Ausgabe 101 (04/19)

Juli – September 2019

€ 6,50 (DE) • € 7,00 (EU)
ISSN 1619-9421

www.blickpunktmusical.de

Don Camillo & Peppone

Herzliche Heiterkeit in Tecklenburg
04

Madagascar in Wunsiedel Carmen in Winzendorf

806507

Ein Hauch von Venus in Dresden Bernadette de Lourdes in Lourdes

4 195944

Schwestern im Geiste in Mainz Tootsie und Octet in New York

 MUSICAL

Ab 15. SEP 2019

Leonard Bernstein

WEST SIDE
STORY
ALLE TERMINE:

19., 29. SEP

3., 5., 9., 13., 25. OKT
3., 8., 17., 26. NOV
8., 31. (2x) DEZ 2019
2., 17. JAN
26. MÄRZ
13., 18., 24., 26., 28. APR
21. MAI
OPERNHAUS 1., 11., 14., 28. JUNI 2020

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Advertorial

Die Luisenburg-Festspiele lieben Musicals

Ein spannender, facettenreicher Spielplan auf der Luisenburg
Erstaufführungen, Uraufführungen und Deutschlandpremieren – bei den
Luisenburg-Festspielen, einem der großen Anbieter von Open-Air-
Theater, steht das Musical in diesem Sommer im Mittelpunkt.
Birgit Simmler, die künstlerische Leiterin hat ihre Ankündi-
gung wahrgemacht, und mit MADAGASCAR, GREASE und
ZUCKER gleich drei Top-Produktionen ins Programm ge-
hoben, die das Spektrum des aktuellen Musicals abdecken.

Der Erfolg der deutschsprachigen Erstaufführung von

MADAGASCAR – EIN MUSIKALISCHES ABENTEUER – bei
Familien ist der Beweis für die Attraktivität einer Produk-
tion, die Choreografie, Musik und Schauspiel in einem jun-
gen, sehr ambitionierten Ensemble perfekt zusammenführt.

GREASE ist der Klassiker des Rock‘n‘Roll, der auf der großen
Felsenbühne seinen 50er Jahre Charme voll entfalten kann:
ein dynamisches Tanzmusical im Retro-Stil mit viel Witz und
einem Augenzwinkern präsentiert.

Im Ensemble Jungstars wie Lucas Baier, der bereits in DIRTY

DANCING als Robbie zu bewundern war und Sanni Luis, die
die erste deutschsprachige Fantine in LES MISERABLES war.
Auch die Premiere von ZUCKER, der Uraufführung eines
neuen Genremusicals, ist unter anderem mit Frank Loge-
mann, der die Hauptrollen in DIE SCHÖNE UND DAS BIEST
und in MAMMA MIA gespielt hat, prominent besetzt.

ZUCKER, erdacht und geschrieben von Birgit Simmler und

komponiert von Paul Graham Brown, macht aus einer re-

Foto © Florian Miedl

gionalen Episode ein groß besetztes und spektakulär insze-
niertes Musical. Simon Eichenberger verantwortet die
Choreografie in einem Ensemble, das Starqualitäten besitzt.

Auf der Luisenburg hat das Musical eine vielversprechende

Zukunft. Auch in Deutschland? Diese Frage will ein hoch-
karätig besetztes internationales Symposium vom 16. bis
zum 18. August beantworten, zu dem die Festspiele einge-
laden haben. „Die Festspiele sind der Ort des großen, inter-
nationalen Theaters für ein riesiges Publikum“, sagt Birgit Musical-Uraufführung

ZUCKER
Simmler, die künstlerische Leiterin, „weshalb wir mit den
Künstlern und Fachkundigen bereden wollen, welche Stoffe
und Geschichten in naher Zukunft auf dem Theater zu er-
leben sein werden und wie die gezeigt werden können.“
von Birgit Simmler und Paul Graham Brown
Dazu haben sich Gäste wie Charles Miller (GB), Ryan Scott 16. bis 18.08.2019
Oliver (USA), Ostein Wiik und Gisle Kverndokk (NOR), Albert
Guinovart (ESP) sowie Ondrej Soukup (CZ) und Alessio Internationales Fachsymposium
Imberti (I) angesagt. für Musicalschaffende
16. bis 18.08.2019
Die Luisenburg-Festspiele lassen gegen eine Teilnahme- Perspektiven des Musicals –
gebühr eine begrenzte Anzahl von Interessierten zu. Zukunft des Theaters oder Ausverkauf der Kultur?
Infos, Programm, Referenten und Anmeldung unter
Mehr Informationen und Anmeldung unter:
www.luisenburg-aktuell.de www.luisenburg-aktuell.de
 Inhalt

Inhalt
Ausgabe 101, Nr. 04/19, Juli – September 2019

… kurz vorweg Topthema Rubriken

Liebe Leser, 6 DEA Don Camillo & Peppone bei den 50 Einspielungen
die ungemein positive Resonanz auf Freilichtspielen Tecklenburg 46 Premierenblick•
unsere 100. Ausgabe hat uns sehr ge-
freut. Herzlichen Dank! Musicals in Deutschland 86 Neu auf unitedmusicals.de, Ausblick &
Mittlerweile sind wir mitten in der Frei- Impressum
22 Big Fish in Leinfelden-Echterdingen / Stetten
lichtsaison, auch wenn sich die Tempe-
raturen nicht so ganz entscheiden, ob
16 Carrie am F1rst Stage Theater Hamburg
sie steigen oder fallen wollen. 30 UA Der Teufel mit den drei goldenen Haaren 16
Bei den Ur- und Erstaufführungen ist beim Brüder Grimm Festival Kassel
auch alles dabei: Heitere Unterhaltung 29 Die letzten fünf Jahre am Theater Plauen-Zwickau
mit Herz bietet unser Cover-Thema. 14 Ein Hauch von Venus an der Staatsoperette Dresden
Tierisch-menschlich geht es in einer 24 UA Himmel über Paris am Theater Mönchengladbach
deutschsprachigen Erstaufführung zu.
19 Lazarus am Theater Bielefeld
Dass Paris nicht nur eine Stadt der
glücklich Verliebten ist, zeigt eine 10 DSE Madagascar bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel
Uraufführung. Von der erfüllenden und 31 Monty Python‘s Spamalot am Theater Trier
zugleich zerstörenden Macht der Lei- 20 Pippin von der Musical Company Tübingen
denschaft erzählt eine temperament- 26 Schwestern im Geiste an den Mainzer Kammerspielen
volle deutschsprachige Erstaufführung
13 The Rocky Horror Show
bei unserem österreichischen Nach-
in der Neuen Gebläsehalle Neunkirchen
barn. Und eine klangvolle französische 36
Uraufführung am historischen Schau- 32 Neues aus Deutschland
platz verknüpft Marienerscheinung Musicals in Österreich
und heilendes Wasser.
Wir freuen uns, auch selten gespielte 36 DSE Carmen beim Musicalsommer Winzendorf
Musicals auf der Bühne gesehen zu ha- 40 Chess konzertant am Landestheater Linz
ben, so Weills göttliche Komödie und 42 Kurzblick und Neues aus Österreich
das Schachmusical der »ABBA«-Song-
writer. Ein engagiertes Nachspiel im Musicals in Europa
Nachwuchsbereich erlebten eine
66 UA Bernadette de Lourdes in der Festhalle Robert
musikalische Bildungsreise ins histori- Hossein Lourdes
sche England sowie ein Psychothriller,
der zeigt, wohin Bigotterie und Aus- 64 CHEA Copacabana in Gümlingen
grenzung führen kann. Auch was im 65 UA Orient Express im Schweizer Buchs 74
semiprofessionellen Bereich Beeindru- 68 Neues aus Europa
ckendes entstehen kann, durften wir
erleben. Musicals in den USA
Bei den Musikfilmen stellen wir diesmal 76 UA Octet am Off-Broadway
eine Hymne auf das Shanty-Lebensge-
72 The Flamingo Kid als Tryout an der Hartford Stage
fühl vor und einen Film über die Magie
der Songs, die die erste Boyband der 74 Tootsie am Broadway
Musikgeschichte schrieb. 70 Neues aus den USA
Freuen Sie sich auf vier Konzertbe-
richte zu drei unterschiedlichen Musi-
Musicals in Großbritannien
cal-Galen und unsere Bühnenberichte 82 BEA Amour im Charing Cross Theatre in London
aus London und New York. 81 BEA The Light in the Piazza am Southbank
Das alles und mehr lesen Sie auf 88 Centre in London
Seiten in der Ausgabe 04/2019. Wir
78
78 UA The Secret Diary of Adrian Mole, aged 13¾
wünschen viel Vergnügen! im West End

Herzlichst, Ihr
84 Neues aus Großbritannien
Oliver Wünsch und die Redaktion der Konzerte & Entertainment
blickpunkt musical
56 Broadway Experience in der Stadthalle Euskirchen
58 Faces of Musical 2019 in der Halle Meiersheide in Hennef
52 Musical meets Pop
bei den Freilichtspielen Tecklenburg in Bildern
54 Show Me! – Musical-Gala der Oper Graz
Film & Fernsehen Abb. oben:
62 Fisherman‘s Friends – Hymne auf einen Shanty-Chor 1. »Carrie« Hamburg
Foto: Dennis Mundkowski
60 Yesterday – Von der Magie der Songs der »The Beatles« 2. »Carmen« Winzendorf
Titelfoto:
Foto: MSW © Philipp Bernhard
»Don Camillo & Peppone« Tecklenburg
Foto: Birgit Bernds
3. »Tootsie« New York
Foto: Matthew Murphy
4. »The Secret Diary of Adrian Mole, aged 13 ¾« London
Foto: Pamela Raith

blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019 5


Wie aus Feinden Freunde werden
Deutschlandpremiere von »Don Camillo & Peppone« in Tecklenburg
Abb. oben:
Ein Streik mit Folgen: Brusco (Jörg
Neubauer) mit Peppone (Patrick
Stanke) gegen Camillo (Thomas
Borchert) mit Filotti (Kevin Tarte)
Foto: Stephan Drewianka
Don Camillo & Peppone
Dario Farina / Michael Kunze
Freilichtspiele Tecklenburg
Freilichtbühne
Premiere: 21. Juni 2019
Regie ........................ Andreas Gergen
Musik. Leitung ............ Giorgio Radoja
Choreographie ....................... Till Nau
Bühnenbild ......................... Jens Janke
Kostüme .......................... Karin Alberti
Maske .......................... Philip Hager &
Gülfidan Söylemez
Lichtdesign .......... Sebastian Benker &
Heiko Schräder
Sounddesign ...................... Sven Trees
Die alte Gina ........... Barbara Tartaglia
Don Camillo ............ Thomas Borchert
Peppone ....................... Patrick Stanke
Gina .......................... Milica Jovanović
Mariolino ..................... Dominik Hees
Filotti ................................ Kevin Tarte
Nonno ................ Sebastian Brandmeir
Brusco.......................... Jörg Neubauer
Laura Castelli ............ Femke Soetenga
Dottore, Dorfarzt ......Jan Altenbockum
Ginas Begleiter / Jesus ... Florian Albers
In weiteren Rollen:
Dominique Aref, Zoltán Fekete, David
Hammann, Andrew Hill, Alexandra
Hoffmann, Eva Kewer, Jennifer Kohl,
Esther-Larissa Lach, Mathias Meffert,
Janina Niehus, Tamara Peters, Celena
Pieper, Wolfgang Postlbauer, Julian
Schier, Nicolai Schwab, Michael Thurner
6 blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Topthema
D er italienische Journalist, Karikaturist und
Schriftsteller Giovannino Guareschi (1908-1968)
gründete 1945 in Mailand eine satirische Wochenzeit-
schrift, in der er immer wieder fiktive Kurzgeschichten
von Pfarrer Don Camillo und Bürgermeister Peppone
veröffentlichte. 1948 erlangte eine Sammlung dieser
Geschichten als Roman Weltruhm, nicht zuletzt dank
der sechsteiligen Verfilmung ab 1952 mit Fernan-
del (Don Camillo) und Gino Cervi (Peppone). 1983
schlug Terence Hill in »Keiner haut wie Don Camillo«
zu und eine 13-teilige britische Fernsehserie »The Little
World of Don Camillo« zeigte 1980/81 Mario Adorf
als Camillo und Brian Blessed als Peppone.
Michael Kunze (Buch und Texte) und Dario Farina
(Musik) verarbeiteten den Stoff schließlich als Musical,
das nach seiner Uraufführung in St. Gallen am 30. Ap-
ril 2016 und einer Spielzeit im Wiener Ronacher (Pre-
miere am 27. Januar 2017) nun erstmals in Deutsch-
land – vom 21. Juni bis 25. August 2019 – als Open
Air bei den Freilichtspielen Tecklenburg zu sehen ist.
In dem fiktiven italienischen Dorf Boscaccio soll
eine Autobahn gebaut werden. Die alte Gina kommt
noch einmal in ihren Geburtsort zurück und erinnert
sich daran, wie im Jahre 1947, sehr zum Ärger des
Dorfpfarrers Don Camillo, der Kommunist Peppone
zum neuen Bürgermeister gewählt wurde. Die beiden
Fronten verhärten sich schnell: Auf der einen Seite
stehen mit Don Camillo die gläubigen Katholiken,
konservativen Kirchgänger und reichen Gutsbesitzer,
auf der anderen Seite hinter Peppone die armen Land-
arbeiter mit kommunistischem, aber fortschrittlichem
Gedankengut. Dazwischen in der Schusslinie gibt es
nach bester »Romeo und Julia«-Manier Gina, die ka-
tholische Tochter des Grundbesitzers Filotti, die sich in
Mariolino, den Sohn des kommunistischen Landarbei-
ters Brusco verliebt hat. Ginas Großvater Nonno liegt
im Sterben, doch der Anblick der neuen kommunisti-
schen Lehrerin Laura Castelli lässt ihn aus dem Jenseits
zurückkehren. Bürgermeister Peppone hat es als politi-
sches Oberhaupt ohne Schulabschluss und seiner dar-
aus resultierenden Schreib- und Rechenschwäche nicht
einfach. In einer Nacht- und Nebelaktion beschmiert
Don Camillo die mit Rechtschreibfehlern übersäten
Aushänge des Bürgermeisters mit dem Wort »Esel«.
In der Zwiesprache mit Jesus, zu der Don Camillo in
seiner Kirche regelmäßig neigt, verurteilt Gottes Sohn
dieses Handeln aber vehement und Don Camillo will
einlenken, zumal die Kirche baufällig ist und dringend
eine Renovierung benötigt. Peppone will seiner Frau
zuliebe seinen neugeborenen Sohn taufen lassen, und
zwar auf den Namen »Lenin«. Als Don Camillo dies
ablehnt, will Peppone keine öffentlichen Mittel zur
Kirchenrenovierung bereitstellen, sondern die Kir-
che wegen Einsturzgefahr schließen lassen. Dabei hat
Peppone im zerstörten Brunnen des Dorfes eine Geld-
kassette mit leider wertlosen Vorkriegs-Banknoten
gefunden. Bei der jährlichen Fluss-Segnung bleiben
die älteren Gläubigen aus Angst vor den bewaffneten
Kommunisten in der Kirche und Don Camillo zieht
mit dem Kreuz allein zum Fluss, wo ihn die rote Meute
erwartet. Vor Zorn verflucht der Pfarrer das Dorf und
wünscht sich, dass der Herr den Fluss über die Ufer
treten lassen soll, um die Kommunisten aus dem Dorf
zu schwemmen. Fast heimlich nimmt er seinen Fluch

vor Gott zwar zurück, doch das Donnerwetter beginnt.
Nach vielen Tagen Dauerregen droht der Fluss tat-
sächlich, das Dorf zu überschwemmen, und das Volk
wendet sich reumütig an Don Camillo, der verspricht,
der Flut Einhalt zu gebieten, sobald das gesamte Volk
zum Glauben zurückkehrt. Der Regen wird schwächer
und der bedrohliche Wasserspiegel sinkt. Don Camillo
muss aber vor Jesus zugeben, dass er heimlich im Radio
gehört hat, dass die Schleusen vom Militär geschlossen
wurden und so sein »Wunder« eigentlich nur gutes Ti-
ming war. Jesus verurteilt Don Camillos Lügen und
ermahnt ihn, in Zukunft ehrlicher zu Peppone und sei-
nen Mitbürgern zu sein. Doch schon steht der nächste
Ärger ins Haus, denn über die innige Freundschaft von
Gina und Mariolino zerstreiten sich die Eltern Filotti
und Brusco so sehr, dass Peppone zur Unterstützung
der Landarbeiter die Gutsherren bestreiken lässt. Keine
Partei will nachgeben und so steht bald das Leben al-
ler Kühe auf dem Spiel, da sie nicht gemolken werden.
Das wiederum hätte fatale wirtschaftliche Folgen für
das gesamte Dorf.
Eigentlich kann das Leben so schön sein, wenn
man es sich nicht gegenseitig schwer macht. Nach vie-
len selbstsüchtigen Rückschlägen lernen Don Camillo
und Peppone, dass man nur gemeinsam stark ist: So
lässt sich die Taufe von Peppones Sohn einrichten,
wenn zum Namen Lenin einfach noch der Zweitna-
me Camillo hinzugenommen wird. Das wertlose Geld
kann gegen neue Scheine umgetauscht werden, als
Don Camillo es als wiedergefundene Spendengelder
deklariert, die nicht nur den Neubau des Brunnens,
sondern auch die Renovierung der Kirche gestatten.
Don Camillo schlägt noch eine neue Kirchenglocke
raus, als er Peppone bei seiner nachgeholten Schulprü-
fung die Lösung der Aufgaben zusteckt. Und selbst
die Kühe können beide mit einer gemeinsamen Melk-
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Topthema
Aktion vor dem sicheren Tod retten, was den Streik
beendet. Nur für die unglückliche Liebe von Gina und
Mariolino, die sich gemeinsam eher das Leben nehmen
wollen, als getrennt voneinander leben zu müssen, gibt
es keine Lösung. Nach einem Abschiedsbrief sind beide
spurlos verschwunden. Nimmt das Drama seinen Lauf
oder sorgen Don Camillo und Peppone doch noch für
ein Happy End?
Meinen persönlichen Zugang zum Musical »Don
Camillo & Peppone« fand ich durch die Live-Gesamt-
aufnahme des Stückes aus Wien auf Doppel-CD von
Januar 2017 unter anderem mit Andreas Lichtenber-
ger, Frank Winkels und Maya Hakvoort. Die durch-
komponierte Musik ohne große Dialoge war gefällig,
aber sehr darauf ausgerichtet, die Handlung gut ver-
ständlich zu unterstreichen und trotz des brillanten
Casts fehlten mir echte Ohrwürmer. Zudem erschien
Abb. oben:
die Handlung fragmentiert wie einzelne, abgeschlosse- ›Regen, Regen, Regen‹ – Peppone
ne Kurzgeschichten, bei der ich einen durchgängigen (Patrick Stanke) sorgt sich, dass die
roten Faden vermisste. Die CD verschwand etwas vor- Flut über die Ufer tritt und ist sogar
schnell im Regal. bereit, für den Rückgang der Flut
»Don Camillo & Peppone« ist ein Stück, das man zu beten
einfach auf der Bühne gesehen haben muss, um es zu
Abb. unten von oben links:
lieben. Bereits in St. Gallen und Wien führte Andreas 1. Romeo und Julia auf dem Dorf:
Gergen Regie, den auch die Freilichtspiele Tecklenburg Milica Jovanović und Dominik
gewinnen konnten. Für die Open-Air-Deutschland- Hees als Musicaltraumpaar Gina
Premiere änderte Gergen einige Kleinigkeiten, die eine und Mariolino
2. Happy End für Laura und Nonno
Freiluftinszenierung mit sich bringt, und entwickelte
(Femke Soetenga mit Sebastian
sein Konzept weiter. Die auffallendste Änderung ist Brandmeir)
sicherlich die Tatsache, dass Don Camillo in Tecklen- 3. Bürgermeister Peppone (Patrick
burg bei seiner Zwiesprache mit Jesus nicht mit einer Stanke) präsentiert sein erstes, aber
Stimme aus dem Off spricht, sondern dass Jesus als fehlerübersätes Manifest
Person im sportlich-schwarzen Jogging-Outfit auf der 4. Don Camillo (Thomas Borchert)
hält in seiner Kirche Zwiesprache
Bühne agiert. Dies passt insofern gut ins Konzept, weil
mit Jesus (Florian Albers), der ihm
er Die alte Gina als Erzählerin permanent begleitet und die Leviten liest
sich rührend um die alte Dame kümmert, die während Fotos (4): Stephan Drewianka
7

Abb. oben von oben links:
1. Don Camillo (Thomas Borchert)
weigert sich, das Neugeborene auf
den Namen »Lenin« zu taufen, und
schreckt auch vor schlagkräftigen
Argumenten gegenüber Bürgermeis-
ter Peppone (Patrick Stanke)
nicht zurück
2. Don Camillo (Thomas Borchert
mit Ensemble) verflucht zunächst
das Dorf, anstatt den Fluss
zu segnen
3. Happy End für Gina und
Mariolino (Milica Jovanović und
Dominik Hees)
4. ›Lang ist es her‹ – Die alte Gina
(Barbara Tartaglia) erinnert sich
an die Geschehnisse im
Dorf Boscaccio
Fotos (4): Stephan Drewianka
8 blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Topthema
der Handlung in den 50er Jahren ebenfalls unsichtbar
ist. Ansonsten schöpft Gergen aus den Möglichkeiten
der Schlossruine als Kulisse (Bühne: Jens Janke) und
dem imposanten Aufmarsch der Statisten, die dem
Dorf in den Kostümen von Karin Alberti authenti-
sches Leben einhauchen. Die Tanzszenen von Till Nau
überzeugen durch abwechslungsreiche Schrittfolgen
mit überraschenden Einfällen.
Gergen kann sich zudem auf einen Cast aus hoch-
karätigen Musicaldarstellern verlassen, die seine Wün-
sche perfekt umsetzen. Barbara Tartaglia ist eine wun-
dervolle »Die alte Gina« mit wohlklingender Stimme,
die schon bei der Uraufführung des Musicals in diese
Rolle schlüpfte und die Handlungsfäden immer straff
in der Hand hält. Ein Lob an die Maske von Philip
Hager und Gülfidan Söylemez, die bei Gina und Non-
no wahre Faltenwunder bewirkt hat. Florian Albers ist
Ginas Gentleman-Begleiter, der eben auch als Jesus
dem Pfarrer gehörig Kontra gibt, wenn er mal wieder
Gottes Gebote extrem freizügig auslegt. Für Thomas
Borchert ist der Part des Don Camillo eine Traumrolle,
die er gerne schon in Wien gespielt hätte, doch leider
hatte er damals andere Verpflichtungen. In Tecklen-
burg schöpft er sein komödiantisches Talent voll aus,
will respektvoll und geistlich erscheinen, doch das
Weltliche holt ihn immer wieder auf den Boden der
Tatsachen zurück. Ihm gelingt dabei der Drahtseil-
akt, auch mit fliegenden Fäusten und schwingendem
Jesuskreuz eine geistliche Würde zu behalten, bevor
er dann von Jesus wie ein erwischtes Kind vorgeführt
und verurteilt wird. Patrick Stanke als bildungsfernes
Dorfoberhaupt Peppone steht ihm schauspielerisch
dabei in nichts nach. Die beiden ergänzen sich har-
monisch und spielen sich gegenseitig ihre Highlights
zu, sodass man als Zuschauer herzhaft lachen kann.
Eine akustische und optische Augenweide sind Milica
Jovanović als junge Gina und Dominik Hees als ihr
geliebter Mariolino. Wenn man im echten Leben ein
Paar ist, fällt die Bühnenliebe umso schöner und har-
monischer aus. Femke Soetenga als Lehrerin Laura, die
diese Rolle auch schon in Wien spielte, und Sebastian
Brandmeir als noch-nicht-toter agiler Greis Nonno ge-
ben als zweites Liebespaar einen humorvollen Kontrast
zum dramatischen »Romeo und Julia«-Paar ab. Rollen-
bedingt gehen Kevin Tarte als Gutsbesitzer Filotti und
Jörg Neubauer als Brusco bedauerlicherweise etwas
unter, dürfen sie doch »nur« die störrischen und unver-
söhnlichen Väter spielen, die ihre Kinder (fast) in den
Selbstmord treiben.
Giorgio Radoja als musikalischer Leiter sorgt für ei-
nen vollen Orchestersound. Live auf der Bühne werden
so die Songs ›Lang ist es her‹ zu Ginas sehnsüchtigem
Blick auf die Vergangenheit, Don Camillos ›36 Häuser‹
seiner verantwortungsvollen Priesterrolle im Dorf ge-
recht, ›Heimat‹ zu Peppones patriotischer Hymne, ›Du
und ich auf einer Insel‹ zum romantischen Liebesduett
und ›Wir‹ zu einem Gesangsduell der Sonderklasse zwi-
schen Don Camillo und Peppone. Und in Tecklenburg
leuchtet ein roter Faden durch die gesamte Inszenie-
rung, sodass man die einzelnen Kurzgeschichten nur
noch schwer voneinander abgrenzen kann.
»Don Camillo & Peppone« ist ein Musical, das
kurzweilig bestens unterhält und den Charme der
Originalvorlage von Romanen und Filmen beibehal-
ten hat. Wieder ein sehenswertes Musical-Ereignis in
Tecklenburg, das sich positiv von anderen Produkti-
onen abhebt.
Stephan Drewianka
 AB SEPTEMBER 2019
MUSIC BY ANDREW LLOYD WEBBER BASED ON OLD POSSUM’S BOOK OF PRACTICAL CATS BY T. S. ELIOT. ORIGINALLY PRODUCED BY CAMERON MACKINTOSH AND THE REALLY USEFUL GROUP LIMITED
TM © 1981 RUG LTD CATS LOGO DESIGNED BY DEWYNTERS

