wenig dem, das zu Gott führt; wie wenig wir Gott, der doch alles
vermag und wirkt, zutrauen, sondern lieber uns sorgen und abmühen, als ob dieses Dasein von uns
abhänge und ewig dauere.
Das alles kommt aus dem Ich. –
Sähe man da recht hinein und hindurch, man würde darüber erschrecken, wie sehr der Mensch in
allen Dingen und den anderen Menschen gegenüber nur das Seine sucht – in Gedanken, Worten und
Werken immer nur das Seine, sei es Lust oder Nutzen, Ehre oder Dienst –, immer nur für sich, sein
Ich.
Diese Ichverhaftung und Ichsucht ist so tief eingewurzelt, daß nicht nur der äußere, sondern auch
der innere Mensch ganz auf die irdischen Dinge gerichtet ist – gerade wie das krumme Weib, von
dem das Evangelium spricht, das ganz zur Erde gebückt war und nicht mehr aufsehen konnte.
Armer Mensch – warum traust Du Gott, der Dir so viel Gutes getan, Dir so viele Gaben verliehen
hat und der Dein Leben ist, nicht zu, daß er Dir auch das bißchen, das Du zum Leben brauchst,
geben werde? Ist es nicht ein trauriger Anblick, zu sehen, daß selbst geistige und geistliche
Menschen all ihre Liebe und all ihren Fleiß nur auf ihr Werk richten und so sehr sich, ihr Ich,
meinen, daß sie kaum noch an Gott denken und wenig Verlangen fühlen, sich mit ewigen Dingen zu
befassen, wenn nur die irdischen Dinge, die sie bewegen, gut vonstatten gehen.
Für sie gilt das Wort doppelt, daß man nicht zwei Herren dienen kann – Gott und den äußeren
Dingen –, sondern daß es gilt, zuerst und vor allem nach dem Reiche Gottes zu trachten.
Petrus mahnt uns mit Recht: "Werfet alle eure Sorgen auf Gott, denn er sorgt für euch.“
Denn das Sorgen um äußere Dinge bewirkt dreifachen Schaden im Menschen:
es blendet Verstand und Vernunft, es löscht das Feuer der Liebe aus und es verbaut den Weg
nach innen, der zu Gott führt, zum Reiche Gottes, das inwendig in uns ist.

Darum gilt es, sorgsam darauf zu achten, wohin unser Denken und Streben gerichtet ist, womit wir
umgehen, solange wir in der Zeit wirken, also auf das Woher und Wohin unserer Neigungen und
Gewohnheiten. Denn wenn einer ein oder zwei Jahre in einem Fehler beharrt, wurzelt dieser bereits
so tief in ihm, daß er ihn kaum noch zu überwinden vermag. Noch besser ist es darum, darauf zu
achten, daß kein Fehler im Gemüt Wurzel schlägt, sondern sogleich ausgemerzt wird. Das ist am
Anfang leicht.
Das Wichtigste ist, daß man der Lust an äußeren, sinnenhaften Dingen Einhalt gebietet. Denn
solange das Denken und Trachten nach außen gerichtet ist, bleibt man allen äußeren Lockungen und
Ablenkungen geöffnet und gelangt nicht nach innen, findet nicht zu sich selbst. Der innere Grund
bleibt einem dann verschlossen wie etwas, das unendlich fern ist. Man ist sich selber fremd, und
Ziel und Sinn des Lebens sind ungewiß.
Aber auch die Lust an geistigen Gaben und Werten gilt es zu überwinden. Diese Lust herrscht in
vielen Menschen, die von ihr mehr angezogen werden als von Gott. Sie nehmen diese Lust für Gott;
und wenn sie ihnen genommen wird, vergeht auch ihr guter Wille.
Oft scheint etwas aus göttlicher Liebe zu kommen, und ist doch nur ein Reiz für den äußeren
Menschen und eine Lockung für das Ich. Hier gilt es zu erkennen: Wo man nicht Gott im Sinne hat,
sondern irgendein anderes, mag es noch so hoch scheinen, da ist man noch fern der Wahrheit und
dem Reiche Gottes.
Dieses Reich muß man da suchen und finden, wo es verborgen ist: im Grunde der Seele. Dazu
gehört freilich mancher Kampf; und es wird nicht gefunden, solange nicht aus dem sorgenden
Haften und Hängen am Äußeren gelassenes Lassen geworden ist.
Wie die äußeren Güter müssen auch die inneren durch Liebe und beharrliche Hingabe gewonnen
werden. Und das wird nicht an einem Tage erreicht. Denn die Neigung, daß der Mensch in allem,
was er tut, das Seine sucht, wurzelt tief in seiner Natur; und diese Neigung geht so weit, daß, wenn
er sich Gott zuwendet, er zuerst etwas von ihm haben will: Trost oder Wohlgefühl, Befreiung von
diesem oder jenem, Erleuchtung oder andere Gaben. Und auch das Reich Gottes will er zuerst
haben.
Darum gilt es zu erkennen, daß zuvor an die Stelle des Habenwollens das Lassen treten muß; dann
erst wird uns das Reich Gottes zuteil – und alles übrige dazu.
Hüten wir uns also vor dem ichhaften Streben, selbst geistige Übungen und die Hinwendung zu
Gott nur um der erhofften Gaben und Gewinne willen vorzunehmen! Denn Gott und sein Reich
verbirgt sich uns, solange wir ihn um solcher Dinge willen suchen. Wir sollen Gott suchen und nach
seinem Reiche trachten und nach nichts sonst.
Das heißt: wir sollen uns statt nach außen wirklich und gänzlich nach innen wenden, uns in den
Grund unserer Seele einsenken und das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit dort suchen. Darum
bitten wir doch im Vaterunser, daß sein Reich komme. Aber die meisten sind sich nicht bewußt,
worum sie damit bitten. Gott ist sein eigenes Reich. Aus diesem Reich kommt alles, was Leben hat,
und alles strebt dorthin.
Das ist das Reich, um das wir bitten: Gott selbst in all seinem Reichtum. Hier ist Gott unser Vater.
Und dadurch, daß er seine Wohn- und Wirkstatt in unserer Seele bereitet findet, wird sein Name
geheiligt: das ist sein Geheiligwerden in uns, daß er in uns walten und wirken kann. Da geschieht
sein Wille in uns, im inneren Leben, im Himmel, wie außer uns, im äußeren Leben, in unserem
irdischen Dasein.
Damit das geschehe, müssen wir uns lassen, uns in rechter Gelassenheit dem göttlichen Willen
überlassen und der Kraft Gottes in uns, die alles vermag, rückhaltlos vertrauen. Wir müssen statt
unserer eigenen seine Gerechtigkeit suchen, die darin besteht, daß er in und bei denen bleibt, die ihn
innerlich suchen, nur ihn im Sinne haben und sich Ihm lassen und hingeben. In solchen Menschen
herrscht und wirkt Gott. Von ihnen fällt alles äußere Sorgen ab.
Das heißt nicht, daß man Gott versuchen soll. Man soll weiterhin seine Aufgaben im äußeren Leben
mit Sorgfalt, Vorsicht und Fleiß erfüllen, wie es sich, auch dem Nächsten gegenüber, gebührt – im
Geiste liebender gegenseitiger Dienstleistung. Und man soll in allen äußeren Dingen Ordnung und
Weisheit walten lassen, alles, was man tut, bewußt und gewissenhaft tun und sein Bestes geben.
Aber bei alledem soll man auf Gott blicken, nicht an den Dingen hängen und alles Sorgen Gott
überlassen.
Denn alles, was der Mensch tut oder läßt, ob er schafft oder ruht: wenn er dabei nicht Gott im Sinne
hat, bleibt es fruchtlos. Solange er irgend einer Weise folgt, entfernt er sich von Gott, der weiselos
ist. Denn hinter jeder Weise steht das Ich; hinter dem Lassen und Entsinken in den innersten Grund,
im Entwerden des Ich, steht Gott.
Darum sagt Dionysius mit Recht: Man halte sich nicht an das Ich, sondern an das ,Nicht': man wolle
nicht, erkenne nicht, begehre nicht, suche nicht, sei nicht, sondern lasse sich und alle Dinge und
gebe sich gänzlich hin. Dann gelangt man aus allen Weisen ins Weiselose, aus dem Wesen ins
Überwesentliche, aus allem Erkennbaren ins Unerkennbare, aus dem Ich zum göttlichen Nicht-Ich.
In diesem unerkannten Gott suche Deinen Frieden und trachte dabei weder nach Empfindung noch
nach Erleuchtung. Entsinke völlig in Dein lauteres Nichts, das in Wahrheit Dein Selbst ist. Und
halte Dich an nichts, was Dir einleuchtet oder Dich erleuchtet, sondern lasse auch das; halte Dich
unten und entsinke weiter im Nichtwollen und Nichtich – immer weiter in die Tiefen der Gottheit.
Das meint das göttliche Wort, das der Prophet Hesekiel vernahm: "Die da in das Allerheiligste
eingehen, sollen kein Erbe haben, sondern Ich selber will ihr Erbe sein." Das gilt für alle, die in die
Verborgenheit Gottes eingehen wollen: die sollen kein Erbe mit sich nehmen, sondern ihr Erbe und
ihre Habe soll allein das weiselose, namenlose Wesen Gottes sein. Zu nichts anderem sollen sie sich
neigen als in das Nicht-Sein.
Als Gott alle Dinge erschuf, hatte er nichts vor sich als das Nichts. Er machte kein Ding aus Etwas,
sondern schuf alles aus dem Nichts. Wo er wirken soll, bedarf er dazu nichts als des Nichts. Willst
Du darum ohne Unterlaß empfänglich sein für Gottes Wirken, so entsinke aus Deiner Ichheit in
Dein Nichts; denn Dein Etwas-Sein, Deine Ichhaftigkeit hindert Gott, in Dir zu wirken und sich
durch Dich zu offenbaren. Das ist der Sinn des Wortes: Je niedriger, desto höher; je weniger, desto
mehr! Gott will den aller Ichheit entkleideten innersten Menschen haben. Darum lerne, Dich zu
lassen, Deinen Seelengrund frei zu halten vom Haften und Hängen an Vergänglichem. Werde leer
von allem, was nicht Gott ist. Denn Gott will Dich allein und ganz.
Wenn Du eine Wunde hast, in der etwas Böses wuchert, läßt Du Dich, auch wenn es schmerzt,
schneiden, damit nicht größeres Unheil entstehe. So auch sollst Du alles, was an Schickungen über
Dich kommt, mit denen Gott Dich heimsucht und zu sich zieht, willig hinnehmen als etwas, das Dir
hilft, das Böse und Unheilvolle aus Dir zu entfernen, damit Dein innerstes Wesen ganz rein und heil
und gänzlich von Gott erfüllt werde.
Lerne, in diesem Sinne ein in Gott gelassener Mensch zu werden, der, mag geschehen, was will,
ohne Furcht und Sorge im Frieden Gottes ruht, sich gänzlich Gott überläßt und ihn machen läßt.
Dann gehst Du aus Deiner Ichheit heraus und in die Gottheit ein. Und dann geschieht der Wille
Gottes auf Erden wie im Himmel, außen wie innen; denn dann bist Du selbst Gottes Reich, und
Gott herrscht in Dir und wirkt durch Dich.
Das Reich Gottes ist inwendig in uns, im Innersten des Seelengrundes:
Wenn wir mit allen Kräften den äußeren Menschen in den inneren hineinziehen und der innere
Mensch sich völlig hineinsenkt in seinen innersten Mittelpunkt und Seelengrund, in die
Verborgenheit des göttlichen Selbstes, in dem das wahre Bild Gottes liegt, und wenn sich dieses
dann gänzlich in den göttlichen Abgrund schwingt, in dem der Mensch ewig in seiner
Ungeschaffenheit war – alsdann, wenn Gott den Menschen so in völliger Entwordenheit und
Hingabe sich gänzlich zugewendet und seinen Seelengrund aufgeschlossen findet, neigt sich der
Gottesgrund ihm zu und ergießt sich in den ihm offenen und gelassenen Seelengrund, überformt den
geschaffenen Seelengrund mit der Fülle seines Lichts und zieht ihn durch diese Überformung in die
Ungeschaffenheit des Gottgrundes, so daß der Geist ganz mit ihm eins wird.
Könnte der Mensch sich hierin wahrnehmen, er sähe sich so edel, daß er glauben würde, Gott zu
sein; er würde sich als hunderttausendmal edler erkennen, als er aus sich selbst ist. Er würde hier
aller Gedanken und Gesinnungen, Worte und Werke, alles Wissens seiner selbst und aller Menschen
inne; alles, was je geschah, würde er da von Grund aus erkennen, wenn er in dieses Reich gelangt.
Und in dieser Rückkehr zu seinem ursprünglichen Adel würde alles Ungewißsein und Sorgen für
immer von ihm abfallen.
Das ist das Reich Gottes in uns, nach dem wir zuerst und vor allem suchen und trachten sollen, und
die göttliche Gerechtigkeit, die wir dann suchen und finden, wenn wir in allen Schickungen und in
allen Werken Gott als einziges Ziel unserer Gesinnung im Auge haben und ihm allein vertrauen.
Hierauf zielt Paulus mit seinem Rat, sorgfältig "die Einigkeit des Geistes im Band des Friedens zu
wahren." Denn in diesem Frieden, den man im Geiste und im innersten Seelengrund findet,
empfängt man ja alles: das Reich und die Gerechtigkeit. Wer um das Einssein seines Geistes mit
Gott weiß, der ist in allen Weisen und Werken und an allen Orten im Frieden Gottes. Ihm wird alles
zur Erfahrung der Gegenwart Gottes in ihm.
Diese Gewißheit gilt es hier und jetzt zu gewinnen. Denn wie Augustinus sagt: "Nichts ist so gewiß
wie der Tod und nichts so ungewiß wie die Stunde des Todes“; darum ist es nötig, ohne Unterlaß
bereit zu sein und vom Wähnen zum Wissen und Gewißsein zu gelangen. Dazu leben wir hier in der
Zeitlichkeit – nicht um der Werke willen, sondern um Gottes und seines Reiches in uns gewiß zu
werden. Denn aus diesem Wissen erst entspringt das rechte Werk.
Je gewisser uns Gottes Gegenwart wird, je inniger unser Gemüt auf Gott gerichtet und von ihm
erfüllt ist, desto friedevoller und gelassener wird unser Tun, desto weniger können uns die äußeren
Dinge beirren und verwirren; denn dann ist nichts mehr in unserem Seelengrunde als Gott. Und
wenn Gott Grund, Ursache und Ziel aller Dinge und Werke ist, sind wir mit uns selbst und mit
allem in Frieden und ruhen mit unserem Seelengrund im Gottesgrund.
Daß wir dazu gelangen und das Reich Gottes in uns finden, dazu helfe uns Gott!
GOTT RUFT UND BERUFT UNS

"Ich, der in Gott Gebundene, bitte euch, würdig zu wandeln in der Berufung, zu der ihr berufen
seid, und die Einheit im Geiste zu wahren." Eph. 4; 1 f.
In den Worten, mit denen Paulus uns bittet, unserer Berufung zu folgen, sind vier Dinge zu
beachten:
Das erste ist: Wer uns hier ruft und beruft.
Das zweite: Wozu er uns ruft, wohin er uns haben will.
Das dritte: Welches sein Ruf ist und wann er uns ruft.
Und das vierte: Wie man dem Rufe würdig folgt.
Nun zum ersten: Wer uns ruft, das ist Gott, und er ruft uns mit allem, was er ist, hat und vermag. Er
ruft und lädt uns zu sich: seine Güte, Liebe und Weisheit lädt und leitet uns zu ihm und in ihn.
In Wahrheit: Gott hat Verlangen nach uns, als ob seine Seligkeit in uns liege. Was immer seine
Liebe und Weisheit im Himmel und auf Erden schufen, das geschah nur, daß er uns damit in
unseren Ursprung zurückrufe, und daß wir heimkehren in sein Reich, das auf uns wartet.
Das zweite ist: Wozu er uns ruft. Er ruft uns zu seinem Sohn, damit wir uns als seine Brüder
erkennen und als Miterben des Reiches. Er ruft uns, Christi Vorbild zu folgen; denn er ist der Weg,
den wir gehen sollen, die Wahrheit, die uns leuchten soll, und das Leben, das unser Ziel sein soll.
Das dritte: Welches der Ruf sei und wann er ruft. Der Ruf, mit dem Gott uns zu sich lockt, ist
mannigfacher Art: innerlich, im Seelengrund, ruft Gott uns ohne Unterlaß, und ebenso im inneren
Menschen Tag und Nacht, und äußerlich mit allen Schickungen, die er uns zuteil werden läßt, seien
sie freudvoll oder leidvoll. In alledem ruft er uns.
Würden wir das erkennen und seinem Rufe folgen, bedürfte es oftmals nicht der drängenden
Stimme in Gestalt leidvoller Schickungen.
Und das vierte: Wie wir dem Rufe würdig folgen. Das geschieht eben durch Geduld und
Hörbereitschaft, Sanftmut und gelassene Hingabe an seinen Ruf und seinen Willen.
Damit erhebt sich die weitere Frage: Wen ruft Gott. Dreierlei Menschen ruft er: zunächst die
Anfänger im Leben aus dem Geiste, dann die Fortgeschrittenen und schließlich die Vollkommenen.
Die einen werden auf die untere Stufe, die anderen auf die zweite Stufe und die letzteren auf die
oberste Stufe der Vollkommenheit gerufen.
Das möge niemand mißverstehen; denn wen Gott auch immer ruft und auf welche Stufe er ihn
beruft: wir sollen alle Christus gleichförmig und vollkommene Kinder Gottes werden.
Nun sagen zwar manche, Gott sei ihnen über alles lieb. Aber in Wahrheit wollen sie die Dinge und
Wesen nicht lassen, an denen sie weit fester hängen als an Gott. Sie suchen in ihnen mehr Lust und
Befriedigung als in Gott. Das sind die Ungelassenen. Wenn sie das einsehen und lernen, Gott über
alles zu lieben und ihre Nächsten wie sich selbst, haben sie die unterste Stufe erreicht, auf der sie
dem Rufe Gottes folgen, und sind auf dem Wege, zu Gott zu kommen und von ihm berufen zu
werden.
Nun gibt es eine zweite Stufe, die höher ist; und jene, die auf ihr dem Ruf und Rat Gottes folgen,
gelangen wesentlich weiter. Sie horchen auf die Stimme Gottes und gehen den Weg, den Gott sie
weist, der ihrer göttlichen Berufung gemäß ist.
Um den Rat Gottes zu vernehmen und seine Berufung zu erkennen, muß man sich oft nach innen
wenden und schweigend nach innen lauschen. Aber wie wenige wenden sich einwärts und
vernehmen den Ruf! Heute wollen sie dies, morgen tun sie jenes – je nach den Anrufen und
Anreizen, die von außen kommen oder nach dem, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Und so
eilen sie hierhin und dorthin und kommen von dem Wege ab, zu dem sie gerufen sind.
Darum die Mahnung, oft in uns selbst einzukehren und immer wieder zu prüfen, womit wir
umgehen und wohin wir gehen, daß wir nicht von uns selber abkommen und den Weg verfehlen, zu
dem wir berufen sind.
Nur dann gelangen wir auf die obere Stufe und den höchsten Weg der Berufung, auf dem wir
Christus nachfolgen, äußerlich und innerlich, wirkend und lassend, bildlich und bildlos. Wer ihm
nachfolgt und damit aus seiner Ichheit heraustritt, der erreicht das höchste Ziel.
Aber wie viele nennen sich Christen und sind doch keine Nachfolger Christi. Von ihnen spricht
Lukas in seinem Evangelium (14; 16 f.), wenn er von dem Herrn berichtet, der ein großes
Abendmahl richtete und seine Diener zu den Geladenen sandte: ,Kommt, denn es ist alles bereit!' –
Aber wie wenige kamen? Der eine hatte gerade einen Acker erworben und war unabkömmlich; der
andere hatte einen Ochsen gekauft; der dritte hatte geheiratet und konnte deshalb der Einladung
keine Folge leisten.
Von dieser Einladung sagt Gregorius, sie sei erstens ein Ruf zum inwendigen und unmittelbaren
Erkennen des Seelengrundes, in dem das Reich Gottes ist, und zum Fühlen und Miterleben, mit
welcher Liebe Gott da wohnt und wirkt. Zweitens sei sie ein Ruf zum heiligen Sakrament Christi.
Und drittens sei sie eine Einladung zum Eintritt in das ewige Leben.
Wer nun der ersten Einladung folgen will, der achte darauf, wann immer er gerufen wird. Die
Meister sagen mit Recht: Wer nicht in gewisser Weise einen Vorgeschmack hiervon hat, darauf
eingestellt, dafür aufgeschlossen und hörbereit ist, der wird den Ruf überhören und die Einladung
versäumen.
Nun werden sich allerdings manche guten Menschen ihr Leben lang nicht bewußt, eingeladen zu
sein. Und doch sind sie dem Reiche Gottes in ihnen näher als jene, die den Ruf vernahmen, der
Einladung bewußt wurden, ihr aber wegen des Haftens an äußeren Dingen nicht zu ihrer Stunde
folgten.
Es gibt manche, die sich durch die ihnen gewordenen Offenbarungen und Erleuchtungen als
Berufene und Eingeladene ausweisen, davon aber nicht den rechten Gebrauch machten und so nur
bis zum Eingang des Reiches Gottes gelangen, jedoch nicht eintreten und bewirtet werden. Denn
Gott mißt jedes Menschen Bereitschaft nach dem Maße seiner Liebe. Wer in den Grund einkehren
und in das Reich Gottes eintreten will, der muß sein Herz und seine Liebe von allem gelöst haben,
das nicht Gott ist oder nicht von Gott kommt.
Die zweite Einladung ist das Sakrament Christi, von dem später zu sprechen sein wird. Auch dazu
werden wir alle Tage gerufen und eingeladen, Gott wie Speise und Trank in uns aufzunehmen,
damit er wie diese in uns aufgehen kann und wir dabei ganz in ihn verwandelt werden. Wir können
von diesem Sakrament und der dadurch bewirkten Wandlung nie genug begehren und können uns
nicht oft genug nach innen wenden und uns an das Lassen und Hingeben unserer selbst gewöhnen.
Und wir können uns nicht oft genug der Andacht und Meditation überlassen und, statt äußeren
Dingen nachzusinnen und nachzujagen, uns selbst auf den Grund gehen, uns auf das Reich Gottes
in uns besinnen und uns ihm aufschließen.
Dazu aber müssen wir zuvor ,aus Ägypten ausgefahren sein', also das Reich der Finsternis verlassen
haben, das Hängen am Äußeren, wenn uns das Brot, das vom Himmel kommt, munden und
bekommen soll, von dem es heißt: "Wer dies Brot isset, der wird leben in Ewigkeit."
Dies Brot ward den von Gott Auserwählten nicht zuteil, solange sie noch von dem Mehl zehrten,
das sie aus Ägypten mitgebracht hatten, das heißt: solange ihnen noch die äußeren Dinge Genuß
bereiteten und sie an diese hingegeben waren. Erst wenn der Mensch nicht mehr aus den Sinnen
lebt, sondern aus dem Geiste zu leben gelernt hat, wird ihm die göttliche Speise gereicht und der
Hunger seiner Seele wird gestillt.
Wohl denen darum, die auf den inneren Ruf achten, auch der zweiten Einladung folgen und in den
Genuß der göttlichen Nahrung kommen, damit sie nicht in den Tod fallen, d. h. in die Liebe zu den
geschaffenen Dingen zurückfallen und damit ihres Adels, Erben des Reiches Gottes zu sein,
verlustig gehen.
Denn so handeln viele der Gerufenen und Geladenen, deren Glaube klein und deren Hingabe gering
ist: wenn der Ruf ergeht, nahen ihnen Zweifel und Anfechtungen. Sie denken: "Wozu mich ins
Ungewisse wagen; es ist doch wohl besser, wenn ich in der Welt bleibe und sie, die Kreaturen und
Güter der Welt, die ich habe, genieße, als wenn ich all das lasse."
So bleibt mancher an der Schwelle des Reiches Gottes stehen und kehrt wieder um, weil er Gott
nicht vertraut. Wer aber nicht an der Schwelle zurückblickt, sondern eintritt, der folgt damit der
dritten Einladung und tritt in das Reich des ewigen Lebens ein.
Hieran möge nun jeder ermessen, wie nah oder fern er Christus ist. Er muß Ihm innerlich folgen
und Ihn in sich suchen, wo Er im Grunde wesentlich und wirklich lebt. Er muß sich immer aufs
neue in sich selber einsenken und in Stille und Schweigen ohne alle Werke und Bilder die Einheit
im Geiste wahren, auf daß, wie Paulus hierzu weiter sagt, ein Leib und ein Geist sei, ein Vater und
ein Gott in der Überformung des geschaffenen Geistes durch den unerschaffenen Geist, nach der
nicht mehr zwei sind, sondern nur noch einer.
Von da an gilt es, "würdig in dieser Berufung zu wandeln", aus dem Geiste der Einheit zu leben.
Und das heißt: äußerlich die Eigenheit eines jeden zu achten, innerlich aber auf die Einheit in
Christo achtzuhaben.
Es bedeutet, daß der Mensch, der die obere Stufe erreicht hat, sich zuweilen in dienstwilligen
Liebeswerken übt, soweit es nottut und ihm zukommt, zu anderen Zeiten sich dem heimlich entzieht
und sich in Gebet und Versenkung ganz nach innen wendet, und wieder zu anderen Zeiten keines
von beiden tut, sondern dem Rat des Heiligen Anselmus folgt: "Entziehe dich der Mannigfaltigkeit
äußerer Werke, entschlafe dem Bildermeer der Gedanken und sitze und ruhe und erhebe dich selbst
über dich selbst!"
Denn wenn der Mensch gänzlich zu friedevoller Stille geworden und alle Unruhe verklungen ist,
dann kommt Gott in einem sanften stillen Wehen und Wispern und richtet seinen Blick in den Geist.
Und wenn der Geist der Gegenwart Gottes inne wird, geschieht es ihm zuerst wie Elias, der ob des
strahlenden Lichts der göttlichen Gegenwart sein Haupt verhüllte. Das heißt: der Mensch entgleitet
sich selbst, verliert seine Ichheit und entsinkt allen Dingen und Kreaturen in sein lauteres Nichts.
Wenn Gott sieht, daß die Seele so gänzlich aus sich selbst herausgetreten ist in ihr Nichtsein, dann
umfängt er sie mit der Kraft seiner Liebe und richtet sie auf. Diese Erhebung ist die Folge der
Erniedrigung. Aus der Nichtheit entspringt als Frucht der Einheit die Allheit.
Daß wir dieses göttlichen Rufes und unserer Berufung innewerden und das hohe Ziel erreichen,
dazu helfe uns Gott!

GOTTSUCHER SIND GOTT GESUCHTE

"Welches Weib ist, die zehn Groschen hat, von denen sie einen verlor, die nicht ein Licht anzündet,
das Haus umkehrt und mit Fleiß sucht, bis sie ihn findet." Luk. 15; 8
Dieses Gleichnis will – wie alle Gleichnisse – nicht äußerlich und wörtlich, sondern innerlich und
geistig verstanden werden:
Die Frau ist die Gottheit. Das Licht, das sie entzündet, ist das innere Licht im Menschen. Der
Groschen ist die Seele.
Drei Eigenschaften hat der Groschen: sein Gewicht, seine Materie, die aus Gold oder Silber besteht,
und seine Prägung, d. h. sein Bild.
Das Gewicht der Seele ist unwägbar: sie wiegt mehr als Himmel und Erde und alles, was darin
beschlossen ist. Denn Gott ist in ihr; darum wiegt sie soviel wie Gott.
Ihre Materie ist das Gold der göttlichen Wesenheit, die in sie eingesenkt ist, die sich mit der
Überwesentlichkeit ihrer göttlichen Liebe in den Geist, sich selbst, versenkt und ihn ganz mit sich
verbunden, verschmolzen, vereint hat.
Um das zu erkennen und den verlorenen Schatz zu finden, mußt Du einen anderen Weg gehen als
jene, die der äußere Mensch geht, mögen es auch die edelsten Wege geistiger Übung sein. Und
welchen?
Die Frau "entzündete ein Licht und kehrte das Haus um." Was hier entzündet wird, ist das Licht der
ewigen Gottesweisheit. Und was sie entzündet, ist die Liebe.
Sie muß das Licht zur Entflammung und zum Brennen bringen.
Aber wie wenige wissen, was Liebe ist! Liebe ist nicht sinnliches Wohlgefühl und Wollust des
Besitzes, sondern Liebe ist jenes unstillbare brennende Verlangen nach völliger Hingabe seiner
selbst, nach willigem Lassen und gelassenem Gott-Wirkens-Lassen: das ist es, wodurch das Licht
entzündet wird.
Und nun kehrt sie das Haus gänzlich um und sucht den güldenen Groschen. Wie geschieht dies
Suchen? Es ist sowohl ein Tun wie ein Lassen.
Das tätige Suchen findet statt, wenn der Mensch sucht, im lassenden Suchen wird er gesucht.
Das tätige Suchen ist wiederum zweifach: äußerlich und innerlich. Das äußere Gottsuchen besteht
in guten Werken und geistigen Übungen, in Gewöhnung an Sanftmut, Stille, Gelassenheit und alle
anderen Tugenden, die man durch Übung mehren kann.
All das ist gut; aber hoch über dem steht das innere Suchen: es ist so hoch über allem äußeren
Suchen wie der Himmel über der Erde, und ihm ganz ungleich. Es besteht darin, daß der Mensch in
seinen eigenen Seelengrund eingeht, in sein Allerinnerstes, und dort Gott sucht gemäß dem Worte
Jesu Christi: "Das Reich Gottes ist inwendig in euch."
Wer dieses innere Reim finden will – und das ist Gott mit all seinem Reichtum und seinem
selbsteigenen Wesen –, der muß es da Suchen, wo es ist, nämlich im innersten Grunde seines
Wesens, wo Gott der Seele weit näher und inwendiger ist, als sie sich selber ist.
Dieser innerste Seelen- und Gottesgrund muß gesucht und gefunden werden. In diese Wohnstatt
Gottes muß der Mensch eingehen und entsinken und sich allem, was sinnenhaft ist und seinem
äußeren Menschen zugehört, allem, was an Bildern und Formen mit den Sinnen erfaßt wird, ebenso
entziehen wie allem, was Phantasie und Vernunft innerlich an Bildern und Zielen gestalten.
Wenn der Mensch in diesen Grund gelangt und Gott da sucht, wird, das Haus umgekehrt', und
alsdann sucht nicht mehr er Gott, sondern Gott sucht ihn. So geschieht es diesem Menschen: wenn
er in diese Wohnstätte Gottes kommt und hier, im Seelengrund sucht, kommt Gott und sucht den
Menschen und kehrt das Haus gänzlich um.
Nun will ich etwas aussprechen, was nicht jeder versteht, auch wenn ich deutsch spreche.
Einleuchten wird es nur dem, der schon vom inneren Licht berührt ward:
Das suchende Hineinsehen besteht nicht darin, daß man zuweilen hineingeht und dann wieder
herausgeht und sich wieder mit den Kreaturen und der Welt zu schaffen macht. Sondern die rechte
Einkehr und innere Umkehr, bei der aus dem Gottsucher ein Gottgesuchter wird, besteht eben darin,
daß, wenn der Mensch in dieses Haus, in den inwendigen Grund kommt, ihm alles, was nicht Gott
ist, gänzlich genommen und sein Innerstes so völlig umgekehrt und umgewandelt wird, wie er es
noch nie erlebt hat, und zwar wieder und wieder. Alle Weisen und alle Lichter, alles, was der
Mensch je erfahren und erkannt hat, wird in diesem Suchen gänzlich umgekehrt.
In dieser Umkehrung und Umwandlung wird der Mensch, wenn er sich ihr gänzlich läßt, überläßt
und hingibt, unaussprechlich viel weiter geführt als mit allen Werken, Weisen und Übungen, die je
erdacht wurden. Wer sich hier völlig läßt, dem wird so licht und leicht, daß, wenn er will, er in
jedem Augenblick einkehren und sich über alle Natur hinausschwingen kann.
Diese Natur aber ist dem Menschen überaus anhänglich und will immer etwas, daran sie haften und
hängen und ihre Stütze haben kann. Sie bewirkt, daß die meisten Menschen ungelassen sind, weil
sie an ihrem Ich und an den Dingen haften, weder das eine noch das andere lassen wollen, so daß es
mancherlei Leiden bedarf, damit sie lassen lernen.
Die gelassenen Menschen hingegen entsinken und entwerden allem, woran die Natur sich halten
möchte, und dringen ohne Anhaften und Anhalten und ohne sich auf irgend etwas zu stützen, in den
Grund und halten sich dabei gänzlich gelassen und leer, so daß Gott einziehen und die Wandlung
vollziehen muß.
Wer in solcher Weise einkehrt und sich innerlich umkehren läßt, der überschreitet damit alle Werke
und Weisen der Welt. Dies meint Christi Wort: "Wer zu mir kommen will, der verzichte auf sich
selbst und wende sich ganz zu mir!"
So muß der Mensch sich lassen und sich allem Festhalten an dem entziehen, was ihn am wahren
Fortschritt und Aufstieg hindert.
Die Ungelassenen geraten indes in große Anfechtungen und Zweifel. Sie fühlen sich verlassen, weil
sie sich nicht zu lassen vermögen, meinen, es sei alles verloren, geraten in wachsende Furcht und
jammern: "Herr, ich bin allen Lichts und aller Gaben beraubt." Das endet erst, wenn sie zum Lassen
finden, nur noch Gott suchen und sich von Gott suchen und finden lassen. Dann werden sie von
Gott liebreich über alle Dinge geführt.
Eingangs sagten wir vom Groschen, daß er sein Gewicht, seine Schwere haben müsse. Das heißt:
die Seele muß infolge ihrer Gott-Gewichtigkeit immer wieder von selbst in den Grund fallen und
entsinken, soweit sie da herausgefallen ist: in all der Reinheit und Lauterkeit, wie sie aus dem
Lichtgrund ausgeflossen ist.
Und schließlich muß der Groschen seine Prägung haben, sein Bild: die Seele muß nicht nur nach
dem Bilde Gottes gebildet sein, sondern sie muß geradezu dasselbe Bild sein, das Gott selbst in
seinem eigenen göttlichen Wesen ist.
Denn in diesem Bilde liebt Gott, sucht Gott, erkennt und hat Gott sich selbst. Gott liebt und lebt und
wirkt in ihm.
Hierin wird die Seele völlig gottebenbildlich, gottförmig, gottartig; sie ist all das von Gnaden, was
Gott von Natur ist: in dem Hineinsinken in Gott, in der Vereinigung mit Gott wird sie über sich
selbst hinaus in Gott zurück genommen. Und so völlig eins und gottförmig ist sie da, daß, wenn sie
da sich selbst erblicken könnte, sie keinen Unterschied sähe zwischen Gott und sich. Oder wer sie
so erblickt, der sähe sie in der gleichen Farbe und Weise wie Gott und wäre selig in diesem
Schauen; denn Gott und die Seele sind in dieser Vereinigung völlig eins.
Selig jene, die in solcher Weise Gott suchen und sich von Gott finden lassen, daß Gott sie in den
Seelen- und Gottesgrund hinabzieht und sich1 ihnen in unaussprechlicher Weise eint! Das geht über
alles hinaus, was sich mit Worten aussagen läßt.
Daß wir alle diesen Weg gehen, dazu helfe uns Gott!
DER MENSCH – EIN TEMPEL GOTTES

"Er ging in den Tempel und fing an, auszutreiben, die darin verkauften und kauften. Und sprach:
Mein Haus ist ein Bethaus." Luk. 19; 45 f.
Mit seinem Wort "Mein Haus ist ein Bethaus" lehrte Christus die Seinen, die Kinder Gottes, was sie
zu tun haben, damit ihr innerer Mensch eine Stätte der Hingabe an Gott sei; denn der Mensch ist
seinem Wesen nach ein Tempel Gottes.
Damit unser innerster Seelengrund eine würdige Heimstatt Gottes sei, müssen zuerst die Händler
und Käufer hinausgetrieben werden, nämlich der Ungeist der Eigensucht und des Habenwollens,
des Trachtens und Gierens nach äußeren Gütern, und alles, was dem Eigenwillen des Ich dient.
Dann, wenn alles, was nicht Gottes ist, was Gott ungemäß und ungleich ist, hinausgetrieben ist,
wird die Seele wieder das, was sie ihrem Wesen nach ist: ein Tempel Gottes, in dem Gott in
Wahrheit wohnt.
Wer sind jene, die im Tempel verkaufen und kaufen? Es sind die, die ihre Liebe und Befriedigung in
den Kreaturen und Dingen finden, jene, die, ehe sie einmal an Gott denken, vierzigmal von äußeren
Dingen träumen und so ihren inneren Menschen ganz nach außen ziehen und den Tempel Gottes
entweihen.
Denn daran ist kein Zweifel: Wer will, daß Gott in ihm wohne und wirke, der muß alle Hindernisse,
alles, was nicht seine Ursache in Gott hat oder zu Gott hinführt, aus sich entlassen. Er muß sich
darin üben, immer wieder von den Dingen weg und auf Gott hin zu blicken, bis ihm Gott lieber ist
als alle Dinge. Dann erst ist der Tempel gereinigt, wenn alle Kreaturen und alle Befriedigung durch
sie ausgemerzt sind derart, daß wir sie weder willentlich noch aus Neigung in uns aufnehmen und
behalten.
Alsdann sind wir wahre Kinder Gottes, also solche, die Gott wesentlich und gegenwärtig und
wirkend in sich wissen – in ihrem innersten Seelengrund.
Die dessen ungewiß sind, die haben nur einen gedachten und gemachten Gott. Ihnen entgeht die
lebendige Gegenwart Gottes in ihnen. Sie hängen mehr an den Dingen als an Gott.
Die wahren Kinder Gottes lassen die äußeren Dinge hinfließen, ohne sich tiefer mit ihnen
einzulassen, als ihre Notdurft erfordert, während sie das, dessen sie nicht bedürfen, lassen, ohne
sich damit aufzuhalten. Sie suchen in allem nach Gott und dringen durch alle Schickungen, seien es
gute oder böse, zu Gott. Sie sorgen sich nicht um das, was sie aufhält, widerstehen ihm nicht,
sondern blicken bei alledem auf Gott, suchen ihn allein und bleiben in aller Mannigfaltigkeit ihres
Einsseins mit dem lebendigen Gott in ihnen gewiß.
Wer sich solchermaßen als Tempel Gottes fühlt und der Gegenwart Gottes in ihm gewiß ist, der
wird nicht durch die Dinge und Weisen der äußeren Welt verwirrt und zerstreut, was auch immer
geschehen mag, sondern er weiß sich Gott im Gemüt ganz nahe und bleibt seiner inneren
Gegenwart bewußt. So kann ihn nichts Äußeres entfrieden.
Wo aber ein Mensch von äußeren Dingen und Geschicken entfriedet wird, zeigt das, daß er seiner
Gotteskindschaft und der Gegenwart Gottes im Grunde seiner Seele noch unbewußt ist und daß sein
Denken, Streben und Handeln mehr nach außen, mehr auf die Dinge, ihren Besitz und Genuß
gerichtet ist als auf Gott.
Wenn der Mensch dessen gewahr wird, soll er sich wieder und wieder nach innen wenden, bis sein
Gemüt uneingeschränkt auf Gott gerichtet ist und in allem ihn will und meint, nicht die Dinge,
sondern ihn sucht und, was er tut, Gott zuliebe wirkt – nicht nach seinem Willen, sondern nach
Gottes Willen.
Denn solange der Mensch lebt und wirkt, ohne Gott in sich zu wissen, lebt und geht er unsicher und
alles bleibt ungewiß. Von ihm gilt das Wort der Schrift: "Wehe dem, der allein ist; fällt er, so hilft
ihm niemand auf." Wenn aber Gott in seiner Seele wohnt, kann ihm nichts und niemand etwas
anhaben; er weiß sich jederzeit und allerorten gesichert und geborgen.
Wenn es so mit uns steht, müssen die Krämer, wenn sie mit ihrem Kram hereinkommen, sogleich
wieder hinaus, weil kein Verlangen nach ihnen da ist. Und wenn sie versuchen, sich eine Weile ohne
unseren Willen und ohne unsere Zustimmung im Tempel niederzulassen, können sie uns nicht
schaden, sondern müssen zur selben Tür hinaus, durch die sie eindrangen. Und wenn sie noch etwas
ihnen Gemäßes, das nicht göttlich war, in uns fanden, müssen sie das mit sich nehmen, so daß der
Tempel unserer Seele bei ihrem Gehen reiner ist denn zuvor.
So müssen den guten Menschen, den Kindern Gottes, alle Dinge zum Besten dienen.
"Mein Haus ist ein Bethaus." – Gebet heißt Andacht, heißt Hingabe. Es heißt sich innerlich mit Gott
verbinden und ganz dem Ewigen zugeneigt und hingegeben sein. Wenn Du Dich solchermaßen in
schweigender Hingabe Gott verbindest, hast Du Andacht, wo Du auch weilst und was Du auch
wirkst.
Es ist nicht nötig, daß Du ständig vor Seligkeit vergehst. Das ist nur etwas Hinzukommendes, nur
unwesentliches Beiwerk, während das Wesentliche im Lassen liegt, im Sich-Überlassen und
Hingeben an Gott, in der Verbindung und Einswerdung, mit der wir das Reich Gottes betreten, das
in uns ist.
Nun schreibt Hilarius von drei Weisen und Wegen, die unmittelbar in das Reich Gottes hineinführen
und uns in einen lebendigen Tempel Gottes verwandeln. Es sind Glaube, Gotterkenntnis und Gebet.
Was ist Glaube? Ist jeder Christ schon an sich ein Glaubender? Nein. Wie es auf einem Friedhof
viele Tote gibt, so sind – auch in der Christenheit viele, die lebendig scheinen, in Wahrheit aber tot
sind. Denn lebendiger Glaube ist ein immerwährendes Hingewendet- und Hingeneigtsein zu Gott
und zu allem, was göttlich ist. Einerlei, was der Mensch von göttlichen Dingen hört – immer ist es
der lebendige Glaube in ihm, der ihm besser ausweist, was Gott ist, und ihm höhere Gewißheit
verleiht, als alle Meister ihm vermitteln können. Denn der Glaube wurzelt im inneren Reiche
Gottes, in dem das Leben aus seinem eigenen Grunde hervorquillt.
Jene aber, die diesen lebendigen Glauben nicht haben, sind innerlich lau und dürr, kalt und tot, weil
unaufgeschlossen für alles, was von Gott kommt und zu Gott hinführt. Sie haben weder Weg noch
Weise, in sich selbst zu kommen; sie wohnen nicht in sich, sondern in den äußeren Dingen, und sind
sich selber fremd.
Die wahrhaft Glaubenden hingegen wohnen und ruhen in sich, wurzeln im inneren Leben, und was
ihnen äußerlich Göttliches begegnet, das erweckt sogleich ihr inneres Leben und macht offenbar,
daß sie im Reiche Gottes in ihnen leben, das denen, die im Äußeren aufgehen, verborgen bleibt.
Das zweite ist Gotterkenntnis: die findet man eben hier, braucht sie also nicht draußen in allen
Fernen zu suchen; denn sie offenbart sich im Innern. Hier strahlt das göttliche Licht, hier tritt man
durch das rechte Tor ins Reich Gottes.
Von solchen Menschen, die wissen, daß sie Gottes Tempel sind, kann man mit vollem Recht sagen:
"Das Reich Gottes ist in euch!" Sie finden die Wahrheit, die nur von denen erkannt wird, die in
ihrem Innersten daheim sind. Sie finden in sich, was über alles Denken und Verstehen hinausreimt:
das Licht im Licht.
Sie brauchen keine äußeren Bücher mehr, sondern lesen im lebendigen Buch von den wunderbaren
Werken Gottes und dringen vor bis zur Erkenntnis der Dreieinigkeit Gottes: wie der Vater den Sohn
ewig gebiert, wie das Wort ewig im väterlichen Herzen zugegen ist, wie der heilige Geist von
beiden ausfließt und wie die göttliche Dreifaltigkeit sich in die Gott zugewandten Menschen ergießt
und in ihnen widerspiegelt, und wie sie sich in die Gottheit zurückergießt in namenloser
Seligkeit.
Hierin liegt, wie das göttliche Wort sagt, " das ewige Leben, daß der Mensch in sich den Vater
erkennt und Christus, den Sohn, den er gesandt hat," Das ist das wahre Leben im Tempel der Seele;
hier ist Christus in seiner eigenen Wohnstatt; hier ist das Reich Gottes gefunden – die lebendige
Gegenwart Gottes, die alles Leid und alle Leiden löst.
Wer das empfunden hat, der weiß es. Und wer dies in seinem Leben am innigsten empfindet, der ist
im ewigen Leben, im Reiche Gottes, Gott am nächsten.
Das dritte ist das Gebet. Es ist zunächst Einwärtswendung, Hinneigung des Beters zu Gott und
Eingang des Gemüts in Gott. In einem höheren Sinne ist es eine vereinende Einkehr des
geschaffenen Geistes in den ungeschaffenen Geist Gottes, wenn der erstere sich läßt und sich von
der Ewigkeit Gottes bewegen und in die Abgeschiedenheit der Ungeschaffenheit ziehen läßt.
Das tun jene, die Gott mit Christus im Geiste und in der Wahrheit anbeten. In solchem Gebet wird
verloren und gefunden. Verloren wird der Tempel und der Geist und alles, was nicht Gott ist; es ist
in Gott eingeflossen und entworden. Und ist ein Geist mit Gott geworden, wie Paulus sagt: "Wer
Gott anhängt, der wird ein Geist mit Gott." – Und gefunden wird die Einheit. Wie das geschieht,
läßt sich mit Worten nicht beschreiben, sondern nur erfahren. Denn was darüber ausgesagt werden
kann, ist der Wirklichkeit so fern und so gering wie ein Sandkorn gegenüber dem Himmel.
Daß wir es selbst erfahren und erlangen, dazu helfe uns Gott!

