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BOMAN Das Letzte Wort Jesu
BOMAN Das Letzte Wort Jesu
To cite this article: Thorleif Boman (1963) Das Letzte Wort Jesu, Studia Theologica - Nordic Journal of Theology, 17:2,
103-119, DOI: 10.1080/00393386308599840
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Das letzte Wort Jesu.
Von
THORLEIF BOMAN.
Downloaded by [Korea University] at 01:05 06 January 2015
Das Interesse fur die letzten Worte eines grossen Mannes ist alien
Volkem gemein, ganz deutlich auch dem israelitischen Volk. So ist es
nur natiirlich, dass die Jiinger Jesu daran interessiert waren, mit wel-
chen Worten ihr geliebter Meister vom Leben schied, um so mehr als
seine Leidensgeschichte vom Anfang an im Zentrum ihres Glaubens
stand. So finden wir denn auch, dass die Leidensgeschichte von alien
vier Evangelisten ziemlich gleich erzāhlt wird. Es verdient beachtet
zu werden, dass das Johannesevangelium, das sonst und als Ganzes dem
Lukasevangelium am nachaten steht, gerade in der Wiedergabe der
letzten Begebenheiten im Leben Jesu, sich nāher an die Mk. Mt.
tradition anlehnt. Die Leidensgeschichte, die ursprunglich aus Einzel-
iiberlieferungen bestand, ist friih zu einem zusammenhāngenden Be-
richt gemacht worden. Nāhere Einzelheiten bei X . Leon-Dufour, S. J . ,
Dictionnaire de la Bible, Supplement B . 6, Sp. 1419—1492, Art. Pas-
sion, wo auch ausfiihrliche Literaturangaben zu finden sind.
Die Uberlieferung des letzten Wortes Jesu bietet aber besondere
Schwierigkeiten, die fast unlōsbar zu sein scheinen. Alle vier Evange-
listen zeigen hier auffallende Āhnlichkeiten, gleichzeitig aber un-
erklārliche Verschiedenheiten, ja Gegensātze. So erzāhlen alle vier,
dass Jesus mit einem Wort aus dem Alten Testament genauer bestimmt,
aus dem Psalter, auf den Lippen starb; Matthāus erzāhlt noch von
einem wortlosen Schrei, der unmittelbar nach dem ersten folgte; J o -
hannes berichtet von einem kurzen Wort unmittelbar nach dem
Schriftwort. Die Ubereinsstimmung scheint auf eine ursprungliche
gemeinsame Uberlieferung zuriickzugehen. Die Worte der vier Evange-
listen sind aber inhaltlich so verschieden, dass sie sich gegenseitig aus-
schliessen. Ein analoger Fall kommt in der ganzen Evangelientradi-
tion nicht vor. Zwar rechnet die kritische theologische Forschung mit
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Magdala und Maria des Jakobus und als dritte Johanna. Mk.Mt. und
Lk. erzāhlen, dass mehrere Jungerinnen aus Galilāa am Kreuze, bezw.
am Grabe standen; jeder nennt aber nur drei Namen, denn nach dem
Gesetze waren hōchst drei Zeugen nōtig, um die Wahrheit einer Bege-
benheit zu bestatigen, Deut. 19,15.
Mit Nachdruck nennen alle vier Evangelien Maria aus Magdala,
die Jesus von Bessessenheit geheilt hatte, Lk. 8,2, augenscheinlich die
stārkste und bedeutendste Personlichkeit unter den Jungerinnen aus
Galilāa. Man denkt unwillkiirlich an die hochbegabte, besessene Frau,
die der altere Blumhardt heilte, und die nachher seine treue, charak-
tervolle und geistesmāchtige Mitarbeiterin bis zu ihrem Tode wurde.
Wir wollen nun versuchen, durch eine Analyse des letzten Wortes in
alien vier Evangelien auf die Spur eines prāsumptiv ursprunglich ge-
meinsamen letzten Wortes Jesu zu kommen, und wir fangen mit Mk.
Mt. an.
Die Textuberlieferung zu dem letzten Rufe Jesu bei Mk.Mt. zeigt
ungewohnlich viele Varianten, aber alle Textformen bieten irgend eine
Wiedergabe von Ps. 22,2. Es ist deshalb unmōglich auf textkritischem
Wege zu dem Ergebnis von Harald Sahlin, Biblica 1952, S. 62f. zu
kommen, dass der Mk. text ursprunglich nur ήλί άττά, ό θεός μου ει
σύ gehabt habe, und dass dieser Text unter dem ubermāchtigen Ein-
fluss des Mt. textes verāndert worden sei.