CATS. M USICALVIENNA . AT

»Madagascar« – Ein musikalisches Abenteuer
Deutschsprachige Erstaufführung nach dem DreamWorks-Film
Abb. oben:
Auf Madagascar nimmt es Löwe
Alex (Stefan Reil, r.) mit dem Fossa
(Jan Rogler) auf und rettet damit den
kleinen Lemuren (Melanie Dull)
Foto: Florian Miedl
Madagascar
George Noriega / Joel Someillan /
Kevin Del Aguila
Deutsch von Christian Poewe
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Felsenbühne
Deutschspr. Erstauff.: 29. Mai 2019
Regie .......................... Anatol Preissler
Musikalische Leitung .... Philipp Riedel
Choreographie ................. Kerstin Ried
Bühnenbild ................. Thomas Pekny
Kostüme ........... Marrit van der Burgt &
Karen de Meijer
Maske ....................... Heiko Hartmann
Lichtdesign ............ Christian Blaschke
Alex, der Löwe ................... Stefan Reil
Marty, das Zebra ............. Mark Weigel
Melman, die Giraffe ...... Christian Bindert
Gloria, das Nilpferd .... Nadine Lauterbach
King Julian Lemur / Zeke /
Kapitän / Polizist .......... Torsten Ankert
Maurice Lemur / Mason /
Tierärztin ....... Sandra Maria Germann
Skipper Pinguin ............... Christopher
Dederichs
Kowalski / Fossa-Anführer ... Jan Rogler
Rico Pinguin / Lars Lemur .... Anne-Mette Riis
Private Pinguin / Mort u.a. .... Melanie Dull
Lemur / Kellner / Fossa ..... Adrian Burri
Zelda / Alte Dame /
Candy Hammerbeine /
Lynn Lemur ......... Katharina Maria Abt
Tierwärter / Lemur / Kellner /
Fossa ........................... Yuri Yoshimura
10
Musicals in Deutschland
I n den vergangenen Jahren wurden immer wieder be-
liebte Filme als Musical-Adaptionen auf die Bühne
gebracht. Sehr gerne verarbeitet Disney seine Block-
buster in bunten Bühnenstücken. Das funktioniert na-
türlich nicht nur für Disney, sondern auch für Dream-
Works. Der Film »Madagascar« kam 2005 in die Kinos
und erzählt die Geschichte der vier Zootiere Alex (ein
prächtiger Löwe), Marty (ein stolzes Zebra), Melman
(eine hypochondrische Giraffe) und Gloria (eine stattli-
che Nilpferd-Dame). Diese vier sehr unterschiedlichen
Freunde wohnen im New Yorker Zoo und kennen die
Wildnis nur aus Erzählungen. Jeden Morgen bereiten
sie sich auf die »Große Show« vor (›It‘s Showtime‹), bei
der Alex, der große Star ist. Doch Marty möchte mehr.
Als seine Freunde ihm an seinem Geburtstag ihre
Glückwünsche überbringen, ist Marty unglücklich. Er
sehnt sich nach Freiheit und träumt von einem Leben,
wie es seine Vorfahren geführt haben (›Frei und wild‹).
In einem unbewachten Augenblick nutzt er die Chance
und verlässt den Zoo Richtung Stadtzentrum. Als sei-
ne Freunde dies bemerken, folgen sie ihm in den New
Yorker Großstadtdschungel, um ihn wieder zurückzu-
holen. Zeitgleich brechen auch die vier Pinguine Pri-
vate, Kowalski, Skipper und Rico aus dem Zoo aus.
Ihre Strategie ›Lächeln und winken und einfach knud-
delig aussehen‹ geht bei der Flucht aber genauso wenig
auf, wie der Vorsatz der drei Freunde, Marty unauf-
fällig wieder in den Zoo zu bringen. Die wilden Tiere
erschrecken die New Yorker und werden schließlich
von der Tierärztin betäubt (›Bleibt cool, ganz ruhig,
entspannt/Grand Central‹).
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Als die acht Zootiere in dunklen Kisten wieder zu
sich kommen, befinden sie sich auf einem Schiff Rich-
tung Afrika. Die Pinguine nutzen eine Gelegenheit
und brechen ihre Kiste auf. Sie kapern die Brücke und
bringen das Schiff unter ihre Kontrolle. Leider haben
die vier keine Ahnung, wie man ein Schiff sicher steu-
ert, und sorgen mit ihren ruppigen Manövern dafür,
dass die Transportkisten mit den anderen Zootieren
über Bord gehen.
Gloria, Melman und Alex finden sich am Strand
wieder und wähnen sich frustriert im Zoo von San
Diego. Nur Marty ist glücklich: endlich keine Zäune
mehr und die uneingeschränkte Möglichkeit zum Sur-
fen. Überrascht werden die vier von aufgeregten Lemu-
ren, die auf der Flucht vor den Fossas (auf Madagaskar
heimische Raubkatze) sind. Alex, der noch immer der
Meinung ist, sich in einem Zoo zu befinden, will sich
dem Anführer der Fossas vorstellen und veranlasst die-
sen dadurch zur Flucht. Die Lemuren sind beeindruckt
und bringen die Freunde zu ihrem etwas überkandidel-
ten König Julian (›Los, schaut zu mir/I Like To Move
It‹). Julian erkennt, dass die vier ihn und sein Volk vor
den Fossas beschützen können, und will sie für seine
Zwecke benutzen. Nur sein Begleiter Maurice ist da
skeptisch. Er befürchtet, dass Alex seiner Löwennatur
nachgibt und alle frisst. Alex selbst weist dies weit von
sich, muss allerdings feststellen, dass die angebotenen
Algen seinen Hunger nicht stillen können. In seinen
Träumen sehnt er sich nach einem saftigen Stück
Fleisch (›Steak‹). In seiner Hunger-Verzweiflung will
er Marty in das Hinterteil beißen. Marty ist ob dieses

Vertrauensbruchs erschrocken und Maurice sieht sich
bestätigt. Nach einem Wortgefecht verlässt Alex ver-
zweifelt und hungrig die anderen in Richtung der Fos-
sas. Seine Freunde möchte er nicht fressen, aber bleiben
kann er unter diesen Umständen nicht.
Marty, Gloria und Melman bleiben ratlos zurück.
Da hören sie ein Schiffshorn – die vermeintliche Ret-
tung ist da. Doch an Bord sind nur die vier Pinguine,
die noch immer versuchen, in die Antarktis zu gelan-
gen, und sich inzwischen der menschlichen Besatzung
entledigt haben. Das allgemeine Chaos nutzt Marty,
um sich auf die Suche nach seinem Freund Alex zu ma-
chen. Diese aussichtslose Situation führt bei Melman
zu einer erstaunlichen Entwicklung. Er ergreift die
Initiative und überzeugt Gloria, dass ohne die beiden
anderen alles sinnlos ist und sie nur zu viert nach Hau-
se zurück können.
Mittlerweile hat Marty Alex bei den Fossas gefun-
den. Dieser ist im hungerbedingten Blutrausch und
will seinen Freund fressen. Marty beschwört ihre jah-
relange Freundschaft (›Beste Freunde – Reprise‹). Das
wirkt. Alex und Marty stellen sich den anrückenden
Fossas. Auch Gloria und Melman sind inzwischen
dazugestoßen und gemeinsam schlagen sie die Fossas
endgültig in die Flucht.
Die Lemuren sind nun frei von der Gefahr, die vier
Freunde wiedervereint und statt Algen bringen die vier
Pinguine Sushi. Daran kann sich auch Alex satt essen.
Gemeinsam stellen alle fest: Egal, wo man ist, Haupt-
sache man hat seine Freunde um sich.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Deutschland
Die Felsenbühne der Luisenburg ist eine großartige
Kulisse, die kaum ein aufwendiges Bühnenbild benö-
tigt. Thomas Pekny stellte ein großes Gerüst auf, wel-
ches am Anfang von einem blauen Tuch bedeckt ist.
Wenn der Zoo am Morgen erwacht und die Tierpfleger
alles für »die große Show« vorbereiten (mit rhythmi-
schem Fegen und Eimerklappern), entfernen sie auch
dieses Tuch. Leider läuft das technisch in der besuch-
ten Vorstellung nicht einwandfrei ab und reißt auch
teilweise die Beschriftung »New York City Zoo« mit
herunter.
In dem Gerüst befinden sich drehbare Käfige, die,
je nach Szene, auch die Transportboxen der Tiere sein
können. Das Gerüst lässt den Blick auf die wunder-
schöne Felsenwand im Hintergrund zu und man fragt
sich des Öfteren, warum diese nicht mehr in das Büh-
nenbild eingebunden worden ist. Die Spielfläche be-
schränkt sich fast durchgehend auf den vorderen Büh-
nenteil. Auch das Gerüst selbst wird nur gelegentlich
ausgenutzt.
Anatol Preissler setzt in seiner Inszenierung auf
Tempo. Schnelle Übergänge, kurze Dialoge. Die gut
65-minütige Vorstellung macht Spaß, lässt aber keine
Zeit, sich auf die Gefühle und Charaktere der Figuren
einzulassen. Das ist besonders schade, wenn Alex und
Marty ihre Freundschaft besingen (›Beste Freunde‹).
Man wünscht sich, mit den beiden mitfühlen zu kön-
nen. Marty (Mark Weigel) ist die Figur, die zu Herzen
geht. Seine Melancholie beim Traum nach Freiheit,
seine Freude, diese endlich gefunden zu haben (einer
ü 11
Abb. unten von oben links:
1. »Hier bin ich. Der König. Der
Überdrüber-Oberboss«. Lemur King
Julian (Torsten Ankert) begrüßt die
Neuankömmlinge auf Madagascar
2. Happy Birthday, Marty! Im
Zoo überraschen Giraffe Melman
(Christian Bindert, 2.v.l.), Nilpferd
Gloria (Nadine Lauterbach, 2.v.r.)
und Löwe Alex (Stefan Reil, r.) ihren
Freund, das Zebra Marty (Mark Wei-
gel, l.), mit einer Torte
3. ›I Like to Move it‹ – Giraffe Mel-
man (Christian Bindert) und Lemur
(Fides Groot-Landeweer)
4. ›Steak‹ – Alex (Stefan Reil, Mitte)
träumt vor Hunger nur noch von
einem saftigen Stück Fleisch, das
ihm nette New Yorker Kellnerinnen
(Ensemble) servieren
5. Auf dem Weg nach Afrika überle-
gen die vier Pinguine, (v.l.:) Skipper
(Christopher Dederichs), Rico
(Anne-Mette Riis), Kowalski (Jan
Rogler) und Private (Melanie Dull),
wie sie das Schiff kapern können
Fotos (5): Florian Miedl

Abb. oben von oben links:
1. »Move It« – Das Madagascar
Ensemble freut sich auf große und
kleine Besucher
2. »Sieht so aus, als wärst Du
eigentlich schwarz mit weißen
Streifen« – Löwe Alex (Stefan Reil,
r.) begutachtet das vermeintlich
saftige Hinterteil von Zebra Marty
(Mark Weigel)
3. Die acht auf Madagascar gestran-
deten – (v.l.): Private (Melanie Dull),
Gloria (Nadine Lauterbach), Rico
(Anne-Mette Riis), Alex (Stefan Reil),
Marty (Mark Weigel), Kowalski (Jan
Rogler), Melman (Christian Bindert)
und Skipper (Christopher Dederichs)
Fotos (3): Florian Miedl
12
Musicals in Deutschland
der wenigen Auftritte aus den Tiefen der Felsenbühne,
bei der er in Bermudas und mit Surfbrett unter dem
Arm auf Madagascar seine Freunde wieder trifft), der
überraschende Übergriff, wenn Alex Anstalten macht,
ihn fressen zu wollen – all das berührt. Mark Weigel
glänzt mit punktgenauer Komik, Ausstrahlung und
Stimme. Sein Freund Alex (Stefan Reil) ist der Sonny-
boy und Liebling der Kinder. Mit seiner hellen Stimme
ist er manchmal zu wenig Löwe und mehr Stubenka-
ter. Aber er ist immer Showman und am Ende möchte
man ihn einfach auf den Schoß nehmen und kraulen.
Melman, die hypochondrische Giraffe, scheint Chris-
tian Bindert auf den Leib geschrieben. Optisch wie
stimmlich kann er voll überzeugen. Nadine Lauter-
bachs Gloria ist eine stimmliche wie darstellerische Er-
scheinung. Sie rockt und groovt sich in die Herzen der
Zuschauer. Leider ist sie als einzige der vier Haupttiere
nicht eindeutig als solches erkennbar und hinterlässt
bei vielen Kindern offene Fragen zu ihrer tierischen
Identität. Generell sind die Kostüme (Marrit van der
Burgt und Karen de Meijer) erfreulich wenig tierisch.
Von den Attributen bei Giraffe, Zebra und Löwe abge-
sehen (grandios dabei die Perücken und das Make-up
von Heiko Hartmann), sind die Kostüme sehr mensch-
lich gehalten und unterstreichen damit, dass es ein
allgemeingültiges Musical über Freundschaft ist und
damit viel mehr als nur ein buntes Kinderstück.
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Der skurril-sympathische Abräumer der Show ist
King Julian (Torsten Ankert). Wenn er mit seinem
Lemuren-Akzent (manchmal hart an der Grenze der
Verständlichkeit) und in ständiger Begleitung von
Maurice (großartig bissig: Sandra Maria Germann) die
Heiterkeit zum Lebensgefühl erklärt und sein Lebens-
motto »I like to move it« schmettert, dann tanzt der
ganze Saal – und das noch Stunden später.
Die vier Pinguine haben es sicher am schwersten,
mit ihren Zeichentrick-Vorbildern mitzuhalten. Was
im Film an Slapstick möglich ist, scheitert in der Rea-
lität schon oft an der Gravitation. Aber die vier (Chris-
topher Dederichs, Jan Rogler, Anne-Mette Riis und
Melanie Dull) lassen sich dadurch nicht einschüchtern
und liefern ein Quartett, dem man wie ihren Film-
Vorbildern ein Spin-off wünscht.
Dem Programmheft kann man entnehmen, dass
nicht nur Profis auf der Bühne stehen, sondern auch Lai-
en (traditionell »Talente« genannt, was eine schöne Auf-
wertung darstellt). Der Unterschied zwischen Laien und
Profis ist allerdings kaum festzustellen. Was man sieht,
ist ein homogenes und sehr spielfreudiges Ensemble.
Das macht Spaß und beschert Kindern wie Erwachse-
nen einen kurzweiligen und amüsanten Theaterbesuch.
Der (mit öffentlichen Verkehrsmitteln) etwas beschwer-
liche Weg nach Wunsiedel lohnt in jedem Fall.
Gisela Kusch

Klassischer Spaß
»The Rocky Horror Show« in der Neuen Gebläsehalle Neunkirchen
S eit seiner Uraufführung im Jahr 1973 hat Richard
O‘Briens Musical »The Rocky Horror Show« stets
Fans hinzugewonnen. Nur durften keine Änderungen
an der Geschichte vorgenommen werden, was dazu
führt, dass sie zwar immer noch schräg und lustig ist,
aber bei häufigem Sehen doch den Eindruck hinterlässt,
dass der Show eine Verjüngungskur guttun würde.
Der Produzent der Neunkircher Fassung, Michael
Rennig, meinte, auf die künstlerischen Freiheiten an-
gesprochen: »Wir müssen uns an die Vorgaben des Ver-
lags halten.« Regisseur Thilo Reinhardt waren somit in
vielen Szenen die Hände gebunden. »Einzig in Sachen
Kostüme, Choreographie und Bühnenbild hatten wir
freie Hand.« Gesungen wird in englischer Sprache, die
Dialoge sind auf Deutsch.
Die Arbeit der deutschen Modedesignerin Ulli Kre-
mer lässt sich sehen. Sie hat ein paar schöne Kostüme
entworfen, speziell für Riff-Raff (Oliver Mülich) und
seine Schwester Magenta (Edda Petri) für den Schluss
der Show. Auch das pinkfarbene Korsett und die Strapse
passen gut zur sexuellen Orientierung des Transvesti-
ten Doktor Frank‘N‘Furter (Andreas Wolfram).
Die Tanzeinlagen von Ellen Kärcher (Choreogra-
phie), die auch die Rolle der Columbia spielt, gefallen
ebenso. Das Bühnenbild, das ebenfalls von Ulli Kre-
mer erschaffen wurde, ist der Bühne angepasst, die
nicht über die technischen Finessen eines Theaters
verfügt. So finden die Umbauten vor verschlossenem
Vorhang statt, um unnötigen Leerlauf zu vermeiden.
Im Hintergrund steht ein einstöckiges Podest, und das
Hauptbild besteht aus der Fassade des Schlosses von
Frank‘N‘Furter, welches aus mehreren zusammensetz-
baren Teilen besteht.
Natürlich können sich die Zuschauer vor Beginn
mit den gängigen Utensilien »bewaffnen«, die man
während der Show braucht: Wasserpistole, Konfetti,
Spielkarten, Klopapier usw.
Wie gewohnt, beginnt das Musical mit dem wohl
schönsten Song, ›Science Fiction/Double Feature‹, den
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019ü
Musicals in Deutschland
eine Platzanweiserin (Edda Petri) singt. Dann verirren
sich Janet Weiss (Anna Hofbauer) und ihr Verlobter
Brad Majors (Jan Schuba) in einem Wald und kommen
Abb. oben von links:
1. »Let‘s do the Time Warp« –
Magenta (Edda Petri), Riff-Raff
(Oliver Mülich) und Columbia
zum Schloss des Exzentrikers Frank‘N‘Furter. Beide
(Ellen Kärcher)
stehen alsbald in Unterwäsche auf der Bühne und 2. Frank‘N‘Furter (Andreas
müssen erleben, wie der Doktor mit seinen Assisten- Wolfram) ganz in Pink
ten Riff-Raff, Magenta (auch Edda Petri) und Colum- Fotos (2): Michael Besserdich
bia einen künstlichen Menschen, den er Rocky (Nils
Haberstroh) nennt, zum Leben erweckt. Für die Ver-
lobten folgen neue Einsichten in Sachen Sexualität –
sowohl theoretischer als auch praktischer Natur.
Schließlich entpuppt sich der Doktor als Außerirdi-
scher, der aber laut Entscheidung von Riff-Raff und
Magenta auf der Erde zurückbleiben muss. Am Ende
erschießen sie ihn.
Norman Stehr spielt den Erzähler der Geschichte,
der permanenten »boring/langweilig«-Rufen ausgesetzt
ist. Dabei raucht er mal eine Zigarre, bleibt stets cool
und lässt sich auf Diskussionen mit den Zuschauern The Rocky Horror Show
ein, die er darauf aufmerksam macht, dass sie ohne Richard O‘Brien
seine Erklärungen den Plot nicht verstehen würden. Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von
Er bringt ihnen auch den legendären Tanz, den ›Time
Frank Thannhäuser & Iris Schumacher
Warp‹, bei. Im zweiten Akt übernimmt Stehr zudem
TreTempi in Zusammenarbeit mit
die Rolle des im Rollstuhl sitzenden Dr. Scott, der SR3 Saarlandwelle, der Neunkircher
herausgefunden hat, dass Frank‘N‘Furter ein Wesen Kulturges. und der Kreisstadt
von einem anderen Stern ist. Außerdem ist Scott der Neunkirchen
Neue Gebläsehalle Neunkirchen
Lehrer von Janet und Brad und der Onkel von Eddie Premiere: 23. Mai 2019
(Rouven Wildegger Bitz), den Frank‘N‘Furter umge-
Frank‘N‘Furter ........ Andreas Wolfram
bracht hat. Janet Weiss ................. Anna Hofbauer
In der Neuen Gebläsehalle lebt die »Rocky Horror Brad Majors ...................... Jan Schuba
Show« von dem ausgezeichneten Ensemble, angeführt Riff-Raff ........................ Oliver Mülich
Magenta / Platzanweiserin .... Edda Petri
von einem quirligen Andreas Wolfram, der souverän den Columbia ....................... Ellen Kärcher
perversen Frank‘N‘Furter spielt und singt. Edda Petri Rocky ........................ Nils Haberstroh
gefällt durch ihre schöne Stimme, genau wie Anna Eddie .............. Rouven Wildegger Bitz
Erzähler / Dr. Scott ........ Norman Stehr
Hofbauer, die zudem sexy in Unterwäsche aussieht.
Phantome:
Wie gewohnt sieht der Saal am Ende chaotisch aus,
Noraleen Aurelie Amhausend, Michael
voller Klopapier, Konfetti und Spielkarten, aber das Hinterhauser, Lukas Janisch, Mariele
gehört eben zur Show. Jankowski, Philipp Schwindling,
Marie-Louise van Kisfeld
Christian Spielmann
13

Wenn göttliche Liebe zu göttlichem Chaos führt
»Ein Hauch von Venus« an der Staatsoperette Dresden
Abb. oben:
Venus (Johanna Spantzel) verzau-
bert den Polizisten (Markus Liske),
damit dieser sie nicht wegen Laden-
diebstahls ins Gefängnis bringt
Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert
Ein Hauch von Venus
Kurt Weill / Ogden Nash /
S. J. Perelman
Deutsch von Roman Hinze
Staatsoperette Dresden
Premiere: 22. Juni 2019
Regie ......................... Matthias Davids
Musik. Leit. ........ Peter Christian Feigel
Choreinstudierung ....... Thomas Runge
Choreographie ............. Francesc Abós
Bühnenbild .................... Hans Kudlich
Kostüme ............................ Judith Peter
Maske & Frisuren ........ Thorsten Fietze
Lichtdesign .................. Guido Petzold
Sounddesign .... Clemens Wannemacher
Venus ....................... Johanna Spantzel
Rodney Hatch .............. Jannik Harneit
Whitelaw Savory ....... Christian Grygas
Molly Grant ................... Winnie Böwe
Taxi Black ................... Marcus Günzel
Stanley .......................... Gerd Wiemer
Gloria Kramer ............. Beate Korntner
Florabelle Kramer ........... Silke Richter
Zuvetli ........................... Markus Liske
Dr. Rook ................... Dietrich Seydlitz
In weiteren Rollen:
Vasily Arkhipov, Christian Berger,
Friedemann Condé, Martin Gebhardt,
Anna-Luysa Grumbt, Inka Lange,
Tobias Märksch, Lisa Müller,
Katja Rosenberg
Ballett & Chor der
Staatsoperette Dresden
14
Musicals in Deutschland
H in und wieder passieren Dinge, die man sich nicht
erklären kann. Man tut Dinge, die man vorher
nicht für möglich gehalten hätte. Scheinbar zufällig
stolpert man schicksalhaft in ein Abenteuer. So ge-
schehen dem Friseur Rodney Hatch (Jannik Harneit).
Nichtsahnend erscheint er im Museum für zeitgenös-
sische Kunst des New Yorker Millionärs Whitelaw
Savory (Christian Grygas), um diesen zu rasieren. Je-
ner gibt prompt mit seiner neuesten Errungenschaft,
einer Skulptur der Venus, an, deren Schönheit ihn an
seine alte Jugendliebe erinnert. Rodney ist ebenso fas-
ziniert und aus Spaß steckt er der Statue den für seine
Freundin bestimmten Verlobungsring an den Finger.
Mit einem großen Knall erwacht die Venus (Johanna
Spantzel) aus ihrem 3000-jährigen Schlaf und verliebt
sich direkt in ihren Erwecker. Dieser ist heillos mit der
Situation überfordert und flüchtet aus dem Museum.
Die römische Göttin folgt ihm, woraufhin Savory
Hatch verdächtigt, die Statue entwendet zu haben, und
den Privatdetektiv Taxi Black (Marcus Günzel) beauf-
tragt, sie ihm wiederzubeschaffen.
Derweil versteht Venus nicht, wieso ihr Begehren
nicht erwidert wird und warum ihre unvergleichli-
che Ausstrahlung das triste Grau der Welt nicht zu
durchdringen vermag. Bei einem Einkaufsbummel
wird sie verhaftet, doch übernimmt der kunstliebende
Millionär ihre Ausgaben, ohne dass seine romanti-
schen Annäherungen auf fruchtbaren Boden stoßen.
Das göttliche Chaos nimmt seinen Lauf, als Hatch am
Busbahnhof auf seine Verlobte Gloria (Beate Korntner)
und deren Mutter (Silke Richter) wartet und Venus
sich dazugesellt, welche immer noch den Verlobungs-
ring trägt. Dem jungen Mann platzt schließlich der
Kragen: Er hat genug von der Liebe.
Kurz danach erhält er Besuch von Savory, Taxi
Black und dessen Gehilfe Stanley (Gerd Wiemer), die
ihn auf der Suche nach der Statue unsanft in den Keller
befördern. Ohne Erfolg verlassen sie den Friseurladen
wieder. Einzig die Sekretärin des Kunstliebhabers,
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Molly Grant (Winnie Böwe) hat erkannt, dass das Ver-
schwinden der steinernen Figur und das Auftauchen
der betörenden Frau untrennbar miteinander verbun-
den sind. Ebenjene Gottheit versorgt liebevoll den
Mann, dem ihr Herz gehört, als dieser nicht unversehrt
wieder in seiner Wohnung auftaucht. Und langsam
beginnt auch er, sich für Venus zu erwärmen.
Das Glück ist beiden jedoch nicht wohlgesonnen,
so bringt ein vermeintlicher Mord beide ins Gefäng-
nis und Savory erhält Besuch aus Anatolien, der nicht
begeistert darüber ist, dass die Statue geraubt wur-
de. Am Ende ist die Liebe wandelbar wie eine Brise
und ein Happy End vielschichtig wie der Hauch der
Venus selbst.
Mit über 550 Aufführungen nach der Erstauffüh-
rung von 1943 zählt »One Touch of Venus« als er-
folgreichstes Broadway-Musical von Kurt Weill. Die
deutschsprachige Erstaufführung fand 1994 in Mei-
nigen statt. Dazu ist es sein einziges komödiantisches
Bühnenstück. Seine Grundidee beruht auf dem briti-
schen Roman »The Tinted Venus« von F. Anstey. Weills
Musik ist abwechslungsreich und beinhaltet dennoch
verbindende Komponenten. Beschwingt beginnt das
Stück mit ›Kunst muss modern sein‹, bei dem so-
wohl Christian Grygas als Whitelaw Savory stilsicher
auftritt und auch der Chor in das Gesamtgefüge har-
monisch mit eingebunden wird. Winnie Böwe als
resolute, dennoch leidenschaftliche und höchst intel-
ligente Sekretärin Molly Grant ist eine Perle des Mu-
sicals. Spritzig, witzig erläutert sie den Kunststudenten
in ›Ein Hauch von Venus‹ ihre Ansicht des gewissen
weiblichen Reizes, während sie in ›Massen, Massen,
Massen, Geld‹ gewehrsalvenartig die ach so großen
Sorgen der reichen Leute verspottet. Als Einzige er-
kennt sie den Zusammenhang und ist dabei treu er-
geben. Auch gelingt Böwe die Darstellung ihrer Figur
ausgesprochen gut. Ebenso glänzt Jannik Harneit in
seiner Rolle als Friseur Rodney Hatch, der etwas un-
beholfen und unsicher durch das Leben und die Liebe

geht. Verklärt himmelt er seine Verlobte in ›So sehr
hab‘ ich dich lieb‹ an, nur um wenig später in dem
musikalisch einheitlichen, jedoch emotionalen Gegen-
stück ›So sehr hab‘ ich die Liebe satt‹ seinem Ärger über
die Frauen, und vielleicht ein wenig über sich selbst,
Luft zu machen. Johanna Spantzel verleiht der Venus
ein göttliches Auftreten, verführerisch zurückhaltend
und dennoch keinen Widerspruch duldend. Ihre Lie-
der ›Ich fühl‘ mich fremd in dieser Welt‹ und ›Dum-
mes Herz‹ bilden die musikalischen Grundpfeiler des
Musicals. Der Spannungsaufbau durch die, gegenüber
dem Grundrhythmus, verschobenen Melodienoten
verbindet alle Elemente des Stücks und gipfelt in ›Bei
ihm‹ – ein Song, der besonders durch die phantastische
Leistung des Orchesters unter der Leitung von Peter
Christian Feigel zum Tragen kommt. Souverän spie-
len die Musiker sich unter seiner Führung von einer
Westernparodie (›New Jersey liegt im Westen‹) über ein
Barbershop-Quartett (›Mit den Frau‘n ist es wirklich
ein Elend‹) hin zum größten, mit Rumba-Rhythmen
versehenem Liebeslied der komödiantischen Auffüh-
rung: ›Sprich leis‘‹.
Weills meisterlich komponierte Musik wird durch
die Texte von Ogden Nash und das Buch von S. J. Perel-
man abgerundet. Roman Hinze schafft in seiner neuen
Übersetzung eine harmonische Verknüpfung von Musik
und Sprache, die sich wohlklingend genießen lässt. Die
Inszenierung von Matthias Davids konzentriert sich da-
bei nicht nur auf den Humor, sondern ebenso auf die lei-
sen und hinterfragenden Momente, die das Stück zu bie-
ten hat. Wenngleich der erste Akt sich erzählerisch etwas
in die Länge zieht und der zweite fast überrumpelnd an
einem vorbeizieht, so verlässt man eben dadurch nicht
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
ü 15
Musicals in Deutschland
nur beschwingt das Theater, sondern erhält neben dem Abb. unten von oben links:
Witz und der Leichtigkeit auch Stoff, der zum Nach- 1. Venus (Johanna Spantzel) ist
denken anregt. Die Liebe ist ebenso facettenreich wie überaus glücklich, von Rodney
Hatch (Jannik Harneit) aus ihrem
die Musik des Stückes: Zwischen sturem Festhalten an
über 3000-jährigen Schlaf befreit
Gewohnheiten, an dem Gedanken, nicht alleine zu sein, worden zu sein
gewollt zu werden, und der glühenden Leidenschaft, die 2. Venus (Johanna Spantzel) und
dennoch nicht in allen Belangen kompatibel ist, denn Rodney Hatch (Jannik Harneit) sind
romantische Gefühle bedeuten auch Kompromisse, sich nähergekommen und träumen
von ihrer Zukunft
werden die Nuancen der Emotionen leicht und greifbar
3. Whitelaw Savory (Christian Gry-
dem Zuschauer nähergebracht. gas, Mitte) erklärt seinen Studenten
Für das Bühnenbild zeichnet Hans Kudlich verant- (Ensemble): ›Kunst muss modern
wortlich, der trotz aller Heiterkeit meist düstere Ele- sein‹
mente kreiert hat, wobei ein dreidimensionales Licht- 4. Molly Grant (Winnie Böwe)
konstrukt mit farblich wechselndem Licht für einen echauffiert sich darüber, dass das
größte Problem der Superreichen
passenden Rahmen sorgt. Im Zusammenhang mit dem
ihr vieles Geld ist
Lichtdesign von Guido Petzold und dem Sounddesign Fotos (4): Kai-Uwe Schulte-Bunert
von Clemens Wannemacher werden die Möglichkeiten
der Staatsoperette eindrucksvoll genutzt und ziehen
einen beim Zuschauen in ihren Bann, mit manchem
überraschenden Effekt.
Durch die Kostüme von Judith Peter schafft die
Inszenierung des Broadway-Erfolges zudem den Spa-
gat zwischen der Zeit, in der das Stück spielt, und der
heutigen. Gleichzeitig unterstützt die Kleidung die
Charakterisierung der einzelnen Personen und rundet
damit das Gesamtgefüge wundervoll ab.
Die Staatsoperette Dresden bringt als letzte Premie-
re unter Intendant Wolfgang Schaller eine in Deutsch-
land bisher eher unbekannte Perle Kurt Weills auf die
Bühne, von der zu hoffen ist, dass diese der Venus
gleich einen Platz im Musical-Olymp finden wird.
Eva Baldauf