VOM RECHTEN BETEN

"Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan."
Luk.11;9
Das Evangelium lehrt uns, wie wir beten sollen, und es unterscheidet dabei das Bitten, das Suchen
und das Anklopfen:
Das Bitten bedeutet, daß wir mit einem gänzlich Gott zugewandten Gemüt etwas von ihm
erheischen.
Das Suchen bedeutet, daß unsere Aufmerksamkeit auf etwas Besonderes gerichtet ist, das wir vor
allen anderen Dingen erlangen möchten.
Und das Anklopfen bedeutet, daß wir ausharren und nicht nachlassen, bis wir das Ersehnte
empfangen haben.
In dem Kapitel des Lukas-Evangeliums wird von einem Manne berichtet – dem Gemüt des
Menschen –, der um Mitternacht zu seinem Freunde – das ist Gott – geht, anklopft und um Brot
bittet – das Brot der Liebe und des Lebens –. Der Freund entschuldigt sich, es sei Nacht, die Türe
verschlossen, und er könne nicht aufstehen. Aber jener klopft so lange an, bis der Freund sich erhebt
und ihm alles gibt, dessen er bedarf.
Was dieses Gleichnis uns lehren will, ist, daß die göttlichen Gaben nicht den Müßiggehenden und
an die Welt Hingegebenen zuteil werden, sondern nur den nach innen Gewandten und in der
Hinwendung zu Gott Beharrenden.
Es belehrt uns auch darüber, um was und wie wir beten sollen.
Wenn der Mensch sich dem Gebet hingeben will, muß er zuerst sein Gemüt von jeglicher
Weltzugewandtheit und Zerstreuung durch äußere Dinge, Wesen und Wünsche, bei denen es weilte,
zurückholen, sich alsdann ganz in den Grund einsenken, um die Gaben Gottes bitten, das Brot der
Liebe und des Lebens im Auge haben und an das väterliche Herz klopfen. Denn wenn er auch alle
Speise und alle Güter der Welt hätte ohne das Brot der Liebe – sie wären ihm nutzlos.
Und dann soll der Mensch bitten, daß Gott ihm gebe und ihm helfe, um das zu bitten, was ihm,
Gott, am meisten gefällt und was dem Menschen am dienlichsten ist. Und was alsdann zu ihm
kommt, das soll er als von Gott gegeben dankbar entgegennehmen.
Und schließlich gilt es zu beachten, wie man Gott bittend angeht. Die meisten können nicht
innerlich, im Geiste, beten, sondern tun es mit Worten. Nun, dann sollen sie es wenigstens mit so
viel Liebe und Hingabe tun, wie sie nur immer aufzubringen vermögen, ihr Herz aufschließen und
Gott bitten, daß er ihnen sich selbst durch Christus gebe. Und wenn sie dabei eine Weise finden, die
ihnen am besten hilft, sich Gott ganz zu lassen, und wenn Gott sich ihnen mitteilt, sollen sie bei
dieser Weise bleiben. Denn darin besteht das Suchen, daß man den Willen Gottes, der immer der
beste für den Menschen ist, zu erkennen suche und beharrlich anklopfe; denn wer ausharrt, dem
wird aufgetan.
Denn weit mehr, als ein liebender Vater seinen Kindern gibt, worum sie bitten, gibt Gott denen, die
ihn bitten, die allerbesten Gaben.
Nun mag einer einwenden und fragen: Wenn Gott so milde und gütig ist und über alle Maßen gibt
und vergibt, wie kommt es dann, daß so mancher Mensch sein Leben lang bittet und doch das
lebendige Brot nicht empfängt?
Darauf habe ich zu antworten, daß dies nicht an Gott liegt, sondern an den Menschen: ihr Herz und
ihr Seelengrund, ihre Liebe und ihre Gesinnung ist nicht auf Gott gerichtet und gesammelt und für
Gottes Wesen und Gaben empfänglich, sondern mit fremder Liebe behaftet, sei es zu Lebenden oder
Toten, zum eigenen Ich und zu dem, was es hat oder besitzen möchte.
Dieses Begehren hat den Seelengrund so ausgefüllt, daß die göttliche Liebe nicht hineinkann.
Achten wir also darauf, womit wir umgehen, was uns bewegt, worauf unser Denken und unsere
Liebe gerichtet ist. Denn wenn die Liebe Gottes uns erfüllen und segnen soll, muß die Liebe zu
allem, was nicht Gott ist, notwendig hinaus.
Das meint das Wort des Augustinus: "Gieß aus, damit du voll werdest!" Aber diese Menschen
wollen nicht ausgießen und lassen; sie kommen mit einem weltzugewandten und welterfüllten
Herzen, mit einem von tausend Dingen angefüllten Seelengrund; und dann kann ihnen das göttliche
Brot nicht gegeben werden.
Das ist nicht Gottes Schuld, sondern ihre eigene. Sie finden Steine statt Brot, weil sie ein steinern
Herz haben, hart und kalt, in dem die Glut der Andacht, Liebe und Hingabe erloschen ist. Sie lesen
wohl eifrig und beten, aber sie empfinden nichts dabei; ihr Sinnen ist nicht darauf gerichtet, es
dürstet sie nicht danach wie den Verschmachtenden in der Wüste nach Wasser; und darum quillt
nichts hervor.
Und wenn sie meinen, genug gebetet zu haben, gehen sie schlafen und beginnen am anderen
Morgen von neuem damit, ihre Gebete herzusagen, und meinen, damit genug getan zu haben. Dabei
ist ihr Gemüt so hart wie ein Mühlstein, daß man sie weder biegen noch brechen kann.
Vor solchem erstarrten und versteinerten Seelengrund hüte Dich! Und mühe Dich auch nicht damit
ab, so beschaffene Menschen zu ändern. Sie würden Dich nur steinigen. Hüte Dich aber auch, daß
Du sie nicht wieder steinigst und hart über sie urteilst; sondern tue den Mund zu und Dein Herz für
Gott auf. Richte Dich selbst und niemanden sonst. Sei sanft und gütig gegen die, die wider Dich
sind. Schweige und nimm alles, was Dich trifft, als von Gott kommend und trage es gelassen ihm
wieder zu in den Grund. Und verlasse Dich nicht auf Deine guten Werke, sondern lasse Dich und
laß Gott wirken!
Woher also kommt es, daß Gott so vielen unter uns fremd und seine Gegenwart ihnen unbewußt ist?
Es liegt daran, daß ihr Gemüt so voll ist der Bilder der Kreaturen und Dinge, daß für Gott kein Platz
ist. Es liegt daran, daß sie nicht zur Andacht, zur Kontemplation und Hingabe bereit sind. Würden
sie ihr Gemüt von den Bildern der Kreaturen und Dinge frei machen, sich lassen und sich Gott
überlassen, so hätten sie Gott ohne Unterlaß. Denn er muß ihren Seelengrund, wenn er ihn leer
findet, völlig erfüllen. Solange aber andere Bilder und Strebungen den Seelengrund erfüllen, ist er
leer von Gott.
Dies wird in einem späteren Kapitel des gleichen Evangeliums (18; 10) verdeutlicht:
Dort wird berichtet, wie zwei Menschen in den Tempel hineingingen, um zu beten: ein Pharisäer
und ein Zöllner.
Der Tempel, von dem hier die Rede ist, ist der inwendige Grund der Seele, in dem Gott wohnt und
wirkt, weshalb niemand sagen kann, wie edel und würdig dieser Tempel in Wahrheit ist. Dorthin
sollen wir uns wenden, um zu beten; und zwar müssen es immer zwei sein, die hineingehen, d. h.
über alle Dinge und über sich selbst hinaus und in ihr Selbst hinein: nämlich der äußere Mensch und
der innere Mensch, wenn das Gebet recht beschaffen sein soll.
Denn was der äußere Mensch ohne den Inneren betet, taugt wenig oder nichts. Der äußere Mensch
gleicht dem Pharisäer: er bläht sich auf und zählt auf, was er alles an Guten getan hat. Der innere
Mensch aber gleicht dem Zöllner: er blickt in sein Nichts und stellt sich völlig Gott anheim, daß er
ihn erfülle; denn wohin Gott mit seiner Barmherzigkeit und Liebe kommt, dahin kommt er mit
seinem ganzen Sein und mit sich selbst.
Das ist gemeint mit dem Wort des Zöllners, der sich abseits hielt – in der Abgeschiedenheit –, daß
Gott ihm in seiner Schwachheit und Nichtheit gnädig sei: in der völligen Hingabe seiner selbst ward
er gerechtfertigt und selig.
Nicht die großen Werke entscheiden und nicht das Gebet des äußeren Menschen, sondern die
willige Hingabe des inneren, der alle Dinge und sich selbst läßt, um ganz in Gott zu entwerden und
mit ihm eins zu sein.
Damit der Mensch auf den Gipfel der Vollkommenheit gelange, ist ihm nichts so nötig wie das
Lassen und Entsinken in den allertiefsten Grund bis zu den Wurzeln der Hingabe. Denn wie des
Baumes Höhe von der Tiefe seiner Wurzeln abhängt, so erfließt alle Erhöhung des Menschen in
Gott aus der Tiefe seines Entsinkens in den Grund.
Achte darum darauf, daß Dein Seelengrund mit nichts erfüllt ist als allein mit dem Verlangen nach
Gott und seinen Gaben. Wenn Du alsdann bittest und suchst und beharrlich anklopfest, wird Dir
gegeben, dessen Du bedarfst. Du wirst die Erkenntnis finden, die Dich erleuchtet, die Wahrheit, die
Dich frei macht, und die Tür wird Dir aufgetan, daß Du eintretest, in die göttliche Liebe entsinkst
und mit ihr eins werdest.
Daß wir alle solchermaßen bitten und suchen, anklopfen und empfangen lernen, erkennen und
eingelassen werden, dazu helfe uns Gott!
DER WEG NACH INNEN

"Folge mir nach" – Und er verließ alles und folgte ihm nach." Luk. 5; 27 f.
Der Herr sprach zu Matthäus: "Folge mir nach!" Und dieser ließ alle Dinge und folgte dem Ruf. Der
Heilige war zuerst ein Sünder und ward hernach einer der größten Gottesfreunde; denn als Christus
ihn inwendig ansprach, ließ er alle äußeren Dinge und folgte ihm.
Hierin liegt alles: um Gott in Wahrheit zu folgen, ist völliges Lassen all der Dinge nötig, die nicht
Gott sind, es sei, was es sei: was immer der Mensch um sich, an sich und in sich findet, Lebendes
oder Totes, das Ich oder etwas vom Seinen.
Denn Gott will unser Herz, und es ist ihm nicht zu tun um das, was wir äußerlich wirken, sondern
um die Hingabe unseres Herzens, um unser Bereitsein zu allem, was göttlich ist. Das ist mehr als
alles Beten und üben und was man sonst noch äußerlich tun kann.
Dies meinte Christi Ruf: "Folge mir nach!" Diese Nachfolge geschieht zumeist mit Hinwendung der
Gedanken und mit Danken und Loben, bisweilen aber auch auf einem höheren Wege der Nachfolge:
nämlich ohne all dies, weder mit Gedanken noch irgendeinem anderen Tun, sondern nur mit einem
inwendigen gelassenen stillen Schweigen in dem nach innen gewandten Gemüt, das willig wartet
und lauscht, was Gott in ihm wirken will.
Es gibt manch, denen bei ihren äußeren Übungen recht wohl ist: das fällt ihnen alles leicht – Beten,
Fasten, Wachen und geistige Übungen, daran haben sie so große Lust, daß Gott um so weniger
daran hat. Diese Lust kann so groß sein, daß Gott sich gänzlich abwendet, weil diese Menschen ihre
Werke aus sich tun und sich dabei groß fühlen, während ihr Ich doch nichts ist und Gott alles.
Wenn man fragt, wodurch man die Lust von dem, was gut ist, scheidet, so antworte ich: durch
Hingabe, d. h. dadurch, daß man alle Lust, die man an guten Werken und Übungen hat, in das Feuer
der Liebe wirft und Gott darbietet, dem alles gehört.
Die Annehmlichkeit aber, die von Natur den Werken anhaftet, sofern sie gute Werke sind, die mag
der gelassene Mensch wohl haben.
Bei rechtern Hinsehen sind es vier Hindernisse, die es auf dem Wege nach innen zu erkennen und
zu überwinden gilt:
Das erste Hindernis besteht darin, daß man mehr dem äußeren Leben zugewendet ist und zuneigt als
dem inneren, sich mehr auf das äußere Wissen verlässt, als auf die Weisungen von innen, also nicht
mit seiner ganzen Liebe Gott zugewendet ist, sondern nur mit einem Teil seines Wesens, und darum
Gottes lebendige Gegenwart und seinen Willen nicht spürt.
Das zweite Hindernis besteht in teils äußeren, teils inneren Erleuchtungen in Formen, Gesprächen
und Gesichten nach fremden Weisen, denen man nachläuft, statt sich nach sich selbst zu richten und
unbeirrt von diesen Lockungen und Ablenkungen allein Gott im Auge zu haben.
Das dritte Hindernis besteht im Hin- und Herflattern in übersinnlichen Erlebnissen und Wahrheiten,
die man sich auf dem Wege nach innen als Verdienst anrechnet, mit dem Licht des Verstandes
betrachtet und lustvoll genießt; denn die Folge ist Selbsttäuschung und Selbstüberhebung und
zunehmendes Abirren vom Wege nach innen, der ausschließlich Gott zum Ziel und Gegenstand hat.
Das vierte Hindernis besteht im Mißverstehen der Forderung der Abgeschiedenheit und des
Lassens, nämlich in einer inneren blinden Untätigkeit ohne tätige Liebe, wobei man körperlich in
Ruhe dasitzt und in falscher Hinneigung zu sich selbst einschläft oder in sich einsinkt in der
Meinung, dieses Untätigsein sei der Friede Gottes, während es nur Lässigkeit und Trägheit ist.
Wer diese vier Hindernisse vermeiden und nur Gott im Sinne haben will, der übe sich mit aller
Hingabe außen wie innen ohne Eigenwollen in der Einfügung in den Willen Gottes in ihm.
Dabei mag er die Weisen und Hilfen, die ihn innerlich wie äußerlich am meisten zu göttlicher Liebe
und zum Guttun reizen, üben, bis sie von selbst wegfallen.
Und würde ihm dabei auch etwas Höheres zu erkennen gegeben, soll er doch vor seinem vierzigsten
Lebensjahr allzu großem Frieden und Reichtum äußerlich wie innerlich und zu großer
Abgeschiedenheit nicht zu sehr vertrauen; denn dazu ist er noch zu sehr der Natur verhaftet. Er soll
sich statt dessen der tätigen Liebe zuwenden, innerlich und äußerlich, und zugleich seine
Bedürfnisse ständig verringern. Gregorius sagt, daß die Priester im Alten Bunde erst mit fünfzig
Jahren Hüter des Tempels wurden.
Aber in welchem Alter auch immer der Mensch, als Frucht ständiger Einwärtswendung und
schweigenden Weiterschreitens auf dem Wege nach innen, sich in den inneren Frieden und die
liebende Hingabe an Gott einsenkt, in jedem Falle wird ihm im Einswerden der Reichtum der
göttlichen Gaben zuteil.
Aber alle diese Gaben sollen ihm immer nur Mittel sein, noch inniger und innerlicher Gottes
Wohnung und Werkzeug zu werden und zu bleiben. Das meint Dionysius: "Laßt alle sinnlichen und
übersinnlichen Werke und alles Erkennenwollen und überlaßt euch völlig dem Einssein mit Gott,
das über alles Verstehen hinausgeht."
Erst wenn der Mensch alle Dinge und sich selbst in allen Dingen gelassen hat, kann er Gott folgen
– mit dem äußeren Menschen in allen Übungen und Tugenden und in gleicher Liebe zu allen
Wesen, und mit dem inneren Menschen im Lassen seiner selbst und aller Dinge, als ob er sie nie
erhalten hätte.
Das werde recht verstanden: Auf dem Wege nach innen sind etliche Dinge zu tun und etliche zu
lassen. Man soll die Dinge weder haben noch an ihnen haften mit dem Gefühl, sie zu besitzen. Nun
ist aber aller Menschen Natur geneigt, zu haben, zu wissen und zu wollen. Da helfen nun sechs
Kräfte, von denen drei zu den unteren gehören: Demut, Sanftmut und Geduld, und drei zu den
oberen: Glaube, Zuversicht und Liebe.
Nun geht der Glaube hin und entzieht der Vernunft all ihr Wissen und macht sie blind, damit sie
dem Wissen entsage. Dann kommt die Zuversicht und nimmt die Sicherheit und das Haben. Und
endlich kommt die Liebe und beraubt den Willen alles Selbstgefundenen und alles Besitzes.
Danach kommen die drei unteren Kräfte: die Demut läßt das Ich so völlig in den Seelengrund
entsinken, daß es seinen Namen verliert und in seiner Nichtheit nichts mehr von Demut weiß. Die
Sanftmut hat die Liebe allen Eigenwillens beraubt, so daß ihr alle Dinge gleich sind und sie sich
nicht mehr bewußt ist, Tugend zu haben. Sie ist mit allen in Frieden. Die Tugend hat hier ihren
Namen verloren und ist Wesen geworden. Und ebenso ist es mit der Geduld: der Mensch liebt und
läßt in Gelassenheit und ist sich seiner Geduld nicht mehr bewußt.
In dieser Gelassenheit mag es ihm dennoch geschehen, daß er einmal ungelassen wird und ihm ein
harsches Wort entfährt.
Darüber soll er nicht erschrecken, sondern soll noch tiefer in sein Nichts entsinken. Jede erkannte
Schwäche soll ihn in sein Nichts weisen und ihm Anlaß sein, den Weg nach innen noch beharrlicher
bis in den tiefsten Grund hinab zu gehen – dorthin, wo der Pfad immer steiler und finsterer wird.
Das meint Christi Wort: "Folge mir nach, gehe unberührt durch alle Dinge, denn alles das bin ich
nicht. Gehe vorwärts, folge mir, gehe vorwärts!" Und wenn der Mensch fragen würde: "Herr, wer
bist Du, daß ich Dir so in die Tiefe und Einsamkeit folgen soll?", so würde er antworten: "Ich bin
Mensch und Gott."
Könnte ihm nun das, was im Menschen noch ,Mensch' ist, hierauf in seinem tiefsten Grunde
antworten: "So bin ich nichts und weniger als nichts", dann könnte der Durchbruch geschehen.
Denn die namenlose Gottheit hat ihre ureigene Wirkungsstätte nur im Grunde des Nichtseins, wo
das Ich entwird.
Darauf zielt das Wort der Meister: Wenn eine neue Form werden soll, muß die alte zerbrechen.
Neues Leben entsteht nur aus dem Tode des alten. Soll der innere Mensch überformt werden mit
dem überwesentlichen Wesen Gottes, so muß der äußere Mensch mit allem, was er ist und weiß,
will und wirkt, notwendig entwerden. Alle Zweiheit, aller Gegensatz zwischen Objekt und Subjekt,
alles Außenwesen muß verschwinden. Als Paulus nichts sah, da schaute er Gott.
Wenn alles Äußere, alles Gewordene entworden ist, dann – mit einem Blick – wird der Mensch
verwandelt. In dieser Weise mußt Du einwärts und vorwärts gehen. Darum spricht Gott: "Du sollst
mich Vater nennen und nicht aufhören, hineinzugehen" – immer vorwärts, hinein und aufwärts auf
dem steilen Pfad! Je höher, desto tiefer entsinkst Du in den unermeßlichen Abgrund Gottes und
verlierst über alle Weisen, Bilder und Formen hinaus Dich selbst und entbildest Dich hier völlig.
Alsdann bleibt in dieser Ungewordenheit nichts als der Gottesgrund, der in sich selber ruht – ein
Wesen, ein Leben, ein Allsein. Von diesem Zustand kann man wohl sagen, man werde erkenntnislos
und ichlos, liebelos und werklos – nicht aus sich selbst, sondern durch die Wandlung, die der Geist
Gottes im geschaffenen Geiste wegen seiner Gelassenheit vollzieht. In ihm erkennt und liebt Gott
sich selbst.
Der Weg nach innen, der zu diesem Ziele führt, geht über Christus: Er ist das Tor, durch das man
schreiten muß, um die Schranken der Natur zu durchbrechen. Er ist der Weg, den man gehen soll,
die Wahrheit, die auf diesem Wege leuchten soll, und das Leben, zu dem man gelangen soll.
Wer diesen Weg geht, der gelangt zur höchsten Freiheit.
Paulus sagt von solchen Menschen: "Die vom Geiste Gottes getrieben oder geführt werden, die sind
unter keinem Gesetz." Das kann man nicht sagen von denen, die die Welt lieben. Die aber diesen
Weg gehen, die sind mit ihrem obersten Teile, ihrem inneren Menschen, über der Zeit, in ihrem
unteren Teil, ihrem äußeren Menschen, frei und gelassen:
Wie auch immer die Dinge kommen, sie leben aus dem Geiste und stehen in einem gelassenen
Frieden. Sie nehmen alle Dinge von Gott, tragen sie lauter wieder zu ihm empor und bleiben in
Frieden, wie auch immer Gott die Dinge fügt und wie sehr der äußere Mensch davon betroffen sein
mag. Diese Menschen sind selig zu nennen. Aber sie sind dünn gesät.
Daß wir alle den Weg nach innen gehen und ihnen gleich werden, dazu helfe uns Gott!

HILFEN AUF DEM INNEREN WEG

"Habe deine Freude am Herrn; und er wird dir geben, was Dein Herz begehrt. Befiehl dem Herrn
deine Wege und hoffe auf ihn; er wird's wohl machen, und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen
wie ein Licht." Ps. 37; 4 f.
Vom Wege nach innen und der rechten Hinwendung zu Gott handeln die Worte im Psalter, die uns
sagen, was wir tun sollen, um zum göttlichen Leben zu kommen.
Drei Dinge sind dazu dienlich: Fasten, Wachen und Schweigen.
Was heißt Fasten? Es heißt – äußerlich –, daß wir uns in der Nahrungsaufnahme beschränken,
morgens nur das Notwendige essen und abends nur wenig: das ist das Beste zur Meisterung der
Natur und zur Entfaltung des Geistes.
Man gehe zeitig schlafen, um so früh wie möglich wach und bereit zu sein, sich zuerst und vor
allem Gott zuzuwenden und sich ihm – im Sinne der Worte des Propheten – offen zu halten.
Und tagsüber achte man darauf, daß man in allen Dingen und bei allen Aufgaben, wie sie auch
kommen, stets in Frieden bleibt und sein Herz und seinen Seelengrund
für Gott bereitet hält.
Wenn man sich müde fühlt, setze oder lege man sich hin, entspanne sich, wende den Geist nach
innen und öffne sein Gemüt Gott, suche Frieden in Gott, befehle ihm seine Wege, lasse sich ihm
und verlasse sich gänzlich auf ihn; dann wird alles wohl gehen.
Um unsere Wege, unsere Vorhaben und Sorgen Gott anheim zu geben, müssen wir uns selbst klar
werden, welches eigentlich unsere Wege sind. Wir werden dabei einsehen, wie unzulänglich und
mangelhaft alles ist, was aus dem Ich kommt, und wie ungewiß und unbestimmt die Ziele des Ich
sind. Alles das gilt es Gott anheim zu geben und zu vertrauen, daß er alles besser machen und zum
Besten wenden wird.
Dabei können wir Gott nie genug vertrauen. Wenn zwei Menschen Gott um etwas bitten – der eine
um etwas Großes, das dem Ich unmöglich scheint, aber mit uneingeschränktem Vertrauen; der
andere um etwas Kleines und Wertloses, aber mit geringerem Vertrauen –, so wird der, der um das
Unmögliche bat, wegen seines völligen Vertrauens eher und vollkommener erhört als der andere,
der nur um wenig bat.
Dem Gläubigen, sagt Christus, sind alle Dinge möglich. Glaube, d. h. hoffe und vertraue auf Gott –
und er wird's wohl machen! Wie niemand Gott genug lieben kann, so kann ihm auch niemand zu
viel vertrauen.
Statt anderen Leuten Dein Leid zu klagen, übergib und überlasse es gänzlich Gott – und er wird Dir
aus Liebe das für Dich Beste zufügen, und zwar hunderttausendmallieber, als Du es
entgegennimmst. Willst Du von Deinen Sünden und Schwächen frei sein, dann übergib und
überlasse sie und Dich selbst Gott, vertraue auf seine Hilfe und wende Dich – in diesem Vertrauen –
dem rechten Handeln zu. Dadurch werden die Tugenden gewonnen und die Untugenden schwinden.
Doch geschehe all dies ohne Eigensucht! Wenn Gott einen nach innen zieht, soll man ihm sofort
folgen. Zieht Gott einen noch tiefer ins Allerinnerste, so soll man nicht mit den Sinnen forschen und
ergrübeln wollen, was da geschieht und wie, sondern man soll seine Wege Gott befehlen und
überlassen, sich auf ihn verlassen und ihn wirken lassen.
Das ist der tiefere, innere Sinn des Fastens. Es bedeutet, daß Du nicht über den Grund der Welt und
des Daseins und die Beschaffenheit der höheren Welten grübelst, sondern wachen Geistes Dir selber
auf den Grund gehst und lernst, Dich selbst zu erkennen.
Es bedeutet, daß Du nicht nach den Geheimnissen Gottes fragst, nach dem Anfang und Ende allen
Werdens, nach dem Etwas im Nichts, nach dem Wesen des Gottfunkens im Seelengrund und nach
tausend anderen Dingen, sondern daß Du Dich mit Deinem ganzen Denken und Fühlen, Wollen und
Glauben nach innen wendest und innerlich auf Gott und seinen Willen achtest und auf das Wort, mit
dem er Dich ruft.
Und wenn Du nicht weißt, was Gottes Wille ist, so folge denen, die vom Heiligen Geiste mehr als
Du erleuchtet sind. Und steht Dir kein solcher zur Verfügung, dann achte bei Zweifeln darauf, wozu
Deine Natur am wenigsten geneigt ist, um dann eben dies zu tun und dabei zu lernen, die Dinge zu
lassen; dann werden Dir alle Dinge zuteil – nämlich die Dinge, die Dir nötig sind zu einem wahren
göttlichen Leben und zur Erkenntnis der Wahrheit, die Dich frei macht.
Und laß bei alle dem niemals Schwermut über Dich kommen; denn sie hindert Dich in allem Guten.
Sei stets frohgemut und zuversichtlich, habe Freude an der Gegenwart Gottes in Dir und vertraue
ihm in allem; dann wird er's wohl machen. Und sorge Dich nie, sondern überlasse es Gott. Und
leuchtet Dir dabei etwas ein, so lasse es gleichfalls und überlasse es Gott. Habe nichts im Sinn als
Gott und gib Dich ihm völlig hin. Dann wirst Du aus dem Innenreich des Friedens in den Alltag
zurückkehren mit Frieden im Herzen, mit erhöhter Gelassenheit und mit neuen Kräften, die Dir
helfen, Dein Werk recht zu vollbringen und an allem zu wachsen.
Wenn Du bei Deiner Nach-Innen-Wendung und Versenkung gegen Deinen Willen einschläfst, so
wehre Dich nicht. Eine schlummernde Einkehr ist oft besser als viel äußere Übung im Wachen.
Wenn Du wieder wach bist, fange einfach von neuem an, wende Dich mit ungemindertem Vertrauen
zu Gott und befiehl ihm Deine Wege. Senke Dich aufs neue in Deinen Seelengrund und öffne ihn
ganz Gott. Wenn so Dein innerster Grund sich Gott darbietet, schenkt sich der namenlose Gott
wiederum im Seelengrund dem Menschen und erfüllt ihn mit seinem Geiste, seinem Wesen und
Willen.
Dazu ist unerläßlich, daß der äußere Mensch in Ruhe sei, daß Körper und Gedanken entspannt sind
und der innere Mensch ganz Schweigen geworden ist. Um dieses Schweigens willen gibt Gott dem
inneren Menschen sein Reich und sich selbst. Und dann erleuchtet er ihn und "bringt seine
Gerechtigkeit hervor wie ein Licht".
Worin besteht diese Gerechtigkeit? Sie besteht zuerst und vor allem darin, daß wir uns selbst
erkennen, wie der Heilige Bernhard sagt: "Die höchste, beste und unmittelbar in die Nähe Gottes
führende Erkenntnis ist, daß wir uns selbst erkennen."
Unsere ,Gerechtigkeit', die Gott mit seinem Licht erleuchtet, wird gemessen an unserem Schweigen.
Darum sollen wir uns im Schweigen üben zu allen Zeiten und an allen Orten, und sollen uns
abgeschieden halten von den Kreaturen und Dingen, wo immer dies möglich ist, insbesondere von
denen, die ganz nach außen gewendet sind und uns mit sich nach außen ziehen wollen. Mit denen
sollen wir freundlich umgehen, innerlich aber abgeschieden bleiben.
Wird uns das übel genommen, sollen wir das gelassen hinnehmen und niemanden in uns
hineinlassen, dessen Gesinntheit wir nicht kennen.
Besser als der Umgang mit solchen Menschen ist der mit Büchern, soweit sie nicht nur schöne
Worte enthalten und uns zerstreuen, sondern uns helfen, bei uns selbst zu bleiben, mit unserem
inneren Menschen eins zu sein, uns Gott im Stillesein offen zu halten, schweigend auf sein Licht
und sein Wort zu warten und bereit zu sein, Gott in uns und durch uns wirken zu lassen.
Hierzu noch ein Wort des Heiligen Augustinus: "Erblickst Du einen guten Menschen, einen Engel
oder den Himmel, so zieh den Menschen ab, zieh den Engel und den Himmel ab – und was dann
bleibt, das ist das Wesen des Guten, das ist Gott; denn er ist alles in allen Dingen und zugleich weit
über allen Dingen."
Alle Kreaturen haben wohl Gutes, haben wohl Liebe; sie sind aber nicht das Gute, die Liebe an
sich; sondern das Wesen des Guten, der Liebe ist Gott. Ihm soll der Mensch sich zukehren und in
ihm entsinken mit allen seinen Kräften in wirkender und lassender Weise, so daß seine Nichtigkeit
ganz erfüllt und erneuert werde und im göttlichen Wesen, das allein Wesen, Leben und Wirken in
allen Dingen ist, Wesen annehme.
"Wahrlich, Du bist ein verborgener Gott", sagt Moses. Er ist in der Tat verborgener, als irgendein
Ding oder Wesen sich selbst im Grunde der Seele ist, verborgen allen Sinnen und im Grunde
unerkennbar und unerkannt. Dorthin dringe mit allen Kräften, über alles Denken, über den äußeren
Menschen hinaus, der sich selbst und seinem inneren Wesen so fern und fremd ist wie ein Tier, das
ganz den Sinnen lebt.
Dorthin, in den göttlichen Grund, senke Dich hinein und entwerde in der Verborgenheit Gottes
allem Ichsein und Kreatursein, nicht nur in gedanklicher oder bildlicher Weise, sondern in
wesentlicher wirkender Weise – mit allen Kräften und Strebungen in völligem Lassen.
Sodann magst Du die Eigenschaft der göttlichen Einöde in der stillen Einsamkeit anschauen, in der
nie ein Wort dem Laut nach gesprochen noch ein Werk gewirkt ward: so still ist es da, so heimlich
und einsam. Da ist nichts als lauter Gott. Dahinein kam nie etwas Fremdes, keine Kreatur, kein
Bild, keine Weise.
Diese Einöde meinte Gott, als er durch den Propheten sprach: "Ich will die Meinen in die Einöde
führen, und da will im zu ihren Herzen sprechen." In diese Stille und Einsamkeit der Gottheit führt
er alle die, die für die Stimme Gottes empfänglich werden sollen, nun und in der Ewigkeit. In diesen
einsamen, stillen, freien Gottesgrund trage Deinen einsamen, von allem, was nicht Gott ist, völlig
geleerten Seelengrund.
Dann wird die göttliche Finsternis, die vor lauter Lichtheit für Dein Erkennen Finsternis ist, sich in
die Leere und Dunkelheit Deines Seelengrundes ergießen und die Helle des göttlichen Lichts wird
darin aufbrechen.
Daß wir zu solcher Hinwendung und Einswerdung gelangen, dazu helfe uns Gott!

HINWENDUNG ZU GOTT

"Und er sprach zu Simon: Fahre auf die Höhe und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug tut."
Luk. 5; 4
Lukas berichtet in seinem Evangelium, wie Jesus das Schiff betrat und ihn bat, er möge das Schiff
vom Ufer wegführen. Und er saß und lehrte das Volk vom Schiff aus. Danach sprach er zu Simon:
"Fahre das Schiff auf die Höhe."
Von diesem Schiff wollen wir sprechen: es ist nichts anderes als der innere Mensch, sein Gemüt,
seine Gesinntheit. Das Schiff fährt in dem stürmenden Meer der angsterregenden äußeren Welt, die
in stetem Wandel und Wechsel begriffen ist: bald in Lust, bald in Leid. Wie schlecht es um die steht,
deren Herz mit seiner Liebe ganz den wandelbaren, vergänglichen äußeren Dingen und Gestalten
verhaftet ist – wahrlich, dem, der das erkannt hat, möchte das Herz vor Leid erstarren! Wie es ihnen
hernach geht, daran denken die Menschen in ihrer Blindheit nicht.
Darum die Mahnung: "Fahre das Schiff hinauf auf die Höhe." Damit ist der erste Weg gemeint, der
allen nottut: daß das Gemüt, die Gesinnung aus allem herausgezogen werde, was Kreatur und
Dinglichkeit, also nicht Gott ist, und hinaufgeführt werde zur Höhe, zur Hinwendung zu Gott. Wer
nicht im Meer der Vergänglichkeit untergehen und ertrinken will, dessen Gemüt, dessen innerer
Mensch muß notwendig erhoben sein über den äußeren Menschen und über alles Haften am
Äußeren und Kreatürlichen.
Nun antwortete Simon Petrus: " Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen." Das
entspricht der Wahrheit: Alle, die mit äußeren Dingen umgehen, an ihnen hängen und sich um sie
sorgen, arbeiten gleichsam in der Nacht und gewinnen nichts.
Aber auf Jesu Geheiß warfen sie das Netz erneut aus und fingen so viele Fische, daß das Netz
zerriß.
Was ist dieses Netz, das ausgeworfen werden soll und mit dem so viel gefangen wird? Es ist das
Bewußtsein, das nach innen gewendet und im Gebet ,ausgeworfen' werden soll, in so tiefer
Selbstversenkung, daß die Liebe und Hingabe an Gott Gemüt und Bewußtsein mit solcher Freude
durchströmt, daß der Mensch die Seligkeit kaum ertragen kann.
Aber dieses "Fahre das Schiff auf die Höhe!" ist erst der unterste Grad. Es muß weit höher
hinaufgefahren werden. Soll der Mensch außen und innen ein gelassener und der innere Mensch ein
verklärter und gottförmiger werden, muß das Schiff des inneren Menschen so weit hinauf zur Höhe
gefahren werden, daß alles von ihm abfällt, was den unteren Kräften, dem äußeren Leben zugehört.
Ja, selbst die erhabensten Gedanken und die beglückendsten Gewinne seiner geistigen Übungen und
alle die Gaben, die Gott ihm schenkte, werden dem inneren Menschen dann unzulänglich
erscheinen, so daß er sich völlig von ihnen löst und nach dem Höheren verlangt, das ihm aber noch
nicht gewiß ist.
So ist er mit seinem Schifflein ,auf die Höhe gefahren', hat den Gipfel erreicht – und sieht sich
zugleich in höchster Verlassenheit. Alle Bedrängnisse, Versuchungen und Mängel, die er längst
überwunden und hinter sich gelassen hatte, scheinen sich nun abermals gegen ihn zu erheben; der
Sturm beginnt zu wüten und sein Schifflein zu gefährden.
Aber er braucht sich nicht zu fürchten. Wenn sein Schifflein fest und sicher im Gott-Grund
verankert ist, können ihm auch die wildesten Wogen nichts anhaben.
Er sollte Hiob gleichen: "In der Finsternis erhoffen wir das Licht" und ganz bei sich selber bleiben,
nicht nach außen blicken und nicht nach äußerer Hilfe Ausschau halten, um der Not zu entkommen,
auch nicht auf irgendwelche Lehrer und Ratgeber hören und sich so von sich selber weglocken
lassen, sondern des Kommens des inneren Lichts gewiß bleiben. Denn gerade dann ist Christus ihm
nahe und wird in ihm geboren werden.
Glaube mir: Alle Bedrängnis und Not dient dazu, daß diese Geburt Christi in Dir geschehe! Keine
Macht der Welt, weder Leben noch Tod, kann diese Geburt verhindern. Hätten auch alle Menschen
und alle bösen Mächte sich gegen einen solchen Gottesfreund verschworen – je feindlicher sie ihm
wären, desto höher würden sie sein Schifflein emporführen. Dadurch, daß der Mensch sich hier
völlig läßt und willig Gott machen läßt, kommt er höher als mit allen äußeren und geistigen
Übungen.
Um auf die Höhe, zu Gott, zu gelangen, muß er sich von allem lösen, was nicht Gott ist oder
unmittelbar zu Gott hinführt. Und er muß bei allem Tun darauf achten, daß er nicht geistige Güter
um materieller Güter willen hingibt. Denn was der Mensch nicht um Gottes willen und mit Gott tut,
das ist wesenlos und führt ins Dunkel.
Lernen wir darum, mit unserem Schiff ,auf die Höhe zu fahren', d. h. unser Gemüt und alle Kräfte
über den inneren Menschen hinaus in die Höhe zu erheben; denn Gott ist nur auf der Höhe. Wenden
wir uns mit unseren oberen Kräften über alle Zeitlichkeit hinaus in den ewigen Grund; denn da ist
Gott in Wahrheit, da spricht er sein Wort. Das Wort aber soll man in schweigender Hingabe
empfangen und ihm in sich Raum geben, dann wird man von ihm über alles hinaus, was die Sinne
erfassen können, erleuchtet. Der Reichtum, der sich hier darbietet, ist unvorstellbar.
Wenn Gott sein Wort in uns spricht und wir es recht empfangen, wird das Ich von der Furcht
ergriffen, es müsse gänzlich zugrunde gehen. Alsdann gilt es, nicht dieser Furcht nachzugeben und
um Hilfe nach außen zu blicken und zu laufen, sondern innerlich gelassen und besonnen zu bleiben
und sich gänzlich hinzugeben.
Denn wenn das göttliche Licht aufgeht, muß das geschaffene Licht untergehen. Wenn das
ungeschaffene Licht zu scheinen und zu strahlen beginnt, werden notwendig alle äußeren Lichter
des Verstandes und der Welt unscheinbar und dunkel, wie das Licht der aufgehenden Sonne das
Lichtlein einer Kerze unscheinbar und trübe macht.
Wer dieses göttlichen Lichts in sich gewahr wird, der empfängt mehr Seligkeit, als die Welt mit
ihren Lichtern und Freuden ihm geben kann. Denn in diesem Lichte wird er in seinem innersten
Wesen überformt und verwandelt.
Dies ist der kürzeste und nächste Weg zur Geburt Gottes im Seelengrund.
Ist der Mensch ganz Gott zugewandt, von Ichheit leer und von Gott erfüllt, können keine äußeren
Mächte und Kreaturen sein Schifflein, seinen inneren Menschen von der Fahrt zur Höhe ablenken
oder es zum Untergehen bringen. Denn Gott erfüllt den inneren Menschen mit solcher Freiheit,
solchem Frieden und solcher Festigkeit, daß sie niemand begreift, der sie nicht besitzt.
Es mag vorkommen, daß im Sturm der Welt die Wogen von außen gegen sein Schifflein schlagen,
als wollten sie es überschwemmen und in die Tiefe ziehen; aber alles Anstürmen von außen vermag
nichts gegen die Sicherheit und den Frieden des Innern.
Aber dieser Friede, den die wahren Gottesfreunde besitzen, ist nicht genug: es bewegt sie, daß sie
Gott noch nicht so viel sind, wie sie sein möchten. Sie wollen über die erreichte Höhe hinaus zu
noch größeren Höhen hinauffahren. Und wahrlich: Wenn sich das Unnennbare, das Namenlose, das
in der Seele ist, der Seelengrund, völlig in Gott kehrt, so kehrt sich damit der ganze Mensch in Gott;
und auf diese Einkehr antwortet alles, was namenlos ist in Gott, das Unnennbare, der Gottesgrund,
und das göttliche Wort und Licht gebiert sich im Menschen.
Alsdann kann der Mensch sagen: "Ich will hören, was Gott in mir spricht." So handeln jene
Gottesfreunde, die Dionysius gottförmige Menschen nennt. Dieses gänzliche Eingesenktsein des
Seelengrundes in den Gottesgrund vermag kein Verstand zu begreifen. Es ist in seiner
Abgründigkeit über alles sinnlich Erfaßbare hinaus.
Diese Wirklichkeit offenbart sich nur solchen, bei denen der äußere Mensch geläutert und der innere
Mensch verklärt ist und völlig in sich selber ruht. Diesen Menschen sind Himmel und Erde,
Kreaturen und Dinge nichts als ein Schatten des Lichts, in dem sie selbst sind. Sie sind zur
Wohnstatt und zum Reiche Gottes geworden, in dem Gott allezeit gegenwärtig ist.
Wenn der Mensch ganz in diesen Grund und das Wesen Gottes entsinkt, muß das Netz
notgedrungen zerreißen, das heißt: seine äußere Natur wird darunter leiden und schwach werden.
Diese Schwachheit kommt nicht von äußerer Übung, sondern von dem überfließen der Gottheit, die
einen solchen Menschen so mit ihrer Kraft überströmt, daß sein irdischer Leib es nicht zu ertragen
vermag. Denn Gott hat diesen Menschen so in sich gezogen, daß er ganz durchlichtet und
gottfarben wird und Gott seine Werke wirkt.
Ein solcher Mensch hat sein Schifflein zur höchsten Höhe gefahren, sein Netz wohl ausgeworfen
und das Höchste gewonnen. Wenn aber das Schifflein auf die Höhe kommt, zerreißt das Netz und
das Schiff versinkt: die Ichheit zerreißt, die Eigenheit zerbricht, der äußere Mensch entwird. Leib
und Seele entsinken im grundlosen Meer der Gottheit. Dabei fällt der Mensch so in sein
unergründliches Nichtsein, daß er allem entwird – auch dem, was er je von Gott empfing – und es
lauter in Gott zurückwirft, als hätte er es nie gewonnen und besessen.
So entsinkt das geschaffene Sein ins ungeschaffene Nicht-Sein. Aber darüber kann man mit Worten
nichts aussagen. Hier wird das Wort des Propheten im Psalter wahr: "Der Abgrund leitet sich in den
Abgrund. Der geschaffene Seelengrund ergießt sich in den ungeschaffenen Gottgrund – und beide
werden eins: ein lauteres göttliches Wesen.
Daß uns solche Hinwendung und Auffahrt zur Höhe Gottes gelinge, dazu helfe uns Gott!