Bei der iiberwiegenden Mehrzahl der Mt. handschriften: D Ε Δ Σ Φ
090 1; A G Κ Μ min sy3 lautet die Gottesanrede Eli (ήλεί, ήλί,
ήλί); nur S. Β 33 sa bo haben έλωϊ(-ει), was offenbar eine Angleichung
an den Mk. text ist.
Auch das Petrusevangelium ist ein Zeuge fiir die Mt.form. In ή δύνα-
\ιίς μου, ή δύναμις, κατέλειψάξ με, muss ή δύναμίς μου eine Uber-
setzung von ""Vs sein, denn VĶ kann ja auch Kraft bedeuten. Dagegen
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ist die Auffassung, dass ή δύναμη hier wie Mk. 14,62 nur eine Um-
schreibung fur &εόζ sei, nicht annehmbar; denn wohl kann man Gott
»die Kaft« nennen, aber nicht nneine Kraft«, so wie man Gott sehr wohl
»den Himmel« Lk. 15,18.21, aber nicht »meinen Himmek nennen kann.
In Mk. 15,34 haben die meisten Textzeugen έλωϊ, aber D Θ 059 131
565 it haben ήλεί. Zu Grunde liegt wohl eine Reflexion dariiber, welche
von den beiden Formen die ursprungliche sein mōge, und so ist die
Matthausform in den Markustext eingetragen worden. Viele der alten
Abschreiber haben also bemerkt, dass die Gottesanrede bei Mt. und Mk.
verschiedenlautete, undeinige habensich erlaubt, die Unstimmigkeit zu
beseitigen. Dass sie es aber in verschiedener Weise getan haben, ist ein
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Christen kein Heifer in der Not, auch nicht fur den Messias, sondern
sein Vorlāufer, der den Worten Jesu nach in der Gestalt des Taufers
schon gekommen war, Strack-Billerbeck, Exk. iiber Elia I 3.
Seit den Tagen D. F . Strauss's haben Forscher aus verschiedenen
Grunden die Historizitāt des Klagerufes verworfen. Strauss konnte
sich nicht vorstellen, dass eine erhabene Persōnlichkeit wie Jesus mit
einem Verzweiflungsruf gestorben sei. J . Weiss, A. Loisy, G. Bertram,
B . W. Bacon, Branscomb, Bultmann, Strathmann Alex. Pallis, Fr.
Hauck u. a. meinen, dass der letzte Ruf Jesu am Kreuze wortlos war.
Diese Annahme ist auch keine Lōsung. Von einem letzten wortlosen
Schrei erzāhlt wohl Mt. 27,46, aber nicht Mk. 15,37 (s.u.). Auch das
Unwahrscheinliche vorausgesetzt, dass die glaubende Gemeinde ihrem
Herrn und Heiland, dem Sohne Gottes, einen Verzweiflungsschrei in
den Mund gelegt hātte, wie konnte daraus schon infolge der āltesten
Quelle die Legende vom sinnlosen Missverstāndnis der Gegner entstan-
den sein ? Nicht das geringste Motiv fur sein Entstehen lāsst sich an-
fuhren.
Die Exegeten haben offenbar nicht dariiber nachgedacht, dass die
Historizitāt des Missverstāndnisses viel fester steht als der Inhalt des
Klagerufes; denn dieser ist schon als ein langes, alttestamentliches
Zitat verdāchtig; Jesus pflegte nicht seine Gedanken mit alttestament-
lichen Worten auszudrucken. Fur die Gemeinde aber war es leichter,
ein alttestamentliches Zitat zu produzieren als eine so originelle
Episode wie die des Missverstāndnisses. Die ganze Leidensgeschichte
wurde j a im Lichte des Alten Testaments studiert und gedeutet, (W.
Hasenzahl. Die Gottverlassenheit des Christus nach dem Kreuzeswort
bei Matthāus und Markus, Beitrage z. Ford. Chr. Theologie, 1937,
S. 7—11, wo weitere Literatur) Ein Versuch, den Inhalt des letzten
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Cranfield, The Gospel according to Saint Mark, 1959, S. 458f. Auf der
anderen Seite stehen diejenigen, die im Lichte des Ps. 22 als einer
Ganzheit den Schrei Jesu »als eine letzte Glaubensausserung« ansehen,
so z.B. M' Leod Campbell, The Nature of the Atonement, S. 240f.