Blutig-schöner Rausch
»Carrie« am F1rst Stage Theater in Hamburg
Abb. oben:
Carrie (Lorena Dehmelt) rechnet
mit ihrer Umwelt ab
Abb. unten:
Voller Panik entdeckt Carrie (Lorena
Dehmelt) ihre Weiblichkeit
Fotos (2): Dennis Mundkowski
16
Musicals in Deutschland
C arrie – Das Musical« taucht das F1rst Stage Theater
mit vollautomatisiertem Set und genialen Effekten
in neue Dimensionen – nicht nur blutig, sondern blut-
berauschend schön.
Als Produzent Thomas Gehle direkt vor der Premi-
ere vor das geladene Publikum tritt und davon spricht,
»ein ernsthaftes Problem zu haben«, und als sich auch
noch der damalige Broadway-Produzent von »Carrie«,
Friedrich Kurz, ganz kurz vom Sitz erhebt, konnte man
nicht nur eine Stecknadel fallen hören, sondern auch
annehmen, nicht nur die Story rund um Stephen Kings
»Carrie« sei mystisch und verflucht, sondern alles, was
mit diesem Stück in Berührung kommt. Denn beide
Produzenten berichten von massiven Problemen, eine
wirtschaftlich erfolgreiche Auslastungsquote mit dem
Stück zu erreichen. Gehle hofft, dass alle Zuschauer
Werbung für die bis Juli laufende Produktion machen
und der Vertrieb noch anzieht. Es ist der Produktion
sehr zu wünschen.
Solch eine Ansprache direkt vor einer Premiere ist
äußerst ungewöhnlich, zeigt aber auch Größe. Am
Broadway wurde die Produktion bereits nach fünf re-
gulären Shows abgesetzt und gilt bis heute als einer der
größten Flops im Musiktheater-Business, mit einem
Verlust von über 7 Millionen Dollar.
Nachdem »Carrie« fast 25 Jahre lang auf keiner
Bühne zu sehen war, kam erst 2012 eine neue, radikal
überarbeitete Version am Off-Broadway auf die Büh-
ne, die mit neuen Songs, einer kompakteren und ver-
ständlicheren Handlung sowie einem rockigeren, tem-
poreicheren Arrangement für Begeisterung sorgte und
– ebenso wie das dazugehörige Castalbum – ein vol-
ler Erfolg wurde. Mit dieser neuen Fassung reiht sich
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
dieses Stück ein bei den rockigen Musicals für junge
Ensembles wie »Bare: A Pop Opera« oder »Spring Awa-
kening«, die nicht nur musikalisch, sondern auch the-
matisch mit dem Broadway-Einheitsbrei der investi-
tionsfreundlichen Produktion brachen.
In zahlreichen US-Produktionen von High Schools
bis zu einer interaktiven »Musical Experience« in Los
Angeles, aber auch neuen Produktionen in Großbri-
tannien und Asien, hat »Carrie« bewiesen, dass mehr
in dem Stück steckt als der legendäre Broadway-Flop.
Besonders die vielen Schülerrollen machen das Werk
ideal für junge Ensembles und nicht umsonst fand die
deutschsprachige Erstaufführung des Musicals 2014
am Theater Minden auch in Kooperation mit dem In-
stitut für Musik der Hochschule Osnabrück statt. Ihr
folgten bereits zahlreiche erfolgreiche Amateurauffüh-
rungen vor vollen Häusern.
Das alles hilft zu verstehen, warum sich Thomas
Gehle und sein Team unter der Leitung von Felix
Löwy an das »Risikostück« »Carrie« wagten. Dafür
bauten sie in das kleine, aber feine F1rst Stage Theater
ein wahnsinnig imposantes und diesmal auch vollauto-
matisiertes Bühnenset ein!
In Hamburg finden sich – so wie schon bei »Fame« –
auch jetzt wieder die Absolventen des Abschlussjahr-
gangs auf der Besetzungsliste wieder, die mit Gästen
komplettiert wurde.
Mit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts
schien eine neue Generation von High-School-Musi-
cals anzukommen. Vor allem »Bare: A Pop Opera« oder
»Spring Awakening« vermittelten ein frisches Musical-
Gesicht – und vielleicht lag es genau an diesen Werken,
dass nun der Zeitpunkt gekommen war, »Carrie« fast

ein Vierteljahrhundert nach seiner desaströsen Broad-
way-Premiere wieder aus der Versenkung zu holen und
es in Hamburg ganz neu aufzulegen.
»Carrie« kommt für Hamburg mit einem Update
daher, für welches das Stück insgesamt zeitgenössisch
umgeschrieben wurde. Die Hälfte der Songs wurden
gestrichen und durch neue ersetzt, Liedtexte wurden
umgetextet und neu arrangiert.
Für die Hauptrolle der Mutter Margaret White hat
man Maya Hakvoort und alternierend Kaatje Dierks
engagiert, beide zwei Grand Dames der Musicalwelt,
eine clevere Entscheidung, wie sich im Verlauf der
Premiere mehrfach bestätigt.
Das Licht fährt runter und die Vorstellung beginnt.
Man findet sich direkt in einer Verhörsituation wie-
der, in der Susan Snell nach den Ereignissen genau
»jener Nacht« befragt wird. Danach geht die Story in
eine Review: Carries Mutter Margaret White, herrlich
psychedelisch gespielt und auf den Punkt von Maya
Hakvoort gesungen, macht ihr das Leben zur Hölle.
Zu Hause unterdrückt und zum Glauben gedrängt,
erfährt das gepeinigte Mädchen in der Schule nur die
Ausgrenzung der Mitschüler und erntet viel Spott und
Ablehnung. Die Clique rund um Chris Hargensen, gut
gespielt von Alexandra Nikolina, die ihrer Rolle einen
sehr glaubwürdig aggressiven Grundton verleiht, hat es
besonders auf Carrie abgesehen.
Carrie flüchtet sich in Tagträume, verschließt sich
und entwickelt Rachefantasien, bis sie eines Tages
merkt, dass ihre Fantasien wahr werden und sie über
besondere Kräfte verfügt.
blickpunkt musical 04/19, Juli – Septemberü 2019
Musicals in Deutschland
Sie entwickelt sich langsam, aber sicher von einem Abb. unten von oben links:
der Mutter ganz ausgelieferten und von ihr abhängigen 1. Margaret White (Maya Hakvoort)
Kind hin zur selbstbewussten jungen Frau, die ihrer und Carrie (Lorena Dehmelt) strei-
ten um ihre Ansichten und ihren
Mutter endlich die Stirn bietet und aus dem Karus-
Platz im Leben
sell der Angst aussteigt. Lorena Dehmelt verleiht ihrer 2. Miss Gardener (Isabelle Schubert,
Carrie eine ganz besondere Aura und schafft den Bogen 2.v.r.) kümmert sich hier um Carrie
von völlig abwesend und nur körperlich anwesend hin (Lorena Dehmelt, r.) und ergreift
zur starken Persönlichkeit und mit magischen Kräften Partei für sie, während die Mit-
schülerinnen (Ensemble, l.) Carrie
ausgestatteten jungen Frau. Gute Momente, die auch
auslachen und verspotten
die Geschichte vorantreiben, schafft auch Carries Leh- 3. Die Schüler (Ensemble) der High
rerin, Miss Gardener, gespielt von Isabelle Schubert, School werden von Carries außer-
welche das Beste aus dieser kleinen, immer wieder auf gewöhnlicher Energie in Bewegung
Kontenance ausgerichteten Rolle herausholt. Die ande- gesetzt
ren Darsteller des Abends spielen auf den Punkt, blei- 4. Carrie (Lorena Dehmelt) noch als
Mauerblümchen
ben aber durch die Anlage des Buchs in ihren Rollen Fotos (4): Dennis Mundkowski
im Hintergrund.
Carrie wird vom ansehnlichen Tommy Ross (Tim
Taucher) zum Abschlussball des Jahres eingeladen,
nachdem er durch seine Freundin Susan Snell (Larissa
Pyne) dazu aufgefordert wurde. Diese war zuvor auch
daran beteiligt, Carrie immerzu fertig zu machen, zeigt
dann aber ein Maß an Mitleid und will durch ihren
Rücktritt am Abend des Balls die Angelegenheit wie-
der gut machen. Als sich das graue Entlein dann tat-
sächlich zum Schwan freischwimmt, sich endlich auch
gegen die Mutter durchsetzt und tatsächlich zum Ball
geht, eskaliert die Situation wieder, denn Chris Har-
gensen und ihr Freund Billy Nolan (Nils Marckwardt)
lassen nach wie vor nicht von Carrie ab und übergießen
die frisch gebackene Ballkönigin am Ende mit Litern
von Blut und demütigen sie so erneut.
17
 Musicals in Deutschland

Abb. rechts von oben links:

1. Margaret White (Maya Hakvoort)
– Konservativ und psychologisch
stark, dass es einem einen Schauer
über den Rücken treibt
2. Carrie (Lorena Dehmelt) beim
Anwenden ihrer mystischen Kräfte
3. Susan Snell (Larissa Pyne) kann
nur noch das erschreckende
Endergebnis vorfinden
Fotos (3): Dennis Mundkowski

Carrie
Michael Gore / Dean Pitchford /
Lawrence D. Cohen
Deutsch von Martin Wessels-Behrens &
Judith Behrens
Stage School Hamburg
F1rst Stage Theater
Premiere: 17. Juni 2019
Regie ............................. Felix Löwy &
Lauren Slater-Klein
Musik. Leit. ........ Christian Feltkamp &
Felix Löwy
Choreographie .......... Phillip Kempster
Bühnenbild .................... Felix Löwy &
Felix Wienbürger
Kostüme ................ Lauren Slater-Klein
Haare & Make-up ........ Katrin Löffler &
Jessica Mathies
Perücken ..................... Nils Hagelstein
Lichtdesign .............. Felix Wienbürger
Sounddesign ............... Sebastian Rieß,
Peppe Andersson, Felix Löwy
Margaret White ........ Maya Hakvoort /
Kaatje Dierks
Carrie ......................... Lorena Dehmelt
Susan Snell ..................... Larissa Pyne
Tommy Ross ................... Tim Taucher
Chris Hargensen .... Alexandra Nikolina
Billy Nolan ................ Nils Marckwardt
Miss Gardener / Dance
Captain .................... Isabelle Schubert
Mister Stephens ......... Nicolas Schulze
Helen ........................... Sara Kettmann
Norma ......................... Kerstin Leowin
Frieda ......................... Selina Bögelein
George ..... Dominic Angler / Sven Geiger
Stokes ...................... Dominik Thätner
Freddy .................... Piero Ochsenbein
In weiteren Rollen:
Jennifer Bugla, Katrin Deisenhammer,
Lucia Feneberg, Robin Scheel,
Eva Schütz, Rita Sebeh,
Nadine Stiebel, Angelika Studensky,
Lina von Soosten
Carrie gerät daraufhin in einen Rausch und rastet
völlig aus. Ein wahnsinniges Gemetzel beginnt: Es
darf jetzt schon verraten werden, dass doch recht viele
Lebenslichter ausgehen – die Mutter kann das Wei-
terleben ihrer Tochter nach dieser Tat nicht mit ihrer
Glaubenswelt vereinbaren, sodass am Ende nur noch
wenige am Leben sind und man wieder bei dem Verhör
der Eingangssituation landet.
Am Premierenabend spielt eine sehr dynamische
und gut orchestrierte Band auf, unter der Leitung von
Christian Feltkamp. Die Songs von Michael Gore
sind zwar, wie anfangs beschrieben, für diese Version
von »Carrie« überarbeitet worden, können aber nicht
immer das zum Ausdruck bringen, was Musik eigent-
lich transportieren soll: ein klares und abschließendes
Gefühl. Einzelnen Titeln fehlt ein typisches Ende, sie
plätschern manchmal nur dahin. Gänsehautmomente
erzeugen dagegen das große Solo (›Wenn sie fort ist‹)
von Maja Hakvoort und Songs wie ›Plötzlich nah‹,
oder das Duett zwischen Carrie und ihrer Mutter:
›Nachtgebete‹. Die Songs lassen den interessierten Zu-
schauer aufhorchen. Die Darbietungen insbesondere
der Ensemblenummern werden auch von den neuen
Darstellern am Markt souverän gemeistert – phasen-
weise leider etwas flach, was sicher noch der Premieren-
aufregung geschuldet ist.
Die beeindruckendsten Momente des heutigen
Abends entstehen tatsächlich durch das aparte Zu-
sammenspiel von Maya Hakvoort und Lorena Deh-
melt, die im Innern des großartigen Sets, welches mit
Knallern an Spezial-Effekten daherkommt, wirklich
Höchstleistungen vollbringen.
Im Bühnenbild fahren Skateboards und Bühnen-
Elemente wie von Geisterhand davon, Lampen bren-
nen und knallen effektvoll durch und Blut fließt wie
von Geisterhand. Hinzu kommt, dass wirklich jede
Szene in ein stimmungsvolles und sehr gut inszeniertes
Lichtdesign (Felix Wienbürger) getaucht wird.
Die schönen Kostüme und Perücken (Lauren Slater-
Klein & Nils Hagelstein) unterstützen den Cast in sei-
nem Tun und die Produktion verlangt durch den Ein-
satz von diversen Sorten Kunstblut sicher auch diesen
Departments viel ab, denn die Kostüme müssen in einer
Wanne mit Bleiche schnell vom Kunstblut befreit wer-
den, damit sie noch weiter nutzbar sind. Die Choreogra-
phie stammt von Phillip Kempster, der es auch auf der
kleinen Bühne schafft, einen für diesen Raum doch recht
großen Cast in Bewegung zu versetzen. Die Tanznum-
mern wirken sehr energetisch und transportieren eine
große Kraft und Lebensfreude der High-School-Zeit.
»Carrie – Das Musical« ist sicher kein konventionelles
Musical und mag nicht gleich jeden rein auf Großpro-
duktionen ausgerichteten Musicalfan ansprechen, aber
wenn man sich auf die Spielfreude, das geniale Setting,
die flotte Regie, den guten Sound im F1rst Stage The-
ater und diese insgesamt reich ausgestattete Produktion
einlässt, erlebt man einen wirklich tollen Theaterabend.
Eine schaurig schöne Erinnerung bleibt, wenn man
hinaus wandert in die Hamburger Sommernacht, denn
anders als in anderen Musicals fließt schon eine Menge
Blut.
Dem ganzen Team und vor allem den mutigen Ma-
chern sollte großer Respekt in Würdigung ihres En-
gagements gezollt werden: dass sie sich getraut haben,
»Carrie« nach Hamburg zu holen. Sie kann sich wirk-
lich sehen lassen, die Hamburger Carrie, und schließt
an die liebevolle Machart von Produktionen des Hau-
ses an, was zuvor mit »Sherlock Holmes – Next Gene-
ration« untermauert wurde.
Vom 22. bis 31. August gibt es noch die Möglich-
keit, »Carrie« in all seinen Facetten zu erleben.
Stefan Schön

18 ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019


Übersinnliche Hommage an David Bowie
»Lazarus« am Theater Bielefeld
K urz vor seinem Tod am 10. Januar 2016 erlebte Da-
vid Bowie Ende 2015 noch die Weltpremiere seines
Musicals »Lazarus« , das er zusammen mit Enda Walsh
(Buch) quasi als Fortsetzung des Films »Der Mann,
der vom Himmel fiel« (1976) konzipiert hatte. Bowie
verkörperte im Film den unsterblichen Außerirdischen
Thomas Newton, der seinen ausgetrockneten Heimat-
planeten mit irdischem Wasser retten will und auf der
Erde dank seiner hochentwickelten Intelligenz schnell
zu Reichtum und Macht kommt. Sein Plan scheitert
aber an Hass, Missgunst und Gewalt der menschlichen
Rasse und Newton bleibt einsam zurück. Hier endet
der Film und das Musical »Lazarus« beginnt: Dem
Wahnsinn nahe und dem Liebesschmerz zur längst
verstorbenen Mary Lou ausgeliefert, lebt der ewig jun-
ge Newton allein in seinem New Yorker Loft. Sein ein-
ziger Bezugspunkt zur Realität und Außenwelt ist sei-
ne Assistentin Elly, die sich zu ihm hingezogen fühlt,
aber in ihrer eigenen Beziehung zu ihrem Ehemann
gefangen ist. Doch Newton ist nicht allein, denn Erin-
nerungen an längst vergangene Menschen quälen ihn
und suchen ihn heim. Die für ihn wichtigste Bezugs-
person ist ein Mädchen, das sich an ihren eigenen Tod
nicht erinnern kann, dafür aber alles über Mary Lou
und ihn zu wissen scheint. Und dann ist da noch der
mysteriöse Valentine, der als diabolischer Teufel all die
menschlichen Abgründe verkörpert, die Newton daran
gehindert haben, ein Raumschiff zu bauen und zurück
zu seinem Planeten zu fliegen.
Die spartenübergreifende Produktion von Schau-
spiel und Musiktheater erfreut sich seit der deutsch-
sprachigen Erstaufführung am 3. Februar 2018 im
Düsseldorfer Schauspielhaus großer Beliebtheit an
Stadttheatern und steht in der aktuellen Spielzeit
in mindestens sieben Produktionen von Bremen bis
Nürnberg auf dem Spielplan. Am 18. Mai 2019 feierte
»Lazarus« auch am Theater Bielefeld Premiere und ist
nach zehn komplett ausgebuchten Vorstellungen bis
2020 auch in weiteren geplanten Aufführungen zu
sehen. Dabei sind die Zuschauerreaktionen durchaus
gespalten. Entweder man feiert das Stück als visuelles
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
ü 19
Musicals in Deutschland
Meisterwerk zwischen Realität und Wahn oder kann
mit der konfusen Handlung gar nichts anfangen.
Dem Theater Bielefeld gelingt mit der Inszenierung
von Michael Heicks jedoch eine fesselnde Aufführung,
die nicht nur durch die unsterblichen Bowie-Songs wie
›Absolute Beginners‹, ›This Is Not America‹, ›Heroes‹
und ›Life On Mars?‹ punkten kann. Die 8-köpfi-
ge »Lazarus«-Band unter der versierten Leitung von
William Ward Murta verbindet den rockigen Pop-Sound
mit klassischen Elementen und das gesamte Ensemble
interpretiert die englischen Welthits überraschend
anders und frisch. Nikolaj Alexander Brucker (Raoul
in »Das Phantom der Oper«, Higgins in der Bielefelder
»My Fair Lady«) überzeugt als Thomas Newton mit
unverwechselbarem Bowie-Sound. Oliver Baierl ist
ein herrlich dämonischer Valentine, Christina Huckle
wandelt sich von der distanzierten Ehefrau von Zach
(Alexander Stürmer) zum flippigen Stalker-Fan Elly,
Susanne Schieffer ist als ermordetes Mädchen der har-
monische Ruhepol im trüben Gedankensumpf und
letzter Rettungsanker, Cornelius Gebert ist als (Erz-
engel) Michael ein Mahnmal verpasster Chancen und
das Pärchen Jan Hille als Ben und Henriette Nagel als
Maemi verkörpert die Menschheit mit allen Vorzügen
und Fehlern.
Neben der erstklassigen Besetzung punktet Biele-
feld mit dem fantastischen Bühnenbild von Annette
Breuer im Zusammenspiel mit den eindrucksvollen
Videoeinspielungen von Sascha Vredenburg, die dem
surrealen Sujet wunderbar gerecht werden und immer
wieder sehenswerte Akzente setzen. Die Kostüme von
Franziska Gebhardt schließlich orientieren sich kom-
plett an den legendären Bühnenoutfits Bowies (z.B. ist
Ben tatsächlich ein »Ziggy Stardust« in roter Latzho-
se), sodass die gesamte Bielefelder Inszenierung von
»Lazarus« eine fesselnde Hommage an den Ausnahme-
Künstler David Bowie ist, der man sich nur schwer
entziehen kann, auch wenn sie viel individuellen Inter-
pretationsspielraum bietet.
Stephan Drewianka
Abb. oben von links:
1. Dreifaltigkeit im Wahn – (v.l.):
Ben (Jan Hille), Newton (Nikolaj
Alexander Brucker) und Michael
(Cornelius Gebert)
2. Der Tod steht ihr gut: Das
Mädchen (Susanne Schieffer, Mitte)
heitert Thomas Newton (Nikolaj
Alexander Brucker) auf, während
für Elly (Christina Huckle) die
Realität immer mehr zerbricht
Fotos (2): Joseph Ruben
Lazarus
David Bowie / Enda Walsh
Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von Peter Torberg
Theater Bielefeld
Stadttheater
Premiere: 18. Mai 2019
Regie ......................... Michael Heicks
Musik. Leit. ......... William Ward Murta
Choreographie ........... Gianni Cuccaro
Bühnenbild ................. Annette Breuer
Kostüme ............... Franziska Gebhardt
Video .................... Sascha Vredenburg
Newton ..... Nikolaj Alexander Brucker
Mädchen (Marley) ...... Susanne Schieffer
Valentine ........................ Oliver Baierl
Elly ............................ Christina Huckle
Michael ................... Cornelius Gebert
Zach ...................... Alexander Stürmer
Ben ....................................... Jan Hille
Japanerin / Maemi ...... Henriette Nagel
Teenage Girl 1 ..........Michaela Duhme
Teenage Girl 2 ......... Jeannine Michèle
Wacker
Teenage Gril 3 ....... Theresa Christahl /
Ulrike Figgener

Poetische Zirkus-Revue über die Suche nach
dem Sinn des Lebens »Pippin« von der Musical Academy Tübingen
Abb. oben von links:
1. Bertha (Johanna Ringe, oben) und
Männerensemble in ›Zeit zu leben‹
2. Hutmacher (Leon Wager) kommt
während des Stücks immer wieder
mit der Fackel herein, um das Feuer
für das große Finale zu entzünden.
Pippin soll als Höhepunkt ins Feuer
springen
Fotos (2): Marcel Kraibühler
Pippin
Stephen Schwartz / Roger O. Hirson
Deutsch von Frank Thannhäuser,
Nico Rabenald & Iris Schumacher
Musical Academy Tübingen
Theater Löwen
Premiere: 13. Juni 2019
Regie ............ Eftychia Charalampidou
Musik. Leitung ......... Jonas Kronmüller
Choreographie ........ Adriane Hoppe &
Johanna Bach
Pippin .............................. Fabian Lang
Prinzipalin ..................... Punita Müller
Karl der Große .................. Jakob Raidt
Fastrada, Stiefmutter ..... Johanna Bach
Bertha, Großmutter ..... Johanna Ringe
Ludwig ........................ Timon Crienitz
Katharina, Witwe .... Marie-Christin Baur
Theo, ihr Sohn ...... Alexander & Anton
(Kinderdarsteller)
In weiteren Rollen:
Lisa Dieckmann, Maya Ihle,
Aron Meral, Anna Nill, Vanessa
Raschke, Daniel Röther, Céline
Schubert, Ariane Streißenberger,
Leon Wager, Salina Weber
20
Musicals in Deutschland
D as Musical »Pippin« von Stephen Schwartz (Mu-
sik und Liedtexte) sowie Roger O. Hirson (Buch)
feierte im Jahr 1972 Broadway-Premiere mit Choreo-
graphien von Bob Fosse. Ein Jahr später kam es ins
Londoner West End und erlebte bereits am 10. Feb-
ruar 1974 im Theater an der Wien in einer deutschen
Adaption von Robert Gilbert seine deutschsprachige
Erstaufführung.
Zentrale Figur ist der älteste Sohn Karl des Großen,
der auf dem Weg ins »echte« Leben nach Selbstverwirk-
lichung, Erfüllung und dem ganz großen Glück strebt.
Die Musical Academy Tübingen zeigte erstmals die
deutsche Version des Broadway-Revivals aus dem Jahr
2013 (vgl. blimu 05/2013), das vier Tony Awards er-
hielt. Die Premiere der deutschen Fassung von Frank
Thannhäuser, Nico Rabenald und Iris Schumacher
fand noch vor der heute gültigen Revivalfassung vom
Broadway am 12. November 1995 am Theater Pforz-
heim statt.
Obwohl die Szenen stärker voneinander getrennt
sind, als wir es im heutigen Musical kennen, was ty-
pisch für Stücke aus den 1960er und 70er Jahren ist
(wie zum Beispiel: »Hair«, »Joseph and the Amazing
Technicolor Dreamcoat« oder Stephen Schwartz‘ frü-
hes Werk »Godspell«), gibt es einen Handlungsfaden.
Dieser folgt keiner Chronologie, sondern der inneren
Entwicklung der Hauptfigur. Die Charaktere werden
wie in einzelnen Shownummern in »Chicago«-Manier
vorgestellt und die typischen Bewegungselemente von
Bob Fosse sind prägend für die Inszenierung.
Die Erzählerrolle hat der sogenannte »Leading Player«
inne, wie auch Berger in »Hair« oder die Erzählerin
in »Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat«.
Diese Figuren greifen zwar in die Handlung ein, stehen
den Großteil der Geschichte aber außerhalb von ihr.
Diese Epoche zeichnet sich durch eine große Experi-
mentierfreude aus und es finden sich viele Elemente,
die man in Deutschland eher von Bertolt Brecht (vgl.
»Die Dreigroschenoper«) aus dem Schauspiel kennt.
Besonders dann, wenn wie auch in »Pippin« der Schau-
spieler die Handlung verlässt und eine kommentie-
rende Rolle einnimmt. Die Prinzipalin ist Muse und
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Versucherin Pippins und tritt aus der Handlung heraus
und führt durch die Geschichte.
Angeführt von der Prinzipalin, laden die Mitglieder
einer fahrenden Truppe, die das Publikum mit Zau-
bertricks, Tanz und anderen schauspielerischen Dar-
bietungen unterhalten, dazu ein, Pippins Geschichte
zu erleben: Pippin ist der Erstgeborene von Karl dem
Großen. Gerade kehrt er aus der Universität von Padua
zurück, wo er Wissenschaften studiert hat. Mit ihm
am Hof leben Pippins Halbbruder Ludwig und dessen
Mutter Fastrada, die ihren Sohn auf den Thron setzen
möchte, obwohl er dumm und selbstgefällig ist.
Pippin weigert sich, sein Leben mit Alltagsdingen
zu verschwenden, denn er ist überzeugt, dass es etwas
gibt, das seinem Leben mehr Sinn gibt. Er versucht
vergeblich, darüber mit seinem Vater zu sprechen. Als
dieser einen Feldzug gegen die Westgoten unternimmt,
möchte er als Soldat mit in die Schlacht ziehen. Sein
Vater stimmt widerwillig zu, als er ihm erklärt, später
müsse er auch Krieg führen. Pippin erlebt ein bluti-
ges Gemetzel und ist schockiert, dass der Vater nach
seinem Sieg zum Vergewaltigen und Plündern aufruft.
Daher lehnt er die Siegesfeier ab.
Pippin besucht seine Großmutter Bertha, die auf
dem Land die einfachen Freuden des Lebens genießt.
Sie fordert ihn auf, es ihr gleichzutun. Pippin erkennt,
dass Bertha recht hat, und legt sich in die Sonne. Da
umringen ihn verführerische Frauen und verwickeln
ihn in eine Orgie, bis er verlangt, allein gelassen zu
werden.
Als Pippin von der Prinzipalin erfährt, dass sein
Vater nun jeden umbringen lässt, der etwas gegen ihn
sagt, beschließt er, den Tyrann zu stürzen. Fastrada
und ihr Sohn belauschen ein geheimes Treffen – eine
Chance, um Ludwig auf den Thron zu setzen. Fastra-
da stellt Pippin als illoyal und Ludwig als liebenden
Sohn hin, doch Karl glaubt ihr nicht. Als der König
seine jährliche Pilgerfahrt nach Arles unternimmt, um
dort zu beten, informiert sie Pippin darüber und dieser
ersticht seinen Vater mit dem Messer. Als neuer Kö-
nig will Pippin alle Anliegen anhören. Armen gibt er
Geld, Bauern Land und schafft die Steuern ab. Als er

auch die Armee abschafft, ist das Reich hilflos gegen
die Hunnen. Nach und nach muss er alle Versprechen,
die er gemacht hat, zurückziehen und wird sehr unbe-
liebt. Er wünscht sich, die Tat ungeschehen machen
zu können. Da steht Karl der Große auf, nimmt seine
Krone wieder an sich. Die Prinzipalin fordert ihn auf,
über seine Zukunft nachzudenken.
Pippin probiert eine Anzahl von Berufen und Tä-
tigkeiten aus, aber keine erfüllt ihn. Er sieht keinen
Sinn mehr in seinem Leben. Da tritt Katharina in
sein Leben, eine Witwe mit ihrem Sohn Theo, die ein
großes Anwesen geerbt hat. Sie versucht, ihm Mut zu
machen, und schickt ihren kleinen Sohn, der Pippin
seine Ente zeigt. Nichts kann Pippin erreichen, bis
Katharina erkennt, dass er etwas Sinnvolles tun muss.
Sie bittet ihn, ihr zu helfen, das Anwesen zu verwalten.
Pippin arbeitet für sie, aber es erfüllt ihn nicht. Er will
sie verlassen, als Theos Ente krank wird und stirbt, was
Theo sehr traurig macht. Pippin baut ihn wieder auf
und überwindet so seine eigene Verzweiflung.
blickpunkt musical 04/19, Juli – Septemberü2019
Musicals in Deutschland
Katharina und Pippin verlieben sich, die drei wer- Abb. unten von oben links:
den eine Familie. Als Pippin das erkennt, macht ihm 1. ›Ruhm und Ehre‹ – Prinzipalin
das große Angst und er verlässt sie. (Punita Mueller) in typischer Fosse-
Pose
Da erscheinen die Prinzipalin und Karl der Große.
2. (v.l.): Pippin (Fabian Lang), Karl
Karl der Große belehrt Pippin, dass sich im Leben der Große (Jakob Raidt) und Ludwig
nicht immer alle Wünsche erfüllen. Die Prinzipalin (Timon Crienitz)
jedoch weist Pippin auf den mit Spannung erwarteten 3. ›Mit Dir‹ – Pippin (Fabian Lang)
Höhepunkt ihrer Show hin, der in einem Feuertrick macht erste Erfahrungen mit Frauen
(Frauenensemble)
besteht. Dabei wird scheinbar ein Mann angezündet,
4. Zirkus-Szenen sind typisch für
in Wahrheit aber eine Puppe. Doch dann fordert sie »Pippin«
Pippin auf, sich selbst für das Publikum in Brand zu Fotos (4): Marcel Kraibühler
setzen. Kurz bevor das geschieht, hält dieser inne:
Katharina und Theo erscheinen. Pippin erkennt, dass
all das, was für ihn zählt, darin besteht, bei ihnen zu
sein. Die Prinzipalin verspottet ihn. Sie lässt die Kos-
tüme verschwinden, schaltet die Scheinwerfer aus und
räumt die Bühne leer, um Pippin zu zeigen, wie das
Leben ohne »Magie« ist. Doch Pippin ist endlich am
Ziel seiner Sinnsuche.
21
 Musicals in Deutschland

