The document summarizes the proceedings of the 46th session of the German Bundestag held on March 10th, 1950 in Bonn. It discusses several questions raised by political factions and the responses provided by government ministers. It also contains the text of a statement by Chancellor Adenauer on recent agreements signed between France and Saarland regarding the future status of Saarland, which is pending the outcome of a peace treaty with Germany.
The document summarizes the proceedings of the 46th session of the German Bundestag held on March 10th, 1950 in Bonn. It discusses several questions raised by political factions and the responses provided by government ministers. It also contains the text of a statement by Chancellor Adenauer on recent agreements signed between France and Saarland regarding the future status of Saarland, which is pending the outcome of a peace treaty with Germany.
The document summarizes the proceedings of the 46th session of the German Bundestag held on March 10th, 1950 in Bonn. It discusses several questions raised by political factions and the responses provided by government ministers. It also contains the text of a statement by Chancellor Adenauer on recent agreements signed between France and Saarland regarding the future status of Saarland, which is pending the outcome of a peace treaty with Germany.
Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10.
März 1950 1555
Loritz (WAV) 1582D
Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 1585C
Nächste Sitzungen 1588C
Die Sitzung wird um 10 Uhr 23 Minuten durch
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 46. Sitzung des Deutschen Bundes- tags. Ich bitte zunächst den Schriftführer Herrn Abgeordneten Matthes, die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.
46. Sitzung Matthes, Schriftführer: Es fehlen wegen Er-
krankung die Abgeordneten Höfler, Frau Heiler, Sabel, Schütz, Frau Dr. Gröwel, Dr. Pünder, Dr. Bonn, Freitag, den 10. März 1950. Dr. Lehr, Meyer (Bremen), Frau Albrecht, Dr. Gülich, Bielig, Hennig, Valentin Baur, Behrisch, Steinhörster, Fräu Nadig, Schönauer, Dirscherl, Stegner, Margulies, Dr. Hasemann, Eichner, Fisch, Geschäftliche Mitteilungen . . . 1555C, 1588A Paschek, Frau Dr. Ilk Dannemann, Wittmann und Determann. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Anfrage Nr. 44 der Fraktion der KPD betr. Dr. Tillmanns, Nickl, Dr. Pferdmenges, Ritzel, neunprozentige Lohnerhöhung im Stein- Erler, Jacobi, Wagner, Görlinger, Dr. Wellhausen, kohlenbergbau (Drucksachen Nr. 481 Euler, Kuhlemann, Dr. Etzel , Dr. Baumgartner, und 629) 1555C Wallner, Clausen, Kriedemann, Rademacher, Bahlburg und Schmitt (Mainz). Außerdem fehlt der Anfrage Nr. 43 der Abg. Stücklen, Strauß Abgeordnete Goetzendorff. u. Gen. betr. zentrale Beschaffungsstelle Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! für die Ausgestaltung der Bundesbe- Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen. hörden (Drucksachen Nr. 462 und 683) . 1555D Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat Anfrage Nr. 48 der Fraktion der KPD betr. unter dem 17. Februar 1950 die Anfrage Nr. 44 Ost-West-Handel (Drucksachen Nr. 529 der Fraktion der KPD betreffend neunprozentige Lohnerhöhung im Steinkohlenbergbau — Druck- und 659) 1555D sache Nr. 481 — beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 629 vervielfältigt. Anfrage Nr. 54 der Fraktion der FDP betr Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter Schiffsbau für ' Exportzwecke (Druck- dem 27. Februar 1950 die Anfrage Nr. 43 der Ab- sachen Nr. 577 und 693) 1555D geordneten Stücklen, Strauß und Genossen be- treffend zentrale Beschaffungsstelle für die Aus- Entgegennahme einer Erklärung der Bun- gestaltung der Bundesbehörden — Drucksache desregierung (Saarfrage) 1555D Nr. 462 — beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 683 vervielfältigt. Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 1555D Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 6. März 1950 die Anfrage Nr. 48 der Unterbrechung der Sitzung . . 1560B Fraktion der KPD betreffend Ost-West-Handel — Drucksache Nr. 527 — beantwortet. Die Ant- Zwischenfall wegen Anwesenheit des Abg wort wird als Drucksache Nr. 659 vervielfältigt. Hedler im Sitzungssaal . . . . 1560D, 1588C Schließlich hat der Herr Bundesminister für Ver- kehr unter dem 8. März 1950 die Anfrage Nr. 54 Aussprache über die Erklärung der Bun- der Fraktion der SPD betreffend Schiffsbau für desregierung 1560C, 1561D Exportzwecke — Drucksache Nr. 577 — beant- wortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 693 Dr. Leuchtgens (DRP) : vervielfältigt. zur Geschäftsordnung . . . . . 1560C Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 1 der Tagesordnung: zur Sache . . . . . . . . 1584B Entgegennahme einer Erklärung der Bundes- regierung. Dr. Schumacher (SPD) . . . . . 1562A Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort. Dr. von Brentano (CDU) 1570B Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und Dr. Seelos (BP) 1574C meine Herren! Die Saarfrage ist durch die Verträge, die am 3. März dieses Jahres nach wochenlangen Dr. von Campe (DP) . . . . . 1575G Verhandlungen zwischen der französischen und der Saarregierung in Paris abgeschlossen worden sind, Niebergall (KPD) . . . . . . 1577D akut geworden. Wie groß die Zahl der in Paris ge- schlossenen Verträge ist, wissen wir nicht. Es sind Frau Wessel (Z) 1580A uns vom Büro des französischen Hohen Kommis- 1556 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Bundeskanzler Dr. Adenauer) sars — ohne weitere Erläuterung zunächst — die Saar solle durch den Friedensvertrag mit Deutsch Texte von vier Verträgen übermittelt worden, und land erfolgen, durch den Friedensvertrag, der von zwar eines „Allgemeinen Abkommens", eines Ver Frankreich und von England und den Vereinigten trages über die Durchführung der Wirtschafts Staaten mit der Bundesrepublik Deutschland ver- union zwischen Frankreich und dem Saarland, handelt und abgeschlossen werden soll, eines Vertrages über die Ausbeutung der Saar- (Abg. Rische: Nicht mit ganz Deutschland?) gruben und endlich eines Vertrages über den Be- und daß Frankreich seine Forderung auf Abschluß trieb der saarländischen Eisenbahn. Über etwa eines Saarabkommens gegenüber diesen beiden weiter noch getroffene Abkommen ist bisher Mächten, soviel uns bekannt ist, seit der Moskauer Authentisches nicht bekanntgeworden. Konferenz nicht mehr erneuert hat. Die beiden ersten Verträge nehmen in ihrem Am 8. und 9. März 1950 sind nun Erklärungen Eingang auf die Saarverfassung Bezug, die beiden abgegeben worden, die eindeutig klarstellen, daß letzten nicht. Während die beiden letzten Ver- auch das Allgemeine Abkommen von der in dem träge ausdrücklich sagen, daß ihre Wirksamkeit zukünftigen Friedensvertrag zu treffenden Rege- nach Abschluß des Friedensvertrags mit Deutsch- lung abhängig ist. Am 8. März hat Lord Henderson land von dem Inhalt dieses Friedensvertrags ab- im britischen Oberhaus für die britische Regierung hängig ist, nehmen die beiden ersten Verträge auf erklärt, daß der endgültige Status des Saarlandes den Friedensvertrag mit Deutschland überhaupt nur durch den Friedensvertrag bestimmt werden nicht Bezug. könne. Am späten Abend des gestrigen Tages, des Aus der unterschiedlichen Gestaltung der Ver- 9. März, hat der Vertreter des französischen Hohen träge bezüglich des Friedensvertrags war von der Kommissars mir und der Presse eine offizielle Bundesregierung und dem Auswärtigen Ausschuß Mitteilung zukommen lassen, die in deutscher des Bundestags der Schluß gezogen worden, daß Übersetzung wie folgt lautet: die beiden ersten Verträge, insbesondere der in Einige deutsche politische Kreise haben das politischer Beziehung grundlegende, „Allgemeines Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Abkommen" genannte Vertrag, nach dem Willen Friedensregelung in einigen der Vereinbarun- der beiden vertragschließenden Regierungen unab- gen, die zwischen Frankreich und der Saar hängig von den Bestimmungen des zukünftigen abgeschlossen sind, dahin ausgelegt, daß diese Friedensvertrags sein sollten. In dieser Auffassung Vereinbarungen ungerechtfertigterweise den wurden die Bundesregierung und der Bundestags- Bestimmungen des zukünftigen Friedensver- ausschuß durch die bisher von Frankreich gegen- trages vorgreifen. In amtlichen französischen über dem Saargebiet eingeschlagene, von England Kreisen wird erklärt, daß eine derartige Aus- und den' Vereinigten Staaten tolerierte Politik be- legung in keiner Weise begründet ist. Wie stärkt. Frankreich hatte zwar nach einer Erklä- Minister Schuman in seiner Pressekonferenz rung, die der damalige Außenminister Bidault am vom 6. März 1950 klar zum Ausdruck gebracht 13. März 1948 in der französischen Nationalver- hat, unterliegen alle Vereinbarungen, die sammlung abgegeben hat, vierzehnmal vergeblich kürzlich zwischen Frankreich und der Saar ab- von seinen Alliierten ein Saarabkommen ver- geschlossen sind, der Bestätigung im Rahmen langt; England und die Vereinigten Staaten hatten der endgültigen Friedensregelung. aber geduldet, daß der französische Oberbefehls- haber an der Saar seinen Einfluß — besser ge- Meine Damen und Herren! Gestern, am 9. März, sagt: seine Macht — in einer allen Regeln der spät abends, hat der englische Hohe Kommissar, Demokratie und der Freiheit widersprechenden General Robertson, an mich einen Brief gerichtet, Weise auf alle Angelegenheiten der Gesetzgebung in dem er unter anderem sagt: und Verwaltung unter Beihilfe einiger gebürtiger Meine Regierung hat in der Erklärung Lord Saarländer, die in Frankreich naturalisiert worden Hendersons zum Ausdruck gebracht, daß es waren, ausdehnte, so daß das Saargebiet - im Laufe ausdrücklich festgelegt ist, daß der endgültige der Zeit dem französischen Wirtschaftsgebiet ein- Status der Saar nur durch den Friedensvertrag gegliedert worden ist. geregelt werden kann. In diesem Sinne haben Auf der Moskauer Konferenz im Jahre 1947 die Abkommen nur vorläufigen Charakter und hatten zudem England und die Vereinigten Staa- gelten nur bis zum Friedensvertrag. Das ten, ohne allerdings einen dahingehenden Vertrag scheint mir eine völlig eindeutige Erklärung abzuschließen, erklärt, sie würden beim Ab- meiner Regierung hinsichtlich ihrer Haltung schluß eines Friedensvertrages mit Deutschland gegenüber diesen Abkommen zu sein, und Sie für die Wünsche Frankreichs auf Autonomie des werden feststellen, daß es sich auf alle Ab- Saargebietes und seine wirtschaftliche Eingliede- kommen erstreckt und daß in dieser Beziehung rung in Frankreich eintreten. Die Annahme der kein Unterschied zwischen ihnen gemacht Bundesregierung und des Auswärtigen Ausschus- wird. Es ist ganz sicher, daß meine Regierung ses, die Fortlassung des Friedensvertrages aus den diese Auffassung bei Abschluß des Friedens- beiden ersten Verträgen bedeute, daß diese den vertrages aufrechterhalten wird. Bestimmungen des Friedensvertrages nicht unter- Meine Damen und Herren! Nach diesen Erklä- worfen sein sollten, erschien unter diesen Um- rungen kann es für uns keinem Zweifel mehr ständen nur zu begründet. unterliegen, daß auch die beiden ersten zwischen Aus meinen bisherigen Ausführungen geht ein- Frankreich und der Saar am 3. März dieses Jahres deutig hervor: die Regelung der Verhältnisse des geschlossenen Verträge, insbesondere auch das All- Saargebietes ist nicht nur eine Angelegenheit des gemeine Abkommen, zu ihrer Gültigkeit nach Ab- Saargebietes oder des Saargebietes und Frank- schluß des Friedensvertrages der Bestätigung durch reichs, sondern auch eine Angelegenheit Englands diesen bedürfen, obgleich, meine Damen und Her- und der Vereinigten Staaten — auf die Rolle ren, die Saarregierung vor kurzem entgegengesetzt Deutschlands komme ich noch zurück —; das folgt lautende Erklärungen abgegeben hat. eindeutig daraus, daß England und die Vereinigten Aus dem, was ich Ihnen vorzutragen die Ehre Staaten in Moskau ausdrücklich erklärt haben, die hatte, ergibt sich aber noch eine weitere für uns endgültige Regelung der Angelegenheiten der außerordentlich wichtige Folgerung. Da die Re- Deutscher Bundestag - 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1557 (Bundeskanzler Dr. Adenauer) gelang der Verhältnisse an der Saar durch den wendung der französischen Währungs- und Zoll Friedensvertrag erfolgen soll, ist sie eine An- gesetzgebung sicherzustellen. Er kann gegen saar- gelegenheit bei der vertragschließenden Teile, ländische Gesetze und Verwaltungsanordnungen also auch eine Angelegenheit der Bundesrepublik dann Einspruch erheben, wenn die geplanten Deutschland. Maßnahmen eine Gefahr für die Währungs- und (Bravorufe.) Zollunion bedeuten oder wenn sie eine interna- Auch die Bundesrepublik Deutschland ist somit tionale Verpflichtung des Saarlandes nicht berück- befugt, bei der Regelung des endgültigen Status sichtigen oder wenn sie solcher Art sind, daß durch der Saar mitzusprechen. sie die politische Unabhängigkeit des Saarlandes oder seine äußere Sicherheit gefährdet werden. (Abg. Schröter: Jawohl!) Im Saargebiet wird ferner eine französische Polizei Einige Punkte des Allgemeinen Abkommens, das unterhalten. Beim Oberlandesgericht des Saar- zwischen Frankreich und der Saarregierung ab- gebiets wird die Stelle eines französischen General- geschlossen ist, müssen in diesem Zusammenhang staatsanwalts eingerichtet. von mir erörtert werden. (Zuruf von der KPD: Kolonialjustiz!) Im Artikel 1 heißt es: Die französische Zollverwaltung und die sonst zu- Das Saarland ist auf dem Gebiet der Ge- ständigen französischen Verwaltungen bleiben be- setzgebung, der Verwaltung und der Recht- stehen. Im Saargebiet bleiben französische Trup- sprechung autonom. pen. Der Vertreter Frankreichs kann den Belage- Im Artikel 3 ist gesagt: Der Vertreter Frankreichs rungszustand über das Saargebiet verhängen. im Saarland kann gegen die saarländischen Ge- (Abg. Rische: Genau so wie hier im Westen! setze und Verordnungen nur dann Einspruch er- — Abg. Renner: Genau wie bei uns! Siehe heben, wenn die vorgesehenen Maßnahmen ihrer Watenstedt-Salzgitter!) Art nach geeignet sind, die politische Unabhängig- Die französische Republik vertritt das Saargebiet keit des Saarlandes zu gefährden. im Ausland. (Zurufe von der KPD.) (Abg. Rische: Hier bei uns auch! — Abg. Meine Damen und Herren, Autonomie in Gesetz- Renner: Hohe Kommission bei uns! — gebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit und poli- Zuruf von der KPD: Welche Parallele! — tische Unabhängigkeit sind nicht gleichzusetzen. Glocke des Präsidenten.) Frankreich ist von England und den Vereinigten Die drei anderen Abkommen machen das Saar Staaten lediglich zugesagt, daß sie den Anspruch gebiet wirtschaftlich völlig abhängig von Frank- Frankreichs auf Autonomie der Saar in Gesetz- reich. Diese völlige politische und wirtschaftliche gebung, Verwaltung und Rechtsprechung unter- Abhängigkeit des Saargebiets von Frankreich wird stützen; mehr ist ihm nicht zugesagt. Eine maß- durch das von mir bereits erwähnte, in Artikel 3 gebende britische Stelle hat in einem Briefe von des Allgemeinen Abkommens dem französischen gestern an mich ebenfalls erklärt, daß Autonomie Vertreter verliehene Recht unterbaut und geschützt, in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gegen saarländische Gesetze und Verwaltungs I nicht identisch ist mit „unabhängiges Land". anordnungen Einspruch zu erheben, wenn die vor- Ich habe bereits hervorgehoben, daß die Bundes- gesehenen Maßnahmen ihrer Art nach geeignet republik Deutschland einen Rechtsanspruch darauf sind, die politische Unabhängigkeit des Saarlandes hat, an der im Friedensvertrag vorzunehmenden zu gefährden, durch die Einrichtung der franzö- endgültigen Ordnung des Saargebiets teilzuneh- sischen Polizei, durch die Anwesenheit der fran- men. Da sie diesen Anspruch hat, kann sie auch zösischen Truppen, durch das Recht der Verhän- Einspruch gegen Maßnahmen erheben, die zwar gung des Ausnahmezustandes, das der Vertreter vor dem Friedensvertrag getroffen werden, die der französischen Republik im Benehmen — nicht, aber so geartet sind, daß sie die endgültige - Ord- meine Damen und Herren, im Einvernehmen — nung durch den Friedensvertrag vorwegnehmen. mit der Regierung des Saarlandes besitzt, und (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) zwar bei akuter Gefahr für die Unabhängigkeit Die von mir eingangs meiner Ausführungen er- des Saargebietes. wähnten vier Verträge zwischen Frankreich und Es ist hier nicht der Ort, auf weitere Einzel- der Saar vom 3. März schaffen in ihrer Gesamt- heiten einzugehen; das wird in einer an die Hohen heit — und man muß sie auf e i n m a 1 betrach- Kommissare zwecks Weitergabe an die zustän- ten — auf politischem und auf wirtschaftlichem digen Stellen zu richtenden Note geschehen. Hier Gebiete an der Saar Verhältnisse, die durch den genügt es, folgendes hervorzuheben. Das gesamte Friedensvertrag nicht mehr geändert werden politische und wirtschaftliche Leben des Saar- können. gebietes wird durch diese Verträge in eine Ord- (Zustimmung in der Mitte. — Hört! Hört! nung gebracht, die einfach später nicht mehr ab- rechts und bei der KPD.) geändert werden kann. Sie machen eine andere Regelung durch den Frie- (Hört! Hört! rechts.) densvertrag faktisch unmöglich. Diese Verträge Ich lege, meine Damen und Herren, daher namens vom 3. März widersprechen daher dem uns zu- der Bundesregierung feierlich Verwahrung gegen stehenden Recht, durch den Friedensvertrag die die vier am 3. März 1950 zwischen der französi- Ordnung der Verhältnisse an der Saar mitzu- schen und der Saarregierung geschlossenen Ver- bestimmen. träge ein, und ich bitte das Hohe Haus, sich dem Der Beweis, daß diese Verträge in ihrer Ge- anzuschließen. samtheit eine dauernde Regelung durch den Frie- (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte, densvertrag vorwegnehmen, ist leicht zu erbrin- rechts und bei der SPD.) gen. Das Allgemeine Abkommen macht die Saar Wir halten aber diese vier Verträge für rechts- auf politischem Gebiet völlig abhängig von Frank- widrig, nicht nur weil sie unser Mitspracherecht reich. Ich hebe aus seinem Inhalt folgendes her- bei der Ordnung der Saarverhältnisse verletzen vor: Der Vertreter Frankreichs im Saarland be- und illusorisch machen, sondern auch weil sie den sitzt ein Verordnungsrecht, im Saargebiet die An Bestimmungen des Völkerrechts und zum Teil 1558 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Bundeskanzler Dr. Adenauer) auch des Privatrechts widersprechen. Die französi wegs von uns aufgegeben und im Stich gelassen sche Regierung hat völkerrechtlich nicht das Recht, werden. derartige Verträge über das Saargebiet abzu- (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts schließen. Das Saargebiet ist nach dem Zusammen- und bei der SPD.) bruch zunächst von amerikanischen Truppen er- obert und besetzt worden. Diese haben dann einer Die Bundesrepublik Deutschland hat sich von An- französischen Besatzung Platz gemacht. Durch Er- fang an für verpflichtet erachtet, für die Inter- klärung der vier Besatzungsmächte vom 6. 6. 1945 essen der Deutschen außerhalb der Deutschen Bundesrepublik einzutreten. haben diese die höchste Regierungsgewalt in Deutschland innerhalb der deutschen Grenzen vom (Bravo! in der Mitte.) 31. Dezember 1937 übernommen. Diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutsch- (Abg. Renner: Ist das die Bundesrepublik?) land wurde von den Vereinigten Staaten, von Die vier Besatzungsmächte erklärten damals, daß England und von Frankreich bisher unein- die Übernahme der obersten Regierungsgewalt in geschränkt anerkannt. Die Regierungen dieser Deutschland keine Annexion bewirke. Seit der drei Länder haben durch ihre Hohen Kommissare Übergabe des Saargebietes an die französische oft betont, daß die Bundesrepublik Deutschland Armee bildet das Saargebiet zunächst einen Teil Berlin jede denkbare wirtschaftliche Hilfe zuteil der französischen Besatzungszone. Es unterliegt werden lassen müsse und daß sie auch den letzten Endes der obersten Regierungsgewalt der Deutschen der Ostzone ihre moralische Unter- Alliierten. Hieran ändert nichts die Tatsache, daß stützung angedeihen lassen möge. Sie wissen, der Oberbefehlshaber der französischen Besat- meine Damen und Herren, daß der amerikanische zungszone das Saargebiet später als eigenes Land Hohe Kommissar noch vor kurzem freie Wahlen konstituierte. Das haben die Briten, die Ameri- für ganz Deutschland gefordert und berechtigter- kaner und die Russen in ihren Besatzungszonen in weise um unsere Unterstützung dieser Forderung gleicher Weise getan. ersucht hat. In einem Memorandum der französischen Re- (Abg. Rische: Er soll abziehen!) gierung an die Moskauer Konferenz vom 10. April Nun, meine Damen und Herren, was für die 1947 hat die französische Regierung zwar gefor- Deutschen im Osten gilt, muß in gleicher Weise dert, daß die Saar der Zuständigkeit des Alliierten auch für die Deutschen im Westen gelten. Kontrollrats entzogen werde. Das Verlangen der französischen Regierung wurde abgelehnt. Alle (Erneuter lebhafter Beifall in der Mitte, Gesetze und Verordnungen des Alliierten Kon- rechts und bei der SPD.) trollrats wurden im Saargebiet in Kraft gesetzt. Die Bundesrepublik Deutschland hält sich daher Eine Denkschrift des amerikanischen State Depart- für berechtigt und für verpflichtet, zu den Zu- ment zur Saarfrage, die im Oktober 1948 veröf- ständen im Saargebiet Stellung zu nehmen. Im fentlicht worden ist, erklärt: Saargebiet, meine Damen und Herren, herrscht Rechtlich bleibt das Saarland, das seinerzeit weder Freiheit noch Demokratie. als ein Teil der französischen Besatzungszone (Zurufe von der Mitte und von der SPD: unter französische Aufsicht gestellt wurde, Hört! Hört! Sehr richtig! — Abg. Rische: unter der Jurisdiktion des Alliierten Kon- Späte Erkenntnis!) trollrats für Deutschland, solange diese Kör- Im April 1946 erklärte der französische Gouver- perschaft ihre Autorität über das Saarland neur des Saargebietes den politischen Parteien, die beibehalten wird. Demontage der saarländischen Hüttenwerke könne Frankreich hat daher die Gewalt im Saargebiet nur dadurch vermieden werden, daß die politischen als völkerrechtlicher Treuhänder. Als Treuhänder Parteien dem Anschluß an Frankreich zustimmten. darf es nicht politische Einrichtungen - und poli- (Hört! Hört! in der Mitte.) tische Tatsachen schaffen, die die politische Struk- Es wurde dann eine sehr starke Propaganda in tur des ihm anvertrauten Gebietes von Grund auf dem Sinne einer wirtschaftlichen Verbindung des und auf die Dauer verändern. Saargebietes mit Frankreich betrieben. Als dem- Das tut die französische Regierung in dem All- gegenüber die .Dechanten der katholischen Kirche gemeinen Abkommen. Die Saarbergwerke und die und der Bezirksvorstand der Sozialdemokratischen Eisenbahn sind durch das Kontrollratsgesetz Nr. Partei des Saargebietes eine Volksabstimmung 52 als Eigentum des früheren Deutschen Reiches über die Zukunft des Saargebietes verlangten, er- unter Sequester gestellt. Frankreich ist zum Se- klärte der französische Gouverneur am 9. 6. 1947 quester bestellt worden. In dieser Eigenschaft darf den Mitgliedern des sozialdemokratischen Partei- Frankreich nicht Verträge abschließen wie den vorstandes folgendes: Vertrag über die Bahnen und den Vertrag über die Ausbeutung der Bergwerke. Verträge, die Ich werde niemals eine Volksabstimmung über Frankreich zudem mit jemandem — nämlich der die Verfassung zulassen. Saarregierung — abschließt, dem nach dem Wort- (Hört! Hört! in der Mitte, rechts laut des Bergwerksvertrages erst noch das Eigen- und bei der SPD.) tumsrecht an den Bergwerken durch den Friedens- Die Saarbevölkerung ist in ihrer großen Mehr- vertrag verschafft werden soll, entbehren, privat- heit katholisch und steht unter dem Einfluß rechtlich und völkerrechtlich betrachtet, der des Bischofs von Trier, der ein Gegner des Rechtsgrundlage. Auch aus diesem Grunde legen Anschlusses der Saar an Frankreich ist. Es wir gegen sie Verwahrung ein. wäre ihm ein leichtes, bei der geheimen Meine Damen und Herren! Ich sehe mich nun- Volksbefragung durch die katholischen Geist- mehr im Interesse der großen Mehrheit der Be- lichen die Annahme einer Verfassung zu ver- wohner des Saargebietes gezwungen, zu den dort hindern. Ich werde ihm diese Gelegenheit herrschenden Verhältnissen Stellung zu nehmen. nicht geben. Ich muß das tun und tue das, damit die Bewohner (Lebhafte Rufe in der Mitte: des Saargebietes sehen und wissen, daß sie keines Hört! Hört!) Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1559 (Bundeskanzler Dr. Adenauer) Diese Äußerung des Gouverneurs wird von dem Landtag während .der Beratung der Saarverträge inzwischen aus dem Saargebiet ausgewiesenen da- Gesetzentwürfe zur Knebelung der öffentlichen maligen Generalsekretär der Sozialdemokratischen Meinung vorlegte, die derart waren, daß der Partei des Saargebietes bezeugt. französische Gouverneur ihre Weiterberatung Der Gouverneur nahm auch Einfluß auf die durch den Landtag untersagte. Wahl des Landtages. Die Parteien mußten die (Hört! Hört!) Kandidatenlisten mit ihm besprechen. Mit allem Nachdruck und mit allem Ernst ver- (Erneute lebhafte Rufe von der Mitte langen wir, daß an der Saar die freiheitlichen und von der SPD: Hört! Hört! – Zuruf Grundrechte, deren Schutz die Alliierten feierlich des Abg. Rische.) gelobt haben, hergestellt werden. Der Gouverneur hatte vor der Wahl durch eine (Beifall.) Verfassungskommission, deren Zusammensetzung Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß das er maßgeblich beeinflußte, einen Verfassungs- französische Volk und die französische Regierung entwurf ausarbeiten lassen, der dem zu wählenden die an der Saar herrschenden Verhältnisse wirk- Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden lich kennen. Ich bin überzeugt, sie würden, wenn sollte. Dieser Verfassungsentwurf wurde vor der sie sie kennten, unter keinen Umständen ihren Wahl nicht veröffentlicht. Als die Saarbrücker Fortbestand dulden. „Volksstimme" acht Tage vor der Wahl den Ver- Es kann sein, meine Damen und Herren, daß die fassungsentwurf veröffentlichen wollte, wurde sie französische öffentliche Meinung meine Ausfüh- verboten. rungen ungünstig aufnehmen wird. Aber ich fühle (Hört! Hört! in der Mitte.) mich in meinem Gewissen dazu verpflichtet, und Der Text des Verfassungsentwurfs wurde nach der ich meine, wenn ein Mann wie ich, der seit Jahr- eigenen Erklärung des französischen Gouverneurs zehnten öffentlich für eine französisch-deutsche in 45 000 Exemplaren gedruckt und den einzelnen Verständigung eingetreten ist, der deshalb von Bürgermeistereien unmittelbar vor der Wahl, zum manchen seiner Landsleute als Separatist und Teil erst am Vortage der Wahl zur Abgabe an frankophil verschrien worden ist, so spricht, dann Interessenten zur Verfügung gestellt. sollte die öffentliche Meinung in Frankreich we- nigstens in eine Prüfung meiner Ausführungen (Lachen und Zurufe.) eintreten. Kurz vor der Wahl fanden zahlreiche Ausweisun- (Beifall bei den Regierungsparteien.) gen aus dem. Saargebiet statt, Ich bitte, in der französischen Öffentlichkeit be- (Hört! Hört! links) achten zu wollen, daß ich seit mehr als 25 Jahren und zwar im wesentlichen von Personen, von öffentlich die These vertreten habe, daß die Be- denen angenommen werden durfte, daß sie sich seitigung des französisch-deutschen Gegensatzes gegen die Abtrennung des Saargebietes von die notwendige Voraussetzung für jede europäische Deutschland einsetzen würden. Gesundung ist, daß ich die gleiche These auch als (Pfuirufe rechts.) Bundeskanzler mit der gleichen Entschiedenheit Die Wahlen zum Landtag am 5. Oktober 1947 immer wieder vertreten habe. Ich spreche - und waren nicht frei. Sie erfolgten nicht nach demo- ich wende mich hiermit an Frankreich — nicht als kratischen Grundsätzen, weil unmittelbar vor der Gegner Frankreichs. Ich spreche nicht als Gegner Wahl zahlreiche Ausweisungen von oppositionell einer französisch-deutschen Verständigung. Ich gestimmten Persönlichkeiten vorgenommen wur- spreche als Freund Frankreichs, der die Empfin- den und weil die Wähler den Verfassungsentwurf, dungen und die Sorgen Frankreichs versteht, als der vorher festgestellt war und den Abgeordneten Freund Frankreichs, der Verständnis für das im zur Genehmigung vorgelegt werden sollte, nicht Psychologischen begründete Sicherheitsverlangen kannten. - Frankreichs hat. Ich bin überzeugt, daß sich eine Lösung der Saarfrage finden läßt, die den franzö- Als sich später im Saarlandtag trotzdem Oppo- sischen Interessen, die unseren Interessen und die sition gegen den von dem französischen Militär- den Interessen der Saar gerecht wird. befehlshaber gewünschten Verfassungsentwurf' geltend machte, wurde eine Anzahl oppositionell Ich fasse meine Ausführungen wie folgt zu- gesinnter Abgeordneter am Tage vor der Abstim- sammen: mung über die Präambel der Verfassung zum Erstens: Die Regierungen Frankreichs, Englands, Gouverneur bestellt, der ihnen androhte, daß alle der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Zusagen, die er hinsichtlich einer besseren Lebens- Deutschland sind sich darin einig, daß die endgül- mittelversorgung, des Verzichts auf Demontage, tige Regelung der Verhältnisse an der Saar in dem der Überführung der Saargruben in den Besitz mit uns zu schließenden Friedensvertrag erfolgen des Saarvolkes, hinsichtlich eines günstigeren Um- soll. Daraus ergibt sich für uns das Recht der Mit- rechnungskurses bei der Währungsumstellung ge- sprache bei dieser Regelung. macht habe, hinfällig würden, wenn sie gegen die Zweitens: Es ergibt sich daraus weiter, daß nicht Präambel der Verfassung stimmen würden. vor Abschluß des Friedensvertrags an der Saar (Lebhafte Rufe in der Mitte: Hört! Hört!) in irgendeiner Form Verhältnisse geschaffen wer- Jede Verbindung, meine Damen und Herren, den dürfen, deren Änderung durch den Friedens- zwischen den Bewohnern des Saargebiets und vertrag nicht mehr möglich ist. Deutschland ist völlig unterbrochen. Die Bevölke- Drittens: Die am 3. März 1950 zwischen der rung wird durch Ausweisung, Bespitzelung und französischen und der Saar-Regierung abgeschlos- dergleichen unter Druck gehalten. Zeitungen aus senen vier Verträge würden in ihrem Zusammen- Deutschland werden nicht zugelassen. wirken an der Saar nicht Verhältnisse schaffen, (Hört! Hört!) die durch den Friedensvertrag nicht mehr geändert Eine freie öffentliche Meinung gibt es im Saar werden können. gebiet auch jetzt nicht. Es ist bezeichnend für die Viertens: Frankreich ist völkerrechtlich Treu- dortigen Verhältnisse, daß die Saarregierung dem händer für das Saargebiet; es ist Sequester für die 1560 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Bundeskanzler Dr. Adenauer) dortigen Bahnen und Bergwerke. Frankreich kann daran anschließend Aussprache. Die Sitzung gilt weder unter völkerrechtlichem noch unter privat- als unterbrochen. rechtlichem Gesichtswinkel Verträge wie die vom (Unterbrechung der Sitzung: 11 Uhr 11 Minuten.) 3. März 1950 schließen. Fünftens: Die Saarregierung hat keine Rechte Die Sitzung wird um 12 Uhr 39 Minuten durch an den Bahnen oder den Bergwerken und ist da- den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet. her zum Abschluß der Verträge nicht befugt. Präsident Dr. Köhler: Ich eröffne unsere vorhin Sechstens: Die Bundesrepublik Deutschland hat unterbrochene Sitzung wieder. Wir kommen zu den dringenden Wunsch, daß an der Saar die Punkt 2 der Tagesordnung: Grundsätze der Freiheit -und der Demokratie ver- wirklicht werden. Aussprache über die Erklärung der Bundes- regierung. Siebentens: Die Bundesrepublik Deutschland wünscht eine Regelung der Saarfrage, die den (Abg. Dr. Leuchtgens: Zur Geschäftsordnung!) Interessen aller beteiligten Staaten einschließlich — Zur Geschäftsordnung bitte, Herr Abgeordneter Frankreichs und des Saargebiets gerecht wird. Sie Dr. Leuchtgens! ist überzeugt, daß sich eine solche Lösung finden läßt. Dr. Leuchtgens (DRP): Wie mir der Herr Präsi- Meine Damen und Herren, ich komme zum dent vorhin gesagt hat, hat der Ältestenrat heute Schluß. Unter keinen Umständen darf die Saar- morgen für die kleinen Fraktionen eine Redezeit frage zu einer Störung der Beziehungen zwischen von nur 15 Minuten gestattet. Ich möchte den An Frankreich und Deutschland und damit zu einer trag stellen, die Redezeit freizugeben. Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa (Zurufe links.) führen. Wir von einer kleinen Fraktion haben unter Um- (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.) ständen genau soviel zu sagen wie die Herren von Um so notwendiger ist es, offen über diese Dinge einer großen Fraktion, zu sprechen. Die Saarverträge haben in weiten (Lachen und Zurufe links) deutschen Kreisen Zweifel daran hervorgerufen, und ich sehe nicht ein, daß derjenige, der zur ob der Wunsch und die Hoffnung Deutschlands auf großen Fraktion gehört, eine Stunde reden kann, ein gutes freundschaftliches Verhältnis zu Frank- und unsereiner nur eine Viertelstunde Redezeit reich auch in Frankreich besteht. hat. (Sehr gut! in der Mitte.) (Zurufe und Lachen links.) Es sind in Deutschland Zweifel daran entstanden, - Wer das Beste und Klügste dazu zu sagen hat, ob wirklich der ernstliche Wille vorhanden ist, das wird man ja nachher hören! Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in den (Der Abg. Hedler hat sich auf einen Ab Kreis der Völker wieder einzuführen, es zur geordnetenplatz der DRP begeben. - Er arbeit am Wiederaufbau Europas und der Welt regte Zurufe links: Raus mit Hedler! — heranzuziehen. Man darf weder bei uns noch Große Unruhe.) außerhalb Deutschlands die Augen vor der Tat- sache verschließen, daß solche Zweifel entstanden Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, sind. Um alle diese Zweifel in Deutschland zu ich bitte um Ruhe! überwinden, um das deutsche Volk zur willigen, (Zahlreiche Abgeordnete der SPD und der zur freudigen Mitarbeit zu bewegen, muß das KPD erheben sich von ihren Plätzen.) gegenwärtige Stadium des Stillstands und des — Ich höre eben: der Herr Abgeordnete Hedler Mißtrauens durch einen sichtbaren, durch einen hat hier im Saal Platz genommen. entschiedenen Schritt nach vorwärts überwunden (Große Unruhe.) werden. - — Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe! (Bravo! bei den Regierungsparteien.) (Abgeordnete der SPD begeben sich auf die Aus dieser Überzeugung heraus habe ich dem rechte Seite des Hauses. — Zuruf von der amerikanischen Journalisten Kingsbury Smith SPD: Das ist eine Provokation sonder gegenüber den Vorschlag einer Europäischen gleichen!) Union gemacht. Der Gedanke ist kühn; ich weiß es. Seine Verwirklichung ist schwierig. Aber darum - Meine Damen und Herren! Mir wird eben mit- sollte man doch entschlossen an das Projekt heran- geteilt, daß der Herr Abgeordnete Hedler sich hier gehen. Die mit der Durchführung des Marshall- im Saal befindet. Ich möchte dazu folgendes fest- plans verbundene wirtschaftliche Ordnung der stellen. Gegen den Herrn Abgeordneten schwebt europäischen Länder bedeutet ja schon einen sehr noch — — großen Teil des Inhalts dieses Plans. (Abgeordnete der Linken nehmen zwischen (Abg. Rische: Sie wollen ganz Deutschland den Bänken der Rechten und in unmittel preisgeben!) barer Nähe des Abg. Hedler Aufstellung. — Wachsende Unruhe.) Nicht weniger gilt das vom Europarat. — Ich bitte alle, sich an ihre Plätze zu begeben! Meine Damen und Herren! Die Gefahr für Eu- ropa ist groß! Nur kühne Gedanken und schnelle (Sehr richtig! rechts.) Taten können Europa retten. Wir sind bereit dazu! — Sonst kann ich nicht — — (Anhaltender lebhafter Beifall (Lebhafte Zurufe links: Raus! — Auch ein bei den Regierungsparteien.) zelne Abgeordnete der CDU erheben sich von den Plätzen. — Große Unruhe.) Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Meine Herren, bitte, begeben Sie sich an Ihre Sie haben die Erklärung des Herrn Bundeskanz- Plätze! lers entgegenommen. Auf vielseitigen Wunsch aus (Fortdauernde Unruhe.) dem Hause wird die Sitzung um eine Stunde un- — Ich bitte Sie darum! terbrochen. Wiederbeginn 12 Uhr 15 Minuten; (Glocke.) Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1561 (Präsident Dr. Köhler) — Bitte, meine Herren, begeben Sie sich an Ihre des Präsidenten und damit das Vorliegen des Tat Plätze und warten Sie erst meine Erklärung ab! bestandes des § 91 der Geschäftsordnung. Auf (Sehr richtig! rechts.) Grund dieses Tatbestandes, Herr Abgeordneter — Bitte! Hedler, schließe ich Sie hiermit von der Teilnahme (Einzelne Abgeordnete der Linken begeben an der heutigen Sitzung im Sitzungssaal aus. sich an ihre Plätze zurück.) (Abg. Dr. Miessner: Zur Geschäftsordnung!) — Bitte, Herr Abgeordneter Neumann, kommen — Einen Moment, bitte! — Bitte, verlassen Sie den Sie hierher! Saal! (Anhaltende große Unruhe.) (Abg. Hedler: Herr Präsident, — —. — — Bitte, gehen Sie doch an Ihre Plätze, meine Stürmische Gegenrufe links: Nein! Raus!) Herren! — Ruhe, meine Damen und Herren! — Herr Ab- (Zuruf rechts: Der Mann ist doch frei geordneter Hedler, ich fordere Sie zum zweiten gesprochen! — Gegenrufe links. — Zurufe Mal auf, den Saal zu verlassen. rechts: Ruhe! — Fortgesetzte große (Zuruf von der SPD: Vielleicht wirds bald!) Unruhe.) Ich mache Sie sonst auf die Folgen nach § 91 Ab- — Meine Damen und Herren! Ich kann mit meiner satz 2 der Geschäftsordnung aufmerksam. Erklärung nicht eher beginnen, als bis alle Mit- glieder des Haues wieder auf ihren Plätzen Platz (Zurufe von der SPD: Schneller! — Ein genommen haben. bißchen lebhafter! — Der Abgeordnete Hedler verläßt den Sitzungssaal. — Abg. (Die Abgeordneten der Linken begeben sich Dr. Miessner: Ich bitte ums Wort zur Ge- auf ihre Plätze zurück. — Abg. Neumann: schäftsordnung! Herr Hedler verläßt den Dann gehen wir nachher wieder hin!) Saal! — Erneute Rufe von der SPD: Raus! — Das ist eine Sache für sich. Abg. Dr. Miessner: Zur Geschäfts (Abg. Neumann: Worauf Sie sich verlassen ordnung!) können, Herr Präsident!) Meine Damen und Herren! Ich habe festgestellt: - Ich bitte doch, solche Bemerkungen zu unter- der Herr Abgeordnete Hedler hat den Saal ver- lassen! lassen. Meine Damen und. Herren! Nachdem festgestellt (Zurufe von der SPD: Er muß auch das worden ist, daß der Herr Abgeordnete Hedler sich Haus verlassen!) im Saal befindet, habe ich folgendes zu erklären. — Den gesamten Sitzungssaal! Es ist bekannt, daß gegen das erstinstanzliche Ur- (Zuruf links: Und das Haus!) teil das Revisionsverfahren eingeleitet ist; es ist ferner bekannt, daß ein Verfahren vor dem Ent- Weder auf den Tribünen noch in den Logen darf nazifizierungsausschuß wegen Fragenbogenfäl- er sich aufhalten; das stelle ich hier ausdrücklich schung läuft. fest. Diese bilden eine Einheit. (Hört! Hört! bei der SPD.) Wollen Sie noch das Wort zur Geschäftsordnung, Es kann dem Hause nicht zugemutet werden, in Herr Abgeordneter Dr. Miessner? Anwesenheit eines Mannes . zu verhandeln, der (Rufe links und in der Mitte: Nein! Nein!) noch nicht Gelegenheit gehabt hat, sich restlos von — Die Sache ist erledigt. den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen, dies um so weniger, als der Herr Abgeordnete Wir kommen zu dem geschäftsordnungsmäßigen Hedler in einer Erklärung vom 13. Dezember vo- Antrag des Herrn Abgeordneten Leuchtgens. Ich rigen Jahres folgendes zum Ausdruck gebracht möchte auf folgendes aufmerksam machen, Herr und niedergelegt hat: Abgeordneter Leuchtgens. Diese Vereinbarung - über die Regelung der Redezeit ist heute früh Es ist für mich eine selbstverständliche An- auch unter ausdrücklicher Zustimmung des Herrn standspflicht, daß ich mich im Einvernehmen Vertreters Ihrer politischen Gruppe erfolgt. Es mit meiner Fraktion bis zur r es tlos en besteht daher jetzt keine Möglichkeit mehr, etwas AufklärngdesmizLatlnT- an dieser Redeordnung zu ändern. Es ist sämt- bestandes von den Arbeiten des Bundestages lichen Fraktionsrednern bekannt, wie lange sie zu zurückziehe. reden haben. Es war ein Gentleman Agreement, Unter diesen Umständen, Herr Abgeordneter Hed- (Widerspruch und Lachen bei der KPD) ler, richte ich an Sie den Appell, freiwillig den Sitzungssaal zu verlassen. das wir heute getroffen haben, und davon gehen (Bravo! in der Mitte. — Zurufe links: Raus! — wir nicht ab. Abg. Dr. Miessner: Ich bitte ums Wort zur (Abg. Renner: Verzeihung, zur Geschäfts Geschäftsordnung!) ordnung!) — Ich will jetzt nicht das Wort zur Geschäftsord- Meine Damen und Herren! Wir kommen zu nung geben. Ich habe jetzt an den Herrn Abge- Punkt 2 der Tagesordnung — — ordneten Hedler den Appell gerichtet, freiwillig (Abg. Renner: Zur Geschäftsordnung! das Haus zu verlassen. — Wollen Sie diesem mei- So geht es ja nicht!) nem Appell Folge leisten? Wir treten in die (Abg. Dr. Miessner: Ich bitte ums Wort zur Aussprache über die Erklärung der Bundes- Geschäftsordnung! — Lebhafte Rufe von regierung der SPD: Nein! Raus! Schluß!) ein. Ich erteile als erstem Redner Herrn Abgeord- Meine Damen und Herren! Ich stelle folgendes neten Dr. Schumacher das Wort. fest, und ich bitte, äußerste Ruhe zu bewahren! Wenn der Präsident eines Parlaments an ein Mit- (Abg. Renner: Ich hatte ums Wort zur Ge glied des Hauses einen Appell in der Form richtet, schäftsordnung gebeten! Es ist ja gar nicht in der ich das eben getan habe, und diesem Appell wahr, daß das abgemacht worden ist! Sie nicht Folge geleistet wird, dann sehe ich darin haben ausdrücklich gesagt, Sie legen einen gröblichen Verstoß gegen die Anweisungen keine Redezeit fest!) 1562 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, F re itag, den 10. März 1950 (Präsident Dr. Köhler) — Das Wort zur Geschäftsordnung zu erteilen Nun sollte man bei aller Anerkennung der liegt in meinem Ermessen. psychologischen Rückwirkung dessen, was gewesen (Abg. Renner: Sie sollen aber hier keine ist und heute in hoffentlich recht kleinen Kreisen Geschichten erzählen, die nicht der Wahr unseres Volkes noch nicht tot ist, bei voller An- heit entsprechen! - Zuruf von der CDU: erkennung der Schwierigkeiten aus der Ver- Ordnungsruf!) gangenheit und der Schwierigkeiten, die für die Zukunft drohen können, ganz offen sagen, daß Dr. Schumacher (SPD): Meine Damen und Her- politische Grundsätze von seiten der Alliierten ren! Diesmal findet vor entscheidenden Stellung- nicht nur deklamiert werden dürfen. Prinzipien nahmen, die sich für die nächsten Wochen zu dem, sind nicht dazu da, um verkündigt zu werden, was man deutsche Außenpolitik nennen kann, vor- Prinzipien sind dazu da, um praktiziert zu werden. bereiten, eine Aussprache in diesem Hause statt. (Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Ich glaube, das ist sehr richtig, denn ein Volk in Europa ist doch nicht nur — genau wie die Idee dem Stadium der politischen Entwicklung des der Demokratie — eine Frage des Verhältnisses unseren hat ebensosehr Anrecht auf Aufklärung der Alliierten untereinander, es ist auch eine Frage und Unterrichtung, wie die Welt ein Recht darauf des Verhältnisses der Alliierten zu diesem hat zu wissen, was die politischen Faktoren in deutschen Volk, wie es war und wie es durch Deutschland eigentlich meinen und was sie wollen. die Krisenzeiten hindurch sich anders geformt Nun ist gewiß die Saarfrage in jeder Richtung hat, zu diesem Volk, wie es ist. wichtig genug, aber auch sie ist noch ein Beispiel Das Verhängnis heute in der Behandlung der dafür, daß endlich einmal die Klärung über eine Saarfrage, die jetzt im Vordergrund der Ausein- große entscheidende Frage erfolgen muß. Diese andersetzung steht, ist die Taktik des Bagatelli- Frage ist einfach die: gelten die Grundsätze der sierens. Seitdem die unselige Idee der Koppelung Alliierten, die sie proklamiert und für die sie ge- des gleichzeitigen Eintritts Deutschlands und des kämpft haben, auch für das Verhältnis der Saargebiets in den Europarat im vorigen Jahre Allierten gegenüber dem deutschen Volk? von Frankreich in die Debatte geworfen worden (Sehr richtig!) ist, ist immer die Taktik des Bagatellisieren ver- Oder gelten die Grundsätze, die die Besiegten in hängnisvoll gewesen. Die Meinung war unrichtig, den zwölf Jahren des Dritten Reiches gehabt man brauche deutsche Verwahrungen, deutsche haben, jetzt als Behandlungsmethode der Alliierten Einwände nicht so ernst zu nehmen, die Deutschen gegenüber den Deutschen? würden schreien, aber dann würden sie, je lauter sie geschrien haben, sich um so demütiger beugen. (Sehr gut! bei der SPD.) Ich glaube, diese Vorstellung von unserem Ich glaube, wenn wir Europa wollen, können wir Volke ist falsch. Es ist darum gut, daß trotz aller Europa nicht unter den Gesichtspunkten der Liqui- Beschreibungen der auswärtigen Presse, wie dation, der Bestrafung und der Belohnung er- fürchterlich hysterisch und emotionell das deutsche richten. Wir wollen in keiner Hinsicht Konse- Volk in der vorigen Woche reagiert habe, die quenzen der Vergangenheit ausweichen, aber wir Äußerungen der deutschen Politik und Politiker sollten darum kämpfen und an die Alliierten sehr besonnen und, wie ich sagen möchte, recht appellieren, uns die Möglichkeit zu geben, Europa unpolemisch gewesen sind. Es gibt viele nicht als einen Schlußstrich, sondern als einen An- Äußerungen, die im Ausland als nationalistisch fang zu betrachten. verschrien werden und die doch die Vernunft (Sehr gut! bei der SPD und in der Mitte.) zeigen, die man bei manchen Auslandsstimmen in Ob man das hört oder nicht, gilt nicht einmal vor- der Behandlung der deutschen Frage einschließ- dringlich für Frankreich oder Deutschland. Es geht lich der Saarfrage schmerzlich vermissen muß. nicht um diese Völker allein, sondern es - geht um (Sehr gut! bei der SPD und in der Mitte.) Europa, um seine Möglichkeiten und um seine Ge- Man sollte auch die andere Taktik unterlassen, sinnung. Es geht darum, daß man ein Prinzip nicht uns mit dem Fluchwort: „Das sind unverbesser- lokalisieren kann. liche Nationalisten!" einfach überfahren zu wollen. Nun fürchten wir in der psychologischen Kon- So brauchen wir auch die Formulierung, die sequenz gerade für unser Volk nichts mehr, als Saarfrage sei ein Prüfstein für den deutschen wenn vom Westen her Methoden angewandt wer- Nationalismus, nicht anzunehmen. Es besteht ge- den, die dem Westen nicht ziemlich und ange- wiß die Gefahr, daß sie ein solcher Prüfstein messen sind. würde, aber aktuell ist die Saarfrage ein Prüf- (Sehr gut! bei der SPD.) stein für die alliierte Demokratie gegenüber den Deutschen. Die jetzt angewendeten Methoden aber entscheiden über politische Konsequenzen. Die Demokratie, die (Lebhafter Beifall bei der SPD, von uns immer gewollt wurde und heute wohl weit in der Mitte und rechts.) über unseren Rahmen hinaus als die selbstver- Wir wehren uns — nicht nur im nationalen, son- ständliche Form der Existenz unseres Volkes und dern mehr noch im europäischen Interesse — der Existenz unseres Kontinents angesehen wird, gegen den Versuch, mit den Methoden von gestern hat ja zur Voraussetzung, daß die Menschen ent- und vorgestern die Probleme von heute und scheiden. Es müssen also Menschen von der morgen bewältigen zu wollen. Richtigkeit und der Notwendigkeit der Demo- (Sehr gut! bei der SPD.) kratie überzeugt werden und überzeugt sein, um Nun, meine Damen und Herren, wird uns eine demokratisch handeln zu können. Die Deutschen Politik der vollendeten Tatsachen offeriert, nicht müssen also jetzt als Volk die Demokratie aus der mit einem Donnerschlag vollendeten Tat- eigenem Willen akzeptieren und als notwendig sachen, aber der Stück für Stück vollendeten erachten. Es ist im Sinne der Menschheit und Tatsachen. Hier sind wir bei der Abwägung Europas unklug, diesen Erkenntnissen immer unserer Argumente und bei der Findung unseres neue schwere Hemmnisse in den Weg zu legen. Standortes in einer politischen Gefahr. Denn (Sehr gut! bei der SPD.) gerade weil man die Dinge Stück für Stück Deutscher Bundestag — 40. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1563 (Dr. Schumacher) bringt, nimmt man der Geschlossenheit und der das wäre von diesem deutschen Volk auch mit Kraft der Verwahrung einiges von ihrer Vehe- anderen Methoden als den bisher angewandten zu menz. Es ist darum im menschlich-demokratischen erreichen gewesen. Sinne keine gute Politik, uns jetzt mit dem Hin- (Lebhafter Beifall bei der SPD und weis auf den Friedensvertrag vertrösten zu bei der CDU.) wollen, wenn man nämlich der Meinung ist, die Wir, meine Damen und Herren, wollen uns ja gar der französische Außenminister ausgesprochen nicht gegen das Unvermeidbare wenden, das aus hat, daß der Friedensvertrag nur eine Bestätigung der Diktatur des Dritten Reiches und seinem der durch die bisherige Politik — einschließlich Überfall auf Europa entstanden ist; wir wenden der fünf Pariser Konventionen vollzogenen Tat- uns gegen das Unnötige. Wir wenden uns nicht sachen sein wird. Schließlich darf man auch nicht gegen das Nach-Kräften-Gutmachen der Ver- übersehen, daß Monsieur Schuman im Januar dieses Jahres zu den drei Vorsitzenden der sozial- gangenheit; wir wenden uns gegen die Zerstörung der Prinzipien der Zukunft. demokratischen Bundestagsfraktion gesagt hat, Frankreich werde auch im Friedensvertrag für (Lebhafter Beifall bei der SPD.) die Durchsetzung der Ziele seiner Saarpolitik Grenzländer können Bindeglieder oder können kämpfen. trennende Wälle sein. Ich fürchte, daß jetzt von (Hört! Hört! bei der SPD.) einer Seite, die nicht die unsere ist, das Trennende Sehen Sie, es ist darum wohl in einem äußerlich und Abstoßende über Gebühr und über Vernunft formalistischen Sinne heute ein Interimszustand, hervorgehoben worden ist. von dem der französische Außenminister in einer Europa schafft man nicht durch die Politik des Pressekonferenz gesprochen hat. Aber dieser Subtrahierens und des Addierens von Wirtschafts- Interimszustand ist doch der Versuch, Definitives potential, Staatsterritorium und Bevölkerungszahl. mit den Worten des Provisorischen zu schaffen. (Sehr richtig! bei der SPD (Sehr gut! bei der SPD.) und in der Mitte.) Wenn wir das, was die New York Times die ver- Wenn man den Versuch macht, im Zeichen schleierte Annexion nennt und was wir — ich Europas immer wieder kleine oder größere Kor- glaube, es gibt sehr schwer einen passenden rekturen zu nationalstaatlichem und national- völkerrechtlichen Ausdruck für den Zustand, wie wirtschaftlichem Vorteil vorzunehmen, nun, dann er an der Saar geschaffen worden ist — etwas müssen wir der anderen Seite sagen: eine solche laienhaft ein Überprotektorat nennen könnten, Haltung offenbart eine erschreckende Glaubens- dann ist das doch in seiner ganzen Bedeutung losigkeit gegenüber Europa. für den Bruch der Prinzipien internationaler Demokratie klar. Wenn wir es mit anderen (Händeklatschen bei der SPD Findungen nach Kriegen, wenn wir es etwa mit und in der Mitte.) dem Danzig der Vergangenheit oder mit dem In bezug auf die Saarfrage sind ja die völker- Triest der Gegenwart vergleichen, wenn wir rechtlichen Formulierungen, ob Annexion oder Parallelen mit den Mandaten des Völkerbundes Autonomisierung, nicht entscheidend. Entscheidend oder der Trusteeship der Uno-Satzung ziehen, und die Politik der Deutschen wohl auf die Dauer dann werden wir sehen, daß auch die gestrigen bestimmend ist die Tatsache der Herauslösung alliierten Benachrichtigungen an den Herrn eines deutschen Gebiets aus Deutschland! Bundeskanzler sachlich kein neues Moment für (Erneute Zustimmung bei der SPD die Findung unseres Standpunktes beigebracht und in der Mitte.) haben. Dieser Akt, meine Damen und Herren, ist ein (Sehr wahr! links.) absolut einseitiger Akt. Im Zeichen des Versuchs, Theoretisch nämlich bestand die Möglichkeit, - alles Völker einander näherzubringen, möchte ich hier im endgültigen Friedensvertrag zu ändern, auch um eine Berücksichtigung der Völkerpsychologie schon vorher ohne diese ausdrücklichen Ver bitten. Das französische Volk wünscht ja gar nicht sicherungen. Die Tatsache, daß die Pariser Kon- diese Akte. ventionen Nr. 1 oder Nr. 2, denen die Berufung (Sehr richtig! bei der SPD.) auf den Friedensvertrag fehlt, jetzt durch außer- vertragliche, diplomatische Versicherungen in dem Diese Akte kann man nur vornehmen, weil die Sinne gehandhabt werden sollen, als ob die Be- großen Sorgen, die dieses Volk hat, seinen Blick rufung auf den Friedensvertrag dort auch nieder- von dem Grundsätzlichen dieser Politik ablenken. gelegt worden wäre, bringt erstens keine Klärung (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.) der Frage, ob es einen Friedensvertrag gibt, Aber das deutsche Volk muß diesen Grad der zweitens, wann es einen Friedensvertrag gibt, Einseitigkeit, diese Politik der konsequenten und drittens, ob die Mächtigen dieser Welt, die Ignorierung der Bundesrepublik, ihrer Regierung, über den Inhalt dieses Friedensvertrags ent- ihres Parlaments, als einen denkbar starken Akt scheiden, dann einen Willen zur Änderung der bewußter Mißachtung empfinden. bisher vertraglich festgelegten Vorschriften ha ben. Ich meine, man sollte sich darum nicht bewegen (Zustimmung bei der SPD, in der lassen, einen guten Willen, den wir anerkennen, Mitte und rechts.) als Vollzug des guten Willens und als Über- Das ist doch so außerordentlich drückend, und das windung der Gefahren anzusehen, die in alter kehrt doch auch, möchte ich sagen, bei der Ord- Stärke auch jetzt noch vorhanden sind. nung der sachlichen Argumente gefühlsmäßig (Sehr richtig! bei der SPD.) immer wieder. Ich kann aber feststellen, daß die Dem französischen Volk können wir Sozial- Emotion und die Vernachlässigung der Vernunft demokraten, deren ganze Konzeption ja auf in dem Aufbau der Argumente heute nicht beim Europa und auf der Aussöhnung dieser Völker deutschen Volke liegt. beruht, sagen: Das, was im Sinne der Wieder- (Sehr richtig! bei der SPD, bei den Re gutmachung und der Sicherheit für dich, fran- gierungsparteien und bei der äußersten zösisches Volk, notwendig und unverzichtbar ist, Rechten.) 