ERNEUERUNG AUS DEM GEISTE

"Erneuert euch im Geiste eures Gemüts und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott
geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit." Eph. 4; 23 f.
In seinem Brief an die Epheser lehrt Paulus uns, wie wir zur Erneuerung aus dem Geiste gelangen.
Nun hat aber der Geist des Menschen viele Namen je nach seiner Wirksamkeit und nach dem
Standort des Betrachters:
Manchmal heißt der Geist Seele, nämlich sofern er dem Leibe Leben gibt und dergestalt in jedem
Gliede zugegen ist und ihn bewegt und zum Wirken bringt.
Und zuweilen heißt die Seele Geist; dann hat sie so nahe Verwandtschaft mit Gott, daß es mit
Worten nicht ausgesprochen werden kann. Denn Gott ist Geist und die Seele ist Geist; daher hat sie
ein ewiges Hinneigen und Zurückschauen in den Urgrund, aus dem sie entsprang. Infolge dieser
Gleichheit neigt sich der Geist wieder in den Ursprung, in die Einheit. Dieses Zurückneigen ist ohne
Ende.
Weiter heißt der Geist Gemüt: in ihm sind alle Kräfte vereint, Vernunft und Wille. Aber damit
erschöpft sich sein Wesen nicht: über alle Kräfte hinaus hat es einen überwesentlichen Grund, und
wenn es diesem Grunde ganz zugekehrt ist, dann ist ihm wohl und dann wird es vom Grunde her
durchlichtet und erneuert.
Endlich heißt der Geist auch Mensch: In ihm ist das wahre Bild der göttlichen Dreieinigkeit
verborgen. In dieser Dreiheit nennt man den Geist bald den Grund, bald den Gipfel der Seele. Aber
so wenig man Gott mit Namen umschreiben kann, so wenig auch den Geist. Wer zu erkennen
vermöchte, wie Gott hier im Grunde wohnt, der würde von diesem Schauen selig. Die Nähe und
Verwandtschaft, die Gott da zum Geiste hat, ist so unaussprechlich, daß Worte hier nur verwirren.
Nun mahnt Paulus uns: "Erneuert euch in dem Geiste eures Gemüts." Das heißt: Wenn das Gemüt
sich in rechter Verfassung befindet, gänzlich nach innen gewendet ist, so neigt es sich in den Grund,
in dem das über alle äußeren Kräfte und Vermögen erhabene Bild Gottes ruht. Hier – im Geistgrund
des Gemüts – soll man sich erneuern, indem man ständig in den Grund entsinkt und sich Gott
unmittelbar, in liebendem Lassen, hingibt. Dieses Vermögen ist dem Gemüt eigen: es ist zu
ständiger Hingabe an Gott fähig. Nur der äußere Mensch besitzt dieses Vermögen steter Hingabe
nicht.
Und so soll diese Erneuerung aus dem Geiste statthaben:
Da Gott Geist ist, soll der geschaffene Geist sich in den unerschaffenen Geist Gottes mit
unbeschwertem Gemüt gelassen einsenken und sich mit ihm vereinen. So wie er ewig in Gott war
und in seiner Ungeschaffenheit Gott war, so soll er mit seiner Geschaffenheit sich gänzlich wieder
in Gott hineintragen. In dieser Hingabe vollzieht sich die wahrste und lauterste Erneuerung, die es
geben kann.
"Heute habe ich dich neu geboren": Wenn der Geist völlig einsinkt und mit seinem innersten Sein
in Gottes innerstes Obersein eingeht, wird er von Grund auf erneuert und neugebildet. Und so weit
und so oft der Geist diesen Weg williger Hingabe geht, so weit und so oft wird er vom Geist Gottes
erfüllt, überflutet und erneuert.
Gott ergießt sich in ihn, wie der Sonne Licht die Luft durchdringt und so hell macht, daß man Luft
und Licht nicht mehr unterscheiden kann. So sind auch Geist und Gott in diesem lichten Einssein,
da der Geist in seinen Ursprung zurückgekehrt ist, nicht voneinander zu scheiden.
In dieser Einkehr und Erneuerung schwingt der Geist sich über sich selbst hinaus und über alle
Erleuchtung in die Überlichtheit der göttlichen Finsternis, in der der Geist über allem ist, was er
vorher war: namenlos, formlos, bildlos, über alle Weisen und Wesen.
Zu solcher Einkehr ist die Nacht und ihre Stille sehr förderlich. Darum soll der Mensch sich oft,
wenn alles Außen dunkel und still und seinen Sinnen fern ist, nach innen wenden, sich allen Sinnen
und Kräften entziehen, sich gänzlich in sich selbst hineinsenken, über alle Bilder, Vorstellungen und
Kräfte hinaus. Und er soll sich in dieser Dunkelheit seiner Unerkanntheit Gott gelassen hingeben,
nichts fragen, nichts fordern und erwarten, sondern einzig und allein Gott im Sinne haben und
lieben, und dabei alles, was er ist, hat und vorhat, was ihm lieb und leid ist an Tugenden oder
Schwächen, der Liebe Gottes überlassen und anheimgeben und sich ganz in Gottes Willen lassen.
Er soll also erkannte Mängel nicht auf menschliche Weise, durch Widerstehen, bekämpfen, sondern
auf geistige Weise: durch Lassen. D. h. er soll diese wie sich selbst Gott überlassen, ohne den nichts
vollendet werden kann. Wer sich so läßt, dem mag geschehen, was Hiob erfuhr: daß der Geist
Gottes ihn im Vorübergehen berührt. Von dieser Berührung des Geistes entsteht eine große
Bewegung und Erneuerung im inneren Menschen.
Je klarer und wahrer diese Berührung ist, desto rascher, stärker und vollkommener ist die
Umwandlung des Menschen und sein Werk, desto deutlicher erkennt er die Unzulänglichkeit und
Nichtheit des Ich und desto williger und inniger läßt er sich Gott; und dann kommt Gott mit einem
schnellen Blick und leuchtet in den Grund, um daselbst Wohnung zu nehmen und zu wirken.
Wenn man dieser Gegenwart Gottes inne wird, soll man ihm das Werk überlassen, selbst zu
schweigender Stille werden und nichts tun, sondern Gott wirken lassen. Und wenn danach der
Mensch wieder sich selbst überlassen wird und Gottes Wirken im Innern nicht mehr erkennbar ist,
soll er wieder selbst wirken und seine irdischen Aufgaben mit aller Hingabe erfüllen.
So soll er zu Zeiten wirken und zu Zeiten lassen, wie der Geist Gottes ihn mahnt und treibt, und
sich immer dem zuwenden, von dem er fühlt, daß es ihn am stärksten zu Gott hinzieht und hinführt
– sei es Wirken oder Stillesein.
Dem innersten Seelengrund ist nichts so nahe wie Gott: wer ihn da sucht, der findet ihn auch. Er
muß sich nur dem gegenwärtigen Gott innerlich mit allen Kräften hingeben und überlassen, dann
wird ihm in der Erhebung und Erneuerung des Gemüts über alle Bilder und Formen die Freiheit des
Geistes gegeben.
Und wenn er ganz in diesem inneren Wirken stünde – und Gott gäbe ihm auf, die Seligkeit der
Hingabe zu lassen und hinzugehen, um einem Kranken zu dienen oder einem Notleidenden zu
helfen, soll er das in Frieden und Gelassenheit tun. Dann mag es geschehen, daß Gott ihm in
solchem Werk gegenwärtiger ist und mehr Gutes zufügt als in der tiefsten Gottschau.
Im übrigen aber sollen die edlen Menschen, wenn sie sich nachts und morgens in der Frühe in
solcher Einkehr geübt haben, tagsüber in Frieden ihre Geschäfte erledigen – jeder, wie Gott es ihm
fügt –, und sollen in ihren Werken achtgeben, daß darin Gottes Wille geschieht und nicht der ihre.
Das sind die ,geistlich Armen', von denen die Bergpredigt spricht, die sich selbst und das Ihre
lassen, sich Gott überlassen und sich von ihm leiten lassen – sei es zum Tun oder zum Nicht-Tun.
Anfänger auf dem Wege nach innen brauchen viel Zeit, bis sie wesentlich werden, da sie von Natur
dazu neigen, sich nach außen zu wenden; aber wenn sie sich gewöhnen, mehr und mehr sich und
alle Dinge Gott zu überlassen, werden sie durch solches Lassen rascher voranschreiten als durch ihr
Tun.
Es ist unglaublich, wie rasch oft das innere Wachstum vor sich geht: mit jedem Gedanken, jedem
Wort und Werk, wie klein es auch sei, wenn sie damit nur auf Gott abzielen. Solchen Menschen ist
es dienlich, wenn sie lange leben; denn ihr Wachsen und Neuwerden geht unaufhörlich weiter, wenn
sie nur auf ihrem Wege nicht stehen bleiben, sondern unentwegt weiterschreiten.
Zumeist wissen solche Menschen es gar nicht, daß sie so gut daran sind; deshalb leben sie
bescheiden und einfach dahin. Gott verbirgt ihnen ihr Zunehmen, damit das Ich sich nicht aufbläht
und alles verdirbt. Je bescheidener und williger, desto tiefer sinkt ihr Geist in den Grund.
Nun mag es sein, daß ein solcher Mensch von denen, die in der Welt viel gelten und großtun und
gerne weise und heilig scheinen, gescholten und zurechtgewiesen wird. Sie werden ihm sagen, er
habe Unrecht; sie hätten mehr gelesen und wüßten besser Bescheid.
Alsdann handelt er recht, wenn er sich läßt, zu ihren Reden gelassen schweigt und inwendig spricht:
"Gott, Du weißt, ich habe nichts als Dich im Sinn!" Dann wird er von innen her erneuert und zieht
den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Daß wir uns alle so in Gelassenheit Gott zuwenden, aus dem Geiste Gottes erneuert und mit Gott
geeint werden, dazu helfe uns Gott!
VOM GÖTTLICHEN REIFEN

"Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu dingen in
seinen Weinberg." Matth. 20; 1 f.
Das Evangelium vergleicht das Reich Gottes einem Weinberg und Christus einem Hausvater, der
ausgeht, Arbeiter für den Weinberg zu gewinnen. Es heißt mit Recht, daß er ,am Morgen', also
früh ,ausging', da er in der ewigen Geburt vom väterlichen Herzen ,ausgegangen' und doch allezeit
darin geblieben ist.
In einem anderen Sinne ist er früh in die menschliche Natur ausgegangen, damit er uns für das
Reich Gottes wiedergewinne.
Es heißt in dem Gleichnis, daß er Werkleute um die dritte, die sechste und die neunte Stunde dang
und abermals um die elfte Stunde: da sah er Leute müßig stehen, die ihm auf seine Frage, warum sie
müßig stünden, antworteten: "Es hat uns niemand gedungen." Auch diese Letzteren, die noch nicht
der Welt verhaftet, noch innerlich frei und ledig waren, aber auch noch nicht die Lockungen und
Versuchungen der Welt kannten, sandte er zum rechten Wirken in den Weinberg.
Alle aber, die er aufrief, gingen in ungleicher Weise zum Wirken in den Weinberg:
Die einen waren Anfänger, die sich dem äußerlichen Werk in sinnlicher Weise nach ihrem eigenen
Gutdünken widmeten und im Äußerlichen stecken blieben. Dabei wähnten sie, durch bitteres
Mühen, Fasten, Kasteien und Beten besonders Hohes zu vollbringen. Statt auf ihren Seelengrund
blicken sie nach außen, auf die Gunst oder Ungunst der Welt, und daraus entstehen Einbildung und
Eigenwille, Neid und Bitterkeit, Jähzorn und andere Untugenden.
Andere arbeiteten mehr an sich selber, verschmähten die Laster und überwanden manche Fehler,
erreichten durch Selbstbesinnung und weises Wirken höhere Grade – und fanden darin solche
Wonne und Befriedigung, daß sie darüber das Höchste versäumten.
Die dritten aber, die dem Hausvater die liebsten waren, erhoben sich über die Dinge, gaben ihr
Bestes und richteten dabei ihr ganzes Sinnen und Trachten allein auf den Gott in ihnen. Sie sahen
weder auf Lust noch auf Nutzen bei dem, was sie taten, auch nicht auf die göttlichen Gaben und
Kräfte, die in ihnen wach wurden, sondern wandten sich innerlich ganz Gott zu und hatten einzig
ihn im Sinn, daß sein Wille in ihnen und in allen Wesen geschehe.
Dadurch leiden und lassen sie alle Dinge, nehmen alles als Willen und Gabe Gottes, geben ihm
alles, was sie empfangen, lauter und ungeschmälert zurück und maßen sich nichts als ihr Eigentum
an.
Sie folgen darin dem Beispiel des Wassers, das willig als Regen zur Erde fällt, in Rinnsalen und
Bächen zu Flüssen und aus diesen zu Strömen zusammenfließt und wieder in seinen Ursprung, das
Meer, zurückkehrt: so tragen sie alle ihre Gaben und Kräfte wieder in den Gottesgrund zurückt, aus
dem sie ausgingen, fließen damit selbst wieder in ihn zurück und machen Gott zu ihrem einzigen
Halt und Hort.
Obwohl aber diese Gesinnung den Menschen aus sich heraus und in Gott hineinführt, bedeutet das
doch nicht, daß der Mensch sich damit gänzlich der Natur entzieht. Solange er auf Erden verkörpert
ist, ist er ihren Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Wenn der Arbeiter im Weingarten auch des Werkes
wegen da ist, braucht er doch zu Zeiten einen Imbiß. Die Arbeit dauert den ganzen Tag, die Labung
nur eine Stunde, und sie ist notwendig, damit der Mensch arbeiten kann. Denn was er ißt, geht ihm
in Fleisch und Blut, Mark und Gebein über und wird verzehrt in der Arbeit. Und wenn alles
Genossene durch die Arbeit aufgezehrt ist, ißt er abermals ein weniges zu dem gleichen Zweck.
Genau so handelt der edle Mensch auch mit der geistigen Nahrung: Wenn er eine Neigung in sich
spürt, in der selbstbesinnenden Meditation der Gegenwart Gottes, des inneren Lichts bewußt zu
werden, um Kraft von oben zu gewinnen, soll er darauf im Vergleich zu seinem Werk nur geringe
Zeit verwenden, es wie die Nahrung nur als Labung und Erquickung werten, die im Werk
aufgezehrt und auf diese Weise Gott wieder zurückgegeben wird.
Die solchermaßen die Gaben Gottes leiblich wie geistig in ihrem Werk wieder zu Gott
zurücktragen, ihnen also nicht um ihrer selbst willen nachjagen, das sind jene, die allezeit mehr
Gaben von Gott empfangen.
Wer das noch nicht erfahren hat, der möge sein ganzes Vertrauen in Gott setzen und ihn durch sich
wirken lassen. Dann gleicht er dem edlen Holz der Reben, das außen schwarz und dürr erscheint,
unter dieser unscheinbaren Hülle aber die lebendigen Adern und die göttliche Kraft verbirgt, aus der
die edelste aller Früchte hervorgeht.
Solchermaßen sind die rechten Arbeiter im Weinberg des Herrn beschaffen: Äußerlich scheinen sie
nichts zu sein, erscheinen klein und unbedeutend, innen aber, im Seelengrund, in dem sie nichts aus
sich wollen und sind, sondern Gott allein wollen und wirken lassen, sind sie von den lebendigen
Adern göttlichen Lebens durchzogen.
Das sind die Reben, die der Weingärtner mit starken Pfählen versieht, damit sie Halt haben.
Danach umgräbt er die Weinstöcke und jätet das Unkraut aus. Ebenso soll der Mensch sich
umgraben in einem tiefen Achthaben auf seinen Grund, ob da etwas sei, das auszujäten ist, damit
die göttliche Sonne den Grund unmittelbar mit ihrem Licht erreichen und ihre Kraft wirken lassen
kann, so daß die edlen Trauben zu voller Reife gelangen.
Wer seinen Weinstock so bereitet, daß die Sonne Gottes ungehindert darin wirken kann, der bringt
das Edelste, das in ihm ist, zum Vorschein. Alsdann kann nichts Niederes ihm etwas anhaben und
die Reifwerdung verhindern.
Würden auch alle bösen Mächte sich gegen einen solchen Menschen verschwören und
zusammenwirken, um ihm zu schaden – sie würden dadurch nur seine Reife beschleunigen. Und
würde er von ihnen in den tiefsten Höllengrund gezogen, so würde sich auch dort das Reich Gottes
in ihm entfalten und alles licht und selig werden lassen. Dem, der nur Gott im Sinn hat, kann nichts
schaden.
Und schließlich wird die Reife vollendet, die hemmenden Schalen werden dünner, bis die innere
Süße vollkommen ist: so werden die äußeren Hemmnisse immer geringer und das innere Licht
immer heller.
So oft der Mensch sich nun nach innen wendet, strahlt ihm die innere Sonne Gottes heller, und so
wird sein ganzes Wesen durchgottet, daß er die äußeren Dinge mit den Augen und im Lichte Gottes
sieht und alles ohne Hemmnis empfängt und gibt.
Dann fallen alle äußeren Weisen, Gebete und Übungen von selbst ab, weil er ihrer nicht mehr
bedarf. Denn sein Geist entsinkt nun so sehr in die süße Seligkeit Gottes, daß zwischen seinem
Wesen und dem Wesen Gottes kein Unterschied mehr ist. Nun herrscht jene lautere stille Einheit, in
der ein Augenblick tausendmal nützlicher und seliger und Gott lieber ist als vierzig Jahre geistiger
Übung.
Daß uns allen als Frucht unseres inneren Reifens diese Einheit zuteil werde, dazu helfe uns Gott!
FÜNFFACHE FESSELUNG

"Er ist aufgefahren in die Höhe, hat das Gefängnis gefangen geführt und hat den Menschen Gaben
gegeben." Eph. 4,' 8
Christus fuhr auf gen Himmel und ,führte das Gefängnis gefangen' mit sich. Was heißt das:
Fünf Fesseln sind es, die uns in der Zeit gefangen halten und die Christus von uns nimmt, wenn er
in uns auffährt:
Die erste Fessel besteht in der Liebe zu den Kreaturen und im Hängen an ihnen, sie seien lebendig
oder tot. Besonders ist es die Liebe zu den Menschen, die ja von Natur wegen der Gleichheit der
Menschen naheliegt. Die einen Menschen gehen ganz darin auf und leiden unter dem Fernsein
voneinander und unter dem Verlust, während die anderen sich ohne diese Liebe wohlfühlen, gute
Werke tun, dienen und in Andacht beten, damit man ihnen die Liebe und die Welt um so mehr
gönne – und dabei nicht merken, wie sehr sie gefesselt sind und wie viel besser es wäre, sie würden
weniger um ihr Erdenglück beten und mehr ihrer Gefangenschaft inne werden.
Die zweite Fessel besteht darin, daß manche, wenn sie von der ersten Fessel, der äußeren Liebe zu
den Kreaturen, frei werden, der Selbstliebe verfallen und in dieser Ichverhaftung in allen Dingen
das Ihre suchen: ihren Nutzen, ihre Lust, ihren Trost, ihre Bequemlichkeit oder Ehre. Sie sind so in
ihr Ich versponnen und versenkt, daß sie in allen Dingen, selbst in Gott, das Ihre suchen und nichts
anderes. Was findet man, wenn man bei ihnen in den Grund sieht? Was sich als Heiligkeit gebärdet,
ist leerer Schein.
Wie schwer sind solche Menschen aus dem Gefängnis des Ich zu befreien! Wenn man so an sich
selbst hingegeben ist – wer kann da helfen? Wohl niemand außer Gott. Aber wenn solchen
Menschen das, was sie lieben, genommen wird, ihre Bequemlichkeit oder ein Freund, ein Gut oder
sonst etwas, an dem ihr Ich hängt, bedenken sie Gott mit zornigen oder anklagenden Worten, statt
den Schritt von der Ich-Liebe zur Selbst-Erkenntnis zu tun.
Die dritte Fessel ist die des Verstandes. Das ist eine schwere Fessel, weil die darin Gefangenen
alles, was im Geiste geboren werden sollte, mit dem Verstande beleuchten, es sei eine Wahrheit oder
eine Erkenntnis gleich welcher Art, damit sie darüber reden können und dadurch etwas scheinen
und erhöht" werden. Sie sind reich an beleuchtenden Worten, aber gering an Erleuchtung und
lebendigen Werken.
Auch die Vorbilder Christi fassen sie nur mit dem Verstande. Würden sie sie in das göttliche Licht
der Vernunft tragen, dann würden sie erkennen, daß ihre Meinung im Vergleich zur Wirklichkeit so
winzig und unbedeutend ist wie ein Talglicht gegenüber der Sonne. Gleichermaßen ist alles
natürliche Licht gering gegenüber dem göttlichen Lichte.
Diesen Unterschied gilt es zu erkennen:
Das natürliche Licht des Verstandes scheint nach außen, in eitler Selbstspiegelung, im Ruhm der
Leute, im Urteil anderer Menschen. Es lenkt alles nach außen und führt zur Zerstreuung der Sinne
und des Gemüts.
Das göttliche Licht hingegen neigt sich ganz nieder und einwärts in den Grund, und der, in dem es
leuchtet, dünkt sich der Geringste. Und das ist recht: denn ist etwas da, so ist es gänzlich Gottes.
Das göttliche Licht lenkt alles nach innen, nicht nach außen. Es weist stets auf den inwendigen
Grund, aus dem es geboren ist. Dorthin strebt und leitet es mit aller Kraft. Alles Tun eines solchen
Menschen geht nach innen, zum Ursprung.
Darum ist ein großer Unterschied zwischen denen, die die Schrift lesen, und jenen, die sie leben.
Die sie mit dem Verstande lesen, wollen erhöht und geehrt sein, und sie verachten und verdammen
jene, die danach leben. Sie verstehen nicht das Wort des Paulus: "Die Schrift tötet, aber der Geist
macht lebendig."
Die vierte Fessel ist die der Freuden des Geistes. In diesen verirrt sich so mancher Wahrheitssucher,
indem er die Gewinne auf dem Wege zur Höhe mehr amtet als den Weg selbst und das Ziel, so daß
er sich ganz diesen gewonnenen Kräften und Vermögen hingibt, sie festhält und sie mit Lust zu
besitzen und auszubauen sucht. So erliegt er den Freuden des Geistes, statt Gott zu fassen.
Ob einer sich den Lockungen auf dem Wege überlassen hat und infolgedessen still steht, oder ob er
auf dem Wege zu Gott voranschreitet, kann man daran prüfen, ob er in Unruhe und Unfrieden gerät,
wenn die gewonnenen Freuden schwinden und wegfallen, oder ob er Gott alsdann genau so dient
und ihm hingegeben bleibt, als wenn er sie hätte. Wenn Gott ihm mit wie ohne diese Freuden
einziges Ziel bleibt, ist er auf dem rechten Wege; nicht aber, wenn es ihm allein um die erlangten
Gaben und Erleuchtungen geht.
Die fünfte Fessel ist die des Eigenwillens, der so weit gehen kann, daß er auch in allen göttlichen
Dingen und in Gott selbst seinen eigenen Willen haben und durchsetzen will. Von dieser starken
Fessel wird nur frei, wer sich besinnt und entscheidet: "Nicht nach meinen Gaben und meinem
Willen geschehe es, sondern wie Du, Gott, willst, so nehme ich es und will ich es; und was Du nicht
willst, das will ich gern lassen und entbehren."
Wenn man so in rechter Gelassenheit alles läßt, wonach der Eigenwille giert, empfängt und hat man
mehr, als wenn man nach eigenem Willen nimmt und hat.
Unendlich nützlicher als alles, was der Mensch nach eigenem Willen erlangen und haben kann, ist
ihm, sich zu lassen und Gott machen zu lassen, alles in rechter Gelassenheit zu haben und dabei
dem Eigenwillen zu entsagen. Darum ist mir ein gelassener Mensch mit weniger Scheinen und
weniger Werken lieber als ein nach Ansehen und Werken hochstehender Mensch, der weniger
gelassen ist.
Als Jesus unter den Jüngern weilte, liebten ihn die Menschen so sehr, daß sie vor lauter Liebe zu
ihm nicht zur Gottheit gelangen konnten. Darum sprach er: "Es ist euch nützlich, daß ich von euch
fahre, sonst kann der Heilige Geist, der Tröster, nicht zu euch kommen."
Da mußten sie noch vierzig Tage warten, bis er gen Himmel fuhr, um ihr Gemüt mit sich zu führen
und es von allen Fesseln frei und himmlisch zu machen, und danach noch zehn Tage, bis ihnen der
Heilige Geist gesendet wurde, der wahre Tröster, und sie den, den sie noch außen suchten und
erwarteten – Christus –, in sich fanden.
Was für die Jünger Tage waren, mögen für uns Jahre sein:
Wir mögen versuchen, was wir wollen, wir finden zu unserem inneren, göttlichen Menschen und zu
wahrem Frieden kaum vor dem vierten Jahrzehnt. Es hängen so viele Fesseln an uns und die Natur
treibt uns in jungen Jahren bald hierhin, bald dorthin; und es geschieht oft, daß die Natur regiert, wo
wir wähnen, es sei Gott. Deshalb finden wir nicht zu vollkommenem Frieden, bevor unsere Zeit
gekommen ist.
Und alsdann müssen wir nochmals zehn Jahre warten, bevor uns der Heilige Geist, der Tröster,
zuteil wird. Wie die Jünger eingeschlossen, versammelt und innerlich eins waren und warteten, so
müssen wir es halten: auch, wenn wir mit den Jahren zur Besonnenheit gelangten, unseres inneren
Menschen gewiß geworden sind und den äußeren Menschen so ziemlich überwunden haben,
müssen wir noch ein Jahrzehnt geduldig harren, bis uns der Geist zuteil wird, der uns alle Wahrheit
lehrt.
In diesem Jahrzehnt sollen wir oft in uns einkehren und dabei hineinsinken und uns gänzlich
hineingeben in den inwendigen lichten göttlichen Grund, wo der göttliche Funke in uns immerfort
in seinen Ursprung zurückfließt, aus dem er entsprungen ist.
Wo solcher Rückstrom in rechter Weise geschieht, da ist in einem Augenblick alle Schuld gänzlich
bezahlt, alle Sonderung und Sünde aufgehoben, würde sie auch die Schuld aller Menschen von
Anbeginn an umfassen, und alle Seligkeit wird eingegossen in diesem Augenblick, da der Mensch
gänzlich vom göttlichen Licht erfüllt und durchgottet wird.
Daß uns solche Befreiung von den Fesseln der Zeitlichkeit gelinge und der Geist und das Licht
Gottes uns gänzlich erfülle, dazu helfe uns Gott!

DAS GESETZ DES AUSGLEICHS

"Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr nicht
gerichtet werden. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebet, so wird euch gegeben: ein volles, gerüttelt
und überfließend Maß. Mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen." Luk.
6;36 f.
Zweierlei lehrt uns Jesus: was wir tun und was wir lassen sollen.
Das rechte Tun besteht darin, daß wir barmherzig seien, vergeben und geben sollen, das Lassen
darin, daß wir niemanden richten und verdammen sollten.
So viel Barmherzigkeit einer hat und übt, viel wird er finden. Diese Barmherzigkeit sollen wir
inwendig, in unserem Gemüt, empfinden und von dort her üben dergestalt, daß wir zuerst in uns ein
gütiges Mitgefühl mit unseren Nächsten empfinden überall, wo wir Wesen in Leiden wissen,
innerlich oder äußerlich, und mit herzhaftem Mitleid von Gott begehren, daß er sie tröste.
Können wir auch äußerlich helfen, mit Rat oder mit Gaben, mit Worten oder Werken, so sollen wir
dies, sowie es an uns kommt, willig tun. Wenn wir nicht viel tun können, sollen wir das wenige, das
wir vermögen, mit Liebe tun oder wenigstens ein gutes Wort sprechen. Dann haben wir recht getan
und werden unsererseits Liebe und Barmherzigkeit finden.
Und nun das rechte Lassen. Da heißt es vor allem: Richte nicht, damit Du nicht gerichtet werdest!
Es mag einer noch so viele gute Werke tun; sie bleiben fruchtlos, wenn er zum Richten neigt.
Niemand maße sich an, über andere zu urteilen und zu richten, der nicht zuvor seiner eigenen Fehler
und Mängel bewußt ward und sein eigener Richter war.
Hier sind die meisten blind: sie wollen, daß andere nach ihrem Willen handeln, vermögen aber sich
selbst trotz allem Mühen nicht so zu halten, wie sie sein sollten und wie Gott sie gern hätte. Wer
aber will, daß Gott seine Fehler mit Barmherzigkeit beantwortet, der hüte sich, anderer Menschen
Fehler schwer zu wägen und über sie zu richten.
Auch wenn er weiß, daß etwas böse ist, soll er nicht richten, sondern nur eines tun: sich zu sich
selbst kehren und seine eigenen Fehler erkennen und abstellen. Und wenn es sein Amt ist, zu
urteilen, soll er es mit Liebe und mit Sanftmut tun, den anderen mit den Augen Gottes sehen und
bedenken, daß er mit seinem Urteil sich selbst und sein Leben dem gleichen Urteil Gottes
unterwirft.
Denn, wie ein Heiliger sagt: "So viele Menschen du mit deinem Urteilen und Richten unter dich
drückst, unter so viele Menschen wirst du gedrückt werden." Wer richtet, errichtet Mauern zwischen
sich und Gott.
Das Lassen bestehe auch im Unterlassen jedes unnützen Wortes: Wir sollten den Mund nicht auftun,
bevor wir nicht dreimal überlegt haben, ob unsere Worte zur Ehre Gottes und zum Besserwerden
des Nächsten dienen, wie auch, ob sie uns selbst innerlich und äußerlich Frieden bringen. Gerade
weil von unguten Worten unabsehbarer Schaden kommt, hat man in manchen Klöstern jedes Reden
untersagt.
Aber noch wichtiger ist das Unterlassen unguten Denkens.
Denn Gott sieht das Herz an und mißt den Menschen nach seinem Gemüt: dies ist das Maß, mit
dem uns zugemessen wird, wie viel wir von Gott empfangen.
Blicken wir einmal auf dieses Maß – unser Gemüt – und darauf, wie viel darin von Gott ist und wie
viel von der Welt: ist es nicht so voller Bilder äußerlicher vergänglicher Güter, daß für Gott kein
Platz darin ist? Selbst wenn wir uns im Gemüt zu Gott wenden, ist unser Innerstes mit Begierden
und Wunschbildern von diesem und jenem so angefüllt, daß Gott nirgend hinein kann und nicht in
uns wirken kann.
Zudem haben wir als Torhüter Kreaturen eingesetzt, die Gott hindern, in uns einzutreten. Alsdann
bleibt unser Gemüt ohne Frucht, und da wir ohne Antwort bleiben und Gott nicht spüren, weil wir
ihm keinen Raum in uns gegeben haben, wird uns das Beten verleidet; wir lassen es schließlich und
wenden uns ganz dem äußeren Leben zu.
Wenn Gott unser Gemüt und unsere Seele mit seinem ewigen Wesen erfüllen und in uns wirken
soll, müssen wir zuvor alles Kreatürliche und Vergängliche aus uns entlassen. Machen wir unser
Gemüt leer, damit Gott darin einziehen und wirken kann!
Wenn wir je in den Gottesgrund hinabgelangen wollen, müssen wir zuerst in unseren eigenen
Seelengrund hinabsteigen und auf dem Wege dorthin alles von uns lösen und lassen, was dem
äußeren Menschen und dem äußeren Leben zugehört, und müssen unser ganzes Wesen gänzlich
Gott anheim geben und überlassen.
Wenn wir uns so dem Äußeren entzogen und uns frei gemacht haben von aller Liebe und
Bekümmerung um Kreaturen und äußere Dinge, müssen wir den nächsten Schritt tun und auch über
die Bilder der Dinge, die uns auf dem Wege nach innen noch hindern und ablenken, hinausschreiten
und zugleich jeden Widerstand, der uns hier bewußt wird, als Übung nehmen, uns ganz auf uns
selbst zurückzuziehen, uns Gott zu lassen und uns seiner liebevollen Barmherzigkeit und Güte zu
überlassen, bis auch die Bilder der Dinge von uns abfallen.
Damit der äußere Mensch zurücktritt und der innere Mensch die Herrschaft und Führung
übernimmt, müssen wir, wie es im Gleichnis heißt, ein ,volles, gerüttelt und überfließend Maß'
haben.
Das heißt: wir müssen alles, was dem äußeren Menschen zugehört und anhaftet, alles, was die
Nach-Innen-Wendung hindert und dem inneren Menschen zuwider ist, abstreifen und ausschütten.
Alles, was uns darin behindert, daß Gott in uns lebt und wirkt, alles, was nicht seine Ursache in Gott
hat und zu Gott hinführt, müssen wir aus unserem Gemüt ausschütten, damit unser äußerer Mensch
ganz in dem inneren aufgehe und entwerde.
Insbesondere sollen wir auch alle frommen Übungen daraufhin prüfen, ob sie uns Gott näher führen
oder nicht, und sollen sie lassen, wenn sie hindern. Das gilt für das Fasten wie für alle geistigen
Übungen, die dem Starken helfen, innerlich zu wachsen und aus dem Geiste zu leben, aber den
Schwachen nicht weiter bringen, sondern ihn am inneren Fortschreiten und an der rechten Hingabe
hindern.
Wir müssen lernen, uns allem gegenüber, was uns von außen her locken, einleuchten und beglücken
möchte, wie ein Schlafender zu verhalten und nur für einen allezeit wach und offen zu sein: für
Gott.
Wir sollen lernen, was Paulus lernte und wovon er in seinem Brief an die Philipper (3; 13) spricht:
"zu vergessen, was dahinten ist, uns dem zuzuwenden, das vorn ist, und dem vorgesteckten Ziel
nachzujagen."
Das heißt: wir sollen alles, was weniger ist als Gott, lassen, uns ganz Gott zuwenden und uns völlig
seinem Willen und Wesen überlassen.
Wenn Gott dann unser brennendes Verlangen sieht, kommt er mit dem überfließenden Maß und
ergießt sich selbst in das Maß, daß es vom überwesentlichen Guten, das er selbst ist, überströmt,
unser Gemüt und Wesen gänzlich erfüllt und es ebenfalls zum überfließen bringt, so daß der Geist
über sich selbst hinaus in den göttlichen Abgrund fließt. Er gießt sich gänzlich aus, gibt sich völlig
hin – und bleibt doch voll – wie man einen Krug ins Meer hinabläßt: er wird voll und fließt über
und bleibt doch voll.
Das meint das Wort: "Ein volles, gerüttelt und überfließend Maß wird euch gegeben", und das
andere: "Mit welchem Maß ihr messet, wird man euch wieder messen."
Das Maß, mit dem wir gemessen werden, ist das Maß der Liebe.
Das volle Maß besteht darin, daß wir unsere Liebe ganz Gott zuwenden und den Willen haben, alles
zu lassen, was nicht zu Gott führt, und alles zu tun, was uns Gott näher bringt, also Gott über alles
zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Das ist ein rechtes Leben im Geiste Christi und ein
gutes Maß, das uns zum ewigen Leben leitet. Zu diesem Maß hat Gott uns alle gerufen.
Das gerüttelt Maß besteht darin, daß wir von den äußeren Übungen weg zu den inneren kommen
und gleichermaßen vom äußeren Menschen zum inneren, daß wir alles Äußere lassen, das uns am
inneren Leben als dem wesentlichen Leben hindert. Es gilt, unser ganzes Sinnen und Trachten auf
Gott zu richten, uns voll Dankbarkeit in den Seelen grund einzusenken und Gottes zu harren.
Diese Einwärtswendung und innere Übung erhöht unsere Empfänglichkeit für Gott mehr als alle
äußeren Übungen. Aber sie muß mit einer Liebe geschehen, die uns so stark durchglutet und so
gänzlich erfüllt, daß sie überfließt und alles in sich aufnimmt und verwandelt.
Denn, wie Augustinus sagt, "es kommt nicht auf die Länge der Zeit oder die Zahl der guten Werke
an, sondern allein auf die Größe der Liebe", und Paulus: " Wenn ich alle meine Habe den Armen
gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts." Alles muß vom Geist der Liebe erfüllt und
durchglutet sein.
Wer mit dem Maß der Liebe alles Gute in sich faßt und es willig weitergibt, dem wird ein gerüttelt
Maß zugemessen. Wie Paulus sagt: "Die Liebe ist nimmer müßig, sie wirkt und leidet alle Dinge"
und will immerfort geben und sich verschenken.
Alsdann kommt das überfließend Maß, das so voll und so reich ist, daß es an allen Enden immerfort
überströmt. Es gibt alles, was es in sich trägt, und sich selbst mit; es schüttet sich mit einem Male
wieder in den Ursprung, dem es entfloß, verliert sich völlig darin und ist gänzlich eins mit Gott.
Solche Menschen mißt Gott mit seinem Maß und wirkt all ihr Wirken in ihnen.
Hierbei gibt Gott sich selbst dem Geiste in einer überströmenden Weise, die alles übersteigt, was die
Seele je begehrte. Er gibt der Seele seinen eingeborenen Sohn und erfüllt sie mit der Seligkeit des
Heiligen Geistes. Er teilt mit ihr sein Reich, das heißt: er gibt ihr volle Gewalt über das Reich
Gottes, damit sie alles dessen Herr sei, dessen er Herr ist.
So wird das Maß überfließend, mit dem uns gemessen wird. Das ist der Friede Gottes, von dem
Paulus sagt, daß er über alle Vernunft ist: der Friede des Einsseins.
Daß uns allen das volle überfließende Maß zuteil werde, dazu helfe uns Gott!
WEISHEIT DER ABGESCHIEDENHEIT

"So seid nun weise und wachsam im Gebete." 1. Petr. 4;8


Wir feiern mit dem Pfingstfest die Sendung des Heiligen Geistes, der von den Jüngern in einer
besonderen Weise empfangen wurde. Das war nötig, da sie im Anfang standen und da ein neues
Leben in ihnen begann, aber auch um derer willen, die noch dazu gelangen sollten.
Solange sie in der Zeit lebten, nahmen sie im Empfangen des Heiligen Geistes ständig zu. Gleich
ihnen soll jeder Gottesfreund das Fest des Heiligen Geistes alle Tage und Stunden begehen, damit er
ihn jederzeit empfange. Je größer seine Bereitschaft und Empfänglichkeit und je tiefer er sich
einwärts wendet, desto vollkommener wird er den Heiligen Geist empfangen.
Was den Jüngern am Pfingsttage zuteil wurde, das findet alle Tage geistig bei denen statt, die sich
gründlich dazu bereiten: zu ihnen kommt der Geist Gottes mit immer neuen und besonderen Gaben,
solange sie leben, nach innen gewendet und bereit sind, ihn zu empfangen.
Und worin besteht nach Petrus die rechte Bereitung? "Seid weise und wachsam im Gebet."
Weisheit meint Wohlvertrautheit und Wohlbewandertsein und bedeutet, daß wir bei all unserem Tun
und Lassen jedes Ding mit dem Licht unserer Urteilskraft durchschauen, so daß uns wohl vertraut
ist, womit wir umgehen, und wir bereit sind, das Beste aus ihm zu gewinnen.
Die höchste Bereitschaft nun, den Geist Gottes zu empfangen und ihn unmittelbar in sich
aufzunehmen, besteht im Abgeschiedensein und Lassen, in Innigkeit und Einigkeit. Wer diese vier
hat und darin zunimmt, der ist am besten bereitet für den Empfang des Geistes Gottes.
Worin besteht nun das erste von diesen vieren: wahre Abgeschiedenheit?
Sie besteht darin, daß der Mensch sich von allem abwendet und abzieht, das nicht Gott ist, und mit
dem Lichte seiner Urteilskraft alle seine Gedanken, Worte und Werke verständnisvoll daraufhin
durchschaut, ob da im Grunde etwas ist, das nicht Gott ist, nicht Gott im Tun wie im Lassen im
Sinne hat, damit er das, was auf anderes als Gott abzielt, ausschließe und von sich abscheide.
Das ist nicht nur die Aufgabe der dem inneren Leben zugewandten Gottesfreunde, sondern die jedes
Menschen. Denn man findet viele gute Menschen, die sich im rechten Denken und Handeln üben
und doch von wahrer Innerlichkeit nichts wissen. Auch sie sollen sich gewöhnen, darauf zu achten,
ob das, was sie denken und tun, sie etwa von Gott wegführt, damit sie das lassen. Auch sie bedürfen
der Einwärtswendung und der Abgeschiedenheit, wenn sie den Geist und die Gaben Gottes
empfangen wollen.
Nun ist die Abgeschiedenheit und die Empfangsbereitschaft bei den Menschen sehr verschieden:
Die einen empfangen den Geist in bildlicher Weise mit den Sinnen, andere nehmen ihn in die Kräfte
der Vernunft auf, und wieder andere nehmen ihn darüber hinaus in den Grund der Seele auf, in das
heimliche Reich, in dem das Bild und das Licht Gottes verborgen schlummert. Hier findet der Geist
seine wahre Stätte, und da allein werden seine Gaben in göttlicher Weise empfangen.
So oft der Mensch in diesen Grund hineinschaut mit dem Licht der Unterscheidungskraft und sich
hier ganz Gott zuwendet, gelangt er zur Durchgeistung und empfängt vom Geiste Gottes neue
Gnaden und Gaben, wenn er in Weisheit und Abgeschiedenheit ganz nach innen gewendet ist und
mit wahrem Ernst bei seinen Worten und Weisen, Werken und Wegen darauf achtet, daß da nichts
sei, das nicht von Gott ist oder auf Gott hinzielt.
Mit dem Licht der Unterscheidungskraft soll er seine Tugenden prüfen, ob sie aus Gott geboren
sind, und soll dahin wirken, daß alle Kräfte, Strebungen und Tugenden der göttlichen Ordnung
entsprechen und alles zu Gott hin, mit Gott und durch Gott getan werde.
Wenn dann der Geist Gottes findet, daß der Mensch das Seine tut, kommt er mit seinem Licht,
überstrahlt das natürliche Licht der Urteilskraft, läßt die übernatürlichen Tugenden wie Glaube,
Liebe und Gewißheit erstehen und leitet den Menschen in dieser Abgeschiedenheit in die Einheit
mit Gott.
Doch beachte man wohl, daß auch in den Menschen, der nur Gott im Sinn hat, zuweilen das bange
Gefühl kommt, nicht in allem Gott im Sinn gehabt zu haben, und Trauer um das Fernsein Gottes.
Woher nun dieses Gefühl auch immer kommen mag, von innen oder von außen her, in jedem Falle
soll man ihm mit Sanftmut und Lassen begegnen.
Manche versuchen hier, es mit Gewalt zu überwinden. Sie rennen hier hin und dorthin, suchen bei
Gottesfreunden und Weisen Trost und Belehrung, stürzen sich in geistige Übungen – und werden
dadurch nur noch verwirrter.
Wenn Dunkelheit in einem ersteht, soll man es halten wie bei einem Unwetter: man geht unter ein
Dach und wartet gelassen, bis das Gewitter vergeht. So soll der Mensch, wenn Anfechtung, Zweifel
und Bangigkeit ihn überfällt, sich nach innen wenden, sich lassen, sich dem Frieden Gottes
überlassen und in Gelassenheit auf Gott warten.
Wenn er so in Sanftmut unter dem Dach Gottes steht, ist das besser als alle Bemühungen des Ich,
von sich aus die Not zu brechen, auch wenn man meint, damit Gott näher zu kommen. Denn mit all
diesem Tun hat der Mensch sich selbst im Sinn und seinen Eigenwillen.
Darum die Forderung, weise zu sein, die Jesus durch das Gleichnis ergänzt: "Seid weise wie die
Schlangen."
Wenn die Schlange merkt, daß ihr Äußeres zu altern und einzuschrumpfen beginnt, sucht sie eine
Stelle, wo zwei Steine nahe beieinander liegen, und zieht sich zwischen diesen ganz eng hindurch,
so daß die alte Haut abgeht und darunter die neue Haut zum Vorschein kommt.
Genau so soll der Mensch es machen mit der ,alten Haut', d. h. mit allem, was er von Natur hat, wie
groß oder gut es auch sei, also mit dem äußeren Menschen, damit der neue, der innere Mensch ganz
zum Vorschein komme. Und er soll sich ständig daraufhin prüfen, ob etwas an ihm und in ihm am
Veralten und darum abzustreifen sei, und sich immer wieder auf sein wahres Selbst besinnen und
zurückziehen.
Bei alledem soll er sich bewußt bleiben, daß alles, was Gott ihm jeweils in der Zeitlichkeit zufügt
oder an Schickungen zuläßt, sei es Glück oder Unglück, Lust oder Leid, ihm zum
Vollkommenerwerden dient. Denn was auch immer über ihn kommt, ist von Gott so vorgesehen und
vorher in ihm gewesen, so daß es in dieser Weise geschehen muß.
Wer dessen bewußt ist, der erregt sich nicht über die Dinge und Umstände, sondern bleibt allezeit
im Frieden. Diesen Frieden in allen Dingen und Lagen lernt und gewinnt man allein in wahrer
Abgeschiedenheit und Innigkeit. Wer ihn haben will, muß sich nach innen wenden; denn dort allein
wird er gefunden und gefestigt. Und je mehr der Friede zunimmt, desto vollkommener wird der
Geist Gottes gegeben und desto reicher empfangen.
Das sei durch ein anderes Gleichnis verdeutlicht: Wie der Landmann im März, wenn er sieht, daß
die Tage zunehmen und die Sonne an Kraft gewinnt, seine Bäume behaut und beschneidet, das
Erdreich umgräbt und das Unkraut ausjätet, so sollen wir uns selbst umgraben, die Ackerscholle
unserer Gedanken und Werke umkehren, daß wir den Grund prüfen, und wir sollen unsere Bäume
beschneiden, d. h. unsere äußeren Sinne und niederen Strebungen und Kräfte, und alles Unkraut
gründlich ausjäten.
Vor allem gilt es die sieben Hauptfehler gründlich auszujäten: Hoffart innen und außen, Geiz und
Zorn, Haß, Neid und Unkeuschheit, Leibes- und Sinnenlust in aller Weise, in unserer Natur wie in
unserem Geiste, daß sich da kein Mangel und keine Trägheit verberge, vielmehr alles, was nicht auf
Gott zielt, ausgemerzt werde.
Aber noch ist es dürr und kalt und hart in uns. Die Sonne gewinnt an Kraft, sie steigt höher und der
Sommer naht. Wenn der äußere Mensch und die niederen und höheren Kräfte und schließlich der
ganze Mensch außen und innen wohl bereitet sind, kommt die göttliche Sonne und leuchtet in den
wohl vorbereiteten Acker der Seele bis in den Grund, und dann beginnt eine echte Maienblüte, der
ein wonniger Sommer folgt.
Also verleiht der gütige Gott dem Geiste, zu grünen, zu blühen und herrliche Frucht zu tragen.
Wenn der Heilige Geist seinen seligen Glanz und göttlichen Schein unmittelbar und gegenwärtig in
den Seelengrund ergießen kann – welche Freude und Wonne erquillt da! Von dieser Wonne, die der
Geist Gottes da unserem Geiste schenkt, nur einen Tropfen zu schmecken, ist beseligender denn alle
Beglückungen, mit denen die Welt und die Kreaturen uns zu erfreuen vermögen.
Manche, die diese göttliche Seligkeit in sich erfuhren, möchten gern nur noch in diesem Genießen
verweilen und verbleiben. Sie meinen, dieser erste Strahl sei die ganze Sonne, und möchten sich
gern darin niederlegen und ausruhen. Aber wer so handelt, der steht still, bleibt zurück und gelangt
weder zum Blühen noch zum Fruchttragen.
Andere bleiben dadurch zurück, daß sie beim Empfangen und Gewahrwerden dieser Seligkeit in
unechte Freiheit verfallen und sich, statt ihrem Ich zu entwachsen, ganz auf ihr Ich zurückziehen
und ihre Lust und Befriedigung im Selbstbesitz sehen. Sie meinen, sie könnten sich darauf
verlassen, dünken sich darin sicher, werden schwach und verwöhnt und wähnen, sie brauchten nicht
mehr zu leiden und zu wirken wie vorher, sondern könnten sich ganz abgeschieden halten.
Wenn aber die Welt das merkt, gießt sie falsche Süßigkeit darein, damit der Mensch ihr verhaftet
bleibe, das unechte Selbst zurückbleibe und nicht zum göttlichen Blühen und Fruchttragen gelange.
Was sollen wir da tun? Sollen wir uns dieser Seligkeit entziehen?
Keineswegs. Wir sollen sie vielmehr dankbar hinnehmen und sie willig wieder Gott zutragen,
indem wir mehr tun als vorher, mehr danken und loben, mehr lieben und helfen als vorher, also
unser brennendes Verlangen nach Gott in allen Dingen und Werken vervielfachen.
So oft wir uns mit solcher Innigkeit Gott zuwenden und uns ihm in williger Hingabe darbieten, so
oft kommt Gott uns mit neuen Gaben entgegen in jedem Augenblick. So erwächst aus der Seligkeit
größere Innigkeit.
Das meint Petrus, wenn er uns mahnt, weise und wachsam zu sein und nicht träge zu werden und
einzuschlafen. Denn wer schläft, schafft nicht und kommt nicht voran. Der wache und wachsame
Mensch vollbringt sein Werk mit Freude, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit.
In solcher Weise sollen wir wach sein bei allem, was wir tun, stets auf uns selbst acht geben und auf
den Gott in uns, und sollen uns von seiner Gegenwart in uns bis in die letzten Winkel unserer Sinne
und unserer Seele erfüllen lassen, außen und innen, damit wir des göttlichen Lichts gewahr und
teilhaftig werden und in diesem Lichte blühen und Frucht tragen.
Wahre Abgeschiedenheit besteht aber nicht nur darin, daß der Mensch sich von aller äußeren
Mannigfaltigkeit gelöst hat, sondern auch darin, daß er sich von der inneren Mannigfaltigkeit der
bildenden Kräfte mit ihren Gedankenbildern und Phantasien abwendet und in der Einsamkeit
verbleibt.
Denn erst, wenn er all dies gelassen hat, kommt Christus, auf den er wartet, in einem Blick
und führt ihn mit diesem Blick über alle Dinge hinaus und entschädigt ihn für all sein Warten.
Danach aber kommt die innere Finsternis, das völlige Alleinsein und der steile einsame finstere
Weg, auf dem er nichts weiß und nichts hat und auf dem ihm alles begegnet, was er längst
überwunden und besiegt glaubte: all das schreckt ihn nun. Aber all das dient nur dem Entwerden
des Ich und allen Ichverlangens.
Wenn er dem entworden ist, kommt Gott und macht ihm mit einem Blick die ewige Liebe gewiß.
Das geschieht, wenn wir "weise und wachsam sind im Gebet". Darin berühren wir das Letzte. Was
meinte Petrus mit dem Gebet? Meinte er etwa das Gebet des Mundes? Nein, er meinte mit Jesus
jene Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit, von der die Meister sagen, sie sei ein
Aufgehen des Gemüts in Gott.
Das Lesen mit den Sinnen und das Beten mit dem Munde kann dazu dienen und dorthin führen, und
dann mag bei des gut sein. Aber wie mein Rock und meine Kappe nicht ich sind, sondern mir nur
dienen, so ist das Gebet des Mundes nicht das wahre Gebet, sondern dient ihm nur und hilft dazu,
daß Geist und Gemüt sich unmittelbar in Gott einsenken. Das erst ist das wahre Gebet.
Und dieses wahre Gebet denkt und spricht man ohne Unterlaß im Himmel. Es trägt das Gemüt
gänzlich hinauf, so daß Gott unmittelbar in unser Innerstes und Innigstes, den Seelengrund,
eingehen kann, in dem wahres Einssein ist.
Von diesem innersten Grund sagt Augustinus, die Seele habe in sich einen verborgenen Abgrund,
der habe mit der Zeit und der äußeren Welt nichts zu tun und sei weit erhaben über den äußeren
Menschen und das Ich, das dem Körper Leben und Bewegung gibt.
Hier, in dem Grunde der Seele, ist die Stätte und das Reich Gottes. Hier wird der Mensch ganz still
und wesentlich und immer mehr abgeschieden und nach innen gewendet, immer lichter und
gelassener; denn Gott selbst ist hier in seinem Reiche und wohnt und wirkt hier.
Von hier aus kehrt der wahre Beter dann wieder in das äußere Leben zurückt, wendet sich mit
inbrünstiger Liebe und Hilfsbereitschaft allem zu, für das Gott ihn vorgesehen hat, und widmet sich,
um Rat zu schaffen, mit ganzer Liebe der Not der Menschen, indem er, wie man mit einem Blick
viele Menschen umfaßt, alle mit sich in den Seelengrund hinabträgt, in den Abgrund der göttlichen
Liebe, daß sie allen zuteil werde.
So senkt er sich in den Abgrund der Einigkeit und kehrt wieder hervor und bleibt vom mit seinem
innersten Wesen in dem Grunde, aus dem auch sein Wollen und Handeln erfließt.
In einem solchen Menschen findet man nur göttliches Wollen und Leben. Er dient Gott zuliebe und
allen Menschen zum Troste und zur Vollendung. Er wohnt in Gott, und Gott wohnt in ihm.
Daß wir alle diese Abgeschiedenheit und Einswerdung erreimen, dazu helfe uns Gott!