Magisches Open-Air-Theater über die Magie

des Erzählens
»Big Fish« im Theater unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdingen / Stetten

Big Fish
Andrew Lippa / John August
Deutsch von Nico Rabenald
Theater unter den Kuppeln Leinfel-
den-Echterdingen / Stetten
Freilichtbühne Sandra (Linda Dambacher) bekommt von Edward (Matthias
Premiere: 15. Juni 2019 Tränkle, in d. bes. Vorst. Matthias Ahle) ein Narzissenmeer
Foto: Theater unter den Kuppeln
Regie & Musik.Ltg. ........ Julia Brückner
Orchesterleitung ............. Peter Pfeiffer

Choreographie .......... Nina Oelmann &
Sara Crouch Rymer
Bühnenbild ................. Harald Rehm &
Thomas Oberling
Kostüme ....... Marleen Reimann, Ulrike
Wommer, Irmgard Kühnle-Lange
Maske ......... Stefanie Heidt & Angelika
Ambacher
Licht ............. Marc Schleicher & Team
Sounddesign ...... David »Dave« Prikryl
Edward Bloom (alt) .... Alexander Koch /
Matthias Ahle / Matthias Tränkle
Edward Bloom (jung) ..... Matthias Ahle /
Matthias Tränkle
Will Bloom .............. Colin Weitmann /
Christian Fickert
Will als Kind .................. Till Altmann /
Timo Steck
Sandra Bloom ....... Linda Dambacher /
Miriam Hernandez
Josephine Bloom ..... Miriam Kretschmer /
Irem Baskale
Karl, der Riese ................ Dieter Wolf /
Martin Buchau
Amos Calloway ............. Marcus Field /
Arnim (Ernie) Schnellbaecher
Die Hexe ......................... Leni Karrer /
Giacoma Minoia
Don Price .................... Sascha Zulott /
Thomas Thibaut
Zacky Price. ...... Luis Koch / Tom Funk
Jenny Hill ........................ Emily Koch /
Larissa Staiger
Nixe ........................ Amelie Brückner /
Natalie Schleicher
Dr. Bennett ........... Alexander Schiller /
Burkhard Heidt
Fischer / Red Fang ........ Dávid Kovács /
Gregor Prust
General Patterson .... Alexander Konz /
Günter Rottler
E
dward Bloom (älter: Alexander Koch / jünger:
Matthias Ahle) ist ein reisender Handelsvertreter,
der seinem Sohn Will (Kind: Till Altmann) wunder-
bare Geschichten erzählt, in denen er selbst immer der
Held ist, eben ein ganz großer Fisch. Dabei begegnet
er fantastischen Wesen, wie zum Beispiel einer Hexe,
die ihn in der Kristallkugel seinen Tod sehen lässt.
Am Fluss, den Edward sehr liebt, trifft er eine Nixe
(Amelie Brückner) und begegnet Karl, dem Riesen
(Dieter Wolf), vor dem sich alle bis auf ihn fürchten,
denn er weiß ja, wie er sterben wird. Er rettet den Prä-
sidenten, er arbeitet im Zirkus, wo er Sandra (Linda
Dambacher) begegnet, in die er sich sofort verliebt und
die er nach vielen Anstrengungen heiratet. Doch sein
Sohn Will möchte schon als kleines Kind nichts von
alldem hören, sondern lieber, dass sein Vater ihm zum
Einschlafen ein Buch vorliest und für ihn da ist. Als
Will (Colin Weitmann) schließlich heiraten möchte
und seinen Vater bittet, bei der Hochzeit mit Josephine
(Miriam Kretschmer) keine seiner Geschichten zu er-
zählen, und dieser seiner Bitte nicht nachkommt, ent-
zweit das Vater und Sohn. Will versucht von da an,
die Geschichten seines Vaters als Fantasiegeschichten
zu widerlegen. Doch je mehr er in der Vergangenheit
gräbt, desto mehr stellen sich viele der Geschichten als
fast wahr heraus.
Als Will in den Unterlagen seines Vaters, der in-
zwischen im Krankenhaus mit der Krankheit Krebs
kämpft, einen Mietvertrag für ein Haus in Ashton
findet, glaubt er, den Vater bei einem Seitensprung er-
tappt zu haben. Er reist in den ehemaligen Wohnort
seines Vaters und trifft dort in dem Häuschen, für das
sein Vater gebürgt hat, Jenny Hill. Sie erzählt ihm nun
eine wahre Geschichte über seinen Vater Edward und
wie er sie und die Dorfbewohner vor dem Tod geret-
tet hat und so zum wirklichen Helden wurde. Voller
Reue kehrt Will nach Hause zurück, doch während
er abwesend war, hat sein Vater den Kampf gegen den
Krebs fast verloren und glaubt schon selbst nicht mehr,
dass er so sterben wird, wie es die Hexe ihm gezeigt
hat. Sein Sohn hilft ihm, damit er noch einmal den
geliebten Fluss sehen kann. Zur Beerdigung kommen
viele der Gestalten, die Will aus den Geschichten sei-
nes Vaters kennt.
Jahre später spielt Will mit seinem Sohn an dem
gleichen Fluss und nun ist es an ihm, Märchenge-
schichten zu erzählen.
Dieses wunderschöne, berührende Musical nach
dem Roman »Big Fish« von Daniel Wallace, mit der
Musik und den Liedtexten von Andrew Lippa und ei-
nem Musical-Buch von John August, wird nun auch im
Theater unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdin-
gen / Stetten (bei Stuttgart) gespielt. Dabei werden die
jazzigen, souligen oder Country-Melodien von Lippa,
die sich wunderbar mit der Geschichte verbinden, mit-
reißend von einem rund 16-köpfigen Orchester unter
Leitung von Peter Pfeiffer gespielt.
Großartig: das ganze, mehr als 30 Personen umfas-
sende Ensemble, das ein halbes Jahr das Stück neben
dem Alltagsleben erarbeitet hat. Allen voran jedoch
Alexander Koch als älterer Edward Bloom: Schauspie-
lerisch wunderbar einfühlsam gelingt ihm der Wechsel
von der realen in die Fantasiewelt. Auch Blooms jün-
geres Alter Ego – hier sind der ältere und der jüngere

22 ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019


Edward Bloom altersgerecht besetzt – Matthias Ahle
geht in seiner Rolle auf. Sohn Will, als Kind, gespielt
von Till Altmann, ist hinreißend in seiner altklugen
Art und überzeugt wie das gesamte Ensemble mit gu-
tem Gesang.
Insgesamt lässt sich das Ergebnis der monatelangen
Probenzeit des Ensembles sehen. Schnell vergisst man
beim Zuschauen, dass es sich um ein Amateurtheater
handelt, denn was da auf der Bühne passiert, wirkt
schon ziemlich professionell. Nicht nur, dass sich Riese
Karl, gespielt von Dieter Wolf, ganz lässig auf seinen
Stelzen bewegt, sondern er tanzt sogar. Denn getanzt
wird auch viel zu tollen Choreographien von Nina
Oelmann und Sara Crouch Rymer.
Doch besonders gelungen und schön sind die fan-
tasievollen Bühnenbilder (Bühnenbau: Harald Rehm
& Thomas Oberling), die dank der neuen Drehbühne
sehr wandelbar sind. Nicht nur, dass die Nixe aus dem
Orchestergraben auftaucht, ihr schillernder Schwanz
weit weg von ihr ist und sie dadurch richtig groß wirkt,
im Zirkus durch einen genialen Einfall sogar zwei Ele-
blickpunkt musical
ü 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Deutschland
fanten mitwirken – wunderschön ist auch Edwards
Heiratsantrag, bei dem sich die Bühne in ein Feld vol-
ler Narzissen verwandelt. Und dies sind nur ein paar
von vielen beeindruckenden Bildern. Sehr verdient war
der minutenlange stehende Applaus am Ende der Vor-
stellung.
Mit Einbruch der Dunkelheit wirkt die Szenerie so-
gar noch magischer, denn das Theater unter den Kup-
peln ist eine Open-Air-Bühne, bei der die Zuschauer
jedoch überdacht sitzen. Seit 1981 wird hier Musical
gespielt, das Theater gibt es schon seit den 60er Jahren,
aber den Namen »Theater unter den Kuppeln« trägt die
semiprofessionelle Bühne erst seit 1986. In der Zwi-
schenzeit kam eine dritte Kuppel dazu und in diesem
Jahr wurde der Bühnenboden runderneuert, was durch
Spenden großteils aus privater Hand finanziert wurde.
»Big Fish« ist auf jeden Fall sehr sehenswert. Zu er-
leben im Theater unter den Kuppeln bis zum 10. Au-
gust 2019, jeweils am Freitag und Samstag.
Ingrid Kernbach
Abb. unten von oben links:
1. Edward Bloom (Matthias Tränkle,
in d. bes. Vorst. Matthias Ahle) er-
zählt, dass er seinen ersten Kuss von
einer Nixe (Natalie Schleicher, in d.
bes. Vorst. Amelie Brückner) bekam
2. ›Rot-Weiß-Blau‹ – Edwards ande-
re Geschichte vom Red Fang (Dávid
Kovács), wie er General Patterson
mit einem Giftpfeil töten wollte
3. Edward (Matthias Tränkle, in d.
bes. Vorst. Matthias Ahle) rettet
Ashton vor dem Riesen
4. ›Bei der Hexe‹ – Die Hexe (Leni
Karrer) hat Edward gezeigt, wie er
sterben wird
5. ›Bekämpf den Drachen‹ –
Edward (Matthias Tränkle, in d. bes.
Vorst. Matthias Ahle) erzählt seinem
Sohn Will (Till Altmann), dass er
keinen langweiligen Bürojob haben
wollte
6. Der Baum bei der Hexe in dem
Sumpf (v.l.): Sandra Krause, Renate
Staiger, Leonie Richter, Judith Wolf
und oben Barbara Thome
Fotos (6): Theater unter den Kuppeln
23

Chansons de Paris, doch nicht nur d‘Amour
»Himmel über Paris« uraufgeführt am Theater Mönchengladbach
Abb. oben:
›Les comédiens‹ – Jacques (Philipp
Sommer, l.), Bruno (Henning
Kallweit 2.v.r.) und Jean (Ronny To-
miska, r.) versuchen, Frank (Adrian
Linke, 2.v.l.) aufzuheitern
Foto: Matthias Stutte
Himmel über Paris –
Eine musikalische Odyssee
Diverse / Lothar Kittstein
Theater Krefeld / Mönchengladbach
Theater Mönchengladbach
Uraufführung: 17. Mai 2019
Regie .......................... Matthias Gehrt
Musikalische Leitung ..... Jochen Kilian
Choreographie ............... Robert North
Kampf-Choreographie ..... Phil Bonney
Bühnenbild ............. Gabriele Trinczek
Kostüme ............................ Petra Wilke
Lichtdesign ............ Gaetan de Blecker
Video ............................... Peter Issig &
Conan Fildebrandt-Stracke
Ton ............................... Mario Piras &
Herman Rigmants
Frank .............................. Adrian Linke
Bettina ............................... Esther Keil
Juliette ................. Vera Maria Schmidt
Jacques ...................... Philipp Sommer
Jean ............................ Ronny Tomiska
Bruno ....................... Henning Kallweit
Alter Mann ............. Joachim Henschke
Fatima ......................... Carolin Schupa
ü 24
Musicals in Deutschland
U nter dem Himmel von Paris schwebt ein zärtli-
ches Lied«: Bereits Edith Piaf wusste 1957 in ih-
rem Chanson ›Sous le ciel de Paris (coule la Seine)‹,
Frankreichs Hauptstadt ins verklärte Licht zu setzen.
Paris, das ist in vielen Augen nun mal die Stadt der
Liebe(nden) und Träume(r) und vor allem der großen
Gefühle, die sich in den Chansons von Brel, Piaf, Bè-
caud und Aznavour widerspiegeln. Ein völlig anderer
»Himmel über Paris« geht jedoch derzeit im Theater
Mönchengladbach auf. Im letzten November in der
theatergemeinschaftlichen Partnerstadt Krefeld urauf-
geführt, überrascht die vom Theater eigens an den Au-
tor Lothar Kittstein gestellte Auftragsarbeit mit recht
ungewöhnlicher Betrachtungsweise auf die ansonsten
klischeebehaftete Stadt. So findet der überwiegende
Teil der Handlung eben nicht in den üblichen Kulis-
sen des touristisch beliebten Stadtzentrums, sondern
in den durch Bildprojektionen (Videogestaltung: Peter
Issig und Conan Fildebrandt-Stracke) hinreichend dar-
gestellten Banlieus – jenen heruntergekommenen, dem
Ghetto ähnlichen Vororten von Paris – statt.
Die handelnden Personen sind auch keine Roman-
tiker, sondern vom Schicksal desillusionierte Überle-
benskünstler.
Es lässt sich dabei durchaus darüber streiten, ob
»Himmel über Paris« tatsächlich als Musical zu werten
ist, und selbst Autor Lothar Kittstein würde laut einem
im Programmheft abgedruckten Interview das Stück
eher als »Schauspiel mit Musik« betiteln. Die berühm-
ten Chansons der bereits genannten französischen
Ikonen sowie die von Jochen Kilian (Musikalische Lei-
tung, Klavier) und Heinz Hox (Akkordeon) grandios
gespielten Valse Musette-Melodien typischer Pariser
Straßenmusik sind auf den ersten Blick nicht zwin-
gend handlungsrelevant – was eher musicaluntypisch
ist. Dennoch passen einige der Chansons – aus dem
Französischen übersetzt – inhaltlich durchaus zum
jeweiligen Handlungsstrang und wirken als Spiegel der
jeweiligen Gefühlswelt der Protagonisten, oftmals wie
ein ebenso unsichtbarer wie auch unverzichtbarer drit-
ter Spielpartner.
Auf »Eine musikalische Odyssee« – so der Unterti-
tel des Stücks – schickt Kittstein in der Inszenierung
von Matthias Gehrt seine beiden Hauptprotagonisten,
den stockkonservativen Windelvertreter Frank (Adrian
Link) und die nicht minder verklemmte Lehrerin Bet-
tina (Esther Keil), die der Zufall getrennt und nicht
voneinander wissend aus verschiedenen Gründen nach
Paris getrieben hat. Das Besondere dabei: Frank und
Bettina waren einst ein Ehepaar. Nun, nach gerade erst
erfolgter Scheidung, müssen sie ihren eigenen Weg fin-
den. Getrieben von Trauer über ihr – in ihren Augen –
bis dato erbärmliches Leben und erneuten Versagens-
ängsten vor der Zukunft, irren sie auf ihrem jeweiligen
Selbstfindungstrip durch das nächtliche Paris.
Hier begegnen beide einigen, bisweilen skurrilen
Charakteren und landen nach teils hanebüchenen Ent-
wicklungen in den alles andere als romantisch verklär-
ten Banlieus von Paris, wo sie im Verlauf der Handlung
nicht nur ihrer jeweiligen Illusionen beraubt, sondern
auch um manches Hab und Gut erleichtert werden.
Dennoch oder gerade deswegen machen die beiden
Hauptfiguren Frank und Bettina, vortrefflich gespielt
von Adrian Linke und Esther Keil, eine enorme Ent-
wicklung durch, in der sie lernen, in brenzligen Situa-
tionen über sich hinauszuwachsen und doch zuweilen
mit dem eigenen Scheitern umgehen zu müssen, bevor
sie am Ende der Geschichte zwar aufeinandertreffen,
jedoch endgültig nicht (mehr) zueinander finden.
Ähnlich wie im Musical »Linie 1« sind die erst
am Ende zusammenlaufenden Handlungsstränge der
Hauptprotagonisten bereits früh miteinander verwo-
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

ben. Wiederholt verpassen sich die beiden, die sich ja
eigentlich gar nicht gegenseitig suchen (oder doch?),
um Haaresbreite und treffen dadurch auch jeweils auf
die gleichen Nebenfiguren wie die beiden Taugenichtse
Jacques (Philipp Sommer) und Jean (Ronny Tomiska),
die Prostituierte Juliette (Vera Maria Schmidt), ihren
»Freund« und Zuhälter Bruno (Henning Kallweit),
den verbitterten, mit Vorurteilen gegenüber Auslän-
dern behafteten alten Mann (Joachim Henschke) so-
wie Fatima (Carolin Schupa), die zwischen muslimi-
scher Tradition und Moderne wechselnde Tochter des
berüchtigten Gangsterbosses von Paris. Auch wenn
ihre eigenen Schicksale und Hintergründe oft sehr
kurz und zum überwiegenden Teil nur oberflächlich
beleuchtet werden, tragen diese vermeintlichen Neben-
charaktere oftmals ruppig, zuweilen brutal, aber im-
mer maßgeblich zur persönlichen Weiterentwicklung
der beiden »Verirrten« Frank und Bettina bei. Jede der
Figuren wurde hier hervorragend besetzt. So ist es für
Philipp Sommer und Ronny Tomiska als Kleingano-
venduo Jacques und Jean ein Leichtes, für die komi-
schen Momente im Stück zu sorgen. Passend hierzu
singen sie dann auch gemeinsam mit Henning Kall-
weit (in der Rolle des Bruno) Charles Aznavours ›Les
Comédiens‹.
Kallweit gibt der zwielichtigen Figur des Zuhälters
Bruno einen geheimnisvollen Touch, man weiß nicht,
ob man ihm vielleicht (doch) trauen kann oder eben
nicht. In einigen Schlägereiszenen (Kampf-Choreo-
graphie: Phil Bonney) zeigt Kallweit zudem beeindru-
ckend fast schon halsbrecherischen Körpereinsatz.
Glaubhaftes Schauspiel liefert auch Vera Maria
Schmidt in der Rolle der Prostituierten Juliette, deren
an manchen Stellen kurz erwähntes persönliches
blickpunkt musical 04/19, Juli – September
ü 2019
Musicals in Deutschland
Schicksal ihre kriminellen Handlungen im Ansatz Abb. unten von oben links:
erklären lässt. Ein musikalischer Geniestreich ist ihre 1. Die französischen Chansons –
über Esther Keils hervorragenden Gesang gelegte, ge- hier dargebracht von Esther Keil und
den Musikern Jochen Kilian und
rappte Version von ›La Vie en Rose‹. Besonders beein-
Heinz Hox – spielen eine zentrale
druckt Carolin Schupa als zwischen den Traditionen Rolle
und der Moderne stehende Muslima Fatima. Ihr kur- 2. Bettina (Esther Keil, l.) muss ihr
zes Liebesintermezzo mit Frank mündet schließlich im Hab und Gut gegen Juliette (Vera
wunderschönen Duett mit Adrian Linke, ›La valse à Maria Schmidt) verteidigen
3. ›Padam‹ – Bettina (Esther Keil) ist
mille temps‹ von Jacques Brel, das zweifelsohne zu den
auf der Suche, nach dem Weg aus
musikalischen Highlights gehört. den Banlieus, aber auch zu sich
Stars des Abend gibt es eigentlich drei, denn neben selbst
den beiden Hauptfiguren brilliert wiederholt Joachim 4. ›La valse à mille temps‹ – Frank
Henschke in der Rolles des kriegsversehrten und ver- (Adrian Linke) lässt sich auf einen
bitterten alten Mannes, der mit ausländerfeindlichen Flirt mit Fatima (Carolin Schupa) ein
Fotos (4): Matthias Stutte
und auch vulgären Äußerungen stark provoziert, aber
zugleich mit den beiden gefühlvoll dargebrachten
Bècaud-Chansons ›Je t‘appartiens‹ und ›L‘important
c‘est la Rose‹ im nächsten Moment berührt.
Wie bereits erwähnt, machen die beiden Hauptfigu-
ren Frank und Bettina die größte Entwicklung durch.
Sowohl Esther Keil als auch Adrian Linke wissen, hier
schauspielerisch bestens zu überzeugen. Esther Keils
großartige Singstimme gibt den wunderbar vorgetra-
genen Piaf-Chansons ›La Vie en Rose‹ und ›Padam‹
zudem das gewisse Etwas, das man sonst neben der
Originalinterpretin nur selten auf diesem Niveau hört.
Wer französische Chansons mag, wird »Himmel
über Paris« lieben, wer auch mal einen kritischeren
Blick auf die Stadt an der Seine wagen will, ebenfalls.
Dass es sich hierbei nur bedingt um ein Musical han-
delt, ist eine Tatsache, über die man dann auch beden-
kenlos hinwegsehen kann.
Susanne Baum
25

Etwas, das bleibt
»Schwestern im Geiste« an den Mainzer Kammerspielen
Abb. oben:
»Und jeder Mensch kommt zu dem
Schluss, es ist das Buch, das jeder
lesen muss … – ›Skandalerfolg‹
von »Wuthering Heights« – Das
Ensemble von »Schwestern
im Geiste«
Foto: Musical Arts Academy
Schwestern im Geiste
Thomas Zaufke / Peter Lund
Eine Koproduktion mit der Musical
Arts Academy of the performing Arts
Mainzer Kammerspiele
Premiere: 13. Juni 2019
Regie ........................ Claudia Wehner
Musikalische Leitung ....... Rochus Paul
Choreographie ................... Chris Ertelt
Bühnenbild ......................... Otto Senn
Kostüme ........................... Beate Wölfl
Licht & Ton ........... Bernhard Bamler &
Jan Liebisch
Charlotte Brontë ................ Sarah Lena
Steinemer / Johanna Kuhlmann
Emily Brontë ...... Svenja Baumgärtner /
Liane Genenz
Anne Brontë .............. Hanna Wendel /
Michaela Bär
Branwell Brontë ..... Léonard Schindler
Arthur Bell Nicholls .... Dennis Johnson
Tabby ..................... Marion Gutierrez /
Mariele Jankowski
Bessy ..... Mignon Mangel / Julia Braun
Aydin .................... Alina Stemmerich /
Franziska Fechtig
Milly .... Carla Peters / Katrin Wildemann
Lotte Birkner .................. Cara Remke /
Inés Zatonski
ü 26
Musicals in Deutschland
U raufgeführt 2014 an der Neuköllner Oper Berlin,
erlebt Thomas Zaufkes (Musik) und Peter Lunds
(Buch, Liedtexte) Schauspiel-Musical »Schwestern im
Geiste« ein Nachspiel an den Mainzer Kammerspielen.
Die Absolventen der Mainzer Musical Academy of per-
forming Arts bringen unter Regie von Claudia Wehner
damit ein Stück auf die Bühne, das für den damali-
gen Abschlussjahrgang der Universität der Künste in
Berlin konzipiert worden ist. Das ist besonders erfreu-
lich, weil nicht vielen dieser eigens von Peter Lund für
seine Studenten geschriebenen Stücke ein Nachleben
vergönnt ist. Zu den Ausnahmen gehören »Drachen-
herz« (Theater Chemnitz) und »Grimm! Die wirklich
wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf«,
das vielfach aufgeführt wird. So feierte es 2017 auch
Premiere an den Kammerspielen.
»Schwestern im Geiste«, das sind die Schwestern
Brontë: die kühle Charlotte (Sarah Lena Steinemer),
die emotionale Rebellin Emily (Svenja Baumgärtner)
und die sanfte, zarte Anne (Hanna Wendel), die in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei ihrem exzentri-
schen Vater in einem ärmlichen Pfarrhaus in West York-
shire in England aufwachsen. Während ihrer Kindheit
erdachten sich Charlotte, die Älteste der Schwestern,
und ihr Bruder Branwell (Léonard Schindler) anhand
von Holzsoldaten, die Branwell geschenkt bekam, eine
eigene Welt mit den beiden Phantasiereichen Angria
und Gondall. Bis ins Detail wurden diese gestaltet,
auf akribisch gezeichneten Karten festgehalten und
schließlich von allen Geschwistern bespielt. Im Musi-
cal wird dieser Rückblick auf die fantastische Welt der
Kindheit als ausgelassene Kissenschlacht choreogra-
phiert (Choreographien: Chris Ertelt).
Das gesprochene und vor allem geschriebene Wort
wird insbesondere das Lieblingsspielzeug der Schwes-
tern. Alle drei beginnen damit, zu schreiben, jede der
jungen Frauen auf ihre eigene Art. Eines der geistrei-
chen Wortkonstruktionen im Liedtext von Peter Lund
lautet: »Ein Wort ist, was bleibt durch alle Zeit. Raum
ist auch Raum ohne mich. Wort ist der Raum, der mir
bleibt, der mich niemals verlässt […] Wort gäb‘ es nicht
ohne mich, denn das Wort bin ich.« Doch Verleger,
denen Charlotte die Proben ihrer Geschichten schickt,
erkennen im besten Fall ihr Talent an, verweisen sie
aber auf ihre Rolle als Frau, die ihr Engagement für
ihren zukünftigen Ehemann aufsparen sollte. Auch
Bruder Branwell weiß, dass die Mädchen klüger sind
als er, aber auch, dass Männer intelligente Frauen nicht
mögen. Gleichwohl verehren ihn die Schwestern, allen
voran Emily, die den Bruder, wie es sich im Musical
darstellt, möglicherweise sogar liebt. Während Char-
lotte mit den beiden Angestellten Bessy (Mignon Man-
gel) und Tabby (Marion Gutierrez) das Haus besorgt,
wird der Bruder Hauslehrer. Auch Anne findet im
gleichen Haus eine Stellung als Gouvernante, leidet je-
doch unter der Arroganz der Herrenkinder. Ihre Stelle
verliert sie aber wegen des ungebührlichen Verhaltens
von Branwell, der ein Schürzenjäger ist. Inzwischen
spricht im Pfarrhaus der neue Hilfspfarrer Arthur Bell
Nicholls (Dennis Johnson) vor, der durchblicken lässt,
dass der Vater eine Verbindung befürworten würde,
und sogleich beginnt, Charlotte den Hof zu machen.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