Noch weiter geht E . Stauffer, Jesus, Gestalt und Geschichte, 1957,
S. 106. Mit hegelianischer Logik sucht E . Lohmeyer (Das Evangelium
des Markus, 1951, S. 345f.) die unversohnlichen Gegensatze zu
vereinigen: »Dieser Schrei der Verzweiflung ist zugleich ein Gebet an
»Meinen Gott« mit den Worten der Heiligen Schrift Niemals vorher
ist die Nahe zu Gott, gleichsam der Besitz Gottes, so klar zu Worte
gekommen wie in diesem Worte abgriindiger Gottverlassenheit ;
indem sich ihm jetzt Gottes Herz verschliesst, ist es ihm erschlossen...
So offenbart sich denn auch hier das Geheimnis des Menschensohnes;
weil E r es ist, deshalb ist er hier im Augenblick des widergottlichen
Todes nichts anderes als unergriindlich bis zur vōlligen Verzweiflung
angefochtene, zitternde und zerschlagene Kreatur und ist eben
deshalb der eschatologische Uberwinder des Todes und aller widergott-
lichen Māchte*. G. Dalman zeigt (Jesus-Jeschua, 1922, S. 184ff.) mit
einem Hinweis an Midr.Teh. 22,2, dass der Klageruf fur die Zeitgenos-
sen Jesu nicht so anstossig war wie fiir uns. Es heisst da von dem Auf-
treten Esthers an ihren drei Fasttagen (Esth. 4,16): Am ersten Tage
betete sie »Mein Gott!« am zweiten wiederum »Mein Gott!« am dritten
»Warum hast du mich verlassen?«. Als sie schliesslich mit lauter
Stimme rief: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«
wurde sie sofort erhort.
Wir versuchen zuerst festzustellen, was infolge Markus und Mat-
thaus wahrend der letzten Augenblicke im Leben Jesu geschehen sein
muss. Jesus rief plotzlich und unerwartet mit lauter Stimme: »Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!« έβόησεν φωνή μεγάλη·
Das letzte Wort Jesu 109
ήλΐ ήλΐ λαμά σαβαχ3άνι. Die Anrede Gottes war also in hebrāischer,
die Klage in aramāischer Sprache, eine Kombination, die damals sehr
wohl mōglich war, wie Targum Onkelos zeigt. Eli war geradezu das
zunāchst zu erwartende. Jedem aramāisch redenden Juden war E l ein
wohlbekanntes Wort (G. Dalman, Die Worte Jesu, B . I, S. 47f.).
Der laute Ruf brachte grosse Verwirrung hervor. Ein rōmischer
Soldat, der zur Wache gehōrte, sprang zum Kreuze mit einem Schwamm
mit saurem Wein, dem gewohnlichen Labetrank fur romische Soldaten,
gefiillt, setzte ihn auf ein Rohr, und wollte Jesus zu trinken geben,
έπότιψεν, impf. de conatu hier wie in v. 23. Die Bedeutung ist in beiden
Fallen dieselbe, Jesus hat nicht getrunken, das erste mal, weil er nicht
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wollte, das letzte mal, weil er nicht konnte, denn er war schon am
Sterben. Das Motiv des Soldaten kann man nicht wissen, vielleicht
Barmherzigkeit; man weiss aber auch, dass Labetrānke das Leben und
damit die Leiden der Gekreuzigten verlāngerten, vielleicht war es eine
unwillkiirliche Reaktion auf den lauten Ruf Jesu. Das Motiv des Sol-
daten hat kein historisches Interesse, wohl aber seine Tat; denn sie
ist eines der vielen Beispiele von der starken Wirkung des Rufes. Eine
andere Wirkung hatte der Ruf auf die judischen Zuschauer. Einige von
ihnen reagierten mit der Bemerkung: »Er ruft Elia! Lasst sehen, ob
Elia kommt, ihn herab zu nehmen« (Mk.) oder: »ihn zu retten* (Mt.);
άφετε ist kaum ein Versuch, den Soldaten zu hindern, sondern ver-
stārkt hier wie Mt. 7,4 nur das Hauptverb. Eine dritte, ganz andere
Reaktion zeigt der Ausruf des wachthabenden romischen Offiziers.