1564 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schumacher) Wir erleben bei dieser Pariser Konvention einen was Sie an der Saar sagen, und dem, was Sie Akt, de r tatsächlich ein absolut einseitiger Akt auf dem Parteitag der französischen Kommunisten ist, ein Machtdekret, dem man aus politisch 1947 in Straßburg gesagt haben. taktischen Gründen die äußere Form eines Ver- (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der trages gegeben hat. SPD und in der Mitte. - Abg. Renner: (Sehr gut! bei der SPD.) Abwarten!) Meine Damen und Herren, bei entscheidenden — Lassen Sie nur! In diesem Rennen sind Sie kein Situationen ist es bestimmt nicht richtig, in großen edler „Renner", sondern nur ein kleines Panje- Dingen die Politik der kleinen Schlauheiten pferdchen. machen zu wollen. (Schallende Heiterkeit und Beifall von der (Lebhafte Zustimmung bei der SPD SPD bis zur äußersten Rechten.) und rechts.) Aber, meine Damen und Herren, die politische In großen Dingen muß man klug und mutig sein, Willensrichtung sucht doch nach Ausdruck. Be- aber nicht schlau und ausweichend. trachten Sie einmal, wie die Industriegewerkschaft (Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den Bergbau der Einheitsgewerkschaft und der Sekre- Regierungsparteien und rechts.) tär des saarländischen Metallarbeiterverbandes die Europa ist eine gute Sache, und kein Franzose Pariser Verhandlungen verlassen haben. Das, und kein Deutscher und kein anderer braucht meine Damen und Herren, und der jetzige Pro- sich zu schämen, für Europa mit dem ganzen test des Industrieverbandes Bergbau an der Saar Willen seiner Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit ist ja doch bei aller gewerkschaftlichen Wichtig- einzutreten. keit keine gewerkschaftliche Äußerung, sondern das ist doch der politische Ausdruck der unter- (Langanhaltender starker Beifall und drückten Meinungsfreiheit. Bravorufe bei allen Parteien mit Ausnahme der KPD.) (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.) Wenn ich aus den Gründen der praktischen Aus- einandersetzung gezwungen bin, jetzt eine Reihe So sucht die Politik ihr Forum, um die not- von sachlichen Bemerkungen über die Methodik wendigen Ideen dem Volke verkünden zu kön- dieser Politik zu machen, so sollen diese Be- nen, hier in den Gewerkschaften. Und der Prozeß, merkungen keine Feindschaft aufreißen; sie sollen der dazu geführt hat, daß die katholische Geist- aber zeigen, daß der andere Faktor im Bewußt- lichkeit auch zum Vertreter des deutschen Stand- sein seiner Notwendigkeit und seines Rechts auch punktes an der Saar geworden ist, ist doch genau da ist. derselbe Vorgang. Eine politische Willensbildung findet ihren Ausdruck auch auf außerpolitischen Als sich die französische Regierung und die Gebieten, wenn man die politschen Instrumente Saarregierung zusammensetzten, da waren alle unterdrückt und maßregelt. fünf Entwürfe nicht etwa gemeinsam hergestellt. (Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Alle Entwürfe waren vorher am Quai d'Orsay hergestellt. Ich möchte hier als Vertreter einer Partei, der so weitgehend das Vertrauen der Arbeiter gehört, (Hört! Hört! bei der SPD.) noch auf eines hinweisen. Diese Art Politik, die Die Saarregierung ist nun in diese Situation, der französische Hohe Kommissar des Saargebiets sagen wir, hineingestolpert. Sie hatte sich mit gemacht hat, wird doch von einer absoluten Nicht- der Argumentation der großen Macht, die sachlich achtung der arbeitenden Menschen getragen. fundiert war, als Kleiner auseinanderzusetzen und (Sehr wahr! bei der SPD und in der Mitte.) hatte bestenfalls die Möglichkeit einer Taktik des Wir haben hier einen Brief des Monsieur Gran Ab- und Aushandelns. Die Schaffung- der wirt- val an Herr Hoffmann vom 16. November 1949. schaftlichen Ordnung an der Saar beruht doch auf Darin wendet er sich eindeutig gegen das wirt- der Tatsache, , daß man jetzt nach rund fünf Jahren schaftliche und politische Mitbestimmungsrecht der mit der Politik der Sequestrierung und großer Arbeiter in den Betrieben. Kapitaltransaktionen den ökonomischen Unterbau jeder Form der Saarpolitik in die Hand der (Hört! Hört! bei der SPD.) Okkupationsmacht gebracht hat. Was die Be- Wenn darüber hinaus für die Allgemeinheit etwas herrschung der Kapitalsubstanz im weitesten interessant sein sollte. dann ist es der Umstand, Sinne des Wortes in der Politik bedeutet, brauche daß diese Gesetzentwürfe vor ihrer Zuleitung an ich Ihnen hier doch nicht durch Einzelbeispiele das Saarparlament dem französischen Hohen Kom- zu illustrieren. Diese Eingriffe sind doch mit missar zugehen. Da möchte ich fragen: wie ist einem in den Demokratien der Welt unbekannten dieser Tatbestand mit der Äußerung eines fran- Maße der Unterdrückung der freien politischen zösischen Ministers zu vereinbaren, an dessen Willensbildung und Meinungsäußerung verbunden subjektiver Ehrlichkeit wir nicht den geringsten gewesen. Wenn Sie jetzt die Geschichte der Saar Zweifel haben. nämlich mit der Äußerung, daß betrachten, dann sehen Sie, daß diese Zersetzung der Saarlandtag tun und lassen könne, was er der politischen Freiheit, dieses Unterdrücken der wolle? Meinung, dieses Operieren mit Hunger und Aus- Vielleicht wird es die Öffentlichkeit interessie- weisung, mit Organisationsauflösung dazu ge- ren, daß, als die Delegierten der politischen Par- führt hat, daß die politische Erscheinung der teien von den Pariser Verhandlungen nach Saar- Parteien an der Saar in der Behauptung des brücken bzw. nach Neunkirchen zurückkehrten Saarstandpunktes oder gar des deutschen Stand- und dort Bericht erstatten sollten, dieser Bericht punktes an der Saar heute auf kleine Kreise und der politischen Parteien von ihrer Parteidelegier- Minderheiten in 'diesen Parteien angewiesen ist. tenversammlung weder diskutiert noch durch eine (Zuruf von der KPD: Resolution gebilligt worden ist. Man muß nur wollen!) (Hört! Hört! bei der SPD und in der Mitte.) - Na, mein Lieber, seien Sie vorsichtig; sonst Mir will scheinen, als ob diese außerparteimäßi erzähle ich Ihnen den Unterschied zwischen dem, gen politischen Manifestationen jetzt dazu führen Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1565 (Dr. Schumacher) werden, daß das arbeitende Volk an der Saar ge- über den wahren Zustand der Dinge und Metho- schlossen zu dem Standpunkt der Einheitsgewerk- den an der Saar ohne Unterrichtung sind. schaft Bergbau herübergehen wird. Nun möchte (Sehr wahr! bei der SPD.) ich demgegenüber fragen: welches Vertrauen hast Hier handelt es sich eindeutig um einen Polizei- du, Saarregierung, bei diesen Menschen, mögen sie staat. Dieser undemokratische Polizeistaat ist ent- von der Rednertribüne der Gewerkschaftsver- standen entgegen dem, was an Konzeption aus sammlung, mögen sie von der Kanzel herab spre- der alliierten Militärregierungsgesetzgebung der chen, und welches Vertrauen hast du bei der Vergangenheit sichtbar geworden ist. Der Herr Okkupationsmacht? Bundeskanzler hat ja schon auf das grundsätzliche (Sehr gut! bei der SPD.) Abkommen der Alliierten Bezug genommen. Ich Ich wende mich nicht gegen eine Zusammenarbeit, erinnere Sie noch an das Militärregierungsgesetz aber ich wende mich dagegen, daß Menschen Nr. 53 vom 15. Juli 1945. Da heißt es in Artikel aus diesem Land zu Instrumenten werden. VII Ziffer g ausdrücklich: „Deutschland bedeutet das Gebiet des Deutschen Reiches, wie es am (Beifall bei der SPD.) 31. 12. 1937 bestanden hat". Die Beauftragung der Saarregierung geht nicht (Hört! Hört! bei der SPD.) von der Bevölkerung des Saargebiet,, sondern geht Am 2. August 1946 hat der Hohe Kommissar der von der Besatzungsmacht -aus. Wenn hier etwas französischen Zone unter Berufung auf die Recht- monströs und in der internationalen Vertrags- mäßigkeit dieses Gesetzes eine Zonenverordnung politik unbekannt ist, dann ist es eben doch der für seine Zone vom 8 . Juli 1946 veröffentlicht und Umstand, daß in den Pariser Konventionen Ver- Ausführungsverordnungen erlassen. Wir haben träge geschlossen worden sind, bei denen der eine seit dieser Zeit eine Rückentwicklung vom Kon- Teil, der Teil ohne Macht, seine vertragsmäßige trollrat zur Verfügungsmacht einzelner Besatzungs- Zustimmung erklärt zur Unterwerfung unter einen mächte in ihrer Zone erlebt. fremden Staatswillen. Wie gestern in der Aus- Hier ist schon mehrfach von dem französischen sprache unserer Fraktion gesagt worden ist: „Das Memorandum vom 10. April 1947 und der Rolle ist noch einmal eine Regierung, die besorgt sich gesprochen worden, die es auf der Moskauer Kon- selbst den Geßler-Hut", oder wie ein anderer ferenz gespielt hat. Da aber hat man sich in der Sozialdemokrat in der Diskussion erklärte: „Es französischen Öffentlichheit nun auf Äußerungen wird immer am gefährlichsten in der Politik, von Mr. Marshall und Mr. Bevin berufen, die wenn sich ein Geßler einen Wilhelm-Tell-Hut auf- diesen französischen Standpunkt, von dem aus setzt!" schon damals die Herausnahme der Saar aus (Sehr gut! bei der SPD und Heiterkeit.) Deutschland verlangt wurde, zugestimmt hätten. Das scheint mir in der Argumentation, wie sie Dazu möchte ich feststellen: das deutsche Volk jetzt zum Teil von Paris zu uns herüberklingt, ohne Unterschied der einzelnen Parteirichtungen doch weitgehend der Fall zu sein. Der von den und der daraus eventuell resultierenden Stärke- Franzosen ernannte Verfassungsausschuß und die grade der Information hat wohl von Mr. Bevin daraus entstandene gelenkte und befohlene Ver- und von Mr. Marshall die Forderung nach der fassung sind nicht imstande, eine freie Volksab- Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich stimmung der Bevölkerung des Saargebietes zu gehört, hat wohl das Postulat vernommen, die ersetzen. Saarkohle nach Frankreich gehen zu lassen, aber die Deutschen hatten keine Gelegenheit zu hören, (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) s daß die Angelsachsen der Herau lösung des Saar- Nun, meine Damen und Herren, hat die Sozial- gebietes zustimmten. demokratische Partei ihre weitgehend aus eigenem (Sehr wahr! bei der SPD.) Erleben der Verfasser dargestellte Denkschrift - Uns sind solche Reden der maßgebenden Staats- überreicht, die die Verhältnisse an der Saar schil- männer nicht bekannt, und von der Existenz eines dert. Diese Verhältnisse im einzelnen zu rekapi- Abkommens in diesem Sinne wird man ja wohl tulieren, kann ich mir ersparen, nachdem der Herr nicht im Ernst reden wollen. Bundeskanzler sie geschildert hat. Ich will auch nicht gegen den unglaublichen Versuch der Saar- In der ganzen Periode darnach haben wir In- regierung polemisieren, mit einem Heimtückege- formationen verschiedenster Richtungen gehabt. Wir haben aus dem Munde der verantwortlichen setz gegen die doch deutsche Bevölkerung zu französischen Staatsmänner entweder offiziell oder operieren. Ich möchte mich aber gegen eine Me- privat, entweder in der deutschen Presse oder thode wenden, die kürzlich einmal dazu geführt hat, daß sehr souverän und autoritär die durch- nur in der ausländischen Presse, von Standpunk- aus wohlmeinenden Fußballer und Saarsportler ten in allen Variationen gehört, von der baldigen Rückkehr des Saargebiets nach Deutschland bis von dem Herrn Hohen Kommissar angeschnarcht worden sind. Schließlich haben doch diese in ihren zurAnexio,adchtmrgeüflwdn Äußerungen nicht von politisch-taktischen Erwä- dürfe. Aber wir haben nie eine verbindliche In- formation gehabt, und ich halte es in der politi- gungen bestimmten Menschen mit ihrer Weige- schen Grundlage für die europäische Entwicklung rung, sich einseitig nach dem Westen zu orien- tieren, mit ihrem Wunsche nach Zusammenarbeit nicht für richtig, wenn man von verantwortlicher französischer Seite jetzt gelegentlich vernimmt, und Zusammenleben mit ihren deutschen Sports- daß Deutschland ja 1945 aufgehört habe zu existie freunden nur das ausgedrückt, was im Grunde mehr als 90 Prozent der Saarbevölkerung denken ren und daß aus dieser Tatsache die Neubildung und fühlen. solcher völkerrechtlichen Monstra erklärlich sei. Nun, meine Damen und Herren, Deutschland hat (Lebhafter Beifall bei der SPD und in der als Staat trotz der Ausübung seiner Beherrschung Mitte.) durch den Alliierten Kontrollrat niemals aufgehört Ich bin überzeugt, daß nicht nur weite Teile der zu existieren. Weltöffentlichkeit, sondern auch eine große Zahl (Stürmischer Beifall bei der SPD, in der Mitte wohlmeinender und versöhnlicher Franzosen und rechts.) 1566 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schumacher) Die Schaffung des Bonner Grundgesetzes hat diese Im Jahre 1946, als man in einem großen und Auffassung von dem einheitlichen Deutschland respektablen Überschwang des guten Willens nach einschließlich der Saar, einschließlich der sowjeti- Umkehr, Einkehr und Neubau Verfassungen zim- schen Besatzungszone und einschließlich der besetz- merte, hat sich das französische Volk eine Verfas- ten Gebiete östlich von Oder und Neiße in nichts sung gegeben, in deren Artikel 27, Absatz 2, es aufgegeben und hat auch nicht einmal den dolus heißt: eventualis einer Aufgabe oder einer Beschränkung Keine Abtretung, kein Austausch, keine Hinzu- gehabt. fügung von Gebiet ist gültig ohne die Zustim- - (Sehr richtig! bei der SPD.) mung der interessierten Bevölkerung. Auch das Londoner Abkommen, das Richtungswei- (Hört! Hört! bei der SPD.) ser und Zaun um unsere Arbeit in Bonn gewesen ist, trägt in seinem Wesen keinen Verzicht auf die Nun, meine Damen und Herren, seien wir uns Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse in den darüber klar, daß diese Saarfrage zu einem wich- übrigen Teilen Deutschlands. Wenn man auf alli- tigen Entscheidungsfaktor in der Verwirklichung ierter Seite geneigt ist, dieser Auffassung zu wider- der europäischen Konzeption überhaupt geworden sprechen, möchte ich darauf hinweisen, daß in der ist. Es gibt keine Verwirklichung europäischen Periode des Abschlusses des Londoner Abkommens Geistes ohne die Demokratie der Völker auch in die Alliierten wiederholt und entschieden erklärt der Saarfrage! Aber ich möchte auch für Deutsch- haben, das Londoner Abkommen verstoße in nichts land vor Methoden der Bagatellisierung der Saar- gegen das Kontrollrats-Abkommen und gegen das frage warnen, die bereits dann beginnt, wenn man Potsdamer Abkommen. Die Schaffung des Bonner eine Wertskala aufstellt. Grundgesetzes ist eine mit alliiertem Willem er- (Sehr gut! bei der SPD.) folgte teilweise Entsperrung der Souveränitäts- Diese vergleichsweise Wertung von Europa und rechte auf einem Teilgebiet Deutschlands. der Saarfrage kann dazu führen, daß Europa nach Aber wie sehr die Alliierten doch von der Mei- uneuropäischen Prinzipien konstruiert wird. nung beseelt sind, daß ganz Deutschland existiert, (Sehr wahr! bei der SPD.) zeigt nicht zum wenigsten ihr Bemühen um die Man kann nicht sagen: die Saarfrage ist wichtig, deutsche Einheit; ich erinnere an den öffentlichen aber Europa ist wichtiger! Denn man kann die Aufruf des amerikanischen Hohen Kommissars Saarfrage aus dem Komplex Europa nicht heraus- Mr. McCloy zu gleichen und freien Wahlen in ganz nehmen. Die Saarfrage ist ein Bestandteil der eu- Deutschland. ropäischen Frage. (Sehr gut! bei der SPD.) Wenn heute der Herr Bundeskanzler gegen die In der Parole von den freien Wahlen liegt doch Politik Frankreichs an der Saar, zuletzt ausge- eine Anerkennung der Tatsache, daß die Bundes- drückt in den Pariser Konventionen, feierlich republik organisatorisch zwar nur auf einem Teil Verwahrung eingelegt hat, so hat ihm das ganze des deutschen Gebietes errichtet ist, daß sie aber Haus zugestimmt. Aber es wird gut sein, wenn man der einzige demokratisch legitimierte Treuhänder um der völkerrechtlichen Wirksamkeit willen die- für das ganze deutsche Gebiet ist. sen Protest in eine Note gießt und diese Note auf (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, dem Wege über die Hohen Kommissare den Be- in der Mitte und rechts. — Zuruf des satzungsmächten überreicht, das heißt der Außen- Abg. Rische.) ministerkonferenz. Nun haben wir nach der Saarverfassung die (Sehr gut! bei der SPD.) diplomatische Vertretung des Saargebietes durch Hüten wir uns auch vor einer Illusion, die schon Frankreich. Aber, meine Damen und Herren, wenn leider bei Erörterung einiger anderer Fragen eine man jetzt diese Idee praktisch in die Konvention Rolle gespielt hat, nämlich vor der Illusion, man Nr. 1 wieder einbaut, dann möchte ich angesichts müsse jetzt in den Europarat unter allen Umstän- der Tatsache, daß Frankreich das Saargebiet poli- den auch gleichzeitig mit dem Saargebiet hinein- tisch überall in der Form vertritt, daß es Leute gehen, um dort den deutschen Standpunkt zu ver- aus dem Saargebiet in die diplomatischen Delega- treten. Meine Damen und Herren, die Lektüre des tionen, Botschaften, Gesandtschaften etc. hinein- Statuts des europäischen Rates wird Sie von dieser nimmt, fragen: Wie kommt es dann, daß an einer falschen Meinung heilen können. Die großen, zen- einzigen Stelle, im Europarat, das Saargebiet eine tralen politischen Probleme unterliegen nicht der selbständige völkerrechtliche Vertretung hat? Kompetenz des Europarats. In der Assemblée, in (Sehr gut! bei der SPD.) der demokratischen Parlamentsversammlung, Ich frage weiter: Was soll denn das Saargebiet im wird nur eine Tagesordnung behandelt, wie sie Europarat? Wem soll es nützen, und inwieweit ist vom Ministerrat festgesetzt worden ist. Ich brauche die Vertretung des Saargebietes im Europarat ein Ihnen ja wohl keine Aufklärung darüber zu geben, Stück Weges nach Europa? Meint man irgendwo daß dieser Ministerrat unter allen Umständen, in der Welt, daß in der Periode der großen Räume selbst wenn entgegen dem Buchstaben des Statuts in Wirtschaft und Politik der Zwang, der auch der Druck von unten aus der Versammlung sehr über der Schaffung Europas liegt, dadurch reali- stark sein sollte, hintanhalten könnte, daß das Po- siert wird, daß man einen neuen Kleinstaat auf- litikum Saar in der Versammlung behandelt wird. macht? Nun, meine Damen und Herren, haben wir uns (Sehr wahr! bei der SPD.) dabei mit einem sehr schwerwiegenden Argument Es kann keinen Grad des Nutzens eines autonomen der Franzosen auseinanderzusetzen, das einer un- oder protektoratsmäßigen Saargebietes für Frank- unterrichteten Weltöffentlichkeit Eindruck machen reich geben, der auch nur annähernd so groß wäre kann, aber uns, die wir diese Jahre erlebt haben, wie der Schaden, den Europa und Frankreich durch keinen Eindruck machen darf und auch nicht kann. die Schaffung eines solchen Staatssurrogats er- Der französische Außenminister hat mehrfach öf- halten. fentlich, aber auch uns Sozialdemokraten, in der (Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte Unterhaltung vom Januar auf unseren Hinweis, und rechts.) daß die Saarverfassung undemokratisch sei und Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1567 (Dr. Schumacher) daß wir die Herauslösung nicht anerkennen, er- cher Eintritt würde automatisch bedeuten: Die klärt: Aber, meine Herren, warum protestieren Sie politische Autonomie ist hier völkerrechtlich sank- jetzt, 1950? Sie hätten doch 1947 protestieren müs- tioniert, auch ohne daß der Abschluß eines Frie- sen! — Ich möchte darauf hinweisen, daß auch aus densvertrages mit Deutschland vorausgegangen den Akten des französischen Außenministeriums wäre. Sich dagegen zu wehren, ist nicht nur eine hervorgehen muß, daß zur Zeit der Verkündung deutsche, es ist auch eine europäische Pflicht. der Saarverfassung, also im Dezember 1947, (Sehr wahr! bei der SPD.) Deutschland ja gar kein staatsrechtliches Organ ge- habt hat, Europa, aufgebaut auf den Fakten der Hegemonie (Sehr richtig! bei der SPD) anstatt auf den Prinzipien der Internationalität, das in seinem Namen hätte sprechen oder Verwah- ist ein großer Bau auf schwankem Grunde, ist der rung hätte einlegen können. Versuch, unfundamentiert auf Sand zu bauen. Dieser Versuch ist um so gefährlicher, als die (Beifall bei der SPD.) neuen Saarkonventionen uns ja eine Illustration Ich betone des weiteren, daß eine Reihe von politi- dazu gegeben haben. Es gibt keinen alliierten Kom- tischen Persönlichkeiten, Strömungen und Rich- mentar, der bestreitet, daß die Präambel der Kon- tungen da sehr wohl protestiert hat, freilich nur vention Nr. 1 gültig ist. Diese Präambel bezieht im Namen ihrer Organisationen, ihrer Wähler und sich ihrerseits wieder auf die Präambel der Saar- der Menschen, die ihnen Glauben und Vertrauen verfassung und bestimmt die Durchsetzung der schenken. Ich mag die lange Skala der sozialdemo- Grundsätze der Präambel der Saarverfassung im kratischen Proteste hier nicht wiederholen. Aber Saargebiet. In dieser Präambel der Saarverfas- gestatten Sie mir, daß ich einen Abschnitt aus ei- sung ist alles — die Herauslösung aus Deutsch- ner sozialdemokratischen Resolution, von Partei- land, der Protektoratscharakter und die Hegemo- vorstand und Parteiausschuß gefaßt am 16. Novem- nie Frankreichs — enthalten. Wenn aber diese Prä- ber 1947 auf einer Tagung in Bremen, hier reka- ambel — und wahrscheinlich damit auch die ganze pituliere. Da heißt es: Verfassung — Bestandteil eines völkerrechtlichen Die Saarverfassung, die unter Umständen be- Vertrags wird, dann kann das Saarvolk selber schlossen werden mußte, die eine freie Volks- gewisse Gesetze nicht mehr schaffen. Es kann vor abstimmung vortäuschen sollten, und die in den allen Dingen nicht einseitig die Volksabstimmung wichtigsten Fragen den Kommissar einer frem- an der Saar beschließen; den Macht zum souveränen Herrn über die Ge- (Zustimmung bei der SPD) schicke des Landes einsetzt, ist ein Hohn auf alle Demokratie, zu deren unverzichtbaren denn das Recht dazu ist ja durch Anerkennung Grundsätzen gehört, daß die Staatsgewalt aus- der Saarverfassungspräambel in einem völker- schließlich vom Volk ausgeübt wird. Die Ver- rechtlichen Vertrag weggegeben. Darum, meine Da- fassungsmacher an der Saar haben damit das men und Herren, müssen wir auch hier zu einer Land in den Stand eines unfreien Protektorats Aktion kommen. versetzt. Sie haben somit in Europa einen Zu- Ich glaube, an sich besteht bei uns allen durch- stand neu ins Leben gerufen, der überall in der aus der Wille, trotz gewisser Schwächeerscheinun- Welt aufgehoben worden ist oder aber unter gen in der heutigen Struktur Europas und trotz dem Druck der freiheitlichen Weltmeinung vor gewisser Beschneidungen und Deformationen der Aufhebung steht. Deutschland in den Europarat zu bringen unter Meine Damen und Herren, man kann in Frank- der Voraussetzung, daß dieses Eintreten in die As- reich nicht sagen, daß man diesen Protest einer semblée des Europäischen Rates nicht die Anerken- großen Partei nicht zur Kenntnis genommen hat. nung des Verlustes des Saargebiets für Deutsch- Nach dieser Resolution ist sowohl in der französi- land ist. Wenn das aber so ist, nun, dann haben schen wie in der saarländischen Politik - eine lei- die Alliierten ja eine gute Chance und die Neutra- denschaftliche Diskussion über und zum großen len noch mehr eine gute Möglichkeit, im europäi- Teil gegen diese Resolution entbrannt. Also man schen Sinne tätig zu werden, wenn sie nur ihren hat ja genau gewußt, was das deutsche Volk, ver- eigenen Prinzipien treu bleiben. treten in dieser Richtung durch die eine Partei, (Sehr wahr! bei der SPD.) vertreten auch durch Meinungsäußerungen ande- rer Parteien, gewollt hat. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wir Deut- schen sollten hier an dieser Stelle, und ich meine, Nun begeht man, glaube ich, auf deutscher Seite auch vertreten durch die Bundesregierung, in ei- einen Fehler, wenn man das Saarproblem atomisiert nem diplomatischen Schritt an den Ministerrat in oder isoliert von dem gesamteuropäischen Problem Straßburg die Forderung richten, doch einmal an diskutiert. Seien wir uns darüber im klaren, daß Hand unseres Vorbringens, unserer Denkschriften bei der praktischen Behandlung der Saarfrage von — mögen sie Parteidenkschriften oder Regierungs- entscheidender Bedeutung die Reihenfolge der denkschriften sein — und an Hand von Untersu- Schritte ist. Wenn wir ohne eine Möglichkeit, vom chungen an Ort und Stelle festzustellen, ob das Saar- Wort des Protestes zur Aktion des Protestes zu gebiet die demokratische Legitimation hat, Mit- kommen, in den Europarat eintreten, wird unser glied der Assemblée zu sein. Protest in der Wertung degradiert, und es ent- stehen die größten Schwierigkeiten bei der prak- (Lebhafter Beifall bei der SPD.) tischen Durchführung der Tendenzen dieses Pro- Der Artikel 1 des Europäischen Statuts erklärt: testes. das Ziel ist Sicherung und Verwirklichung der (Sehr gut! bei der SPD.) Ideale und Prinzipien, die ihr gemeinsames Erbe Wir würden bei einem Eintritt vor der befriedi- sind, nämlich das gemeinsame Erbe aller Länder, genden Regelung der Saarfrage die Waffe, die wir die dort Mitglieder sind. Nun, meine Damen und praktisch in der Hand haben, aus der Hand geben, Herren, bedeutet doch das Fehlen der Grundrechte wenn wir vorher in die Versammlung des Euro- und der praktischen Freiheit, das Fehlen der parats gleichzeitig mit der Saar einträten. Die Rechtsstaatlichkeit überhaupt und der Polizeistaat- Saarregierung hat ganz deutlich erklärt, ein sol Charakter des Saargebiets, daß die Erfordernisse 1568 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schumacher) des Artikel 3, den ich hier einmal zu Ihrer Kennt- einflussung des deutschen Volkes längst zu den Ak nis bringe, nicht vorliegen. Es heißt dort: ten gelegt hat und überhaupt nur noch mit der Jedes Mitglied des Europäischen Rates muß die nationalistischen Linie operiert. Grundsätze der Herrschaft des Rechts und der (Sehr gut! bei der SPD.) Wahrung der Menschenrechte und grundsätz- Es ist darum unrichtig, wenn aus Großbritan- lichen Freiheiten für alle Personen, die seiner nien eine halboffiziöse Stimme herübergeklungen Jurisdiktion unterliegen, anerkennen. ist, die da meinte, man köhne doch den Vergleich (Hört! Hört! bei der SPD.) nicht ziehen; denn im Saargebiet gebe es doch den Nun frage ich: Wo erkennt die Verfassung in ihrem entscheidenden Tatbestand der Ausbürgerung nicht. Zustandekommen, wo die internationale und na- Diese Ausbürgerung im Osten ist von elementarer tionale Staatspraxis der Saar diese Grundrechte, Wichtigkeit, ist aber nicht das Problem, das hier diese Freiheiten und diese Wertung der Persön- zur Diskussion steht. Hier steht zur Diskussion die lichkeit an? Die Artikel 4 und 5 regeln die Mög- Grenzziehung, aber die Grenzziehung mit allen lichkeit der Einladung an alle Länder. Es besteht ihren Konsequenzen. Man hat, scheint es, bei den nicht nur die Möglichkeit, sondern im Falle des Erfolgen, den große Teile des deutschen Volkes in Bekenntnisses zu den eigenen Prinzipien auch die der Abwehr des östlichen Totalitarismus erzielt Notwendigkeit für die Mitgliedstaaten in Straß- haben, übersehen, welch gewaltige psychologische burg, diese Einladung an das Saargebiet nicht er- Rolle dabei unser Kampf gegen die Oder-Neiße- gehen zu lassen. Grenzziehung gespielt hat. Darum wäre ein Zu- (Sehr wahr! bei der SPD.) rückweichen hier eine Schwächung unserer Posi- tion, eine Versündigung an den Vertriebenen und Dann, meine Damen und Herren,' ist die Frage ge- eine Todsünde an Berlin und der Ostzone. löst, ob man Europa mit einem autoritär regier- ten Polizeistaat Saarland schaffen will oder mit (Lebhafter Beifall bei der SPD.) dem guten Willen von 50 Millionen Deutschen. Ich gebe gern zu, daß viele Schwierigkeiten aus (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Ungeschicklichkeiten entstanden sind, die ihrer- Das Prinzip ist trotz der außerordentlichen Schwere seits nicht aus bösem Willen der Alliierten er- der Konventionen bereits mit dem französischen wuchsen, aber ich möchte sagen: aus der oppor- Anspruch im Sommer 1949 gegeben, Deutschland tunistischen Bequemlichkeit des obrigkeitlichen in den Europarat aufzunehmen unter der Voraus- Regierens. Aber man soll nicht obrigkeitlich regie- setzung der gleichzeitigen Aufnahme des Saarge- ren in diesem Lande auf dem Rücken und auf Ko- biets. Hier soll man sich an eine feste kontinuier- sten der Demokratie. liche Linie im Sinne der Meinung halten, die wir (Beifall bei der SPD.) schon damals vorgetragen haben. Die äußerste Re- Die Existenz, die Vitalität und die politische Ak- serve gegenüber jeder Politik der nichtgarantier- tionsstärke der deutschen Demokratie ist ein pro ten Vertröstungen und Versprechungen ist nach europäischer Faktor, den man ungestraft nicht im vielen Erfahrungen, die wir in den letzten fünf kleinsten beschneiden darf. Jahren gemacht haben, angemessen. (Zustimmung bei der SPD.) (Abg. Dr. Schmid: Sehr richtig!) Ich will mich nicht polemisch gegen den Vorwurf Sie ist auch nach den Erfahrungen, die wir in der des Nationalismus wenden. Gewiß gibt es viel Na- Saarfrage gemacht haben, das Richtige. tionalismus in Europa. Gewiß gibt es auch Natio- Dementsprechend erkläre ich heute schon: Bei nalismus in Deutschland. Aber er kam bei der Hal- einmglchztEridesSagbtw tung der politischen Parteien jetzt in der konkre- die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages ten Saarfrage nicht zum Ausdruck. Es gibt Adres- keiner Vorlage zustimmen, die den Eintritt Deutsch- sen, an die man den Vorwurf des Nationalismus - sehr aus lands in den Europarat bedeutet. Nicht so auch richten möchte. Es ist unrecht, dem deutschen der Verteidigung der selbstverständlichen Rechte Volk als nationalistische Todsünde das vorwerfen unseres Volkes als deswegen, weil wir Europa zu wollen, was jedes Volk und jede Richtung für durch die Anwendung von Methoden, die früheren sich als selbstverständlich beanspruchen kann. Jahrhunderten angemessen gewesen sein mögen, (Sehr gut! bei der SPD und in der Mitte.) nicht desorganisieren lassen wollen. Mit der Politik, wie sie sich jetzt in dem Komplex (Beifall bei der SPD.) Saarfrage, Europaratsfrage ausdrückt, schafft man Vergessen Sie nicht die elementare Bedeutung die- in Deutschland einen neuen Nationalismus. Es ist ser Tatsache. Heute ist doch durch das unpsycho- meist der neue Nationalismus alter Nationalisten, logische Vorgehen, durch die Ungeschicklichkeit, so wie es der Neofachismus alter Faschisten ist, ich möchte sagen: durch die selbstherrliche Kon- der hier herum agiert. zeptionslosigkeit, mit der man oft deutsche Fragen (Heiterkeit.) behandelt, die Saarfrage in ein Stadium gerückt, in dem sie der antideutschen „Nationalen Front" Aber das Schlimme ist, daß große politisch deso- aus dem Osten die fehlende Propagandaformel rientierte Massen in der Ungerechtigkeit und in liefert. der obrigkeitlichen Handhabung politischer Me- (Zuruf bei der KPD: Hu! Hu!) thoden eine nachträgliche Rechtfertigung der eige- nen Untaten sehen können. Heute ist doch tatsächlich in der Agitation der kommunistischen SED und ihrer Hilfsvölker die (Zustimmung bei der SPD.) Saarfrage bereits die bequeme Ablenkung von dem Man darf nicht die Kräfte, die sich gegen den Problem der Oder-Neiße-Linie. Nationalismus und Nazismus in Deutschland ge- (Zurufe von der KPD.) stellt haben und stellen, als Hauptschuldige ver- Sie dürfen auch nicht übersehen, daß diese Gefahr gangener Perioden betrachten und behandeln. größer ist als in jedem anderen Stadium, weil wir (Sehr gut! bei der SPD.) heute in Deutschland eine siegreiche Zweihundert- Sonst muß ich die Warnung aussprechen, daß heute Millionen-Macht auf unserem Boden haben, die in Deutschland jeder Nationalismus antidemokra agitatorisch die kommunistische Linie bei der Be tisch und antiwestlerisch ist, daß jeder Nationalis- Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1569 (Dr. Schumacher) mus im Sinne Europas und der Demokratie in der eine Europäisierung, sondern eine Autarkisierung entscheidenden Frage unseres Zeitalters unzuver- der Nationalstaaten durchgeführt worden. lässig macht. Warnen möchte ich, mit den Attak- (Sehr gut! bei der SPD) ken gegen falsche Fronten, mit der Politik der bil- ligen Vorwürfe die Faktoren in Deutschland zu Nun wird es Zeit, aus der Periode theoretischer schwächen, ohne die es keine deutsche und keine Erwägungen in die Arena der Verhandlungen europäische Demokratie gibt. hineinzuspringen. Verhandlungen sind nötig unter dem Gesichtspunkt europäischer Arbeitsteilung, (Beifall bei der SPD.) vor allem zwischen Frankreich und Deutschland, Wenn wir nun über die beiden diplomatischen und dabei ist vollauf die Rolle des Saargebiets Schritte hinaus, die ich angeregt habe, in eine Pe- zu berücksichtigen. riode der Realisierung praktischer Vorschläge kom- Sehen Sie, wir haben nicht nur ein Verhältnis, men wollen, dann warne ich vor utopischen Vor- wie es jetzt bei den Konventionen zum Ausdruck schlägen, vor Vorschlägen klangvoller Formeln, vor kam, Paris-Saarbrücken; es besteht doch auch ein Vorschlägen, aus denen man uns gegenüber den Ver- Verhältnis Bonn-Saarbrücken, dacht herauslesen könnte, wir seien von irgend- (Sehr gut, bei der SPD) einer missionarischen Idee besessen. Wir dürfen keine Projekte einer Made-in-Germany-Politik of- und über allem steht doch das Verhältnis Bonn- Paris. ferieren. Wir können uns auch den Luxus unrea- listischer Verkennung der Machtverteilung in der (Sehr gut!) Welt nicht leisten. Wir müssen also immer wieder Es gibt bei aller Anerkennung französischer In- den Versuch machen, die Materie nach dem Mög- teressen an der Saar doch auch deutsche Interes- lichen und nach dem europäisch Sinnvollen bei sen an der Saar, Achtung der großen nationalen Komplexe beson- (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte) ders der beiden Völker, die in Frage kommen, zu und es gibt auch saarländische Interessen an gestalten. Deutschland. Ich beabsichtige nicht, in eine Einzelkritik prak- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und bei tischer Vorschläge zu gehen, die am Schluß der den Regierungsparteien.) Denkschrift der Bundesregierung zu lesen sind. Ich Man sollte jetzt von unserer Seite den Versuch möchte aber vor Impressionen des Moments warnen. machen, unter Betonung der europäischen Koope- Ich mache daraus keine Kardinalfrage; aber ich halte ration und in strengeuropäischem Rahmen im es beispielsweise nicht für gut, wenn man für die Geiste der Gemeinsamkeit auf das Ziel einer Form einer internationalen Saarbehörde ein Mo- größtmöglichen wirtschaftlichen Vereinigung Euro- dell Ruhrbehörde nimmt oder auch nur erwähnt. pas loszugehen. Ohne Zweifel ist es eine gute (Sehr wahr! bei der SPD.) Sache, wenn Frankreich und Deutschland gerade Sie kennen die sachlichen Gründe, die dann die wegen der besonderen Spannung zwischen diesen Sozialdemokratie in die Front gegen eine solche Ländern und ihren Wirtschaften auch den Anfang Organisation bringen müßten. Aber wenn man schon bei der konkreten Behandlung dieser Themen ma- mit solchen Ideen spielt — man sollte es erst im chen; denn wenn Frankreich und Deutschland kleinsten Kreise und auch nicht öffentlich tun —, nicht die Formel der ökonomischen Symbiose für dann sollte man doch einmal untersuchen, ob das die Zeit nach dem Aufhören des Marshallplans nicht ein Anlaß zur Reorganisation und grund- finden, dann konkurrieren sie sich mit den 1952 sätzlichen Änderung der Ruhrbehörde werden vorhandenen europäischen Überkapazitäten in könnte. Grund und Boden. Die Völker erzeugen durch eine (Beifall bei der SPD.) falsche Politik in Europa eine Arbeitslosigkeit, die dem östlichen Totalitarismus eine vorher noch nie Aber darüber, glaube ich, brauchten wir -uns heute gekannte Chance gibt. noch nicht auseinanderzusetzen. (Sehr wahr! bei der SPD.) Wir haben Gefahren, die natürlich nicht nur in den agitatorisch erregten Emotionen der Völker be- Darum, meine Damen und Herren, steuern wir stehen. Wir haben auch Gefahren, die in dem Hin auf das Ziel eines Friedensvertrages mit Deutsch- einsickern von Finanz- und Industriekreisen und land. Aber solange er nicht realisiert ist, sollten Interessentengruppen in die hohe politische Büro- wir besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet, kratie einer ganzen Anzahl von Ländern bestehen. nicht auf territorialem Gebiet, das Ziel angehen, (Sehr gut! bei der SPD.) Anfänge zu schaffen in der gegenseitigen wirt- schaftlichen Berücksichtigung der Interessen Wir müssen, glaube ich, die Völker dazu bringen, Frankreichs und Deutschlands durch direkte Füh- sich auf die Interessen der Völker und nicht auf lungnahme. Mit anderen Worten, ich rede hier die Interessen der Gruppen zu besinnen, dann ist einer Initiative zu Verhandlungen mit Frankreich die Vereinheitlichung leichter. speziell auf wirtschaftspolitischem Gebiet das Wir dürfen auch nicht übersehen, daß wir ko- Wort, Verhandlungen, die größer sind und tiefer lossal unter Zeitdruck stehen. In 2 bis 2 1/2 Jahren gehen als das, was Handelsvertragsabkommen ist die Marshallplanhilfe zu Ende. Wir können doch hervorbringen können, die einen französisch-deut- heute schon feststellen, daß die große Gefahr be- schen Freundschaftsvertrag bringen. steht, daß Europa bzw. eine große Anzahl euro- Wenn wir dabei das Saargebiet weitgehend in päischer Länder in entscheidenden Punkten die den Mittelpunkt stellen, dann werden französische Marshallplanhilfe nicht in europäischem Sinne zu und deutsche Interessen berücksichtigt werden nutzen verstanden hat. können. Aber dann wird diese Verhandlungs- (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) periode auch die Welt und das französische Volk, Wir haben sehr wenig politisches Europa, und wir das bestimmt niemanden von seinem eigenen haben sehr viel politischen und ökonomischen Volksganzen losreißen will, darüber aufklären, Nationalismus. Mit den Mitteln der Marshallplan- wohin die politische Willensrichtung der Saar- hilfe, die zum Zwecke der Europäisierung ge- bevölkerung geht. Léon Blum, der große franzö- geben wurde, ist in einer Anzahl von Fällen nicht sische Sozialist, hat am 17. Januar einen Artikel 1570 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schumacher) geschrieben, in dem er ganz eindeutig zwei For auf dem Wege war, sich zu einer deutsch-franzö- derungen in den Mittelpunkt stellt: erstens Volks- sischen Freundschaft zu entwickeln, in entschei- abstimmung an der Saar und zweitens Unter- dendem Maße zu gefährden. Ich habe der Über- suchung der zwischen Frankreich und Deutsch- zeugung Ausdruck gegeben — und habe damit land strittigen juristischen Fragen durch die Haa- das wiederholt, was auch der Herr Bundeskanzler ger Schiedsgerichtsbarkeit. in verschiedenen Erklärungen vorher zum Aus- Ich nenne dieses Beispiel, um den Willen zur druck brachte —, daß die Interessen Frankreichs Versöhnung auch in anderen Völkern zu zeigen. an der Saar, die Interessen Deutschlands an der Denn es ist schlecht um die Idee der Internatio- Saar und die Interessen des Saargebietes selbst nalität bestellt, wenn Besiegte allein ihre Wort- als eine Brücke zwischen Frankreich und Deutsch- führer sind. Die Menschheitsideen sind groß ge- land in solchen Gesprächen in einem ausreichen- nug, um unbekümmert um die taktische Macht- den und alle Teile befriedigenden Maße berück- position die Menschen zu bewegen und in poli- sichtigt werden könnten. tische Aktionen im Sinne des Ausgleichs und des Meine Damen und Herren! Die nunmehr be- Friedens zu bringen. Wenn sich in diesen Ver- kanntgewordenen Verträge vom 3. März, über die handlungen die Klärung der politischen Saar- der Herr Bundeskanzler das Hohe Haus unterrich- frage nicht ergibt — nun, meine Damen und Her- tet hat, mußten im gesamten deutschen Volk das ren, dann werden wir in der Welt dafür Ver- Gefühl einer tiefen und echten Enttäuschung her- ständnis finden, wenn wir eine Volksabstimmung vorrufen. an der Saar in Freiheit, eine Volksabstimmung an (Sehr richtig! in der Mitte.) der Saar ohne Furcht fordern. Ich war aber mehr noch betroffen über die Reak- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten tion, die diese Äußerungen der Kritik und des der Mitte.) berechtigten Unmuts aus deutschem Munde im Wir sind auf dem Wege nach Europa. Aber es Ausland gefunden haben. ist in der konkreten Situation nicht in erster (Sehr richtig! bei der SPD.) Linie eine deutsche Schuld, wenn dieser Weg sehr Und wenn ich mich auch bemühe zu verstehen, viele Abirrungen und Umwege zeigt. In der Poli- daß französische Zeitungen für diese Reaktion im tik, meine Damen und Herren, sind die Umwege Augenblick nicht das nötige Verständnis hatten, immer das Gefährlichste. Denn auf Umwegen so möchte ich doch einen Kommentar zitieren, der kommt man durch unwirtliche Gegenden mit mir zu denken gegeben hat, einen Kommentar aus einem politischen Klima, das dieser Entwicklung der „Neuen Züricher Zeitung" vom 7. März, in nicht immer zuträglich ist; und • es drohen Ab- clem folgendes zu lesen war: hänge und Abstürze. Das geringste Risiko und Die Heftigkeit der deutschen Reaktion auf die die größte Kraft liegen in einer Politik, die im französisch-saarländischen Abkommen stellt vorliegenden Falle geradeaus auf Europa geht! für die sachlich urteilenden Kreise eine Über- (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der raschung dar. Die deutschen Kommentare sind SPD, in der Mitte und rechts. — Die Abge von so hemmungsloser Leidenschaft und Un- ordneten der SPD erheben sich von ihren sachlichkeit getragen, daß in ausländischen Plätzen.) Kreisen in Bonn von einem unbegreiflichen Phänomen gesprochen wird, das offenbar nur Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr mit unausrottbaren Ressentiments gegenüber dem „Erbfeind Frankreich" erklärt werden Abgeordnete Dr. von Brentano. könne. Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und (Hört! Hört! in der Mitte.) Herren! Schon seit Wochen und Monaten war die Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß gesamte deutsche Öffentlichkeit über die man ganz im Gegenteil es als ein echtes, als ein - Tatsache unterrichtet, daß zwischen der französischen Re- unfaßbares Phänomen bezeichnen muß, daß große gierung und der Regierung des Saargebietes Ver- Teile der Weltpresse einen solchen Mangel an Ein- handlungen über die politische und wirtschaft- fühlungsvermögen in deutsches Denken zeigen, liche Entwicklung des Saargebiets geführt (Sehr richtig! in der Mitte) wurden. daß man gerade auch aus den Äußerungen des (Unruhe.) deutschen Bundeskanzlers so wenig die ernste Sorge eines Mannes herausgehört hat, der sich Präsident Dr. Köhler: Ich bitte, die Ruhe im seiner Aufgabe und Verpflichtung als Bundes- Hause zu wahren. kanzler der Bundesrepublik Deutschland ebenso bewußt war und ist wie seiner Aufgabe und Ver- Dr. von Brentano (CDU): Schon anläßlich des Be- pflichtung, in dieser Eigenschaft an dem Aufbau suchs des französischen Außenministers Herrn einer echten europäischen Gemeinschaft ohne je- Schumann wurde diese Frage von ihm und mit den inneren Vorbehalt mitzuarbeiten, ihm besprochen. Und ich glaube, niemand, der (Sehr richtig! in der Mitte) damals Gelegenheit hatte, mit dem Außenminister Schuman über diese Dinge zu sprechen, hat die daß man aus den Ausführungen verantwortlicher ernste Sorge der Deutschen verhehlt, mit der wir deutscher Politiker so wenig das Gefühl einer ech- dieser Entwicklung entgegengesehen haben. Ich ten — ich möchte sagen tragischen Enttäu- selbst habe dem Außenminister gegenüber zum schung herausgehört hat, die wir Deutsche em- Ausdruck gebracht, daß er keinen Anlaß habe, pfunden haben, die wir uns diesem europäischen an der Bereitschaft Deutschlands zu zweifeln, in Gedanken auch verpflichtet fühlen. Niemand ein unmittelbares Gespräch zwischen Frankreich wird doch gerade der deutschen Bundesregierung und Deutschland einzutreten. Ich habe aber auch den Vorwurf machen können, daß sie es irgend- darauf hingewiesen, daß die Gespräche, die zwi- wann versäumt habe, sich wirklich zum Dolmetsch schen Frankreich und dem Saargebiet geführt nicht nur der deutschen Auffassung, sondern echter würden, geeignet sein könnten, ja geeignet europäischer Empfindungen zu machen. seien, die deutsch-französische Annäherung, die (Sehr richtig! rechts.) Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. März 1950 1571 (Dr. von Brentano) Mit einer, ich möchte sagen, Kühnheit und Ent- Diese Atlantik-Charta vom 14. August 1941 wurde schlußfreudigkeit, die vielleicht manchen innerhalb am 26. Dezember 1944 von der französischen Re- und außerhalb Deutschlands überraschte, hat der publik ausdrücklich anerkannt. Bundeskanzler in vollem Einvernehmen mit den In dem Bericht über die Konferenz von Yalta Parteien, von deren Vertrauen er getragen ist, im Februar 1945 wird ausdrücklich festgestellt: unmittelbar an Frankreich schon vor Monaten das Mit dieser Erklärung bestätigen wir von Wort gerichtet. neuem unseren Glauben an die Grundsätze Mein Vorredner, Herr Dr. Schumacher, hat vor- der Atlantik-Charta und unser in der Erklä- hin mit Recht darauf hingewiesen, daß man die rung der Vereinten Nationen gegebenes Ge- europäische Konzeption nur verwirklichen könne, löbnis. wenn man kühn und mutig sei, und daß es feh- Der Inhalt dieser Erklärungen aus der Atlantik- lerhaft sei, hier schlau und ausweichend zu sein. Charta und aus der Konferenz von Yalta hat Ich glaube, den Vorwurf, ausgewichen zu sein, seinen Niederschlag gefunden in der Charta der kann man am wenigsten der Politik des Bundes- Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, in der es kanzlers machen. heißt, daß es der Zweck der Organisation sei, (Beifall bei den Regierungsparteien.) freundschaftliche Beziehungen unter den Nationen Dabei hat sich der Bundeskanzler auch nicht etwa zu entwickeln, die auf der Achtung des Grund- der einfachen Methode bedient, den Vorschlag zu satzes gleicher Rechte und der Selbstbestimmung machen, unter Vergangenes einen Strich zu zie- der Völker beruhen. Auch dieser Charta der Ver- hen, das Vergangene als ein historisches Akzidens einten Nationen ist Frankreich beigetreten. abzutun, das ohne Auswirkungen auf die Gegen- Meine Damen und Herren! Ich möchte auch wart und Zukunft sein müsse, sondern er hat nicht die Frage untersuchen, inwieweit wir heute unter ausdrücklicher Anerkennung auch der be- schon das geschriebene Recht besitzen, uns auf sonderen französischen Auffassungen und Wün- diese Charta der Vereinten Nationen zu beziehen. sche das Bedürfnis Frankreichs nach echter Sicher- Ich glaube, wenn es möglich sein soll, eine neue heit als eine Realität bezeichnet, die er anzuer- Rechtsordnung zwischen den Völkern zu schaffen, kennen und der er Rechnung zu tragen bereit sei. die auf den ungeschriebenen, aber heiligen Grund- Meine Damen und Herren! Auch wenn die sätzen des Rechts und der Gerechtigkeit aufgebaut deutsche Außenpolitik heute noch in den Händen sein muß, dann sollten wir nicht wie schlechte der Hohen Kommissare liegt, so war der Kanzler Prozeßparteien uns zu überlisten versuchen. Dann doch berechtigt, diesen unmittelbaren Anruf nach sollten wir nicht objektive Normen nach sub- Frankreich ergehen zu lassen. Und ich glaube, das jektiven Vorstellungen auszulegen versuchen. Da- Echo, das er damals gefunden hat, hat ihm be- mit würden wir uns vielleicht vom Recht ent- stätigt, daß er auf dem richtigen Weg war. Sollte fernen, auch wenn wir recht behalten würden. man ihn nicht ebenso verstehen, sollte man uns Ich war und bin überzeugt, daß es den alliierten nicht ebenso verstehen, wenn wir heute doppelt Nationen seinerzeit ernst war und auch heute enttäuscht sind, daß unsere Enttäuschung nicht noch ernst ist um den Sinn dieser Erklärungen auch das Echo des Verständnisses findet? und um die Verwirklichung dieser Vorstellungen. (Sehr richtig! in der Mitte.) Dann aber sollte auch die französische Republik in der Beziehung zu Deutschland und in dem, was Vor der Beendigung des Kriegszustandes mit sie in bezug auf das Saargebiet tut und läßt, Deutschland haben die Alliierten eine Reihe von diesen Vorstellungen Rechnung tragen. Erklärungen abgegeben, auf die mein Vorredner schon kurz zu sprechen kam. Ich will den völker- Ich möchte nicht das wiederholen, was schon rechtlichen Charakter dieser Erklärungen hier über die Rechtsstellung Frankreichs gegenüber nicht untersuchen. Ich will auch nicht die Frage dem Saargebiet gesagt worden ist; ich möchte behandeln, inwieweit nach den Vorstellungen der mich auf einige Feststellungen beschränken. Das damaligen Regierungschefs der alliierten - Länder Memorandum vom 10. April 1947, das hier schon das deutsche Volk das ausdrückliche Recht besitzt wiederholt erwähnt worden ist, das Memorandum oder nicht besitzen soll, sich auf diese Erklärun- der französischen Regierung auf der Moskauer gen zu berufen. Beide Fragen scheinen mir auch Konferenz, enthält zwar konkrete Forderungen in bedeutungslos zu sein. Denn ich habe nicht den Ein- bezug auf das Saargebiet; aber — und das muß druck gehabt und habe ihn auch heute nicht, daß gesagt werden — diesen Forderungen haben die diese Erklärungen, die vor Beendigung des Kriegs- übrigen Alliierten bis zum heutigen Tag nicht zustandes abgegeben worden sind, neues Völker- entsprochen. Wenn wir schon hören müssen, daß recht schaffen sollten. Ich habe vielmehr den Ein- dieses Memorandum vom 10. April 1947 die Auf- druck, daß sie altes Völkerrecht in seinem Bestand fassungen der französischen Regierung rechtferti- bestätigen sollten. gen soll, dann sollte man auch auf die Äußerun- gen Bezug nehmen, die der amerikanische Außen- (Zustimmung in der Mitte.) minister Marshall auf dieser Konferenz gemacht Die Atlantik-Charta vom 14. August 1941 hat hat, die mir wert zu sein scheinen, wörtlich wie- ausgesprochen: dergegeben zu werden. Im Zusammenhang mit Die Länder der Besprechung dieses Memorandums sagte Mar- — die Unterzeichner der Atlantik-Charta — shall: erstreben keine territoriale oder sonstige Ver- Wenn wir uns wieder dem Problem der Gren- größerung. Sie wünschen keine Gebietsver zen zuwenden, scheine ich vielleicht meinen änderungen, die nicht mit den frei zum Aus- Kollegen allzuviel Nachdruck auf diese Frage druck gebrachten Wünschen der betreffenden zu verwenden. Dieser Nachdruck entspringt Bevölkerung übereinstimmen. Sie erkennen das einem tiefen Verantwortungsbewußtsein ge- Recht aller Völker an, die Regierungsform zu genüber meinem Lande in bezug auf diesen wählen, unter der sie leben wollen, und sie Punkt. In den vergangenen Jahren waren die wünschen, daß denen souveräne Rechte und Vereinigten Staaten zweimal gezwungen, ihre Selbstregierung zurückgegeben werden, die Truppen über den Atlantik zur Teilnahme an ihrer gewaltsam beraubt worden sind. einem Krieg zu senden, der seinen Ursprung 1572 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. von Brentano) in Europa genommen hat. Wir taten unser Deutschen Reiches zu verlieren, die völkerrecht- Bestes mit Millionen von Menschen und Mil- liche oder gar die moralische Qualifikation und liarden von Dollars, zu den Siegen für die Er- Legitimation haben sollten, über deutsches Land haltung eines freien Europa beizutragen. Es Verträge abzuschließen, wie sie uns heute vor- ist unsere Aufgabe, eine Friedensregelung zu liegen. schaffen, deren Aufrechterhaltung als Ganzes (Sehr richtig! in der Mitte.) von den Völkern Europas gewünscht wird. Meine Damen und Herren, ich möchte nicht Wir brauchen eine Friedensregelung, die sich wiederholt auf den Inhalt der Verträge im einzel- sozusagen in den zukünftigen Jahren von nen eingehen, über die der Herr Bundeskanzler selbst durchsetzt. Wir brauchen eine Friedens- schon gesprochen und die auch mein Vorredner regelung, die die Völker Europas zur fried- schon diskutiert hat. Ich begnüge mich mit der lichen Zusammenarbeit anspornt. Wir brau- Feststellung, daß diese Verträge, man mag sie chen eine Friedensregelung, die lebensfähig auslegen, wie man will, zweifellos nicht nur die ist und die Anerkennung der Geschichte fin- wirtschaftliche, sondern darüber hinaus die poli- det. Wir müssen über das Heute und Morgen tische Abtrennung und Loslösung dieses Teils hinaus auf 25 und 50 Jahre und über die Deutschlands von dem restlichen Deutschland zu- Lebensdauer der meisten von uns hinaus- mindest bedeuten können. schauen. (Sehr richtig! in der Mitte.) Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn man das Memorandum vom 10. April 1947 er- Es ist richtig, daß die Erklärung, von der der wähnt, sollte man nicht vergessen, auch diese Herr Bundeskanzler sprach, die ihm gestern im Feststellungen des amerikanischen Außenministers Auftrag der französischen Regierung übermittelt zumindest in Erwägung zu ziehen, denn sie schei- worden ist, verschiedene Auslegungen zuläßt. Ich nen mir dem zu entsprechen, was heute aus den möchte mir nicht die Auslegung zu eigen machen, Worten meiner Vorredner klang. Sie scheinen mir die mein Vorredner dieser Erklärung gegeben hat, eine eindringliche Warnung zu enthalten, ein der sagte, in dieser Erklärung sei ja nur von einer zweites Mal in irgendeinem Fall und an irgend- Bestätigung der Saarverträge im Friedensvertrag einem Punkte einen Frieden zu schaffen, dessen die Rede, und das bedeute, daß die Saarverträge Basis nicht das Recht, sondern die Gewalt ist. offenbar mit Wirkung über den Friedensvertrag abgeschlossen seien und es nur der formellen (Sehr richtig! und Bravorufe in der Mitte.) Ratifizierung im Friedensvertrage bedürfe. Meine Damen und Herren! Was ist nun ge- schehen? Worüber unterhalten wir uns? Es wird Ich möchte mich im Interesse des deutschen uns gesagt — auch darüber ist schon gesprochen Standpunktes und weil ich an die Aufrichtigkeit worden —, im Jahre 1947 habe das deutsche Volk dieser Erklärung der französischen Regierung im Saargebiet eine echte politische Entscheidung glaube und glauben will, zu einer anderen Aus- getroffen. Ich würde diese Frage hier nicht an- legung bekennen, zu der Auslegung nämlich, daß schneiden, wenn ihr nicht eine solche Behauptung diese Verträge unter einer auflösenden Bedingung vorangegangen wäre. Aber eine solche Behaup- geschlossen sind, das heißt, daß sie automatisch tung zwingt uns, klare Feststellungen zu treffen. aufgelöst werden, wenn nicht im Friedensvertrag Es hieße meines Erachtens die Ereignisse in den eine ausdrückliche Bestätigung herbeigeführt Jahren 1946 und 1947 im Saargebiet zu entstellen, wird. Ich glaube, daß diese Auslegung die logische wenn man den Landtagswahlen in diesem Teil ist, weil sonst diese Erklärung nicht nur keinen Deutschlands den Charakter einer plebiszitären politischen, sondern auch keinen echten mora- Entscheidung zuerkennen wollte. lischen Wert mehr besitzen würde. (Sehr richtig! bei der SPD.) (Abg. Schröter: Sehr richtig!) Man würde den hohen Begriff der Selbstbestim- Meine Damen und Herren, wenn, wie es auch mung der Völker herabwürdigen, wenn- man diese hier in den Ausführungen des Bundeskanzlers Wahl als den Ausdruck einer echten politischen zum Ausdruck kam und wie es auch mein Vor- Selbstbestimmung bezeichnen würde. redner als Sprecher der größten Partei der Oppo- sition mit Nachdruck betonte, es uns in Europa (Sehr richtig! bei der CDU.) um die Verwirklichung eines gemeinsamen euro- Ganz abgesehen davon, daß, wie ja auch schon päischen Zieles ernst ist, dann sollte man nicht gesagt worden ist, die Änderung der Grenzen vergessen, daß die Bereitschaft für eine solche Deutschlands vom Jahre 1937 nach den wie- europäische Einigung wohl noch niemals in Europa derholten ausdrücklichen Erklärungen der Sieger- so stark war wie in den vergangenen Jahren. mächte dem Friedensvertrag vorbehalten werden (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!) soll, kann man wohl auch zu Ehren des gesamten deutschen Volkes an der Saar sagen, daß es nie- Man sollte nicht vergessen, daß es gerade das mals in freier Entscheidung einer solchen Ent- deutsche Volk war, das diesen Gedanken mit einer wicklung zugestimmt haben würde. Niemand, der Ernsthaftigkeit aufgenommen hat, an der man auch nur die Präambel der sogenannten saarlän- nicht zweifeln darf. dischen Verfassung einmal gelesen hat, wird sa- (Zustimmung in der Mitte.) gen können, daß es sich hier um den Bestandteil Vielleicht ist es so, daß gerade unter dem Ein- eines demokratischen Grundgesetzes handelt, druck des vollkommenen Zusammenbruchs nach (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!) diesem grauenvollen Krieg, nach diesem Erleb- eines Grundgesetzes, das die demokratischen nis einer geradezu widerwärtigen Entartung eines Grundrechte anerkennt, die ja gerade in Frank- krankhaften und schlechten Nationalismus, nach reich ihren ersten lebendigen Ausdruck gefunden dieser unaufrichtigen, verlogenen und überstei- haben. Wir glauben noch weni ger, daß ein Land gerten Auslegung eines falschen Souveränitätsbe- tag und eine Regierung eines deutschen Landes, griffes, daß gerade aus diesem Erlebnis unser das als Teil einer, Besatzungszone und auf Anord- deutsches Volk mehr als andere erkannt hat, daß nung einer Besatzungsmacht entstanden ist, ohne der Gemeinschaft der Menschen, die den Frieden dadurch den Charakter eines Bestandteils des wollen, als notwendiges Korrelat eine Gemein- Deutscher Bundestag 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1573 (Dr. von Brentano) schaft der Völker entsprechen muß, die den Frie- ersten Arbeit des Europarats in Straßburg laut den wollen. wurde, daran erinnert, daß schon im Haag ein (Lebhafte Zustimmung in der Mitte!) englischer Politiker sagte: Es war auch weit mehr als eine billige Geste, Vielleicht werden wir Europa mit den Völ- wenn sich die deutsche Bundesrepublik in Artikel kern Europas gegen ihre Regierungen schaffen 24 freiwillig zu der Bereitschaft bekannt hat, Ho- müssen. heitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen (Abg. Strauß: Sehr richtig!) zu übertragen und in die Beschränkungen eigener Ich bin aber deswegen doch nicht der Meinung Hoheitsrechte einzuwilligen, um in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit eine friedliche meines Vorredners, daß der Europarat und sein und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen Statut uns jetzt oder gar in Zukunft verwehren den Völkern der Welt herbeizuführen und zu si- würden, deutsch-französische Probleme in Straß- chern. Ich glaube, daß noch keine europäische burg zu besprechen, vorausgesetzt, daß wir dort Verfassung ein solches Bekenntnis zu einer ge- einmal zusammenkommen. meinsamen Ordnung, daß noch keine europäische (Sehr richtig! bei der CDU.) -Verfassung den freiwilligen Verzicht auf Hoheits Denn ich glaube: nicht ein Statut gibt die Gren- und Souveränitätsrechte, daß noch keine euro- zen der Leistungsfähigkeit eines Organs wieder, päische Verfassung den Ausdruck des Bekenntnis- sondern der Wille derer, die in diesem Organ ses zu einem solchen Substrat eines echten Sou- versammelt sind. veränitätsbegriffes enthält. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) (Abg. Strauß: Sehr richtig!) Kein Statut, es mag ausgearbeitet sein, wie es Daß eine solche Vorstellung von einem geeinten will, es mag Grenzen ziehen, wie es will, wird Europa in der rauhen Wirklichkeit der Politik Europäer in Straßburg verhindern können, sich und der Wirtschaft nicht leicht zu verwirklichen gemeinsam an einen Tisch zu setzen, gemeinsame sein werde, meine Damen und Herren, das war Sorgen und Probleme zu besprechen und gemein- wohl jedem von uns klar. Aber wenn diese Vor- same Lösungen zu finden. stellungen noch vor 25 Jahren als Utopie be- (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) zeichnet und diejenigen, die sich zu ihnen be- Ich glaube, wir dürfen nicht mit irgendwelcher kannten, als Illusionisten belächelt worden sind, Skepsis, wir dürfen nicht mit Zweifeln an solche so, glaube ich, sind wir doch heute einen wesent- Aufgaben herangehen. lichen Schritt weitergekommen. Die zahlreichen Treffen und Aussprachen europäischer Politiker (Zuruf von der SPD: Das ist keine in den letzten Jahren haben uns bewiesen, daß in Sonntagsschule!) allen Ländern Europas der ernste Wille vorhanden Ich wiederhole das, was Herr Dr. Schumacher sel- ist, dieses gemeinsame Ziel als eine gemeinsame ber sagte: Wir müssen kühn und mutig sein und Aufgabe zu betrachten und diese Aufgabe in ge- nicht schlau und ausweichend. meinsamer vertrauensvoller Zusammenarbeit zu Das, was dem Europarat voranging, war der lösen. Wir sind weiter, als wir noch im Jahre 1930 Haager Kongreß vom Jahre 1948. Ich glaube, nie-. waren, als der große französische, aber auch große mand, der an diesem Kongreß teilgenommen hat, europäische Staatsmann Briand — der kongeniale wird den Eindruck dieser ersten echten europäi- Gegenspieler des großen deutschen und euro- schen Begegnung vergessen haben, und wir wür- päischen Staatsmannes Stresemann — seinen den uns am Geiste Europas versündigen, wenn Europaplan vorlegte und damals schon sagte: wir nicht auf diesen Wegen weitergehen wollten. Das Werk der Zusammenfassung Europas Ich erinnere an die Rede, die auf diesem Europa- entspricht Notwendigkeiten, die dringend und kongreß der Professor Brugmans hielt, wohl einer lebenswichtig genug sind, um dieser Zu- derjenigen, die am stärksten an der Erweckung sammenfassung ihren Selbstzweck in wahr- des europäischen Gedankens mitgearbeitet haben. haft positiver Arbeit zu geben, die sich nie- Dieser sagte damals: mals gegen irgendjemanden richten kann und Wieder einmal gilt es, Widerstand zu leisten richten läßt. gegen eine Bedrohung. Sicherlich, denn wir Wir sind der Verwirklichung dieses Zieles näher- wehren uns gegen ein kolonisiertes, ausge- gekommen. beutetes, totalitäres, unterworfenes Europa. Wenn wir diese letzte Chance ergreifen, dann Auch wenn das Europastatut nur eine erste werden unsere Enkelkinder sagen können: Im Etappe auf diesem Wege darstellen wird, so tiefsten Elend haben sie sich zusammenge- glaube ich doch, daß sich das Europastatut aus funden. Sie haben es verstanden, ihre Fehler der politischen Entwicklung der letzten Jahre und Schwächen zu überwinden. Sie haben be- überhaupt nicht wegdenken läßt und daß man wiesen, daß nichts den festen Willen freier nicht nur die Unvollkommenheiten dieses Sta- Völker zu brechen vermag. Sie taten recht. tuts studieren, sondern den echten Inhalt prüfen Sie waren stark und sie dienten dem Frieden. sollte. Ich weiß, die Aufgaben, die der Europa- Sie haben sich um das Menschengeschlecht rat zu lösen hat, sind noch in einer Art Kasuistik verdient gemacht. beschränkt, und über dem Europarat steht — ich möchte sagen, leider -- noch als Mentor der Aus- Meine Damen und Herren! Ich gebe diese Er- schuß der Minister. Ich sage „leider", weil es auch innerung wieder, weil ich gerade in diesem von Teilnehmern an der ersten Sitzung des Augenblick hier auch nach Frankreich spreche und Europarats in Straßburg mir bestätigt wurde, daß weil ich nach Paris sagen möchte: Wir sehen in die dynamische Kraft, die einem solchen Europa- diesen Vereinbarungen vom 3. März nicht nur eine rat innewohnt und innewohnen wird, immer wie- Gefährdung der europäischen Konzeption; wir se- der durch das statische Element gedämpft und hen darin eine Versündigung am Geiste Europas, gehalten wurde, das sich nun einmal in Regie- und wir sehen darin eine Versündigung am Geiste rungen zu verkörpern pflegt. Ich wurde, als der Demokratie. manche Kritik und manche Enttäuschung an der (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) 1574 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. von Brentano) Das Saargebiet konnte und sollte eine Brücke über streiten, wer der schlechtere Europäer ist, zwischen Deutschland und Frankreich darstellen. sondern wir wollen in einen Wettstreit eintreten, Kann und will man nicht verstehen, daß in wer der bessere ist. Deutschland nach diesem 3. März die Besorgnis (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) aufkommt, daß man keine Brücke geschlagen, sondern eine Zugbrücke errichtet hat, die man Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der nach Deutschland zu aufzuziehen im Begriffe ist? Abgeordnete Dr. Seelos. (Sehr richtig! bei der CDU.) Dr. Seelos (BP): Herr Präsident! Meine Damen Glaubt man, daß dieser Weg der richtige sei, und Herren! Die Sprengschüsse von Watenstedt- Deutschland und Frankreich, ohne die Europa nie- Salzgitter dröhnen in unseren Ohren. In Töging, mals wird entstehen können, zu einer echten dem größten Aluminiumwerk Europas, sind we- Freundschaft zusammenzuführen? gen dessen Demontage die Flaggen auf halbmast Der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz gesetzt. 300 000 Deutsche sind aus dem Osten in beschlossen hat, hat in der Präambel ausdrück- Anmarsch, um in das überfüllte Deutschland ge- lich festgestellt, daß er auch für jene Deutschen pfercht zu werden und die Zahl seiner zwei Millio- gehandelt hat, denen mitzuwirken versagt war. nen Arbeitslosen zu vermehren. Dieses schauerliche Zu jenen Deutschen, denen an der Gestaltung der Bild bietet sich der Welt fünf Jahre nach Kriegs- neuen Ordnung Deutschlands mitzuwirken versagt ende dar und muß jeden davon überzeugen, daß war, zählen auch die Bewohner des Saargebietes. die sogenannten großen Drei in Jalta und in Pots- (Sehr gut! und Sehr richtig! in der Mitte.) dam keine gute Regelung gefunden haben. Wenn Im Grundgesetz ist das gesamte deutsche Volk auf- schon der Versailler Vertrag, dieser unausgehan- gefordert worden, in freier Selbstbestimmung die delte und einseitig diktierte Vertrag den Frie- Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. den nicht bringen konnte, so hat dieses Kriegs- Zu diesem gesamten deutschen Volk gehört auch ende von Anfang an der Welt die dauernde Un- rast beschert. das deutsche Volk an der Saar. Wir wünschen eine Einheit Deutschlands in einem geeinten Eu- (Sehr richtig! bei der BP.) ropa. Wir hoffen auf ein freies Deutschland in Wir stehen mitten im Kalten Krieg, und die ein- einem freien Europa. Wir wollen Ernst machen gangs erwähnten Maßnahmen sind nur als Schach- mit dieser Freiheit, deren echter Ausdruck die züge in dieser Auseinandersetzung zwischen Selbstbestimmung ist, die Selbstbestimmung, die Amerika und Rußland zu werten. Restdeutschland, den Völkern der Welt in der Atlantikcharta zerrissen, zerstört und jeder Macht bar, durch den garantiert und in der Charta der Vereinten Eisernen Vorhang vom Osten abgeschlossen, auf Nationen versprochen ist. die Großmut Amerikas angewiesen, liegt verloren (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!) zwischen zwei Kolossen, schmal wie eine Linie. Noch vor wenigen Tagen hat der amerikanische Wenn Frankreich bei der Saarregelung neben Hohe Kommissar die Anregung gegeben, man solle seinen wirtschaftlichen Notwendigkeiten auch sein im gesamten Deutschland freie Wahlen ausschrei- Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland an ben. Sollte wirklich ein Teil des deutschen Vol- führt, so können wir dies angesichts der tatsäch- kes nach dieser Vorstellung von diesen freien lich furchtbaren Lage Westdeutschlands, das ohne Wahlen und dieser echten, freien demokratischen jede Garantie der Alliierten zwangsläufig zur Entscheidung ausgeschlossen bleiben? Wir wären Hauptkampflinie gegenüber Rußland geworden schlechte Europäer, wenn wir nicht aus dieser ist, nicht recht verstehen, wenn wir auch dem Gesinnung heraus die Vereinbarungen vom 3. psychologischen Sicherheitsbedürfnis Frankreichs März aufs tiefste bedauern und uns der feier- in jeder Weise durch freiwillige Abmachungen lichen Verwahrung des Bundeskanzlers an entgegenkommen wollen. Die Saarregelung in der schließen würden. vorliegenden Form bedeutet im Kalten Krieg mit - Rußland jedenfalls eine Schlappe Amerikas. (Sehr richtig! und Sehr gut! in der Mitte.) Meine Damen und Herren! Meine Fraktion (Sehr richtig! bei der BP.) stimmt den Erklärungen der Bundesregierung, die Eine Rechtsverwahrung der Bundesregierung war der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat, ohne am Platze. jeden Vorbehalt zu. Ich möchte nun nicht mehr auf den Inhalt und (Abg. Strauß: Sehr richtig!) die Bedeutung der Verträge eingehen, nachdem Sie stimmt insbesondere den Schlußfolgerungen dies schon von den verschiedenen Rednern gesche- zu, die der Herr Kanzler vorgetragen hat. Sie hen ist. Ich möchte nur einen Punkt herausgrei- macht sich diese Wünsche zu eigen, und sie bittet fen. Der stellvertretende französische Hohe Kom- die Bundesregierung und den Bundeskanzler, mit missar hat am 4. März darauf hingewiesen, daß besonderem Nachdruck das, was er gesagt hat, zu Frankreich in der Saarfrage keine neue Lage verwirklichen. Er darf gewiß sein, daß er nicht schaffen wolle; die neue Regelung lasse keinerlei nur den Deutschen Bundestag, sondern das ganze Annexionsabsichten Frankreichs zu; Frankreich deutsche Volk hinter sich hat. wolle durch den Abschluß der Saarkonventionen eine normale Rechtssituation schaffen. Hier möchte (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) ich einhaken. Wenn schon ein tatsächlicher Zu- Nach Frankreich möchte ich gerade in dieser stand durch einseitigen Akt einer Macht nach und Stunde noch ein Wort sagen. Der französische nach eingetreten ist und ein diesbezügliches Schriftsteller Saint-Exupéry hat einmal gesagt: Übereinkommen der Großmächte in Moskau vom „Le plus beau métier des hommes est d'unir les 10. April 1947 existiert, so hätte man doch an diese hommes", die schönste Aufgabe der Menschen ist schwebende Frage nicht rühren und nicht Dinge es, die Menschen einigend zusammenzuführen. Ich aufreißen sollen, die unter ganz anderen Verhält- glaube, unter dieser Parole sollte Frankreich das nissen zustande gekommen sind und die bis zu Gespräch mit Deutschland aufnehmen. einer endgültigen Friedensregelung hätten unan- (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) getastet bleiben können. Wir wollen in diesen Gesprächen dann nicht dar (Sehr richtig! bei der BP.) Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bann, Freitag, den 10. März 1950 1575 (Dr. Seelos) Wenn man hier an die Zeit vom April 1947 er- Frankreich ist eine lohnende Aufgabe und eine innert, dann müssen auch wir unsererseits die nie dagewesene Chance zugefallen, die friedliche damalige Situation zeichnen. Damals gab es nur Führung Europas als primus inter pares zu über- einen Herrn in Deutschland, und das war der nehmen. Dieses hohe Ziel erfordert Vertrauen in Hunger. Damals bestanden noch die harten Be- die eigene Kraft, Mut, Vorausschau und kühne satzungsbedingungen, die zum Beispiel in der Handlungen sowie Erweckung des Vertrauens bei amerikanischen Zone erst durch die neuen Vor- den anderen europäischen Mächten, damit sie schriften vom 17. Juli 1947 gemildert worden sind. einer solchen Führung folgen. Wenn man aber Den Deutschen war es streng verboten, außen- bei „Führung" nur an kleinliche Vorteile auf politische Fragen zu behandeln, und jeder Ver- Grund der bestehenden Machtverhältnisse denken stoß wurde aufs schärfste geahndet. Damals gab wollte, dann könnte der Glaube an die Berechti- es keine gesamtdeutsche Regierung und keinen gung eines solchen Führungsanspruchs bei den westdeutschen Bund. Die Bizone trat erst am andern ins Wanken kommen. Die Führung Eu- 1. Juli 1947 ins Leben. Das Saargebiet war außer- ropas wird nicht durch formaljuristische Sicherun- dem bedroht von Demontage und Arbeitslosigkeit. gen gewonnen, sondern durch Großmut und Groß- Die Moskauer Abkommen wurden überhaupt erst zügigkeit, wie sie der weise und weitschauende ganz langsam in ihrem Inhalt und in ihrer Sieger kennt. Bei Frankreich ebensosehr wie bei Durchführung in der deutschen Öffentlichkeit be- Deutschland liegt es, Europa zu verwirklichen. kannt. Wie kann man jetzt sagen, die deutsche Für Europa kämpfen wir leidenschaftlich nicht Öffentlichkeit hätte sich damals damit abgefun- bloß aus innerer Überzeugung und aus Liebe zu den den? Deutsche Regierung war damals gleich Kon- Restbeständen des Abendlandes, sondern auch aus trollrat. Es wäre mehr als unfair, unsere damalige der nüchternen Überlegung heraus, daß wir zu- Zwangslage als Argument in dieser Auseinander- sammengehen und zusammenhalten müssen, wenn setzung zu verwenden. wir nicht gemeinsam untergehen wollen. Entweder (Sehr richtig! bei der BP.) marschiert die europäische Idee, oder es marschiert Sowjetrußland! Wir halten uns deshalb an die Zusicherungen (Lebhafter Beifall bei der BP.) von Acheson, an die vorgestrigen Äußerungen von Lord Henderson und an die gestrigen Äußerungen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr des Quai d'Orsay, daß die Saarfrage endgültig Abgeordneter von Campe. erst im Friedensvertrag geregelt werden soll. Wir halten uns — das ist von den Vorrednern auch be- Dr. von Campe (DP): Herr Präsident! Meine sehr tont worden - an die Bestimmungen der Atlantik- verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Bun- Charta, die vom Präsidenten der Vereinigten Staa- deskanzler hat soeben in eindringlichen Worten ten und vom britischen Premierminister im Au- den ganzen Ernst der Lage dargelegt, wie er gust 1941 einer friedenshungrigen Welt feierlich durch das Ergebnis der Pariser Saarverhandlungen verkündet worden sind und auf deren Punkt 1 plötzlich für uns alle erkennbar wurde. Ich habe und 2 ich besonders verweise. Dort heißt es vor den Auftrag, namens meiner Fraktion hier zu allem, daß Gebietsveränderungen nur erfolgen erklären, daß wir den Ausführungen des Herrn sollen, wenn sie mit den frei zum Ausdruck ge- Bundeskanzlers und seinen Schlußfolgerungen brachten Wünschen der betroffenen Völker über- vorbehaltlos beitreten. einstimmen. Mehr wollen auch wir nicht, als daß zu gegebener Zeit die Saarbevölkerung frei ihre Wir möchten diese Gelegenheit aber benutzen, Meinung äußert. um aus unserer grundsätzlichen Einstellung her- aus ein klares Bekenntnis zu Europa abzulegen Die Allierten haben diesen furchtbaren Krieg und einen aufrichtigen Appell an Frankreich zu für die Verwirklichung des Rechtsgedankens im richten. Gerade weil wir die Lage als sehr ernst Völkerleben geführt. Es gehört aber in - die Mot- ansehen, weil wir Europa unter Umständen ge- tenkiste des Machtstaatgedankens, es gehört zu fährdet, die deutsch-französische Verständigung den Irrlehren vergangener Jahrhunderte, zu glau- erschwert sehen, legen wir Wert darauf, dieses ben, die siegreiche Beendigung eines Krieges Bekenntnis heute rückhaltlos und offen abzule- werde nur dann bestätigt, wenn man einen terri- gen. Bisher ist es doch noch immer so gewesen: torialen Gewinn buchen könne. Wer gläubig ist, muß in der Stunde der Gefahr (Sehr wahr! bei der BP.) bekennen. Als äußerster rechter Flügel der Re- gierungsparteien, aber auch für uns als Deutsche Frankreich hat sein nach diesem Krieg betontes Partei haben wir unserm ganzen Herkommen Bestreben auf Ausdehnung seines Einflußgebietes nach die Berechtigung und die Befugnis zu einem bis zum Rhein und nach Internationalisierung des solchen Bekenntnis. Ich darf Sie wohl daran er- Ruhrgebiets aufgegeben. Wenn in Frankreich tat- innern, daß unsere Partei seit etwa drei Gene- sächlich noch der Gedanke bestünde, sich des rationen den Kampf gegen die Macht, den Kampf Gebiets, über das die Diskussion in beiden Staa- für das Recht und für die Durchsetzung der Nach ten schon lange geht, zu versichern, dann möchten barschaftsidee auf ihre Fahnen geschrieben hat. wir im Interesse beider Staaten folgenden Gedan- Daraus haben wir die Konsequenz gezogen: wir ken anklingen lassen: haben für Deutschland einen föderalistischen Bun- Frankreich hat den Frieden von 1919 dadurch desstaat, aber auch für Europa einen Gemein- verloren, daß es noch an Paragraphen hing, als schaftsbund gewünscht und die deutsch-franzö- die Zeit schon längst darüber hinweggeschritten sische Verständigung von jeher als einen der war. Dieses Gefühl, den Frieden von 1919 trotz Hauptpunkte in unser Parteiprogramm aufge- furchtbarer Kriegsopfer verloren zu haben, hat in nommen. Frankreich eine tiefe Verbitterung und Enttäu- (Zuruf von der SPD: Ihr besteht ja erst schung zurückgelassen. Wir wollen aber nicht, daß zwei Jahre!) Frankreich nun auch den Frieden von 1945 ver- Meine verehrten Damen und Herren! Es ist liert. Der Friedenspreis von 1945 heißt Europa! für uns selbstverständlich, daß wir in diesem (Beifall bei der BP.) Augenblick nicht das Gefühl, sondern den Ver- 1576 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. von Campe) stand sprechen lassen und die Mahnung des Herrn verfügen könne. Man tut in Paris so, als ob das Bundeskanzlers beherzigen. Wir werden also selbe hinsichtlich der deutschen Bahnen im Saar- leidenschaftslos, sine ira et studio und unter be- gebiet der Fall sei. Man tut so, als ob die zu- wußtem Verzicht auf jede Polemik an die Dinge, gestandene Nutzung des wirtschaftlichen Poten- wie sie nun einmal sind, herangehen. Die Dinge tials des Saargebietes für Frankreich notwendi- offenzulegen und sie bei Namen zu nennen ist gerweise auch die völlige politische Abtrennung notwendig, wenn wir ein gegenseitiges Vertrauen der Saar zur Folge haben müsse. Man tut weiter herstellen wollen, und nur mit gegenseitigem Ver- so, als ob dies alles so sicher sei, daß es allein trauen kommen wir zu einer wirklich befriedigen- im Willen Frankreichs stehe, welche Form und den Lösung, die auch Bestand haben wird. Per- welchen Namen man diesem neuen Staatsgebilde sönlich gebe ich mich dabei der Hoffnung hin, geben wolle. daß .diese meine Offenheit auch bei meinen fran- Meine Damen und Herren, diese Politik des „Als zösischen Freunden Verständnis finden wird; wis- ob", die an den tatsächlichen und rechtlichen Ge- sen sie doch aus langjähriger freundschaftlichster gebenheiten vollkommen vorbeigeht, ist gefähr- Zusammenarbeit an dem gleichen Ziel, daß mir lich. Sie schwebt sozusagen im luftleeren Raum, die deutsch-französische Verständigung wirklich gründet sich auf Wunschträume längst vergange- zu einer Herzensangelegenheit geworden ist. ner Zeiten und führt eines Tages zum bösen Er- Meine Damen und Herren, zunächst: was ist ge- wachen, nämlich dann, wenn die Realitäten sich schehen? Wenn wir die in Paris paraphierten als mächtiger erweisen als die Wünsche. Um dies Konventionen, auf die ich hier im einzelnen nicht zu vermeiden, müssen wir nicht eine Politik des einzugehen brauche, da