Höflich, aber bestimmt weist diese ihn immer wieder
zurück, doch er gibt nicht auf. Anne sucht schüchtern
seine Nähe, doch er nimmt sie nicht wahr.
Charlotte ist die erste, die ihren Roman »Jane Eyre«
unter einem männlichen Pseudonym veröffentlicht
und prompt verlegt wird. »Ich stell mich dem Kampf
und steh meinen Mann« (Finale Akt 1). Gleiches for-
dert sie auch von ihren Schwestern. Wehner visualisiert
das in ihrer Inszenierung mit einem kämpferischen
Tanz in Hosen (Kostüme: Beate Wölfl), die die Frauen
sich wie Schürzen über ihre Kleider binden. Auf Char-
lottes Drängen hin veröffentlicht Emily zögernd ihr ge-
liebtes Manuskript von »Wuthering Heights« und löst
damit einen Skandal aus. Zuletzt erscheint auch die
romantische Geschichte »Agnes Grey« von Anne. Na-
türlich sind die neuen Bücher auf dem Markt, seitdem
Branwell wieder zu Hause ist, auch ein Streitthema im
Pfarrhaus. Irgendwann kommt der Bruder hinter das
Geheimnis der Schwestern und verbietet ihnen weitere
Veröffentlichungen. Er selbst bringt nichts zustande,
sondern lebt in den Tag hinein und ruiniert mit Alko-
hol sowie Opium seine Gesundheit und stirbt an einer
Krankheit, die zuvor nicht erkannt wurde. Léonard
Schindler beweist Countertenor-Qualitäten, während
er als charmanter Geck Branwell mit dem Dienstper-
sonal schäkert, vor allem mit der frechen Tabby (mit
komödiantischem Talent: Marion Gutierrez), welche
auf einen Klassenaufstieg hofft. Emily vermag auch
die geliebte Natur, die ihr sonst so am Herzen liegt
(›Sturm auf der Heide‹), nicht über den Tod des ge-
liebten Bruders hinweg zu trösten. Im Musical hört sie
zu essen auf, und stirbt einen selbstbestimmten Tod.
(Historisch war es wohl eine Lungenentzündung, die
blickpunktü musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Deutschland
ihr Ableben herbeiführte). Ihr folgt die Jüngste der Abb. unten von oben links:
Schwestern, die an Tuberkulose stirbt, die Anne schon 1. »Ich brauche den Wald und ver-
viele Jahre geschwächt hat. Charlotte bleibt allein zu- botene Wege, nur euch Menschen,
die brauche ich nicht!« – Emily
rück. Als Hilfspfarrer Nicholls erneut um ihre Hand
(Svenja Baumgärtner) mit dem
anhält, nimmt sie die Werbung an. Es ist die einzige Ensemble
Möglichkeit, der Armut oder dem verhassten Leben als 2. Charlotte (Sarah Lena Steinemer, l.)
Gouvernante zu entkommen. Auch Charlotte Brontë rügt die malende Emily (Svenja
wurde keine 40 Jahre alt, sondern starb ein knappes Baumgärtner, r.) wegen ihres
undamenhaften Verhaltens
Jahr nach der Heirat an den Folgen eines massiven
3. Der charmante Taugenichts Bran-
Schwangerschaftserbrechens. well (Léonard Schindler, Mitte) mit
Thomas Zaufkes melodische Musik, die Motive aus den beiden Hausangestelten Tabby
der englischen und schottischen Folkmusik aufnimmt (Marion Gutierrez, l.) und Bessy
und mit elegischen und dramatischen Momenten kom- (Mignon Mangel, r.)
Fotos (3): Musical Arts Academy
biniert, bettet Peter Lunds Worte wirkungsvoll ein.
»Schwestern im Geiste« ist ein anspruchsvolles, geist-
reiches und vielschichtiges Stück für ältere Jugendliche
und Erwachsene, das dieses Gesellschaftsbild des 19.
Jahrhunderts intelligent mit einer zweiten Erzählebene
in der Gegenwart verknüpft. Im Unterricht einer mul-
tikulturellen Abiturklasse wird die Frage aufgewor-
fen: »Wen interessiert das heute noch?« Die engagierte
Lehrerin Lotte Birkner (Cara Remke) versucht, ihren
Schülern zu vermitteln, dass die Romane und das Le-
ben der schreibenden Schwestern Brontë ihnen auch
heute noch etwas zu sagen haben. Dabei gerät sie mit
der kratzbürstigen Milly (Carla Peters) aneinander,
die sich ihr verweigert und erklärt: »Das ist doch total
von gestern.« Hinter dieser Maske verbirgt sich jedoch
viel Verletzliches. Dass Birkner sich zu ihrer Schüle-
rin hingezogen fühlt, macht sie zwar empathisch, ist
ihr aber keine Hilfe, da diese ihr nicht vertraut. Doch
dann scheint Milly die Gefühle zu erwidern (Duett:
›Endlich egal‹).
27

Abb. oben von links:
1. ›Angria / Wenn Branwell kämpft‹
– Im Land der Fantasie (v.l.):
Charlotte (Sarah Lena Steinemer),
Branwell (Léonard Schindler), Anne
(Hanna Wendel), Emily (Svenja
Baumgärtner)
2. ›Ich stell mich dem Kampf. Ich
steh‘ meinen Mann‹ – (v.l.): Anne
(Hanna Wendel), Charlotte (Sarah
Lena Steinemer), Emily (Svenja
Baumgärtner)
3. Emily (Svenja Baumgärtner, r.) er-
lebt entsetzt, wie Branwell (Léonard
Schindler, Mitte) Charlotte (Sarah
Lena Steinemer), mit Anne (Hanna
Wendel), verbietet, ihr Manuskript
zu veröffentlichen, und die Hand
gegen sie erhebt
4. Die Herrschaft hat ihn
abgewiesen, da machen Bessy
(Mignon Mangel, l.) und vorallem
Tabby (Marion Gutierrez, 2.v.l.)
Arthur Bell Nicholls (Dennis
Johnson, r.) schöne Augen
Fotos (4): Musical Arts Academy
ü 28
Musicals in Deutschland
Insgesamt zeichnen sich alle jungen Absolventen
durch guten Gesang und Bühnenpräsenz aus. Doch
Baumgärtner als Emily und insbesondere Peters als
ungeliebte, illusionslose, hochbegabte Milly (bewe-
gend: ›Erzähl mir nichts‹, mit einer die Stimmung
unterstreichenden Choreographie fürs Ensemble von
Chris Ertelt) stechen mit ihrem starken, authentischen
Schauspiel heraus. Die Inszenierung setzt die mutige
Emily Brontë mit der kompromisslosen Milly – durch
die Zeit hindurch – auch äußerlich in Beziehung. Bei-
de tragen die Farbe Rot. Die idealistische, aber ver-
nünftige Charlotte, die sich über Äußerlichkeiten lus-
tig macht und keine Ambitionen hat zu heiraten, aber
gerne eine Schule gegründet hätte, trägt wie die Leh-
rerin Lotte Birkner Blau-Schwarz-Kariert. Während
Charlotte, die glaubt, ihr sei egal, was andere denken,
sich schlussendlich der Konvention beugt und heiratet,
muss Frau Birkner das nicht, dennoch ist sie nicht ein-
fach frei, ihre Gefühle zu zeigen. Das Pendant zu Anne
ist die junge Türkin Aydin (Alina Stemmerich). Sie
ist fleißig, strebsam und fasziniert von dem Werk der
Brontë-Schwestern. Die Farbe Grün wiederholt sich
bei Aydin in ihrem Kopftuch. Ihre Betrachtungsweise
der Historie ist durch ihre streng gläubige Erziehung
als Muslima geprägt. So kritisiert sie vehement, dass
der Vater seine Töchter nicht verheiratet hat, um sie ab-
zusichern. Sie selbst ist seit der Kindheit einem Cousin
in Bursa versprochen, den sie nicht kennt. Sie sieht kei-
nen Vorteil in der freien Wahl eines Mannes. Trotzdem
hofft sie natürlich auf seine Liebe. Als sie jedoch kurz
vor ihrem Abitur in der Türkei verheiratet werden soll,
bittet die Lehrerin ihre beste Schülerin, sich dagegen
zu wehren. Zunächst ist ihre Antwort: »Das ist kein
Zwang, das ist Familie.« Zum Schluss darf sie dennoch
ihr Abitur machen, der Cousin ist einsichtiger als ihr
Vater, der ihren Wunsch abgelehnt hatte. Doch was
kommt dann? Aydin ist entschlossen, ihre Freiheit, so-
weit es möglich ist, auszuloten – getreu Annes Worten:
»Tu‘s mit ganzem Herzen und tu‘s für dich selbst. Was
du entscheidest, das ist dein Buch.«
Die Mainzer Inszenierung setzt die jungen Darstel-
ler wirkungsvoll in Szene, ohne dafür ein großes Büh-
nenbild zu benötigen. Das gut ausgeleuchtete Set von
Otto Senn erinnert an einen antiken Versammlungs-
platz mit einem dreigeteilten Podest vor drehbaren
Wandteilen in Steinoptik – bei Emilys ›Sturm auf der
Heide‹ werden diese gedreht und zeigen den Himmel
mit weißen Wolken.
»Schwestern im Geiste« ist ein Frauen-Stück, den-
noch gibt Dennis Johnson als Hilfspfarrer Nicholls
eine gute Figur ab. Sich vor Verlegenheit windend, übt
er seine Werbung um Charlotte, um auch nach mehre-
ren »Körben« nicht aufzugeben. Am Schluss ergreift er
die Gelegenheit, Charlotte zu retten und ihr ein ehrba-
res Leben zu bieten. Dabei macht er der von ihm ver-
ehrten klugen und schönen Frau klar, dass ihr Leben
an seiner Seite Regeln unterliegt. Obwohl er sie liebt,
sieht er nicht gerne, dass sie schreibt.
Die musikalische Zeitreise zu den Schwestern
Brontë lässt einen nachdenklich zurück: Etwas »mit
ganzem Herzen tun« reicht hier nicht. Emily zerbricht
an ihrem Freiheitsdrang, Anne an unerwiderter Liebe
und ihrer schwachen Konstitution, Charlotte muss ih-
ren Traum, Schriftstellerin zu sein, aufgeben. Ist heute
alles wirklich so viel einfacher? In mancher Hinsicht
sicherlich, denn eine Frau kann heute Schriftstellerin
sein und eine Familie haben. In anderer nicht: Aydin
ist mit der türkischen Tradition konfrontiert, Milly
illusionslos, was ihre Zukunft betrifft.
Der Besuch in den Mainzer Kammerspielen ist
lohnenswert – nicht nur, aber auch für Schulklassen.
Ende September und Ende Oktober gibt es in verein-
zelten Vorstellungen noch einmal Gelegenheit dazu,
»Schwestern im Geiste« zu sehen.
Barbara Kern
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

Stationen einer Künstlerehe
»Die letzten fünf Jahre« in Zwickau
J amie ist fort und er kommt nicht zurück … Und ich
steh‘ weinend da.« – Das Ende der Ehe von Cathy
und Jamie ist gleichzeitig der Anfang von Jason Ro-
bert Browns »Die letzten fünf Jahre«. 2001 feierte das
Kammermusical für zwei Personen, mit dem der Autor
seine eigene erste Ehe verarbeitete, Uraufführung in
Chicago. 2005 folgte die Deutschlandpremiere (deut-
sche Fassung von Wolfgang Adenberg) in Wuppertal,
2014 wurde das Stück mit Anna Kendrick und Jeremy
Jordan in den Hauptrollen verfilmt. Nun ist es als Pro-
duktion des Theaters Plauen-Zwickau im Alten Gaso-
meter Zwickau zu sehen.
Der Reiz des Stückes liegt in zwei Dingen: Erstens
in den vierzehn Liedern, die die Handlung transpor-
tieren, miteinander verwoben sind und gesprochene
Dialoge fast vollständig ersetzen. Zweitens in der
diametralen Erzählweise – während Jamie die Bezie-
hungsgeschichte chronologisch von Beginn an berich-
tet, blickt Cathy zurück auf die gemeinsamen fünf
Jahre. So leben und erzählen die Figuren aneinander
vorbei, sie treffen sich nur einmal bei der Hochzeit.
Die Umsetzung erfordert Fingerspitzengefühl,
Facettenreichtum und Klarheit von Regie, Darstellern
und Musikern, damit die verschiedenen Emotionen
das Publikum erreichen und die Zuschauer nicht den
Faden verlieren auf der Reise durch die fünfjährige
Beziehung von Cathy und Jamie. All das kann die
Zwickauer Produktion aufbieten.
Ira Theofanidis überzeugt in der Rolle der Cathy
sowohl gesanglich als auch schauspielerisch auf ganzer
Linie. Facettenreich spiegelt sie die gesamte emotio-
nale Bandbreite der Rolle wider und nutzt jedes Solo
aus, um ihrer Figur durch verschiedene Nuancen noch
mehr Tiefe zu verleihen. Sebastian Seitz als Jamie hat
es schwer, da mitzuhalten, zumal ihm die Rolle im
ersten Teil nicht viel mehr erlaubt, als der charmante
und verliebte Autor zu sein. Doch im zweiten Teil der
Geschichte, nach der Hochzeit, zeigt auch er, dass
mehr in ihm und seiner Figur steckt. Gesanglich wird
er im Verlauf der Handlung immer stärker und nutzt
schließlich auch seine Soli emotional voll aus. Hervor-
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Deutschland
zuheben ist seine Interpretation der verschiedenen Cas-
ting-Directoren bei Cathys Auditions, denen Seitz mit
Abb. oben von links:
1. Jamie (Sebastian Seitz) und Cathy
(Ira Theofanidis) verliebt und glück-
sichtlicher Spielfreude Profil verleiht – Erinnerungen
lich an ihrem Hochzeitstag – dem
an den ein oder anderen berühmten Poptitanen sind
einzigen Tag, an dem sich Erzähl-
dabei natürlich rein zufällig. stränge und Figuren begegnen
Oliver Oparas Ausstattung ist schlicht, aber prak- 2. Nach fünf Jahren Beziehung
tisch. Wenige Kostümwechsel in moderner Kleidung scheint es aus zu sein. Jamie
reichen aus, um das Beziehungsgeschehen abzubilden. (Sebastian Seitz) startet einen
letzten Versuch, sich mit Cathy
Das Bühnenbild ist in Grau gehalten und kann mit
(Ira Theofanidis) zu versöhnen
zwei Türen, einer Art Schiebevorhang und wenigen Fotos (2): Sermon Fortapelsson
mobilen Requisiten den Innenraum einer Wohnung
ebenso abbilden wie die Geschehnisse auf einer Presse-
konferenz, einer Lesung, einer Autofahrt oder in New
York. Über dem gesamten oberen Bühnenrand hängen
Schwarz-Weiß-Bilder, welche die wichtigsten Statio-
nen der Beziehung zeigen. Während eines Songs wird
jeweils ein Bild beleuchtet. Dies erleichtert es dem Zu-
schauer, der Handlung zu folgen.
Die fünfköpfige Band (Violine, Cello, Bass, Gitarre)
unter der musikalischen Leitung von Mark Johnston am
Klavier ist rechts vor der Bühne platziert, gut sichtbar
für die Zuschauer. So kann man nicht nur Johnstons
einfühlsames Dirigat und das hohe Niveau der Musiker
bewundern, sondern direkte und gewollte Interaktionen
zwischen Band und Darstellern werden möglich.
Die Inszenierung geht insgesamt recht flüssig über
die Bühne, wenngleich manche Umbau-/Umziehpau-
sen doch etwas zu lang dauern und leider auch nicht
immer durch Musik überbrückt werden. Die letzten fünf Jahre
Jason Robert Brown
Nadine Aßmann, selbst Musicaldarstellerin, gibt
Deutsch von Wolfgang Adenberg
mit dieser Inszenierung ein gelungenes Regie-Debüt
Theater Plauen-Zwickau
mit Herzblut, Leidenschaft und erfrischenden Einfäl- Alter Gasometer Zwickau – Malsaal
len wie einem übergroßen Wattekopf für Seitz, wenn Premiere: 9. Mai 2019
seine Figur sich mal wieder in der Traumwelt »Jamie- Regie &
land« befindet. Choreographie .......... Nadine Aßmann
»Die letzten fünf Jahre« in Zwickau berührt, lädt Musikalische Leitung .... Mark Johnston
Ausstattung .................... Oliver Opara
zum Mitlachen, Mitweinen und Mitfühlen ein und Licht .......................... Stephan Schürer
macht Lust auf weitere Inszenierungen der Nach- Ton ................................ André Martin
wuchsregisseurin. Catherine (Cathy)
Hiatt............................. Ira Theofanidis
Jamie Wellersteen ....... Sebastian Seitz
Lisa-Maria Mehrkens
ü 29

Goldjunge findet Haare in der Hölle
Uraufführung von »Der Teufel mit den drei goldenen Haaren«
beim Brüder Grimm Festival Kassel
Abb. oben von links:
1. Großmutter (Annabelle Mierzwa)
stiehlt dem Teufel (Adrian Kroneber-
ger) im Schlaf drei goldene Haare
2. Anstatt Kopf kürzer, Ring am Fin-
ger: Königin (Inga Jamry, l.) und Kö-
nig (Daniele Nonnis, 2.v.l.) denken
sich eine höllisch schwere Aufgabe
aus, um Prinzessin Mirabell (Ana
Ramirez, 2.v.r.) von Georg (Kevin
Thiel, r.) zu trennen
Fotos (2): Stephan Drewianka
Der Teufel mit den
drei goldenen Haaren
Diverse / Michael Fajgel
Brüder Grimm Festival Kassel
Seebühne im Park Schönfeld
Uraufführung: 4. Juli 2019
Regie ............ Rüdiger Canalis Wandel
Musikalische Leitung ....... Harry Stingl
Musikalische Einstudierung &
Chorarrangement ....... Yevgeniya Scott
Choreographie ................ Tanja Krauth
Bühnenbild ..................... Oliver Doerr
Kostüme ............. Riet Hannah Bernard
Königin / Müllerin .............. Inga Jamry
Räuberin / Bäuerin / Teufels
Großmutter .......... Annabelle Mierzwa
Prinzessin Mirabell ......... Ana Ramirez
Priester / Diener Archibald /
Schmied .................... Michael Chadim
Räuber / Soldat /
Teufel ................... Adrian Kroneberger
König Justus der Unersättliche /
Räuber ....................... Daniele Nonnis
Müllers Sohn / Prinz Georg
(Schorsch) ......................... Kevin Thiel
Müller / Baron Willibald /
Fährmann ............. Thomas Wissmann
30
Musicals in Deutschland
D ie Brüder Grimm schrieben 1813 in Kassel rund
40 Märchen auf der Grundlage der Erzählungen
der ansässigen Bäuerin Dorothea Viehmann nieder.
Seit 2008 ehrt das Brüder Grimm Festival Kassel die-
se Märchen durch moderne Variationen mit Musik.
Auf der Insel Siebenbergen in der Karlsaue folgte auf
»Cinderella« und »Schneewittchen und die Piraten der
7 Berge« schließlich »Lost – Hänsel und Gretel«. 2012
musste der Verein von der Blumeninsel weichen und
fand für zwei Jahre im Botanischen Garten im Park
Schönfeld eine Übergangsspielstätte mit den Stücken
»Rapunzel – Ein haarsträubendes Musical« und »Rot-
käppchen und der Wolf«. Durch Förderer der Stadt
Kassel konnte 2014 die Seebühne im Park Schönfeld,
ein schwimmendes Open-Air-Theater vor einer Zu-
schauertribüne mit fast 400 Plätzen, mit »Rumpel-
stilzchen im Rausch des Goldes« eingeweiht werden.
Es folgten »Die Bremer Stadtmusikanten«, »Der gestie-
felte Kater«, »Das tapfere Schneiderlein« und »Die zer-
tanzten Schuhe« (vgl. www.unitedmusicals.de). Kreati-
ver Kopf der Märchen-Musicals ist Michael Fajgel vom
TiC Theater im Centrum, das für seine witzigen Kom-
pilationmusicals, passend zu einer Musikrichtung wie
Swing, Rock oder Jazz, berühmt ist. Zwar wurde für
einige Stücke auch komplett neue Musik komponiert,
meistens werden aber bekannte Songs passend in die
Fabel-hafte Geschichte mit neuen, frechen, deutschen
Texten integriert.
Vom 4. Juli bis zum 11. August 2019 spielt sieben-
mal wöchentlich das aktuelle Märchen-Musical »Der
Teufel mit den drei goldenen Haaren« von Michael
Fajgel (Buch, Übersetzung der Liedtexte) auf der in
diesem Jahr auf drei schwimmenden Plattformen ver-
größerten Seebühne im Park Schönfeld.
Der mit goldener Haut geborene Georg wird nach
einer Prophezeiung die Tochter des Königs heiraten,
was König Justus der Unersättliche verhindern will,
indem er den Jungen in einem Korb auf dem See aus-
setzt. An seinem 18. Geburtstag erfährt dieser von sei-
ner Bestimmung und zieht in die Welt hinaus. Dort
trifft er den König, der ihm erneut nach dem Leben
trachtet und mit einem verhängnisvollen Brief zu sei-
ner Königin schickt. Räuber entwenden ihm jedoch
die Nachricht und ersetzen den Tötungs- durch einen
Heiratsbefehl. Als der König heimkehrt, ist er außer
sich vor Zorn und überredet Georg zum Beweis seiner
Liebe, drei goldene Haare des Teufels zu besorgen. In
der Hölle trifft er auf die Großmutter des Teufels, die
der charmante Junge mit Komplimenten um den Fin-
ger wickelt, um seine Aufgabe zu lösen ...
13 Pop-und Rocksongs begleiten Georg auf seiner
Abenteuerreise zum Glück, die von einer 4-köpfigen
Band unter der Leitung von Harry Stingl flott aus der
schwimmenden Mühle heraus live gespielt werden.
Ein Hoch auf die humorvolle Übersetzung bekann-
ter Songs, die die Zuschauer schmunzeln lassen. Aus
›A Hard Days Night‹ von »The Beatles« wird: ›Ich bin
es leid‹, ›Der Tag fing gut an‹ war einmal ›I Want to
Break Free‹ von »Queen«, »Foreigner«s ›I Wanna Know
What Love Is‹ wird zu ›Bin gewiss‹, Stings ›Englishman
in New York‹ wird zum ›Kind mit der goldnen Haut‹,
der Bootsmann zur Hölle schreibt ›Boat on a River‹
von »Styx« zum ›Fährensong‹ um und »Queen«s ›Kil-
ler Queen‹ mutiert mit der Choreographie von Tanja
Krauth zu ›Ich hab‘n kleinen Spleen‹. Riet Hannah
Bernard steckt die Darsteller in sehenswerte Kostüme
in allen Primärfarben. Unter der Regie von Rüdiger
Canalis Wandel gibt Inga Jamry neben der besorgten
Müllerin die sexhungrige, vernachlässigte Königin,
Annabelle Mierzwa überzeugt neben einer gutmütigen
Räuberin und verzweifelten Bäuerin insbesondere als
hilfsbereite Großmutter des Teufels, Ana Ramirez weiß
als Prinzessin Mirabell Dating-Apps bei der Prinzen-
wahl zu schätzen, Michael Chadim ist ein beschwipster
Priester, überarbeiteter Diener und ratloser Schmied,
Adrian Kroneberger verdingt sich als Räuber, Soldat
und Teufel, Daniele Nonnis ist dritter Räuber in der
Bande und König Justus, dem seine Unersättlichkeit
auf der Fähre zur Hölle zum Verhängnis wird. Kevin
Thiel spielt frohgemut den Goldjungen mit Prophe-
zeiung und Thomas Wissmann ist Müller, mystischer
Fährmann und verschmähter Prinzessinnen-fast-Bräu-
tigam Baron Willibald.
Bei den passenden Zugaben ›Highway to Hell‹ von
»AC/DC« und ›Wahnsinn‹ von Wolfgang Petry singen
die gut unterhaltenen Zuschauer nach zwei kurzweili-
gen Märchenstunden lauthals mit – wenn das die Brü-
der Grimm und Dorothea Viehmann hören könnten!
Stephan Drewianka
üblickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