VON DER DREIEINIGKEIT DES MENSCHEN

"Seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geiste durch das Band des Friedens: ein Leib und ein
Geist, ein Gott und Vater aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen.
Eph.4,'4
Der Mensch ist ein dreifaches Wesen: das erste ist der äußere Mensch, das, was am Menschen mit
den Sinnen wahrnehmbar ist; das zweite ist der innere Mensch und das dritte ist der aller-innerste
gottförmige verborgene Mensch oder Christus in uns. Und doch ist alles ein Mensch.
In seinem innersten Seelengrund ist der Mensch die Wohnstatt Gottes; und wer sich ganz nach
innen wendet und in sein Innerstes einsenkt, der wird im innersten Grunde so unbeweglich und so
vollkommen in den göttlichen Frieden versetzt, daß ihn weder Lust noch Leid, weder Tod noch
Leben bewegen kann.
Diesen Frieden gilt es zu erlangen, zu halten und zu hüten, damit Gottes Stätte in uns bleibe. Ruhe
und vertraue, kehre in Dich selbst ein, bleibe bei Dir selbst und wende Dich nicht viel nach außen.
Überlaß das Außen denen, die dessen noch bedürfen, und richte Dein Sinne und Trachten auf Gott
im Grunde Deiner Seele, damit Dein Geist mit dem Seinen durch das Band des Frieden geeint sei.
Wenn Du in diesem Frieden stehst, wird Deine Seele in einem Blick vom Licht Gottes erleuchtet,
daß der Grund entflammt und daß es Dir ist, als ob Du selbst verbrennen würdest und alle
Menschen mit zur Entflammung brächtest.
Dies geschieht im allerinnersten Grunde des erleuchteten Menschen; es strahlt aber auch durch den
inneren Menschen und bis in den äußeren, so daß der ganze Mensch so durchgottet und
durchlichtet, erneuert und friedevoll wird, daß alles, was er alsdann wirkt, Gottes Werk ist.
Alle Weisen und Übungen der Religion weisen den äußeren Menschen auf den inneren, in dem eine
wahre Erneuerung ohne Unterlaß statthaben soll, damit der aller innerste Mensch, der göttliche
Grund, offenbar werde.
Wo diese Erneuerung geschehen soll, muß der äußere Mensch sich völlig einwärts wenden in den
inneren und in ihm allem Haften und Hängen an äußeren Dingen, Wesen und Gütern wie auch sich
selber entwerden, bis der innere Mensch ganz Herr ist über den äußeren.
Das ist am Anfang nicht leicht, sondern schmerzlich, wenn man allen äußeren Lüsten in Gedanken,
Worten und Werken absterben will. Aber Gott blickt auf unseren allerinnersten Menschen, Christus,
und hilft uns: wenn wir uns lassen und uns ihm überlassen, nimmt er in uns Wohnung – im
verborgenen allerinnersten gottförmigen Grund unseres Wesens. Dann kehrt der Seelengrund
zurück in seinen Ursprung, in seine Ungeschaffenheit, und wird da Licht im Lichte Gottes.
In diesem Licht erlischt und entwird alles natürliche und geistige Licht, das je außer ihm und in ihm
leuchtete, wie das Licht der Sterne verblaßt und erlischt, wenn die Sonne aufsteigt. So verdunkelt
das göttliche Licht, das nun im Seelengrund aufstrahlt, alle geschaffenen Lichter, die je schienen,
und erfüllt das ganze Wesen mit seiner vor Oberlichtheit fast dunklen Lichtheit – so wie die Sonne,
wenn das Auge ungeschützt hineinschaut, es blendet und als Finsternis erscheint.
Ich sagte, daß alle Weisungen und Übungen der Religion den äußeren Menschen auf den inneren
weisen, in dem eine wahre Erneuerung ohne Unterlaß statthaben soll, damit der allerinnerste
Mensch – der göttliche Grund – offenbar werde. Und ich wiederhole, daß sie nur dem frommen und
nützen, der dabei nicht sich und sein irdisches oder ewiges Wohl im Auge hat, sondern allein, den
Willen Gottes zu tun, sich zu lassen und Gott in sich wohnen und wirken zu lassen.
Das meinte Paulus mit seiner Mahnung, uns darin zu üben, daß wir die Einigkeit im Geist, die
Einheit von Leib, Seele und Geist, durch das Band des Friedens in Gott erhalten. Wir sollen, in der
Einwärtswendung, auf unseren Seelengrund achten und uns dem allerinnersten Menschen einen,
damit wir in die Einheit des Geistes, d. h. zur Einigung unseres Geistes mit dem Geiste Gottes
gelangen.
Wie aus gutem Holz ein großes Feuer entsteht und die Flamme hindurchdringt und in die Höhe
steigt, so soll die geistige Übung das Gemüt entzünden. Doch soll man auch über dieses Bild
hinwegschreiten und mit flammender Liebe durch den inneren Menschen zum allerinnersten
durchstoßen, denn der allerinnerste Mensch kennt kein Eigenwirken, sondern nur das Lassen: er
hält sich im Stande des NichtTuns, damit Gott in ihm sein Werk vollbringe.
Wenn er dazu gelangt, erhebt sich der Geist Gottes, blickt in sich selbst hinein und zieht das zum
Lassen gelangte Gemüt nach sich und in sich selbst. Das geht in einem Augenblick – je schneller,
desto vollkommener. Hier wird der allerinnerste Mensch ein Geist mit Gott.
Hier wird der wahre Friede Gottes geboren. Um den zu erlangen und zu halten, muß man sich
ständig im Lassen und Hingeben üben, und man muß dabei bleiben, bis das Licht der Wahrheit
aufstrahlt.
Denn wo etwas von Gott aufstrahlt, da ist Gott ganz gegenwärtig.
Daß wir zu dieser Einheit und zum Frieden Gottes gelangen, dazu verhelfe uns Gott.
VOM SEELENGRUND

"Ein Schriftgelehrter versuchte ihn und fragte: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben
ererbe?
Er aber sprach: Wie steht im Gesetz geschrieben?
Und der Schriftgelehrte antwortete: ,Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von
ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst.'
Jesus aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben." Luk. 10; 25 f.
Wer des ewigen Lebens teilhaftig werden will, muß drei Zeugnissen folgen: das erste kommt von
Gott, das zweite aus seinem Seelengrund, das dritte aus der Heiligen Schrift.
Der Schriftgelehrte folgte nur einem, auf das ihn Jesus hinwies, und wußte nichts von den bei den
anderen, nichts von dem inneren Adel, der im Grunde der Seele verborgen ist, von der
Verwandtschaft seines innersten Wesens mit dem göttlichen Wesen, und von der Seligkeit des
Seelengrundes, der den Zugang bildet zum göttlichen Urgrund; und darum wußte er auch nichts von
Gott.
Von diesem inneren Adel und Seelengrund haben viele Meister gesprochen, alte und neue, von
Bischof Albrecht bis Meister Eckehart. Der erstere nennt den Seelengrund ein Bild, in dem die
göttliche Dreieinigkeit sich verbirgt; der letztere spricht vom göttlichen Funken im Seelengrund, der
nicht ruht, bevor er nicht wieder in den Gottesgrund zurückgekehrt ist, dem er entsprungen ist und
in dem er in seiner Ungeschaffenheit war.
Hiervon haben schon vor Christi Geburt und vor den Heiligen und Lehrern der Christenheit auch
andere große Meister gesprochen wie Plato, Aristoteles und Proclus, die vom Innenadel wußten und
vom Seelengrund kündeten. Was sie und gleich ihnen die Lehrer der Christenheit bis zu Meister
Eckehart kündeten, ist dies:
Die Seele hat einen Funken, einen Grund in sich, dessen Verlangen und Durst Gott mit nichts
anderem zu löschen vermag als mit sich selbst. Gäbe er ihr auch alle Dinge, die er je schuf im
Himmel und auf Erden es genügte ihr nicht und vermöchte sie nicht zu sättigen. Das ist ihr von
Natur inne.
Diesen Seelengrund und dieses Sehnen verkennen jene, die nur um ihren äußeren Menschen wissen.
Darum schmecken ihnen die göttlichen Dinge nicht. Wie groß wird ihre Not sein, wenn sie an ihrem
Ende gewahr werden, daß sie ihren natürlichen Adel verkannt und unermeßliches Gut übersehen
und versäumt haben! Sie finden den Zugang nicht zum Reime Gottes.
Wenn jemand kommt, der tiefer sieht, sie vor dem Irrweg warnt und ihnen helfen will, den Weg
nach innen zu gehen und zu sich selbst zu finden, verspotten sie ihn und sagen: "Hier ist ein neuer
Geist gekommen; doch er ist uns zu hoch." Denn sie wollen sich nicht vom neuen Geist erfüllen
lassen, wollen sich nicht lassen, sich nicht dem Lichte Gottes überlassen, sondern gehen weiter
ihren Weg ins Dunkel.
Welcher Weg nun führt zum Seelengrund und zu jener Gottschau, die den Jüngern zuteil ward,
wovon im gleichen Kapitel gesagt wird: "Selig die Augen, die sehen, was ihr sehet; denn viele
Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben's nicht gesehen."
Diese Propheten und Könige sind die weltweisen, hochgelehrten, selbstbewußten, mit Macht und
Einfluß ausgestatteten Menschen, die trotz Kenntnis aller Übungen und Weisen nicht sehen, was die
Jünger, die zur Nachfolge und Hingabe Bereiten, sahen.
Und warum sehen sie nicht? Sie wollten sehen. Was sie bewegte, war ihr Eigenwille. In eben
diesem Eigenwillen aber liegt das Hindernis. Der Wille bedeckt die inneren Augen, die rein sein
müssen von allem Wollen und Nichtwollen, wenn sie sehen sollen. Im Willen äußert sich vor allem
der äußere Mensch, und auch wenn er den inneren Menschen bewegt, bleibt er dem aller innersten,
dem Seelengrund, fern.
Dieser Wille muß entwerden. Wie Jesus sprach: "Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun,
sondern meines Vaters Willen", so müssen auch wir sagen: "Nicht wie ich will, sondern wie Du
willst!" Denn solange wir unseren eigenen Willen wirken, sind wir dem Seelengrund und der
Seligkeit fern.
Wahre Seligkeit besteht in Gelassenheit: im Lassen, in der Willenshingabe. Der Wille ist die Säule,
an der sich alle Uneinheit und Unordnung hält. Fällt diese Säule, so fallen die Hindernisse, die der
Heimkehr in den Seelengrund entgegenstehen.
Wir erreichen das durch die Hinwendung zur Liebe. Ihr Wesen ist Hingabe, und ihr Ziel und
Gegenstand ist Gott. Bischof Albrecht erläutert, wie das Wort der Schrift verstanden sei:
"Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen: Alles Denken und Trachten des Herzens muß gänzlich
von den Dingen und Kreaturen abgezogen und ausschließlich auf Gott gerichtet sein.
von ganzer Seele: Der innere Mensch muß Gott genau so zugewandt und zugeneigt sein wie
der äußere Mensch aus der Erkenntnis, daß Wesen und Wahrheit nur in Gott ist.
von allen Kräften: Alle Kräfte müssen darauf gesammelt und dahin geübt werden, daß sie
sich statt nach außen immer bewußter und zielstrebiger nach innen wenden; sie müssen auf dieses
Ziel gespannt und gesammelt sein, wie ein Bogen kräftig gespannt und der Schütze einzig auf das
Ziel gesammelt ist, nämlich auf Gott.
und von ganzem Gemüte: Die Übung der Liebe und die Sammlung aller Kräfte hierauf muß
zur Gewohnheit werden, damit das Gemüt ganz mit seinem Ziel und Gegenstand eins und der
Seelengrund ganz gottförmig werde."

Proclus spricht von dieser Einung und von dem Suchen danach als von einem Stillewerden und
Unbewegt-Stehen im Einssein mit dem Einen. Wenn die Seele sich dahinein wendet und ganz
Lassen wird, wird sie völlig durchgottet und hat teil am ewigen Leben.
Solange der Mensch diese Seligkeit noch entbehrt und nach außen gerichtet ist, kann er von diesem
Seelengrund nichts wissen und darum auch nicht glauben, daß dieser Grund in ihm ist. Aber dieser
innerste Wesensgrund ist so beschaffen, daß er den Menschen ständig in sich, in seinen Ursprung
zurückzieht.
Dieser göttliche Zug hört nie auf. Und wenn der Mensch ihm folgt, sich von allem löst und alles
läßt, was ihm ungemäß ist, sich nach innen wendet und in die Stille des Grundes gelangt, erkennt er
sein wirkliches Wesen und seine göttlichen Kräfte und schaut sich selbst als Ebenbild dessen, aus
dem er entsprungen ist.
Die Augen, die dies sehen, werden selig genannt. Denn hier, im Grunde der Seele, ist weder
Sinnenhaftigkeit noch Gestalt, weder Zeitlichkeit noch Vergänglichkeit; hier endet alle
Unterscheidung im Innewerden des Einsseins. Hier strahlt das göttliche Licht der Wahrheit, hier hat
das ewige Leben seinen Aufgang.
Aus drei Gründen wird dies die "ewige Seligkeit" genannt: weil es ganz und gar göttlich, d. h. ein
Innewerden Gottes im Menschen ist, weil es gänzliches Entsunkensein in Gott ist und weil es Gott
ist, der den Seelengrund erfüllt und in ihm wirkt.
Die unermeßliche Seligkeit liegt nicht im Tätigsein, sondern in der Gottgelassenheit des
Seelengrundes: Wer dazu gelangt, der wird mit Recht selig geheißen. "Selig die Augen, die da
sehen, was ihr sehet!"
Um dies zu erfahren, muß man sich lassen, zur Stille werden und alles Gott überlassen. Paulus
nennt dies den Frieden Gottes, der über alle Vernunft ist. In diesem Frieden schaut Gott sich im
gelassenen Gemüt und leitet den Menschen zugleich in seinem äußeren Leben, daß ihm alles
Schwere leicht wird, weil er nun Gott in sich trägt und sich von Gott getragen weiß.
Daß uns allen dies geschehe, dazu helfe uns Gott!

SEELENGRUND UND GOTTESGRUND

"Er kam, um von dem Licht zu zeugen – von dem wahrhaftigen Licht, welches alle Menschen
erleuchtet, die in diese Welt kommen." Joh. 1; 7, 9
Man kann Johannes den Täufer nicht höher loben als mit dem Wort: "Er zeugte von dem Licht."
Das Licht, von dem er zeugte, ist ein wesentliches, über allem Erkennen stehendes Licht. Es
leuchtet im Innersten des inneren Menschen, im Allertiefsten des Seelengrundes.
Wie nun gelangen wir zu diesem Licht? Unsere Ichheit mit ihrem begrenzten Verstand vermag ihrer
Natur nach hier nichts; aber Gott hat uns eine übernatürliche Kraft und Hilfe gegeben: das ist das
Licht der Vernunft. Es ist ein geschaffenes Licht, das unsere Natur hoch über sich selbst erhebt und
ihr alles darreicht, dessen sie bedarf.
Darüber aber ist noch ein ungeschaffenes Licht im Menschen: das ist das Licht des Selbst. Es ist ein
göttliches Licht und ist Gott selbst. Denn wenn wir Gott erkennen sollen, muß es durch Gott selbst
geschehen, mit Gott und in Gott, wie der Prophet sagt: "Herr, in Deinem Lichte sehen wir das
Licht."
Es ist ein überwesentliches Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es
überstrahlt alle Wesen ohne Unterschied, wie die Sonne über allen Kreaturen scheint. Wenn sie
noch blind sind und das innere Licht nicht wahrnehmen, liegt das nicht am Licht, sondern es ist ihre
Schuld und ihr Schade. Aber mag ein Wesen noch so tief in der Finsternis weilen: es hat allezeit die
Möglichkeit, zum Lichte durchzustoßen. Alsdann ist es im Licht.
Um aus der Finsternis zum Licht durchzustoßen, muß man sich von allem, was zeitlich und
vergänglich ist, abscheiden: von aller Lust der Natur und der Sinne, auf die das Denken und
Trachten gerichtet war, von den Kreaturen und allem, was nach außen zieht, ausgenommen das, was
zum Leben und zur Erfüllung der irdischen Aufgaben unentbehrlich ist.
Denn erst in der Abgeschiedenheit und inneren Einsamkeit, in der die Stimmen der Welt verstummt
sind, wird das Wort Gottes vernehmbar.
Weiter müssen zur Abgeschiedenheit Stärke und Standhaftigkeit hinzukommen, damit der Mensch,
wenn er des Lichts gewahr wird, gelassen und unbewegt bleibt wie ein Berg und nicht wie ein
Schilfrohr zu Boden gedrückt wird. Hier versagen viele, wie sich zeigt, wenn ein törichtes,
spöttisches oder hartes Wort sie wie ein Schilfrohr zu Boden drückt.
In dem hingegen, der hier standhält, fällt ein Strahl des Lichts in die oberen Kräfte der Seele: in die
Vernunft, den Willen und die Liebe. Wenn es die Vernunft erhellt, wird der Mensch zum Propheten,
also zu einem, der auch das Entfernte nah und hell sieht; oder sagt ihm das innere Wort, wie etwas
ist.
Nun heißt es von Johannes, er sei "mehr als ein Prophet". Das heißt: In dem innersten Grund, in den
die Vernunft und die anderen Kräfte nicht hineingelangen, sieht man das Licht in dem Licht: man
befindet sich im inneren Licht und erkennt alsdann im kreatürlichen Licht das göttliche.
Was sich aber der Seele im Grunde darbietet, hat weder Bild noch Form, weder Ort noch Weise: es
ist ein unergründlicher Grund, schwebend in sich selbst, und in diesem Grund ist Gottes Wohnung
mehr als irgendwo anders. Wer sich dorthin einsenkt, der findet da Gott und findet sich selbst in
Gott und eins mit Gott. Denn von diesem Grunde scheidet Gott sich nie. Hier ist dem vom inneren
Licht erfüllten Geist Gott gegenwärtig, und die Ewigkeit wird hier empfunden, in der es weder
Vorher noch Nachher gibt.
In diesen Grund vermag kein geschaffenes Licht zu reimen noch zu leuchten: hier ist allein Gottes
Wohnung und Wesen. Alle Kreaturen können diesen Grund weder erfüllen noch ermessen; das
vermag nur Gott selbst in seiner Unermeßlichkeit.
In diesen Gottesgrund gelangt allein der Grund der Seele; hier ruft und verschlingt ein Abgrund den
anderen. Hier ist völliges Einssein. Alles, was der Mensch in seiner Vernunft über die Dreieinigkeit
der Gottheit dachte, gilt hier nicht mehr. Denn hier ist keine Unterscheidung mehr, sondern nur
Einheit.
Wer sich in diesen Grund ganz einsenkt, dem ist, als sei er schon immer und ewig hier gewesen und
als sei er mit ihm eins, obwohl es nicht mehr als ein Augenblick ist; aber solcher Einblick wird als
eine Ewigkeit empfunden und ist ein Zeugnis dafür, daß der Mensch in seiner Ungeschaffenheit
ewig in Gott war. Als er in ihm war, da war er Gott in Gott.
Was der Mensch heute in seiner Geschaffenheit ist, das ist er in Ungeschaffenheit ewig in Gott
gewesen und ist es noch: ein überseiendes Sein mit ihm.
Doch solange der Mensch, nachdem er aus der Ungeschaffenheit in die Geschaffenheit
hinausgeschritten ist, nicht in die innerste Einsamkeit und Lichtheit zurückkehrt, kommt er nicht
wieder in Gott. Bevor nicht alle Neigung nach außen, alles Haften an Zeitlichvergänglichem, alle
Ichheit und alles, was den Seelengrund mit seiner Nichtheit anfüllt und ihn für Gott unempfänglich
gemacht hat, kurz: alles, was nicht Gott ist, völlig daraus entfernt, ausgetilgt und entworden ist,
vermag er nicht zu seinem Ursprung durchzustoßen und zurückzukehren.
Doch auch das genügt noch nicht: Der Geist muß zuvor vom inneren Licht erfüllt und überformt
werden.
Wer diese Durchlichtung, Überformung und Verwandlung erreimt hat und ein in völliger Hingabe
an Gott ganz in seinen innersten Grund entsunkener Mensch geworden ist, dem mag es wohl
gelingen, daß ihm in diesem Leben ein Blick der höchsten Überformung durch das ungeschaffene
Licht Gottes zuteil wird, in dem er Gott erkennt: "Herr, in Deinem Lichte sehe im das Licht."
Und wenn er oft in seinen Seelengrund einkehrt und darin heimisch wird, würde ihm mancher Blick
in den Gottesgrund zuteil, in dem ihm von Mal zu Mal deutlicher offenbar wird, was Gott ist.
Mit diesem innersten Grund waren große Meister wie Proclus und Plato wohl vertraut, während
viele Christen weder sich selbst noch das erkennen, was in ihnen ist: weder den Seelengrund noch
den Gottesgrund, weil sie statt nach innen nach außen gerichtet sind und sich mit den äußeren
Wahrheiten der Religion begnügen, die sie hindern, über ihre Ichheit hinauszugelangen und den
Weg nach innen zu gehen.
Damit wir fähig und bereitet werden für das Erfüllt- und Überformtwerden durch das innere Licht,
müssen wir unsere ganze Liebeskraft statt nach außen nach innen lenken und in ihr entflammen, um
eine würdige Stätte für den Aufgang des göttlichen Lichts zu werden. Wir müssen denken, begehren
und sprechen wie Augustinus:
"Herr, Du gebietest mir, daß im Dich liebe: gib mir, was Du mir gebietest! Du gebietest mir, Dich
zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen Kräften und von ganzem Gemüte: gib
mir, Herr, daß ich Dich vor allem und über alles liebe!"
Wer das mit allen Fasern seines Wesens begehrt und sich mit aller Kraft seiner Seele nach innen
wendet, in dem wächst die Hitze seiner Liebe, bis ihre Glut ihm Mark und Bein verzehrt und das
Feuer der Liebe so stark und strahlend wird, daß sein Herz zu leuchten beginnt und schließlich zu
Gott und in Gott entflammt.
Dann antwortet Gott mit seiner Liebe und spricht sein Wort, das höher, lichtvoller und leuchtender
ist als alle Menschenworte. Davon sagt Dionysius: "Wenn das ewige Wort im Seelengrund
gesprochen wird und der Grund so viel liebende Hingabe und Empfänglichkeit hat, daß er das Wort
– Christus – in seiner Allheit schöpferisch und vollkommen empfangen kann, dann wird der
Seelengrund mit dem Wort eins und wird das Wort selbst. Wenn er auch seinem Wesen nach seine
Geschaffenheit behält, ist er vom seinem Ursprung nach das Wort selbst."
Eben dies bezeugte Jesus: "Vater, daß sie eins werden, wie wir eins sind", und das Wort, daß
Augustinus von Gott empfing: "Du sollst verwandelt werden in mich." Dahin gelangt man auf dem
Wege der liebenden Gott-Entflammung des Herzens.
Auf diesen Weg nach innen sollen wir achtgeben. Es ist der Weg des Geistes zu Gott und Gottes zu
uns. Er ist schmal und verborgen, und jene verfehlen ihn, die sich auf äußere Übung und
Wirksamkeit verlassen und meinen, sich vom Ich aus Gott nähern zu können.
Nein, wenn der Mensch den Weg nach innen betritt, muß er das Ich und seine Schwächen und alle
äußeren Unzulänglichkeiten lassen und sich mit der ganzen Kraft seiner Liebe Gott überlassen und
hingeben, sich selber entwerden und ganz in der Liebe aufgehen. Dann mag es geschehen, daß er
für Augenblicke schon in der Zeit erfährt, was er ewig sein wird, wenn die Einheit erreimt ist.
Daß uns allen dies zuteil werde, dazu helfe uns Gott!

DIE GÖTTLICHE DREIEINIGKEIT IM SEELENGRUND

"Wir sagen, was wir wissen, und zeugen von dem, was wir gesehen haben; und ihr nahmt unser
Zeugnis nicht an. Und wenn ich von irdischen Dingen rede, und ihr glaubt mir nicht; wie wollt ihr
dann glauben, wenn ich von himmlischen Dingen künde?" Joh.3;11f.
Johannes zeugt in diesem Kapitel von Gott, wie er seinen Sohn gab, und von der Liebe und dem
Licht des Heiligen Geistes, der jene selig macht, die an den eingeborenen Sohn glauben.
Wie diese göttliche Dreifaltigkeit zugleich eins ist, bleibt dem Verstand so unerkennbar wie die
Wahrheit, daß der Vater ist, was der Sohn ist, und daß der Sohn und der Heilige Geist ganz eins
sind, und daß zugleich ein Unterschied ist der Offenbarung nach – trotz der Einheit der Naturen.
Darum sollen wir nicht mit dem Verstand zu ergrübeln suchen, was wir nur erfahren und erfühlen
können, wenn wir uns Gott lassen. Und wir sollen Thomas folgen: "Niemand soll über das
hinausgehen, was jene Lehrer gesagt haben, die es mit ihrem Leben erreichten und dem nachgingen,
so daß sie es vom Heiligen Geiste haben."
Vor allem aber sollen wir auf die Dreieinigkeit in uns selbst acht geben, sind wir doch innerlich
nach der göttlichen Dreieinigkeit gebildet; dann finden wir das göttliche Bild rein und wahr im
Seelengrund. Auf dieses Bild sollen wir achten, daß es in uns ist; denn Gott selbst ist in diesem
Bilde und ist dieses Bild selbst in unbildlicher Weise.
Dieses Bild liegt im allerinnersten, verborgensten und tiefsten Grunde der Seele – dort, wo sie
ihrem Grunde nach Gott wesentlich, wirklich und seiend hat: dort wirkt und ist Gott, und davon
kann man Gott so wenig scheiden wie von sich selbst. Dieser Seelengrund hat alles aus Gnade, was
Gott in seinem Grunde von Natur hat. So weit der Mensch sich in den Seelengrund einsenkt, so weit
wird die Gegenwart und Kraft Gottes in ihm wirksam.
Hiervon sagt Proclus: "Weil und solange der Mensch mit den äußeren Bildern umgeht und in ihnen
aufgeht, ist es unmöglich, daß er in diesen Grund hinabgelangt, und solange glaubt er nicht, daß er
in ihm ist. Wer aber zu ihm gelangen und seiner inne werden will, der muß sich der
Mannigfaltigkeit der äußeren Bilder entzogen und sich ganz dem inneren Bilde zugewendet haben,
und er muß schließlich über das Schauen des Bildes hinaus zur Bildlosigkeit weiterschreiten und
eins werden mit dem Einen."
Das Gleiche bezeugt Christus mit seinem Wort: "Das Reich Gottes ist in euch." Es ist inwendig im
Seelengrund. Eben dies meint das Evangelium: "Wir sagen, was wir wissen, und zeugen von dem,
was wir gesehen haben; aber ihr nahmt unser Zeugnis nicht an." Wie soll auch der sinnengebundene
äußere Mensch dies Zeugnis annehmen. Ist es ihm vom, weil er ganz auf die äußeren Sinne und
Bilder gerichtet ist, unvorstellbar und unglaubhaft. Er begreift und glaubt es ja nicht einmal, wenn
man ihm die himmlischen Dinge in irdischen Bildern und Gleichnissen nahe zu bringen sucht.
Wie soll er da begreifen, was unbildlich ist: daß Gott seinen Sohn immerfort gebiert – im Innersten
seines Seelengrundes. Wer das erfahren und erkennen will, der muß sich nach innen wenden – weit
über alles Wirken seiner äußeren und inneren Kräfte und Gedanken, über alles hinaus, was je von
außen in ihn hineingetragen wurde, und muß ganz in seinen innersten Grund entsinken.
Dann kommt die väterliche Kraft Gottes und ruft den inneren Menschen in sich durch seinen Sohn
Christus –, und wie der Sohn aus dem Vater geboren wird und wieder in den Vater zurückfließt, so
wird der Mensch in dem Sohne vom Vater geboren und fließt mit dem Sohne in den Vater zurück
und wird mit ihm eins und weiß: "Ich und der Vater sind eins."
Das meint das Wort Gottes: "Du sollst mich Vater nennen und sollst nicht aufhören, in mich
einzugehen; heute habe im dich geboren durch meinen Sohn und in meinem Sohne." Alsdann gießt
sich der Heilige Geist in unaussprechlicher Liebe und Lichtfülle aus und durchströmt und
durchleuchtet den Seelengrund im Menschen mit seinen Gaben und Kräften.
Von diesen sind zwei wirkend: die Güte und das Wissen. Der Mensch wird gütig und liebevoll und
zugleich wird ihm die Fähigkeit der Unterscheidung dessen, was seinem Fortschreiten dienlich oder
hinderlich ist. Die beiden folgenden sind lassend: das ist der Rat und die Kraft von innen. Die dritte
ist schauend: die Hingabe, die empfängt und festigt alles, was der Heilige Geist gewirkt hat. Und
schließlich folgen die höchsten Gaben: die Vernunft und Weisheit. Dieser göttlichen Weisheit auch
nur einen Augenblick teilhaftig zu werden, ist höher und besser als alles äußere Wissen und Wirken.
Hier bewahrheitet sich das Wort: "Der Heilige Geist bezeugt unserem Geiste, daß wir Gottes
Kinder sind."
Dieses Zeugnis finden wir in uns selbst. Ich Himmel, der in uns ist, sind drei Zeugen: der Vater, der
Sohn und der Geist. Sie leuchten im Seelengrund, und der Seelengrund bezeugt es in Dir selbst,
leuchtet in Deine Vernunft und gibt Dir Zeugnis von Deinem wirklichen Wesen und Leben, wenn
Du es nur erkennen willst.
Um es zu erkennen, mußt Du den äußeren Menschen überwunden und Dich ganz in den innersten
Grund eingesenkt haben; denn draußen in den Dingen und auf weltliche Weise findest Du es nicht.
Wenn man von mir sagt, ich hülfe den nach innen gewendeten Menschen, so trifft das zu: ich helfe
gern allen, die je vom innersten Grund berührt und erleuchtet wurden, damit sie ganz dorthin
gelangen.
Wenn Du dorthin gelangen willst, achte auf drei Punkte:
zum ersten, daß Du nicht Dich und das Deine, die Dinge und Kreaturen im Sinne hast,
sondern einzig und allein Gott und den göttlichen Willen;
zum zweiten, daß Du bei allem Tun und Lassen acht gibst, womit Du umgehst und wohin
Dein Sehnen gerichtet ist: auf Deinen innersten Grund;
und zum dritten, daß Du nicht auf das blickst, was außen ist, Dir nicht anmaßest, was Dir
nicht aufgegeben ist, sondern das Lassen lernst: was gut ist, laß gut sein; was böse ist, laß auf sich
beruhen; senke Dich in den Seelengrund und achte auf die Stimme Gottes, die in Dir spricht: sie ruft
Dich und gibt Dir solchen Reichtum und solche Erleuchtung, daß Du keines äußeren Rats und
Beistands mehr bedarfst.
Daß wir diese drei Punkte beachten, nur noch Gott im Sinne haben – nicht nur in Gedanken,
sondern im Gemüt und bis in den Grund unseres Wesens – und ganz in den Grund entsinken, in dem
wir das Bild der göttlichen Dreieinigkeit finden, dazu verhelfe uns Gott!

RECHTE NACHFOLGE

"Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige
Leben, und sie werden nimmermehr umkehren und niemand wird sie mir aus der Hand reißen." Joh.
10; 27 f.
Die Predigt aus dem Johannes-Evangelium berichtet, wie Jesus während einer Kirchweihe zu
Jerusalem im Winter in den Tempel ging.
Der Tempel meint die edle Seele des Menschen mit ihrem lichten Innern, auf das Gott mehr
Tätigkeit verwendet hat als auf die äußere Form der Kreaturen. In diesem Tempel war Gottesdienst,
d. h. eine Erneuerung fand in ihm statt.
Wie geschieht diese Erneuerung in diesem Tempel Gottes in uns, in dem Gott viel lieber und
eigentlicher wohnt als in allen Tempeln, die je auf Erden gebaut und geweiht wurden?
Neu nennen wir das, was in seinem Ursprung und Anfang steht: wenn der Mensch mit allen seinen
Kräften und seinem ganzen Wesen in diesen Tempel einkehrt und eingeht, in dem er Gott in
Wahrheit wohnend und wirkend findet, und zwar in lebendiger Innewerdung – nicht nur als
Vorstellungsbild, sondern als beseligende innere Wirklichkeitserfahrung, die wie ein starker Quell
im Grunde der Seele aufbricht und das ganze Wesen erfüllt und erneuert.
Wo das geschieht, da ist in Wahrheit Gottesdienst im Tempel der Seele.
Und so oft diese Einkehr geschieht – und sie mag tausendmal am Tage geschehen –, so oft findet
dort eine Neuwerdung von innen her, eine Erneuerung aus dem Geiste statt – und jedesmal werden
mit solcher Einkehr und Erneuerung neue Lauterkeit, neues Licht und neue Kräfte und Einsichten
geboren.
Es ist etwas beseligendes um diese Einkehr, und nur dazu dienen alle äußeren Werke und Übungen,
und nur hierin finden sie ihre Vollendung. Davon abgesehen, haben sie wenig Bedeutung und Wert;
denn wenn man auch alle guten Weisen und Werke üben soll, soll man doch bei alledem nur diese
Einkehr im Sinne haben, damit der Gottesdienst im Tempel der Seele und die Erneuerung aus dem
Geiste, die Erfüllung mit neuem Geist vollkommen werde.
Nach dem Evangelium war es Winter, als Jesus den Tempel betrat.
Winter ist es immer dann, wenn das Herz erkaltet, erstarrt und hart geworden ist, so daß weder das
Licht noch die Glut Gottes darin sind. Denn der kalte Schnee und der Frost – die niederen
Strebungen, die das Herz nach vergänglichen Dingen gieren lassen – löschen das Liebesfeuer des
Heiligen Geistes im Herzen aus und bewirken ein Ode- und Leersein allen göttlichen Trostes und
der Kraft aus dem Einssein.

Nun gibt es auch noch einen anderen Winter: wenn nämlich ein guter, gänzlich Gott zugewandter
Mensch, der nichts als Gott im Sinn hat, dennoch von Gott verlassen wird und sich in der dunklen
Winternacht der Seele innerlich finster und dürr, kalt und arm an göttlichem Trost und fern der
Seligkeit des Gotteinsseins fühlt.
In dieser Winternacht der Seele stand Jesus, als er sich von seinem Vater gänzlich verlassen fühlte
und von allen Menschen der am meisten leidende und von aller göttlichen Hilfe am meisten
verlassene war.
Durch diese Winternacht der Seele schreiten in der Nachfolge Christi alle Kinder Gottes, bevor sie
gleich ihm sagen können: "Ich und der Vater sind eins".
Und doch sollten sie auch in dieser Nacht der Seele nicht verzagen, ist Gott ihnen doch in Wahrheit
näher denn je! Gerade in diesem völligen Verlassensein von Gott wäre das Bewußtsein, daß
Christus in ihnen gegenwärtig ist, ihnen wahrlich nützlicher als in den Sommern spielenden
Genusses, die sie vorher in der Nachfolge Christi durchschritten. Kein Verstand kann begreifen, was
in dieser winterlichen Verlassenheit verborgen ist:
Wenn es gänzlich Winter geworden ist und die Finsternis, Kälte und quälende Verlassenheit alles
übertrifft, dann gilt es, in gänzlicher Gott-Gelassenheit zu verharren, um für die Seligkeit der Nähe
Gottes und für die Entflammung im endlichen Einssein vorbereitet zu sein. Und es gilt, in der
Gewißheit zu beharren, daß Gott innen, im Seelengrund, lebendig gegenwärtig ist und daß sie alles
Guten ewig teilhaftig sind und bleiben!
Zu denen, die das nicht tun, sondern sich schon im Anbruch dieser Winternacht der Seele um Rat
und Hilfe nach außen wenden, sprach Jesus: "Ihr seid nicht von meinen Schafen; denn meine
Schafe hören meine Stimme,"
Warum nennt er die, die ihm nachfolgen, so oft ,Schafe'?
Das Schaf ist Sinnbild zweier Tugenden, die die Nachfolger Christi und Kinder Gottes auszeichnen:
Unschuld und Sanftmut. Unschuld und Willigkeit lassen das Lamm nachfolgen, wohin sein Hirte
geht. Und die Sanftmut ist Gott nahe. Beide vernehmen Gottes Stimme, die der weltzugewandte,
ungestüme und zornige Mensch nie hört.
Wenn einer das göttliche Wort in sich vernehmen will, das im Innersten seiner Seele gesprochen
wird, muß er sich innen wie außen allem Lärm und Ungestüm entzogen haben und sich wie ein
Schäflein mit Sanftmut und Willigkeit erfüllen, sich allen eigenen Wesens, Strebens und Stürmens
begeben und in gelassenem Schweigen hörbereit nach innen lauschen.
Denen, die so handeln, hat Christus ein hohes Erbe verheißen: das Erbe des Vaters, das auch das
unsere ist, soweit wir ihm nachfolgen – das Reich Gottes.
Der Sohn hat alles, was er ist und hat und vermag, vom Vater übernommen; und wie er es
empfangen hat, so hat er es ihm wieder hinaufgetragen, ohne etwas für sich zu behalten; denn er
suchte allein den Willen des Vaters zu erfüllen.
In gleicher Weise sollen wir ihm nachfolgen und ihn in uns als den Träger des göttlichen Erbes
erkennen, und sollen alles, was wir sind und haben und vermögen, alles, was wir je an Kräften und
Gaben vom Vater empfingen, innen und außen, wieder hinauftragen zum Vater und nichts davon für
uns behalten wollen. Ja wir sollen uns selbst lassen, uns gänzlich Gott überlassen und Gott allein
wollen und wirken lassen.
Dann werden wir in solcher Nachfolge Erben des Reiches Gottes und der Fülle Gottes teilhaftig.
Uns lassen und Gott wollen und wirken lassen heißt auch, daß wir unsere Weisen und Übungen
nicht überschätzen und uns nicht darauf stützen und meinen, dadurch, daß wir so und so viel
gebetet, gewacht, gefastet oder Verzicht geleistet hätten, den rechten Zugang zum Reiche Gottes
gefunden zu haben. Alle Übung ist gut, aber besser ist die völlige Hingabe an Gott in Unschuld und
Sanftmut, das Bloß- und Ledigsein im Grunde der Seele, damit Gott den Grund ganz mit seinem
Geiste und seinem Willen erfüllen kann.
Daß dies uns allen zuteil werde, dazu verhelfe uns Gott!

STETE WACHSAMKEIT

"Da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum im Ägyptenland und sprach: Stehe auf,
nimm das Kindlein und seine Mutter und ziehe in das Land Israel. Sie sind gestorben, die dem
Kinde nach dem Leben trachteten." Matth. 2; 19 f.
Es gibt Menschen, die sich, sowie sie nach einem neuen Wesen oder einer guten Same Verlangen
tragen, sogleich mit aller Inbrunst darauf stürzen, ohne zu prüfen und zu wissen, ob ihre Kräfte
ausreichen oder ob ihr Vermögen so groß sei, daß es bis zur Vollendung des Werkes genüge.
Bevor einer sich einer neuen Aufgabe oder Lebensweise zuwendet, sollte er den Ausgang bedenken
und die Innigkeit der Erhebung zuerst auf Gott richten und sich für den Rat Gottes innerlich
aufgeschlossen halten. Denn sonst entfernt er sich bald von sich selber und von seinem Wege – und
in solcher Verwegenheit verdirbt er am Ende.
Als Josef mit dem Kind und der Mutter geflohen war und nachdem der Engel ihm im Schlaf gesagt
hatte, daß Herodes tot sei, da hörte Josef, daß dessen Sohn, Archelaus, regiere. Deshalb blieb er
weiter voll Wachsamkeit, damit das Kind nicht doch getötet werde.
Herodes versinnbildlicht die Welt, die das Christuskind in uns zu töten sucht, der man sich darum
entziehen und der man mit Wachsamkeit begegnen soll, wenn man das Kindlein erhalten will. Wenn
Du der Welt nur äußerlich entfliehst, etwa indem Du Dich in ein Kloster oder in die Einsamkeit
zurückziehst, steht Archelaus dennoch auf und herrscht: die Welt steht in Dir auf, und Du
überwindest sie nur, wenn Du Dich um so inbrünstiger nach innen wendest und der Hilfe von oben
überlässest.
Die Welt ficht Dich innerlich an mit Geltungssucht: Du willst gesehen, beachtet, geehrt werden,
willst anderen gefallen durch Deine Kleider, Deinen Wandel, Deine Worte, Dein Benehmen, durch
Weisheit oder Zuvorkommenheit, durch Freunde oder Verwandte, durch Gut, Ehre und andere
Dinge des Lebens.
Der zweite Feind ist Dein eigen Fleisch, das ficht Dich an mit geistiger Unkeuschheit. In solcher
Gefahr sind, die sich der sinnlichen Lust hingeben. Darauf achte, daß nicht die Sinne den Geist
beherrschen; denn wie die Leibesnatur die leibliche Materie in ihre Unkeuschheit treibt, so die
innere Unkeuschheit den Geist, und so viel edler der Geist ist als das Fleisch, so viel ist die letztere
schädlicher als die erstere.
Der dritte Feind ist der Geist der Argherzigkeit, der Dich mit bitteren Gedanken anficht, mit
Argwohn und Ablehnung, Groll und Neid, Haß und Rache. "Das hat man mir angetan, so hat man
von mir gesprochen", sagst Du und zeigst ein finsteres Antlitz, finstere Gebärden und das Streben,
es in Wort und Tat den anderen zu vergelten. All das gefährdet das göttliche Kind in Deiner Seele.
Soll es gerettet werden, mußt Du Dich all dem entziehen und stete Wachsamkeit üben, daß es nicht
das Kind töte.
Und wie Josef weiter forschte, ob noch jemand da wäre, der das Kind töten wollte, so sollst auch
Du bedenken, daß, wenn die genannten übel überwunden sind, andere Gefahren auf Dich lauern, die
Du nur erkennst, wenn Du Dich selbst-besinnend nach innen wendest.

Josef versinnbildlicht eben dieses unentwegte Stehen im gottseligen Leben aus dem Geiste. Und das
ist der sicherste Schutz für das göttliche Kind in Dir.
Israel, in das ihn der Engel im Schlaf zu gehen hieß, bedeutet das Land der Beschauung. Hier nun
gehen manche fehl, indem sie die Meditation zum Selbstzweck erheben und sich mit ihrer Hilfe aus
den Verstrickungen der Welt lösen und hohe Dinge schauen und erleben wollen, statt sich von Gott
leiten und lösen zu lassen. Es ist ein Jammer, zu sehen, wie viele Irrungen und Gefahren hieraus
denen erwachsen, die überall Rat und Hilfe suchen, obwohl sie alle Hilfe und Erkenntnis doch
einzig und allein in Gott finden. Darum gilt es, nach innen zu blicken und alles andere Suchen zu
lassen.
Josef wurde im Schlafe gemahnt. Das will sagen, daß der Mensch nach außen wie ein Schlafender
sein soll bei allen Leiden und Versuchungen, die auf ihn fallen mögen: er soll nichts tun als in
gelassenem Hinnehmen sich lassen und Gott wirken lassen, um des Leides ledig zu werden. Dann
wird er, wie Josef, im Schlafe auf den rechten Weg gewiesen und aus aller Gefahr herausgeführt.
Als der Engel ihm sagte, der Feind seines Kindes sei tot, forschte er, wer an dessen Stelle regiere.
So auch sollen wir bis an unser Ende wachsam bleiben, daß niemand und nichts das göttliche Kind
in uns gefährde, und sollen auch auf die inneren Feinde achten, daß sie uns nicht unversehens
beherrschen und in die Irre führen.
Wir sollen uns immer wieder in uns selbst zurückziehen, in das Land der Beschauung fahren und
uns aus der Meditation Kraft holen, um der Welt in Wachsamkeit gewachsen zu bleiben, bis das
Gotteskind in uns ein Mann geworden ist und wir mit ihm eins sind.
Dann erst stehen wir über den Dingen und kommen nach Jerusalem, der Stätte des Friedens, und
nach Nazareth, in die wahre Blüte, da die Blume des ewigen Lebens entspringt und die Gewißheit
sicheren Geborgenseins, zu der alle gelangen, die sich lassen und Gott durch sich wirken lassen.
Daß dies uns allen zuteil werde, dazu verhelfe uns der liebreiche Gott!