Sie sie kennen und sie „Als ob", sondern eine offene und nüchterne von meinen Vorrednern schon so eingehend dar- Realpolitik treiben, die bereit ist. die Lehren aus gelegt wurden, auf ihren letzten Sinn hin analy- der Vergangenheit zu ziehen. Aber daran scheint sieren, so können wir zusammenfassend folgendes es leider zu fehlen. Eine große amerikanische sagen. Die französischen Zugeständnisse auf po- Zeitung hat gerade dieser Taue bezeichnender- litischem Gebiet stellen praktisch keinerlei Ein- weise bemerkt, der erschütterndste Aspekt bei der schränkung, sondern lediglich eine diplomatische ganzen Saarsituation sei die Tatsache, daß offen- Modifikation des politischen Instruments dar, mit bar weder Frankreich noch Deutschland aus der dem Frankreich die Kontrolle im Saargebiet aus- Katastrophe des zweiten Weltkrieges irgend etwas übt. Durch die Konventionen erlangt Frankreich gelernt hätten. Und in der Tat, sollten wir nicht eine absolut beherrschende und dauerhafte wirt- alle, diesseits und jenseits der Grenzen, uns- die schaftliche Vormachtstellung im Saargebiet. Die Gewissensfrage vorlegen, ob wir in der heutigen wirtschaftlichen Zugeständnisse und die auf ihren Situation nicht endlich die Lehren aus der Ge- Schutz hinzielenden politischen Sicherungen sind schichte ziehen sollen? Noch ist es ja nicht zu so weitgehend, daß die politische Loslösung des spät, denn noch ist nichts Endgültiges und Un- Saargebietes absolut durchgeführt ist, und daß ihr widerrufliches geschehen. zwangsläufig mit der Zeit auch die völlige Ent- Meine Damen und Herren! Über der deutsch- deutschung folgen muß. Daran ändern auch die französischen Geschichte schwebt eine unendliche Vertröstung und der Hinweis auf die endgultige Tragik. Die vielen bewaffneten Konflikte zwi- Regelung im Friedensvertrag nichts. Denn — und schen beiden Völkern haben fast stets damit ge- das hat der Herr Bundeskanzler mit Recht ausge- endet, daß der siegreiche Teil seine jeweilige führt; ich zitiere wörtlich: — das ganze politische Macht mißbrauchte, um sich die erlangten Vorteile und wirtschaftliche Leben des Saargebietes wird für alle Zukunft zu sichern. Stets war aber die durch die Abkommen in eine Ordnung gebracht, Dynamik im Völkerleben stärker als die künst- die sich schlechterdings durch keinen Friedens- liche Verewigung der Übermacht des Siegers. So vertrag wieder beseitigen läßt. Rind dann zwangsläufig immer wieder von neuem (Sehr wahr! rechts.) - Konflikte entstanden. und niemals ist das rich- Das ist sicher, und wer die französische Mentalität tige, gesunde organische Gleichgewicht zwischen und das schöne französische Sprichwort kennt beiden Völkern gefunden worden. Das Nichtmaß- „C'est le provisoire qui dure", auf gut deutsch haltenkönnen des Siegers stand hindernd im „Nur das Provisorische ist endgültig", und wer Wege. weiß, daß die französische Bürokratie dieses pro- Es kommt noch ein weiteres tragisches. Moment verbe, man möchte fast sagen, stündlich beherzigt, hinzu. Das Geschick hat Deutschland und Frank- kann sich klarmachen, welcher Wille hinter die- reich bei den großen Auseinandersetzungen der sen Abmachungen bezüglich der Saar steht. Weltgeschichte stets auf entgegengesetzte Seiten Es kommt nun als wesentlicher und wohl ent- gestellt. So war es bei der Reformation, so war es scheidender Aspekt der ganzen Konventionen noch zur Zeit der Französischen Revolution, so war es die unbestreitbare Tatsache hinzu, daß beide Ver- beidnAusartzgeimZlds handlungspartner hier zugunsten des andern über Nationalstaates und so war es auch in den beiden Dinge verfügen, über die sie gar keine Verfü- Weltkriegen. Die verschiedene Mentalität beider gungsberechtigung haben. Ich brauche auf die Völker, das unterschiedliche Tempo in der For- rechtlichen Argumente, die meine Herren Vorred- mung des eigenen Nationalstaates bewirken im- ner schon so eingehend dargelegt haben, gar nicht mer wieder. daß einmal die Deutschen den Fort- einzugehen. Ich möchte mich auf die politische schritt. die Franzosen dagegen die Tradition ver- Seite beschränken. Auch da kann ich erfreulicher- teidigten, während das andere Mal die Rollen weise feststellen, daß wir auf der Rechten des genau umgekehrt waren. Hauses uns in vollem Einklang mit Herrn Dr. Anders, meine Damen und Herren, die heutige Schumacher befinden. Herr Dr. Schumacher hat Situation. Heute zum ersten Mal in der deutsch- von einer „Politik der kleinen Schlauheiten" ge- französischen Geschichte, vielleicht auch zum letz- sprochen. Meine Damen und Herren, ich möchte ten Mal, liegen die Dinge so, daß wir im großen es nennen: die Illusionspolitik des „Als ob". Man Kampf um die Erhaltung der abendländischen tut in Paris so, als ob der derzeitige Sprecher des Zivilisation und der christlichen Kultur beide auf Saargebietes über die Saargruben als Eigentümer derselben Seite stehen. Beiden Völkern ist die Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1577 (Dr. von Campe) große Chance gegeben, jetzt gemeinsam Schulter heraufbeschwören, sondern ein festes Band zwi- an Schulter das Beste einzusetzen, über das sie schen beiden Völkern werden! verfügen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus Europa heißt das gemeinsame Ziel! Nur ein dieser unserer Gesamtkonzeption sehen meine geeintes Europa wird dem östlichen Ansturm Freunde und ich durchaus die Möglichkeit einer widerstehen können. Dieses Europa ist aber nur konstruktiven Lösung gegeben. Ich freue mich, dann möglich, wenn Frankreich und Deutschland daß wir unabhängig voneinander zu einem ähn- von der gleichen Entschlossenheit beseelt sind, lichen, wenn nicht dem gleichen Vorschlag kom gemeinsam die tragenden Säulen dieses neuen men, den Herr Dr. Schumacher soeben hier an- europäischen Gebäudes zu werden. Das heißt, ohne gedeutet hat. Die Feststellung dieser Tatsache eine aufrichtige deutsch-französische Verständi- ist vielleicht für das Ausland nicht ganz unwesent- gung ist die Rettung Europas und damit der lich, daß die Rechte und die Linke dieses Hauses christlich-abendländischen Kultur einfach nicht zu demselben Ergebnis kommen. denkbar. Beide Völker müssen daher als Voraus- (Sehr richtig!) setzung für die Erreichung dieses Zieles wirklich Es bedarf nur eines gewissen Mutes und einiger ernsthaft bestrebt sein, nationale Sonderinteressen Entschlossenheit diesseits und jenseits der Gren- hinter den gesamteuropäischen Gedanken zurück- zen, um nun wirklich mit den tauglichen Mitteln treten zu lassen. Entweder wir unterliegen dem und am tauglichen Objekt einer Einigung näher- feindlichen Ansturm, — dann ist es gänzlich gleich- zutreten. Der Marshallplan hat ohnehin zum gültig, wer bis dahin die größeren Rechte in dem Ziel, die Produktionskraft der westlichen Länder kleinen Teilchen Europas hat, das wir heute Saar- aufeinander abzustimmen. gebiet nennen. Oder aber wir erwehren uns des Ansturms aus dem Osten durch die Errichtung In Europa sind Deutschland und Frankreich die eines geeinten und einigen Europas. Dann jedoch wirtschaftlich wichtigsten und entscheidenden Ge- kommt es auf Souveränitätsfragen und die Zu- biete. Was sollte uns also hindern, sofort und in gehörigkeit der Saar zu diesem oder jenem Wirt- offener und direkter Aussprache das Problem und schaftsgebiet überhaupt nicht mehr an. Dann ge- die Methode einer engen wirtschaftlichen Zusam- hört das Saargebiet, so wie wir alle, zu Europa! menarbeit zwischen unseren beiden Ländern, also auch einschließlich des Saargebiets, praktisch an- Meine verehrten Damen und Herren! Als man zupacken? Wir sind unsererseits bereit, den be- sich vor einigen Jahren über den wirtschaftlichen rechtigten Interessen Frankreichs im Rahmen des Anschluß des Saargebiets an Frankreich einigte, übergeordneten europäischen Ziels dabei Rech- stand man noch ganz unter dem Eindruck der nung zu tragen. Wir erwarten jedoch dieselbe wirtschaftlichen Schäden dieses furchtbaren Krie- Einstellung auch von der anderen Seite. So sollte ges. Da gab es noch keinen Marshallplan, da gab es uns gelingen, die Voraussetzungen für eine es noch keine kraftvolle Bewegung für ein ver- deutsch-französische Verständigung und eine ge- einigtes Europa; da waren auch noch keinerlei meinsame Produktionsplanung innerhalb eines Ansätze für die Organisierung dieses einigen Eu- geeinten Europas zu schaffen. Der Beginn solcher ropas erkennbar. An dieser entscheidenden Ent- Besprechungen sollte aber nicht länger hinaus- wicklung kann und darf man heute aber nicht geschoben, sondern von allen beteiligten Stellen einfach vorbeigehen. Die Pariser Konventionen baldigst in die Wege geleitet werden. Die Mög- bedeuten aber ein Ignorieren, ein Vorbeigehen an lichkeit zu einem deutsch-französischen Gespräch der inzwischen eingetretenen Entwicklung, ja sie scheint durchaus gegeben. Bei der überwiegenden sind geeignet, diese Entwicklung zu stören und Mehrzahl der Deutschen ist der ehrliche Wille zu hemmen. Wenn die Grenzpfähle in Europa hierzu vorhanden. Darf ich an die französische nunmehr ganz verschwinden sollen, dann darf Seite und an die übrigen Besatzungsmächte ap- man sie nicht kurz vorher mit großer- Wichtig- pellieren, sich auch ihrerseits für solche Ver- keit und großem Aufheben noch um einige Kilo- handlungen einzusetzen, damit wir statt zu einer meter versetzen. Verschärfung der Gegensätze zu einer Regelung Unter europäischem Blickwinkel gesehen, stellt des europäischen Zusammenlebens in Frieden also der in Paris unternommene Versuch einer und in Freiheit gelangen? Unser gemeinsames einseitigen Regelung der Verhältnisse an der Ziel ist und muß bleiben: ein geeintes, ein fried- Saar einen Schlag gegen Europa und gegen die liches Europa. deutsch-französische Verständigung dar. Er ist, (Beifall bei der DP und in der Mitte.) europäisch gesehen, ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Man sollte end- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr lich mit dieser Methode europäischer Politik auf- Abgeordneter Niebergall. hören; sie paßt nicht mehr in die Zeit der Europa- bewegung hinein, die gebieterisch verlangt, daß Niebergall (KPD): Meine Damen und Herren! wir alle, die wir gute Europäer sein wollen, un- Meine Heimat ist das Saargebiet. Seit 1918 habe sere nationalen Sonderwünsche hinter die euro- ich das Ringen um die deutschen Belange im päischen Gesamtinteressen zurückstellen. Saargebiet miterlebt. Seit 1945 stand ich im Kampf Unsere französischen Freunde sollten aber auch für die deutsch-französische Verständigung mit an noch folgendes beherzigen: In einer Zeit wie der der Spitze und darum gegen den wirtschaftlichen heutigen erhalten Grenzgebiete wie die Saar einen und politischen Anschluß der Saar an Frankreich. ganz anderen Charakter, als sie ihn im Zeitalter Mit Hunderten anderer Deutscher, Sozialdemokra- des auf Macht aufgebauten und nach Macht stre- ten, Katholiken und Parteilosen, wurde ich we- benden Nationalstaates hatten. Waren sie damals gen dieser meiner Haltung 1946 aus dem Saar- Streitobjekte zwischen den Völkern, so müssen sie gebiet ausgewiesen. Ich wurde nicht nur aus- heute zum Bindeglied, zur Brücke zwischen den gewiesen, sondern auch von der Regierung Jo- Staaten werden. Elsaß-Lothringen hat als Zank- hannes Hoffmann ausgebürgert, nachdem ich schon apfel allzulange die Beziehungen zwischen unter Hitler ausgebürgert worden war. Frankreich und Deutschland vergiftet. Möge die Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, Saar im Zeitalter Europas nicht das gleiche Unheil daß ich als Saarländer zunächst einige Aus- 1578 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Niebergall) führungen über verschiedene Auslassungen meiner Der Klarheit halber möchte ich auch bemerken, geehrten Vorredner und über die Erklärung des daß die jetzigen Saarkonventionen nur möglich Herrn Bundeskanzlers mache. Der Herr Bundes- sind, weil im Jahre 1946 die Christlich-Demo- kanzler fühlte sich verpflichtet, auf das Pots- kratische Volkspartei mit ihrem Führer Johannes damer Abkommen hinzuweisen. Auch in der Hoffmann und die Sozialdemokratische Partei im Denkschrift der Bundesregierung ist dieses Ab- Saargebiet unter der Führung von Richard Kirn kommen angesprochen. Für uns ist es eine ge- den Anschluß an Frankreich gefordert haben. Nur wisse Genugtuung, daß Sie in allen kritischen die Kommunistische Partei im Saargebiet hat, seit- Situationen — sozusagen am Aschermittwoch — dem sie wieder legal ist, trotz aller Opfer uner- gezwungen sind, sich auf dieses Potsdamer Ab- schrocken für den Verbleib und die Rückglie- kommen zu berufen, das Sie sonst nicht aner- derung des Saargebiets an Deutschland gekämpft. kennen. Weil Sie nämlich in Ihrer gesamten poli- Das ist der Standpunkt meiner Partei in ganz tischen Konzeption die einzige für uns Deutsche Deutschland. Deshalb haben wir auch das Recht, gültige Rechtsgrundlage, das Potsdamer Abkom- zu erklären: Die Verträge über die Abtrennung men, verlassen haben, deshalb nur können dem des Saargebiets und die Verpachtung der Saar- deutschen Volke solche Verträge wie die Saarver- gruben wurden von der französischen Regierung träge oktroyiert werden. Bidault und der CVP/SPS-Koalitionsregierung Ich muß Ihnen sagen: Das Potsdamer Abkom- Hoffmann-Kirn ohne Befragung des deutschen men ist ein einheitliches Ganzes. Man kann es Volkes und entgegen dem Willen der Bevölkerung nicht opportunistisch mißbrauchen. In diesem Pots- des Saargebiets abgeschlossen. damer Abkommen ist in der Tat vorgesehen, daß Deutschland entmilitarisiert und demokratisiert Ganz richtig sagt die „New York Times": werden soll. In diesem Potsdamer Abkommen ist Die Saarverträge sind eine wirkliche, ver- Deutschland die politische und wirtschaftliche Ein- schleierte Annexion. heit garantiert. Ihre Politik, meine Damen und Diese Verträge sind in keiner Weise für das deut- Herren, der Gründung des westdeutschen Staates, sche Volk bindend der Anerkennung des Ruhrstatuts und des Mar- (Sehr richtig! bei der KPD) shallplans steht im krassen Widerspruch zum Pots- damer Abkommen. Wie können Sie sich auf ein- und werden niemals vom deutschen Volk an- mal auf das Potsdamer Abkommen berufen, wo erkannt. Sie es doch seit Jahr und Tag systematisch ver- (Zustimmung bei der KPD.) letzen? Wäre in Deutschland eine Politik auf Durch Versammlungs- und Zeitungsverbote und der Grundlage des Potsdamer Abkommens durch- andere Terrormaßnahmen hat die Polizei im Saar- geführt worden, dann hätten wir weder die Spal- gebiet verhindert. daß die Bevölkerung über die tung Deutschlands, noch gäbe es heute eine Saar- in Paris geführten Verhandlungen informiert frage. wurde. Die Kommunistische Partei ist die einzige (Zustimmung bei der KPD.) Partei, die konsequent für die Rückkehr des Wenn man den Kollegen Dr. Schumacher hört, Saargebiets an Deutschland gekämpft hat und gewinnt man den Eindruck, daß es sich um die kämpft. Sie wird durch Terrormaßnahmen in Frage der Demokratie im Saargebiet handele. Mei- ihrem Eintreten für Deutschland behindert. Die nen Sie denn, Herr Dr. Schumacher, unter einer SchweizrZtung,.DTa"scheibnm Regierung Adenauer wäre die Demokratie im Artikel vom 30. Januar 1950 über den Zustand Saargebiet gesichert? an der Saar unter anderem folgendes: (Sehr gut! und Lachen bei der KPD.) Die Veröffentlichung des Entwurfs des Ge- setzes zum Schutze der demokratischen Staats- Mir scheint, sie wäre es genau so wenig, wie unter ordnung bezeichnet den bisherigen Höhepunkt der jetzigen Regierung JoHo, so nennt man näm- der Unterdrückungsmaßnahmen. Dieses Do- lich die Regierung Johannes Hoffmann im Saar- kument ist bezeichnend für den Geisteszu- gebiet. Es geht auch hier wirklich nicht um De- stand der heutigen Machthaber an der Saar mokratie, es geht um den Besitz von Kohlen, Stahl Es ist ein Dokument der Furcht vor dem Er- und Eisenbahnen, genau so, wie es beim Marshall- wachen wachen des deutschen Nationalbewußtseins plan und beim Ruhrstatut um Kohlen, um Stahl und jeder freien Meinungsäußerung und wird und um die Besitznahme unserer Wirtschaft durch von der Bevölkerung mit dem berüchtigten die ausländischen Monopolisten geht. Heimtückegesetz des Dritten Reiches auf eine (Zustimmung bei der KPD.) Stufe gestellt. Nun noch eine Bemerkung auf Grund meiner Die Bevölkerung des Saargebiets steht trotz aller eigenen Erfahrung im Saargebiet. Ich weiß zwar Terrormaßnahmen der Politik der Regierung Hoff- nicht, wo der Hohe Kommissar im Saargebiet sei- mann-Kirn feindlich gegenüber und lehnt die in nen „Petersberg" hat, Paris abgeschlossenen Verträge ab. Durch den Be- (Heiterkeit bei der KPD) schluß des Industrieverbandes Bergbau des Saar- aber ich weiß, daß Herr Johannes Hoffmann aus gebietes vom 5. März 1950 wird dies in aller Deut- derselben Fakultät stammt wie Herr Dr. Aden- lichkeit unterstrichen. Um den Widerstand der auer, Bergarbeiter an der Saar gegen die Politik der (Sehr gut! bei der KPD) Abtrennung. der Ausbeutung und des Raubbaus in aus der Christlichen Volkspartei, die ja wohl mit den Saargruben zugunsten der französischen und amerikanischen Monopolherren zu brechen. wurde der CDU irgendwie verbunden ist. Dazu hat Herr der einstimmig gewählte Vorsitzende des In- Adenauer allerdings nicht Stellung genommen. Ich dustrieverbandes Bergbau, Oskar Müller, im Jahre kenne jetzt die Praxis der Regierung des Saar- 1947 aus dem Saargebiet ausgewiesen und mit gebietes in ihrem Verhältnis zum Hohen Kom- brutaler Gewalt über die Grenze abgeschoben. missar, und ich kenne auch die Praxis in Bonn. Ich muß höflich sein: beide gefallen mir gar Aber, Herr Dr. Adenauer. sind denn bei Ihnen nicht, beide stehen gemeinsam den Interessen des in Westdeutschland die Methoden anders? deutschen Volkes entgegen. (Zuruf von der FDP: Das ist doch unerhört!) Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1579 (Niebergall) Vor einigen Tagen wurde der KPD-Abgeordnete mokratisch gesinnte französische Volk, die Lehmann in Hannover im Parlament verhaftet, französicheAbt,BurndIelk- auf die Straße geschleppt und zum Gefängnis tuellen, an ihrer Spitze die französischen gebracht Kommunisten, erklären eindeutig: die Saar (Hört! Hört! bei der KPD) ist deutsch. wegen seines Eintretens für Deutschland und ge- Diese Haltung des französischen Volkes verpflich- gen die Demontagen. tet uns, dafür zu sorgen, daß die Feinde des Frie- (Hört! Hört! bei der KPD.) dens in Westdeutschland ausgemerzt werden und An die Methode im Saargebiet reiht sich also daß ein einheitliches friedliebendes demokratisches würdig an die Verhaftung des Abgeordneten Leh Deutschland geschaffen wird, damit Deutschland mann im niedersächsischen Parlament durch die nie mehr den Frieden und die Freiheit der Völker britische Militärbehörde. Das zeigt in aller Deut- bedrohen wird. lichkeit, daß wir sowohl in Westdeutschland wie Die Vorschläge der Adenauer-Regierung auf an der Saar unter kolonialen Bedingungen leben Schaffung einer deutsch-französischen Union be- und der Willkür der Besatzungsmächte ausgesetzt deuten nichts anderes, als das Statut der Ruhr- sind. behörde auf die Industrie des Saargebiets aus- Herr Kollege Dr. Schumacher hat die Frage ge- zudehnen. Die Vorschläge des Bundeskanzlers lau- stellt, ob die Grundsätze der Atlantik-Charta der fen darauf hinaus, die Saar aufzugeben und sie Westmächte gegenüber dem deutschen Volk Gel- unter die gleiche ausländische Kontrolle zu stellen tung haben. Ich glaube, das Saargebiet und Han- wie das Ruhrgebiet. nover sind ein Beweis dafür, welche Grundsätze (Sehr richtig! bei der KPD.) Geltung haben. Im Endresultat kommt dies einer Preisgabe an die amerikanischen Monopolisten gleich. Was zeigt der Beschluß des Industrieverbandes Bergbau im Saargebiet? Er beweist, daß der Der Herr Bundeskanzler und seine Regierung Kampfwille der Saarbergarbeiter für die Einbe- ernten in den in Paris abgeschlossenen Verträgen ziehung des Saargebiets in ein einheitliches de- die Früchte ihrer Politik der Spaltung Deutsch- mokratisches Deutschland trotz aller Terrormaß- lands, des Bruchs des Potsdamer Abkommens, nahmen nicht gebrochen ist. der Unterwerfung Westdeutschlands unter die Die zwischen der französischen Regierung und Wünsche der anglo-amerikanischen und französi- der Regierung Johannes Hoffman und Kirn ge- schen Imperialisten. Herr Dr. Konrad Adenauer schlossenen Verträge sind ein flagranter Bruch ist seit 1918 als Vorkämpfer des Bündnisses der des Potsdamer Abkommens. Dies wiegt um so Kanonenkönige Frankreichs mit den Kanonen- schwerer, als die Beschlüsse von Potsdam auch von königen an Rhein und Ruhr bekannt. der französischen Regierung anerkannt wurden. (Sehr gut! bei der KPD.) Die Potsdamer Beschlüsse lassen keinerlei Än- derung der westdeutschen Grenze zu und bestim- Um die Durchführung des Beschlusses des Land men, daß das Saargebiet zu Deutschland gehört. tags von Nordrhein-Westfalen zur Überführung Aus diesem Grunde hat die Regierung der Union der Kohlengruben und Hüttenwerke in das Eigen- der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die auf der tum des Volkes zu verhindern, machte der Freund Grundlage des Potsdamer Abkommens ihre und Parteigenosse von Dr. Adenauer, der CDU- Deutschlandpolitik durchführt, bereits zweimal Abgeordnete Pferdmenges, schon 1947 den Vor- diplomatische Schritte gegen die von der fran- schlag, die Hüttenwerke und Kohlengruben der zösischen Regierung betriebene Saarpolitik unter- Ruhr an die französischen und amerikanischen nommen und gegen die Annexion des Saargebiets Großkapitalisten zu verkaufen. feierlichst Protest erhoben. Die Sowjetunion - hat Der Abschluß der Verträge in Pari s ist das Er- als einzige Großmacht auch in dieser Frage die gebnis der von Dr. Adenauer zugunsten der Groß- deutschen Interessen vertreten. grundbesitzer und Großkapitalisten befürworteten Die Verpachtung der Saargruben auf 50 Jahre Politik zur Verhinderung des Abschlusses eines zu einem Spottpreis entspricht nicht dem Inter- gerechten Friedensvertrages und ist die Unter- esse der beiden Völker, sondern dient ausschließ- werfung Westdeutschlands unter eine französisch- lich den Interessen des Comité des Forges und englische und amerikanische Dauerbesetzung. Sie den Herren der Wallstreet. Mit diesem Pachtver sind das Ergebnis der von Dr. Adenauer geführ- trag wollen die französischen Monopolisten unter ten Geheimverhandlungen mit den französischen der Führung von de Wendel ihren alten Traum Großindustriellen und dem französischen Außen- der Verschmelzung von Erz und Stahl mit der minister Schuman. Darum werden der Bundes- saarländischen Kohle zur Sicherung hoher Profite kanzler und seine Regierung, ebensowenig wie sie verwirklichen. Die Kommunistische Partei Frank- die Bedingung des Ruhrstatuts und des Be- reichs erklärt deshalb ausdrücklich: satzungsstatuts abgelehnt haben — trotz der scheinbaren Proteste —, nicht gegen die Saarver- Diese Politik bringt nur den Kapitalisten, den träge kämpfen. Die deutschen Kommunisten aber französischen und deutschen und vor allen fordern die Bevölkerung des Saargebiets von die- Dingen den amerikanischen, Nutzen und kann ser Stelle auf, sich in der Nationalen Front des folglich nie und nimmer den Frieden gewähr- demokratischn,Duldzamen- leisten. schließen und für die Wiedervereinigung des Saar- In der Erkenntnis, welche Gefahren aus dieser gebiets mit dem übrigen Deutschland zu kämpfen. Politik, die von dem französischen Außenminister Hinter diesem Kampf der Bevölkerung des Saar- betrieben wird, sich für das französische Volk er- gebiets steht das ganze deutsche Volk stehen die geben, erklärten die französischen Kommunisten: Friedenskräfte in der ganzen Welt. Deshalb: Es Die Tatsache, daß Schuman ein ausländisches lebe der Kampf der Saarbevölkerung und des Gebiet annektieren will, wird den auf Ver- ganzen deutschen Volkes in der Nationalen Front geltung dringenden militaristischen Nationalis- für eine einheitliche, unabhängige, friedliebende mus Westdeutschlands nur ermutigen. Das de demokratische Republik! Hoffmann und die Im- 1580 Deutscher Bundestag 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Niebergall) perialisten sollen wissen: das Saargebiet war schaftlichen und die finanziellen Rechte Frank- deutsch, ist deutsch und wird deutsch bleiben! reichs an der Saar betonte, gebührend zur Kennt- (Beifall bei der KPD. — Zuruf in der Mitte.) nis genommen. Aber auch Acheson hat dabei fest- — Kümmern Sie sich um das Saargebiet, das ist gestellt, daß die Zukunft des Saargebiets erst durch den Friedensvertrag zwischen Deutschland besser! und den Alliierten entschieden wird. Es berührt deshalb um so schmerzlicher, festzustellen, wie Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau wenig Verständnis Frankreich seinerseits für die Abgeordnete Wessel. wirtschaftlichen Interessen bewiesen hat, die Deutschland an der Saar besitzt, und wie unbe- Wessel (Z): Herr Präsident! Meine Herren und kümmert man sich über den unzweifelhaft deut- Damen! Es ist in diesem Hohen Hause von dem schen Charakter der Saarbevölkerung hinwegge- Herrn Bundeskanzler und meinen Vorrednern be- setzt hat. reits gesagt worden, daß das Zustandekommen der deutsch-französischen Verständigung eine Herzens- Die französischsaarländischen Konventionen angelegenheit aller Deutschen ist und wie sehr die — das ist heute schon genügend betont worden — Konventionen, die jetzt abgeschlossen worden sind, basieren auf einer Vereinbarung der drei West- dieser Verständigung entgegenstehen. Ich muß mächte, die während der Moskauer Konferenz im gestehen, daß es nach den Gesprächen, die ich i n April 1947 getroffen wurde. Wir haben durchaus den vergangenen Monaten mit französischen keine Veranlassung, die Tatsache zu übersehen, Freunden gehabt habe, auch für mich persönlich daß der jetzt durch die Konventionen dargestellte eine bittere Enttäuschung war, plötzlich die fran- Zustand im wesentlichen schon seit drei Jahren zösische Anstrengung zu erleben, eine Loslösung existiert. Aber es ist ein Irrtum, wenn französi- des Saargebietes von Deutschland vertraglich zu scherseits angenommen wird, daß sich das deutsche stabilisieren. Trotzdem glaube ich auch heute Volk jemals mit der Moskauer Dreimächte-Ver- nicht, daß die Saarfrage ein unüberwindliches Hin- einbarung abgefunden hätte. Ich kann auch hier dernis sein würde, eine Verständigung zwischen nur das unterstreichen, was in dieser Beziehung Frankreich und Deutschland herbeizuführen, wie von meinen Vorrednern gesagt worden ist, daß es von meinen Vorrednern