Die noch immer lustige Suche nach dem
Heiligen Gral »Monty Python‘s Spamalot« als Open Air in Trier
S eit »Monty Python and the Holy Grail« 1975 in
die Kinos kam, mit in den Hauptrollen die Monty-
Python-Truppe – Graham Chapman, John Cleese,
Eric Idle, Terry Gilliam, Terry Jones und Michael
Palin –, ist die Popularität nicht abgerissen, und der
Film gilt als Meisterwerk des britischen Humors. Der
Erfolg hält auch auf den Bühnen der Welt an, seit Eric
Idle aus dem Drehbuch 2004 das Broadway-Musical
»Spamalot« schuf.
Karlheinz Freynik schrieb 2009 die erste deutsche
Übersetzung, als das Musical unter dem Titel »Monty
Python‘s Spamalot« nach Köln kam. In der Zwischen-
zeit wurde das Buch von Daniel Große Boymann über-
arbeitet, und diese neue Fassung wird dem britischen
Humor noch gerechter.
Im Theater Trier entschied man sich dieses Jahr
dazu, erstmals das Stück als Open-Air zu spielen. Der
Quadrathof des Priesterseminars in der Jesuitenstraße
bot sich an. Hier ist eine Tribüne errichtet worden,
welche 650 Zuschauern Platz bietet. Der Ton klingt
inmitten der Häuserfassaden gut. Nur vor dem Regen
kann man die Besucher nicht mit einer Überdachung
schützen, sodass im schlimmsten Fall die Ausweich-
möglichkeit ins nahe Theater bleibt.
Den Bühnenbereich umringen die Konturen einer
Burg, mit zwei seitlichen Türmen, auf dem sich am
Anfang zwei Wachposten streiten, ob eine Schwalbe
die Kokosnuss, welche Diener Patsy (Michael Hiller)
zum Imitieren der Huf-Geräusche von Pferden be-
nutzt, aus einem tropischen Land mit nach England
hätte bringen können. Vor der Bühne selbst hängt ein
Vorhang, der zugezogen den reibungslosen Verlauf der
Umbauten gewährt. Das Orchester spielt in zwei ge-
trennten und überdachten Häuschen im Hintergrund,
was etwas stört. Ein durchsichtiger Vorhang hätte ihre
Anwesenheit leicht verstecken können.
Ein Historiker (Paul Behrens) blickt auf das Jahr
932 zurück, in dem König Artus (Gideon Rapp) zu-
sammen mit seinem Diener Patsy auf der Suche nach
mutigen Rittern für seine Tafelrunde ist. Nach und
nach können sie ein paar tapfere Männer für sich
gewinnen: Sir Robin (Martin Geisen), Sir Lancelot
blickpunkt musical 04/19, Juliü– September 2019
Musicals in Deutschland
(Benjamin Schardt), Sir Dennis Galahad (Dimetrio-
Giovanni Rupp) und Sir Bedevere (Klaus-Michael Nix).
Die Fee aus dem See (Stephanie Theiß) kommt
Artus zu Hilfe und verwandelt den hässlichen Dennis
in einen adretten Ritter. Von Gott wird den Rittern
befohlen, den Heiligen Gral zu suchen. Nach der
Durchquerung aller Kontinente kommen sie zu einem
Schloss, das von Franzosen bewohnt wird. Erneut wer-
den sie verhöhnt, mit einer Kuh beschossen und von
Marcel Marceau und Cancan-tanzenden Mädchen mit
Baguettes und Camembert vertrieben. Artus und Patsy
treffen die Ritter, die »Ni« sagen, besorgen diesen ein
Gebüsch und müssen schließlich ein Broadway-Musi-
cal aufführen. Auch den Schwarzen Ritter (Dimetrio-
Giovanni Rupp) kann Artus unschädlich machen.
Lancelot rettet den schwulen Prinz Herbert (Robin
Jentys), ehe endlich der Gral gefunden wird. Auf
Schloss Camelot kann alsdann gefeiert werden und
eine Doppelhochzeit stattfinden – Artus und die Fee
aus dem See, die eigentlich Guinevere heißt, und
Lancelot und Herbert.
Regisseur François Camus inszeniert hier sein erstes
Musical. Irgendwie macht sich diese Unerfahrenheit in
dem Genre bemerkbar, denn die eine oder andere Sze-
ne ist zu lang geraten, sodass der Rhythmus etwas lei-
det, wie in der Inszenierung des Musicals-im-Musical
oder beim ersten Eintreffen in Camelot, das als Spiel-
hölle dargestellt wird.
Gideon Rapp spielt den Artus mit dem nötigen
Ernst und kann auch stimmlich gefallen. Michael Hil-
ler als Diener Patsy darf den Evergreen aus dem Film
»Life of Brian« singen, ›Always Look on the Bright Side
of Life‹, der zum Teil auf Englisch gesungen wird.
Stephanie Theiß forciert teils unnötigerweise ihre
Stimme, sodass ihre Fee an Natürlichkeit verliert. Ro-
bin Jentys überrascht dagegen unter anderem als noch-
nicht-toter Fred, Nonne oder schwuler Prinz Herbert.
Das spielfreudige Ensemble erhebt »Monty Python‘s
Spamalot« in Trier zu einem überdurchschnittlichen
Vergnügen.
Christian Spielmann
Abb. oben von links:
1. Hochzeit auf Camelot – (vorne
v.l.): Sir Lancelot (Benjamin Schardt)
und Prinz Herbert (Robin Jentys),
König Artus (Gideon Rapp) und die
Fee aus dem See (Stephanie Theiß),
Patsy (Michael Hiller) trägt Sir Robin
(Martin Geisen) auf dem Arm und
Sir Galahad (Dimetrio-Giovanni
Rupp) ist erfreut, mit Ensemble
2. König Artus (Gideon Rapp)
kämpft mit dem Schwarzen Ritter
(Dimetrio-Giovanni Rupp)
Fotos (2): Marco Piecuch
Monty Python‘s Spamalot
John Du Prez / Eric Idle
Deutsch von Daniel Große Boymann
Theater Trier
Freilicht-Quadrathof des
bischöflichen Priesterseminars
Premiere: 9. Juni 2019
Regie ......................... François Camus
Musik. Leitung ............ Angela Händel
Arrangements ............ Niclas Ramdohr
Choreographie ............. Joe Monaghan
Bühnenbild ............. Dietmar Teßmann
Kostüme ................... Yvonne Wallitzer
König Artus .................... Gideon Rapp
Patsy / Herberts Vater ...... Michael Hiller
Sir Robin / Wache ........ Martin Geisen
Sir Lancelot / Wache / Ritterfürst
vom Ni ................... Benjamin Schardt
Sir Dennis Galahad / Schwarzer
Ritter ............ Dimetrio-Giovanni Rupp
Sir Bedevere / Galahads
Mutter..................... Klaus-Michael Nix
Fee aus dem See ........ Stephanie Theiß
Historiker / Wache / Bruder
Maynard ........................ Paul Behrens
Noch-nicht-toter Fred /
Prinz Herbert .................. Robin Jentys
Concorde / Tim,
der Zauberer ....................... Paul Hess
Stimme Gottes ............... Paul Trappen
In weiteren Rollen:
Angelo d‘Aiello, Elisa Marschall,
Damien Nazabal, Beatrice Panero,
Alessio Pirrone, Brooke Squire,
Hana Szychowicz
31
 Musicals in Deutschland

Neues aus Deutschland

zusammengestellt von Stefan Schön und der Redaktion

»Musical Backwards« – das erste Mal in

Deutschland
Musicalgrößen der deutschen Theaterszene, das
Schmidt Theater Hamburg und das Transparence
Theatre kreieren ein besonderes und erstmals
in Deutschland stattfindendes Musicalspekta-
kel, das am 23. September 2019 im Hambur-
ger Schmidt Theater zur Aufführung kommen
wird. Das Transparence Theatre (#TPT) ist
das weltweit erste professionelle Ensemble,
das in den Bereichen Theater, Oper und Tanz
arbeitet und sich auf Ensembles konzentriert,
die eine professionelle Transgender-Besetzung
unterstützen. Schirmherrin ist seit Januar 2019
die Hamburger Senatorin und zweite Bürger-
meisterin Katharina Fegebank, die die Arbeit
von Transparence Theatre unterstützt.
Transparence Theatre, unter Regie von Kolja
Schallenberg (Theaterregisseur & Artistic Asso-
ciate Director bei AIDA Entertainment, Pro- Angelika Milster Kolja Schallenberg
duzent des erfolgreichen »Bee Gees«-Musicals Foto: Daniel Reinhold, ZIMT STUDIO Hamburg Foto: Hendrik Volkmann
»Massachusetts« und kürzliche Premiere mit
dem Tanztheaterstück »Transparencia« in Lü-
neburg) produziert den Abend und wird von
Katharina Fegebank, die ebenfalls an diesem
Abend anwesend sein wird, unterstützt. Kolja
Schallenberg meint: »Es kann sein, dass eine
Seele sich nicht immer wohl fühlt in ihrem Kör-
per. Ich denke, dass ich mich als eher kopflasti-
ger Mensch gut einfühlen kann in die speziellen
Bedürfnisse anderer Menschen.«
Was das musicalbegeisterte Publikum bei »Mu-
sical Backwards« erwartet: »(m)usicals (w)ohl-
tuend (d)ivers« wird der Abend im Programm
des Hamburger Schmidt Theaters untertitelt.
Das Theater bietet den Akteuren mit diesem in
Deutschland neuen Format eine Bühne für ein
einmaliges Benefizkonzert.
Tarzan eine Frau? Mary Poppins ein Mann? In
»Wicked« keine Hexen, sondern berauschen-
de Zauberer? Wenn die Musicalwelt Kopf
steht, dann hat das Ganze nun einen Namen: Alexander Klaws
Foto: Marcel Schaar
»Broadway Backwards!« Angekündigt sind
»herausragende Darsteller*innen und Namen
der deutschen Musicalszene«: Angelika Milster troffenen tun: 2012 begann das Trans-Kinder- Trans* bezeichnet das Abweichen der ge-
mit ihrer großen und raumfüllenden Stimme, Netz als Elterninitiative, um anderen Eltern von schlechtlichen Selbstwahrnehmung bzw. der
Marion Campbell, die wunderbare Oda Mae trans*Kindern und trans*Jugendlichen samt de- geschlechtlichen Selbstzuordnung von dem bei
aus »Ghost«, Nadja Scheiwiller (»Flashdance«), ren Angehörigen – natürlich auch den Kindern der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Die Be-
Léon van Leeuwenberg (»Der Medicus«) und der und Jugendlichen selbst – einen Austausch zu stimmung der Geschlechtszugehörigkeit kann
vielseitige Alexander Klaws, der sich in der Szene ermöglichen und mit Informationen zur Seite zu nur über die Selbstbeschreibung erfolgen.
einen Namen gemacht hat, singen in vertausch- stehen. Seit Februar 2014 ist es ein eingetrage- Die Vielfalt des Musicalgenres unterstützt die
ten (Geschlechter-)Rollen für den guten Zweck ner Verein, der neben der Beratung auch gesell- Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft.
und zugunsten des Trans-Kinder-Netz e.V. schaftliche Aufklärungsarbeit leistet und deren Am 23. September 2019, um 19.30 Uhr, im
(Trakine e.V.) und der Deutschen Gesellschaft Bestreben es ist, trans*Kindern ein glückliches Hamburger Schmidt Theater. Durch den Abend
für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.). Leben frei von Stigmatisierung, Diskriminie- führen Kim Fisher und Brix Schaumburg, der
Die Freude und Vielschichtigkeit des Musicals rung und Ausgrenzung zu ermöglichen und ih- derzeit einzige offizielle Transgender-Darsteller.
ist der Aufhänger des Abends, dennoch ist vor nen das Gefühl zu geben, ernst- und angenom-
allem spannend, was die Vereine für die Be- men, geliebt und wertvoll zu sein.

32 ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019


Erstes internationales Musical-Symposium
in Wunsiedel
Zu den Perspektiven des Musicals unter der
Frage: »Zukunft des Theaters oder Ausverkauf
der Kultur?« findet vom 16. bis 18. August im
Rahmen der Luisenburg-Festspiele das erste in-
ternationale Symposium über das Musicalschaf-
fen statt.
Auf dem Podium sprechen nationale und inter-
nationale Gäste aus sieben Nationen (Italien,
Großbritannien, Tschechische Republik, Nor-
wegen, Deutschland und den USA).
Im Rahmen von Referaten und Talkrunden sind
die Gäste eingeladen, sich auszutauschen und
über die Produktionsbedingungen in ihrem je-
weiligen Land zu berichten.
Ziel ist es, der Musicalszene und dem Publikum
entscheidende Impulse zu vermitteln.
Die Teilnahmegebühr beträgt 250,- €, für Mit-
glieder der Deutschen Musical Akademie sind es
125,- €.
Geplante Programmpunkte:
Dr. Wolfgang Jansen (UdK Berlin) wird über
»Musical: Morgen-Heute-Gestern« sprechen.
Jörg Gade (Intendant des Theater für Nieder-
sachsen) erklärt: »So funktioniert Musical im
deutschsprachigen Theater«.
Ryan Scott Oliver (Komponist) aus den USA
spricht über »Querdenken und Erfolg« im Ge-
spräch mit Lisanne Wiegand (Übersetzerin).
Albert Guinovart (Pianist/Komponist) aus Spa-
nien äußert sich im Gespräch mit Hartmut H.
Forche (Übersetzer) zu »Kommerz und freie Sze-
ne – großes und kleines Format«.
Alessio Imberti (Produzent) aus Italien spricht
über »Musical: Import Export – Italien und der
Rest der Welt«, KS Lewkowicz (Komponist) und
Judith Johnson (Autorin) aus Großbritannien
erklären »Vom Text zur Bühne – Stückentwick-
lung von Musicals in England«.
Andrea Pier (Executive Producer Berlin / Mün-
chen / Tour, Stage Entertainment) geht ins
Gespräch mit Cusch Jung (Chefregisseur der
Musikalischen Kommödie Leipzig) über »Musi-
cal: Kunst VS Kommerz«, es schließt sich eine
Eingang zur Luisenburg
Foto: Luisenburg-Festspiele/ © Florian Miedl
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Deutschland
Podiumsdiskussion mit den internationalen Gäs-
ten an, moderiert von Lisanne Wiegand (Drama-
turgin am Staatstheater Wiesbaden, Übersetzerin).
Birgit Simmler (Autorin, Regisseurin, künstleri-
sche Leiterin der Luisenburg-Festspiele) äußert
sich zu »Musical in Wunsiedel – Autorenwerk-
statt für einen Festspielort«.
Ondřej Soukup (Komponist) aus der Tschechi-
schen Republik spricht über »Konditionen der
Musical-Szene und Musicals«.
Øystein Wiik (Sänger, Librettist) und Gisle
Kverndokk (Komponist) thematisieren »Akzep-
tanz und neue Wege des Musicals«.
Zum Abschluss moderiert Dr. Wolfgang Jansen
eine Runde Deutscher Theatermacher mit der
Frage: »Musical: Was geht?« mit Andrea Pier,
Birgit Simmler, Cusch Jung, Jörg Gade, Peter
Christian Feigel (1. koord. Kapellmeister / Su-
pervisor Musical Staatsoperette Dresden), Frank
Nimsgern (Komponist).
Zum Programm gehört ein Besuch am ersten
Tag bei der Uraufführung von »Zucker« (Mu-
sik & Liedtexte: Graham Brown, Buch: Birgit
Simmler, Übersetzung: Lisanne Wiegand).
Das Programm ist in Deutscher und Englischer
Sprache auf www.luisenburg-aktuell.de verfügbar.
Musical in der Werkstatistik 2017/18
Der Deutsche Bühnenverein hat seine Werk-
statistik für die Spielzeit 2017/18 veröffent-
licht. Erneut nahm unter den großen deutschen
Longrunproduktionen nur »Starlight Express«
teil. Anders als die Vereinigten Bühnen Wien
meldete die Stage Entertainment erneut keine
Daten zu Aufführungs- und Besucherzahlen an
den Bühnenverein. Auch fehlen die im Musical-
bereich wichtigen privaten Tourneeveranstalter
und Freilichtbühnen fast vollständig, sodass
diese Werkstatistik erneut fast ausschließlich
das Repertoire der öffentlichen Theater abbildet.
Die Anzahl der Uraufführungen im Musikthea-
ter (alle Bereiche) sind sehr gering: 47 Urauffüh-
rungen bei 1.222 Inszenierungen (3,85%), die
nur 2,61% der 6.668.194 gemeldeten Zuschauer
ausmachten.
ü 33
Während unter den Inszenierungszahlen im
Musiktheater insgesamt die Oper das vorherr-
schende Genre bleibt (866 Inszenierungen =
70,87% / 3.869.862 Zuschauer = 58,03%),
wurden die 242 Musicalinszenierungen (19,8%)
überproportional viel besucht und verzeichneten
33,28% der Zuschauer (2.219.497).
Die Musical-Uraufführung mit den höchsten
Aufführungszahlen ist in Deutschland das Fred-
die-Mercury-Musical »Show Must Go On« mit
81 Vorstellungen und für den ganzen deutsch-
sprachigen Raum »I Am From Austria« mit 248
Vorstellungen. Die höchsten Zuschauerzahlen
melden bei den Musical-Uraufführungen »Das
Dschungelbuch« von Paul Graham Brown und
Birgit Simmler mit 52.529, »Dornröschen« von
Christian Schäfer und Jochen Vahle mit 47.203
und »Herz aus Gold« von Stephan Kanyar mit
33.955.
Unter »Beliebteste Komponisten mit den höchs-
ten Aufführungszahlen« in Deutschland sind
Andrew Lloyd Webber (Platz 3 - 5584), Martin
Lingnau (Platz 4 - 5235) und Heiko Wohlge-
muth (Platz 7 – 312) – der Redaktion von blick-
punkt musical ist Heiko Wohlgemuth allerdings
nur als Autor und Liedtexter, jedoch nicht als
Komponist bekannt.
Bei den »höchsten Zuschauerzahlen« über alle
Theatersparten hat Andrew Lloyd Webber Platz 3
(528.552), gefolgt von Martin Lingnau (Platz 6–
209.6727) und Frederick Loewe (Platz 10 –
145.765).
Bei den höchsten Inszenierungszahlen unter den
Musiktheaterproduktionen werden als Musical
nur »My Fair Lady« auf Platz 5 mit 17 und der
Grenzgänger »Im weißen Rössl« auf Platz 10 mit
11 Inszenierungen genannt.
Die Musiktheaterwerke mit den höchsten ge-
meldeten Aufführungszahlen in Deutschland
sind »Starlight Express« von Andrew Lloyd
Webber mit 361 (Platz 1) und »Heiße Ecke«
mit 312 (Platz 2) von Martin Lingnau. Platz
5 belegt mit 179 »Im weißen Rössl« von Ral-
ph Benatzky, Platz 6 mit 166 »My Fair Lady«
von Frederick Loewe, 7 mit 157 »Cabaret« von
John Kander, 12 mit 123 »Jekyll & Hyde« von
Frank Wildhorn, 14 mit 110 »Jesus Christ Su-
perstar« von Andrew Lloyd Webber, 15 mit
108 »Hairspray« von Marc Shaiman, 16 mit
107 »Cindy Reller« von Martin Lingnau sowie
Heiko Wohlgemuth und 18 mit 104 »Monty
Python‘s Spamalot« von John Du Prez, Eric
Idle und Neil Innes. Im gesamten deutsch-
sprachigen Raum kommen noch dazu: »Tanz
der Vampire« von Jim Steinman mit 254 und
»I Am From Austria« von Rainhard Fendrich
mit 248.
Die höchsten Zuschauerzahlen verzeichnen
auf den ersten Plätzen »Starlight Express« mit
406.493, »My Fair Lady« mit 145.765, »Heiße
Ecke« mit 142.530, »Jesus Christ Superstar« auf
Platz 13 mit 71.855 und »West Side Story« auf
Platz 17 von 20 mit 67.683.
Die gesamte Werkstatistik ist in Buchform beim
Deutschen Bühnenverein erhältlich.
 Musicals in Deutschland

»Dear Evan Hansen« – Buch zum Musical

Das Musical »Dear Evan Hansen« von Benj
Pasek und Justin Paul (Musik und Liedtexte)
sowie Steven Levenson (Buch) feierte im De-
zember 2016 im Music Box Theatre am Broad-
way Premiere. Ab November 2019 ist das preis-
gekrönte Musical (Tony Award 2017, Grammy
Award 2018) bis März 2020 im Noël Coward
Theatre in London zu sehen.
Vom Musical zum Roman: Die Deutsche Erst-
ausgabe des Romans »Dear Evan Hansen« über-
setzte Catrin Fischer aus dem US-Amerikani-
schen. Val Emmich verfasste gemeinsam mit
Steven Levenson, Benj Pasek und Justin Paul das
Buch über Selbstfindung, das Erwachsenwerden
und Familie. Mit diesem Roman legt der Autor,
Singer-Songwriter, Schauspieler Val Emmich
sein erstes Jugendbuch vor. Steven Levenson
verfasste bereits das mit einem Tony Award aus-
gezeichnete Drehbuch für das Musical. Das mit
Tony, Oscar und Grammy ausgezeichnete Song-
writer-Team Benj Pasek und Justin Paul wurde
mit den Kinofilmen »La La Land«, »Trolls« und
vor allem »The Greatest Showman« bekannt. Im
Mittelpunkt der Geschichte steht der einsame
Außenseiter Evan Hansen. Durch ein Missver-
ständnis erscheint Evan Hansen in den Augen
seiner Mitschüler als engster Freund eines toten
Klassenkameraden, wodurch er ins Zentrum der
Aufmerksamkeit rückt und sogar vom Mädchen
seiner Träume, Connors Schwester, wahrgenom-
men wird. Der Grund für dieses Missverständnis
ist ein Brief, der nie für die Augen Fremder be-
stimmt war. Obwohl Evan weiß, dass er falsch
handelt, hat er plötzlich die Aufgabe, Connors
Andenken zu wahren und die Hintergründe
seines Todes herauszufinden. Dafür muss Evan Patricia Meeden und Mark Seibert
Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen
weiter vorgeben, Connor Murphy habe sich vor
seinem Selbstmord nur ihm anvertraut.
Der Roman erscheint am 2. September 2019 im »Pretty Woman« ab September 2019 in Das Musical »Pretty Woman« basiert auf dem
Verlag cbj Jugendbuch. Hamburg gleichnamigen Film aus dem Jahr 1990. Im März
Flirten und Gefühle – links und rechts der Elbe: 2014 wurde bekannt gegeben, dass eine musi-
»Musical Revolution« in Frankfurt am Main Kiez und leichte Damen auf der einen Seite der kalische Adaption des Films für die Bühne mit
Mit Superlative kündigt Off-Musical »Das Mu- Elbe – auf der anderen Elbseite, im Theater an dem Originaldrehbuchautor Lawton und dem
sical Event des Jahres!« für den 17. November der Elbe, wird »Pretty Woman – Das Musical« Regisseur Marshall entwickelt wurde. Im folgen-
2019 in der Jahrhunderthalle Frankfurt am am 29. September 2019 seine Europapremiere den Jahr sicherte sich Marshall die Rechte an der
Main an. Die neuen Musicals aus West End und feiern. Produktion. Obwohl dieser im Juli 2016 verstarb,
Broadway sollen in dieser Gala auf die Bühne Die Show kommt als dritte Hamburg-Premiere setzte die Produzentin Paula Wagner die Arbeit an
kommen. Die Interpreten sind beliebte Musical- des Konzerns in diesem Jahr nun direkt als deut- dem Musical fort. Bryan Adams und Jim Vallance
darsteller aus ganz Deutschland. sche Version und ohne Umwege vom Broadway schrieben 21 Songs für »Pretty Woman – The Mu-
Mit den Highlights aus »Hamilton«, »Dear nach Hamburg und Europa. Die Kompositio- sical«. Am 26. September 2017 wurde die Welt-
Evan Hansen«, »Book of Mormon«, »Waitress«, nen stammen aus der Feder von Grammy-Ge- premiere im Oriental Theatre in Chicago ange-
»Come From Away«, »Once«, »Finding Never- winner Bryan Adams und seinem Co-Autor Jim kündigt, mit dem erwarteten Broadway-Transfer
land«, »Mean Girls«, »Memphis«, »Fun Home« Vallance. im Herbst 2018. Seit der Premiere am 16. August
und anderen werden u. a. zu hören sein: Sabri- Sie beschreiben ihre Musik als vielschichtig mit 2018 wird die Liebesgeschichte nun allabendlich
na Weckerlin (»Die Päpstin«), Philipp Büttner Elementen aus Jazz, großen Orchesterballaden, auch am Broadway in New York erzählt.
(»Aladdin«), Mathias Edenborn (»Liebe stirbt Tango Elementen und Rock. Der Stilistik der Am 29. September 2019 ist es auch in Europa
nie«), Raphael Groß (»Tanz der Vampire«), 1980er Jahre soll Ausdruck verliehen werden soweit.
Judith Caspari (»Anastasia«), Lisa Antoni und die Musik soll Spaß und Freude verbreiten. Patricia Meeden wird in die Rolle der Vivian
(»Matterhorn«), Andreas Bongard (»Die fabel- Als Bryan Adams die Freigabe zur deutschen Ward schlüpfen. Als erfolgreicher Geschäfts-
hafte Welt der Amélie«). Außerdem gibt es ein Übersetzung erteilen sollte, spielte er Teile der mann Edward Lewis wird Mark Seibert auf der
großes Ensemble und ein Live-Orchester. Die Show auf der Gitarre nach und sagte: »Wow! Bühne stehen. Die neu für die Musicalversion
Moderation übernehmen die Musical-Youtuber Not bad.« Bei der Pressekonferenz sprach er den geschaffenene Rolle »Happyman« wird gespielt
der »Red Curtain Show«. Übersetzern der deutschen Version ein großes von Paul Kribbe.
Mehr auf: www.offmusical.de Kompliment aus. Regie führt Gerry Mitchell (»Kinky Boots«).

34 ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

 Musicals in Deutschland

(v.l.): Jets Mitglieder Anybodys (Ezra Menas), Mouthpiece (Ben Cook), Action (Sean Harrison Jones), Jets Leader Riff (Mike Faist), Baby John (Patrick
Higgins), Tony (Ansel Elgort) und Maria (Rachel Zegler), Marias Bruder und Sharks Leader Bernardo (David Alvarez), und Sharks Mitglieder Quique
(Julius Anthony Rubio), Chago (Ricardo Zayas), Chino (Josh Andrés Rivera), Braulio (Sebastian Serra) und Pipo (Carlos Sánchez Falú)
Foto: © 20th Century Fox

Erstes Foto zu Steven Spielbergs »West
Side Story«
Casting Director Cindy Tolan schaute sich mehr
als 30.000 Künstler an und machte es damit zu
Spielbergs größtem Casting seit »Schindlers Liste«
1993. Für über 50 neue Cast-Mitglieder ist
»West Side Story« ihr Filmdebüt.
Neben den oben abgebildeten Darstellern zählen
zur weiteren Besetzung: Ariana DeBose (Anita),
Ana Isabelle (Rosalia), Corey Stoll (Lieutenant
Schrank), Brian d’Arcy James (Officer Krupke),
Curtiss Cook (Abe) und Oscar Gewinnerin Rita
Moreno, die Valentina spielt und auch als eine
der Ausführenden Produzenten verantwortlich
zeichnet. Die Musical-Verfilmung wird produ-
ziert und inszeniert von Steven Spielberg nach
dem Skript des Oscar-nominierten Drehbuch-
und Bühnenautors und Pulitzer Preis-Gewin-
ners Tony Kushner.
Der Film wurde von dem Original Broadway
Musical von Leonard Bernstein, Stephen Sond-
heim, Arthur Laurents von 1957 für die Lein-
wand adaptiert. Tony Award Gewinner Justin
Peck zeichnet für die Choreographie und die
Musical-Nummern des neuen Films verant-
wortlich. Dirigent Gustavo Dudamel ist Teil
des Film-Musikteams und David Newman
(»Anastasia«) arrangiert den Score der neuen
Adaption. Komponistin Jeanine Tesori (»Fun
Home«, »Thoroughly Modern Millie«) wird mit
dem Cast an den Songs arbeiten und Musik Su-
pervisor Matt Sullivan (»Beauty and the Beast«,
»Chicago«) fungiert als ausführender Musik-
Produzent. »West Side Story« wird von The Walt
Disney Studios am 17. Dezember 2020 bundes-
weit in die Kinos gebracht.