LEID WEIST LICHTWÄRTS

"Und die Weisen gingen in das Haus und fanden das Kindlein, beteten es an und opferten ihm
Myrrhe, Weihrauch und Gold." Matth. 2; 11
Von den drei Geschenken, die die Weisen dem Kindlein darbrachten, wollen wir hier nur zwei
betrachten, vor allem die Myrrhe: sie ist bitter und versinnbildlicht das Leid, das dazu dient, daß der
Mensch sich von der Lust der Welt löse und zu Gott finde.
Wie es der Lust süß ist, daß sie da ist, so müssen alle Dinge Dir bitter werden. Dazu gehört ein
großer und beharrlicher Geist. Denn je größer die Lust, desto bitterer erscheint die Myrrhe des
Leides.
Nun könnte man einwenden: "Wie kann der Mensch ohne Befriedigung seiner natürlichen
Begierden sein, solange er in der Welt lebt? Mich hungert – darum esse im. Mich dürstet – und im
trinke. Ich bin müde und gehe schlafen. Ich friere – und wärme mich. Daß mir dies bitter werde, ist
mir unmöglich, da es doch der Natur gemäß ist."
Gewiß – antworte ich darauf –, aber diese Befriedigung soll nicht tiefer dringen, sie soll keine Stätte
im Innern haben, nicht Lust darbieten und nicht zu Gier werden, sondern sie soll ohne Haften, mit
Gelassenheit vollzogen werden. Auch die Befriedigung, die Du bei guten Menschen findest, soll
Dich nicht zum Haften veranlassen, damit nicht Herodes und seine Knechte, die das göttliche Kind
in Dir suchen, es töten. Dein innerer Mensch soll über all dem stehen und frei sein.
Nun ist da eine andere Myrrhe, die weit über die erste geht, nämlich jene, die Gott in Gestalt von
Leiden gibt, äußeren und inneren. Wer diese Myrrhe in Liebe hinnimmt – aus dem Grunde, aus dem
Gott sie gibt –, der wird vom Frieden und der Freude Gottes erfüllt. Denn das kleinste wie das
größte Leiden kommt ebenso aus dem Grunde seiner unaussprechlichen Liebe wie die höchsten und
edelsten Gaben, die er Dir verliehen hat. Wolltest Du das nur erkennen, dann wäre Dir das Leiden
so nützlich wie die größte Gabe.
Was auch immer Dich trifft – sei es Hunger oder Durst, Krankheit oder Betrübnis durch die
Umwelt, durch anderer Worte und Werke –, es ist alles von Gott so geordnet, daß es Dir als
Weisung und Leitung zum Licht dient.
Daß Deine Augen sehen, Deine Ohren hören, ist von Gott so gefügt; und wenn Du blind oder taub
wirst, so ist auch das im ewigen Plane Gottes so vorgesehen, damit Du Deine inneren Augen und
Ohren auftust und dankbar Gottes Weisheit erkennst. Wie kann Dir der Verlust des Geringeren noch
leid tun, wenn Dir das Größere bewußt wird!
Ebenso ist es mit dem Verlust an Freuden oder Gütern, an Ehren oder Trost, oder was Gott Dir sonst
schickt: es dient Dir zur Weisung nach innen, zum wahren Frieden, wenn Du es nur erkennen
wolltest!
Ob es Dir verdient scheint oder unverdient – nimm es dankbar als von Gott zu Deinem Besten
gewollt, leide Dich und laß Dich, laß los und laß Gott machen!
Alle Myrrhen, die Gott gibt, wollen Dich zu Höherem leiten. Darum hat er die Dinge in Gegensatz
zum Menschen gesetzt, damit der Mensch geübt werde und zur Vollkommenheit gelange.
Kein Maler kann sich so sorgsam überlegen, wie er jegliche Farben, die dunklen wie die hellen, so
wähle und jeden Strich so ziehe, kurz, lang oder breit, daß das Bild eine meisterliche Form gewinnt,
wie Gott mit den Farben und Strichen der Freude und des Leides das Menschenbild zu der Form
und Vollendung bringt, daß es seinem Meister gleicht.
Wenn der Mensch nur die Gaben und Myrrhen, die Gott gibt, so sehen wollte! Aber nun gibt es
einige, die sich nicht mit dem begnügen, was Gott ihnen zukommen läßt: sie wollen noch mehr auf
sich laden und machen sich in ihrer kranken Phantasie einen bösen Kopf, wollen selbst das Leid
bestimmen, quälen und kasteien sich, übertreiben selbst Gebet und Meditation und wenden sich mit
alledem gegen Gottes Willen, statt ihn wollen und wirken zu lassen.
Eine besonders bittere Myrrhe ist die innere Finsternis, Drangsal und Not. Wer sich ihnen überläßt,
dem verzehren sie Gemüt und Körper und erfüllen auch sein äußeres Leben mit Finsternis und
Trübsal. Auch hier gilt es sich zu besinnen, wohin Gott wohl damit will, um ihn wirken zu lassen,
statt es selbst besser wissen und machen zu wollen.
Manche meinen hier klug zu handeln, indem sie das Leiden mit Menschenweisheit umgehen. Sie
nennen die äußeren Zufälle Glück oder Unglück und wähnen, wenn sie sich so oder so verhalten,
wäre es besser gegangen und das Leid verhütet. Sie wollen weiser sein als Gott und ihn lehren und
meistern, statt die Dinge von ihm hinzunehmen und sich von ihnen lichtwärts leiten zu lassen.
Solchen Menschen wird die Myrrhe des Leidens sehr bitter.
Andere suchen die Myrrhe des Leidens innerlich nach ihrem Sinn zu ertasten und ihre Weisung zu
verstehen; sie lösen sich von der Last, indem sie sich von innen her leiten lassen, und kommen so
schneller vorwärts als die Klugen. Würden diese ihrem Beispiel folgen, kämen auch sie sicherer und
beglückter ans Ziel: sie würden die verborgene Weisheit in allem erkennen und sich dienen lassen.
Aus solchem rechten Verhalten wächst ein edles Kräutlein: ein Zweig des Weihrauchbaumes,
dessen balsamische Körnchen die zweite Gabe waren, mit der die Weisen das Kind beschenkten.
Weihrauch hat einen guten Duft. Wenn das Feuer das Körnlein ergreift, löst es den darin gefangenen
Duft, daß er aufgehe, und es entsteht ein guter Rauch daraus. Das Feuer ist nichts anderes als die
willige Hinwendung und flammende Liebe zu Gott, die im Gebet liegt. Das ist der Weihrauch, der
den edlen Duft des in Gott entflammten Gemüts aufsteigen läßt.
Dies meint das Wort: Gebet ist nichts anderes denn ein Aufgang des Gemüts in Gott. Wenn dieser
Aufgang statthat, ist der Sinn des Gebets erfüllt, die Hingabe erreicht, und dann bedarf es keiner
Worte mehr.
Das offenbart sich auch bei einer anderen häufigen Form des Leidens: beim Kranksein.
Davon spricht ein Gleichnis im Johannes-Evangelium (5; 5 f.), das von einem Teich bei Jerusalem
handelt, dessen Wasser von Zeit zu Zeit durch einen Engel bewegt wurde: wer zuerst in das bewegte
Wasser hineinstieg, der wurde gesund, gleich, mit welcher Krankheit er behaftet war.
"Und es war ein Mensch daselbst achtunddreißig Jahre lang krank gewesen. Und Jesus fragte ihn:
Willst Du gesund werden? Der Kranke antwortete: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in
den Teich legt, wenn das Wasser sich bewegt. Und Jesus sprach: Stehe auf, nimm dein Bett und
gehe heim. Und alsbald ward der Mensch gesund, nahm sein Bett und ging heim."
Jesus richtete das Denken des nach außen blickenden, auf äußere Hilfe harrenden Menschen auf das
innere Heil und Heilsein und hieß ihn aufstehen, sein Bett nehmen und heimgehen. Und sogleich
war er gesund.
Achtunddreißig Jahre hatte dieser Kranke gewartet, bis Gott selbst ihn gesund machte – eine
Mahnung auch für jene, die, sobald sie ein höheres Leben beginnen und dann nicht sofort Wunder
der Wandlung erfahren, rasch enttäuscht sind, alles für vergeblich halten und sich vor Gott
beklagen, als ob er ihnen Unrecht tue.
Wie wenige haben die Tugend, daß sie sich von allem Hoffen und Harren auf äußere Hilfe, von
allem Haften an Vergänglichem frei machen und sogar sich selbst lassen und Gott machen lassen!
Eben darum erkennen die meisten nicht, daß sie nicht einmal auf die Bewegung des ,Wassers im
Teiche' – des Geistes zu harren brauchen, sondern in Wahrheit unmittelbar gesunden und aufstehen
können.
Wer sich dieser Gefangenschaft bewußt ist und nicht murrt und widersteht, sondern sie trägt und
sich nach innen wendet, bis Gott ihn in die Freiheit führt welche Macht wäre einem solchen
Menschen gegeben! Zu ihm wurde in Wahrheit gesagt: Stehe auf: Du sollst nicht mehr in
Gefangenschaft daliegen, sondern entfesselt sein und in Freiheit wandeln! Und Du sollst Dein Bett
tragen, d. h. das, was vorher Dich trug, sollst Du nun aufheben und Deiner Macht bewußt tragen.
Wer solchermaßen – als Frucht seiner willigen Hingabe – von Gott selbst gelöst wird, der wandelt
voll Lust und gelangt nach solchem Harren in wunderbare Freiheit, welche alle die entbehren, die
sich selbst lösen wollen und vor der Zeit auszubrechen suchen.
Denn wenn sie auch den Augenblick der Bewegung des Wassers abwarten und sich in den Teich
begeben, zur Gesundung finden und ihre Gefangenschaft los sind, so geschieht es doch, daß sie
irgendeinmal unversehens und unbehutsam aus diesem Frieden heraustreten in die äußeren Weisen
und Übungen – und dann geschieht es ihnen, daß sie in eine Unkenntnis Gottes kommen und sich
von Gott verlassen fühlen.
Als die Juden den Geheilten fragten, wer ihn gesund gemacht habe, da wußte er es nicht. Als er aber
wieder in den Tempel kam, da sprach Christus ihn an, und da erkannte er ihn. Ebenso soll es der
edle Mensch halten: wenn er solche Unkenntnis in sich gewahr wird, soll er alle Dinge lassen und
schnell in den Tempel gehen, das heißt: er soll sich in williger Nach-Innen-Wendung und
Sammlung aller seiner Kräfte nach innen in seinem inwendigen Tempel ganz in seinen innersten
Seelengrund einsenken. Wenn er dorthin gelangt, findet er da wahrlich und ohne Zweifel Gott und
wird ihn erkennen. Dann redet Christus ihn an und spricht zu ihm: "Siehe, Du bist gesund
geworden; sündige hinfort nicht mehr und hüte Dich in Zukunft besser, daß Dir nichts Ärgeres
geschehe!" Dann handelt er wie der von Christus Geheilte: sein ganzes Wirken und Wissen und
Leben offenbart von da an sein Einssein mit Gott.
Daß dies uns allen geschehe, dazu verhelfe uns Gott!

FREI SEIN VON SORGEN

"Alle eure Sorgen werfet auf ihn; denn er sorgt für euch." 1.Petr.5;7
Wir alle leben in einer Welt steten Wechsels, Werdens und Vergehens und damit in einer Welt der
Leiden und Sorgen. Aber so viel Leid außen, so viel Licht innen, und wer sich, statt sich von den
äußeren Dingen und Sorgen beengen, ängstigen und jagen zu lassen, gelassen nach innen wendet
und sich und seine Sorgen Gott überläßt, der erwacht zur Freiheit der Kinder Gottes.
Um das zu erreichen, sind drei Dinge nötig: Hingabe, Liebe und Gelassenheit. Mit diesen drei
Dingen erreicht der Mensch alle Vollkommenheit.
Wir sind alle dieser drei Tugenden mächtig. Denn Gott hat sie in seiner Liebe in uns angelegt, damit
wir sie entfalten und mit ihrer Hilfe vollkommen werden.
Vor allem hat er uns als Siegel unserer Verwandtschaft mit ihm das edle göttliche Fünklein in den
innersten Grund unserer Seele gegeben, das uns zuinnerst ist und uns viel näher, als wir uns selber
sind, und das uns, d. h. unserer Ichheit, doch fremd und unbekannt ist. Wären wir in Ordnung, also
mehr nach innen als nach außen gewendet, dann wüßten wir um diesen Gottesfunken in uns,
blieben bei uns selbst und wären innerlich eins.
Anlaß zur ersten Tugend, der Hingabe, finden wir in unserem äußeren und inneren Menschen in
allen nach außen gerichteten Neigungen, die uns an vergänglichen Dingen haften lassen und so ins
Nichts ziehen, und die zugleich die Schwachheit unserer Natur offenbaren, die sich von jeder
Lockung, die von außen kommt, zur Sünde, zur Sonderung und Entfernung von Gott, mißleiten
läßt, dabei aber auch offenbar macht, daß alle Hingabe nach außen in zunehmende Dunkelheit, in
die Nacht des Nichtseins führt, während die wahre Hingabe nach innen zum Licht Gottes in uns
leitet.
Die zweite Tugend ist die wahre göttliche Liebe. Auch diese Kraft hat Gott in uns gelegt. Ein
Meister sagt, es wäre so unmöglich, daß der Mensch ohne Liebe lebt, wie, daß er ohne Seele lebt.
Wäre der Mensch nun in Ordnung und mit sich selber eins, würde er Gott mehr lieben als sich
selbst. Aber die meisten geben ihrer Liebe ebenso wie ihrer Hingabe die falsche Richtung: nach
außen, in die Welt, zu den Wesen und Dingen, statt nach innen: zu Gott und zum ewigen Leben.
Auch hier gilt es also die Wendung von außen nach innen.
Die dritte Tugend ist Gelassenheit. Sie entspringt der Vernunft und der Besonnenheit. Alles, was
nicht aus Besonnenheit gewirkt ist, mangelt des Lichts der inneren Sonne und führt in Dunkelheit,
Wirrnis und Sorge. Rechte Besonnenheit hingegen lehrt und hilft uns, alle Sorgen und uns selbst zu
lassen und gelassen Gott wirken zu lassen.
Damit sind wir wieder bei der ersten Tugend, der Hingabe: sowie wir unsere Sorgen und uns selbst
Gott anheimgeben, sorgt er für uns. Folgen wir dem Willen Gottes, dann leitet er uns. Und je
williger wir uns einwärts wenden und je vollkommener wir uns Gott anheim geben, desto mehr
erfahren wir seine Führung, seine Gaben und Hilfen.
Findet er uns jedoch, wenn er uns ruft, nach außen gewendet und an die Dinge hingegeben, drückt
er uns nieder, und die Sorgen werden riesengroß. Findet er uns aber nach innen gewendet und, der
Nichtheit des Ich bewußt, bereit, uns ihm willig zu überlassen, dann hebt er uns zu sich empor.
Zwar hilft er uns auch, wenn wir dessen in unserem Nach-Außen-Gewendetsein nicht bewußt sind;
aber wenn wir in uns selbst einkehren, werden wir dessen recht gewahr, wie stark er uns zu sich
zieht, wie weise er uns leitet und wie auch das Geringste von ihm so geordnet und gelenkt wird, daß
es unserem Besten dient.
Wir handeln recht, wenn wir uns wie eine Stadt fühlen, die vom Feinde belagert wird, und an allen
Toren und auf allen Mauern Wache halten, wo der Feind angreifen und eindringen könnte, wo
unsere Natur am schwächsten ist, um jedem Einbruch zuvorzukommen.
Nun versetzt uns der Feind, die Welt, gern in Angst und Sorgen, erinnert uns an unsere Schwäche
und Ohnmacht und möchte uns einreden: "Warum willst Du in Sorgen leben und in Furcht vor dem,
was der nächste Tag wohl bringen mag? Öffne uns Deine Tore, lebe in Freude und Freiheit wir wir
hier draußen und genieße Dein Leben, solange Du kannst!"
Solchen Lockungen gegenüber gilt es uns vorzusehen, solange es Tag ist, daß uns nicht die
Finsternis der Weltzugewandtheit ergreife und übermanne und der Feind in unser Inneres einbricht
und dann keine Umkehr und Rettung mehr möglich ist. Es gilt, uns zu besinnen, uns mit unserer
Liebe und unserem Vertrauen nach innen zu wenden, alles Sorgen und uns selbst zu lassen und Gott
anheimzugeben, damit er für uns sorge. Gerade wenn wir angesichts der Lockungen und Drohungen
der Welt in Zweifel und Verzweiflung geraten und meinen, es sei alles verloren, sollen wir uns
gänzlich nach innen wenden und alle Sorgen völlig Gott an heimgeben.
Wenn man bei aufkommendem Sturm auf einem Schiff ist und die Gefahr des Strandens an
unwegsamer Küste wächst, gilt es, den Anker auszuwerfen, bis er im Grund einen Halt findet. Dann
hat man Sicherheit. Genauso sollen wir, wenn die Wogen der Sorgen uns bestürmen, Krankheiten
und seelische Nöte uns bedrängen und uns zu vernichten drohen, alles Äußere lassen und den Anker
des Vertrauens in den Grund unserer Seele senken und in Gott Halt suchen. Dann sind wir in
Sicherheit.
An dieses vertrauende überlassen unserer Sorgen an Gott sollen wir uns gewöhnen wie an andere
Tugenden, und uns zugleich im rechten Handeln üben. Denn unrecht denken und leben und
zugleich auf Gott vertrauen, das wäre eine Sünde wider den Geist. Nein, unser Vertrauen soll, in
Erkenntnis der Nichtheit unseres Ich, in völliger Liebe ganz in das Bewußtsein der Gegenwart
Gottes eingesenkt sein, in williger Abkehr von allem Außen. Denn aus solcher Abkehr kommt die
rechte Einkehr in Gott und damit das Geborgensein in Gott. Und warum nicht uns vertrauensvoll
dem überlassen und hingeben, der uns das Leben gab und uns so unermeßlich viel Gutes zufügte?
Lassen wir darum die Dinge, die Sorgen und uns selbst – und geben wir sie und uns Gott hin. Dann
haben wir den Anker unseres Lebensschiffleins in den göttlichen Grund gesenkt und sind jenseits
aller Sorgen in Sicherheit.
Aber viele gehen diesen Weg nicht zu Ende, weil ihr Trachten und Wirken noch überwiegend nach
außen gerichtet ist. Und wenn sie von innen berührt und von Gott gerufen werden, gehen sie auf
und davon an einen anderen Ort oder in ein anderes Land. So fliehen sie vor sich selbst und vor
Gott, fangen immer wieder etwas anderes an, kommen zu nichts und laufen am Ende in ihr
Verderben. Heute wollen sie dies, morgen das; heute laufen sie diesem, morgen jenem Lehrer nach,
übermorgen möchten sie in ein Kloster gehen oder in die Einsamkeit – aber immer blicken sie dabei
nach außen statt nach innen – und kommen darum nicht zum Frieden und zu Gott. Denn Gott, der
Friede und die Sicherheit sind innen.
Hingegen handelt der weise, der, wenn er ein neues Werk beginnen oder sein Leben ändern will,
sich damit völlig in Gott einsenkt und im Stillesein nach innen darauf achtet, was Gott von ihm will,
um dem in williger Hingabe, Liebe und Gelassenheit zu folgen.
Alsdann wird Gott große Dinge in ihm wirken und ihn aus aller Ungewißheit und Sorge
herausführen. Denn er hat nun aufgehört, Christum in sich immer aufs neue zu kreuzigen, und er
wird in ihm auferstehen und zum Einssein mit dem Vater finden.
Daß wir alle dahin gelangen und aus aller Not und Sorge in die Geborgenheit des Reiches Gottes
emporgezogen werden, dazu helfe uns Gott!

ÄUSSERE UND INNERE LIEBE

"Ich bin in guter Zuversicht, daß der in euch angefangen hat das Gute, der wird's auch vollenden....
Darum bitte ich, daß eure Liebe mehr und mehr reich werde an Erkenntnis und Erfahrung." Phil. 1;
6, 9
Das Edelste und Beglückendste, von dem man sprechen kann, ist Liebe, und nichts Nützlicheres
kann man üben. Gott verlangt weder große Vernunft noch tiefe Gedanken noch große Übungen –
wenn man gute Übungen auch nicht lassen soll, allen Übungen gibt doch erst die Liebe ihren Wert
–; Gott verlangt nur Liebe. Sie ist, nach Paulus, das "Band der Vollkommenheit".
Vernunft haben viele, große Werke findet man bei Gerechten und Ungerechten; die Liebe aber
trennt die Guten von den Unguten, denn "Gott ist die Liebe, und die in der Liebe wohnen, die
wohnen in Gott und Gott in ihnen."
Darum sollen wir uns zuerst und vor allem in der Liebe üben und Gott so lieben, wie er uns seit je
liebt. Dann wendet sich unsere Liebe nicht noch nimmt sie ab, sondern sie bleibt auf Gott gerichtet
und wächst immerfort; denn Liebe gewinnt man mit Liebe, und je mehr man liebt, desto
umfassender vermag man zu lieben.
Die Liebe hat nun zweierlei Weisen: eine äußere und eine innere. Die äußere Liebe ist auf den
Nächsten gerichtet, die innere unmittelbar auf Gott. Dazu, daß diese Liebe zunehme, ist Erkenntnis
nötig. Darum bittet Paulus, daß unsere Liebe "reicher werde an Erkenntnis und Erfahrung." Wir
sollen uns nicht mit dem Guten begnügen, sondern immerfort nach dem Besseren und Allerbesten
trachten. Und dazu sind Erkenntnis und Erfahrung nötig, damit wir bei unserer Liebe um Ziel und
Weg wissen und von Liebe zu Gott überströmen.
Die wahre göttliche Liebe, die wir innerlich haben sollen, sollen wir wiederum wahrnehmen und
abmessen an der Liebe, die wir äußerlich unseren Nächsten gegenüber im Herzen tragen. Denn wir
lieben Gott nicht, solange wir nicht unsere Nächsten lieben wie uns selbst. Wie geschrieben steht:
"Wie kannst du Gott lieben, den du nicht siehst, solange du deinen Bruder nicht liebst, den du
siehst!"
Hierauf zielt das göttliche Gebot: "Liebe Gott und Deinen Nächsten wie Dich selbst!" Freue Dich
mit ihm und leide mit ihm in allen Dingen und sei mit ihm ein Herz und eine Seele, wie es zu der
Apostel Zeiten war: "Alle Güter waren unter ihnen gemeinsam."
Kannst Du dies nicht äußerlich beweisen, weil es Dir an Mitteln fehlt, sollst Du es innerlich haben
und üben im immer bereiten Willen zum Tun des Guten. Und kannst Du Deinem Nächsten nicht
Gutes tun, dann sprich wenigstens gute, liebreiche Worte zu ihm aus dem Innersten Deines Herzens.
Auch soll Deine Liebe sichtbar werden an den unvollkommenen Menschen: ihre Fehler sollst Du in
Liebe und Geduld ertragen, sie nicht verurteilen und schelten, sondern sie im Geiste der Liebe
Gottes anheim geben. Wenn Du anders fühlst und handelst, so erkenne daran, wie sehr es Dir noch
an der inneren Liebe mangelt.
Eben daran, wie weit Deine äußere Liebe reicht, kannst und sollst Du Deine innere Liebe prüfen,
die einwärts auf Gott, auf ihren Ursprung gerichtet ist.
Dazu bedarf es der Einsicht und Erkenntnis, daß beide Weisen der Liebe in gleicher Ordnung
stehen. Das meint Pauli Wunsch, daß unsere Liebe "mehr und mehr reich werde an Erkenntnis und
Erfahrung"; denn aus der einen Liebe erblüht die andere.
Und wie die äußere Liebe sich darin bewähren soll, daß man die anderen Menschen nicht der Liebe
unwürdig findet, sie ihnen vielmehr uneingeschränkt und ausnahmslos zuteil werden läßt, so soll
die innere Liebe von Grund aus auf Gott gerichtet sein, und der Mensch soll nicht sich selbst zu
solcher Liebe für unwürdig halten, sondern soll samt seinen Mängeln und Schwächen in liebender
Hingabe in Gott entsinken, den eigenen Willen lassend und sich gänzlich Gottes Willen
überlassend.
Die wahre innere Liebe läßt den Menschen in solcher Hingabe sich selber entwerden, daß Gottes
Wille und Gerechtigkeit in ihm und an ihm geschehen kann. "Nicht wie ich will, sondern wie Du
willst!"
Wer so liebt, der wird der Liebe Gottes teilhaftig und gelangt zu solcher Hinwendung und Hingabe,
daß er völlig in Gottes Willen eingeht; und alle Fehler und Schwächen, die ihm anhaften, können
das nicht verhindern. Aber das kann ihm nur Gott geben, und es kann ihm nur dann geschehen,
wenn die Liebe in den Geliebten versinkt.
Wer so liebt, der wird jenem Gottesfreunde gleich, der da bekannte: "Ich kann nicht anders, im muß
meinen Nächsten das Himmelreich noch mehr und noch inniger wünschen als mir selber." So
empfindet der wahrhaft Liebende.
Der innerlich Liebende will nichts für sich. Er will weder reich noch arm sein, sondern läßt sich
selbst und alles, was nicht Gott ist, und läßt Gott machen. Dann kann und wird "der, der das gute
Werk in ihm begonnen hat, es auch vollenden." Die Liebe wächst, bis sie überfließt ob der Seligkeit
der Selbsthingabe.
Alsdann erreicht die innere Liebe ihren höchsten Stand und wird zum Einssein.
Aber zuvor durchschreitet sie das Tal der Finsternis und Erkenntnislosigkeit. Da wird ihr weh und
bang ob des Fernseins von Gott, dem ihre Hingabe galt. In dieser äußersten und höchsten Hingabe
entwird sie allem Haften und Haben und entwird sich selber völlig. Denn hier liebt Gott sich selber
und ist sich selber der Gegenstand seiner Liebe.
Hier wird die Liebe ganz in Gott überführt und überformt. Hier ruht der Geist in Gottes Geist, in der
Stille des göttlichen Wesens. Da strahlt das göttliche Licht in die Finsternis der Entwordenheit, und
ist nichts als Gott in Gott.
Alle Vielheit und Zweiheit ist zu eins geworden: da wird mitten in der Nacht der Seele Christus in
ihr geboren und der ewige Tag bricht an, von dem ein Meister schrieb: "Das Licht Christi leuchtet
in unserem Seelengrund strahlender, als die Sonne am Himmel leuchten kann."
Das ist, was die Gottesfreunde uns lehren wollen und worum Paulus bittet: daß unsere Liebe immer
reicher werde an Erkenntnis und Erfahrung und zu wahrer Gottesliebe werde. Aber so viele reden
von ihrer Liebe zu Gott und meinen im Grunde ihres Herzens und ihrer Seele sich selbst: ihr kleines
Ich, das auf das Haben, seine Ehre und seinen Vorteil aus ist.
Zu diesen gehören jene Pharisäer, die meinen, sie seien gut daran mit Gott. Denn wenn man ihren
geistigen Übungen, Gebeten und Meditationen auf den Grund geht, so ist das, was sie im Sinn
haben und lieben, nicht Gott, sondern ihr Ich. Und das merken sie nicht. Sie tun viele gute Werke,
knien und beten und bezeichnen sich als Sünder; aber mit alledem gelangen sie nicht zu Gott; denn
ihre Gesinnung und ihre Liebe ist nicht Gott zugekehrt, sondern sich selber und den Kreaturen,
ihrem eigenen Wollen und Haben, ihrer Lust und ihrem Nutzen – innen wie außen.
Sie sind nur mit einem kleinen Teil ihrer Gedanken und ihres Gemüts bei Gott, erfüllen also nicht
das Gebot, ihn von ganzem Herzen, mit allen Kräften und mit dem ganzen Gemüt zu lieben. Und
darum antwortet Gott ihnen nicht.
Dann gibt es andere, die etwas besser daran sind: sie haben sich von den weltlichen Dingen gelöst,
soweit sie es vermögen. Aber ihre Weise ist noch ganz sinnlich und bildlich. Sie denken an den
Menschen Jesus, wie er geboren ward, lebte, litt und am Kreuze starb. Das alles fließt mit Lust und
Tränen durch sie hindurch wie ein Schiff durch den Rhein und ist ganz sinnenhaft und fleischlich,
nicht geistig.
Solche Leute neigen dazu, mehr auf die Werke zu sehen als auf den, in dem alles Werk endet. Sie
achten mehr auf das Drum und Dran als auf das Wesen, mehr auf den Weg und was am Wege liegt,
als auf das Ziel und übersehen im Blick auf das Äußere das Innere.
Doch ist gegen diese Weise nichts einzuwenden, weil sie ein Weg sein kann von der sinnenhaften
zur geistigen Liebe, die ohne Bild ist, von der äußeren Hinneigung zur inneren Hinwendung mit
dem ganzen Herzen und mit allen Kräften der Seele und damit zum Einssein. Der Mensch muß nur
lernen, von den äußeren bildlichen Weisen zur inneren bildlosen Weise weiterzuschreiten, also nicht
in den äußeren Bildern zu verharren, sondern durch sie hindurchzustoßen zum Wesen in den Grund,
wo die ewige Wahrheit unmittelbar leuchtet.
Um das zu erreichen, gilt es, das Gemüt und alle seine Kräfte von den sinnlichen Bildern
abzuziehen und den ewigen Dingen zuzuwenden: wie Du vorher der bildlichen Weise gedachtest,
etwa der Geburt, des Lebens, Wirkens und Leidens Jesu, so wende Dich nun der inneren Weise zu,
dem inneren Werk, der ewigen Geburt:
Wie das Wort im Herzen Gottes geboren ward, nach außen geboren und doch innen bleibend, wie
der Heilige Geist hervorblüht in unaussprechlicher Liebe und wie das Göttliche in seiner dreifachen
Offenbarung doch eine lautere Einheit ist: in diese Einheit senke Dich ein, trage Dein Nichtsein, die
Mannigfaltigkeit Deiner Ichheit und Nichtheit, in diese verborgene lautere Einheit, erkenne den
Unterschied zwischen Deinem äußeren Menschen und dem ewigen inneren Wesen, das kein Vorher
und Nachher hat, sondern nur ewige Gegenwart und ewiges Selbst-Sein und Einssein mit Gott.
Dieser ewigen Gegenwart halte die Flüchtigkeit der Zeit und die Vergänglichkeit Deines Ichs und
des äußeren Lebens entgegen. Dann zieht die Gottesliebe Dich immer höher in die
Abgeschiedenheit und Entwordenheit und führt Dich über alle Bilder hinaus und von allen Deinem
Wesen fremden äußeren Dingen weg, daß sie Dir im gleichen Maße entfallen, wie eine Liebe sich
gänzlich dem überwesentlichen Gott zuwendet.
Je tiefer so der Mensch in sein Nichts entsinkt, in liebender Hingabe seiner Ichheit entwird, desto
heller strahlt die Liebe und das Licht Gottes in ihm auf nicht in Bildern oder bloß als Erleuchtung in
die Kräfte der Seele, sondern ohne Bild und unmittelbar in ihrem Grund.
Das sei denen gesagt, die, von den ersten Erleuchtungen berührt, glauben, damit alle Wahrheit
gefunden zu haben, und sich nun dem Wohlgefallen an – sich selbst hingeben und meinen, sie seien
"über alles hinausgelangt" und den anderen weit überlegen. In Wahrheit stehen sie im natürlichen
Licht und haben keinen Durchbruch vollzogen in die Freiheit der Kinder Gottes. Sie sind noch
Liebhaber ihrer selbst und Gott fern.
Anders der in wahrer Gottesliebe Entflammte: er weiß um die Nichtheit des Ich, er fühlt sich als ein
ewig Fortschreitender und hat nur nach einem Verlangen: Gott über alles zu lieben und sich ihm
gänzlich hinzugeben. Er verfällt weder in falsches Nichtstun noch in unechte Freiheit und flattert
nicht hier hin und dorthin, sondern er will und liebt mit seinem ganzen Wesen nichts als Gott.
In solcher Liebe ist Gott gegenwärtig. Darum strahlt sie so mächtig in dem Grunde der Seele, daß
der Geist das Licht nicht zu ertragen vermag, seinen letzten Halt aufgibt und ganz in dem
Gottesgrund entsinkt, sich selber, allem Erkennen und allem Werk entwird, so daß Gott in ihm
wirken, in ihm erkennen und lieben muß, da sonst nichts mehr ist als Gott.
Was bleibt dann im Menschen? Nichts als ein völliges Entwordensein seiner Ichheit, ein völliges
Lassen aller Eigenheit in Wille und Gemüt, Wesen und Leben. In dieser Verlorenheit entsinkt der
Mensch ganz und gar in den Gottesgrund, und es dünkt ihn, als würde er nun erst beginnen,
wirklich zu leben – nicht mehr von unten, sondern von oben, nicht mehr aus den Sinnen, sondern
aus dem Geiste, nicht mehr aus sich, sondern aus Gott.
So hoch zieht Gott den in ihm entwordenen Geist empor, daß seine Liebe ihn durch und durch
wesentlich macht: er ist mit allen Dingen in Frieden, wie sie auch kommen, wirkt nichts aus sich,
sondern steht in stiller Ruhe und Gelassenheit und immer bereit, wohin Gott ihn auch führen und
was er durch ihn wirken will. Und wenn ihn Anfechtung und Leid treffen, dienen sie nur dazu, ihn
noch lichter und vollkommener zu machen.
Wenn der Mensch dies alles durchschritten und durchlitten hat, steht er wie der Priester vor dem
Altar: alles, was er um und in sich hat, ist heilig, und was er spricht und wirkt, das spricht und wirkt
Gott durch ihn.
Daß wir so leben und lieben, daß die Liebe Gottes uns erleuchtet, dazu verhelfe uns, der die Liebe
selbst ist!

VOM INNEREN BETEN

"Seid allesamt einmütig im Gebet." 1. Petr. 3; 8


Mit seinem Rat, einmütig im Gebet zu sein, berührt Petrus das fruchtbarste, edelste und höchste
Werk, das wir in der Zeitlichkeit vollbringen können. Machen wir uns bewußt, was beten heißt, wie
man recht betet und wo dessen Stätte ist.
Was ist das rechte Gebet?
Es ist ein Aufgang des Gemüts in Gott; und die Stätte, wo wir beten sollen, ist der Geist.
Und wie geschieht dies?
Wenn man betet, soll man seine äußeren Sinne nach innen sammeln und soll in sein Gemüt sehen,
daß es mit allen seinen Kräften zu Gott hingewendet ist.
Dazu ist es gut, wenn man genau prüft, was einen am meisten zu rechter Andacht reizt und leitet;
und diese Weise möge man dann üben. Voraussetzung aber ist, wenn man im Gebet erhört werden
will, daß man allen äußeren und zeitlichen Dingen den Rücken kehrt, seien es Freunde oder
Fremde, Güter oder Sorgen, kurz: allem, was nicht göttlich ist und nicht zu Gott führt, und weiter,
daß man seine Gedanken und Worte und seinen Wandel von aller äußeren und inneren Unordnung
frei halte.
So soll man sich zum wahren Gebet bereiten. Wenn Petrus sagt, daß es einmütig sei, so heißt das,
daß das Gemüt allein an Gott hänge und an nichts sonst und daß der Mensch mit seinem Denken
und Wesen und seinem innersten Grunde einzig und völlig Gott zugewendet sei und bereit, sich
gänzlich von Gott erfüllen zu lassen.
Glaubt nicht, daß das schon Beten sei, wenn man äußerlich mit dem Munde plappert oder Gebete
und Meditationen liest, und derweilen laufen die Gedanken und das Herz hierhin und dorthin.
Besser ist es, solch äußerliches Beten, das die Einmütigkeit hindert, zu lassen und darauf zu achten,
daß man zum inneren Beten gelangt, in sich selbst gesammelt ist, in seinen Seelengrund einkehrt
mit erhobenem Gemüt und gesammelten Kräften und mit solch gänzlicher Hinwendung seines
Blicks auf Gottes Gegenwart und mit solch stürmendem Verlangen, mit dem Willen Gottes eins zu
sein, daß man immer tiefer in den lichten Willen Gottes entsinkt.
Und man soll dabei zugleich vertrauen und gewiß sein, daß Gott alle Dinge zum Besten wendet und
allen Wesen, die einem anvertraut sind, das Beste zuweist. Wer solchermaßen innerlich betet, der
hat besser gebetet, als wenn er tausend Lippengebete verrichtet hätte.
Das innere Gebet geschieht im Geiste und übertrifft unermeßlich alle äußeren Gebete. Gott will, daß
wir ihn im Geiste anbeten. Nur soweit äußere Gebete dazu dienen, sind sie gut; wenn nicht, lasse
man sie. Alles Äußere soll dem Innern dienen, wie ja alles äußere Werk am Dombau, das Steine-
Herbeitragen, Zimmern und Bauen, nur der Vollendung des Domes dient, und diese wieder nur
dazu, daß er ein Bethaus werde. So geschieht das ganze äußere Werk um des Gebetes willen. Und
wenn der Mensch dadurch zum inneren Beten kommt, war alles, was dazu diente, gut und hat
seinen Zweck erfüllt.
So soll alles äußere Werk dem inneren Wirken und Gott Wirken-Lassen dienen. Dies ist aller Dinge
und Kreaturen Sinn: in allen wird gewirkt und in allen wirkt Gott sich selbst aus. Sollte da der nach
Gott gebildete Mensch, der sich als Kind Gottes erkennt, nicht gleichermaßen wirkend sein – nach
Gott in Gott gebildet in seinen Kräften und ihm gleich nach seinem Wesen? Die edle Kreatur muß
bewußter und edler wirken als die vernunftlose Kreatur: sie soll Gott in Gleichheit nachfolgen, im
Wirken wie im Schauen.
Wer solchermaßen alles, was er wirkt, göttlich macht, also mit allem, was ihn bewegt, zu Gott
hingewendet ist und allen zeitlichen Dingen den Rücken zukehrt, dessen Werke werden auf diese
Weise göttlich.
Wer hingegen dies Werk versäumt und seine göttlichen Kräfte müßig liegen läßt, der lebt sich selber
zum Schaden, vergeudet seine Zeit und sein Leben, ist allen zeitlichen Mächten und Einflüssen
hilflos ausgeliefert und beraubt sich selbst seines göttlichen Erbes.
Solche Menschen sind nicht einmütig. Einmütig im Gebet sein heißt gleichmütig mit Gott sein. Das
bedeutet, daß der innere Mensch an Gott hängt in einem steten vollkommenen Gott-im-Sinn-Haben.
Das ist weit mehr als das äußere Gott-im-Sinn-Haben: es ist ein ständiges inwendiges Innesein und
Gewißsein der lebendigen Gegenwart Gottes in ihm.
In diesem Innesein und Einssein wendet sich der im inneren Gebet gänzlich Gott zugekehrte
Mensch in Erfüllung seiner irdischen Pflichten den äußeren Werken zu, übersieht von innen her das
äußerlich Notwendige ebenso rasch wie vollkommen, wie ein Meister, der viele Gesellen und
Werkleute unter sich hat, die nach seinen Anweisungen wirken, indes er selbst nicht wirkt. Er ist
auch nicht ständig unter ihnen, sondern gibt ihnen die Regeln und Weisungen, nach denen sie dann
handeln; und doch heißt es wegen seiner Anweisungen und seiner Meisterschaft, daß alles, was sie
wirkten, von ihm vollbracht sei, da es mehr sein Werk ist als derer, die es mit ihrer Hände Arbeit
gewirkt haben.
Genau so handelt der innere Mensch: er ruht im Innewerden der göttlichen Gegenwart und übersieht
im Lichte des Innern rasch die äußeren Aufgaben und die dazu nötigen Kräfte und weist sie an, was
zu tun ist; inwendig aber bleibt er gelassen und entsunken im Anblick Gottes und bleibt so durch
sein Wirken in seiner inneren Freiheit ungehindert. Diesem inneren Sein dienen alle äußeren Werke,
und keines ist zu gering, dazu zu dienen. So kann alle Mannigfaltigkeit gut sein, wenn sie auf die
innere Einheit gerichtet ist.
Paulus sprach in diesem Sinne vom corpus mysticum, vom geistigen Leib, dessen Haupt Christus
ist. Der geistige Leib oder innere Mensch hat viele Glieder und Organe, deren jedes seine eigene
Aufgabe und sein besonderes Werk hat; alle aber gehören dem Leibe und folgen dem Haupt.
Hier muß die gleiche Einmütigkeit herrschen wie im irdischen Leibe des äußeren Menschen, in dem
kein Glied und Organ dem anderen entgegensteht oder ihm Leid zufügt, vielmehr Liebe und
Fürsorge füreinander herrschen und einer für alle und alle für einen wirken.
Und diese Einmütigkeit des inneren Menschen ist keineswegs auf ihn selbst beschränkt, weil wir
alle innerlich eins sind durch den Christus in uns, wie es Paulus (Röm. 12; 4 f.) erkannte: "Wie wir
in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, so sind wir
vielen ein Leib in Christo, aber untereinander ist einer des andern Glied", dient einer dem anderen
mit seinen ihm verliehenen besonderen Gaben. Solche Eintracht und Einmütigkeit gehört zum
Wesen des inneren Menschen. Und wo sie herrscht, dient der geistige Leib dem Haupte, Christus,
und hat im gleichen Maße teil am Wesen Gottes und an der Fülle des Reiches Gottes.
Auf dem Wege zu diesem hohen Ziel können wir drei Grade unterscheiden:
Der erste Grad des inneren Lebens, der in die Nähe Gottes leitet, besteht darin, daß der Mensch sich
immer wieder einwärts wendet und die Gaben Gottes empfängt.
Der zweite Grad führt durch die Entziehung der göttlichen Gaben in die Nacht der Seele.
Der dritte Grad besteht in der Lichtwerdung der Seele durch die Vereinigung des Geistes mit Gott.
Zum ersten Grad gelangt man, wenn man auf die Liebeszeichen und Weisungen Gottes achtet, auf
die Gaben, die er einem immerfort darreicht, wenn man gewahr wird, wie alles, was blüht und
gedeiht, Gottes voll ist, wie Gott alle Wesen mit seinen Gaben überschüttet, und wie er
insbesondere den Menschen gesucht und begabt, auf ihn geharrt und gewartet hat, um seinetwillen
Mensch ward, damit er in Gott entwerde, und wenn diese Erkenntnis den Menschen zunehmend mit
innerlicher Freude erfüllt und beseligt und ihn leitet, sich auf sich selbst zu besinnen, über sich
selbst hinauszuschreiten und aus aller Mannigfaltigkeit und Ungleichheit in die Einmütigkeit und
Gleichheit mit Gott zu entsinken, und wenn sie ihn, solange er in der Zeitlichkeit lebt, antreibt,
möglichst vielen Menschen zu der gleichen beseligenden Erfahrung und Gewißheit zu verhelfen.
Der zweite Grad ist dieser: wenn Gott den Menschen so weit über alles Abhängigsein von den
Dingen hinausgezogen hat, daß er kein Kind mehr ist, sondern auf eigenen Füßen zu stehen vermag,
entzieht er ihm die Seligkeit der Gott-Gegenwarts-Gewissheit und gibt ihm statt Milch und Honig
stärkere Kost:
Plötzlich sieht er sich im Dunkel, das er längst überwunden glaubte, auf wilden Wegen, auf denen
ihm alles genommen wird, was Gott ihm gab. Hier wird er so gänzlich sich selbst überlassen, daß er
Gottes ungewiß ist und ihm so weh wird, daß ihm Welt und Leben zu eng werden. Er empfindet
Gott nicht mehr, weiß nichts von ihm und fühlt sich, als wenn er sich durch eine tiefe finstere
Schlucht tastet mit unbekannten Gefahren hinter ihm und vor ihm, so daß er weder rückwärts noch
vorwärts zu gehen wagt.
Dann soll er sich hinsetzen, gelassen segnen, was ihm geschieht, und entgegen allem Augenschein
gewiß bleiben, daß die Finsternis zu Licht werden wird.
Alsdann erreicht der Mensch im Augenblick des stärksten Drucks den dritten Grad: plötzlich
weicht die Finsternis, das Licht der göttlichen Sonne erstrahlt und enthebt ihn in einem Augenblick
aller Ungewißheit und Not. Es ist, als ob er aus dem Grabe aufersteht und aus dem Tod ins Leben
schreitet. Hier leitet Gott den Menschen ganz aus sich selbst und in sich hinein, aus aller Ichheit und
menschlichen Weise in die Gottheit, aus aller Bedrängnis in die Sicherheit und Geborgenheit. Da
wird der Mensch so beglückt, daß alles, was er nun ist und wirkt, Gott in ihm wirkt und ist. Hier
fühlt der Mensch sich selbst als nicht-seiend und weiß von nichts als von seinem In-Gott-Sein.
So führt das völlige Entwerden des Ich und Entsinken in Gott in den tiefsten Grund. Und je tiefer,
desto höher; denn hoch und tief ist da eins.
Daß uns allen dies zuteil werde, dazu verhelfe uns Gott.
MACHE DICH AUF UND WERDE LICHT

"Mache dich auf und werde licht! Denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf
über dir," Jes, 60; 1
Gott will von uns nur eines – aber dieses Eine will er ganz: daß er den edlen Grund, den er im
Innersten unseres Geistes bereitet hat, offen und willig findet, damit er sein göttliches Werk darin
vollbringen kann.
Und was können wir dazu tun, daß Gott im innersten Grunde unseres Wesens leuchten und wirken
kann?
Wir sollen uns aufmachen – und zwar im zwiefachen Sinne des Wortes: wir sollen uns erheben und
vorwärts schreiten und mit jedem Schritt mehr uns von allem in uns und um uns lösen und
entfernen, das nicht Gott ist, auch von uns selber. Und wir sollen uns innerlich aufschließen und
offen halten für den Aufgang des göttlichen Lichts und uns gänzlich von Gott und seinem Willen
erfüllen und leiten lassen.
Dieser Forderung folgen die Menschen auf zweierlei Weisen:
Die ersten kommen mit ihrer natürlichen Geschäftigkeit und bestimmten Vorstellungen und hohen
Zielen und sehen nicht, daß sie sich eben damit in ihrem innersten Seelengrund dem Aufleuchten
und Wirken Gottes verschließen. Das Verlangen der Seele stillen sie dadurch, daß sie die Kräfte und
Gesetze des inneren Lebens zu verstehen suchen, um durch deren Beachtung Frieden zu finden.
Etliche versuchen, durch ihre eigenen Weisen und Methoden, durch Gebet, Meditation oder
bestimmte Praktiken und Übungen, die sie anderen nachmachen, ihren innersten Grund für die
Lichtwerdung zu bereiten und so zur Erleuchtung und zum Frieden zu finden.
Daß aber dieser Friede, selbst wenn sie ihn gewonnen haben, ein Wahn ist, erkennt man daran, daß
sie in ihren Fehlern verbleiben: in ihrem Urteilen und Herrschen über andere und ihrem
Rechthabenwollen, in der Befriedigung ihrer Lüste. Täte man ihnen etwas, antworten sie mit
Schelten, Ungefälligkeiten oder Haß.
Diese und andere Untugenden verbleiben ihnen – mitsamt ihrem Willen, der herrschen will. Daran
erkennt man, daß sie sich ihren Grund selber bereiten und selbst bestimmen wollen.
Eben darum aber kann Gott nicht in ihrem Grunde herrschen und aufleuchten, weil sie sich nicht
wirklich aufgemacht haben. Sie müssen noch viel an sich arbeiten und lernen, sich zu lassen und
Gott allein in sich wollen und wirken zu lassen.
Die anderen handeln weiser: sie machen sich auf, erschließen sich der Wahrheit und werden von ihr
erleuchtet. Sie überlassen sich gänzlich Gott, lassen Gott ihren Seelengrund bereiten, entziehen sich
den Dingen, haften an nichts Äußerem und behalten sich selbst in keinem Dinge, weder in Werken
noch in Weisen, im Tun oder Lassen, in Freud oder Leid, sondern nehmen alles willig von Gott
entgegen und geben es ebenso gelassen zurück. Wie Gott es will und fügt in allen Dingen und
Geschicken, so sind sie es zufrieden; mögen die Dinge aussehen, wie sie wollen.
Von diesen Menschen kann man sagen, was Christus seinen Jüngern sagte, als sie ihn hinaufgehen
hießen zum Fest: "Geht ihr hinauf, denn eure Zeit ist allezeit bereit, meine aber ist noch nicht
gekommen."
Dieser Menschen Zeit ist allezeit. Daß sie sich lassen und Gott wirken lassen: diese Zeit ist allezeit.
Und sie wissen, daß Christus seine Zeit hat: wann er wirken und sie erleuchten will, überlassen sie
gelassen seinem Willen.
Was diese letzteren Menschen von den ersteren unterscheidet, ist, daß sie Gott ihren Seelengrund
bereiten lassen und es nicht selbst wollen und tun.
Gewiß haben auch sie unter Versuchungen zu leiden. Aber wenn ihnen ihre Fehler vorgehalten oder
bewußt werden, einerlei, worin sie angefochten wurden, wenden sie sich sogleich zu Gott, lassen
sich selbst los und überlassen sich seinem Willen: damit machen sie sich in Wahrheit auf und
gelangen in allen Dingen über sich selbst hinaus und zum Frieden mitten im Unfrieden, zu Freude
im Leid. Da sie nichts wollen als den Willen Gottes, kann ihnen die Welt nichts anhaben und ihren
Frieden nicht nehmen.
Diese Menschen werden wirklich erleuchtet. Ihnen leuchtet Gott in allen Dingen von innen her, in
der tiefsten Finsternis noch strahlender als am hellen Tage. Sie sind wahrhaft Kinder Gottes, die in
ihrem Wirken nichts ohne Gott tun; denn eigentlich sind nicht sie es, die wirken, sondern Gott in
ihnen wirkt durch sie. Keine größere Seligkeit kann dem Menschen werden als diese.
Der Unterschied zwischen diesen Menschen und den ersteren besteht auch darin, daß die Kräfte der
ersteren, die ihren Seelengrund selbst bereiten und sich nicht Gott gänzlich überlassen wollen,
damit er sie bereite, in ihrer Ichheit gefangen bleiben und nicht darüber hinaus können. Sie wollen
in allem ihrem eigenen Willen folgen und sind insofern ungelassen.
Die anderen aber, die Gelassenen, erheben sich über ihr Ich, und wenn eine Not sie berührt,
überlassen sie sie Gott – und sogleich ist keine Not mehr da, denn sie stehen in der göttlichen
Freiheit.
Sie kennen nur ein Werk, das sie allezeit üben ohne Unterlaß, um der Vollkommenheit Schritt für
Schritt näher zu kommen: Sie sind immer dabei, sich aufzumachen, ihr Gemüt zu Gott zu erheben,
ihren Seelengrund Gott aufzuschließen und offen zu halten und dessen bewußt zu werden, was Gott
von ihnen will, damit sie dem folgen.
Gibt ihnen Gott zu leiden, so leiden sie. Gibt er ihnen zu wirken, so wirken sie, zu schauen oder zu
genießen, so schauen oder genießen sie. In ihrem Seelengrunde wirkt Gott unmittelbar. Was er
ihnen aber in diesem Wirken und Erleuchten offenbart, davon können sie keinem anderen sagen.
Aber wer es erfährt, der weiß es.
Wenn Gott vom Seelengrund Besitz ergriffen hat, fällt alles Selbst-tun-wollen in dem Maße vom
Menschen ab, in dem das inwendige Wahrnehmen Gottes zunimmt. Und wenn der Mensch zum
Höchsten gelangt, zum Einssein, ist das ein völliges Entwerden seiner selbst und Erfülltsein vom
Geiste Gottes. "Nicht wie ich, sondern wie Du willst"
So sollten wir jederzeit acht geben, ob wir an den Dingen hängen oder an Gott und ob Gott in
unserem Seelengrunde noch etwas findet, das seinem Wirken und Leuchten in uns entgegensteht.
Daß wir uns alle in solcher Weise aufmachen und Gott aufschließen, damit er in uns wirken und
leuchten kann, dazu verhelfe uns Gott!