Nachdem Markus in v. 35f. die allgemeine Verwirrung, die der Ruf
Jesu hervorbrachte, geschildert hat, nimmt er mit v. 37 den abgebro-
chenen Faden wieder auf mit der Bemerkung: »Nachdem Jesus den
lauten Ruf (φωνήν μεγάλην, wie in v. 34) ausgestossen hatte, verschied
er«. Dieser Gebrauch von άφείς ist klassisch griechisch, Beispiele bei
Cranfield. Kaum wurde jemand auf den Gedanken gekommen sein,
dass v. 37 von einem neuen, lauten Ruf handelte, wenn man nicht den
Mt. text gehabt hatte, wo v. 50 mit πάλιν ein zweiter Ruf ausdriicklich
erwahnt wird. Dass der letzte Ruf unartikuliert war, steht nicht da;
das πάλιν und die Wiederholung von φωνή μεγάλη in ν. 46 deuten eher
darauf hin, dass der zweite Ruf auch artikuliert war; um so sonder-
barer ist es, dass Matthāus ihn nicht angibt. Dass Matthaus Anstoss an
der Beschreibung der Todeszene bei Markus genommen hat, geht aus
mehreren Einzelheiten hervor. So hat er oder seine Quelle die Anrede
έλωΐ geāndert, um das Missverstāndnis psychologisch moglich zu
machen. E r hat auch verstanden, dass ein Klageruf ungeeignet war,
Studia Theologica. Vol. 17 — 8
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iibergeben war, in dem festen Glauben, Jesus als den Sohn Gottes
damit zu verherrlichen. Diese Art des Erzāhlens ist stilistisch ein
Nachteil, historisch aber ein Vorteil; derm einfache, unreflektierte
Menschen sind bessere Zeugen und Traditionsbewahrer als kritische,
intellektuel hochstehende Menschen. Die geschichtlichen Tatsachen
der Todesszene Jesu sind deshalb zuerst in der Wirrnis des Markus-
berichtes zu suchen.
Als geschichtliche Tatsache steht fest, dass Jesus kurz vor seinem
Tod laut etwas gerufen hat, was die unherstehenden Gegner so ver-
standen haben, dass er den Elia rief; etwas ferner stehende Jiinger-
innen haben aber gehort, dass der Ruf an Gott gerichtet war. Die Frage
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ist nun: Was kann Jesus dann gerufen haben? Mk.Mt. antworten:
Ps. 22,2. Dagegen aber spricht:
1. Das Alte Testament war fur die Gemeinde eine Quelle zur Deu-
tung des Lebens und besonders des Leidens Jesu und hat oft die Form
der Tradition bestimmt. Dagegen war es nicht die Gewohnheit Jesu
seine eigenen Gedanken in alttestamentliches Gewand zu kleiden. Wo
Jesus in den Evangelien alttestamentliche Ausdriicke und Sātze ge-
braucht, ohne sie direkt oder indirekt als Zitate zu bezeichnen, haben
wir Veranlassung, ihre Echtheit zu bezweifeln, z.B. die eschatologische
Rede, Mk. 13.
2. Jesus legte nie sein inneres Leben der Ōffentlichkeit, kaum seinen
Jiingern vor. Sein personliches Gottesverhāltnis behielt er fur sich.
Wenn er mit seinem himmlischen Vater im Gebet reden wollte, suchte
er womoglich einen einsamen Ort auf. Auch seinen Jiingern empfahl
er, in die Kammer zu gehen, die Ttir zu schliessen und im Verborgenen
zu beten. Und so sollte er am Ende und als Ende seines Lebens im
Gebet vor den Augen seiner Feinde bekannt haben, dass Gott ihn ver-
lassen hatte, oder jedenfalls, dass er sich von Gott verlassen fuhlte 1
Und das soil er mit lauter Stimme gebetet haben, also nicht in einem
Moment kōrperlich-seelischer Schwache, sondern im Besitze seiner
Kraft! oder aber sammelte er seine letzten Krāfte, um der Nachwelt
diese Gottverlassenheit mitzuteilen? Hat jemand jemals den Hunden
das Heilige gegeben und seine Perlen vor die Sāue geworfen, muss es
diesmal geschehen sein! Etwas Ahnliches ist ohne Analogie im Leben
Jesu. Ein gewohnlicher Mensch hātte es in einer solchen Sitution kaum
getan, auch wenn er noch so enttāuscht gestorben sei, es sei denn, er
hatte die Absicht, auf sein verfehltes Leben reuevoll und zur Warnung
hinzuweisen.