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ü

Die absolute Frau
Deutschsprachige Erstaufführung von »Carmen« beim Musicalsommer Winzendorf
Abb. oben:
Garcia (Lucius Wolter) teilt seine
Carmen (Ana Milva Gomes, i. d.
bes. Vorst. Sarah Zippusch) mit
keinem und verfügt über sie mit
strenger Hand
Foto: MSW © Philipp Bernhard
Carmen
Frank Wildhorn / Jack Murphy /
Norman Allen
Deutsch von Thomas Borchert
Musicalsommer Winzendorf
Steinbruch
Deutschsprachige Erstaufführung:
27. Juni 2019
Regie ............................. Erik Petersen
Musikalische Leitung ....... Lior Kretzer
Arrangements ............... Koen Schoots
Choreographie ............ Sabine Arthold
Artistik, Reit- & Stunt-
Choreographie ...... Esther Schneider &
Josef Schützenhofer
Ausstattung ............. Anja Lichtenegger
Maske ............................ Jutta Pokorny
Lichtdesign ................... Stephanie Erb
Sounddesign ....................... Malte Raff
Carmen .................... Sarah Zippusch /
Ana Milva Gomes
Katarina ................... Kathrin Schreier /
Sarah Zippusch
José .................................. Oliver Arno
Tante Inéz /
Wahrsagerin..................... Sandra Pires
Garcia ........................... Lucius Wolter
Zuniga ....................... Martin Pasching
Mayor Mendozá ........... Nik Raspotnik
Inmar .............................. Kilian Berger
Barker ............................. Florian Klein
In weiteren Rollen:
Michelle Bergé, Karen Danger,
Diego Federico, Elvis Grezda,
Johannes Pinke, Nicole Klünsner,
Kathrin Schreier, Bianca Stocker,
Larissa Winkel, Anna Zagler
ü 36
Musicals in Österreich
O pulent und rasant erlebt Frank Wildhorns Mu-
sical »Carmen« am 27. Juni 2019 seine deutsch-
sprachige Erstaufführung im niederösterreichischen
Winzendorf. Die Festspiele bleiben ihrem Motto treu
und vereinen auf hohem Niveau Spektakel, packende
Musik und eine spannende Handlung. Und so sorgen
Akrobatik, Feuer und tierische Darsteller neben dem
Cast, der junge Talente und bekannte Stars vereint, für
erinnerungswürdige WOW-Momente bei den restlos
begeisterten Zuschauern.
Die Handlung der Show ist nicht neu und basiert
auf der 1847 erschienenen, gleichnamigen Novelle
des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée.
Neben der bekannten Oper von George Bizet gibt es
zahlreiche andere Adaptionen, beispielsweise fürs Bal-
lett. Komponist Frank Wildhorn erschuf das Musical,
das 2008 seine Uraufführung im tschechischen Prag
erlebte und seitdem auch im südkoreanischen Seoul,
dem japanischen Tokio und Litauen zu sehen war: José
(Oliver Arno) hat scheinbar die Liebe seines Lebens
gefunden. Der pflichtbewusste Polizist will die junge
Katarina (Kathrin Schreier), die Tochter des charis-
matischen Mayor Mendozá (Nik Raspotnik), heiraten.
Die Verlobung wird groß gefeiert, mit vielen Verwand-
ten, berauschender Musik und einem reichhaltigen
Buffet. Doch während die Feier noch im vollen Gange
ist, folgt José dem Gesang einer Wahrsagerin (Sandra
Pires). Wie Odysseus in der griechischen Mythologie
vom Klang der Sirenen angezogen wird, so kann auch
er dem inneren Drang, den lieblichen Tönen (›Das
Schicksalsrad‹) zu folgen, kaum etwas entgegensetzen.
Der Gesetzestreue findet sich auf dem Jahrmarkt wie-
der, wo die feurige Carmen (Sarah Zippusch) sofort
seine Aufmerksamkeit auf sich zieht (›Die absolute
Frau‹). Anfangs schafft er es noch, ihr zu widerstehen,
und kehrt zu seiner künftigen Braut Katarina zurück.
Doch er kann Carmen nicht vergessen. Auch der ja-
nusköpfige Polizeichef Zuniga (Martin Pasching) hat
ein Auge auf Carmen geworfen und will sie besitzen.
Im Strudel der Rivalität um die feurige Spanierin wird
Zuniga von Garcia (Lucius Wolter), dem Anführer ih-
rer Zirkustruppe, erschossen. Die Handlung spitzt sich
zu, da José fälschlicherweise für den Täter gehalten
wird. Inzwischen hat auch Carmen ihre Gefühle für
ihn entdeckt. Erst als die betrogene Katarina und Josés
neue Liebe Carmen sich verbünden (›Liebesnarr‹), ge-
lingt es den beiden, den wahren Täter zu überführen.
Doch für Carmen ist es zu spät. Als Garcia versucht,
José zu ermorden, stirbt an Stelle des jungen Polizisten
die selbstbewusste Frau. Erst dieser Schritt erfüllt aber
ihren Traum: Ihre Seele ist nun frei und unabhängig.
Mit einem bewegenden Solo (›Wär ich frei‹) wird das
Finale eingeläutet.
Es ist die dritte Saison für den Musicalsommer
Winzendorf und das Projekt soll verlängert werden.
Besondere Stücke sind es, die hier zur Aufführung
kommen. Die Direktion möchte unterhaltsame Stücke
auf hohem Niveau zeigen, die aber auch einen Show-
charakter haben. In den vergangenen Jahren zog erst
»Zorro« gegen seinen Widersacher und anschließend
zogen »3 Musketiere« im Kampf gegen Kardinal Ri-
chelieu unter der Intendanz von Marika Lichter durch
die Kulisse vor dem alten Steinbruch, wo sonst auch im
Rahmen der Karl-May-Festspiele Cowboys und India-
ner auf der Bühne stehen. Von Jahr zu Jahr finden sich
immer mehr Stars in dem Cast der Festspiele. Auch
der Sound im riesigen, mit gemütlichen Kinosesseln
bestuhlten und überdachten Zuschauerraum hat sich
im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich ver-
bessert. Ventilatoren sorgen bei Hitze für Abkühlung.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
 Musicals in Österreich

Im Hintergrund der Bühne wurde eine Leinwand ein-
gezogen, die dazu beiträgt, dass Stimmungen und Ta-
geszeiten der Handlung sowie verschiedene Orte bes-
ser dargestellt werden können. Leider ist dadurch aber
auch immer weniger vom Steinbruch zu sehen.
Erneut konnte Musicalikone Ana Milva Gomes
für den Musicalsommer gewonnen werden. Schon die
unvollständige Liste ihrer bisherigen Engagements
sprengt nahezu das Programmheft und ist fast so groß
wie ihr Stimmumfang. In diesem Jahr fügte sie dieser
Liste die Rolle der Carmen hinzu. Die Premiere konnte
sie krankheitsbedingt nicht spielen – einen Tag zuvor
war sie wegen der Hitze nach einer Virusinfektion wäh-
Rainhard-Fendrich-Musical »I Am From Austria« im
Wiener Raimund Theater zu sehen war, gab mit seiner
Darstellung des jungen José sein Debüt in Winzendorf.
Gefangen zwischen der traditionellen Beziehung mit
Katarina und der unkonventionellen Liebe zu Carmen,
wird in seinem Spiel die innere Zerrissenheit des jun-
gen Mannes für jeden sichtbar. Die langjährige Erfah-
rung des österreichischen Sunnyboys der Musicalbüh-
nen zeigte sich einmal mehr, als es um die kurzfristige
»Umbesetzung« der Carmen für den Premierenabend
ging. Das Zusammenspiel zwischen José und Carmen
war feurig und rasant bis zur letzten Minute. Sandra
Pires, die in der Doppelrolle Tante Inéz/Wahrsagerin
Abb. unten von oben links:
1. Carmen (Ana Milva Gomes,
i. d. bes. Vorst. Sarah Zippusch)
entwickelt Gefühle für José (Oliver
Arno). Werden die beiden zueinan-
der finden?
2. José (Oliver Arno) kann Carmen
nicht vergessen und ist zwischen ihr
und seiner Verlobten Katarina hin-
und hergerissen
3. ›Der Schlüssel‹ – Tante Inéz (San-
dra Pires) fordert von ihrem Bruder
(Nik Raspotnik) den Schlüssel für
Katarinas Zimmer
Fotos (3): MSW © Philipp Bernhard

rend einer der letzten Proben zusammengebrochen –
und so schlüpfte die Zweitbesetzung, die 25-jährige
Sarah Zippusch, am ersten Abend in die Rolle der
heißen Tänzerin. Am Ende der rund dreistündigen
Inszenierung erntete sie verdient Standing Ovations
und zahlreiche Blumensträuße vom Publikum, war
sie doch der anspruchsvollen Aufgabe mehr als gerecht
geworden. Ihre klare, kräftige Stimme verlieh Carmen
bei Songs wie ›Viva‹ eine Autorität und Leichtigkeit zu-
gleich, die Zippusch durch ihre akkuraten Körperbe-
wegungen unterstrich. Geschickt verdreht die Femme
fatale mit ihren Reizen und dem feurigen Tanz allen
Männern den Kopf. Aber besitzen darf sie keiner. Den
Freiheitsdrang der selbstbewussten Carmen bringt
Zippusch durch ihr frisches und freches Spiel gekonnt
auf die Bühne. Dennoch gelang es ihr auch in ruhigen
Momenten, die richtige Sanftmut zu finden. An ihrer
Seite war bei der Premiere Kollege Oliver Arno. Der
österreichische Musicaldarsteller, welcher zuletzt im
zu sehen war, zog das Publikum mit ihrem Spielwitz
als Schwester des Bürgermeisters und schwarzes Schaf
der Familie sowie mit ihrer beeindruckenden Stim-
me in ihren Bann. Ihre Wandelbarkeit ermöglichte
es ihr, beiden Rollen einen jeweils unverwechselbaren
und einzigartigen Charakter zu geben. Die weiteren
männlichen Solisten Nik Raspotnik als Mayor Men-
dozá, Lucius Wolter als Garcia und Martin Pasching
als Zuniga, die ebenfalls erstmals beim Musicalsom-
mer in Winzendorf spielen, tragen zum hohen Niveau
der Show bei. Allen drei gelingt es auf ihre Weise, den
Bösewicht-Charakter zu verkörpern und ihrem Verlan-
gen, Carmen besitzen zu wollen, Ausdruck zu geben.
Martin Pasching ist kurzfristig für den erkrankten
Ramin Dustdar, der ursprünglich für die Rolle des Zuniga
vorgesehen war, eingesprungen.
Auch das Ensemble ist hochwertig besetzt. Stachen
einige Charaktere in den vergangenen Spielzeiten
immer wieder heraus, ist es Regisseur Erik Petersen

blickpunkt musical 04/19, Juli

ü – September 2019 37

Abb. unten von oben links:
1. Beim großen Showdown stehen
sich die Rivalen Garcia (Lucius
Wolter, Mitte) und José (Oliver
Arno, r.) Auge in Auge gegenüber
2. Jongleur (Josef Schützenhofer,
Mitte) und Tuchartistin (Esther
Schneider vorne) in Aktion, sie
bereichern die Show
3. Tante Inéz (Sandra Pirez, r.)
erklärt ihrer Nichte Katarina (Sarah
Zippusch, i. d. bes. Vorst. Kathrin
Schreier) mit ›Mach‘s ihm leichter‹
humorvoll die Wünsche der Männer
4. Zuniga (Martin Pasching) will
die zügellose Carmen (Ana Milva
Gomes, i. d. bes. Vorst. Sarah
Zippusch) in ihre Schranken weisen
und sie besitzen
Fotos (4): MSW © Philipp Bernhard
38
Musicals in Österreich
nun gelungen, eine Einheit zu formen und sie mit
dem Hauptcast und den Akrobaten zu verschmelzen.
Petersen gelingt es, seine Darsteller und Statisten auf
der riesigen Bühne gut zu platzieren. Effektvoll setzt
er die Highlights der großen Ensemblenummern mit
Feuer, Pferden und Akrobatik um (Artistik, Reit- &
Stunt-Choreographie: Esther Schneider & Josef Schüt-
zenhofer). Innerhalb von wenigen Sekunden bevölkern
Feuerschlucker, Jongleure und Akrobaten den großen
Schauplatz. Die Bühne im Winzendorfer Steinbruch
verfügt nicht nur über Gassen für Auf- und Abgän-
ge: auch durch ein Tor in der Bühnenmitte oder über
eine Brücke können Auftritte erfolgen. Tuchartisten
scheinen an ihren Stoffbahnen zu schweben, eine Vol-
tigiererin turnt auf ihrem schön geschmückten Pferd.
Die Darsteller werden in das Lichtdesign von Stepha-
nie Erb integriert und agieren mit mobilen Scheinwer-
fern, lenken damit den Fokus auf das Wesentliche.
Aber auch intime Momente in Katarinas Zimmer
oder in der Kirche setzt Petersen auf der riesigen ki-
noartigen Bühne gekonnt in Szene und lenkt die Bli-
cke der Zuschauer. Die hochwertigen Kostüme (Anja
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Lichtenegger) entführen vollends in das Milieu einer
Zirkus-Burlesque-Show.
Allen zusammen gelingt es, das Stück als eine Ein-
heit fließen zu lassen, denn Frank Wildhorns Musical
ist ein Feuerwerk der Sinne. Es ist nicht durchkom-
poniert, aber die kurzen Dialoge – die präzise gespielt
werden müssen – lassen Platz zum Innehalten, bevor
es mit dem nächsten Song weiter geht. »Carmen« ist
geprägt von schwungvollen spanischen Rhythmen.
Aber auch die für den US-Komponisten Wildhorn ty-
pischen Balladen und Duette finden sich im Repertoire
des Stücks wieder. Die Partitur, in der sich opernhaf-
te Opulenz und filmreife Gefühle mischen, bietet die
beste Vorlage, um sich fallen zu lassen und ganz in der
Handlung zu versinken. Der musikalische Leiter Lior
Kretzer hat das Musical für sein auf der Bühne sitzen-
des Orchester arrangiert und präsentiert einen satten,
mitreißenden Sommersound. Es dürfte sich nur noch
um eine Frage der Zeit handeln, bis Komponisten extra
für Winzendorf schreiben und dort die erste Urauffüh-
rung zu erleben ist.
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ü

Eine Schachmeisterschaft voller Gefühle
»Chess« in Concert am Landestheater Linz
Abb. oben:
Das Ensemble von »Chess« am
Landestheater Linz
Foto: Sakher Almonem
Chess
Benny Andersson / Björn Ulvaeus /
Tim Rice
Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von Kevin Schroeder
Halbszenische Aufführung
Landestheater Linz
Musiktheater – Großer Saal
Premiere: 8. Juni 2019
Regie .............................. Petra Jagušić
Musikalische Leitung .... Tom Bitterlich
Chorleitung ...................... Elena Pierini
Choreographie ............ Lynsey Thurgar
Kostüme ................. Richard Stockinger
Lichtdesign ............ Michael Grundner
Anatoly Sergievsky .... Christian Fröhlich
Freddy Trumper ............ Gernot Romic
Florence Vassy ............... Anaïs Lueken
Arbiter ................ Ariana Schirasi-Fard
Svetlana Sergievskaya .... Hanna Kastner
Alexander Molokov ................. Darian
Anderson Worrell
Walter de Courcey .................... Rafael
Helbig-Kostka
In weiteren Rollen:
Bianca Bauer, Pablo Delgado, Domen
Fajfar, Rafael Groß, Marie Hufnagel,
Mateusz Krzysiak, Wei-Ken Liao,
Christof Messner, Marlene
Miesenberger, Lynsay Thurgar
Chor des Landestheaters Linz
40
Musicals in Österreich
A m Landestheater Linz wurde als letzte Musical-
premiere der Spielzeit 2018/2019 das im deutsch-
sprachigen Raum selten gespielte Musical »Chess« von
den »ABBA«-Machern Benny Andersson und Björn
Ulvaeus (Musik), mit Liedtexten von Tim Rice auf-
geführt. Das Stück wurde in halbszenischer, konzer-
tanter Form, mit Orchester und Chor auf der Bühne,
unter der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich
präsentiert. Die deutschen Dialoge stammen von
Kevin Schroeder, die Lieder wurden im englischen
Original gesungen und das ist wirklich gut so, denn
diese Lieder sind zum Teil weltberühmt und sollten
nicht übersetzt werden.
Das Stück erzählt von den Dramen hinter den Ku-
lissen eines Schachturniers in den 1980er Jahren. Im
Mittelpunkt stehen die beiden Schachweltmeister, der
Amerikaner Freddy Trumper und der Russe Anatoly
Sergievsky. Neben dem Konkurrenzkampf der beiden
steht auch eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt des
Geschehens. Florence Vassy, die eigentlich mit Freddy
Trumper zusammen ist, hat zeitgleich eine Affäre mit
seinem Gegner, bis eines Tages dessen Ehefrau auf-
taucht. Ein weiterer Aspekt ist die Geschichte von
Florence Vassy, die nach Spuren ihres angeblich ver-
storbenen Vaters sucht. Eine spannende, dramatische
Geschichte in Kombination mit fantastischen Liedern.
Zu den Songs gehören Titel wie ›One Night in
Bangkok‹ und das berühmte Frauen-Duett ›I Know
Him So Well‹. Letzteres wurde mit den Stars Elaine
Paige und Barbara Dickson des Original Konzeptal-
bums aus dem Jahre 1984 berühmt. Zu den weiteren
Highlights gehören ›Anthem‹, eine starke, hymnische
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Ballade, oder das energiegeladene ›Nobody‘s Side‹.
Außerdem dabei ist die wunderschöne Ballade ›So-
meone Else‘s Story‹, die eigentlich für Judy Kuhn, die
damals die Florence Vassy spielte, geschrieben wurde,
aber inzwischen, wie auch in dieser Inszenierung, von
Svetlana gesungen wird.
Die Musik besteht aus 80er-Pop-/Rockklängen wie
etwa bei ›Florence Quits‹, ›Nobody‘s Side‹, Discoklän-
gen bei ›One Night in Bangkok‹ und gefühlsvollen
Balladen, wie etwa ›Anthem‹ oder ›Heaven Help My
Heart‹. Für »ABBA«-Fans gibt es musikalisch hier si-
cherlich eine neue Seite von den beiden Herren zu
entdecken, aber eigentlich ist es auch nicht verwunder-
lich, denn dieses Stück ist ja auch viele Jahre nach der
Bandzeit mit »ABBA« entstanden. Was »ABBA« und
die Musik aus »Chess« gemeinsam haben, ist die Tat-
sache, dass die Musik berührt und leicht ins Ohr geht.
In dieser halbszenischen Inszenierung von Petra
Jagušić wird die Geschichte mit Hilfe des Bruckner
Orchesters auf der Bühne, dem Chor des Landesthea-
ters und einer Reihe von fantastischen Solisten erzählt.
In die Rolle des Freddy Trumper schlüpft Gernot Ro-
mic, der vor allem bei der bewegenden Ballade ›Pity
the Child‹ punktet und im Lauf des Abends beweist,
dass er nicht allein darstellerisch und stimmlich glänzt,
sondern auch ein fantastischer Tänzer ist. In der Rolle
der Florence Vassy ist Anaïs Lueken zu sehen. Sie be-
geistert mit kraftvoller, ausdrucksstarker Stimme. Ihr
›Nobody‘s Side‹, das berühmte Lied der Florence Vassy,
gehört zu den absoluten Höhepunkten des Abends.
Ebenso begeistert sie mit ruhigeren Tönen wie etwa
der Ballade ›Heaven Help My Heart‹ und harmoniert

sehr schön mit Christian Fröhlich beim gemeinsamen
Duett ›You and I‹. Fröhlich zeigt sich hier mit toller
Stimme und meistert bravourös die berühmte Heimat-
Hymne ›Anthem‹. In der Rolle seiner Frau Svetlana
Sergievskaya ist die junge Darstellerin Hanna Kastner
zu sehen. Sie bringt sehr viel Weiblichkeit in die Rol-
le ein und singt besonders schön. Ihr ›Someone Else‘s
Story‹ ist gefühlvoll und sorgt für Gänsehaut, obwohl
sie sich sprachlich teilweise etwas schwer tut. Auch in
Kombination mit Anaïs Lueken, vor allem mit ›I Know
Him So Well‹, zeigt sie sich ausdrucksstark und klang-
voll. Eine kleine (positive Überraschung) in der Beset-
zung ist die Tatsache, dass der Arbiter hier von Aria-
na Schirasi-Fard gespielt wird. Sie meistert die Partie
mit Bravour, auch wenn die weibliche Besetzung des
Schiedsrichters anfangs etwas ungewohnt ist.
Zusätzlich zu den Solisten und dem Orchester gibt
es einen Popchor auf der Bühne, der die Chorparts
übernimmt. Dieser ist zwar stimmlich solide, aller-
dings ist der Sound in Kombination mit dem Orches-
ter teilweise etwas zu laut, was sehr schade ist.
Die Choreographien stammen von Ensemble-Mit-
glied Lynsey Thurgar, die sehr präzise, schöne Tanzele-
mente geschaffen hat.
Tom Bitterlich sorgt mit dem Orchester für den mu-
sikalischen Klang und dieser ist gigantisch. Dadurch,
dass das Orchester auf der Bühne platziert ist, wirkt die
Musik viel kraftvoller und sorgt für echte Gänsehaut-
Momente. Bei einer konzertanten Aufführung liegt der
Fokus weniger auf dem Szenischen, sondern viel mehr
blickpunkt musical 04/19,
ü Juli – September 2019
Musicals in Österreich
auf dem Orchester und den Solisten. Diese harmonie- Abb. unten von oben links:
ren wunderschön miteinander. 1. Freddy Trumper (Gernot Romic,
Obwohl es sich um eine konzertante Aufführung Mitte und Ensemble) bei der Pres-
sekonferenz kurz vor dem großen
handelt, wird Petra Jagušić im Programm als Verant-
Turnier
wortliche für die Inszenierung genannt. Es ist fair zu 2. In dieser Produktion ist der Arbi-
sagen, dass es ihr gelungen ist, dieses packende Musical ter eine Frau, Ariana Schirasi-Fard,
mit wenigen Mitteln auf die Konzertbühne zu bringen. und sie singt energisch und kraftvoll
An ihrer Seite stehen Kostümbildner Richard Stockin- 3. Svetlana Sergievskaya (Hanna
Kastner, l.) ist zurück, wovon
ger und Lichtdesigner Michael Grundner.
Florence Vassy (Anaïs Lueken) nichts
Es ist eine echte Freude, »Chess« in so einer Fas- wusste. Zwischen ihnen Anatoly
sung auf einer deutschsprachigen Bühne zu sehen. Sergievsky (Christian Fröhlich, 2.v.l.)
Die Kombination aus deutschen Dialogen (von Kevin und Freddy Trumper (Gernot Romic,
Schroeder) und englischen Liedtexten (die von Andrew 2.v.r.)
Lloyd Webber-Kollaborator Tim Rice stammen) funk- 4. Florence Vassy (Anaïs Lueken)
und Anatoly Sergievsky (Christian
tioniert. Vor allem ist es erfreulich, zu erleben, dass
Fröhlich) singen das berührende
die Lieder, wenn auch nicht in der Muttersprache der ›You and I‹
Darsteller, trotzdem so wunderbar klingen. Dadurch, Fotos (4): Sakher Almonem
dass die Dialoge in deutscher Sprache sind, kann je-
der der Handlung gut folgen und dank der englischen
Bildschirmtexte trotzdem in den Genuss des Originals
kommen. Man gewöhnt sich sehr schnell an die Kom-
bination beider Sprachen.
Schade, dass dieses tolle Stück nicht so oft im
deutschsprachigen Raum gespielt wird. Umso schöner
ist es, dass es die Musicalsparte des Landestheater Linz
gibt, die sich etwas traut und auch solche Musicals auf
die Bühne bringt und das mit großem Erfolg. Dieser
Abend macht auf jeden Fall Lust auf mehr.
Ludovico Lucchesi Palli
41

Kurzblick und Neues aus Österreich
zusammengestellt von Ludovico Lucchesi Palli und der Redaktion
Faszination Musical im ORF III: »Wie ent-
steht Begeisterung?«
Unter dem Titel »Wie entsteht Begeisterung?«
zeigte ORF III am 30. Juni 2019 die erste Folge
der neuen Talkshow »Faszination Musical«, die
gemeinsam mit den Vereinigten Bühnen Wien
produziert wird. Zu Gast beim als Moderator
fungierenden ORF-TV-Kulturchef Martin Traxl
waren in der ersten Episode VBW-Intendant
Christian Struppeck, Musicaldarstellerin Elisa-
beth Engstler, Marketingexpertin Helene Kar-
masin sowie der Übersetzer und Regisseur Titus
Hoffmann.
Die vier Gäste waren sich einig, dass große Mu-
sicalproduktionen, und dabei wurde immer wie-
der besonders genannt »I Am From Austria«, die
Erwartungen des Publikums bedienen, glücklich
machen und durch die direkte Verbindung von
Künstler und Publikum ein immer einmaliges
Erlebnis sind. Journalistisch-kritische Nachfra-
gen seitens Martin Traxl blieben aus und auch
die in Einspielfilmen (mit bereits bekannten
Ausschnitten der VBW-Musicals der vergange-
nen Jahre) erkennbare Begeisterung der Macher
ließen Folge Eins der neuen Talkshow mehr wie
ein Imagefilm der Vereinigten Bühnen wirken.
Bis zum Jahresende sollen laut Branchendienst
dwdl weitere Folgen der von ge+ka Film herge-
stellten Talkshow gezeigt werden.
Nutzer aus Österreich können die erste Folge in
der ORF-TVthek ansehen.
»Vincent van Gogh« beim Musical Frühling
in Gmunden 2020
2001 wurde das Musical des norwegischen Au-
torenteams Gisle Kverndokk (Musik) und Øy-
stein Wiik (Libretto) bei den Schlossfestspielen
Ettlingen uraufgeführt. Am 2. April 2020 wird
»Vincent van Gogh« österreichische Erstauffüh-
rung beim Musical Frühling in Gmunden feiern.
Im Mittelpunkt steht das kurze und dramatische
Künstlerleben von Vincent van Gogh, das in
Form eines farbigen Bilderbogens vorbeirauscht.
Zu Lebzeiten konnte der Maler nur ein einziges
Bild verkaufen, heute brechen seine Werke im-
mer neue Preisrekorde in Millionenhöhe.
Das Musical stellt den Künstler als einen von
Emotionen Getriebenen dar, für den Glück und
dramatische Fehler nahe beieinander liegen. Als
Kunsthändler hat er keinen Erfolg, weil er, im
Gegensatz zu seinem Bruder Theo, den Kunden
keine schlechten Bilder aufschwatzen kann. Seine
erste Liebesbeziehung scheitert, der Pfarrerssohn
geht als Laienprediger ins belgische Bergbaugebiet
um Petit Wasmes, bis ein Grubenunglück seinen
Glauben an Gott erschüttert. Theo erkennt die
Genialität der Werke des Bruders und gibt Vin-
cent neuen Lebensmut. Dieser kehrt nach Hau-
ü 42
Musicals in Österreich
se zurück, doch wieder erlebt er eine Liebesbe-
ziehung, die in einer Katastrophe endet. Dabei
kommt es auch zum Bruch mit den Eltern – nur
Theo hält noch zu ihm und unterstützt ihn in
dem Bestreben, Maler zu werden. Van Gogh
zieht nach Den Haag und malt im Rotlichtvier-
tel der Stadt. Erstmals findet er bei seiner Muse,
der Hure Sien, so etwas wie Geborgenheit. Doch
die Gesellschaft lehnt die unstandesgemäße Be-
ziehung ab. Theo drängt ihn, mit ihm nach Paris
zu gehen, wo er unter den Künstlerkollegen des
Moulin Rouge Aufnahme findet. Als er sich nach
Licht und Farben sehnt, zieht er in die Provence,
die ihn zu seinen strahlenden Bildern inspiriert.
Es drängt ihn, zu malen. Doch eine neue Le-
bensgemeinschaft mit der Hure Rakel und sei-
nem Malerfreund Paul Gauguin zerbricht nach
kurzer Zeit. Van Gogh flieht vor der Realität und
flüchtet sich in die Welt von Sonne, Licht und
Farben, die durch seine Werke über seinen Tod
hinaus strahlen.
Mehr auf: www.musical-gmunden.com
»Cats« im Ronacher: die Besetzung steht fest
Am 20. September 2019 kommt das Andrew-
Lloyd-Webber-Musical »Cats« zurück nach
Wien ins Ronacher. Jetzt haben die Vereinigten
Bühnen Wien Anfang Juni 2019 im Rahmen
einer Pressekonferenz die Besetzung vorgestellt.
Die beliebte Darstellerin Ana Milva Gomes
(»Carmen«, »The Bodyguard«, »Sister Act«) wird
in die Rolle der Grizabella schlüpfen und sich
diese Rolle mit Publikumsliebling Carin Filipčić
(»I Am From Austria«, »Rebecca«, »Mozart!«) tei-
len. In der Rolle des Alt Deuteronimus ist der ge-
bürtige Belgier Rory Six (»Elisabeth«, »Rudolf –
(v.l.): Anna Carina Buchegger, Katharina Lochmann, Birgit Arquin, Giulia Vazzoler, Felix Martin,
Trevor Nunn, Ana Milva Gomes, Christian Struppeck, Rory Six, Alexander Auler, Dominik Hees
Foto: VBW / Herwig Prammer
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Affaire Mayerling« und Komponist u. a. von
»Luna«, »Wenn Rosenblätter fallen«) zu sehen,
Barbara Obermeier kommt zu den VBW als
Jellylorum/Griddlebone sowie als Cover Griza-
bella zurück, und auch Felix Martin kehrt nach
Wien zurück, um Gus/Growltiger und Busto-
pher Jones zu spielen. Sir Trevor Nunn wird
höchstpersönlich Regie führen.
Mehr auf www.musicalvienna.at
»Orpheus in der Unterwelt« im Wiener
Rabenhof
Im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte
der Wiener Rabenhof die Pläne für die kom-
mende Spielzeit. Darunter befindet sich eine
neue Bearbeitung aus der Feder der Schauspie-
lerin und Sängerin Ruth Brauer-Kvam, die zu-
letzt an dem Haus einen musikalischen Abend
unter dem Titel »Arik« präsentierte, anlässlich
des 90. Geburtstags ihres Vaters Arik Brau-
er, der im Januar 2019 Premiere feierte und ab
7. Oktober 2019 wieder auf dem Spielplan des
Rabenhof Theaters stehen wird. In ihrer neuen
Produktion als Regisseurin und Verantwortliche
für die textliche Bearbeitung (Premiere ist am
14. Februar 2020) widmet Brauer-Kvam sich der
Jacques-Offenbach-Operette »Orpheus in der
Unterwelt«, die diesmal aber ganz im Stile der
1970er Jahre erklingen wird. Kyrre Kvam, Ruth
Brauer-Kvams Ehemann, der auch schon bei
»Arik« und bei »Wiener Blut« die musikalische Lei-
tung übernommen hat, wird dieser Operette ein
neues musikalisches Gewand verpassen. Es spie-
len Salka Weber, Florian Carove, Johannes Huth,
Kyrre Kvam, Thomas Mraz und Austrofred.
Mehr auf www.rabenhof.at