RECHTE MEDITATION

"Verkläre mich, Vater, bei Dir selbst mit der Klarheit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war." Joh.
17,' 4
Daß der Sohn Gottes seine Augen zum Himmel hob und sprach: "Verkläre mich, Vater", will uns
lehren, daß wir gleich ihm unsere Hände und Sinne, unser Gemüt und unsere Kräfte zum Himmel
erheben und in ihm, mit ihm und durch ihn beten sollen. Das ist das edelste und vollkommenste
Werk, das Christus tat, daß er sich im Geiste anbetend zum Vater wandte.
Diese innere Hinwendung ist mehr als jede äußere. Viele beten und meditieren, um etwas zu
erreichen, oder lassen sie andere um Geld und gute Worte für ihr Wohl beten. Von solchem äußeren
Handel hält Gott wenig. Wesentlich ist ihm das rechte innere Handeln, das in Wahrheit nicht ein
Tun ist, sondern ein Lassen:
Kehre Dich gänzlich von Dir selber und allen geschaffenen Dingen ab und senke Dein Gemüt
jenseits aller Kreaturen gänzlich in den tiefen Abgrund Gottes, in wahrer Gelassenheit aller niederen
und höheren, äußeren und inneren Kräfte, jenseits aller Sinne und allen Ersinnenwollens – bis zum
völligen Einssein mit Gott im innersten Grunde Deines Wesens.
Dann entschläfst Du allen äußeren Weisen und Worten, Übungen und Gebeten. Und dann magst Du
Gott um das bitten, um das er gebeten sein will: daß sein Wille geschehe zu Deinem und aller Wesen
Besten!
So wenig ein Pfennig ist gegenüber hunderttausend Mark Goldes, so gering ist alles äußere Gebet
gegenüber dem inneren Beten, das ein völliges Sich-Lassen, Versinken und Verschmelzen des
geschaffenen Geistes mit dem ungeschaffenen Geist Gottes ist, ein wahres Einswerden mit Gott.
Wenn diese Einswerdung das Gebet des Mundes duldet und dadurch ungeschmälert bleibt, dann
beten wir mit dem Munde wie mit dem Herzen; denn zwei gute Weisen sind besser als eine. Und
wenn man Dich um ein Gebet bittet, ist es gut, daß Du auch äußerlich betest; doch zugleich trage
Dein Gemüt hinauf in die lichten Höhen Gottes.
Wenn hingegen ein äußeres Gebet, eine Übung oder ein Werk Dich darin hindert, so laß es
unbesorgt; denn nur äußeres Gebet ist wie Stroh und Spreu gegenüber dem edlen Weizen des
inneren Gebets, wie Christus sagt: "Die wahren Anbeter sollen beten im Geiste und in der
Wahrheit." Und das kann bei wahrer und wesentlicher Einkehr in einem Augenblick geschehen.
Ist die Hingabe vollkommen, dann wird unser ganzes Wesen in einem Augenblick in den innersten
Grund eingesenkt, der ganz in den ewigen Gottesgrund ausgeströmt ist, in dem alles ewig
gegenwärtig, vollkommen und eins ist.
So betete Jesus und so beten jene, die recht handeln und alle ihre Werke außerhalb der Zeit in der
Ewigkeit wirken: sie beten im Geiste Gottes und leben und wirken in ihm und sind sich selbst
entworden. Denn niemand kann etwas anderes werden, er wäre zuvor dem, was er ist, entworden.
So beten und wirken die Kinder Gottes im Geiste, werden ihrer selbst entformt und entbildet und
geraten so in das Überseiende, da der Vater den Sohn gebiert, werden daselbst wiedergeboren und
nehmen alle Dinge, Haben wie Darben, Lust wie Leid, gleich willig und völlig von Gott.
Und Jesus fuhr fort: "Ich bitte Dich, daß sie eins werden, gleichwie wir eins sind."
Diese Einswerdung geschieht auf zweierlei Weisen: innerlich und äußerlich, unmittelbar und
mittelbar, im Geiste und in der Natur.
Das wird oft falsch verstanden. Denn der menschliche Verstand begreift ja nicht einmal die Weise,
wie die Seele mit dem Körper vereinigt ist, wie sie ihn bewegt und sich durch ihn äußert. Wie soll
er da das Einssein mit Gott verstehen?
Die dazu gelangen, wirken außerhalb des Geschaffenen in Ungeschaffenheit, außerhalb der
Mannigfaltigkeit in Einfaltigkeit und Einheit. Sie sind mitten im Unfrieden im Frieden, sinken in
völliger Gelassenheit und Abgeschiedenheit in den Grund und tragen Gott alle Dinge so wieder
hinein, wie sie ewig in ihm waren.
Solch inneres Entsinken in Gott führt Gott näher als das äußere Gebet, und dorthin können die nicht
kommen, die noch ganz im Äußeren leben und nur um den äußeren Menschen wissen.
Nun könnte man fragen, welche Wege und Weisen denn zu den Höhen des schweigenden inneren
Betens und zur lauteren Wahrheit und Vollkommenheit führen.
Christus hat Johannes auf drei Weisen gezogen, mit denen er alle Menschen zieht, die nach dem
Höchsten verlangen. Zum ersten Male zog er ihn, als er ihn aus der Welt rief und ihn zu einem
Apostel machte; zum anderen Male, als er ihn an seinem Herzen ruhen ließ; und zum dritten und
vollkommensten Male am Pfingsttag, als ihm der Heilige Geist gegeben ward: da wurde ihm die
Tür zum Reiche Gottes geöffnet und er wurde hineingenommen.
Die erste Weise, durch die der Mensch wie Johannes von der Welt gerufen wird, tritt ein, wenn der
Mensch seine inneren Kräfte in höchstem Unterscheidungsvermögen derart ordnet und regiert, daß
er lernt, auf sich zu achten, daß er zu anderen so spricht und sich so verhält, wie er möchte, daß sie
zu ihm sprechen und sich ihm gegenüber verhalten, daß seine Gedanken und Strebungen von Gott
kommen und zu Gott hinführen, und daß all sein Wirken auf nichts anderes abzielt als auf die
Erfüllung des Willens Gottes und auf den Frieden und die Seligkeit der Menschen.
Also nimmt Christus Dich von der Welt und macht Dich zu einem Apostel, einem Gesandten
Gottes, der lernt, den äußeren Menschen zu einem inneren zu machen. Das ist aber erst der Anfang
göttlichen Lebens.
Die zweite Weise besteht darin, daß Du wie Johannes am Herzen Christi ruhte, Dich nach dem
Bilde Christi bildest und darauf amtest, daß Du ihm nachfolgst und gleich wirst in seiner
Sanftmütigkeit und Demut, in der flammenden Liebe, die er seinen Freunden und Feinden
entgegenbrachte, in der willigen Gelassenheit, die er auf allen Wegen, in allen Weisen, an allen
Stätten, wohin ihn der Vater rief, offenbarte.
Wohl waren Himmel- und Erdreich sein, doch er besaß sie nicht als Eigentum, sondern er hatte mit
allem, was er sprach und wirkte, nur den Willen des Vaters und die Seligkeit der Menschen im Sinn.
Dem folge nach! Erkenne, wie ungleich Du noch diesem Vorbild bist, und wende Dich nach innen,
um am Herzen Christi zu ruhen und von ihm Licht zu empfangen und Kraft, vollkommener zu
werden. Und vergiß dabei nicht, daß, obwohl Johannes am Herzen Christi ruhte, er doch den Mantel
fallen ließ und floh, als man Jesus fing. So sieh auch Du zu, daß Du, wenn Du angegriffen und
versucht wirst, den Mantel nicht fallen läßt und der Furcht und dem Eigenwillen nachgibst!
Daß Du Dich in diesen beiden Weisen übst, ist gut und heilsam. Laß Dich darin von niemandem
beirren. Und wenn Christus Dich zieht, so laß Dich ihm ohne Formen und Bilder und laß ihn durch
Dich wirken, sei seines Willens Werkzeug!
Wenn Du Dich solchermaßen einen Augenblick in der Stille ihm gänzlich lässest, ist das ihm
löblicher und Dir dienlicher, als wenn Du Dich ein Leben lang in den äußeren Weisen übst. Alsdann
wird das Wort erfüllt, daß Gott Dir offenbart, was kein Auge gesehen und kein Ohr vernommen hat,
und das Tor zum Reiche Gottes sich Dir auftut.
Darum soll der Mensch keinen Augenblick in seinem Bemühen nachlassen, immer vollkommener
zu werden und, soweit es ihm irgend möglich ist, den äußeren Menschen in den inneren zu bringen.
Das kann nicht an einem Tage, in einem Jahre geschehen, sondern braucht seine Zeit. Und es gehört
Willigkeit und Gelassenheit dazu. Dies ist der Weg der Meditation.
Daß wir diesen Weg gehen und zur Vollkommenheit gelangen, das gebe Gott uns allen!

ENTWERDEN DES ICH

"Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon." Matth.15; 21 f.
Im Matthäus-Evangelium wird uns berichtet, daß Jesus "von dannen ging nach Tyrus und Sidon."
Aus demselben Lande stieß ein Weib aus Kanaan zu ihm und rief ihn an um Hilfe für ihre Tochter,
die vom bösen Geist besessen war. Aber Jesus antwortete nicht. Das Weib rief lauter, und die Jünger
wiesen ihn auf sie hin.
Doch er wies sie ab mit dem Hinweis, daß er zu den Kindern Israels gesandt sei. "Es ist nicht gut,
daß man den Kindern das Brot nehme und werfe es den Hunden vor."
Als das Weib diese Worte vernahm, die ihre Bereitschaft zur Hingabe prüfen sollten, antwortete sie:
"So sei es; doch werden nicht auch die Hündlein gespeist von den Brosamen, die von des Herren
Tische fallen?"
Da antwortete Jesus: "Weib, dein Glaube ist groß; es geschehe, wie du willst." – Und ihre Tochter
ward gesund zur selbigen Stunde. –
Dieses Evangelium weist uns auf die höchste Hingabe und Entwerdung des Ich, zu der wir in der
Zeitlichkeit gelangen können und ohne die nichts hilft, was immer auch der Mensch zu seinem
Heile unternimmt.
Doch beginnen wir mit den ersten Worten: "Jesus ging aus von dannen." Von wo aus? Der Anfang
des Evangeliums sagt es uns: von den Schriftgelehrten und Pharisäern, das heißt von den Gelehrten,
die auf ihre Menschenweisheit etwas halten, und von den Pharisäern, die auf ihr Geistlichsein stolz
sind und auf ihren Weisen und Satzungen beharren.
Damit werden zwei Fehler aufgezeigt, die geistige Menschen haben können. Wer sie nicht ablegt,
der verdirbt. Es gibt nur wenige, die nicht mit dem einen oder dem anderen Fehler behaftet sind.
Unter den ,Schriftgelehrten' versteht man jene, die sich auf ihren Verstand und ihr Wissen etwas
einbilden, alle Dinge von dort aus beurteilen und sie so in die Sinnenhaftigkeit ziehen, als ob sie sie
nun durch und durch verstünden. Man rühmt ihre Gelehrsamkeit und sie sprechen große Worte –
innerlich aber, im Seelengrund, aus dem die Wahrheit und die Wahrheits-Erkenntnis quellen sollte,
sind sie dürr, leer und tot.
Und die anderen, die ,Pharisäer', sind jene Geistlichen und Frommen, die sich selbst hoch achten,
ihre Weise, ihre Glaubensmeinung und -richtung für die allein richtige halten und ihretwegen geehrt
und anerkannt sein wollen. Ihr Seelengrund ist voll Verurteilung aller, die nicht mit ihrer Weise
übereinstimmen.
Von diesen Leuten ging Christus aus, die ihre menschliche Weise und Menschenweisheit für
göttliche Weisung und Gottesweisheit halten und verächtlich auf jene herabsehen, die keinen
besonderen Weisen zuneigen, weil sie Gottes Willen unmittelbar folgen.
Vor solcher pharisäischen Weise hüte man sich, damit sich nicht eine falsche Heiligkeit oder
Scheinheiligkeit darunter verberge, die ihren Ursprung und ihr Ziel im Ich hat statt in Gott. Denn
von solchen, die nur auf ihr äußeres Tun und Ansehen achten und mit ihrem Seelengrund ganz dem
Ich, den Kreaturen und der Welt zugewandt und verhaftet sind, geht Christus aus, weil er dort keine
Stätte hat.
Und wohin ging er? Nach Tyrus und Sidon, was soviel bedeutet wie: an die Stätte der Bedrängnis
und des Treibens. Welches Drängen und Treiben ist damit gemeint? Nichts anderes, als daß der
innere Mensch gern zu Gott kommen möchte, wo seine eigentliche Heimstatt ist; dahin drängt und
jagt er den äußeren Menschen. Der äußere hingegen treibt einen anderen Weg und strebt – weil
selbst äußerlich – zu den niederen Dingen, wo seine Stätte ist. Und so entsteht der Zwiespalt
zwischen ihnen:
Des inneren Menschen eigentlicher Besitz ist Gott, und nach ihm geht all sein Verlangen, Wollen
und Denken. Das aber geht dem äußeren Menschen gegen seine Natur und er wehrt sich dagegen,
wie Paulus es erlebte: "Ich finde in mir einen ewigen Kampf; meine Natur widerstrebt dem Treiben
des Geistes, und was ich nicht will, das tue ich, und was ich will, das tue ich nicht." So bedrängen
sich diese beiden, und dazwischen kommt Gott von oben und zieht sie beide zu sich. Wo dieser Zug
nach oben verstanden wird, da steht es gut; denn "die vom Geiste Gottes getrieben werden, das sind
die Kinder Gottes."
Aus diesem Zwiespalt entspringt Bedrängnis und Bangigkeit, sagte ich. Aber wenn der Mensch in
dieser Bangigkeit des inneren Dranges und Zuges bewußt wird, geht Christus in ihn ein. Wo er aber
nicht erkannt wird, da wird nichts aus dem Menschen; denn dann weiß er nicht von dem, was in
ihm ist, und folgt dem äußeren Locken und Drängen.
Was kann nun der also Bedrängte tun, um Frieden zu finden?
Er kann und soll handeln wie das arme Weib im Evangelium: er soll sich mit seinem ganzen
Begehren Christo zuwenden, seine Hilfe erbitten und darin beharren.
Und wenn Christus nicht antwortet, soll er sein Begehren und seine Hingabe vergrößern und darauf
achten, daß sein Ich immer kleiner werde und schließlich ganz entwerde, wie es das Weib tat, die
den Vergleich mit dem Hunde annahm und die Entichung noch weiter trieb, indem sie sich ein
kleines Hündelein nannte und sich in diesem Versinken und Entwerden mit ihrem ganzen Glauben
und Vertrauen an Christus hingab.
Wem solches Entwerden des Ich gelingt, der gelangt in den innersten Grund, findet zu Gott und
wird seiner Kraft und Hilfe teilhaftig. Denn dieser Weg nach innen leitet ohne Zwischenstufen
unmittelbar zu Gott. Wem das gelingt, dem gerät alles wohl, wie Jesus dem Weibe verhieß: "Was du
glaubst, das geschehe dir; was du willst, das werde dir zuteil!" So wird allen, die diesen Weg des
Entwerdens gehen, geantwortet: "Da du aus dem Deinen ausgegangen bist, gehst du in das Meine
ein." Denn alles, was man will, kann man nur haben, wenn man kreatürlich ein Nichts wird.
Alles, was Du ersehnst und verlangst, wird Dir zuteil und geschehen, wenn Du Dich selbst
verleugnest, Deinem Ich entwirst. Soweit das Ich ausgeht, soweit geht Gott ein. Ein einziger
Augenblick solcher Hingabe ist segensreicher als vierzig Jahre, in eigenen Satzungen und Übungen
verbracht.
Bedenkt, womit Ihr Eure kostbare Zeit verbringt, wie Ihr über dem äußeren Treiben den inneren
Drang, mit dem Gott Euch zu sich in sein Reich zieht, überseht und so den edelsten Besitz entbehrt,
der Euch jederzeit zuteil werden kann!
Ihr verbringt Eure Tage und Jahre in ewigem Hetzen und Jagen nach vergänglichen Dingen – und
kommt doch nicht voran, sondern seid der wahren Vollkommenheit und Fülle nicht näher als zu
Beginn Eurer Lebensbahn.Wohl Euch, wenn Ihr das erkennt, Euch besinnt, dem Zug nach oben
folgt und Euch nach innen wendet!
Darum bitten wir Gott und dazu helfe er uns, daß wir so weit in uns hineinschreiten, daß wir ihn in
uns und uns in ihm finden!

VOM NICHT-ICH

"Und er wandte sich zu seinen Jüngern und sprach: Selig die Augen, die da sehen, was ihr sehet!"
Luk. 10; 23
Es wird berichtet, wie Jesus sich freute, als er inwendig auf seine Jünger blickte, wie er sprach: "Ich
danke Dir, Vater, daß Du diese Dinge verborgen hast vor den Großen und Klugen dieser Welt und
hast sie den Kleinen offenbart", und wie er seine Jünger selig nannte, denn "viele weise Könige und
Propheten begehrten zu sehen, was ihr nun seht, und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und
hörten es nicht."
"Selig die Augen, die da sehen, was ihr sehet". Der Mensch hat zweierlei Augen: äußere und innere.
Wäre das innere nicht, so stünde es schlecht um das äußere und um den Menschen überhaupt, denn
dann wäre er nicht mehr als ein Tier.
Wie aber ist es möglich, daß dieses innere Auge, die Vernunft, so verblendet und blind ist, daß es
das göttliche Licht nicht wahrnimmt?
Dieser Mangel rührt daher: es ist da eine dicke, undurchsichtige Haut über das innere Auge
gezogen, entstanden durch die Gewohnheit, nur nach außen zu blicken, durch die ständige
Hinneigung zu den Dingen und Kreaturen der Außenwelt, zum Eigensein, Eigentun und Eigentum.
Davon sind die meisten Menschen innerlich blind und taub geworden, mögen sie nun Weltliche
oder Geistliche sein.
Darum gelangt der Mensch so schwer in seinen eigenen Grund, weil er so viele Häute oder Hüllen
über sein Inneres gedeckt hat, daß weder er selbst noch Gott hinein kann: es ist zugewachsen und
völlig verdeckt. Manche haben eine Vielzahl solcher Hüllen über ihr Innerstes gezogen, dick wie
Bärenfelle.
Und welches sind diese Hüllen? Es sind die Hüllen der Ichheit und des Eigenwillens und die des
Haftens an Dingen und Wesen, denen der Mensch sich zuwendet und verbindet in Worten und
Werken, in Liebe oder Haß, Hochmut oder Eigensinn. Diese und andere Dinge bilden
undurchdringliche Hüllen und Hindernisse, die dem Menschen die inneren Augen blenden und
verschließen und ihn von seinem innersten Wesensgrund und damit von Gott fern halten.
Sobald aber der Mensch dies einsieht und den Wunsch und Willen hat, sich zu ändern, sich nach
innen zu wenden und sich, statt den vergänglichen Dingen und Wesen, ganz Gott hinzugeben, kann
noch alles gut werden. Denn es leuchtet ein, daß, wenn schon der Hinblick auf die äußeren Dinge
und Kreaturen und die Hingabe an sie Freude machen, tausendmal größere Seligkeiten den erfüllen,
der sich dem hingibt, der alle diese Dinge und Kreaturen schuf.
Jesus nannte seine Jünger selig, weil sie gelernt hatten, mit den inneren Augen zu sehen. Eigentlich
müßten wir noch seliger sein als die Jünger, vermögen wir doch mehr von Christus wahrzunehmen
als sie. Denn sie sahen den leidenden sterblichen Menschen vor sich, während wir, nach innen
blickend, um den ewigen Christus wissen als den Quellgrund der ewigen Seligkeit unserer Seele.
Was dem Menschen, der zu dieser Erkenntnis gelangen möchte, nottut, ist das Entwerden seiner
Nichtheit mit allem, was er und wer er aus seiner Ichheit ist. Denn nur, wer sein Ich fahren läßt,
gelangt zum Nicht-Ich, zu dem Einen, das nottut, weil es alle Not wendet und endet. Wer dieses
Eine erlangt, der hat alles erlangt – nicht einen Teil, sondern das Ganze.
Das ist keineswegs in dem Sinne gemeint, wie etwelche demütig von ihrer Nichtigkeit sprechen, als
ob sie die Stufe des Ich-Entwordenseins schon erreicht hätten; denn bei diesen ist das Ich in
Wirklichkeit so aufgebläht und so groß wie ein Palast. Sie wollen in Wahrheit groß scheinen und
täuschen damit die Menschen, am meisten aber sich selbst; denn ihr Selbst ist es, das dabei
zurückbleibt.
Wenige nur wissen von diesem tiefsten Grund jenseits des Ich. Denn er ist weder mit dem Verstand
noch mit der Vernunft auszuloten. Jedoch kann stete Nach-Innen-Wendung und Versenkung dorthin
führen; ständige Übung kann den Menschen zuletzt wesentlich und fähig machen, sich vom Ich zu
lösen und in sein Nicht-Ich zu entsinken.
Wer aber solche Übungen und Versenkungen für das Wesentliche hält, als wären sie um ihrer selbst
willen da, der würde besser nichts tun und sich im Nicht-Tun gänzlich in sein innerstes Nichts
lassen, in das Nicht-Ich, das jenseits von allem ist, was er an sich, seinem Ich, an äußeren und
inneren Tugenden und Vermögen wahrnimmt.
Es gilt, dem äußeren Menschen, dem Ich, zu entwerden. Was liegt denn am äußeren Menschen?
Sieh, woher er kommt und wer er ist: eine aus vergänglichen Wesen hervorgegangene, dem Leiden,
Vergehen und Verwesen unterworfene Form. Keine noch so edle Speise kann diese flüchtige Form
haltbarer machen: sie zergeht in ihr und ändert nichts an ihrer Unzulänglichkeit und ihrem
schließlichen Tode.
Und wie das eigene Werden und Vergehen ist auch das der Welt und der Dinge dem äußeren
Menschen leidvoll. Bald hat er Hunger, bald Durst, bald ist ihm zu kalt, bald zu heiß, heute wohl
und morgen weh. Heute quält ihn der Verlust der Dinge und morgen das Schwinden der Gesundheit.
Er ist schlechter daran als Tiere, denen das Kleid wächst je nach der Wärme oder Kälte. Er ist so
bedürftig, daß er sich der Kleider der Tiere bedienen muß, um sich vor der Unbill der Witterung zu
schützen, und selbst ihre Leiber müssen ihm noch zur Nahrung dienen.
Versteht Ihr nun, warum die Heiligen vor Zeiten traurig waren, wenn es zum Essen ging, und sich
freuten, wenn es zum Sterben ging?
Doch blicke weiter auf Dein Ich, wohin es Dich führt: Wendest Du Dich gern nach innen? Betest
Du gern? Blickst Du gern auf Gott?
Gilt nicht vom Ich, was Paulus beklagte: "Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; und das Böse,
das ich nicht will, das tue ich." Wie vielen Verlockungen folgt das Ich und wie wenig lernt es aus
den leidvollen Folgen, die daraus entstehen und es zum Nicht-Ich hinweisen und hinleiten sollten!
Aber selbst wenn es das erkennt und den Weg nach innen einschlagen will, kommen die Menschen
mit raschen und klugen Worten, als ob sie Apostel wären, beweisen ihm, wie falsch er handelt, und
ziehen ihn in die Welt und die Ichheit zurück.
Wieviel besser wäre es aber gerade dann, in den eigenen Seelengrund zu entsinken und der Ichheit
zu entwerden, um des höchsten und einzigen Heils inne zu werden: des Nicht-Ich. Aber wie wenige
wollen und tun das! Die meisten möchten nicht ihr bequemes Dahinleben aufgeben, nicht das
Erreichte verlieren, nicht auf die Befriedigung ihrer Sinne verzichten, nicht den Genuß der Ichheit
entbehren. Darum bleiben sie lieber, was sie sind.
Solche Menschen mögen wohl zu hohen Erkenntnissen gelangen und von göttlichen Dingen reden,
als hätten sie diese schon gewonnen und erkannt; aber in Wirklichkeit haben sie noch keinen Schritt
aus der Ichheit heraus und zum Nicht-Ich getan. Sie sind noch nicht in den Grund gelangt, wo die
lebendige Wahrheit ist; denn dorthin findet nur, wer mit seiner Ichheit im Nicht-Ich entwird.
Dorthin weist uns Christus, wenn er uns mahnt: "Werdet wie die Kinder", die alle Dinge nach ihren
Bedürfnissen nützen, nicht zur Befriedigung ihrer Ich-heit.
Je kleiner und geringer unser Ich wird, je mehr es dem Tal gleicht dort, es am tiefsten ist, wohin alle
Wasser fließen und wo es am fruchtbarsten ist, desto leichter entsinkt es völlig in den göttlichen
inneren Abgrund und entwird da im Nicht-Ich.
Eben weil er sich tief macht, sinkt der geschaffene Grund immer weiter in den ungeschaffenen
Abgrund Gottes hinein. Und im gleichen Maße zieht er, im Entwerden, durch sein Nichtsein den
ungeschaffenen Abgrund der Gottheit in sich hinein. So fließt ein Abgrund in den anderen und
entsteht da ein einig Eines.
Das ist das Nicht-Sein, von dem Dionysius sagt, daß Gott alles das nicht ist, was man, in der Sicht
des Ich, nennen, verstehen und begreifen kann: Er ist ein überseiendes Nicht-Ich und Nicht-Sein.
Die Augen, die so sehend geworden sind, daß sie dessen gewahr werden, die sind selig.
Daß wir alle dessen inne werden, dazu helfe uns Gott!

AUS DEM GEISTE LEBEN

"So wir aus dem Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln." Gal. 5; 25 f.
"So wir aus dem Geiste leben, sollen wir auch wandeln im Geiste und unser Wirken nicht vom
Verlangen nach eitlen Ehren bestimmen lassen, nicht untereinander zürnen und hassen, sondern
einer des andern Last tragen. Denn wer da wähnt, daß er etwas sei, da er doch nichts ist, der betrügt
sich selbst. Also prüfe jeder sein Tun und suche seine Vollendung in sich und nicht durch andere."
Diese Worte sprach Paulus. Sie sind allesamt bedeutsam. Das wichtigste Wort aber ist das erste vom
Leben aus dem Geiste. Denn wie unsere Seele das Leben unseres Leibes ist und der Leib von der
Seele lebt, so ist der Geist das Leben der Seele und die Seele lebt vom Geiste.
Und Paulus fügt hinzu: Wenn wir aus dem Geiste leben, sollen wir auch im Geiste wandeln. Hier ist
dreierlei Wandel zu unterscheiden: der erste Wandel ist der äußere; er betrifft uns selbst und unsere
Nächsten. Der zweite Wandel ist gestaltet nach dem Vorbild Christi. Der dritte Wandel ist
unbildlich.
Für den ersten Wandel gilt das Wort, daß unser Denken und Wirken nicht vom Verlangen nach
eitlen Ehren bestimmt sei. Wie die weltlich Gesinnten mit allem Fleiß nach Ehren und Gewinnen
trachten, sieht man alle Tage. Sie wandeln nicht im Geiste, sondern sind sich selber und Gott fern.
Aber es gibt auch andere, die gebärden sich geistig; doch ihr Herz ist weltlich und meint in allen
Dingen ihr Ich: in Stand und Kleidung, in Freundschaft und Gesellschaft. Auch die wandeln nicht
im Geiste und sind Gott ferner, als sie ahnen.
Dieser Wandel, bei dem man von geistigen Dingen und von Gott spricht, aber das Ich meint,
schleicht sich so leicht in alle guten Weisen und Worte, Gedanken und Werke ein, daß man auf der
Hut sein und Gott bitten muß, daß er einem zum rechten Wandel verhelfe.
Das ist, was uns selbst betrifft. Aber der rechte Wandel gilt auch im Blick auf unsere Nächsten: Wir
sollen friedlich gesinnt sein, nicht zürnen und hassen" nicht über andere urteilen und herfallen,
sondern ihnen mit Sanftmut, Güte und Liebe begegnen. Daran, wie weit es einer hierin bringt,
erkennt man, wie weit er aus dem Geiste lebt.
Hier prüfe jeder sein Verhalten und seinen Wandel, ob er bei allem bedenkt, daß wir alle ein Leib in
Christo sind und uns untereinander lieben, uns mit Sanftmut, Geduld und Güte begegnen und einer
des andern Last tragen sollen. Achten wir darauf, wie unser Wandel und Handeln dem Nächsten
gegenüber ist, daß wir nicht Gottes Tempel in ihm zerstören!
Der zweite Wandel, den wir pflegen sollen, ist nach dem Vorbild Christi gestaltet. Das sollen wir uns
wie einen Spiegel vorhalten, damit wir unser Denken und Handeln nach unserem Vermögen danach
richten.
Wir wollen bedenken, wie geduldig, sanftmütig, gütig, schweigend, getreu, milde, gerecht und
wahrhaftig seine immerwährende Liebe ist. Dies sollen wir in Gebet und Meditation bedenken und
Gott bitten, daß er uns helfe, dem gleichen Wandel zu folgen, damit alles ihm Ungleiche und
Ungemäße von uns abfalle.
Zu dieser Einkehr und Angleichung muß Gott uns helfen, und darum sollen wir ihn täglich bitten
und darauf achten, daß, wenn Gott uns dazu ermahnt, wir alles Hindernde lassen und dem Willen
Gottes folgen.
Dieses innere Gebet dringt zum Himmel, und dann wird es uns leichter, in unserem Wandel dem
Vorbild Christi zu folgen. Wer das tut, der wird nicht klagen, er werde darin behindert; wenn er
beten wolle, schlafe er ein, wenn er auf Antwort warte, bleibe die Erleuchtung aus. Denn das ist nur
möglich, solange er in allem das Seine sucht, seinem Ich folgt und nicht Christo.
Nein, wir sollen in nichts Ichhaftem Lust und Befriedigung suchen, sondern uns von allem Äußeren
unbehaftet und unbeschwert ganz nach innen wenden, in unseren Seelengrund einsinken, wo wir
dem Ich nach ein Nichts sind. Wer sich so enticht und erneuert, der wird erhöht werden.
Manche sind so hab- und genußsüchtig, daß Gott ihnen den Reichtum nehmen muß. Wären sie
gelassen, würde ihnen der Reichtum nicht genommen, vielmehr würde er noch zunehmen. Das ist
die Frucht rechten Wandels im Geiste, daß er frei macht vom Hängen an dem, was nicht Gott ist.
Der dritte Wandel ist unbildlich. Das ist ein steiler, finsterer und einsamer Pfad. Hier werden Frauen
zu Männern; denn hier tritt der äußere Mensch zurück und der innere hervor. Er weiß nicht, wohin
der Weg ihn führt, sieht sich in Dunkelheit und Bedrängnis, muß durch beides hindurch – Wissen
und Nichtwissen – und wie ein Schütze, der nur noch das Ziel sieht und sonst nichts, Gott im Auge
behalten und nichts sonst.
Wenn er auf diesem engen Pfade zu den zwei Felsen ,Wissen' und ,Nichtwissen' kommt, soll er sich
an keinen von bei den anlehnen und stützen, sondern mitten hindurch schlüpfen und weiter
schreiten.
Gleichermaßen soll er, wenn die beiden Felsen ,Sicherheit' und ,Unsicherheit' nahen, sich nicht an
ihnen aufhalten, sondern mitten hindurch schreiten. Und ebenso soll er den Spalt zwischen den
Felsen ,Friede' und ,Unfriede' in rechter Gelassenheit durchschreiten, und endlich auch die Felsen
,Zuversicht' und ,Furcht'.

Keinen Blick soll der Mensch zur Seite tun, sondern auf dem Wege bleiben.
Das heißt: bei den Felsen, Wissen' und ,Nichtwissen' soll er durchaus wissen, woran er ist und
womit er umgeht, vor allem aber, wer er selbst ist. Denn es ist eine Schande, wenn der Mensch alle
möglichen Dinge kennt, von sich selbst aber nichts weiß. Und das Nichtwissen soll er fassen nach
seinem innersten Grund, den kein Wissen erreicht, und sich nicht beirren lassen.
Denn in beiden kann man abirren, durch beide vom Wege abkommen: das Wissen kann den
Menschen überheblich machen, das Nichtwissen ihn entsetzen. Darum gilt es, von beiden unbeirrt
hindurch und weiter zu schreiten.
Entsinke in Dein Nichts, halte Dich an Dein Nicht-Ich, den Geist, und hüte Dich vor Zweifel und
Verzweiflung, die so manchen sich rückwärts wenden und umkehren lassen in der Meinung, es sei
unmöglich, weiter zu kommen.
Gerade dann gilt es, nicht rückwärtsschauend stehen zu bleiben, sondern im Vertrauen auf den Geist
gelassen weiter zu schreiten. Wo das geschieht, geht es schnell voran.
Hier ist wiederum dreierlei zu beachten: Das erste und entscheidende ist, daß wir uns lassen und
Gott gelassen in uns wollen und wirken lassen. Dann leben wir aus dem Geiste.
Das zweite ist, daß wir mit unserem ganzen Gemüt Gott zugekehrt sind und bleiben und in allem
Denken und Wollen mit dem Willen Gottes in uns eins sind. Dann wandeln wir im Geiste.
Das dritte aber ist, daß wir uns hüten, uns durch irgendetwas, das nicht Gott ist, ablenken zu lassen,
errege es Wohlgefallen oder Furcht; denn sonst werden wir auf dem schmalen Pfade zwischen den
Felsen festgehalten, hängen zwischen Bildern und Bildlosigkeit und stürzen in große Bedrängnis
und Finsternis.
Diese Bedrängnis hat manche nach Rat und Hilfe Ausschau halten lassen in Kirchen und Sekten, bei
Meistern und Geistern. Aber je mehr sie suchten, desto weniger fanden sie. Andere wenden sich
wieder der Welt zu, weil sie diese Bedrängnis nicht ertragen konnten und nicht durchhielten, und
kommen dann wieder weit zurück bis an den Anfang des Weges.
Jene aber, die in dieser Finsternis und Verlassenheit gelassen durchhalten und aller Ichheit und allen
Bildern entwerden, die erreichen das Ziel der Nachfolge und gelangen zum Gipfel.
Und worin besteht das Ziel, das sie erreichen? Es besteht darin, daß in der Mitternacht der
Finsternis das göttliche Licht wie ein Blitz aufbricht und die Liebe Gottes unmittelbar gewiß wird:
In diesem strahlenden Licht aus dem innersten Grunde wird ihnen alles aufgetan und gewiß, und die
verborgene Weisheit wird sichtbar:
Sie sehen sich auf dem finsteren schmalen Pfad vom Geiste geleitet und ins Licht gebracht, in dem
alles Warten und Leiden ein Ende hat. Und sie entsinken in seliger Gelassenheit in den innersten
Grund; und je tiefer und unergründlicher die Versenkung ist, desto inniger und vollkommener
nimmt sich Gott ihrer an und wirkt durch sie sein Werk.
Daß wir alle diesen schmalen Weg durch die Finsternis gehen, bis das Licht in uns aufbricht, dazu
helfe uns Gott!

SELIGKEIT DER GOTT-VERBINDUNG

"Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist
leicht." Matth.11;29 f.
Christus, das ewige Wort, sagt: "Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht." Dem widerspricht
der nach außen gerichtete Mensch, der sich von der Natur treiben läßt. Er meint, Gottes Joch sei
hart und seine Last schwer. Und doch muß das Wort wahr sein, denn die ewige Wahrheit hat es
gesagt.
Ein ,Joch' nennt man ein Ding, das man mühsam nach sich zieht; doch sein ursprünglicher Sinn ist:
Gebundensein an oder Verbundensein mit etwas. Und eine ,Last' nennt man etwas, das einem
aufgeladen ist und durch sein Gewicht schwer drückt und bedrückt.
Sinnbildlich meint das ,Joch' den inneren Menschen und die ,Last' den äußeren. Der lichte innere
Mensch ist aus dem strahlenden Urgrund der Gottheit hervorgegangen und nach dem lauteren Gott
gebildet, und er fühlt sich auch wieder dorthin geladen, gerufen und gezogen, damit er alles Guten
teilhaftig werde.
Wie nun Gott im innersten Seelengrund seinen Gottesgrund gelegt und dort verborgen hat – selig
der, der das findet, schaut und erkennt! Denn obwohl der Mensch sein Antlitz von dort weg und
nach außen gekehrt hat und irregeht, spürt er doch ein ewiges Locken und Neigen und
Gezogenwerden nach innen. Und er findet keine Ruhe, soviel er sich dem auch entzieht; denn alle
anderen Dinge können ihm keine Befriedigung geben außer diesem einen: dies drängt und zieht ihn
ohne sein Wissen – in sein Allerinnerstes. Hier ist sein Ziel.
Jedes Ding hat seine Heimstatt: der Stein auf der Erde, die Seele in Gott.
Wem ist nun dieses Joch, diese Bindung sanft und angenehm?
Nur dem Menschen, der sein Antlitz, sein Gemüt und sein Werk von den äußeren Dingen und
Kreaturen ab- und nach innen gewendet hat.
Die Seele steht zwischen Zeit und Ewigkeit: wendet sie sich der Zeit zu, so vergißt sie die Ewigkeit;
werden ihr die Dinge fern und entrückt, so sind sie, wie alles Ferne, klein und nichtig; und im
gleichen Maße wird Gott mit seinem Licht der Seele sichtbar.
Der vollen Seligkeit der Gott-Verbindung aber wird die Seele nur teilhaftig, wenn sie sich gänzlich
den Dingen und den Bildern der Dinge entzieht. Denn wie edel diese Bilder auch sein mögen, sie
bilden ein Hemmnis für das Sichtbarwerden des Bildners, der Gott ist. Wer nicht nach der
Entbildung von allem Äußeren trachtet, erkennt nicht das Verbundensein seiner Seele mit Gott und
gelangt nicht zum Einssein.
Wer sich nicht mindestens einmal am Tage nach innen wendet und in den Seelengrund einsenkt – je
nach seinem Vermögen –, der lebt nicht als rechter Christ und Nachfolger Christi. Die ihm aber
Raum geben, sich der Bilder begeben und sich Gott hingeben, so daß sein Licht sich in ihre Seele
ergießen kann, denen ist das göttliche Joch – das Bewußtsein ihres Verbundenseins mit Gott – über
alle Maßen beseligend, und alles äußere ist ihnen unwesentlich.
Daß die äußeren Dinge und Bilder Dich hindern, rührt daher, daß sie Deine Ichheit stärken. Wärest
Du der Bilder und der Ichheit ledig, könntest Du ein Königreich besitzen, ohne daß es Dir schadet.
Sei darum ichlos, gierlos und bildlos, daß nichts Äußeres in Dir zu haften und Dich zum Gieren und
Haften zu verlocken vermag, dann werden Dir alle Dinge dienen, ohne Dich zu binden. Und das
göttliche Licht wird in Dir strahlen, Dein Wesen mit dem göttlichen Willen erfüllen und Dich über
alle Erdendinge und – Bedingungen erheben.
So gänzlich wirst Du mit Gott verbunden sein, daß die äußeren Dinge in ihrer Kleinheit und
Nichtigkeit Deinem Blick entweichen und die ewigen Dinge, die inwendig sind, ob ihrer Nähe groß
vor Dir stehen und Dich mit ihrer Seligkeit erfüllen. Das meint Christi Wort: "Mein Joch ist sanft."
Und nun nehmen wir das andere Wort: "Meine Last ist leicht."
Unter der ,Last' wird der äußere Mensch verstanden, der dem Vergehen und Leiden unterworfen ist.
Aber wo sind die Seligen, denen diese Last leicht ist? Die meisten wollen nicht leiden, sondern
wehren sich gegen jede Widrigkeit und müssen sie doch entweder erleiden oder sich lassen lernen.
Wie sollen wir leiden? Wie man wohl einem lieben Menschen sagt: "Ich mag Dich leiden", so
sollen wir alles, was kommt, als von Gott zu unserem Besten gewirkt erkennen und leiden, also
willig hinnehmen.
Ob wir Gut oder Ehren verlieren oder Besitz und Ruhm erlangen, Freunde gewinnen oder sterben
sehen, diese Dinge und unsere eigenen Gebrechen und Leiden, die uns leid sind und die wir nicht zu
überwinden vermögen, die sollen wir Gott gelassen anheim geben und uns mit Gottes Willen eins
wissen, im Haben wie im Darben, und die Dinge nehmen und Gott wieder zurücktragen in rechter
Abgeschiedenheit und mit einem steten In-uns-selbst-Bleiben, und dabei immer wieder unserer
Ichheit entwerden und uns gänzlich in den Gottesgrund einsenken.
Wenn wir all dies tun und darin beharren, werden alle Lasten des äußeren Menschen und Lebens zu
einem Nichts und so leicht, daß sie uns, welche Bürde uns auch auferlegt würde, zur Freude
werden. Denn Gott trägt ja die Last, während wir selbst frei sind: wir sind aus allem Äußeren
ausgegangen, haben es und uns selbst gelassen, und im gleichen Maße ist Gott in unser Tun und
Lassen eingegangen und wirkt durch uns.
Daß der lichte Gott so in uns wirke, daß sein Joch sanft und alle Last uns leicht werde, dazu
verhelfe uns Gott!

VOM WIRKEN GOTTES IN UNS

"Die, welche der Geist Gottes bewegt und treibt, die sind Kinder Gottes." Röm. 8; 14
Alle Werke, die wir Menschen von uns aus seit je getan haben, heute vollbringen und künftig
vollenden, wie groß sie auch seien, sind allesamt nichts gegenüber dem geringsten Werk, das von
Gott in den Menschen gewirkt wird.
Der Geist Gottes kommt oft in den Menschen und mahnt und treibt ihn in seinem innersten
Seelengrund oder spricht durch das Wort erleuchteter Menschen zu ihm: "Wenn du dich mir lässest
und mir folgst, werde ich dich auf den rechten Weg weisen und in dir und durch dich wirken."
Doch wie wenige sind es, die auf den inneren Ratgeber hören und ihm folgen.
Die meisten bleiben bei ihren eigenen Meinungen und Weisen, ihren äußeren Ansichten und
Werken, und hindern eben dadurch das Erwachen der Einsicht und das Wirken des Geistes Gottes,
so daß sie sein Wort nicht vernehmen und seinem Einwirken verschlossen und unzugänglich
bleiben.
Warum? Wenn man das innere Wort vernehmen und verstehen will, muß man zuvor stille sein,
schweigen und horchen. Soll Gott in uns sprechen, müssen die Dinge um uns schweigen. Soll Gott
in uns wirken, müssen wir ihm in uns Raum geben, uns ihm lassen. Es kann nicht beides zugleich
wirken: eines muß tun und der andere lassen.
Damit meine ich nicht, daß sich junge, starke und noch unerfahrene Menschen nicht im Wirken
üben sollten: sie müssen ihre inneren und äußeren Kräfte betätigen und erproben, um reifer zu
werden. Sondern ich meine die reiferen, fortgeschrittenen und erfahrenen Menschen, die gern
Gottes Kinder sein, ihrer Gotteskindschaft lebendig bewußt werden und aus dem Geiste leben
möchten: deren Weise muß anders sein als die der noch unerfahrenen Anfänger, die noch nichts
vom Wirken Gottes in ihnen wissen.
Wenn wir einen Blick auf die Welt tun, sehen wir, daß die meisten Menschen Gott fern sind. Andere
sind da, die das, was sie im Dienste Gottes wirken, nur unwillig, aus Furcht oder aus Zwang tun.
Noch andere dienen Gott um ihrer Pfründe und des Verdienstes wegen: würden diese ihnen nicht
zuteil, sie würden sich von Gott ab und ganz der Welt zuwenden.
Alle diese sind Gott in Wirklichkeit fern und, mögen sie auch von Gott reden, ihrer
Gotteskindschaft noch unbewußt. Denn sie meinen mit allem, was sie tun und lassen, nur sich
selbst, ihr Ich, nicht Gott.
Neben ihnen aber gibt es die Kinder Gottes, und zwar sind das jene, die mit allem, was sie nach
ihren eigenen Weisen und Satzungen an äußeren und inneren Werken tun, Gott meinen und suchen.
Und schließlich gibt es jene erwachten Kinder Gottes, von denen Paulus spricht, die sich selbst
lassen, Gott durch sich wirken lassen und vom Geiste Gottes bewegt und getrieben werden. Auf
zweierlei Weise geschieht, wie Augustinus sagt, dieses Treiben und Wirken:
"Die eine Weise ist die, daß der Mensch zu allen Zeiten vom Geiste geordnet und bewegt wird, das
heißt, daß ihn der Geist allezeit mahnt und treibt und zum rechten Leben anleitet. Das wirkt er in
denen, die ihm in sich Raum geben, damit sie ihm folgen.
Die andere Weise, die der Geist Gottes mit seinem Wirken in den Seinen vollzieht, ist die, daß er sie
plötzlich über alle Weisen und Wege hinweg mit einem Ruck in einen viel höheren Grad, über alle
ihre Werke und Vermögen hinaus zu einem höheren Ziel empor reißt. Dies sind die eigentlichen
"Kinder Gottes."
Allerdings wagen es viele Menschen nicht, sich so ausschließlich auf Gottes Wirken zu verlassen
und sich ihm gänzlich zu überlassen; sie verlassen sich lieber auf ihr eigenes Wirken. Und merken
nicht, daß sie damit das Gute, das sie wirken könnten und wirken sollten, verfälschen durch
unmerklich zunehmendes Behagen an der eigenen Kraft und Wirksamkeit, durch das Wachsen ihres
Selbstgenusses und Eigenwillens, ihrer Ungelassenheit, Habesucht und Ichgebundenheit.
Nun mahnt sie zwar der Geist Gottes in ihnen: "Vertraue mir und folge mir, dann werde ich dich auf
den rechten Weg führen!" Wie weise und gut wäre es, würden sie auf solche Mahnung hin sich
lassen, den Weisungen des Geistes folgen und ihn durch sich wirken lassen.
Aber leider folgen sie dem inneren Rat nicht, sondern bleiben bei ihren äußeren Weisungen und
Übungen und verharren in ihrem Eigenwillen.

Das möge nicht falsch verstanden werden: gute Weisen und Übungen soll man durchaus pflegen –
aber nicht aus Eigenwillen und im Blick auf das Ich, sondern man soll mit ihnen auf den Willen
Gottes hinzielen und lernen, ihn durch sich wirken zu lassen.
Wer das unterläßt, der gleicht mit seinem ich-geborenen Eigentun einem Baum voll schön
aussehender Früchte, die aber alle abfallen, bevor sie ausgereift sind, weil sie trotz ihrer schönen
Außenseite innen wurmstichig sind.
Das will uns mahnen, darauf zu achten, daß unser Inneres bis auf den Grund unserer Seele auf Gott
gerichtet ist, damit unsere Werke zur Vollendung finden und nicht schönen, aber wurmstichigen
Äpfeln gleichen.
Es genügt nicht, daß wir uns auf geistige Übungen, Gebete und Meditationen, also auf die Früchte
unseres Wirkens verlassen; denn dann besteht Gefahr, daß wir innerlich wurmstichig werden,
einerlei, ob wir nun ein tätiges oder ein beschauliches Leben führen, einerlei auch, welche Früchte
wir hervorbringen bis zu den höchsten Kräften und Erleuchtungen – wenn wir nicht auf den Grund
achten, laufen wir Gefahr, daß alle Früchte unseres Eigenwirkens sich am Ende als wurmstichig
erweisen.
Blicken wir auf das Nächstliegende und Geringste: da gibt ein Mensch Almosen und vollbringt
Werke der Nächstenliebe. Ist es ihm dabei nicht gleich, ob die Welt es erfährt und anerkennt, so sind
die Früchte seines Wirkens wurmstichig. Und gleichermaßen, wenn er betet, um als frommer
Mensch zu gelten. Alle, die so gesinnt sind, haben, wie Christus in der Bergpredigt sagt, "ihren
Lohn dahin", weil sie bei all ihrem Menschen- und Gottesdienst auf ihr Ich und seinen Vorteil
blickten und darum im Grunde nichts gewirkt haben.
Das sage ich nicht von mir aus, sondern verweise auf die Worte Christi, mit denen er uns wieder
und wieder mahnt, nicht den Heuchlern zu gleichen, die mit Fasten und Beten, Gerechtsein und
Almosengeben gesehen werden wollen, sondern in die Stille zu gehen, uns mit allem, was wir sind,
haben und tun, zu lassen und Gott in uns wirken zu lassen.
Hier nun gibt es vier Weisen, durch die unser Tun gegen Wurmstichigkeit gesichert bleibt:
Die erste besteht darin, daß der Mensch seine Werke weder um seiner noch um ihrer selbst willen
tut, sondern alle – innen wie außen – nur im Blick auf Gott vollbringt und ihn allein dabei im Sinn
hat.
Die zweite ist, daß der Mensch ein Gott und allen Mitgeschöpfen gleichermaßen aufgeschlossenes,
gelassenes und hingegebenes Gemüt habe, sich niemandem widersetze und willig jedem zu
Diensten sei.
Die dritte ist, daß der Mensch der Nichtigkeit, der Nichtheit seines Ich bewußt ist, alles, was vom
Ich kommt, als wesenlos erkennt und wertet und nur das als gut und wichtig erachtet, das Gott ihn
zu tun treibt.
Die vierte ist, daß er sich allezeit in schweigender Nach-Innen-Wendung dem Wollen und Wirken
Gottes offen hält und stets darauf bedacht ist, nichts zu tun, was nicht dem Willen Gottes entspricht
und entspringt.
Wer diese vier Weisen beachtet, der darf gewiß sein, daß an seinem Lebensbaum gute Früchte
hängen, die auch bei Unwetter und Sturm nicht wie die wurm-stichigen abfallen und verfaulen,
sondern im Augenblick des Reifseins willig und gelassen hingegeben werden.
Das meint das Wort, von dem wir ausgingen: "Die, welche der Geist Gottes bewegt und treibt, die
sind Kinder Gottes." Es sind jene, die ständig darauf achten, daß sie in allem dem Geiste Gottes
folgen, seinem Wort gehorchen, aus dem Geiste leben und sich, im Geiste wandelnd, als Kinder
Gottes erweisen. Sie erfahren, wie Gott durch sie wirkt, ihnen neue Gaben gibt, sie göttliche
Weisheit gewinnen und Werke vollbringen läßt, die alle Menschenweisheit und alles Menschenwerk
weit übersteigen.
Wenn ein Mensch nur ein Jahr hindurch nichts anderes täte, als hierauf zu achten, so wäre dieses
Jahr besser angewandt als alle vorangegangenen, mag er in ihnen auch aus eigenem Vermögen noch
so großes vollbracht haben. Denn mit Gott zusammen erreicht man das Höchste, weil solch Wirken
Gottes Werk ist und nicht des Menschen.
Von einem solchen Menschen fällt alles äußere Wirken ab, und doch hat er immer noch Werke
genug – inwendig – zu tun, und größere denn je. Es ist nicht zu ermessen, mit welcher Liebe Gott in
dem Menschen wirkt, der ihm derart in sich Raum gibt und sich ihm gänzlich überläßt.
Solch ein Gott gelassener Mensch war Timotheus. Die Schüler des Heiligen Dionysius wunderten
sich darüber, daß Timotheus im Vergleich zu ihnen so unermeßlich zunahm und sie alle weit
übertraf, obwohl sie doch alle ebenso viele gute Werke taten wie er.
Der Meister antwortete ihnen, das käme daher, daß er ein gott-gelassener Mensch sei, der so tief in
den Grund des eigenen Nichtseins, des Nicht-Ich, entsunken sei, daß er sich auch Gottes Werke
nicht anmaße, sondern Gott das Seine lasse.
Daß wir alle zu solchem Lassen und Gott-wirken-Lassen gelangen, dazu helfe uns Gott!