Sind wir aber der Uberzeugung, dass das Missverstāndnis geschicht-
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lich zuverlāssig ist, miissen wir untersuchen, was von dem Inhalt des
Klagerufes durch das Missverstāndnis bestātigt wird. Das ist nur die
Anrede an Gott, Eli. Viel mehr hat nicht in dem Ruf liegen konnen;
denn Ήλίαν φωνεΐ bedeutet nur »Er ruft den Elia«. Es bedeutet also
nicht »Er ruft Elia etwas zu«. Das hātte heissen miissen 'Ηλία προσφωνεί
Mt. 11,16; Lk. 7,32; Acta 22,3; oder der Evangelist hātte ein ganz
anderes Verbum gebraucht wie προσφ3έγγεσ3αι oder έπιβοδν oder
ganz allgemein λέγειν. In der Bemerkung »Er ruft Elia« liegt also,
dass Jesu letzter Ruf so geformt war, dass er als ein blosser Anruf ver-
standen wurde. Das Umstrittene war nur die Person der Anrede.
Als vorlāufige Arbeitshypothese nehmen wir deshalb an, dass Jesus
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nur Eli gerufen habe, und zwar einmal; denn wenn er zweimal gerufen
hātte, ware die Verwechslung kaum moglich gewesen. Wichtig ist nun,
was dies »Eli« ausdriicken sollte. An sich kann es ailes Mōgliche aus-
driicken von Trauer und Verzweiflung bis zu Jubel und Triumph.
Sagen die Quellen uns etwas dariiber? Indirekt zweifellos. 1. Alle
Synoptiker erzāhlen, dass Jesus mit lauter Stimme rief. Das deutet
mehr auf Freude und Triumph als auf Trauer und Niedergedriickt-
heit. 2. Die Reaktion des Kenturionen, Mk. 15,39, notigt uns zu der-
selben Schlussfolgerung. 3. Fiir diese Deutung sprechen auch die Uber-
lieferungen bei Lukas und Johannes, wo dass letzte Wort Jesu Frieden
und Triumph ausdriickt.
E s war natiirlich, dass die Gemeinde mit der Zeit versuchte, den
letzten Ruf Jesu mit Hilfe der heiligen Schrift zu deuten. Es lag nahe
fur die Urgemeinde in Jerusalem, Ps. 22 zu diesem Zweck heranzu-
ziehen, denn fur sie stand ja fest, dass der Messias in diesem Psalm
von seinen Leiden sprach. Sonderbar ist allerdings, dass die Gemeinde
einen Freudenruf durch einen Klageruf deutete. Man muss aber be-
denken, dass die Gemeinde den ganzen Psalm vor sich hatte, und ihn
las und verstand als eine Ganzheit, und als Ganzes war der Psalm voll
Gottvertrauen. Dass Jesus den ganzen Psalm im Sinne gehabt hātte,
als er v. 2 rief, ist ein unmōglicher Gedanke; dass aber die nachden-
kende Gemeinde es hatte, als sie im Ps. 22 eine Deutungsmoglich-
keit fur den letzten Ruf Jesu suchte, ist eigentlich selbstverstāndlich.
Die Bemerkung Stauffers (Jesus, S. 106), dass Markus nach jiidischer
Zitationsweise nur den Anfangsvers des Psalmes anfuhrt, um damit
den ganzen Psalm zu bezeichnen, ist wohl nicht richtig. Endlich war
der Kreuzigungstod fur die damaligen Menschen an sich etwas so
Entsetzliches und Unheimliches, dass die Klage in Ps. 22,2 ihre eigene
Reaktion auf die Kreuzigung gut ausdriickte, vgl. Gal. 3,13, und so
Das htzte Wort Jesu 113
haben sie ihre eigenen Gefiihle in Jesu Ruf hineingelegt, vgl. die
diistere Stimmung in unseren Karfreitagsliedem. I n dieser Weise kann
man einigermassen erklaren, dass, nachdem Ps. 22,2 jahrelang ge-
braucht worden war, urn den letzten Ruf Jesu zu Gott zu deuten
und die Karfreitagsstimmung der Gemeinde auszudriicken, zuletzt
Jesus in den Mund gelegt wurde.