bereits gesagt worden eine Zustimmung des deutschen Volkes zu diesem ist, wenn sich die Vertreter der Bundesregierung, Moskauer Abkommen nie erfolgt ist. Wir haben der französischen Regierung und der saarländi- doch alle daran geglaubt, daß es den Westmächten schen Bevölkerung an einen Tisch setzen würden, im Krieg gegen Hitler aufrichtig um die Freiheit um zu einer Lösung zu kommen. Dabei möchte und um das Selbstbestimmungsrecht der Völker ich an die erste Regierungserklärung erinnern, zu tun gewesen wäre. Es ist uns deshalb unbe- die der Herr Bundeskanzler abgegeben und in greiflich, daß mit der Saarbevölkerung von seiner der er gesagt hat, er hoffe, die Saarfrage werde Regierung doch in einer Weise verfahren wird, die eine endgültige deutsch-französische Verständi- leider — ich muß es schon so ausdrücken — an gung nicht verhindern und im Rahmen einer die Methoden erinnert, gegen die sich die west- europäischen Union in Ordnung gebracht werden lichen Demokratien mit gutem Recht zur Wehr können. gesetzt haben. Die Zentrumsfraktion bedauert es sehr, daß die (Sehr richtig! beim Zentrum.) Saarfrage der Regelung im Friedensvertrag durch Ich möchte in diesem Zusammenhang den Herrn die jetzt vorliegenden abgeschlossenen Verträge Bundeskanzler bitten, den moralisch und rechtlich vorweggenommen worden ist und dadurch das wohlbegründeten deutschen Standpunkt in der deutsch-französische Verhältnis eine starke Be- Saarfrage in erster Linie mit der Forderung nach lastung erfahren hat. Dadurch ist der tragischen einer freien Willenskundgebung der Saarbevölke- - Kette deutsch-französischer Mißverständnisse ein rung zu präzisieren. Worauf es ankommt, ist die weiteres Glied angefügt worden. Und dies, meine ausschließliche Tatsache, daß es nach den in der Damen und Herren, in einem Augenblick, in dem Welt anerkannten Grundsätzen keine Grenzverän- das deutsche und das französische Volk angesichts derungen ohne die Zustimmung der hiervon betrof- der politischen Weltkonstellation das allergrößte fenen Bevölkerung geben darf. Wenn also die Fran- Interesse daran haben müßten, alle Mißverständ- zosen glauben, daß die Saarfrage durch die Gewäh- nisse wegzuräumen und sich dauerhaft miteinan- rung der Autonomie an das Saargebiet gelöst wer- der zu verständigen. den kann, so steht es ihnen ja frei, der Bevölkerung Ich weiß nicht - und wir wissen es in diesem des Saargebiets vorzuschlagen, hierüber in einer Hohen Hause ja alle nicht —, was die Franzosen Volksabstimmung zu entscheiden. Je nachdem, wie dazu getrieben hat, das Saarproblem urplötzlich sich die Mehrheit der Bevölkerung des Saargebiets in den Vordergrund zu rücken, wo es in der dann entscheidet, müssen die entsprechenden Weltpolitik wahrhaftig um andere Entscheidungen Schlüsse gezogen werden. Erklärt sich die Mehr- geht und wo es eine zwingende Notwendigkeit heit — und wir zweifeln daran gar nicht — für wäre, deutscher- und französischerseits alles zu Deutschland, dann kann man über diesen Willen tun, um gemeinsam die Grundlagen einer Be- der Saarbevölkerung nicht hinweggehen. Lehnt die friedung für Europa zu finden. Saarbevölkerung das Statut der Autonomie ab, will (Sehr richtig! in der Mitte.) sie tatsächlich bei Deutschland bleiben, dann hat Deutscherseits haben wir die wirtschaftlichen In- sich nach unserer Auffassung auch Frankreich die- teressen, die Frankreich an der Saarkohle besitzt, sem Spruch nach den von ihm selbst anerkannten nicht bezweifelt, und die Franzosen konnten nicht völkerrechtlichen Grundsätzen zu unterwerfen. Ich den Eindruck haben, daß Deutschland in der glaube, das ist das Prinzip, an dem nicht gerüttelt Saarfrage eine Lösung anstreben würde, bei der werden kann, wenn es in Europa übehaupt zu einer ihre wirtschaftlichen Interessen am Saargebiet Demokratie mit ihren Spielregeln kommen soll. nicht berücksichtigt werden würden. Wir haben Weiterhin: die französische Regierung kann sich auch die Ausführungen des amerikanischen Außen- nicht dadurch entlasten, daß sie behauptet, sie habe ministers Acheson, die er Mitte Januar auf einer die Saarverträge mit einer aus freiem Willen her- Pressekonferenz machte und in der er die wirt vorgegangenen saarländischen Regierung abge- Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1581 (Frau Wessel) schlossen. Auch das ist schon von meinen Vor- die Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu erinnern und rednern herausgestellt worden: als die militärische die politische Konzeption eines Walther Rathenau Besatzungsmacht des Saargebiets hätte Frankreich auch in dieser Frage wieder als gegeben zu be- durchaus die Möglichkeit gehabt, für die Bildung trachten. einer Saarregierung zu sorgen, die den Anspruch Die Westmächte und insbesondere Frankreich darauf erheben könnte, im Namen der Mehrheit der sollten doch keineswegs darüber im unklaren sein, Saarbevölkerung zu sprechen. Die Bundesregierung daß eine Lösung des Saarproblems, wie sie uns in und auch die Fraktion der Sozialdemokratischen der Form der französisch-saarländischen Konven Partei haben in dankenswerter Weise Denkschriften tionen vorliegt, dem Nationalismus in Deutschland ausgearbeitet, die aktenkundig belegen, in welcher gefährlichen Auftrieb geben kann. Ich sage durch- Form die saarländischen Landtagswahlen vor sich aus nicht: geben muß, aber die große Gefahr ist doch gegangen sind. Die westliche Welt müßte doch be- vorhanden. Wir müssen beachten, daß es nicht nur greifen, daß sie auf diese Weise ihrem eigenen de- den Nationalismus rechtsradikaler Elemente gibt, mokratischen Freiheitsideal Abbruch tut und daß sondern auch den einer bolschewistisch orientierten sie den Feinden der Freiheit Argumente zuspielt, Nationalen Front. Wir vom Zentrum haben immer deren sie sich offensichtlich sehr gut zu bedienen davor gewarnt, uns in die weltpolitischen Gegen- wissen. Wie kann man sich über die Knebelung der sätze einzumischen, und haben wiederholt betont, Presse im anderen Teil der Welt erregen, wenn man daß die vier Besatzungsmächte allein die Verant- im Saargebiet die Pressefreiheit systematisch unter- wortung für die durch die Zoneneinteilung herauf- drückt! Ich glaube, daß nichts so eindrucksvoll die beschworenen Gefahren in Deutschland tragen. undemokratischen Verhältnisse im Saargebiet de- Wir möchten aber ebenso unmißverständlich zum monstriert, wie das tagtäglich die uniformierten Ausdruck bringen, daß uns die Saarfrage keine Ver- saarländischen Zeitungen tun, und es wäre höchste anlassung zu sein scheint, uns mit der Art des Pro- Zeit, daß sich die westlichen Demokratien diese testes, der in der Sowjetzone überlaut geworden Blätter des Regimes Hoffmann einmal etwas näher ist, zu identifizieren. Wir haben soeben den für uns besehen. Dann wüßten sie, mit welchem Partner die in diesem Hohen Hause doch seltenen Fall erlebt. französische Regierung es bei den Verhandlungen daß der Herr Kollege Niebergall von der kommuni- über die Saarfrage zu tun gehabt hat, und es könnte stischen Fraktion mit seinen nationalen Forderun- kein Zweifel darüber bestehen, daß die von einem gen hinsichtlich des Saargebiets an der Spitze liegt. solchen Regime nach Paris entsandten Unterhändler Wir hätten gerne von ihm gehört, daß er mit der nicht legitimiert waren, im Namen der Saardeut- gleichen Vehemenz Deutschlands Anspruch auf die schen zu sprechen. Oder-Neiße-Linie erhoben hätte. (Sehr richtig! in der Mitte.) (Beifall bei allen Parteien mit Ausnahme Das erste, was im Saargebiet zu tun ist unid womit der KPD.) nicht etwa nur einer deutsch-französischen Verstän- Wir halten es für widersinnig, sich in Protesten digung, sondern auch der Idee der Demokratie gegen die Loslösung des Saargebiets fast zu über- schlechthin gedient werden kann, ist die Herstel- schlagen und auf der anderen Seite die Oder-Neiße- lung der Freiheit an der Saar und die Errichtung Linie als Friedensgrenze anzuerkennen. eines vom freien Willen der Bevölkerung getra- (Beifall bei allen Parteien mit Ausnahme genen demokratischen Systems. Die französische Re- der KPD. — Abg. Niebergall: Saargebiet gierung würde, wenn sie auch an der Saar der Frei- fünf Jahre später!). heit dienen will, hierzu einen ausgezeichneten Bei- Was für die Saarbevölkerung gilt — das Recht der trag leisten, wenn sie zum Beispiel die Sûreté aus freien Abstimmung über ihre Heimat —, gilt auch dem Saargebiet verschwinden lassen würde. Sie für die im Osten abgetrennten deutschen Gebiete. - müßtejdnfalsu,mvoderSaböl- Wenn wir vom Zentrum für das Selbstbestim- kerung den Druck zu nehmen, unter dem diese seit mungsrecht der Saardeutschen uns einsetzen, so fünf Jahren unter dem Regime Hoffmann lebt, und wollen wir ebenso das Selbstbestimmungsrecht der so die Gelegenheit herbeiführen, daß die Deutschen in Ostpreußen, Schlesien und Pommernansässig ge- an der Saar in freier Volksabstimmung, unabhängig wesenen deutschen Menschen gewahrt wissen. und selbständig über die Zukunft ihrer Heimat ent- (Beifall in der Mitte.) scheiden können. Wenn das geschehen ist, werden Ich möchte aber noch in die Vergangenheit zu- sich Deutschland und Frankreich darüber zu ver- rückgreifen und, wenn wir schon von der Gefahr ständigen haben, wie die deutscherseits anerkannten des Nationalismus sprechen, daran erinnern, daß die französischen Wirtschaftsinteressen an der Saar in letzte Rede, die Rathenau als deutscher Außenmini- hinreichender Weise gesichert werden können. ster im Juni 1922 vor dem Reichstag gehalten hat, Wir haben heute in diesem Hause vernommen — unter anderm das Saarproblem, wie es damals lag, und man kann es in fast allen Zeitungen und auch zum Gegenstand hatte. In dieser Rede hat Rathenau in Gesprächen, die man führt, feststellen —, wie damals sehr klar die volksmäßige Verbundenheit sehr die französisch-saarländischen Konventionen der Saar mit dem gesamten Deutschland umrissen. im ganzen deutschen Volk eine begreifliche Er- Aber er hat auch dem deutschen Volk das Schicksal regung hervorrufen. Man hat sich angesichts dieser aufgezeigt, in welches es durch den ersten Weltkrieg Konventionen fragen müssen, ob sie nicht zu weit gekommen war, nicht um den Frieden zu gefährden, tragenden Konsequenzen für die Politik der Bun- vielmehr um den Weltfrieden zu festigen. Denn desregierung führen. Die Zentrumsfraktion erachtet seine Zielsetzung war — ich glaube, wir sollten uns es .als ihre Pflicht, zu den verschiedenen Folgerun- heute wieder einmal daran erinnern —, die inner- gen kurz Stellung zu nehmen und deutlich zum Aus- deutschen Sp an nungen im Sinne der Einordnung druck zu bringen, wofür sie bereit ist die Verant- des ganzen Deutschland in die große Völkerfamilie wortung mit zu tragen. Es ist notwendig, dem deut- zu beseitigen. Gerade diese Rede Rathenaus - es schen Volk offen zu sagen, um was es hier geht, und scheint manchmal notwendig zu sein, auch aus der ihm keinen Zweifel zu lassen, wie man sich ent- Vergangenheit zu lernen — hat Helfferich urngemein scheidet. Es hat zweifel os etwas Verlockendes, sich scharf, verletzend und hetzerisch besprochen. Zwei in dieser so ernsten und schwierigen Situation an Tage später war Rathenau erschossen. Ich erwähne 1582 Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Frau Wessel) das deshalb, weil auch heute wieder Volksverführer haben, die auf die Dauer ihre Wirkung nicht ver versuchen werden, die deutschen Menschen in na- fehlen können. tional oder nichtnational einzuteilen, genau so wie Es ist in diesem Hohen Hause wiederholt davon es in der Weimarer Republik. der Fall war, die gesprochen worden, von welch entscheidender Be- schließlich an diesem überspitzten Nationalismus deutung es für das gesamtdeutsche Schicksal ist, daß zugrunde gegangen ist. Ich bin der Meinung — das die Bundesrepublik namentlich auch in Anbetracht gilt für die Vergangenheit wie für die Gegenwart ihrer sozialen Verhältnisse attraktiv auf alle Deut- und Zukunft —, daß derjenige, der seinem Land schen wirkt. Gestatten Sie mir deshalb zum Schluß undVolkiet,mrasupchwefür den Hinweis darauf, daß wir den Saardeutschen richtig erkannt hat, und dabei von den realpoliti- jede nur mögliche moralische Unterstützung bei der schen Maßstäben ausgeht, in Wirklichkeit der na- Bewährung im Kampf für ihre Freiheit und für tional und vaterländisch handelnde Mensch ist. ihre Treue zu Deutschland zuteil werden lassen Denn wer das sagt, was er als Wahrheit erkennt müssen. Nichts aber wird ihnen solche Festigkeit und in Ansehung seines Landes für das Bestmög- verleihen wie die Überzeugung, daß das deutsche liche hält, der dient seinem Volk und hilft ihm Volk seine Einheit in einem Staat findet, in dem auch. Wer jetzt nationale Leidenschaften entfacht, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gelten. Ob der stört die Vorbereitung für den Frieden, denn wir Zeitpunkt schon nah oder noch fern ist, da die glauben an die Friedenssehnsucht aller Völker nach Durchführung der Menschenrechte der Ruhmestitel dem Blutzoll, der so grausam im ersten Jahrfünfzig Deutschlands ist, steht dahin; aber dieses Ziel muß dieses Jahrhunderts von den Völkern nicht nur den wirklichen Patrioten, den deutschen Menschen, Deutschlands, sondern auch Europas und darüber die ihr Land lieben, . vorschweben, damit in unserer hinaus entrichtet werden mußte. Zeit dieser Gedanke in das deutsche Volk bis hin- Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat über in das Saargebiet vorgetragen wird. Vom für die Befürworter jener Konsequenz Verständnis, Volke her und nur vom Volke her wird in einem wie sie von der SPD vertreten wird und die da freien Deutschland der Lauf des deutschen Schick- lautet, daß die Bundesrepublik infolge der franzö- sals füglich entschieden werden. Wer als Deutscher sisch-saarländischen Konventionen nicht in der an Deutschland, an seinen Fortschritt glaubt, der Lage sei, gleichzeitig mit dem Saargebiet in den sollte vor allem den Mut haben, in einem deutschen Europarat einzutreten. Die große Mehrheit dieses Land, und ich meine damit: in allen deutschen Län- Hauses hatte die Hoffnung, der Eintritt Deutsch- dern, auch — um das der Kommunistischen Partei lands in den Europarat würde den von Frankreich gegenüber zu sagen - in der Ostzone, zunächst die beabsichtigten Konventionen vorausgehen, und es freiheitliche Gleichberechtigung zu verwirklichen. würde sich auf diese Weise die Möglichkeit ergeben, Deshalb begrüßen wir die Initiative McCloys für im Europarat über die Konventionen zu sprechen, freie Wahlen in ganz Deutschland. bevor sie zum Abschluß gebracht worden wären. (Abg. Rische: Abzug der Besatzungstruppen!) Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt, und es Geschieht das, so ordnet sich die außenpolitische ist begreiflich, wenn nunmehr sehr ernste völker- Konzeption ganz zwangsläufig von selbst. Dann ha rechtliche Bedenken gegen einen Eintritt der Bun- ben es auch die Friedensfreunde, die Menschen in desrepublik in den Europarat vorgetragen werden. der weiten Welt, die mit uns an Deutschlands Zu- Auch wir vom Zentrum glauben, daß die Bundes- kunft, an seine Gesundung glauben und für diese regierung ihre diesbezüglichen Entschlüsse mit Gesundung seit 1945 unentwegt gearbeitet und mit größter Sorgfalt *abwägen muß, zumal der mit den dieser Arbeit auch Opfer gebracht haben, leichter, Konventionen beschrittene Weg — das darf ich noch ihr Bekenntnis zum neuen Deutschland, zu einem einmal hervorheben — nicht nach Europa, son- Deutschland, wie wir es wollen, bei den Friedens- dern von Europa weg führt. erörterungen und schließlich den Friedensverhand- - lungen in die Waagschale zu werfen und dabei Die .große Chance, daß die Saargruben zu einem Faktor europäischer Verständigung werden könn- auch — und das ist unsere Hoffnung - die Saar- ten, ist damit zerschlagen worden. Ich möchte es mir frage im europäischen Geiste zu lösen und damit zú versagen, heute schon eine endgültige Stellung- einer dauernden Verständigung zwischen Deutsch- nahme meiner Fraktion zu dieser Frage zu geben. land und Frankreich zu kommen. Wir alle haben die große Hoffnung, daß der Appell (Lebhafter Beifall in der Mitte und bei der der Bundesregierung und auch der Appell dieses SPD.) Hohen Hauses an die Westmächte nicht ungehört verhallt und daß diese sich noch in letzter Stunde Vizepräsident Dr. schmid: Das Wort hat der Herr entschließen, die Saarfrage einer dem europäischen Abgeordnete Loritz. Gedanken dienenden Lösung entgegenzuführen. Denn es ist auch unser Ziel, alles zu tun, was der Loritz (WAV): Meine sehr verehrten Damen und Verwirklichung der europäischen Einigung dient. Herren! Die vergangenen Tage und Wochen waren schwarze Tage für die europäische Menschheit, und So möchte ich namens meiner Fraktion zum Aus- nur tiefe Trauer und Sorge kahn uns erfüllen, wenn druck bringen: so schwer die Verantwortung ist, die wir daran denken, wie in wenigen Monaten der auf jedem Abgeordneten heute lastet, es geht immer Gedanke des europäischen Zusammenarbeitens und nur darum, das für unser Volk Beste zu erreichen, gerade der Zusammenarbeit zwischen den zwei so selbst dann — und das gehe ich auch bei der Frage wichtigen Gliedern der westeuropäischen Kultur des Europarats noch zu bedenken —, wenn uns die solchen Schaden gelitten hat. Wenn wir a lles ab- Neigung kommen sollte, eine Tür mit lautem Krach wägen, was man in Frankreich zugunsten des zuzuschlagen. Auch das muß sorgfältig abgewogen Schrittes, den man an der Saar getan hat, vorbrin- werden, ob man auf einen vielleicht scheinbaren gen mag, wenn wir uns in die Hirne der Franzosen Effekt verzichtet, um dadurch in einem notwen- hineindenken, dann müssen wir immer noch sagen, digen Gespräch zu bleiben. Denn nichts ist in der daß das, was Frankreich mit dieser Saarkonvention Politik gefährlicher als leere Drohungen. Und scheinbar gewonnen hat, nicht im entferntesten die schließlich sind wir doch der Meinung, daß wir ge Schäden moralischer und tatsächlicher Art aufwiegt, rade in der Saarfrage Argumente auf unserer Seite die durch die ganze Sache dem Gedanken der euro- Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1050 1583 (Loritz) päischen Zusammenarbeit bei uns in Deutschland Wir bedauern in diesem Zusammenhang sehr ge und vielleicht auch anderswo angetan worden sind. wisse Vorfälle der letzten Wochen und Monate, von (Sehr richtig! bei der WAV.) denen wir heute sehen müssen, wie sie im Ausland Für jeden wahren Demokraten kann es in der Frage da und dort schon wieder bewußt oder noch häu- der Saar keinen anderen Standpunkt als in irgend- figer unbewußt mißverstanden werden. Aber all einer anderen Frage in Europa geben. Zu welchem den Zeitungen, die das mißverstehen, und dem fran- Staatswesen nämlich irgendein Gebiet, irgendeine zösischen Volk, und zwar gerade den Besten dieses Gruppe von Städten und Landkreisen gehört, dar- Volkes, die zusammen mit uns während der Hitler- über kann nur der Wille der dortigen Bevölkerung zeit in den Gefängnissen gesessen haben, gerade entscheidend sein, der in freier und geheimer Wahl denen, die uns, die wir mit Hitler und seinen Ver- festgestellt werden muß. brechen nichts zu tun hatten, sondern ihn schärf stens bekämpften, die uns, den anderen Teil des (Sehr richtig! bei der WAV.) deutschen Volkes, im engsten Zusammenhalten in- Schon die Atlantik-Charta hat von den unveräußer- nerhalb der Gefängnisse und Konzentrationslager lichen Rechten des Menschen gesprochen, und zu kennenzulernen Gelegenheit hatten, gerade denen diesen unveräußerlichen Rechten gehört, weiß Gott, möchten wir heute zurufen: Tut alles, um die öffent- das Recht, darüber zu bestimmen, welchem Staat liche Meinung in eurem Lande aufzuklären, daß man angehören will. es in Deutschland Demokraten gibt, und nicht etwa (Sehr richtig! bei der WAV u nd bei der SPD.) bloß ein kleines Häuflein, sondern daß es Hundert- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist tausende und aber Hunderttausende gibt, die für außerordentlich bedauerlich, daß einige Kreise in ihre demokratische Überzeugung durch die Ge- Frankreich glaubten, hier so vorschnell handeln zu fängnisse gegangen sind, daß es Millionen von müssen, zu einem Zeitpunkt, zu dem alles danach Deutschen gibt, die klar gezeigt haben, daß sie streben müßte, ins Gespräch zu kommen — in ein mit den Methoden der Gestapo nichts zu tun Gespräch zwischen Frankreich und Deutschland —, hatten, die sich gegenüber den Kriegsgefangenen das endlich einmal den Schlußstrich unter die Ent- oder gegenüber den französischen und anderen zweiung setzen müßte, die beinahe schon zum Un- KZ-Häftlingen usw., wenn sie durch die Straßen tergang der westeuropäischen Kultur geführt hätte. geführt wurden, anständig 'benommen haben! All Dieser Schlußstrich, dieses Gespräch zwischen Deut- denen, die den demokratischen Teil des deutschen schen und Franzosen muß kommen! Alle die Maß- Volkes kennenzulernen Gelegenheit hatten, möch- nahmen, die bezüglich der Saar ergriffen worden ten wir heute den dringenden Appell und die drin- sind, scheinen uns nichts anderes als ein verhäng- gende Bitte zurufen: Unterstützt uns doch jetzt in nisvoller Anachronismus zu sein, ein Weg zurück zu Frankreich und allüberall in diesem furchtbar Methoden und Maßnahmen, wie sie sich leider in schweren Kampf! Denn über eines müssen wir uns der Vergangenheit beide Nationen zum Unsegen der klar sein: wenn der Gedanke der Demokratie in europäischen Zivilisation geleistet haben. Deutschland nochmals kaputtgemacht wird, wenn wiederum diejenigen, die es mit ihrer demokrati- Wir von der WAV sind der gleichen Auffassung schen Idee ehrlich meinen, keine Chancen, sondern wie wohl 99 Prozent unserer Bevölkerung: Wir nur Prügel auf ihren schweren Weg geworfen be- müssen an der Saar eine freie, geheime Volksbefra- kommen, dann ist der Gedanke der Demokratie in gung haben, und erst dann kann darüber entschie- ganz Europa, nicht bloß in Deutschland, ein für alle- den werden, welchem Gebiet das Saarland definitiv mal zu Grabe getragen, und die Folgen davon wird angehört. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß Frankreich genau so wie Deutschland, wird England man hier glaubte, jetzt schon ein gewisses Faktum genau so wie Italien und Amerika zu spüren be- setzen zu müssen, von dem wir nicht überzeugt sind, kommen. daß es ohne weiteres erst später, beim Friedens- (Beifall bei der WAV.) vertrag, endgültig fixiert werden würde. Wir glau- ben vielmehr, daß gerade solche Fakten -leider den Das ist der Appell, den ich heute namens meiner unheilvollen Drang in sich haben, zu inveterieren, Fraktion und, ich glaube, namens sehr vieler ande- wie man juristisch sagt, sich zu verhärten, und rer Kollegen in diesem Hause an alle in Frankreich selbst dann sehr schwer zu eliminieren sind, wenn richten möchte, die .auf die öffentliche Meinung und die Völker und ihre Regierungen einsehen sollten, die Formung der französischen Politik Einfluß ha- auf welch verhängnisvolle Wege sie sich hier be- ben: Laßt euch, ihr Freunde in Frankreich, nicht geben haben. durch kurzlebige Augenblickserfolge täuschen, von denen einer eurer größten Politiker gesagt hat, daß Eine Pflicht allerdings haben wir in Deutsch- gerade diese kurzlebigen Augenblickserfolge à la land, und das möchte ich gerade von hier aus mit longue, auf lange Sicht gesehen, stets schweren aller Entschiedenheit betonen: Ohne Rücksicht auf Schaden bedeuten! irgendeine politische Partei müssen wir alles tun, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich damit den Leuten jenseits der Grenze — ich möchte möchte nicht alles wiederholen, was von den Vor- sagen: der Minderheit jenseits der Grenze, die rednern an juristischen Ausführungen usw. gemacht scharfzumachen versucht gegen das deutsche Volk, worden und womit bewiesen worden ist, daß die oft wider besseres Wissen scharfzumachen ver- Abmachungen zwischen der Saarregierung und der sucht — rechtzeitig der Wind aus den Segeln ge- französischen Regierung juristisch so nicht haltbar nommen wird. Wir müssen alles tun, damit im Aus- sind. Ich möchte keine längeren Ausführungen dar- land nicht etwa der Eindruck entsteht, als müßte über machen, daß die ganze Maßnahme einem Kon- man gegenüber dem neuen Deutschland weiterhin trahieren in se sehr ähnlich sieht, da doch noch kein eine Politik der Faustpfänder betreiben. Wir müs- Teil des deutschen Volkes außenpolitisch irgendeine sen al les tun, damit das Ausland — nicht bloß Vertretung hat oder außenpolitisch tätig werden Frankreich, sondern die ganze übrige Welt — den kann. Wie kann man dann hier handeln, wenn man Eindruck bekommt, daß wir es mit unserer demo- dochsagt,wie frnzöschRgieut, kratischen Gesinnung wirklich ehrlich und anstän- daß auch das Saargebiet formell noch zu Deutsch- dig meinen. land gehört, weil erst der Friedensvertrag die end- (Bravo! bei der WAV.) gültige Regelung bringen soll?! Gut, dann ist die 1584 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Loritz) Regierung im Saargebiet genau so wenig wie ir- Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in gendeine andere Regierung noch in der Lage, meiner Ansicht nach sehr beachtlichen Ausführun- Außenpolitik zu machen. Sie wissen, daß m an ja gen dargelegt, was er von diesem Abkommen vom auch der Bundesregierung das Recht bestreitet, selb- 3. März 1950, von diesem Saarabkommen hält. Seine ständig Außenpolitik machen zu können! Dann ist Charakterisierung ist zweifellos nach jeder Rich- also das, was die Saarregierung tut, nichts anderes tung hin fest und klar. Es ist ein Übergriff auf das als eine Komponente der Politik der Besatzungs- Gebiet der Gewalttätigkeit im Sinne von Mazarin macht, und dann ist das ganze Abkommen, das zwi- und Richelieu, was wir hier vor uns sehen: Frank- schen dem Saargebiet und Frankreich geschlossen reich greift mit gierigen Händen nach der deutschen worden ist, nichts anderes als ein Kontrahieren in Grenze und reißt uns nach Elsaß-Lothringen noch sie, als ein Abschluß von Verträgen, wobei der eine, einen anderen Teil unseres Landes weg, und es der Schutzherr, den Vertrag mit seinem Mündel etabliert in diesem Land eine Gewaltherrschaft, die gleichzeitig im eigenen Namen und im Namen des mit der russischen Gewaltherrschaft beinahe kon- Mündels abschließt. Das scheint mir das Erträgliche kurrieren kann. auch auf dem Gebiet der Außenpolitik genau so zu (Zuruf von der Mitte: Na, na!) übersteigen, wie es auf dem Gebiete des Zivilrechts nicht mehr erträglich wäre, wenn der Vormund der- Ich habe dieser Charakterisierung, die der Herr artige Verträge namens seines Mündels mit sich Bundeskanzler gegeben hat, nichts mehr hinzuzu- selbst abschließen würde. Ich möchte darauf nicht fügen. Die Gewalttat herrscht auf den Straßen. Wir mehr allzusehr eingehen. müssen nun sehen,. wie wir dieser Gewalt Herr werden. Wir wollen alles tun, damit kein Öl mehr ins Feuer gegossen werden kann. Wir wollen ruhigen Es ist heute von dieser Stelle aus schon sehr viel Kopf und ruhiges Blut bewahren — das ist das ein- darüber geredet worden, was da zu tun ist. Wenn zige, was wir tun können — und die Hoffnung he- ich das im Geist an mir vorüberziehen lasse und gen, daß bis zum Abschluß des Friedensvertrages in mir überlege, dann sehe ich immer wieder: Es sind den Hirnen der maßgeblichen Staatsmänner in der Wünsche, Hoffnungen, berechtigte Forderungen; ganzen Welt die Umkehr kommt. Es wird unterdessen aber aus kaum einer Stelle spricht eine realistische noch soviel Wasser den Rhein und die Seine hinab- Haltung gegenüber den gegebenen Tatsachen. Man fließen, daß man hoffen darf: Die großen Gesichts- kann den Franzosen nicht dadurch imponieren, daß punkte, die für die Zusammenarbeit Frankreich— man ihnen zu jeder Tageszeit sagt: „Wir wollen uns Deutschland sprechen, werden in ihrer Tragweite ja mit euch verständigen; seid doch vernünftig, ihr wirklich erkannt und gegenüber dem Meinen Vor- Franzosen, und hört auf uns, denn davon hängt teil abgewogen, den Frankreich durch diese Maß- nicht nur das Schicksal Deutschlands, sondern auch nahmen an der Saar für sich erringen konnte. das Europas ab, und ihr zerstört die großen Hoff- nungen aller Deutschen und aller guten Euro Meine sehr verehrten Damen und Herren, tun päer!" Damit können Sie den Franzosen nicht impo- wir alles, um die Weltöffentlichkeit aufzuklären, nieren. Wir können bei den Franzosen nur dann wie tatsächlich die Lage ist, aber nicht mit nationa- Eindruck machen, wenn wir ihnen mit einer festen, listischen Sprüchen, die wir schärfstens ablehnen, klaren Haltung gegenübertreten. sondern nur, indem wir die Stimme des Rechts ge- brauchen, die einzige Möglichkeit, die wir haben Dieser festen unid. klaren Haltung geben Sie Aus- und die wir haben wollen, die aber nach unserer druck, wenn Sie einem Antrag zustimmen, den ich Auffassung — und nach der Auffassung aller, die hiermit einbringe und der da sagt: sich wahrhafte Demokraten nennen — die Stimme Alle Verständigungsverhandlungen mit Frank- ist, der die Zukunft gehört! Für Recht und Gerech- reich werden eingestellt, und der Beitritt tigkeit wollen wir uns einsetzen! Aus diesem Grunde Deutschlands zur Europäischen Union und zum müssen wir die Weltöffentlichkeit und müssen wir Europarat unterbleibt, bis das Saarabkommen namentlich Frankreich bitten: Schafft kein - fait ac- zwischen Frankreich und dem Saargebiet auf- compli, überlegt euch das, was ihr getan habt; es gehoben ist und die wirtschaftliche und politi- gibt noch einen anderen Weg, den Weg der eng- sche Freiheit des Saargebiets für alle Zeiten sten Zusammenarbeit, den Weg einer dauernden sichergestellt ist. Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland (Zuruf des Abg. Hilbert.) zum Wohle der beiden Völker genau so wie zum Wohle der ganzen westlichen Zivilisation! Wenn Sie diesen Antrag annehmen, dann imponie- Das ist es, was die WAV zu der Saardebatte zu ren Sie Frankreich, sagen hat. (Lachen) (Beifall bei der WAV.) sonst imponieren Sie ihm nicht! (Zuruf von der SPD: Das können Sie in der Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- Schule erzählen! — Abg. Hilbert: „Sieg geordnete Leuchtgens. reich wollen wir Frankreich schlagen!") — Sie von links wollen ja doch dasselbe. Herr Schu- Dr. Leuchtgens (DRP): Meine Damen und Herren! macher hat doch in seinen Schlußsätzen beinahe Wir alle sind Jahr und Tag von dem Bestreben dasselbe gesagt. Stellen Sie sich doch nicht auf ein- erfüllt, eine Verständigung mit Frankreich herbei- mal dagegen, weil ich es sage! Sie meinen, Sie zuführen und darüber hinaus eine westeuropäische müßten von vornherein in jedem das Gegenteil von Union herzustellen. Dieser Gedanke erfüllt wohl — abgesehen von den Kommunisten — alle Mitglieder dem sagen, was ich sage. dieses Hauses. Ich persönlich habe mich vom Herbst Das, was wir in diesem Antrag vorschlagen, ist 1945 an, als am 18. Oktober unser Programm her- das einzige, was wir in dieser Stunde machen auskam, mit diesem Gedanken schon auseinander- können. Wenn wir nicht alle Verhandlungen auf gesetzt. Aber wir sind bis jetzt noch nicht weiter- Verständigung mit Frankreich von Stund an ein- gekommen, und alle Bemühungen von unserer Seite stellen und wenn wir nicht alle Bemühungen, den haben nur zu dem geführt, was wir als Saarabkom- europäischen Rat zu bilden, aufgeben, bis die Saar- men vor uns sehen. konvention zurückgenommen und damit das Saar- Deutscher ,Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, F re itag, den 10. März 1930 1585 (Dr. Leuchtgens) gebiet für uns sichergestellt ist, dann zeigen wir nicht von selbst verwirklicht, sondern daß es eines damit, daß es uns an Mut und Entschlossenheit fehlt. rücksichtslosen Einsatzes für das Recht bedarf. Es gehört ein großer Mut dazu, das zu tun. Wir (Abg. Dr. Schmid: Sehr richtig!) können hier auch nicht mit weibischem Klagen Das aber vermisse ich in der Haltung, die die So- weiterkommen, sondern wir müssen nun wirklich zialdemokratische Partei heute eingenommen hat. zugreifen. Ich habe die feste Überzeugung, daß ich im Namen von Millionen Deutschen spreche, wenn (Abg. Dr. Schmid: Wir verzichten eben ich heute den Franzosen zurufe: Die Hände weg nicht auf den Verstand bei diesen Dingen!) von der Saar, die Hände weg von deutschem Land! — Es kommt im Leben wohl auf den Verstand an, Das ist das Entscheidende, und an diese Aufgabe (iranscheHtkudZrf) müssen wir nun auch wirklich ernsthaft herangehen. das ist richtig. Es kommt aber auch darauf an, daß Wir dürfen keine halben Maßnahmen ergreifen, die wir die Grundsätze der menschlichen Sittlichkeit nun wieder auf eine Bitte oder so etwas hinaus- verwirklichen, die ganz unabhängig von jedem In- laufen. In der praktischen Politik wird man nur tellektualismus bestehen. dann etwas erreichen, wenn man Maßnahmen an- droht und dann auch ausführt, die dem anderen (Abg. Dr. Schmid: Das ist aber nicht iden auch Eindruck machen. tisch mit Absurdität!) — Aber auch nicht mit Intellektualismus in der Ich bitte also den Herrn Bundeskanzler: Lassen klassischen Form, lassen Sie sich das gesagt sein. Sie sich bei der Gestaltung der deutschen Lebens- Sie sind ein Intellektualist reinsten Wassers. Aber fragen nichts abringen, schenken Sie sophistischen damit kommen wir natürlich auch nicht weiter. Gründen keine Beachtung! Wir aber wollen dafür sorgen, daß die Dinge nun praktisch gehandhabt (Zurufe.) werden, damit wir wirklich auf diesem Gebiet wei- Das Gebot der Stunde ist: Treten Sie von allen terkommen. Wir wollen versuchen, dem deutschen Verhandlungen zurück, bis die Franzosen das tun, Volk eine innere Festigkeit zu geben. Zeagen wir was notwendig und was vernünftig ist. Deshalb aber auch dem französischen Volk hier eine Hal- stel ichmeine Antrag,denicheb nverl sen tung; dann wird sich erweisen, ab es wirklich ge- habe, mit zur Abstimmung. neigt ist, etwas zu tun. Mit einem politischen Ent- (Zuruf in der Mitte: Wer steht dahinter?) gegenkommen, einer überklugen Politik, die das Gras wachsen hört, sich aber scheut, sich zu irgend Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge- etwas Greifbarem zu bekennen, kommen wir nicht geordneter Dr. Schäfer. weiter. Wir müssen schon mannhaft zugreifen und Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! mannhaft handeln. Da ich als einer der letzten Sprecher heute zu Wort (Abg. Dr. Schmid: „Es braust ein Ruf wie komme, kann ich wohl den Verlauf der Sitzung ein Donnerhall!") wenig charakterisieren. Sie war seltsam zwiespältig. In der Welt gibt es - und das weiß Herr Schmid, Sie war erfreulich im Hinblick auf die Einmütigkeit der da eben etwas ironisch einen schönen Spruch zum der Auffassungen, die hier, abweichend von man Vergleich heranzog, genau so wie ich — zwei Dinge: chen Spannungen in der Vergangenheit, zum Aus- entweder handle ich opportunistisch, mache Verbeu- druck gekommen ist. Nur wenige Randfiguren ha- gungen und suche mich Liebkind zu machen bei ben die Tendenz, die schon in der Kanzlerrede an- dem, mit dem ich gern übereinkommen möchte, klang, verlassen. Und immer wieder haben die Spre- oder ich stelle mich auf den Standpunkt der Sitt- cher von rechts und links, wenn auch in verschie- lichkeit denen Tönungen und mit vielleicht abgewandelten (große Heiterkeit) Schlußfolgerungen, sie vertreten und dargestellt. und sage: es muß so oder so gemacht werden! Im Gegensatz zu dieser sympathischen Einmütig- keit ist aber festzustellen, daß wir heute eines der (Ironische Zurufe: Sehr. richtig!)- dunkelsten Kapitel behandelt haben, die in diesem Wenn das nicht geschieht, dann liegt ein Verstoß jungen Parlament der Bundesrepublik besprochen gegen die Grundlagen der menschlichen Natur und werden. Denn durch die Verhandlungen, die in dem der Sittlichkeit vor. Abkommen vom 3. März ihren Niederschlag ge- funden haben, ist nicht nur so etwas wie ein Reif (Abg. Dr. Schmid: Dabei braucht man nicht in der Vorfrühlingsnacht gefallen, sondern hier ist auf den Verstand zu verzichten!) der deutschen Demokratie ein Tiefschlag versetzt Den Lockungen des Augenblicks zu folgen, ist im- worden. Es ist eine schwere Aufgabe, die wir nicht mer ein Zeichen von Schwäche. nur für unser Land, sondern für unser Volk als Bestandteil der Gesamtheit von Völkern der Welt (Erneute ironische Zurufe: Sehr richtig!) übernommen haben, dies unser Volk mit demokrati- Ein Zeichen von Stärke aber ist es, wenn ich trotz schen Überzeugungen zu erfüllen, diesen unseren dieser Lockungen feststehe. Staat im Bewußtsein seiner Bevölkerung zu ver- (Ironische Zurufe: Bravo! und Hände wurzeln. Demokratien sind nicht stark und fest klatschen.) durch Machtmittel oder formale Bestimmungen; sie sind nur gefestigt und gesichert, wenn sie von den Nur wer den Mut zur Wahrheit aufbringt, nur wer Menschen, die in ihnen leben, vertrauensvoll und keine Politik der bloßen Schaukelei und gegensei- freudig bejaht werden. tigen Rücksichtnahme treibt, wird in seiner Politik (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Erfolg haben.. (Zurufe.) Wenn immer wieder Zweifel geweckt werden an der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit des demokrati Politik ist Treue zu sich selbst und zum Vaterland, schen Wollens und wenn gleichzeitig mit der Ver Politik ist. eine ethisch feste und gerechte Haltung. kündung demokratischer und humanitärer Prinzi Wenn Sie, Herr Schmid, als Jurist immer wieder pien nach dem gräßlichen Kriege gegen diese die Grundsätze des Rechts betonen, dann betonen Grundsätze immer wieder verstoßen wird, dann Sie bitte auch die andere Seite: daß das Recht sich ist es ob dieses Unterschiedes zwischen Wort und 1586 Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Donn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schäfer) Tat unsagbar schwer, Überzeugungskräfte lebendig sen, und der merkwürdigen Hast und Eile und zu machen oder zu halten von der Art, wie ich sie Gründlichkeit, mit der m an diese Verträge abge- eben gekennzeichnet habe. schlossen hat. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) (Sehr richtig! bei der FDP.) So ist denn auch die heutige Kritik an den Saar- Diese Widersprüche bestehen aber auch hinsicht- verträgen nicht der Ausfluß eines verstiegenen Na- lich der Formen der politischen Verknüpfung und tionalismus gewesen, sondern es war ein Aufbegeh- der wirtschaftlichen Verbundenheiten, die in den ren gegen Prinzipien und Handlungen, die mit de- Verträgen gefordert oder festgelegt worden sind. mokratischen und humanitären Grundsätzen nicht Es besteht ein merkwürdiger Widerspruch zwi- zu vereinbaren sind. schen dem Autonomieversprechen gegenüber dem (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.) Saargebiet und den Befugnissen, die man dem Gerade in diesem Zusammenhang möchte ich des Statthalter der Besatzungsmacht zugesprochen halb an die Presse und den Rundfunk jenseits der hat. Es besteht ein merkwürdiger Widerspruch Grenzen unseres Landes die Bitte richten, endlich zwischen der Bereitschaft, die Angelegenheit den Sperriegel der Vorurteile und Denkgewohnhei durch einen Friedensvertrag nachprüfen, even- ten zu lösen, der um uns, um die Publikation un tuell revidieren zu lassen, und der seltsamen serer Gedankengänge, immer wieder gelegt wird, Langfristigkeit mancher Abmachungen. Es be- steht ein merkwürdiger Widerspruch wiederum (Sehr richtig! rechts) zwischen den Vorstellungen von Autonomie und und den deutschen Argumenten das Verständnis der politischen Abhängigkeit des Saargebiets von entgegenzubringen und den Raum zu geben, den Frankreich. Und es besteht wiederum ein merk- sie verdienen. Denn diese deutschen Argumente sind würdiger Widerspruch zwischen den allgemeinen nicht getragen von nationalistischem Machtsinn, son- Grundsätzen, die in manchen Einleitungssätzen dern von Vorstellungen, die weit hinausreichen dieser Verträge zum Ausdruck gebracht sind, und und weit hinauswollen über alle vergangenen For- der eklatanten Verletzung privatrechtlicher und men der friedlosen Entwicklung in dieser Welt. völkerrechtlicher Grundsätze, die den Inhalt der (Erneuter Beifall rechts und in der Mitte.) Verträge ausmachen. Wir stehen bei diesen Erörterungen oft vor einer Wenn man dann weiter über die formelle Seite bestürzenden Verständnislosigkeit des Auslandes. der Abmachungen hinaus ihre Wirksamkeit un- Jedesmal, wenn wir uns rühren, weil gegen dem o- tersucht, dann muß man die bedenkliche Mög- kratische Gedanken verstoßen wird, bei unserem lichkeit ihrer Mißdeutung befürchten. Es ist für Versuch, eine eigene demokratische Lebensform zu den Außenstehenden und vor allen Dingen für entwickeln, wird das als Nationalismus gedeutet. diejenigen Völker, die den Eigentümlichkeiten Man sollte sich doch einmal darum bemühen, zu er- der Landschaft, um die es hier geht, fernstehen, kennen, daß kaum ein Volk in der Welt so gründ- schwer zu begreifen, daß ein scheinbar so lich von nationalistischen Verstiegenheiten kuriert harmloser Pachtvertrag über Bergwerke politisch ist wie das deutsche. als so verhängnisvoll von uns empfunden wird. (Zurufe links: Na! Na! — Abg. Frau Es muß deswegen mit aller Deutlichkeit einmal Dr. Weber: Hoffentlich! — Erneuter Zuruf in den Vordergrund gerückt werden, daß bei der links: Siehe Hedler!) besonderen Stellung, ja der entscheidenden Be- Meine Damen und Herren! Wir billigen vollinhalt- deutung, die der Bergbau des Saargebiets für lich die Rechtsverwahrungen, die der Herr Bundes- dieses Land hat, die vorgesehene Verfügungsge- kanzler bei der Erörterung der rechtlichen Gedan- walt über die Bergwerke einer faktischen An- nexion dieses Saarlandes gleichkommt. ken und Formen der verschiedenen Verträge, die zwischen der französischen und der saarländischen Ich bin mit dem Herrn Kollegen Schumacher Regierung abgeschlossen worden sind, eingelegt - hat. einverstanden, wenn er sich gegen die Bagatel- Ich will in dieser vorgerückten Stunde, nachdem lisierung der Saarfrage und gegen die Darstel- schon soviele Vorredner auf die rechtliche Frag- lung wendet, als ob es sich um einen geringfügi würdigkeit dieser Verträge im einzelnen eingegan- gen Vorgang auf der großen Weltkarte handle, gen sind, nicht alle Argumente wiederholen, die demgegenüber große andere Zusammenhänge viel auch meine Freunde und ich sich zu eigen machen. wichtiger erscheinen möchten. Hier handelt es Wenn ich also — und deswegen sage ich das — sich um Grundsätze! Hier handelt es sich um die Gedanken und Sätze, die hier schon vorgetragen Grundsätze, die die Kräftegruppierung in der ge- worden sind, nicht noch einmal ausspreche, so ge- samten Welt bestimmen, und das, meine Damen schieht das nicht, weil ich ihre Beweisgründe gering und Herren, sind niemals Bagatellangelegen- schätze, sondern nur, weil ich, um den Verlauf der heiten. Verhandlung nicht aufzuhalten, Wiederholungen Es ist schon von einem der Herren Vorredner vermeiden möchte. darauf hingewiesen worden, daß der Parlamenta- Gestern ist uns eine Erklärung zugegangen, in rische Rat, als er die Präambel zu unserem der ausdrücklich gesagt ist, für den Gesamtkomplex Grundgesetz festlegte, den Satz aussprach, daß aller dieser 4 oder 10 oder 12 Verträge gelte grund- mit der Annahme dieser Verfassung das deutsche sätzlich der Vorbehalt, daß diese Verträge einer Volk in der Bundesrepublik auch für jene Deut- Bestätigung durch den künftigen Friedensvertrag schen gehandelt hat, denen mitzuwirken versagt bedürften. Nun, meine Damen und Herren, das gibt war. Nun, meine Damen und Herren, dieses immerhin einen gewissen Grund zu der Erwartung, Grundgesetz hat die Bestätigung und Billigung daß man bereit sein könnte, die Motive, die über- der Besatzungsmächte gefunden, und damit ist haupt zu diesen Verträgen geführt haben, bei den auch der Grundsatz gebilligt und anerkannt, daß Beteiligten einer Nachprüfung zu unterziehen. Es diese Bundesrepublik auch für jene Deutschen zu wäre um so nötiger, das zu tun, als ein absonder- handeln und mitzusprechen hat, die westlich von licher Gegensatz besteht zwischen der Erklärung, uns verhindert sind, ihren politischen Willen frei daß alle diese Verträge nachträglich durch einen zu bekunden. Friedensvertrag bestätigt werden sollen oder müs (Sehr gut! bei der FDP.) Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, F reitag, den 10 März 1950 1587 (Dr. Schäfer) Wir handeln im Sinne der Saarbevölkerung, Rüstungen, diesen sogenannten bewaffneten (C die ihre Meinung nicht offen auszusprechen ver- Frieden, der uns an den Rand des Verder- mag, die uns aber auf tausenderlei Wegen im- bens bringt, aufzuheben. In der Erreichung mer wieder bezeichnende Zeugnisse zuteil wer- dieses Ziels ist aber zugleich gesichert, was den läßt von ihrer wirklichen Einstellung und man so vielfach bedroht sieht: der gesellschaft- ihrer wirklichen Überzeugung, wenn wir nach- liche Zustand, der Bestand des Besitztums, drücklich die Selbstbestimmung dieses Gebiets die Heiligkeit des Eigentums. Denn wenn fordern, ja wenn wir feststellen, daß es überhaupt wir es vermögen, unsere bisher an täglichen kein Saarvolk gibt, Lebensbedürfnissen notleidenden Brüder mit (Sehr richtig! bei der FDP) den ,Ersparnissen und Kräften eines großen sondern daß es sich nur um einen kleinen Teil und mächtigen Staates auf eine andere Stufe des gesamten deutschen Volkes überhaupt zu heben, wenn wir ihnen Wohlstand, Sicher- handelt. heit und Genuß des Daseins gewähren kön- nen, dann haben wir nimmermehr zu fürch- (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs ten, daß die Verzweiflung sie zur Gewalt parteien, bei der SPD und rechts.) treibe und die Errungenschaften vieler Jahr- Und sehen Sie, meine Damen und Herren, darum hunderte durch einen, wenn auch flüchtigen stimme ich mit allen Vorrednern überein, di e im- Sieg in Frage stellen läßt. mer wieder die Notwendigkeit betont haben, in- Meine Damen und Herren! Diese Worte vom nerhalb des Saargebiets die Möglichkeit zu schaf- Wesen und Wert einer europäischen Einheit sind fen, in freier Wahl und in vollständiger Presse- vor 102 Jahren gesprochen worden. Man kann und Vereinigungsfreiheit die Bestimmung des po- nur mit einem gewissen Schauder daran den- litischen Schicksals zu erörtern und schließlich ken, daß diese Worte wirkungslos verhallt sind, selbst zu entscheiden. wenn wir zurückschauen, wie der Verlauf der (Bravo! bei der FDP.) Geschichte andere Wege gegangen ist, als sie Aber, wie ich schon gesagt habe, die Erörte- dieser Europäer gefordert und sich gedacht rung, die wir anstellen müssen, wirft ja auch hat. Aber beweist nicht gerade diese Ein- — das ist immer wieder hier zum Durchbruch ge- sicht in die falschen Wege des letzten kommen — die Frage nach einer europäischen Jahrhunderts, in diese immer wieder mißlun- Entwicklung auf. Ich komme an der Verpflich- gene deutsche Demokratie und in diese ebenso tung nicht vorbei, auf das schmerzlichste zu be- mißlungene europäische Vereinigung die Not- klagen, daß diesmal auf dem Wege zu einer wendigkeit, mit den politischen Methoden zu europäischen Föderation eine Barrikade aus Miß- brechen, die letzten Endes in der Stunde be- trauen, Verzweiflung und Verbitterung aufgerich- gonnen haben, als die Söhne Karls des tet worden ist. Wer werden uns damit nicht auf- Großen das abendländische Reich unter sich teil- halten lassen, unseren Weg weiterzugehen, und ten? Entsteht da nicht die Aufgabe, über alle ) wir sind durchaus einverstanden mit der Forde- Grenzen hinwegzusehen, diese komischen und rung des Kanzlers, den Weg zu einer europäi- kleinlichen Methoden zu überwinden, wie sie schen Föderation weiterzuverfolgen. Wir sind einst die Territorialfürsten angefangen haben uns dabei sogar klar darüber — und ich möchte und wie sie die Bürokratien heute fortsetzen, und das einmal besonders herausstellen —, daß wir endlich damit anzufangen, eins zu beseitigen: damit nicht etwas aussprechen und fordern, was dieses tausendjährige Unheil des Vertrags von im Augenblick vielleicht als eine deutsche Zweck- Verdun. mäßigkeitserwägung mißdeutet werden könnte. Wenn wir die Zusammenhänge so sehen und Meine Damen und Herren! Seit Jahrzehnten ist wenn wir so zu den Völkern da drüben westlich das Verlangen nach einer gesamteuropäischen von uns sprechen, dann ist das kein Nationalis- - mus, sondern in diesen Überlegungen steckt die Ordnung ein Bestandteil der demokratischen Be- strebungen in Deutschland gewesen. tiefe Erfahrung eines Volkes, das da weiß und erlebt hat, welche Tragödien innen- und außen- (Zustimmung bei der FDP.) politischer Art immer wieder entstehen,. wenn Deswegen möchte ich in diesem Augenblick ein- man den Frieden nur als einen Versuch ansieht, mal ein Wort aus einer recht vergangenen Zeit die vergängliche Zufälligkeit eines zeitweiligen anklingen lassen, aus der Zeit der Paulskirche, Machtverhältnisses in die Form unabänderlich die auch schon einmal eine Debatte über eine gedachter Rechtssätze oder Vertragsklauseln hin- europäische Föderation veranstaltet hat. Es war einzuzwingen. da einer der Blutzeugen der deutschen Demo- (Sehr gut! bei der FDP.) kratie, . Robert Blum, der damals Sätze sprach, die Immer wieder sind auf solchen Irrwegen nur neue so aktuell sind, als wären sie heute gesprochen, Auseinandersetzungen gekommen. So geschieht wenn man von der sprachlichen Form absieht, die es um des Friedens und um einer konstruktiven vielleicht nicht mehr ganz unserer Sprechweise europäischen Politik willen, wenn ich meine Frage entspricht. Er sagte damals: über diese Halle hinaus an die Völker Europas Das Ziel, das man im Auge hat, muß man zu richten versuche, daß sie sich überlegen möch- aussprechen, und das Ziel einer Verbrüde- ten, ob immer noch hauptstädtische Bürokratien rung des freigewordenen oder freiwerdenden mit ihrem Interessentenanhang kleinliche Formen Westens ist es, dem ich meine Stimme leihe. territorialer Verschiebungen, diese Politik der Mit der Erreichung dieses Ziels ist die Frei- Interessensphären, die immer nur Gegensätze heit und der Friede in Europa gesichert. Mit aufrühren und Streit verursachen, weiter fort- der Erreichung dieses Ziels steht die größte setzen wollen in einer Zeit, die doch eigentlich und intelligenteste Abteilung der europäi- nur noch in weiten Zusammenhängen von Zeit- schen Staatenfamilie in einer unbesiegbaren altern und Kulturen denken sollte, in einer Zeit, Vereinigung zusammen. In der Erreichung in der die Atomenergie geeignet ist, die gesamte dieses Ziels ist die Möglichkeit gegeben, diese gesellschaftliche Struktur der Staaten und Völker das Land entnervenden immerwährenden zu wandeln, in der sich nämlich das ungeheure 1588 Deutscher Bundestag 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 (Dr. Schäfer) Wagnis auftürmt, daß die Gewalt von Sonnen in Ferner hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner die Hand von Menschen gelegt sein könnte. für die Gruppe Deutsche Reichspartei an mich die Sich in einer solchen Zeit, meine Freunde, ge- Bitte gerichtet, den Ältestenrat einzuberufen, und gen Verträge zu wehren, wie wir sie heute er- mich gleichzeitig gebeten, ihm dazu das Wort zur örtert haben, gegen eine Denk- und Handlungs- Geschäftsordnung zu erteilen. Ich mache grund- weise, wie sie uns hier als Störung der europäischen sätzlich auf folgendes aufmerksam. Zur Ge- und als Gefährdung unserer demokratischen Ent- schäftsordnung das Wort zu erteilen, liegt aus- wicklung entgegentritt, ist nicht chauvinistische schließlich im Ermessen des Präsidenten. Die Leidenschaft. Aber es ist der bewußte und ent- Bemerkungen zur Geschäftsordnung können sich schlossene Wille, mit mutiger Vorbehaltlosigkeit nur auf den zur Verhandlung stehenden oder un- des Herzens und auch mit besonnener Aufrichtig- mittelbar vorher behandelten Gegenstand bezie- keit des Strebens einer gesamteuropäischen Ent- hen. Daß der Gegenstand der Verhandlung heute wicklung und damit dem Frieden zu dienen. ein anderer war als der der Einberufung des (Beifall bei den Regierungsparteien.) Ältestenrats, unterliegt wohl keinem Zweifel. Ich bin daher nicht in der Lage, das Wort zur Ge- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, schäftsordnung zu erteilen. die Rednerliste ist damit erschöpft. Ich schließe die Aussprache. Ich berufe die nächsten Sitzungen des Bundes- Der Herr Abgeordnete Leuchtgens hat mir tages, und zwar die 47. Sitzung auf Donnerstag, den 16. März, 14 Uhr 30 Minuten, und die 48. einen Antrag 'überreicht, der seine alleinige Un- Sitzung auf Freitag, den 17. März, 14 Uhr 30 Mi- terschrift trägt. Nach § 49 der Geschäftsordnung nuten, und erkläre die heutige 46. Sitzung des bedarf es bekanntlich zur Stellung von selbstän- Bundestages für geschlossen. digen Anträgen der Unterschrift von mindestens 10 Mitgliedern des Hauses. Infolgedessen hat dieser Antrag keine Gültigkeit. (Schluß der Sitzung: 16 Uhr 42 Minuten.)
The peace negotiations between the governments of the South African Republic and the Orange Free State, and the representatives of the British government, which terminated in the peace concluded at Vereeniging on the 31st May, 1902