VOM AUFNEHMEN CHRISTI

"Mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank." Joh. 6; 55
Alle Übungen und Gaben sind Wege und Mittel zur rechten Bereitung, daß wir in Gott kommen und
Gott in uns wirke.
Diese Gabe aber, daß wir "Christi Fleisch essen und sein Blut trinken", ist das Ziel und der Lohn;
denn darin gibt er sich selbst dem Menschen unmittelbar und vereinigt sich hier mit dem Menschen
einfaltig und vollkommen.
"Mein Fleisch ist die wahre Speise, mein Blut der rechte Trank": die dies äußerlich, mit den Sinnen
nehmen als leibliche Speise, als Brot und Wein, die schmecken und wissen nichts vom wirklichen
Sinn des Abendmahls und von der Seligkeit der Einswerdung, die darin verborgen liegt.
Die Nahrung, die der äußere Mensch zu sich nimmt, ist tot und wird erst zu Leben im Menschen.
Die Speise aber, die der innere Mensch von Christus empfängt, ist lebendig, und wer sie in sich
aufnimmt, "der wird leben in Ewigkeit" (Joh. 6; 58).
Als diese Worte fielen, gingen viele, die Christum nachgefolgt waren, von ihm fort, weil sie seine
Worte nicht verstanden. Sie nahmen buchstäblich, was geistig gemeint war. Denn diese Speise
übersteigt alles den Sinnen Faßbare. Hier sind der Speisende und die Speise eins.
Doch es ist schwer, mit Worten von etwas zu sprechen, was über alles Verstehen hinausgeht. Nur
der innere Mensch, der ganz dem innersten lebt, vermag diese Speise zu schmecken und die Worte
zu verstehen, wenn er es auch nicht mit Menschenworten aussprechen kann.
Wer erfassen will, was es heißt, Christi Fleisch und Blut in sich aufzunehmen, der muß sich
abgeschieden und lassend, innerlich und einig halten.
Um dazu zu gelangen, müssen wir uns gewöhnen, auf unseren inneren Menschen zu achten und bei
allem, was wir tun, in uns hineinzusehen: bei jedem Werk, bei jedem Zusammensein mit anderen
Menschen sollen wir mit dem größten Teil unseres Wesens nach innen gewendet bleiben, und noch
mehr in den Stunden der Muße und des Alleinseins: da sollen wir erst recht mit allen Sinnen und
Kräften nach innen gesammelt und in den Seelengrund versunken sein. Denn hier ist es, wo die
lebendige Speise, ,Fleisch und Blut', d. h. Wesen und Geist Christi mit dem inneren Menschen
vereinigt wird, ihn gänzlich in sich zieht und in sich verwandelt.
Diese Vereinigung übersteigt alle Wandlungen, die der Mensch begreift. Denn hier ist der Geist über
alle Kreatürlichkeit hinausgehoben, geläutert und verklärt und so vollkommen über sich selbst und
seine Weise erhoben und von Gott durchdrungen, daß er alle Gleichheit und Ebenbildlichkeit mit
Gott verliert, zur Einheit gelangt und im Lichtmeer der Gottheit entwird.
Dies geschieht in der gleichen Weise, wie Feuer auf das Holz wirkt: zuerst entzieht es dem Holz die
Feuchtigkeit, macht es wärmer, hitziger und sich gleicher. Je näher das Holz der Gleichheit kommt,
desto mehr schwindet die Ungleichheit, bis schließlich das Feuer die Materie des Holzes löst und
das Wesen des Holzes mit dem Feuer eins und selbst zur Flamme wird. So verliert man in der
Einheit die Gleichheit.
Genau so zieht die göttliche Speise den Geist aus der Ungleichheit in die Gleichheit und aus dieser
in die Einheit:
Wenn die göttliche Glut im Feuer der Liebe dem Geist alle Ungleichheit, alles Gott Ungemäße
entzogen hat, verliert er sich in der Aufnahme des Wesens Christi gänzlich in der Gottheit, wie
Christus zu Augustinus sprach: "Wachse und nimm mich in dich auf, dann wirst du nicht mich in
dich verwandeln, sondern du wirst gänzlich in mich verwandelt werden."
Bevor dies geschehen kann, muß alles Kreatürliche an und in uns sterben. Aber welch fruchtbares
und seliges Leben wird in solchem Sterben geboren!
Schon bei der Aufnahme der leiblichen Speise muß alles, was wir genießen, sich selber sterben und
entwerden, ehe es in unsere Natur aufgenommen und ganz mit ihr eins werden kann. Da ist ein
immerwährendes Sterben.
Schon wenn sie in den Magen kommt, ist die Nahrung sich selbst so ungleich, daß ihre frühere
Form nicht mehr erkennbar ist, und noch mehr, wenn ihre Kraft von unserem Leibe aufgesogen und
zu einem Teil unserer selbst geworden ist.
Aber weit tiefer geht das Sterben und Entwerden, wenn unser Geist in göttlicher Einheit entwird
und sich darin so verliert, daß sein kreatürliches Sein nicht mehr zu entdecken ist.
Nach solcher Einswerdung sollte all unser Trachten gehen, und nicht nach dem, was weniger ist.
Wir sind zu unermeßlich großen Dingen geschaffen, berufen und eingeladen, und Gott will, daß wir
uns nicht mit Geringerem zufrieden geben und uns mit kleinen Dingen begnügen, sondern
erkennen, daß er sich uns mit seinem ganzen Wesen geben will. Darum sollen wir bei allem, was
wir empfangen, innerlich wach und aufgeschlossen sein und mit allen Sinnen und Kräften nach dem
Höchsten verlangen, nach Gott selbst, damit wir dem göttlichen Grunde immer näher und so immer
höher kommen.
Wie sehr schaden sich jene, die die göttliche Wahrheit und Wirklichkeit nur mit den Sinnen fassen
und alles buchstäblich und grobstofflich nehmen: sie bleiben zurück und es wird nichts aus ihnen.
Wie wenn die leibliche Speise im Magen bliebe und sich nicht weiter einfügte, so daß sie dem
Körper nur Beschwerden macht, so verhalten sich jene, die die göttliche Speise nur mit den Sinnen
aufnehmen und nicht mit dem Geist: sie empfangen nicht das höchste Gut, das Gott ihnen mit dieser
Speise geben will – nämlich ihn selbst. Sie begreifen nicht den Sinn des Sakraments und werden
nicht der Wandlung teilhaftig, in der Gott sich ihnen so wesentlich und vollkommen mitteilt, daß
der Speisende und die Speise eins werden.

Diese göttliche Gabe können wir alle Tage empfangen, so oft wir danach begehren. Für die, die zur
Vollkommenheit finden wollen, gibt es keinen kürzeren und sichereren Weg als den nach innen.
Nichts bereitet die Materie so gut dazu, daß sie zu Licht werde, als wenn sie dem Feuer genähert
wird und die Wärme mehr und mehr in sich aufnimmt: sie mag noch so naß und hart und steinern
sein, bleibt sie dem Feuer nah, dann wirkt dessen Glut auf sie, macht sie sich gleich und zieht sie
ganz in sich.
Ebenso mag ein Mensch noch so sehr von Sünden, Fehlern und Mängeln durchtränkt, verhärteten
Herzens oder steinernen Wesens sein – nähert er sich in steter Nach-Innen-Wendung dem göttlichen
Feuer in Andacht und williger Hingabe, soweit er es eben vermag, und bleibt er dabei, dann wird
sein dem Feuer so ungleiches Wesen durchwärmt, weicher und lichter und schließlich durchflammt,
feurig und göttlich werden.
Es gibt kein edleres Mittel völliger Durchgottung unseres Wesens als Gott selbst. Wie könnten wir
uns besser und vollkommener für ihn bereiten als durch ihn selbst! Wir können unsere
Unvollkommenheit, unseren ,alten Adam', unseren unzulänglichen äußeren Menschen, unser ganzes
Wesen nicht rascher zur Erneuerung und Wiedergeburt führen als dadurch, daß wir ,Christi Fleisch
essen und sein Blut trinken', d. h. sein ganzes Wesen in uns aufnehmen, uns von seinem Geiste
erfüllen, von seinem liebenden Herzen entflammen lassen und Teilhaber seiner Gottheit werden.
Der empfängt ihn ganz, der dabei sich selber entwird, sich ihm völlig hingibt und sich mit seinem
Willen eint: "Mein Wille ist, daß ich wohne in dem Menschen wie in meinem Herzen und meiner
Seele."
Das meint der heilige Thomas mit seinem Wort: "Alle Gnade, die Christus in die Welt brachte, da er
Mensch ward, die bringt er heute und allezeit mit seinem heiligen Leibe und Wesen jedem
Menschen", der ihn in sich aufnimmt und sich ihm eint.
Alle Meditationen und alle Versenkungen, die der Mensch von sich aus vornehmen mag, sind nichts
gegenüber dieser Gabe; denn sie mögen auf Gott zielen, hier aber ist Gott selbst. Hier wird der
verklärte Mensch gänzlich durchgottet, wie Gott einst zu Augustinus sprach: "Nicht ich in dich,
sondern du gänzlich in mich."
Alle Hindernisse, die diesem Empfang der göttlichen Speise und der Einswerdung entgegenstehen,
liegen im Menschen selbst:
Es sind die Dinge und Lüste, die sein Herz zerstreuen, seine Andacht vertreiben, seine Hingabe
verunmöglichen und Gott ihm unvertraut und fremd machen. Es ist die Neigung, mit mehr Liebe
und Befriedigung an den Kreaturen zu hängen als an Gott, so daß die Kreaturen, die vergänglichen
Genüsse und Güter ihn so ausfüllen und beschäftigen, daß für Gott keine Zeit und kein Platz mehr
ist.
Diese Neigung, immer mehr zu gewinnen und zu sammeln, zu besitzen und festzuhalten, ist tief im
Menschenwesen verwurzelt, einerlei, ob einer nun materielle Schätze sammelt oder Wissen und
Erkenntnisse: jeder sinnt, wie viel er sammle, und häuft um sich und in sich tausend Dinge auf, die
ihm Lust bereiten, sein Ich aufblähen und ihn eben dadurch in seinem Tun bestärken. Jeder sucht
Freundschaft, Kurzweil und Gleichgesinnte, die ihn ihrerseits in solchem Tun bestärken und ihn
immer weiter von sich selbst und von Gott wegführen.
Und da er keines von diesen Dingen lassen will und Gott und seine Gaben nicht wahrnimmt,
sondern sich an die Kreaturen und äußeren Dinge hält, zerrinnt sein Leben gleich einem Bach im
Wüstensand.
Aber der Mensch will das nicht sehen und nicht wissen, wie er daran ist. Er findet viele
Bemäntelungen seines geist- und gottfernen Treibens und beruhigt sein Gewissen: "Dies muß ich
noch haben" und "Das schadet mir nicht". Das sind mächtige Hindernisse, die der Mensch zwischen
Gott und sich errichtet. Was nützt es ihm dann, wenn er die göttlichen Gaben empfängt, aber
unempfänglich bleibt für ihr Wesen, für die Einströmung des verwandelnden göttlichen Lichts und
Feuers? Unempfänglich bleibt er, solange er mit dem, was er treibt, selbst bei bester Absicht, sein
Ich meint und sucht – nicht Gott.
Jene aber, die nicht heimlich mehr von sich als von Gott halten, sondern mehr nach innen als nach
außen gewendet sind, in der Selbstbesinnung ihre Gesinnung und ihren Seelengrund lauter und licht
finden und sich mit allen Sinnen und Kräften Gott zuwenden, davon nicht ablassen und ihm im
Haben wie im Darben gleichermaßen vertrauen, die empfangen seine Gaben, nehmen sie dankbar
von Gott entgegen und tragen sie wieder in ihn hinein.
In ihnen wirkt ,Christi Fleisch und Blut' die Verklärung, sie werden in Gott geboren und Gott in
ihnen. Weil sie nichts im Sinn haben als den Willen Gottes, werden sie gänzlich über sich selbst
erhoben, in Gott hineingezogen und mit ihm im Grunde vereint.
Welche Wunder vermöchten wir mit Gott zu wirken, wenn wir uns täglich auf uns selbst besönnen,
in uns selber ruhten und auf die göttlichen Gaben in uns achteten! Wir fänden das Reich Gottes in
uns und vermöchten alle Dinge.
Aber leider tun wir das nicht, sondern blicken, statt in uns hinein, aus uns heraus und eilen zu den
Dingen, die uns locken, bald zu diesen, bald zu jenen – und des Rennens und Umherirrens ist kein
Ende.
Daß wir dessen inne werden und innehalten, uns nach innen wenden und zu uns selbst finden, in der
Abgeschiedenheit und Stille des Innern die göttlichen Gaben empfangen, Christi Wesen in uns
aufnehmen und zur Einswerdung finden, dazu verhelfe Gott uns allen!

VOM GEISTIGEN GENIESSEN GOTTES

"Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm." Joh. 6; 56
Es ist wohl kein Wort so tief wie dieses und keines, das uns Gott so nahe bringt. Es besagt, daß wir
Gott wie Speise und Trank in uns aufnehmen sollen, damit er wie diese ganz in uns eingehe und wir
ganz mit ihm vereinigt werden.
Der Heilige Bernhard erläutert dies Wort so: "Wenn wir diese Speise essen, so werden wir
gegessen."
Wenn wir leibliche Speise zu uns nehmen, gelangt sie in den Magen, wird dort verdaut und
verwandelt und wird ein Teil unseres eigenen Fleisches und Blutes. Gleichermaßen ist es mit der
Speise Christi: wie die leibliche Nahrung in uns verwandelt wird, so werden wir, wenn wir
Christum in uns aufnehmen, in ihn verwandelt.
Denn diese Nahrung geht dem, der sie willig in sich aufnimmt, bis in den innersten Grund. Das
erkennt er daran, daß er Gott in sich findet und sich in Gott.
Um dazu zu gelangen, muß man – gleich der leiblichen Speise im Körper des Menschen – ganz sich
selber entwerden und zu einem Teil des göttlichen Lebens werden. Soll Holz Feuer werden, muß es
seiner äußeren Holzheit entwerden. Gleichermaßen: willst Du Gott werden, muß Dein äußerer
Mensch entwerden.
Christus vergleicht sich auch dem Brot, das vom Himmel kommt: "Wer dies Brot ißt, der wird leben
in Ewigkeit", wird Teilhaber des ewigen Reiches, des Reiches Gottes.
Wie die natürliche Nahrung im Entwerden ein Leben mit dem Menschen wird, so zieht die göttliche
Nahrung Dich gänzlich aus Dir selbst und erfüllt im Entwerden des äußeren Menschen, des Ich,
Deinen Seelengrund, bis er ganz durchchristet und Dein ganzes Wesen und Leben von Gott neu
gebildet, in ihm wiedergeboren ist.
Das ist der eigentliche geistige Sinn des Sakraments, daß, wenn wir Christum symbolisch – in der
Gestalt von Brot und Wein – zu uns nehmen, wir dessen bewußt sind, daß er zu unserer
Seelennahrung werden, sich ganz in uns einsenken und mit uns eins werden will, wie das alle Tage
unsichtbar geschieht.
Damit sich diese Wandlung, in der er in uns eingeht und wir in ihm entwerden, vollziehen kann, ist
dreierlei Voraussetzung: erstens, daß wir im täglichen Leben mehr und mehr seine Tugenden
annehmen und üben: Demut und Sanftmut, Willigkeit und Lauterkeit, Geduld und Barmherzigkeit,
Nächstenliebe und Schweigen.
Zweitens, daß wir uns dem Frieden Gottes in uns mit wachsender Willigkeit überlassen und
hingeben. Denn so weit und so viel wir in Frieden sind, so tief sind wir in Gott.
Drittens, daß wir uns selber in Gott entwerden und zu einem Tempel seines göttlichen Geistes
werden. Dann wirkt Gott alle Werke in uns; wir wirken nichts mehr aus uns selbst, sondern handeln
nur noch als Werkzeug des göttlichen Willens.
Dann ist Gott, wie der Heilige Ambrosius sagt, "unser täglich Brot": unsere geistige Nahrung, die
wir ständig zu uns nehmen und durch die wir am ewigen Leben teilhaben.
Um aber ganz von dieser Speise verwandelt zu werden, müssen wir uns selber entwerden mit allem,
woran wir mit unseren Sinnen haften, und müssen uns gänzlich lassen und hingeben, damit Gott in
uns werden und wirken kann.
Je unergründlicher unser Nichts, desto wesentlicher und vollkommener ist die Vereinigung. Würden
wir uns so gänzlich unserer Ichheit entziehen wie Jesus, so würde unser Einssein mit dem Vater so
vollkommen wie bei ihm: soviel Entwerden, soviel Werden! Soll Gott in uns sein Wort sprechen,
müssen alle anderen Stimmen und Kräfte schweigen. Es geht dabei nicht um ein Tun, sondern um
ein Nicht-Tun.
Aber gegen dieses Entwerden sträubt sich das Ich. Es will wissen, wozu, und will dabei beteiligt
sein. Sterben will es nicht. Darum schaut es um sich nach Hilfe aus, sucht bei äußeren Lehrern Rat
und folgt bald diesem, bald jenem Meister und begnügt sich lieber mit dem Sinnbild, dem äußeren
Sakrament, als mit dem Wesen.
Doch auf dem Wege nach innen, auf der oberen Stufe, ist alles hinderlich, was auf den unteren
Stufen noch weiter helfen kann. Denn mit allem Äußeren will und meint der Mensch noch sich, sein
Ich, und hindert eben dadurch Christum, sein Werk in ihm zu vollbringen.
Erst mit der völligen Nach-Innen-Wendung und Hingabe meint der Mensch Gott, und dann geht er
den Weg des Lassens und Entwerdens, auf dem er überformt und im Genießen Gottes ganz mit Gott
vereinigt wird.
Das bestätigt, der es erfahren hat, Paulus, mit seinem Wort: "Wir werden verklärt in das Bild Gottes
von Klarheit zu Klarheit durch den Geist Gottes."
Daß wir diese Verklärung und Verwandlung alle erreichen, dazu helfe uns Gott!

VOM GOTTESGRUND

"Ich beuge meine Knie vor dem, der der Vater aller ist, die im Himmel und auf Erden seine Kinder
heißen, daß er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch
seinen Geist in eurem inneren Menschen, daß Christus in euch wohne und ihr durch die Liebe
eingewurzelt seid, auf daß ihr die Breite, die Länge, die Tiefe und die Höhe begreift und die Liebe
Christi erkennt und erfüllt werdet mit der ganzen Fülle Gottes." Eph. 3; 14 f.
Als Paulus diese Epistel schrieb, war er gefangen und wünschte, daß seine Freunde darob nicht in
Sorge und Betrübnis geraten. Er wies sie auf den Weg der Gelassenheit; denn wer in rechter
Gelassenheit steht, der ist für alle Tugenden und Gaben Gottes und alles Gute jederzeit
empfänglich, während Betrübnis und Furcht Hindernisse auf dem Wege zu Gott sind: sie ersticken
das Leben, verlöschen das Feuer der Liebe und verdunkeln das Licht.
Darum sagt Paulus: "Freuet euch in dem Herrn aller Wege, und nochmals: freuet euch!"
Wenn Paulus sagt: "Ich beuge meine Knie", meint er damit nicht die des äußeren Menschen,
sondern die des inneren; denn diese zu beugen reicht tiefer als alle äußere Hinwendung zu Gott:
damit gibt sich der innere Mensch mit allen seinen Kräften und Gaben in die Hand und den Willen
Gottes im Bewußtsein der Nichtheit des Ich. Mit dieser seiner Nichtheit, seinem Nicht-Ich, gibt er
sich Gott völlig hin – durch Gelassensein, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung. Diese drei sind eins,
nämlich wahre Hingabe, und gelten dem dreifachen Wesen des Menschen:
Den äußeren Menschen gilt es, soweit man es vermag, mit Gelassenheit zu bezwingen und ihn
einwärts zu ziehen in den inneren Menschen, so daß der äußere nach den Weisungen des inneren
wirke und nicht nach den Wünschen und Begierden des Ich.
Wenn dann der innere Mensch in rechter freier Gelassenheit und Nicht-Anmaßung steht, halte er
sich in seinem lauteren Nicht-Ich, über sich im Nicht-Tun, indem er sich Gott läßt und Gott wirken
läßt.
Dann erhebt sich der innerste Mensch, der Geist, Christus, das göttliche Selbst im Seelengrund, und
kann sich in seinen Ursprung zurückwenden, in seine Ungeschaffenheit im Gottesgrund, wo er ewig
gewesen ist: da steht er bildlos und formlos in seiner Ungewordenheit, und da erfüllt ihn Gott mit
der Kraft und dem Reichtum seiner Herrlichkeit.
So groß ist die göttliche Fülle, daß von diesem Reichtum der innere Mensch ganz erfüllt,
durchlichtet und durchkraftet wird und selbst der äußere Mensch noch daran teilhat.
"Auf daß Christus in euch wohne": Während der äußere Mensch sagt: "Ich glaube an Gott, den
allmächtigen Vater", und ihn außer sich wähnt, weiß der innere Mensch um die lebendige
Gegenwart Gottes in ihm. Er weiß Christum in sich als den verborgenen innersten Menschen, als
das göttliche Licht, das um so heller leuchtet, je mehr es den inneren Menschen zu seiner Aufnahme
bereit und sich zugekehrt findet.
Alsdann strömt die Kraft Christi in ihn, Christus nimmt Wohnung in seinem Seelengrund, so daß
der Mensch bis in den Grund vom Geist der Liebe erfüllt und durchdrungen und mit seinem ganzen
Wesen darin eingesenkt ist.
Wo diese drei Tugenden – Gelassenheit, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung – walten und dies wirken,
da wird die Liebe so weit und allgewaltig, daß sie alle Wesen in sich schließt, allen helfen und alle
selig machen möchte.
Danach gilt es zu trachten: daß wir durch die Liebe eingewurzelt werden in den tiefsten Grund
unseres Wesens und mit ihm eins werden.
Je tiefer ein Baum wurzelt und gründet, desto höher, breiter und länger kann er wachsen.
Gleichermaßen wir: je tiefer wir in den Seelengrund eingesenkt und eingewurzelt sind, desto mehr
werden wir der Breite, Länge, Tiefe und Höhe des Gottgrundes inne:
Die Breite des Gottgrundes besteht darin, daß man sich seiner Gegenwart nirgends entziehen kann.
Wohin wir uns auch wenden, überall berühren wir den Grund.
Die Länge wird offenbar, wenn wir des Jetzt der Ewigkeit bewußt werden, in dem alles Vorher und
Nachher eins und aller Wandel unbewegte Ruhe ist.
Die Tiefe erfahren wir, wenn wir uns in unsere eigene Tiefe wenden und im Entwerden des äußeren
und des inneren Menschen ganz im Seelengrund entsinken. In dieser Entsinkung offenbart sich der
unergründliche Abgrund Gottes, dessen Tiefe kein geschaffenes Wesen und kein Engel auszuloten
vermag.
Ebenso unausmeßbar ist die Höhe Gottes, so daß, wenn auch die Seele in der Hingabe an Gott
gleichsam von Gott zu Gott erhöht wird und sie sich hoch über alle Kreaturen und Engel in die
Höhe der überwesentlichen Gottheit emporschwingt, Gott ihr doch so unbegreiflich hoch bleibt, daß
ihr alles winzig und nichtig wird, das nicht Gott ist. Hier ist sie über sich selbst und alles
hinausgeschritten.
Nun haben wohl manche im Zustand der Erleuchtung einen kurzen Blick hier hineingetan, aber es
ist nicht in ihnen geboren, weil man nicht ohne die vollkommene Verwirklichung der drei Tugenden
– gänzliche Gelassenheit, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung – dorthin gelangt.
Denen, die mit ihrem Wirken noch im äußeren Menschen stehen, bleibt der Seelengrund verborgen
und der Gottesgrund verschlossen. Wenn Gott ihren äußeren Menschen in den inneren ziehen und
sie zum Gelassensein und Lassen leiten will, sträuben sie sich mit allen Kräften, klammern sich
voller Angst an die äußeren Dinge und verharren in ihrer Ichheit, Anmaßung und Ungelassenheit.
Und dann wird nichts daraus.
In dem Menschen hingegen, der mit aller äußeren und inneren Tätigkeit und Übung auf diese drei
Tugenden zielt und zur Einsenkung in den innersten Grund bereit ist, kann die Geburt geschehen.
Denn er läßt sich, überläßt sich Gott und wartet, was Gott durch ihn will und wirkt – in
Gelassenheit, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung – ohne Eigenliebe, ich-entworden, in völliger
Hingabe seiner selbst.
Alsdann wird Christus im innersten Grunde der Seele geboren und mit ihm der Friede Gottes, der
alle Erkenntnisse übersteigt, und die ganze Kraft und Fülle der Gottheit.
Daß wir uns dazu recht bereiten und zu dieser Geburt gelangen, dazu verhelfe uns Gott!

VORBEREITUNG DER GEBURT GOTTES IN UNS

"Tretet her zu mir alle, die nach mir begehren, und werdet erfüllt von meiner Geburt." Jesus Sirach
24; 26
Die ewige Weisheit spricht dieses Wort: "Tretet her zu mir alle, die ihr nach mir begehrt, und werdet
erfüllt von meiner Geburt." Dies Wort bezieht sich auf Gott und leitet uns zu seiner Geburt, auf daß
wir ganz von der Seligkeit der Geburt Gottes in uns erfüllt werden.
Es heißt weiter: "Allen, die genügsam nach mir begehren, allen, die es wahrhaft danach verlangt,
daß diese Geburt geschehe, wird zuweilen ein Blicklein auf diese Geburt geschenkt." Damit wird
ihr Verlangen angefacht und angetrieben, noch mehr davon zu begehren und noch vollkommener
dieser Seligkeit teilhaftig zu werden. Und dann sagen sie mit Augustinus: "Herr, Du hast uns
bereitet zu Dir; daher ist unser Herz in steter Unruhe, bis es in Dir ruht."
Diese Unruhe, dieses Verlangen nach der Geburt Gottes in uns, die wir ständig fühlen sollen, wird
gehindert und gemindert durch wesensfremde Dinge, denen wir anstelle Gottes begehrend in uns
Raum geben – zeitliche, sinnenhafte, vergängliche Dinge, Kreaturen, seien es Lebende oder Tote,
Freundschaft und Gesellschaft, Befriedigung und Lust an Besitz, Glanz und Reichtum jeder Art –:
diese Dinge bewirken, daß Gott nicht in uns geboren werden kann, weil im Grunde unserer Seele
kein Raum für ihn ist.
Jedes kleine Ding, das Sinne und Gemüt gefangen hält, jedes Lüstlein, das uns erfüllt, mindert das
Verlangen nach Gott und hindert sein Geborenwerden in uns.
Frage mich nicht nach dem Grund, sondern sieh selbst in Deinen Grund und prüfe, was alles Dich
bewegt, Dein Begehren und Deine Lust erregt. Du möchtest gern Gott und zugleich die Dinge und
Kreaturen haben; aber das ist unmöglich. Wenn der eine zu Dir kommen soll, müssen die anderen
gehen.
Damit sind nicht die Dinge gemeint, die Du nötig hast, oder jene, die Du durch Gott oder mit Gott
hast, und auch nicht die, welche Du von Natur aus nicht entbehren kannst, wie Nahrung bei Hunger,
Trank bei Durst, Rast und Schlaf bei Müdigkeit. Nur wenn die Stillung solcher Bedürfnisse um
ihrer selbst, um der Lust und des Genusses willen gesucht wird, nicht aus Notwendigkeit, wird die
Geburt Gottes in Dir gehindert, wenn auch nicht so sehr wie durch den Genuß anderer Dinge, die
Dir nicht nötig sind.
Wer also wünscht, daß Gott in ihm geboren und er des göttlichen Lichtes teilhaftig werde, der achte
auf dieses Hindernis, das in der gierhaften Hingabe an die Lust der Sinne und der Kreaturen liegt.
Und er achte weiter darauf, daß er nicht aus Schwäche und Trägheit zurückbleibe, weil er das, was
er tut, unbedacht und blind tut, da er ungesammelt ist und nicht mit seinen Gedanken bei dem weilt,
was er gerade tut. Wie kann er Gott sehen, solange seine Augen, ihm unbewußt, oder bewußt, auf
andere Dinge gerichtet sind!
Das meint Christi Wort: "Wer nicht alles verläßt, was er besitzt, der ist meiner nicht würdig." Gott
hat uns alle Dinge als Lehen gegeben, damit sie uns als Weg zu ihm dienen; er allein soll das Ziel
sein und die Dinge nur Mittel. Die Dinge gehören zum äußeren Menschen; der innere Mensch aber,
der Seelengrund, soll von ihnen frei und auf Gott gerichtet und jederzeit bereit sein, ganz und
ausschließlich von Gott erfüllt zu werden.
Hierauf allein kommt es an und nicht auf das, was ich äußerlich tue.
Daß ich von Gott rede, viel bete und meditiere, schöne Worte machen kann, viel verstehe und
deshalb geachtet werde – das ist alles nichts wert, und wer darauf sieht, der täuscht und betrügt sich
selbst. Gott sieht das Herz an, ob es weltlich gesinnt oder zu seinem Empfang bereitet ist. Ist das
Herz weltzugewandt, dann sind alle guten Absichten und Werke nutzlos; denn dann ist es Gott fern.
Darum ruft Gott: "Tretet her zu mir", wendet euch ganz mir zu, gebt euch mir hin! Wir können nur
das eine oder das andere. Und wenn wir uns für Gott entschieden haben, muß unser Ich
zurücktreten. Soll Feuer werden, muß das Holz entwerden. Soll die Frucht entstehen, muß die Blüte
vergehen. Soll Gott in uns geboren werden, muß unsere Ichheit zuvor entwerden.
Das Entwerden der Ichheit aber setzt ständige Wachsamkeit voraus, weil das Haften an den alten
Gewohnheiten wie abgeschnittenes Haar nachwächst. Deshalb muß man sich immer wieder prüfen,
wo alte Neigungen wieder hochkommen, daß sie mitsamt der Wurzel ausgemerzt werden. Diese
Selbstüberwachung ist anfangs schwer, wird aber mit der Zeit immer leichter.
Und was am Anfang eisernen Fleißes und unermüdlicher Ausdauer bedarf, vollzieht sich schließlich
von selbst.
Auch soll der Mensch von jener tätigen Liebe erfüllt sein, die nicht auf Einzelne gerichtet, sondern
allen Wesen ohne Ausnahme allerbarmend und hilfsbereit zugewandt ist. So handeln beispielsweise
jene, die ein Drittel ihrer Habe dem Dienste Gottes weihen, ein Drittel den Armen geben und nur
das letzte Drittel für sich selbst verwenden und damit zeigen, daß sie über den vergänglichen
Dingen stehen. Wer so gibt, dem wird gegeben. Wer es tut, weiß es.
Nun bleiben manche, die wenig an äußeren Dingen haften, an inneren Dingen hängen und bilden
hier Neigungen und Haltungen, die der Geburt Gottes in ihnen genau so hinderlich sind wie das
Haften an äußeren Dingen. Solche Menschen mögen lauter leben, nur daß, woran sie haften, eben
in ihnen ist.
Das mag äußerlich als Unleidlichkeit und Ungelassenheit anderen Menschen gegenüber zum
Ausdruck kommen, in Ablehnung und Verurteilung Anders-gesinnter. Hier setzt dann der Geist der
Finsternis ein, indem er solchen Menschen immer mehr Gelegenheiten zum Unwillig- und
Zornigwerden gibt, daß sie zuletzt die Herrschaft über sich selbst verlieren und damit offenbaren,
wie groß ihre Ichheit ist und wie fern sie im Grunde ihrer Seele Gott sind.
Würde ein solcher Mensch aber in sich gehen, die Nichtigkeit und Nichtheit seines Ich erkennen,
den Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen, sich mit ihnen aussöhnen und vertragen und sich
alsdann ganz in seinen Seelengrund einsenken, dann würde der Fehler von ihm abfallen und
dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne, alles wäre gesühnt und gut, und Gott könnte in ihm
geboren werden.
Hier nun muß ich einen Gedanken berühren, den nicht alle verstehen, sondern nur die, die es
angeht:
Als der Geist Gottes Hiob berührte, da sprach dieser: "Ich sah ein Bild vor meinen Augen, aber ich
erkannte seine Gestalt nicht." Das Bild, das er schaute, ist Christus; die Gestalt, die er nicht
erkannte, ist Gott, der sich hinter dem Bilde Christi verbirgt, das wir in uns erkennen.
Hierher gehört auch, was im Buch der Könige berichtet wird: Der Engel sprach zu Elias, er solle auf
den Berg gehen, d. h. in die Abgeschiedenheit des Innern und in die Nähe Gottes. Als er dorthin
gelangte, offenbarte sich Gott ihm in einem starken Sturm und danach in einem Beben, das den
Grund erschütterte. Aber in beiden blieb Gott ihm fern.
Danach brach ein Feuer aus, aber auch darin ward Gott ihm noch nicht sichtbar. Nach dem Feuer
aber kam ein stilles sanftes Wehen; als Elias das vernahm, verhüllte er sein Antlitz mit seinem
Mantel, weil das Licht Gottes ihn blendete. Danach ward ihm die Stimme der Stille, das Wort
Gottes, vernehmbar.
Das ist der gleiche innere Weg, auf dem Gott auch zu uns kommt und in uns geboren wird.
Wir müssen zuerst auf den Berg gehen, unser Gemüt zu Gott erheben, uns mit unserem Seelengrund
in völliger Gelassenheit ganz Gott zuwenden und uns ihm schweigend offen halten. Wenn dann
Gott kommt, entsteht zuerst ein Sturm, der alles umkehrt, was in uns ist, soweit wir zu solcher
Wandlung und Erneuerung willig und bereit sind, gottförmig zu werden.
Hier bleiben die meisten an zeitlichen Dingen haften und in ihrer Ichheit befangen aus Angst, sich
selber zu verlieren und alles, woran ihr Herz hing, aufzugeben. Erst wenn sie sich dem Sturm
gelassen überlassen und ihre Ichheit fahren lassen, kann Gott in ihnen geboren werden.
Nach diesem Sturm kommt das Beben, das den Grund erschüttert und alles vernichtet, was in uns
vergänglich ist und der Geburt entgegensteht. Und danach kommt das Feuer, die göttliche Liebe, die
den äußeren Menschen verzehrt und den inneren gottförmig macht und bis in den äußeren
Menschen hinein als Glut und Licht verspürt wird; so stark dringt die göttliche Liebe durch den
Geist und bis in den Leib.
Aber in alledem wird Gott noch nicht als gegenwärtig erfahren. Erst wenn Sturm, Beben und Feuer
alles, was dem äußeren Menschen zugehört, restlos vernichtet und verwandelt haben, naht Gott
selbst mit seiner Kraft und seinem Licht in einem stillen sanften Wehen und Raunen und offenbart
sich dem inneren Menschen mit einem Blick – so strahlend, daß Elias sein Haupt verhüllte, weil
dieser Anblick für die Natur, den äußeren Menschen, unerträglich ist.
Wie das schwache Auge des Leibes schon nicht in die Sonne sehen kann, ohne geblendet zu
werden, so kann das innere Auge das volle Licht der Gottheit zuerst nicht länger als in einem kurzen
Blick ertragen. Aber durch diesen Blick wird der innere Mensch in einen solchen Frieden versetzt,
daß ihn hernach nichts mehr entfrieden kann.
Das Bild, das Hiob sah, war Christus als Lichtstrahl der Gottheit. Und die Gestalt, die sich erst im
stillen sanften Wehen offenbart, ist der Geist Gottes. Selig jeder Mensch, der auch nur einen
Augenblick vor seinem Tode hierzu gelangt!
Und doch ist dieses Erblicken Gottes nicht zu vergleichen mit der unendlichen Seligkeit, die das
völlige Erwachen zum ewigen Leben, zum Reiche Gottes, mit sich bringt. Wer dorthin gelangt, der
entsinkt in sein unergründliches Nichts und darüber hinaus in unaussprechlicher Weise in den
Lichtabgrund der Gottheit.
In diesem völligen Zunichtewerden ist er sich selber von Grund auf entformt, und in diesem
Entworden-sein wird Gott in ihm geboren.
Daß wir alle diesen Weg gehen und dazu gelangen, daß Gott in uns geboren werde, dazu verhelfe
uns Gott!

VON DER HIMMELFAHRT

"Und nachdem er mit ihnen geredet hatte, ward er aufgehoben gen Himmel." Mark. 16; 19
Als Christus mit seinen Jüngern auf dem Ölberg saß und sie daran erinnerte, daß sie, als er unter
ihnen weilte, so hartgläubig gewesen seien, und als er dann vor ihren Augen gen Himmel fuhr und
entschwand, wie fuhren da die Herzen der Jünger, die ihn liebten, in schmerzlicher Sehnsucht ihm
nach! Denn ,wo ihr Schatz ist, da ist auch ihr Herz'.
Mit dieser Fahrt gen Himmel will Christus unser, seiner Freunde, Herz, Sinne und Kräfte, innen und
außen, nach sich ziehen, damit wir nicht mehr in der Zeit Wohnung nehmen und in ihr hängen
bleiben, sondern damit unser Wandel im Himmel sei – und gleichermaßen all unsere Liebe, unser
Denken und Sehnen und unser Trost.
Wer kann uns daran hindern, ihm ohne Unterlaß nachzufolgen? Sagte er nicht: "Ich gehe zu eurem
und meinem Vater" – und ist nicht sein Grund, sein Ziel und seine Seligkeit gleichermaßen die
unsere?
Ja, wir sind dem selben Grunde entflossen und gehören mit allem, was wir sind, in das selbe Ziel
und in den selben Grund. Wie er uns vorangegangen ist in die Seligkeit des Reiches Gottes, so
müssen wir, wenn wir ihm nachfolgen wollen, den Weg merken, den er gegangen ist, und den
selben Weg gehen, wenn wir mit ihm über alle Himmel gelangen wollen.
Wir können es; denn er in uns ist der Weg. Wenden wir uns nach innen und folgen wir ihm, dann
gelangen wir mit ihm an das Ziel, dahin er uns vorangegangen ist.
Wie der Magnet das Eisen emporzieht, so zieht Christus alle Herzen nach sich, die je von ihm
berührt wurden. Wird das Eisen von der Kraft des Magneten erfaßt, erhebt es sich über seine
natürliche Art: es unterliegt dann nicht mehr der Schwerkraft, sondern überwindet sie und schwingt
sich auf.
Genau so gelangen alle, die je vom Magneten Christi berührt wurden, über sich selbst hinaus,
überwinden ihre niedere Natur und folgen ihm; und je vollkommener die Berührung, desto leichter
die Nachfolge.
Achte darum jeder auf sich, ob er von Gott berührt ist oder nicht. Jene nämlich, die es nicht sind,
die fangen oft recht vielversprechend an, so daß man meint, sie würden Großes vollbringen; aber
ehe man sich's versieht, ist es aus: sie sinken wieder zurück in ihre alte Gewohnheit und natürliche
Lust.
Aber die Schuld daran, daß sie nicht von Gott berührt sind, sollten sie nicht Gott geben und sagen:
"Gott berührt und treibt mich nicht wie die Gottesfreunde"; denn Gott berührt und begehrt, mahnt
und treibt alle Menschen in gleicher Weise. Aber sein Berühren und Mahnen und seine Gaben
werden von den Menschen sehr ungleich aufgenommen und empfangen.
Bei vielen Menschen findet Gott, wenn er mit seinem Licht und seinen Gaben kommt, die Stätte
besetzt, sieht andere Gäste dort und kann nicht hinein: sie haben anderes im Sinn und lieben äußere
Dinge und Güter; deshalb werden die Gaben, die er ihnen anbietet, von ihnen nicht wahr- und
aufgenommen und bleiben draußen. Das ist die Ursache ihrer Not und ihres Zurückbleibens. Sie
liegt bei ihnen und nicht bei Gott.
So viele leere und unnütze Beschäftigung und Zerstreuung haben wir und machen wir uns, daß wir
auf uns selbst und Gott nicht acht geben. Das können wir nur ändern, indem wir uns mit unserem
ganzen Herzen nach innen wenden, um jenen Aufschwung zu erreichen, mit dem Gott uns zu sich
zieht.
Die Stätte, an der Christus auffuhr, war der Ölberg, ein Berg dreier Lichter: das eine kam von der
Sonne, der er entgegenragte; das andere kam, zur Nacht, vom Licht des Tempels; und das dritte
entspringt dem brennenden Öl, das von den Ölbäumen gewonnen wird.
Versteht das Gleichnis recht:
Die Seele, in der Gott auffahren soll, muß einem Berge gleichen, d. h. weit über die niederen und
vergänglichen Dinge emporragen und erhaben sein, und sie muß für dreierlei Lichter empfänglich
sein, damit die Dreieinigkeit Gottes in ihr wirken kann und das Höchste, das göttliche Licht, in sie
einströmen, sie gänzlich erfüllen und entflammen kann.
Wer Christus nachfolgen will, der muß den Berg erklimmen, und dazu muß er der Natur Urlaub
geben, sich von allem vergänglichen Schein lösen, um zum unvergänglichen Sein
hinaufzugelangen.
Nun liegt der Ölberg zwischen Jerusalem und Bethania. Und es gibt viele, die Christus gern
nachfolgen, soweit sie dabei ,Jerusalem' näher kommen, d. h. zu mehr Frieden kommen, in sich
selbst mehr Trost und Frieden finden.
Aber sie erreichen die Höhe des Berges nicht, wenn sie nicht auch die andere Seite erfahren, die gen
Bethania liegt, was so viel bedeutet wie ,Leiden und Hingabe': wer nicht auch durch das Tal der
Leiden schreitet, der bleibt zurück und erreicht nichts, wie schön der Friede auch scheine.
Der Mensch soll nicht in Geruhsamkeit und Nichts-tun versinken, sondern immerfort ein
unstillbares Verlangen und schmerzliches Begehren nach Christus in sich fühlen, der zur Höhe
aufgefahren und ihm noch verborgen ist; und er soll in Freude und Leid gleichermaßen einzig und
allein an ihn hingegeben sein und sich, wenn auch seine Natur ihn immer wieder hindert, doch
immer aufs neue nach innen wenden und sich von Gott emporziehen lassen und zu ihm
aufschwingen.
Friede ist nicht um seiner selbst willen da, sondern nur als Mittel, daß wir Unfrieden und Not besser
leiden und überwinden und uns leichter lassen können, wenn wir uns von Gott verlassen wähnen.
Jerusalem heißt: Stätte des Friedens. Wurde aber Jesus nicht an eben dieser Stätte getötet? So
müssen auch wir unserem Ich absterben und alles, was wir sind und haben, zu Gott empor tragen,
damit Gott unser Wesen und Leben werde.
Denn wohlgemerkt: Niemand kommt in den Himmel als der, der vom Himmel gekommen ist –
Christus in uns, in dem unser Ich entwerden muß, damit wir des Reiches Gottes teilhaftig werden.
Wie Christus, das Haupt unseres inneren Menschen, aufgefahren ist, so sollen die Glieder ihm
nachfolgen: wir sollen keinen Trost in der Welt finden noch Aufenthalt in ihr nehmen, sondern ihm
allein mit unserem Denken, unserer Liebe und unserem Handeln nachfolgen auf dem Wege, den er
vorausgegangen ist. Wir sollen Christi Zeugen sein – nicht mit Worten, sondern in der Wahrheit, mit
unserem ganzen Sein und Tun und Leben nach unserem Vermögen.
Viele wollen Christus gern nachfolgen und mit ihm auffahren, wenn der Aufstieg nicht zu mühevoll
ist und wenn dann alle Dinge nach ihrem Willen gehen. Kommen aber starke Anfechtungen,
Dunkelheit und Ungewißheit über sie und fühlen sie sich Gott fern und innerlich und äußerlich
verlassen und allein, dann kehren sie um, statt mitten im Unfrieden den inneren Frieden zu finden,
der von Gott kommt, mitten in der Traurigkeit die Freude, die von innen kommt, mitten in der Not
den Trost und die Hilfe von innen.
Eben darin sollen wir Christus nachfolgen und Gottes Zeugen sein, daß wir in allen Lagen und in
allen Weisen und Werken Gott bekennen, also nicht nur, wenn es uns wohl geht, sondern erst recht,
wenn Leiden über uns kommen. Dann offenbart sich, ob unsere Hingabe und unsere Zeugenschaft
echt ist, ob Gott gleichermaßen in Freude und Leid unsere einzige Stütze ist und nichts sonst, ob wir
also uns lassen und Gott machen lassen.
Die vollkommenste Zeugenschaft – die unsere Himmelfahrt verbürgt – ist da, wo wir ganz mit Gott
eins sind. Da entweicht der Geist sich selbst und der Welt, denn in der Gotteinheit ist er aller
Mannigfaltigkeit entzogen und darüber erhaben. Da wird der innere Mensch hinaufgeführt in den
Himmel, das Reich Gottes, und hineingeführt in das göttliche Wesen, und da verliert er sich selbst
so vollkommen, daß er nichts mehr weiß und fühlt als Gott.
Danach wendet sich der Geist wieder zurück in den allertiefsten Grund der geringsten Werke, die er
je übte, ob da nicht noch etwas sei, das vollkommener gemacht werden müsse. Auch der kleinsten
Übung ist er ganz hingegeben, achtet kein Ding zu gering und hat in jedem den Frieden.
So ist er ein Zeuge dessen, der in ihm ist, der vom Himmel gekommen und wieder hinaufgefahren
und über allen Himmeln ist. Wenn wir dorthin gelangen wollen, müssen wir uns mit ihm vereinen
und mit ihm und durch ihn dahin kommen.
Daß uns dies zuteil werde, dazu helfe uns Gott!