Wahrend die Gottesanrede Eli den aramaisch redenden Jiingern
ein vertrautes und liebes Wort war, war es den griechisch redenden
Jiingem, (bei welchen die Lukasquelle zu suchen ist), ein unbekanntes
Fremdwort, das ihnen nichts zu sagen hatte. Fur sie war es natiirlich,
nicht auf Eli Gewicht zu legen, sondern auf den durch den Klang an-
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gegebenen Inhalt des Rufes. Da bei ihnen erzāhlt wurde, dass das
letzte Wort Jesu voll Gottvertrauen war, lag es ihnen nicht fern, an
Ps. 31,6 ( L X X 30,6) zu denken, ein den Juden als ein kurzes Abend-
gebet bekanntes Wort (Strack-Billerbeck zu Lk. 23,46), wohlgeeignet
im Munde ernes Sterbenden, Act. 7,59, auch weil der Schlaf den Juden
ein Sinnbild des Todes war. Auch in diesen Kreisen wurde, sicher erst
nach Jahren, die Deutung Jesus in den Mund gelegt. Dass bei ihnen die
Anrede an Gott, Eli, hier zu πάτερ verāndert wurde, ist ganz natur-
lich, Jesus hatte sie doch seine Jiinger gelehrt, 11,1, und sie hatten
einmal gehort, dass Jesus selbst sie gebraucht hatte, 10,21. Wie
verbreitet diese Anrede in sowohl aramaisch wie griechisch redenden
Gemeinden war, zeigt Gal. 4,6; Rōm. 8,15. Lukas hat also den letzten
Ruf Jesu sachlich nicht geāndert und hat deshalb nicht gegen seine in
1,1—4 genannten Intention en gehandelt. Wenn auch das letzte Wort
Jesu bei Mk.Mt. von demjenigen des Lk. grundverschieden ist, sindsie
einander aile darin āhnlich, dass sie Gemeindedeutungen des Elirufes
mit Hilfe eines messianischen Klagepsalmes sind.
Johannes hat wie Matthaus eine doppelte Uberlieferung von dem
letzten Wort Jesu. Sowohl διψώ ν. 28 wie τετέλεσται ν. 30 miissen
Deutungen davon sein. Es liegt nahe zu denken, dass Johannes mit
dem ersten Wort die Depression und Klage bei Mk.Mt., mit dem
zweiten die Stimmung bei Lk. wiedergeben will. Es gibt aber eine
andere und bessere Deutungsmoglichkeit.
Die Bedeutung von τετέλεσται in Joh. 19,30, vgl. v. 28, ist klar.
Jesus hat das Werk, das Gott ihm zur Vollfuhrung gegeben hatte,
4,34; 5,36; 14,31; 17,4, vollbracht. J a , Jesus wusste, dass alles schon
vollbracht war, v. 28, also auch alles, was die Schrift von seiner Lei-
densgeschichte vorhergesagt hatte, 12,38—40; 13,18; 15,25; 17,12;
19,24; und in vollkommener Tat hatte er auch seine Liebe zu den Jun-
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gern vollendet, 13,1. Aber Jesus hatte noch mehr vollendet. Seit
Deuterojesaja waren im judischen Glauben Heil und Schopfung aufs
engste verbunden; so auch im Prolog des Evangeliums. Nun macht
Stauffer (Jesus, S. 105, 107) darauf aufmerksam, dass auch der
Schopf ungsbericht, Gen. 1—2, 4, zweimal von einer Vollendung redet:
»Also ward vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und
also vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte,
und ruhte am siebenten Tage von alien seinen Werken, die er machte*.
Wie Johannes im Prolog den Anfang des Lebens Jesu in Verbindung
mit der Schopfung setzte, so jetzt die Vollendung der Schopfung mit
dem Abschluss des Lebens Jesu. Diesen Gedanken hat er schon 5,17
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vorbereitet: »Mein Vater wirket noch immer, so wirke auch ich«, d.h.
dass er die Darstellung in Gen. 2,2 von der Ruhe Gottes nach der
vollendeten Schopfung dahin korrigiert, dass sie noch nicht eingetreten
ist, vgl. Hebr. 4 iiber die Ruhe Gottes in Vergangenheit und Zukunft.
Erst mit dem Abschluss des Heilswerkes Jesu iss die Schopfung
vollendet.