HEIMKEHR IN GOTT

"Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht im Finstern wandeln, sondern das Licht
des Lebens haben." Joh. 8; 12
Christus nennt sich das Licht der Welt und aller Menschen. Er ist das innere göttliche Licht, das alle
erleuchtet, die in diese Welt kommen, und von dem alle äußeren Lichter nur ein Abglanz sind: die
kosmischen Lichter am Himmel und die geistigen Lichter im menschlichen Bewußtsein, mit denen
der Mensch die Dinge beleuchtet und zu erkennen sucht.
Diese meint Christus, wenn er den Mensch aufruft: Begib dich deiner Lichter, die in Wahrheit
Finsternis sind im Vergleich mit dem Licht, das ich bin! Wende dich von den Lichtern des äußeren
Menschen zu dem des inneren, das ich bin; dann will ich dir für deine Finsternis mein ewiges Licht
zu eigen geben, damit dein sei, was mein ist: mein Wesen und Leben, meine Seligkeit und
Vollkommenheit!
Also bat er den Vater: "Daß sie mit uns eins seien, wie wir eins sind: ich in Dir und Du in mir, nicht
vereinigt, sondern völlig eins!"
Um zu dieser Heimkehr und zu diesem Einssein zu gelangen, müssen wir zwei Dinge beachten: Das
eine ist: wie wir in unseren Ursprung heimgelangen, auf welchem Wege und auf welche Weise. Das
andere ist: welches die Hindernisse sind, die uns dieses Ziel verfehlen und nicht zur Heimkehr
finden lassen.
Diese Hindernisse sind von zweifacher Art in zweierlei Leuten:
Die ersten sind die Weltzugewandten, die ihre Lust und Befriedigung in den Kreaturen und Dingen
und in den Sinnen finden und damit ihre Zeit zubringen und ihr Leben vergeuden: sie leben in der
Finsternis und sind dem göttlichen Lichte fern.
Die anderen sind die geistigen und geistlichen Menschen, die in großem Ansehen stehen und große
Namen und Titel haben: sie meinen, sie hätten die Finsternis der Nichterkenntnis überwunden; doch
in ihrem Seelengrund sind sie unerhellt und voll Eigenliebe und Eigenwillen und ganz ihr eigener
Gegenstand, ihrer Ichheit zugewandt.
Äußerlich sind sie oft schwer von den Gottesfreunden zu unterscheiden, da sie oft mehr als diese
mit Übungen und Meditationen, Fasten und Frommtun befaßt sind. Doch in wem der Geist Gottes
ist, der erkennt sie. In einem aber unterscheiden sie sich auch äußerlich von den Gottesfreunden: sie
sind voll von Urteilen über andere Leute und Gottesfreunde, richten gern andere, nur nicht sich
selbst, während die Gottesfreunde niemanden richten als sich selbst.
Sie suchen in allen Dingen das Ihre. Ihre Same beherrscht ihr Denken, ihre Erfahrungen und
Erkenntnisse stehen obenan, in allen ihren Angelegenheiten, auch wenn sie von Gott und göttlichen
Dingen reden, suchen und meinen sie sich selbst und die Befriedigung ihres Ich. Diese pharisäische
Weise ist so tief in ihrem Wesen verwurzelt, daß alle Winkel ihrer Seele voll davon sind, so daß es
unmöglich scheint, davon los zu kommen.
Und doch ist es auf eine Weise zu überwinden, nämlich dadurch, daß sie sich aus ihrem Ich und sich
Gott so hingeben, daß Gott sie gänzlich erfüllt und ihr ganzes Wesen in Besitz nimmt, wie dies bei
den wahren Gottesfreunden der Fall ist.
Doch auch die Gottesfreunde müssen ständig in der Übung bleiben. Denn solange der äußere
Mensch lebt, wird er nie gänzlich überwunden und getötet. Er wird sich immer wieder regen und
sich als das eigentliche Hindernis offenbaren, zum wahren Licht und zur Heimkehr in Gott zu
finden.
Der andere Teil, der zu beachten ist, ist der kürzeste Weg und die beste Weise, um zum wahren
Licht und zur Heimkehr in Gott zu gelangen:
Sie besteht darin, daß wir unserem Ich entwerden und in Gott entsinken, uns ihm lassen, in allen
Dingen nicht unserem, sondern Gottes Willen folgen, alles unmittelbar als von Gott kommend
erkennen und willkommen heißen und ihm alles ohne Umwege und Vorbehalte unmittelbar wieder
hinauf tragen, damit ein steter Einstrom und Rückstrom statthabe. Das ist der wahre Weg und die
rechte Weise.
Hier scheiden sich die Gottesfreunde und die Weltfreunde:
Die letzteren beziehen alles auf sich, eignen sich alle Gaben an und tragen sie Gott nicht lauter
wieder hinauf mit Liebe und Dankbarkeit in Selbstverleugnung und völliger Hingabe an Gott.
Wer hingegen, wie die ersteren, im Aufgeben seines Ich und Hingegebensein an Gott am weitesten
geht, der ist der wahre und vollkommenste Gottesfreund.
Nun weiß die Seele wohl, daß Gott ist, schon vom natürlichen Licht der Vernunft. Wer aber und wo
er ist, das ist ihr verborgen und unbekannt. Darum erhebt sich ihr Begehren und sie sucht und fragt
unaufhörlich und wüßte gern etwas von diesem Gott, der ihr so verdeckt und verborgen ist.
Bei diesem beharrlichen Suchen geht ihr ein Stern auf wie jener, von dem das Evangelium kündet:
"Wir haben Christi Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten." (Matth. 2; 2)
Dieser Stern ist nicht außen, sondern innen: er ist ein innerer Glanz, ein göttliches Licht – und
dieses Licht kündet der Seele: Er ist jetzt geboren! und weist sie darauf hin, wo diese Geburt
statthat: im innersten Grunde, wohin kein äußeres Licht hingelangt.
Manche versuchen, mit ihrem natürlichen Licht, der Vernunft, nach diesem inneren Licht und der
Geburt zu fahnden; aber sie erreichen es nicht, sondern bleiben zurück. Diese Geburt kann nicht
gefunden werden, es sei denn, daß dasselbe innere Licht, das die Geburt kündet, der Seele dartut,
was für eine Geburt es ist und wo sie statthat.
Aber die Unweisen wollen nicht so lange warten, bis ihnen das göttliche Licht leuchtet, in dem die
Geburt vollzogen und gefunden wird. Sondern sie versuchen vom Ich her gewaltsam
durchzubrechen und wollen es mit dem natürlichen Lichte finden – und das ist nicht möglich. Sie
müssen auf die Stunde warten, bis sie da ist.
Drei Dinge sind hier zu beachten:
das eine ist das Begehren und das, was da sucht;
das zweite ist die Weise des Suchens;
und das dritte ist das Finden der Geburt.

Ihnen entsprechen drei Kräfte:


die eine eignet der Natur in Fleisch und Blut, das ist die Sinnenhaftigkeit, die an die
Leibessinne gebunden ist;
die zweite ist die Vernunft;
die dritte ist eine lautere Substanz der Seele.
Diese drei sind ungleich und empfinden auch ungleich – jede nach ihrer Art.

Es ist wie mit dem Sonnenlicht, das an sich einfaltig ist: ihr Schein wird in verschieden gefärbten
Gläsern ungleich sichtbar, wenn etwa ein Glas schwarz, ein anderes gelb und ein drittes weiß ist.
Unter dem schwarzen Glas mag man die Sinnenhaftigkeit verstehen, unter dem gelben die Vernunft
und unter dem weißen den lauteren Geist:
Wenn nun der Schein der Sinnenhaftigkeit in der Vernunft und diese im Geiste aufgeht, wird das
Schwarze gelb und das Gelbe weiß und es entsteht eine lautere Einfaltigkeit, in der das Licht allein
leuchtet und nichts sonst.
Das will sagen: wenn das Licht von innen recht empfangen wird und allein leuchtet, so fallen alle
äußeren Bilder, Formen und Gleichnisse fort und das Licht zeigt die Geburt in der Wahrheit. Der
Himmel ist dann in seiner natürlichen Dunkelheit; wird er nun gänzlich zu lauter Sonne, so daß
nichts in der Seele leuchtet als das göttliche Licht, dann entweichen und schwinden alle äußeren
Bilder und Formen.
Wohlgemerkt: der den drei Weisen die Geburt kündete, war kein Stern gleich den anderen am
Himmel. Er erstrahlt innerlich. Daß er in uns aufgehe und uns leuchte und erleuchte, darauf zielt
unser aller Leben.
Ob dieser Stern einem Menschen aufgegangen ist, ob er das innere Licht hat, erkennt man mit
Sicherheit, wenn ihn Leid trifft. Denn dann wendet sich der zum inneren Licht Erwachte, der wahre
Gottesfreund, um so williger zu Gott hin, nimmt es von Gott so, daß er es mit ihm oder in ihm leidet
oder in ihm verliert, weil Gott ihm so innerlich ist, daß Leid ihm kein Leiden ist, sondern Freude.
Die Weltfreunde hingegen wissen, wenn Leid sie überfällt, nicht, wohin sie sich wenden sollen: sie
laufen alles ab und suchen allerorten Rat, Trost und Hilfe. Und wenn sie sie nicht finden,
verzweifeln und zerbrechen sie. Sie haben das Haus ihres Lebens nicht auf den Felsen, der Christus
ist, gebaut, sondern auf dem Sand der Zeitlichkeit. Sie sind schlechter daran als die einfachen
Menschen, die sich für klein und unbedeutend halten und in Demut dahinleben; denn diesen ist
leichter zu raten und zu helfen, weil sie Fehler erkennen und bereit sind, sich zu wandeln.
Gegen alle Hindernisse, die der Heimkehr in Gott entgegenstehen, hat uns der gütige Gott Trost und
Hilfe gegeben, indem er seinen eingeborenen Sohn sandte, damit sein Licht und sein Wort in uns
uns leite und helfe, das dunkle und trügende Licht der Ichheit in seinem wahren, wesentlichen Licht
zu lösen und auszulöschen.
Denn Christus ist das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet: es leuchtet in der Finsternis des
äußeren Menschen, aber die Finsternis nimmt es nicht auf. Nur die ,geistig Armen', die von
Ichhaftigkeit, Eigenliebe und Eigenwillen freien, nach innen gewendeten Menschen erkennen das
Licht.
Darauf, daß uns das wahre Licht leuchte und uns helfe, in unseren Ursprung zu kommen und zu
Gott heimzukehren, sollten wir unser ganzes Sinnen, Trachten und Handeln richten. Lassen wir uns
von den Gottesfreunden dabei helfen, damit sie uns mit sich in Gott ziehen.
Daß dies uns allen zuteil werde, dazu verhelfe uns der gütige Gott!

GOTTES GEBURT IM MENSCHEN

"Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.«
Jes. 9; 6
Wir feiern am Weihnachtstage in der Christenheit eine dreifache Geburt, aus der jeder Christ in
Dankbarkeit und Freude Erquickung, Trost und Wonne schöpfen sollte:
Die erste und höchste Geburt ist die, daß der Vater im Himmel seinen eingeborenen Sohn in
göttlicher Wesenheit und persönlicher Unterscheidung gebiert.
Die zweite Geburt, die wir heute feiern, ist die Geburt Jesu in rechter Lauterkeit.
Und die dritte Geburt besteht darin, daß Gott täglich und stündlich in jeder guten Seele geistig
geboren wird.
Die erste verborgene Geburt geht in der dunklen unerkannten Gottheit vor sich. Die zweite ist zum
Teil erkennbar, zum Teil unerkennbar. Die dritte meint jene, die jeden Augenblick in der Seele
geschehen kann und soll, wenn sie sich gelassen und liebevoll Gott zuwendet; dann geschieht diese
Geburt durch Einkehr und Rückkehr aller ihrer Kräfte, und in ihr gibt sich Gott ihr ganz zu eigen.
Das meint das Wort: "Ein Kind ist uns geboren": es ist mehr als alles andere unser eigen, und es
wird allezeit ohne Unterlaß in uns geboren.
Wie wir zu dieser beseligenden dritten Geburt gelangen, können wir an der ersten lernen, in der der
Vater seinen Sohn in der Ewigkeit gebiert: infolge der überfließenden Fülle seines überwesentlichen
Reichtums muß er sich ausgießen und mitteilen: also hat die Gottheit sich ausgegossen bei dem
Ausgang der göttlichen Personen und ist im weiteren in die Kreaturen ausgeflossen.
Darum sagt Augustinus: "Weil Gott gut ist, sind auch wir gut, und alles, was die Wesen Gutes
haben, kommt von der wesenhaften Güte Gottes."
Was können wir daraus lernen?
Der Vater wendet sich mit seinem göttlichen Vermögen in sich selbst, durchschaut in klarem
Verstehen sich selbst, den wesentlichen Abgrund seines Wesens. In diesem Verstehen seiner selbst
spricht er das Wort, und das Wort ist der Sohn, und das Erkennen seiner selbst ist das Gebären des
Sohnes in der Ewigkeit. Also geht er in sich und erkennt sich selbst, und geht dann aus sich heraus,
indem er sein Bild gebiert, das er dort erkannt hat, und geht dann wieder in unaussprechlicher Liebe
in sich. Diese Liebe ist der Heilige Geist.
Diese Eigenschaft, die der Vater in seinem Eingang und Ausgang hat, soll auch der Mensch haben,
dessen Seele zur Mutter der göttlichen Geburt werden will: er soll gänzlich in sich gehen und dann
aus sich gehen.
Wie das?
Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie ein Abbild der Dreifaltigkeit Gottes ist: Gemüt, Verstand
und Willen. Mittels dieser Kräfte ist sie empfänglich für Gott; mit ihrer Hilfe schaut sie die
Ewigkeit. Denn sie ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: mit ihrem oberen Teil gehört sie der
Ewigkeit, mit ihrem unteren sinnlichen Teil der Zeit an. Und sie ist nur zu geneigt und bereit, sich
ganz an die sinnlichen und zeitlichen Dinge hinzugeben, und in Gefahr, damit der Ewigkeit
verlustig zu gehen.
Darum muß notwendig eine Rückkehr geschehen, eine Einkehr und ein inwendiges Sammeln und
Vereinigen aller Kräfte, der oberen und der unteren, wie einer, der eine Sache verstehen und
vollenden will, alle Sinne und Kräfte auf einen Punkt sammelt. Dies ist der Eingang.
Soll nun der Ausgang, der Übergang aus sich selbst und über sich selbst hinaus stattfinden, müssen
wir alle Eigenschaften des Wollens, Verlangens und Wirkens lassen, bis nichts zurückbleibt als ein
bloßes lauteres Gott-im-Sinn-Haben und wir nur noch dem Höchsten in uns Raum geben, damit er
sein Werk und seine Geburt in uns vollziehen kann und von uns nicht darin gehindert wird.
Denn wenn zwei eins werden wollen, muß sich das eine passiv, das andere aktiv verhalten. Das
meint Augustinus: "Mache dich leer, damit du erfüllt werden kannst; gehe aus, damit du eingehen
kannst", und an anderer Stelle: "0 edle Seele, warum suchst du außer dir den, der ganz und gar in
dir ist? Und die du göttlicher Natur teilhaftig bist, was hast du mit den Kreaturen zu schaffen?"
Wenn der Mensch aus sich, aus seinem Ich herausgeht und die Stätte Gottes in ihm, den
Seelengrund, für die Geburt Gottes bereitet hat, muß Gott ihn ganz und gar erfüllen.
Darum sollst Du schweigen, dann kann das Wort in Dich hineingesprochen und von Dir vernommen
werden. Man kann dem göttlichen Wort nicht besser dienen als mit Schweigen und Lauschen.
Gehst Du so gänzlich aus, so geht Gott gänzlich in Dich ein. Soviel aus, soviel ein.
Von diesem Ausgang haben wir ein Gleichnis im Buche Mosis, wo Gott Abraham aus seinem Lande
gehen und alles verlassen ließ: er wolle ihm alles Gut zeigen. Alles Gut – das ist die göttliche
Geburt. Sein Land, das er verlassen sollte, ist das Ich mit seinem Werkzeug, dem Körper, samt
seiner Lust und Unordnung, und das äußere Leben mit seinem Begehren und Fürchten, Lieben und
Leiden, seinen Freuden und Betrübnissen. Diesen sollen wir uns entziehen, damit das höchste Gut –
die Geburt Gottes in uns – uns zuteil werden kann.
Nachdem an der ersten Geburt gezeigt wurde, was wir für die dritte daraus lernen sollen, sei ein
Gleiches an der zweiten Geburt sichtbar gemacht, in der der Gottessohn von der Mutter geboren
und unser Bruder geworden ist:
Er war in der Ewigkeit ohne Mutter und in der Zeit ohne Vater geboren. Das meint das Wort
Augustins: "Maria war viel seliger davon, daß Gott geistig in ihrer Seele geboren ward, als davon,
daß er leiblich in ihr geboren wurde."
Wer nun will, daß diese geistige Geburt in seiner Seele statthabe wie in Mariens Seele, der achte auf
die Eigenschaft, die Maria an sich hatte, die leiblich und geistig Mutter war. Sie war eine Jungfrau
und eine Verlobte, und sie war von allem abgeschieden, als der Engel zu ihr kam.
So soll unsere Seele als geistige Mutter bei der Gottgeburt sein: eine lautere Jungfrau in
Abgeschiedenheit, die alle Sinne nach innen gekehrt hat, auf daß sie die größte Frucht hervorbringe:
Gott selbst, Gottes Sohn, Gottes Wort, das alle Dinge ist und in sich trägt.
Und wie Maria eine angetraute Jungfrau war, so soll es unsere Seele sein: sie soll ihren wandelbaren
Willen einsenken in den unbeweglichen Willen Gottes, und sie soll von allem abgeschieden sein,
um dieser Geburt teilhaftig zu werden. Sie soll eine Stille in sich schaffen und sich ganz in sich
beschließen und im Geist verbergen und entwerden. Dann erfährt sie die Wahrheit des Worts, daß
"mitten im höchsten Schweigen, da vollkommene Stille herrscht, das ewige Wort vernommen
wird."
Denn wenn Gott sprechen soll, muß Dein Ich schweigen. Soll Gott in Dich eingehen, müssen alle
Dinge ausgehen. Denn die Mannigfaltigkeit der Dinge und Bilder, die das Wort in Dir bedecken und
sich darüber ausbreiten, hindern die Geburt Gottes in Deiner Seele.
Mache Dir darum dieses innerliche Schweigen durch Übung zur Gewohnheit; denn Gewohnheit
schafft Können und macht Dich empfänglich für die Geburt Gottes in Dir.
Daß wir alle dieser edlen Geburt in uns Raum geben, dazu helfe uns Gott!

VOM WIRKEN AUS DEM GEISTE

"Es sind mancherlei Gaben, aber es ist ein Geist. Und es sind mancherlei Kräfte, aber es ist ein
Gott, der da wirkt alles in allen." 1. Kor. 12; 4, 6
Paulus spricht in seiner Epistel von den mancherlei Gaben und von dem einen Geiste, der sich in
ihnen offenbart. Einem jeden unter uns sind bestimmte Gaben und Kräfte zu seinem Nutz und
Frommen und zu seiner Vollendung gegeben; alles aber wirkt ein und derselbe Geist.
Es ist innen so, wie wir es schon außen wahrnehmen: es ist ein Leib, aber er hat viele Sinne, Organe
und Glieder, und jedes von diesen hat seine besonderen Gaben und Aufgaben, wie etwa Augen und
Ohren, Mund, Hand oder Fuß. Keines maßt sich an, das andere zu sein oder etwas anderes zu
wirken, als ihm obliegt.
Gleichermaßen sind wir alle Organe und Glieder eines geistigen Leibes, und dieses Leibes Haupt ist
Christus. Und jeder von uns hat seine besonderen Gaben und Aufgaben: der eine ist Ohr, der andere
Hand oder Fuß. Und da gilt es zu erkennen, welches unsere Aufgabe und unser Werk ist, zu dem wir
berufen sind, und welche Gaben uns eignen. Denn jedes Vermögen und jede Kunst, mag sie noch so
klein und unentfaltet sein, ist Gabe und Aufgabe, und in allen will sich derselbe Geist auswirken zu
unser aller Nutz und Frommen.
Nimm das einfachste Werk: Der eine kann bauen, der andere Schuhe machen, und manche sind so
begabt, daß sie ganz in ihrem Werk aufgehen. Und so weist eines jeden Gabe auf seine Aufgabe: die
soll er aufs beste vollbringen und so das wirken, was ein anderer vielleicht nicht tun kann. Und
genau so soll auch unter den Frauen jede ihre besondere Aufgabe erfüllen.
Gott, sagt Augustinus, "ist ein einfaltiges göttliches Wesen und wirkt doch alle Mannigfaltigkeit in
allen Wesen und Dingen; einer in allen und alle in einem." Da ist kein Werk zu klein, keine Kunst
zu gering; jede kommt als Gabe von Gott und soll für den Nächsten wirken, was dieser nicht so gut
kann, und jeder soll sich dabei hingeben.
Denn wer nicht wirkt und gibt, wer nicht zum Segen anderer tätig ist, der wird Gott Rechenschaft
ablegen müssen vom Haushalten mit seinen Gaben. Was er von Gott empfangen hat, das soll er
andern weitergeben, so gut er es vermag und so viel Gott ihm gegeben hat.
Wie kommt es dann aber, daß so viele über ihr Amt klagen, daß es eine Last sei und ein Hindernis?
Was diesen Zwiespalt und Unfrieden bewirkt, sind nicht die Gaben und Werke, sondern es ist die
Unordnung, die in unserem Denken und Wirken herrscht.
Würden wir unsere Aufgaben, wie wir es von Rechts wegen tun sollten, willig erfüllen und aus dem
Geiste wirken, hätten wir dabei Gott und sein Wollen im Sinn und nicht unser eigenes Ich und sein
Gieren und Wollen, und würden wir bei unserem Werk weder Gefallen suchen noch Mißfallen
türmten, weder Lust noch Nutzen, sondern allein, daß der Geist durch uns wirkt, dann wäre es
unmöglich, daß Mißvergnügen und Selbstquälerei daraus entstehen.
Vor allem aber ein geistiger Mensch sollte sich schämen, wenn er seine Werke so unwillig,
unordentlich und lieblos verrichtet, daß sie ihm eine Last sind. Denn dann bekundet er ja, daß sein
Werk nicht aus dem Geiste gewirkt, nicht aus Liebe zu Gott und im Dienste des Nächsten getan ist.
Eben daran, wie weit Du bei Deinem Werke zufrieden bist, kannst Du ermessen, wie weit Dein Tun
auf Gott gerichtet ist.
Der Mensch soll seine Gaben und Kräfte nützen, aber das Sorgen soll er Gott überlassen, und er soll
im Stillen wirken und bei sich selbst bleiben, soll Gott in sein Werk hineinziehen, oft mit einwärts
gewendetem Gemüt prüfen, was ihn zu diesem Werke treibt, und soll immer bewußter den Geist
Gottes durch sich wirken lassen.
Und er soll innerlich acht geben, wann ihn der Geist Gottes zum Wirken oder zum Lassen mahnt,
damit alles nach dem Willen des Geistes geschehe: das Schaffen wie das Rasten, und er jederzeit in
Liebe und Freude wirke.

Und wo ein alter, kranker oder hilfloser Mensch ist, da soll er ihm zu Diensten sein und Werke der
Liebe tun. So "trage jeder des andern Last". Tust Du dies nicht, so sei gewiß, daß Gott Dir Deine
Gaben nimmt und sie einem anderen gibt, der sie besser und segenbringender verwendet.
Und fühlst Du Dich bei Deinem Wirken vom Geist berührt, so achte wohl darauf und lerne, immer
williger Gott durch Dich wirken zu lassen.
Um das zu können, muß man es üben. Erwarte nicht, daß Gott Dir seine Gaben ohne Dein eigenes
Mühen gibt. Du mußt Dich zu allem, was Dir gegeben werden soll, zuerst durch rechtes Streben
und Handeln bereitet haben. Die höheren Gaben und Erkenntnisse wachsen Dir dann von selbst zu
– wie dem edlen Manne, der in der Scheune stand und sein Korn drosch: während er so völlig an
sein Werk hingegeben war, ward er vom Lichte Gottes erfüllt und über alles Werk hinausgehoben.
Du möchtest auch gern vom Wirken frei sein. Prüfe Dich aber, ob dieser Wunsch nicht nur der
Trägheit entspringt oder dem Verlangen, nur noch Auge zu sein und zu schauen, statt zu wirken, wie
es Deine Aufgabe ist.
Wir sind auf dieser Welt, um zu wirken; aber wir sollen uns auch täglich Zeit nehmen, uns zu
besinnen und uns in den Seelengrund einzusenken – jeder auf seine Weise.
Die Vorangeschrittenen, die sich gänzlich lassen und ohne Formen und Bilder in Gott einsenken
können, die sollen dies auf ihre Weise tun. Und die anderen sollen auf ihre Weise in die Stille gehen
und sich Gott in Liebe und Freudigkeit zuwenden.
Wer so Gott auf seine Weise dient nach Gottes Willen, dem wird Gott nach des Menschen Willen
antworten. Wer aber Gott nach seinem eigenen Willen dient, dem wird Gott nicht antworten nach
des Menschen Willen, sondern nach Gottes Willen.
Vom Lassen des eigenen Willens und der gelassenen Hingabe an Gottes Willen geht der Friede aus,
der von innen kommt und den niemand nehmen kann. Es ist der Friede derer, die aus dem Geiste
leben und aus dem Geiste wirken.
Daß dieser Friede sich in uns ausbreite und wir in allem aus dem Geiste leben und Gott durch uns
wirken lassen, dazu leite und helfe uns Gott!
DIE SIEBEN GABEN DES GEISTES

"Und sie wurden voll des Heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, je
nachdem der Geist ihnen gab zu sprechen." Apg. 2; 4
Die Pfingstgeschichte spricht davon, daß die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt wurden und zu
jedem von Gott sprachen. Der göttliche Geist kam in die Jünger und in alle, die dafür empfänglich
waren, und überflutete sie inwendig, wie wenn bei einem aufgestauten Fluß die hindernden Dämme
entfernt werden, so daß er nun in einer gewaltigen Woge rauschend daherkommt, alles überflutet
und ertränkt und alle Täler und Grunde erfüllt.
So tat es der Heilige Geist den Jüngern und denen, die für ihn aufgeschlossen und empfänglich
waren. Und gleichermaßen tut er es heute und jederzeit ohne Unterlaß: er überströmt und füllt alle
Täler und Tiefen, jedes Herz, jeden Seelengrund, in dem er eine Stätte findet, mit seinem Reichtum
an göttlichen Gaben.
Was können wir nun tun, daß wir den Geist Gottes empfangen?
Das Höchste und Wesentlichste muß er selbst in uns wirken. Er muß den Seelengrund selbst für sich
bereiten und muß sich selbst empfangen im Menschen. Dabei geschieht zweierlei:
Das erste ist, daß er uns leer macht; das zweite, daß er die Leere füllt, so weit sie reicht.
Dieses Leersein ist die erste und wichtigste Voraussetzung und Bereitung für den Einstrom des
Geistes Gottes. Denn soweit der Mensch seinen Wesensgrund von allem anderen geleert hat, soweit
ist er für den Geist Gottes empfänglich.
Wenn man ein Faß füllen will, muß zuerst hinaus, was darin ist. Soll Wein hinein, muß das Wasser
hinaus. Gleichermaßen muß alles, was an uns und in uns ,Mensch' ist, hinaus, damit Gott in uns
werden kann.
So muß sich der Mensch leer machen, alles lassen und auch das Lassen selbst lassen, indem er in
sein lauteres Nichts entsinkt. In dem solchermaßen Bereiteten wirkt der Geist Gottes sogleich sein
Werk: er erfüllt den für ihn Empfänglichen.
Je mehr Du Deiner Ichheit samt Eigenliebe und Eigenwillen ledig und leer bist, desto
vollkommener kann der Geist Gottes Dich erfüllen. Das heißt: wenn das Reich Gottes offen vor Dir
liegt, sollst Du nicht hineingehen wollen, sondern erst prüfen, ob Gott es so will.
Auch wenn ein Mensch sich ungeschickt und unbereitet findet wegen der Schwere und Trägheit der
Natur, nicht zum inneren Frieden gelangt und nicht weiß, wie er dazu kommen soll, soll er sich leer
machen von aller Ichheit und allem Haften, sich Gott lassen und ihn wirken lassen, mag es sein, was
es will.
Aber eben dieses Lassen vollbringen nur wenige, weil das Haften an äußeren Dingen und Kreaturen
groß ist und weil Gewohnheit und Selbstzufriedenheit den Menschen mehr auf das Tun achten
lassen als auf das Nicht-Tun, das Lassen und Wirkenlassen des Geistes in einem ist.
Erst wenn dieses Abgeschiedensein von allem Äußeren und das völlige Lassen erreicht ist, wirkt der
Geist Gottes große Dinge in dem völlig sich entsunkenen Menschen, auch wenn dieser nichts davon
weiß: gerade so, wie die Seele im Leibe wirkt, ohne daß der Leib etwas davon empfindet oder weiß,
so wirkt der Heilige Geist im Seelengrund des Menschen ohne sein Wissen.
Will der Mensch dessen bewußt werden, muß es mit allen Kräften des inneren Menschen
geschehen, die ihn an den Seelengrund binden, in dem der Geist seine Wohnung und Wirkstätte hat.
Denn wenn der äußere Mensch dessen gewahr wird, besteht die Gefahr, daß er diese Gabe sich
selbst zuschreibt und daß er sie dadurch verdirbt. Auch wenn das aus Freude an diesen Gaben
geschieht, geht der, der meint, sie seien sein Werk, ihrer verlustig.
Nein: der Mensch muß sich selber entworden sein, wenn der Geist Gottes in ihm seine Gaben
entfalten soll.
Daß dies erreicht ist, wird daran erkannt, daß nichts von alledem, was sonst das Ich erregt, kränkt
und leiden läßt, das Gemüt mehr bewegt. Alles Äußere läßt den Menschen alsdann gelassen; der
Einzige, der ihn bewegt und treibt, ist der Geist Gottes in ihm.
Dieser Geist und das von ihm Bewegtsein ist etwas so unaussprechlich Seliges, daß alles Große und
Außerordentliche, das der Verstand sinnenhaft oder bildlich zu begreifen vermag, dagegen ein
Nichts ist: Himmel, Erde, alle Kreaturen und Güter der Welt zusammen sind ihm gegenüber so viel
wie ein Sandkorn zum Weltall.
Und nun wenden wir uns noch einmal dem Pfingstgeschehen zu:
Die Jünger waren "voll des Heiligen Geistes". Hier ist darauf zu achten, welcher Art die Lage war,
in der die Jünger sich befanden, als sie so erfüllt wurden, und die jeder Mensch einnehmen muß,
wenn ihm Gleiches widerfahren soll:
Sie waren versammelt und saßen still, als der Geist Gottes über sie kam. Der Heilige Geist wird
jedem Menschen so oft zuteil, so oft er sich mit aller Kraft von den Kreaturen abwendet und sich
gänzlich nach innen, zu Gott, kehrt. In dem Augenblick, da der Mensch dies tut, kommt der Geist
Gottes mit seinem ganzen Reichtum und erfüllt sogleich alle Winkel und den Grund der Seele.
"Das Haus ward ganz erfüllt", in dem die Jünger saßen. Dies Haus bedeutet äußerlich die Kirche,
innerlich die Seele jedes Menschen, in der der Geist Gottes wohnt. Wie es in einem Hause viele
Wohnungen und Kammern gibt, so sind in der Seele des Menschen viele Sinne, Kräfte und
Strebungen; in diese alle kommt er in besonderer Weise. Und wenn er kommt, so drängt und treibt
er den Menschen und wirkt in ihm und erleuchtet ihn.
Dieses Einströmens, Drängens und Einwirkens werden nicht alle Menschen in gleicher Weise
gewahr. Und wenn der Geist Gottes auch in allen Menschen zugegen ist, so muß doch der, der
seiner Gegenwart inne werden und sein Wirken erfahren will, sich zuvor in sich selbst und zu sich
selbst gesammelt, sich von allem Äußeren abgeschlossen und abgeschieden und dem Geist Gottes
eine Stätte in sich bereitet haben, da dieser in Ruhe und Stille wirken kann. Und je mehr er sich von
Mal zu Mal dem hingibt, desto deutlicher wird er seiner inne und desto leuchtender offenbart der
Geist Gottes sich ihm ungeachtet dessen, daß er von Anfang an in ihm war.
Die Jünger waren ,eingeschlossen' aus Furcht vor der feindlichen Welt. Wie viel nötiger ist es dem
heutigen Menschen, sein Inneres der Welt zu verschließen, die von überall her auf ihn eindringt und
ihn am Innewerden des Geistes Gottes hindern und des göttlichen Trostes berauben will.
Denn den Jüngern konnte die Welt nicht mehr nehmen als den Leib. Uns Heutigen aber kann sie
Gott und die Seele und das ewige Leben nehmen. Darum wendet Euch mehr nach innen als nach
außen und verschließt Euer Innerstes vor der Welt.
Hütet Euch insbesondere vor den Ursachen der Abkehr: vor den Zerstreuungen der Welt, der
Gesellschaft, der Kurzweil der Worte und Bilder und aller äußeren Weisen und Werke. Und wendet
Euch den weisen und erleuchteten Menschen zu, die noch um die unmittelbare Gegenwart Gottes
im Innersten der Seele wissen und davon künden.
Die Jünger waren ,versammelt': Damit wird uns stete Sammlung aller unserer Kräfte, der äußeren
wie der inneren, angeraten, damit der Geist Gottes eine Stätte in uns findet, wo er wirken kann.
Die Jünger ,saßen', als der Heilige Geist kam. So müssen auch wir in Wahrheit sitzen, entspannt
sein, nach innen gewendet, alles Äußere lassend, alle Kreaturen und Dinge, Lust und Leid, und
Willen und Unwillen in Gottes Willen setzen.
Denen, die danach streben und in ihrem Verhalten den Jüngern gleichen, gibt der Geist Gottes
sieben Gaben und wirkt damit sieben Werke, von denen drei den Menschen zum
Vollkommenwerden bereiten und die übrigen vier ihn innerlich und äußerlich vollkommen machen
bis zur höchsten Stufe göttlicher Vollkommenheit.
Die erste Gabe des Geistes, die in der Gottesfurcht besteht, ist ein sicherer Anfang auf dem Wege
zur Höhe und eine starke Schutzmauer, die den Menschen vor Fehlern, Hindernissen und
Fallstricken bewahrt. Sie läßt ihn den Tieren gleichen, die instinktiv vor denen, die sie fangen und
vernichten wollen, zurückscheuen oder fliehen.
Wie Gott der Natur der Kreaturen diese Gaben gegeben hat, so gibt der Heilige Geist den Seinen
diese liebenswerte Vorsicht, damit sie den Hindernissen ausweichen, die sie von ihm abhalten oder
entfernen wollen. Sie behütet die Menschen vor der Welt und vor allen Wegen und Weisen, Dingen
und Werken, durch die er seinen inneren Frieden verliert, darin doch Gottes Stätte ist. Vor alledem
soll der Mensch sich vorsehen und ihm ausweichen. Das ist der Anfang der Weisheit.
Dann folgt die zweite Gabe. Das ist die milde Sanftmut, die den Menschen zur Gottesbereitschaft
leitet. Sie nimmt ihm alle Bangigkeit und Traurigkeit, die Furcht und Vorsicht bewirken, richtet ihn
wieder auf und bringt ihn in eine göttliche Duldsamkeit innerlich wie äußerlich in allen Dingen,
nimmt ihm Unmut und Verdrossenheit, Hartnäckigkeit und Bitterkeit gegen sich selbst und andere,
macht ihn milde gegenüber seinen Nächsten in allen Dingen, und friedlich und gütig in seinem
Denken, Verhalten und Lebenswandel.
Es folgt die dritte Gabe, die den Menschen noch höher führt, wie der Geist den Menschen immer
von einer Gabe zur nächsthöheren aufwärts leitet: Sie heißt Wissen. Durch sie wird der Mensch
belehrt, acht zugeben auf die inneren Mahnungen und Weisungen des Geistes Gottes, auf die
Christus verwies: Wenn sein Wort in uns vernehmbar wird, wird es uns alle Dinge lehren, deren wir
bedürfen.
Es sind entweder Warnungen, uns vor dem oder jenem zu hüten unter Bewußtmachung der
leidvollen Folgen, wenn wir das Falsche tun, oder Mahnungen, uns so und so zu verhalten, etwas zu
lassen, zu ertragen oder zu tun. Sie wollen unseren Geist über alle Dinge emporziehen, ihm seinen
göttlichen Adel bewußt machen und ihn anleiten, sich, solange er im Leibe weilt, mit Geduld in
allen Tugenden zu üben.
Wer diesen inneren Weisungen folgt, wird von ihnen zur vierten Gabe geleitet, die heißt: Göttliche
Kraft. Welch edle Gabe ist dies! Mit ihr führt der Geist Gottes den Menschen über alle
kleinmenschliche Schwachheit und Furcht hinaus.
Diese göttliche Kraft erfüllte die Märtyrer, daß sie mit Gottes Willen fröhlich den Tod litten. Sie
macht den Menschen so großherzig und großmütig, daß er zu jedem guten Werk bereit ist, weil er
mit Paulus weiß: "Ich vermag alle Dinge durch den, der mich stark macht!" In dieser Gewißheit
fürchtet der Mensch nichts, was von außen kommt, weder Leid noch Tod. Er wird so stark, daß er
lieber stirbt, als etwas zu tun, das ihn von Gott entfernt.
Wenn dem Menschen diese Gabe zuteil wird, bringt sie stets Licht und Erleuchtung mit sich, Liebe,
Güte und Trost. Wenn der Unweise dies erlangt, gibt er sich dem mit Lust hin, begnügt sich damit
und entfernt sich so vom innersten Grunde. Der Weise hingegen schreitet über diese Gabe hinweg
und kehrt in höchster Läuterung und Lichtwerdung seiner selbst gänzlich in den Ursprung zurück.
Er sieht weder auf diese noch auf jene Gabe, sondern nur auf Gott.
Alsdann kommt die fünfte Gabe: Der Rat und die Kraft der Gelassenheit. Dieser Gabe bedarf der
Mensch sehr; denn nun nimmt ihm Gott alles, was er ihm vorher gab, um ihn ganz auf sich selbst zu
weisen und zu sehen, was und wer er ist und wie er sich in der Not der Einsamkeit verhält. Hier ist
er von Grund auf verlassen, so daß er weder von Gott noch von seinen Gaben und seinem Trost
weiß noch von irgend etwas, das er oder irgend ein guter Mensch gewann. Das wird ihm hier alles
genommen.
Darum bedarf der Mensch dieser Gabe, damit er sich mit dem Rat und der Gelassenheit so halten
kann, wie Gott es von ihm will und erwartet. So lernt der Mensch, sich selbst zu lassen und zu
entwerden, das Verlassensein willig hinzunehmen, in den göttlichen Grund zu entsinken und sich
dem Willen Gottes zu überlassen.
Gegen dieses völlige Lassen und Entbehren seiner selbst und Gottes ist alle vorangegangene
Abwendung von der Welt und der Verzicht auf die äußeren Dinge ein Nichts. Denn nun stehen im
Menschen alle Fehler und Anfechtungen, die vorher überwunden waren, wieder auf und wenden
sich heftiger denn je gegen ihn. Dies alles soll er leiden, sich von Grund auf darin lassen, gelassen
bleiben und immer wieder in den Grund und Willen Gottes einsenken.
Mit den ersten Gaben wird man wohl ein guter und erleuchteter Mensch; aber mit dieser Gabe wird
man ein göttlicher Mensch und setzt mitten im Verlassen- und Gelassensein den Fuß in das ewige
Leben, in das Reich Gottes.
Nach dieser letzten Todesqual kommt kein Leiden mehr; denn es ist unmöglich, daß Gott einen
solchen Menschen je wieder läßt. So wenig Gott sich selbst verlassen kann, so wenig kann er einen
solchen Menschen verlassen, denn er hat sich ihm gelassen und sich ihm gänzlich hingegeben. Er
steht nun mit einem Fuß im Reiche Gottes und bedarf nichts mehr, als daß er auch den anderen Fuß,
mit dem er noch hier in der Zeitlichkeit steht, nach sich zieht; dann ist er unmittelbar im ewigen
Leben.
Danach kommt die sechste und siebente Gabe: Erkenntnis und göttliche Weisheit. Diese beiden
führen ihn über alle menschlichen Weisen in den göttlichen Abgrund, wo Gott sich selbst erkennt
und versteht und um seine eigene Weisheit und Wesentlichkeit weiß. In diesen Abgrund senkt sich
der Geist so tief und vollkommen ein, daß er von sich selbst nichts weiß. Er kennt da weder Wort
noch Weise, weder Erkennen noch Lieben; denn hier ist alles ein Sein und ein Geist mit Gott.
Hier gibt Gott dem Geiste, was er selbst von Natur ist, und eint den Geist seinem namenlosen,
formlosen und weiselosen Wesen. Da wirkt Gott in dem Geiste und durch ihn seine Werke, und der
Geist ist völlig in sich entsunken und mit ihm eins.
In solcher Weise führt der Geist Gottes alle, die ihm die Stätte bereiten, damit er sie gänzlich erfülle
und ganz mit ihnen eins sei.
Daß wir ihn in solcher Weise empfangen und mit ihm eins werden, das gebe uns Gott!

FEST DES EWIGEN LEBENS

"Da spricht Jesus zu ihnen: Gehet ihr hinauf zum Fest, ich gehe noch nicht hinauf, denn meine Zeit
ist noch nicht gekommen; eure Zeit aber ist allewege." Joh. 7; 8, 6
Was für ein Fest meint Jesus, das wahrzunehmen er die Jünger auffordert, deren Zeit allewege ist?
Es ist das höchste und wahrhafte Fest des Ewigen Lebens, des Einzugs in das Reich Gottes, darin
Gott allezeit gegenwärtig ist.
Alle Feste, die wir auf Erden feiern, sind nur ein Vorgeschmack dieses ewigen Festes, ein Fühlen
der Gegenwart Gottes in unserem Geiste und ein inneres Genießen dieses beseligenden
Bewußtseins.
Das ist die Zeit, die allewege und jederzeit unser ist: daß wir Gott suchen und seine Gegenwart in
uns im Sinne haben in all unserem Wirken und Leben, Wollen und Lieben. So sollen wir allezeit
,hinaufgehen zum Fest', d. h. hinausschreiten über uns selbst, über unser Ich und alles, was nicht
Gott ist, ihn allein minnend und meinend.
Diese unsere Zeit ist allezeit.
Nun tragen zwar alle Menschen Verlangen nach dieser Festzeit des Ewigen Lebens von Natur in
sich, denn alle wollen glücklich sein. Aber dieses Begehren genügt nicht. Wir müssen Gott an sich
im Sinne haben und suchen.
Auch den Vorgeschmack der ewigen Festzeit hätten viele gern, und sie klagen, daß er ihnen nicht
zuteil werde. Wenn sie beim Beten und Meditieren keine Festzeit und Feststimmung in ihrem
Seelengrund empfinden noch Gottes Gegenwart fühlen, verdrießt sie das, und sie tun es dann
unlieber und sagen, sie fühlten Gott nicht, wozu also beten und meditieren.
Nun sollen wir aber kein Werk deshalb weniger eifrig tun; denn wenn wir ihn auch nicht in uns
fühlen, so ist Gott dabei doch gegenwärtig und mit seinem Wollen und Leben und seinem Reich in
uns.
Und wo Gott ist, da ist wahrlich Festzeit. Er muß da sein, wo man ihn im Sinne hat und ihn allein
sucht. Er ist vielleicht heimlich und verborgen da; aber er ist da!
Daß wir ihn allezeit im Sinne haben in all unserem Denken und Tun und uns oft nach innen wenden
und ,hinaufgehen', über uns selbst hinaus und hinauf in sein Reich, das meint Jesu Wort: "Eure Zeit,
hinaufzugehen, ist allewege."
Seine Zeit aber, daß er sich offenbare und entdeckt werde, ist nicht allezeit. Diese Zeit sollen wir
ihm überlassen. Er ist aber ohne Zweifel verborgen da, wo wir ihn suchen und im Sinne haben.
Darum sollen wir keine Übung unwillig tun; denn zuletzt finden wir ihn und wissen dann: er war
immer da, nur war er bis dahin verborgen.
Hierauf zielen und dieser Offenbarwerdung dienen alle Gebete und Meditationen, alle geistigen
Übungen und guten Werke: daß wir Gott allein im Sinn haben und daß in uns das Fest des Ewigen
Lebens anhebe und wir mit Gott einen Grund haben, in dem nichts ist als Gott allein. Soweit alle
unsere Weisen und Werke hierzu dienen, sind sie gut und nützlich; wo nicht, bleiben alle äußeren
Übungen wertlos und fruchtlos, weil sie nicht zum Fest des Ewigen Lebens leiten.
Und was ist das Kennzeichen des rechten Lebens, das den Menschen allezeit am Fest des Ewigen
Lebens, am Reiche Gottes teilhaben läßt?
Es ist die wahre göttliche Liebe und völlige Hingabe an Gott, die ,Armut an Geist und Gut', d. h.
das Freisein vom eigenen Meinen und Besitzenwollen. Wir leben recht und sind allezeit bereit,
wenn wir nur dieses eine im Sinne haben: Gott über alles zu lieben und ihm mit unserem ganzen
Sein und Wesen zu dienen und uns untereinander zu lieben wie uns selbst.
,Arm' sollen wir sein an uns selbst und an allem, was nicht Gott ist, an allem Eigenbesitz und
Eigenwillen, und frei von allen Kreaturen, allen Bindungen und dem, was uns vom innersten
Seelengrund wegzieht, den Gott allein besitzen und erfüllen soll. Dann sind wir der Teilhabe am
Fest des Ewigen Lebens jederzeit würdig.
Nur dazu sind alle religiösen Gebräuche und geistigen Übungen und alle Weisen gottzugewandten
Lebens da, und soweit sie dazu dienen, sind sie gut und nützlich und helfen uns, als Kinder Gottes
am Reiche Gottes teilzuhaben.
Tun wir all dies darum allezeit gern und mit festlichem Gemüt, und achten wir darauf, daß wir Gott
unseren Seelengrund von allem Irdischen frei und lauter darbieten, dann werden wir seiner
lebendigen Gegenwart in uns gewiß.
Das allein ist die wahre Andacht und Versenkung, daß uns nach nichts verlangt, als Gott im Sinn zu
haben und seiner immerwährenden Gegenwart in uns jederzeit gewiß zu sein.
Das meint der Ruf, daß unsere Zeit allezeit ist. Und dafür sollten wir Gott allezeit danken, daß er
uns als seine Kinder gerufen und berufen hat, jederzeit am Fest des Ewigen Lebens teilzunehmen,
und eingeladen, immerfort in seinem ewigen Reiche zu bleiben.
Wenden wir darum allen Fleiß darauf, uns zu bereiten und stets bereit zu halten, daß Gott sich in
uns offenbare und wir mit unserem ganzen Wesen am Fest des Ewigen Lebens teil haben in unseren
Gebeten wie in unseren Werken, die wir nun einmal auf Erden tun müssen.
Dann empfinden und erfahren wir in Wahrheit die ewige Festzeit Gottes allezeit als gegenwärtig,
fühlen uns ganz Gott zu eigen und niemandem sonst, und wissen uns als Kinder Gottes im Reich
des Ewigen Lebens.
Dann ist Gott jederzeit mit uns und in uns: wir sind in ihm und er ist in uns – hier in der Zeit und
dort in der Ewigkeit und nimmer endenden Seligkeit!
Daß uns allen dies zuteil werde, dazu verhelfe uns Gott!

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