Was kann aber in diesem Zusammenhang διψώ »Mich diirstet* be-
deuten ? Und dies sagt Jesus, um die Schrift zur endgiiltigen Vollendung
zu bringen, τελειωθη und nicht ττληρωβτί wie sonst immer vorher
(siehe oben) und auch nach seinem Tode, 19,36. Die meisten Exegeten
meinen, dass der Evangelist an Ps. 69,22 denkt: »Fiir meinen Durst
gaben sie mir Essig zu trinken*. Joh. kann aber unmōglich gemeint
haben, dass Jesus in dem Augenblick, da er das Herannahen des Todes
merkt, von seinem Durst so iiberwaltigt wird, dass er um einen Labe-
trank bitten muss. Eine solche Auffassung ist unvereinbar mit dem
erhabenen, Ubermenschlichen Christusbild des Evangelisten. Auch
nicht bei den Synoptikem finden wir die leiseste Andeutung von einer
Klage Jesu iiber kōrperliche Schmerzen und Bediirfnisse. Noch
weniger kann es bedeuten, dass Jesus tut, als ob sein Durst unertrāg-
lich ware, damit ein Schriftwort erfullt werden sollte. Johannes wiirde
nicht Jesus in der Todesstunde Komōdie spielen lassen. Ausserdem
beklagt sich der Psalmist in 69,22 nicht uber seinen Durst, sondern
iiber seine bosen Mitmenschen. Viele Exegeten gestehen denn auch,
dass dieses Schriftwort schlecht passt, aber sie konnen kein besseres
finden.
Wir miisspn deshalb der Deutung E . C. Hoskyns' den Vorzuggeben.
Er erinnert daŗan (The Fourth Gospel, ed. F. N. Davey, 1942, S. 632),
dass Durst bei Johannes, 4,13f., 7,37, eine geistige Bedeutung hat.
Durst bedeutet hier ein tiefes Lebensbediirfnis, das sich in einem
Das letzte Wort Jesu 115
laut und deutlich gerufenes Eli mit Elijja haben verwechseln kōnnen.
Das zweite Problem ist dies: Warum hat die Tradition eben diese
drei und nicht andere ebenso gute Schriftstellen gewahlt ? Beruht es
auf einer Zufālligkeit, oder kann man einen plausiblen Grund dafur
angeben ?
Wir wenden uns der ersten Schwierigkeit zu, der psychologischen
Erklārung der Entstehung des Missverstāndnisses. Die Annahme
M. Rehms, dass Eli eine Kurzform fur Elijja war (Eli, Eli, lamma
sabachtani, Bibl. Zeitschrift, Paderborn, 1958, S. 276), ist ohne Beleg
und deshalb unannehmbar. A. Guillaume meint umgekehrt, dass Elija
eine auch zur Zeit Jesu gebrauchliche archaische Nebenform zu E l i
war. (Mt. 27,46 in the Light of the Dead Sea Scroll of Isaiah, Palestine
Exploration Quarterly, 1951, S. 78—80). Guillaume gesteht, dass diese
archaische Form auch in der Jesajarolle vom Toten Meere sehr selten
ist. Dass die Juden in neutestamentlicher Zeit in Ps. 22,2 »Elija,
Elija« gelesen haben sollten, ist ohne Beleg und hōchst unwahrschein-
lich. Die beiden Vorschlāge sind aber interessant, weil sie voraussetzen,
dass eine Verwechslung von Eli und Elijja unmoglich ist.
Trifft das zu, muss Harald Sahlins friiher erwahnte geistreiche
Vermutung, dass Jesus »Eli attā« ΠΡιΝ ""VŅ »Mein Gott bist du« gerufen
hat, von diesem neuen Gesichtspunkt in Betracht gezogen werden.
Die umherstehenden Juden haben als selbstverstandlich angenom-
men, dass Jesus seine aramāische Alltagssprache benutzte und mussten
den Ruf als Elijjā tā, πη K'VĶ, d.h. Elia, komm! auffassen. Die Klang-
anniichkeit ist hier auffallend gross, und das Missverstāndnis fiir
fremde Menschen leicht erklarbar. Die Jungerinnen dagegen, unter
ihnen vor alien Maria aus Magdala, hatten grossere Voraussetzungen,
ihn besser zu verstehen.
E s ist nun selbstverstandlich, dass die judischen Zeugen gleich nach
Das Utzte Wort Jesu 117