»Elisabeth« 2019 vor Schloss Schönbrunn
Foto: VBW / Show Factory / Herwig Prammer
»American Idiot« am Tiroler Landestheater
in Innsbruck
Als Koproduktion mit der Theaterakademie
August Everding in München (Premiere am 6.
November 2019 im Prinzregententheater) feiert
»American Idiot« am 12. Dezember 2019 am
Großen Haus des Tiroler Landestheaters öster-
reichische Erstaufführung.
Musik und Songtexte stammen von »Green
Day«, das Buch kommt von Michael Mayer und
Billie Joe Armstrong, der auch die Liedtexte
verfasste. Die deutsche Fassung ist von Titus
Hoffmann (vgl. zur deutschsprachigen Erstauf-
führung in Frankfurt blimu 02/2018).
Regie führt Johannes Reitmeier, die musikali-
sche Leitung übernimmt Günter Werno mit der
Band »Vanden Plas« in der Umsetzung. Stefanie
Entwurf des neuen Raimund Theaters
Foto: Roman Mramor
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Österreich
Erb verantwortet die Choreographien, die Aus-
stattung Michael D. Zimmermann.
Mehr auf: www.landestheater.at
Sanierung und Modernisierung des Wiener
Raimund Theaters
Mit der Derniere von »I Am From Austria« star-
teten die Arbeiten im Raimund Theater in Wien.
Das Raimund Theater ist ein Theater der Verei-
nigten Bühnen, einem Unternehmen der Wien
Holding, in dem in den letzten Jahren Longrun-
Musicals gespielt wurden.
Geplant ist eine Verbesserung der baulichen Sub-
stanz: Trockenlegung, Fassaden- und Dachsa-
nierung, Erneuerung von Boden, Wand- und
Deckenbereichen im Zuschauerhaus. Bei der
Haustechnik werden Brandmeldeanlage, Sicher-
ü 43
heitsbeleuchtung, sämtliche Elektroinstallationen
und die Kälteanlage auf den neuesten techni-
schen Stand gebracht sowie die Energieeffizienz
verbessert. Des Weiteren vorgesehen ist eine Re-
novierung aller Publikumsbereiche: Maßnahmen
zur Barrierefreiheit, wie zum Beispiel der Einbau
eines Aufzuges für das Publikum, Erneuerung der
Bestuhlung für eine flexible Raumgestaltung und
Renovierung der Wandelgänge im Parkett vom 1.
und 2. Rang sowie Reaktivierung der Außenbal-
kons im Bereich der Wallgasse. Die Sanitäranla-
gen werden zeitgemäß saniert und erweitert. Im
Untergeschoss soll eine zentrale Besuchergarde-
robe entstehen, Foyers, Shops und Büffets sowie
das Büro- und Kantinenhaus werden angepasst.
Sogar der Vorplatz des Theaters wird neugestaltet
werden: Es soll eine vielfach nutzbare Außenflä-
che mit Grünanlage, Wasserspiel und Sitzmög-
lichkeiten geben. Für das Publikum wird ein
neuer Eingang in der Strohmayergasse geschaf-
fen, inkl. Anpflanzung von vier neuen Bäumen.
Den Zuschlag für die Umbauarbeiten hat im
Rahmen eines Realisierungswettbewerbs bereits
2017 der Wiener Architekt Dipl.-Ing. Roman
Mramor für seine offene Gestaltung des Hauses
und Außenbereichs erhalten.
Mehr auf: www.musicalvienna.at
»Elisabeth« auch 2020 vor Schloss
Schönbrunn
Am 5. und 6. Juli 2019 war eine konzertante
Aufführung von »Elisabeth« vor der historischen
Kulisse im Ehrenhof des Schloss Schönbrunn
zu erleben. Regie führte Gil Mehmert mit Pia
Douwes und Viktor Gernot als Ur-Kaiserin und
Ur-Kaiser, gemeinsam mit Mark Seibert als Tod
und Lukas Perman als Erzherzog Rudolf in den
Hauptrollen. Aufgrund der enormen Resonanz
wird die konzertante Fassung des Musicaler-
folges von Sylvester Levay und Michael Kunze
auch 2020 wieder am Originalschauplatz zu
sehen sein: am 25., 26. und 27. Juni 2020.
Mehr auf: www.musicalvienna.at
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Premieren August & September 2019
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de
Aida
Elton John / Tim Rice / Linda Woolverton /
Robert Falls / David Henry Hwang
Deutsch von Michael Kunze
Musical Güssing
Kulturzentrum
Premiere: 21. September 2019
www.musicalguessing.com
All Shook Up!
Elvis Presley / Joe DiPietro
Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von Benjamin Baumann
Berliner Stage Company
Atze Musiktheater
Premiere: 22. August 2019
www.berliner-stage-company.de
Big Fish
Andrew Lippa / John August
Deutsch von Nico Rabenald
Broadway Entertainment
Rehberghalle Roßdorf
Premiere: 6. September 2019
www.broadway-entertainment.com
Bonifatius
Dennis Martin / Zeno Diegelmann
Spotlight Musicals
Musicalsommer Fulda
Domplatz
Premiere: 22. August 2019
www.bonifatius-musical.de
Cabaret
John Kander / Fred Ebb / Joe Masteroff
Deutsch von Robert Gilbert
Landesbühne Nord
Stadttheater Wilhelmshaven
Premiere: 7. September 2019
www.landesbuehne-nord.de
Cabaret
John Kander / Fred Ebb / Joe Masteroff
Deutsch von Robert Gilbert
Volksoper Wien
Premiere: 14. September 2019
www.volksoper.at
Catch Me If You Can
Marc Shaiman / Scott Wittman / Terrence McNally
Deutsch von Werner Sobotka
Staatstheater Darmstadt – Großes Haus
Premiere: 21. September 2019
www.staatstheater-darmstadt.de
Cats
Andrew Lloyd Webber / T. S. Eliot / Trevor Nunn
Deutsch von Michael Kunze
Vereinigte Bühnen Wien
Ronacher Wien
Premiere: 20. September 2019
www.musicalvienna.at
46
Premierenblick
Chaplin
Christopher Curtis / Thomas Meehan
Deutsch von Nico Rabenald
Musicalensemble Braunschweig
Westand
Premiere: 24. August 2019
www.onstage-bs.de
Der Name der Rose
Øystein Wiik / Gisle Kverndokk
Deutsch von Elke Ranzinger & Roman Hinze
Theater Erfurt
Domstufen Festspiele
Uraufführung: 9. August 2019
www.theater-erfurt.de
Die Schattenkaiserin
Jürgen Tauber / Oliver Ostermann /
Susanne Felicitas Wolf
Tiroler Landestheater und Symphonieorchester
Innsbruck – Großes Haus
Uraufführung: 28. September 2019
www.landestheater.at
Die Schatzinsel – Das Musical
Dennis Martin / Christoph Jilo / Wolfgang Adenberg
Erzgebirgische Theater und Orchester Ges.
Annaberg-Buchholz
Greifenstein-Festspiele
Premiere: 18. August 2019
www.winterstein-theater.de
Dornröschen
Marian Lux / Wolfgang Adenberg
Produktion der Brüder Grimm Festspiele Hanau
Deutsches Theater München
Premiere: 17. August 2019
www.deutsches-theater.de
Ein Amerikaner in Paris
George Gershwin / Ira Gershwin / Craig Lucas
Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von Roman Hinze & Kevin Schroeder
Theater Kiel
Opernhaus
Deutsche Erstaufführung: 28. September 2019
www.theater-kiel.de
End of the Rainbow
Diverse / Peter Quilter
Deutsch von Horst Johanning
Musik & Theater Saar
Zeltpalast Merzig
Premiere: 21. August 2019
www.musik-theater.de
Emil und die Detektive
Marc Schubring / Wolfgang Adenberg
Bad Hersfelder Festspiele
Stiftsruine
Premiere: 11. August 2019
www.bad-hersfelder-festspiele.de
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Fame
Steve Margoshes / Jacques Levy / José Fernandez
Deutsch von Frank Thannhäuser & Iris Schumacher
Junges Staatsmusical Wiesbaden
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Wartburg
Premiere: 30. August 2019
www.junges-staatsmusical.de
Frankenstein Junior
Mel Brooks / Thomas Meehan
Deutsch von Frank Thannhäuser & Iris Schumacher
Theater Pforzheim – Großes Haus
Premiere: 28. September 2019
www.theater-pforzheim.de
Hair
Galt MacDermot / Gerome Ragni / James Rado
In englischer Sprache
TMC – The Musical Company Seevetal
Burg Seevetal
Premiere: 7. September 2019
www.themusicalcompany.de
Hier und Jetzt und himmelblau
Diverse / Jan Neumann
Staatsoperette Dresden
Kraftwerk Mitte
Uraufführung: 7. September 2019
www.staatsoperette.de
Höchste Zeit
Diverse / Carsten Gerlitz / Tilmann von Blomberg /
Katja Wolff
Musiktheater Brandenburg
Sommerkomödie im Oderbruch
Hof-Theater Bad Freienwalde
Premiere: 2. August 2019
www.musiktheater-brandenburg.de
Höchste Zeit
Diverse / Carsten Gerlitz / Tilmann von Blomberg /
Katja Wolff
Quasi So – Theater
Schauburg Ibbenbüren
Premieren: 18. September 2019
www.quasiso.de
Im weißen Rössl
Ralph Benatzky / Robert Gilbert /
Hans Müller-Einigen / Erik Charell
Theater für Niedersachsen
Stadttheater Hildesheim
Premiere: 20. September 2019
www.tfn-online.de
Kuss der Spinnenfrau
John Kander / Fred Ebb / Terrence McNally
Deutsch von Michael Kunze
Bühne Baden
Stadttheater
Premiere: 3. August 2019
www.buehnebaden.at
 MUSICAL
URAUFFÜHRUNG

Musical Projekt Neunkirchen und AWO Saarland präsentieren:

Meine Herren und Damen:

Marie!
Musical nach dem Leben von Marie Juchacz

9. bis 18. August 2019

Beginn 20 Uhr (sonntags 18 Uhr)
Neue Gebläsehalle

Entwurf: Dipl. Designer Jörg Mohr | Fotos: imago

Neunkirchen

Buch & Songtexte:

Holger Hauer
Musik:
Francesco Cottone & Amby Schillo

Jetzt Tickets sichern!

Tickets an allen bekannten Vorverkaufsstellen der Region
www.ticket-regional.de | Ticket-Hotline: 0651/9790777

ü

Premieren August & September 2019
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de
Meine Damen und Herren: Marie
Francesco Cottone / Amby Schillo / Holger Hauer
Musical Projekt Neunkirchen
Neue Gebläsehalle
Uraufführung: 9. August 2019
www.musicalprojekt-neunkirchen.de
NEIN! DOCH! OH!
Diverse / Oliver Erenyi
Theater in der Innenstadt Linz
Uraufführung: 15. August 2019
www.theater-innenstadt.at
Ne Jrümmel in d‘r Trööt
Diverse / Ralf Borgartz
Scala Theater Köln
Uraufführung: 20. September 2019
www.scala.koeln
Non(n)sens
Dan Goggin
Deutsch von Markus Weber & Thomas Woitkewitsch
Überarbeitete Neufassung von Benjamin Baumann
Theater in der grünen Zitadelle Magdeburg
Premiere: 26. September 2019
www.theater-zitadelle.com
Otello darf nicht platzen
Brad Carroll / Peter Sham
Deutsch von Roman Hinze
Stadttheater Bielefeld
Premiere: 1. September 2019
www.theater-bielefeld.de
Piaf – Süchtig nach Liebe
Diverse / Sebastiano Meli / Wolfgang Wittig
Landestheater Dinkelsbühl
Theaterhaus im Spitalhof
Uraufführung: 18. September 2019
www.landestheater-dinkelsbuehl.de
Pretty Woman – Das Musical
Bryan Adams / Jim Vallance /
Garry Marshall / J. F. Lawton
Deutsch von Frank Ramond & Nina Schneider
Stage Entertainment
Theater an der Elbe Hamburg
Deutschsprachige Erstaufführung: 29. September 2019
www.stage-entertainment.de
Sister Act
Alan Menken / Glenn Slater /
Bill & Cheri Steinkellner / Douglas Carter Beane
Deutsch von Kevin Schroeder, Heiko Wohlgemuth,
Michaela Ronzoni, Werner Sobotka & Ruth Deny
Landestheater Linz
Musiktheater – Großer Saal
Premiere: 7. September 2019
www.landestheater-linz.at
48
Premierenblick
Sisters in Trouble The Producers
Diverse / Christopher Kotoucek Mel Brooks / Thomas Meehan
Deutsch von Nina Schneider
Fritz Bremen
Uraufführung: 27. September 2019 Staatstheater Mainz – Großes Haus
Premiere: 28. September 2019
www.fritz-bremen.de
www.staatstheater-mainz.com
Sister Soul und ihre Schwestern
Diverse / Mathias Christian Kosel Wenn Rosenblätter fallen
Rory Six / Kai Hüsgen / Ellen de Clercq
Schauspielbühnen Stuttgart
Theater im Marquardt KatiElli Theater Datteln
Premiere: 20. September 2019 Premiere: 27. September 2019
www.schauspielbuehnen.de www.katielli.de
Struwwelpeter – Shockheaded Peter Zarah 47
»The Tiger Lillies« / Martyn Jacques / Peter Lund
Phelim McDermott / Julian Crouch
Theater Chemnitz
Deutsch von Andreas Marber
Opernhaus – Operncafé
Staatstheater Karlsruhe – Großes Haus Premiere: 14. September 2019
Premiere: 29. September 2019
www.theater-chemnitz.de
www.staatstheater.karlsruhe.de
Zucker
Sunday in the Park With George Paul Graham Brown / Birgit Simmler
Stephen Sondheim / James Lapine
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Deutsch von Robin Kulisch
Uraufführung: 16. August 2019
Landesbühnen Sachsen
www.luisenburg-aktuell.de
Hauptbühne Radebeul
Premiere: 28. September 2019
Hinweis der Redaktion
www.landesbuehnen-sachsen.de
Der Premierenblick basiert auf Informationen, die wir
von den Theatern in Deutschland, Österreich und der
The Black Rider – Schweiz erhalten. Leider erreichen uns nicht alle Ter-
The Casting of the Magic Bullets mine und Informationen rechtzeitig oder diese sind bei
Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Premie-
Tom Waits / William S. Burroughs ren, die bei Redaktionsschluss nicht oder mit zu wenig
Deutsch von Wolfgang Wiens Informationen vorliegen, können leider nicht berück-
sichtigt werden.
Westfälische Kammerspiele Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf
Theater Paderborn Vollständigkeit, jedoch bitten wir alle Theater, uns frü-
Premiere: 31. August 2019 hestmöglich mit Informationen zu den bevorstehenden
www.theater-paderborn.de Premieren zu versorgen. Damit wir Ihre Premieren im
Oktober und November in der kommenden Ausgabe
berücksichtigen können, bitten wir Sie um Zusendung
The Black Rider – der Termine sowie Angaben zu Autoren, Komponisten
The Casting of the Magic Bullets und Übersetzung bis zum 20. August 2019 an
redaktion@blickpunktmusical.de.
Tom Waits / William S. Burroughs
Deutsch von Wolfgang Wiens
Theater Cottbus – Großes Haus
Premiere: 14. September 2019
www.staatstheater-cottbus.de
The Black Rider –
The Casting of the Magic Bullets
Tom Waits / William S. Burroughs
Deutsch von Wolfgang Wiens
Stadttheater Ingolstadt – Großes Haus
Premiere: 28. September 2019
www.theater.ingolstadt.de
The Blues Brothers
Diverse / Patrick Stanke / Stefan Hüfner
TIC Theater in Cronenberg Wuppertal
Atelier Unterkirchen
Uraufführung: 27. September 2019
www.tic4u.de
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
ANZEIGE

STAGEPAGE AUG. /SEPT 2019

NEWS&STORIES AUS DEUTSCHLANDS ERFOLGREICHSTER STAATLICH ANERKANNTER PRIVATSCHULE FÜR PERFORMING ARTS

 Semesterprojekt 2019  kurz und bündig

DAS MUSICAL Masterclass Maya Hakvoort
01.09.2019
www.stageschool.de

Während die anderen ihre Sommerferien First Stage Theater:

genießen, herrscht weiterhin geschäf-
9 to 5 – das Musical
tiges Treiben in der Stage School: Als
02. bis 11.08.2019
Einstieg in das letzte Ausbildungsjahr
inszenieren die Schüler in kompletter Carrie – das Musical
Eigenarbeit ein Musical. Dieses Jahr fiel 22. bis 31.08.2019
die Wahl auf „9 to 5 – Warum eigentlich
Fame – das Musical
bringen wir unseren Chef nicht um?“
16.09. bis 22.10.2019
In der schreiend komischen Musical-
komödie geht es um die Freundschaft Tickets und mehr Infos:
dreier ungleicher Frauen, um Rache und www.firststagehamburg.de
Mordfantasien, um aufkeimende Liebe
und unerwiderte Leidenschaft. Das
Musical von Dolly Parton wurde 2009
am Broadway uraufgeführt und zeichnet
sich durch mitreißende Energie, Witz
und viele überraschende Wendungen
Nach mehr als 14.000 begeisterten Zuschauern im vergangenen Jahr:
aus. Angefangen vom Casting bis hin
FAME kommt zurück ins First Stage Theater.
zu Bühnenbild, Choreografie, Kostü-
„Fame – Das Musical“ beruht auf dem gleichnamigen Film von Alan Parker aus men und Regie, die Schüler haben die
dem Jahr 1980. Ob oscargekrönter Spielfilm, TV-Serie oder Reality Show – „Fame“ Aufgaben untereinander aufgeteilt und
hat unbestreitbar Kultstatus! Mit einem jungen, internationalen Ensemble wurde ganze Arbeit geleistet. Das Ergebnis ist
das Musical mit atemberaubenden Choreografien 2018 am First Stage neu insze- vom 02. bis 11.08.2019 im First Stage
niert – und geht nach dem erfolgreichen Start und der umjubelten Verlängerung Theater zu sehen. Infos und Tickets
nun vom 16.09. bis 22.10.2019 in die dritte Spielzeit. www.fame-hamburg.de www.firststagehamburg.de

 Chancen  Gastdozentin  Intensiv-Workshops

Exklusive Masterclass Die Workshop-Saison läuft

Bühnentalent 2019
gesucht!
Das Karriere-Portal Stuzubi geht
wieder gemeinsam mit der Stage
School auf Talentsuche: In einer
bundesweit angelegten Aktion wird
über die Publikationen abiQ und das
Stuzubi-Magazin das Bühnentalent
2019 gesucht. Dabei stehen 10 der
bundesweit stattfindenden Stage
School Intensiv-Workshops als Gewinn
in Aussicht. Die drei besten Bewerber
auf vollen Touren. Achtung:
mit Maya Hakvoort Besonders begabte Teil-
nehmer erhalten über die
Musicalstar Maya Hakvoort unterrichtet
nicht nur die Schüler der Stage School:
Workshops die Möglichkeit,
zur Stipendiumsprüfung der
Am 01.09.2019 haben auch externe Stage School eingeladen zu
Sänger und Zuschauer die Möglichkeit, werden. Infos und Anmel-
an ihrer Masterclass teilzunehmen. dung unter 040/355 40 743
Anmeldung unter www.stageschool.de oder www.stageschool.de
i v-
In t ens op
h
GOES ON... Work s sparen
50 %
att
„Beängstigend gut“ schreibt die „Welt“ nach der Bis zu cher r ab
n Frühbu
gefeierten Premiere im Juni über die Carrie-Inszenierung dur ch de
Foto: Dennis Mundkowski

werden außerdem zur Stipendiums-
Prüfung nach Hamburg eingeladen.
Übernachtungskosten inklusive.
Einsendeschluss ist der 15.12.2019,
Teilnahme unter www.stuzubi.de
ü
im First Stage Theater. Regelmäßige Standing Ovations
vor einer großartigen Cast und hervorragende Kritiken
haben jetzt dafür gesorgt, dass das packende Musical
vom 22. bis 31.08.2019 in die Verlängerung geht.
www.carriedasmusical.de
www.stageschool.de
Mit Unterstützung von sound of music
Einspielungen
zusammengestellt von Barbara Kern, Sandy Kolbuch,
Rosalie Rosenbusch, Stefan Schön und Christian Spielmann
Foto: Madeleine Weiss
Mark – Mag mal anders
Live-Aufnahme zum Konzert im Theater
Akzent in Wien
Mark Seibert gab im April eine Reihe ausge-
wählter Konzerte, inspiriert von MTV Un-
plugged, wie er selbst in der Moderation sagt.
CD und DVD bringen einen Live-Mitschnitt
vom 22. April 2019 aus dem Theater Akzent in
Wien. Präsentiert von HitSquad Productions,
zeichnet sich dieser durch sehr gute Video-
(Bernie Boess) und bestechende Sound-Qualität
aus (Carsten Kümmel ist auch Sound Recording
Engineer von Hans Zimmer). Die eigens für
diesen Abend geschriebenen Arrangements von
Musical- und Popsongs stammen von Kompo-
nist Frank Nimsgern, der an zwei akustischen
und zwei elektrischen Gitarren sowie am Piano
die Solisten virtuos begleitet. Entspannt und un-
terhaltsam führt Mark Seibert durch das Kon-
zert. Sein Programm bewegt sich zwischen Folk-
Rock von Kenny Loggins mit ›Conviction of the
Heart‹ und Stings ›Shape of My Heart‹, seinem
Rollenrepertoire von »Elisabeth« bis »Die Päps-
tin« sowie gemeinsamen Arbeiten mit Florian
Cojacanu an den berührenden Songs ›Dass es
uns nicht mehr gibt‹ und ›Keine Träne‹. Dazu
kommen die Duette ›Only Us‹ aus »Dear Evan
Hansen« und ›Shallow‹ aus »A Star Is Born«. Et-
was Besonderes sind seine Versionen von ›Bring
Him Home‹ (»Les Misérables«) und ›From Now
On‹ (»The Greatest Showman«).
Neben Mark Seibert sind Sabrina Auer (Sarah
in »Tanz der Vampire«) und Roberta Valenti-
ni (diverse Hauptrollen) zu erleben. Beide sind
Duettpartner, Solo-Interpreten und singen so-
gar ein eigenes Frauen-Duett: ›It‘s All Coming
Back to You‹. Die zartgliedrige Sabrina Auer
beeindruckt mit gesanglichem Können und
50
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Einspielungen
Stimmkraft in ›Hallelujah‹, ›What About Us‹ so-
wie in den Duetten mit Mark Seibert: ›Only Us‹
und ›Wehrlos‹ (»Die Päpstin«). Roberta Valentini
oder »Lady Roberta Gaga«, wie Seibert sie vor
dem brillanten »Shallow«-Duett tauft, gehört zu
den besten Sängerinnen, nicht nur im Musical-
bereich. Hier ist sie Mark Seiberts Partnerin im
›Elisabeth Medley‹, bringt ein bewegendes ›Du‹
aus »Ghost« und erzeugt Gänsehaut mit ›Schat-
tenland‹ aus »Der König der Löwen«. Alle Drei
singen auch die Hymne ›Can You See the Light‹
aus Nimsgerns »Elements«. Prädikat: Unbedingt
empfehlenswert!
DVD getrennt nach Teilen & mit 20 Kapiteln
Länge: 118 min
CD 1: 9 Titel, 57 min 51 sec
CD 2: 11 Titel, 59 min 13 sec
Doppel-Jewel-CD-Case mit
8-seitigem Booklet (identisch mit
DVD) mit Begrüßungswort von
Mark Seibert, alle Beteiligten,
Songliste und Konzertfotos
Sherlock Holmes – Next Generation –
Das Musical
Original Musical Soundtrack
Mr Sherlock Holmes ist über Generationen auf
Schnüfflertour. So klassisch, so echt kommt auch
die Musik des »Next Generation Musicals« von
Christian Heckelsmüller daher. Sie verbindet
verschiedenste Stilelemente, die in den einzelnen
Nummern überraschend oft wechseln: Opulente
Bögen am Beginn der ›Ouvertüre‹ in Filmmu-
sikmanier läuten das Storytelling ein, wechseln
dann zu ruhigen Piano-Momenten, Streichern.
Orientalische Klänge gibt es bei ›Opium‹, einen
Walzer in ›Tanze Walzer‹, Bollywoodfeeling
beim Song ›Götåter‹, Ohrwurmcharakter hat
›Ein Fall für Sherlock Holmes‹. Dazu kommen
große Musicalballaden.
Heckelsmüller schafft große Gefühlsmomente
(›Zu Dir‹, ›Dein Bild‹, ›Wege‹ oder ›Allein‹).
Aufnahmequalität und Verständlichkeit dieser
neuen deutschen Musical-Produktion sind vor-
bildlich und stellen manche Großproduktion in
den Schatten.
Ethan Freemans Charakterbariton sowie die
modernen Stimmen der anderen Protagonisten
(u. a. Frank Logemann, Stephanie Tschöppe,
Merlin Fargel, Alice Wittmer) machen diese
CD zum Genuss und es lohnt sich, nicht nur die
Schnüffelnase in diese Produktion zu stecken,
sondern auch die Ohren zu spitzen. Gut gemacht!
16 Titel + 1 Bonustrack
58 min 55 sec
CD-Digi-Pack mit 8-seitigem
Booklet mit allen Beteiligten,
Synopsis, Produktionsfotos
und Porträtfotos der Künstler
Die fabelhafte Welt der Amélie
Original Cast Aufnahme München 2019
Das Broadway-Musical »Die fabelhafte Welt
der Amelie« (Buch von Craig Lucas) nach dem
gleichnamigen Film (2001) von Jean-Pierre
Jeunet wurde für die deutschsprachige Erstauf-
führung im Münchner Werk7, zu der jetzt die
Cast Aufnahme vorliegt, überarbeitet. Songs
von Daniel Messé und Nathan Tysen wurden
gestrichen, adaptiert und neue hinzugefügt. Das
musikalische Arrangement lässt jetzt bereits mit
dem Intro ›J‘suis jamais allé‹ das französische
Bistro-Flair mit der typischen Instrumentierung
mit Akkordeon hören. Auch sind hier Melodien
des Films verarbeitet worden, wodurch eine
stärkere Verbindung des Musicals zum Film
entsteht. Die Live-Aufnahme bringt mit sehr
guter Klangqualität sowohl die schwungvollen
als auch die ruhigeren, gefühlvollen Musiknum-
mern ans Ohr. Der Cast überzeugt gesanglich,
allen voran Sandra Leitner als die einsame,
sympathisch verschrobene Amélie. Sie bewegt
insbesondere in ›Die Frau mit dem Glas‹ – im
Duett mit Rob Pelzer als Maler Dufayel – und in
dem ihre Angst und Unsicherheit offenbarenden
›Bleib‹. Als Nino Quincampoix zeigt Andreas
Bongard vor allem in ›Gähnende Leere‹ seinen
klaren, starken Gesang.
27 Titel
66 min 32 sec
CD-Digi-Pack mit 48-seitigem
Booklet mit allen Beteiligten,
allen Liedtexten, Songliste
mit Darstellerzuordnung
und Produktionsfotos

Der Hase mit den Bernsteinaugen
Original Cast Aufnahme Linz 2019
Regisseur, Dramaturg Henry Mason und Kom-
ponist Thomas Zaufke haben mit »Der Hase
mit den Bernsteinaugen« eine musikalische
Familienchronik geschaffen, die über Genera-
tionen hinweg ein lebendiges Bild von der Zeit-
geschichte malt. Edmund de Waal (Christof
Messner) stammt von jüdischen Geschäftsleuten
ab, deren Leben und Wirken er mit seinem Tage-
buch einfängt und archiviert. Dass diese For-
schungen nicht immer erwünscht sind, zeigt das
satirisch-komische Lied ›Geht es dich was an‹.
Diese Aufnahme ersetzt keinen Theaterbesuch,
vermittelt jedoch einen Eindruck vom lebhaften
Treiben, Leben und Überleben in Städten wie
Wien, Paris und Tokio und der familiären Bezie-
hungen im Umfeld und Stammbaum de Waals.
Auf CD vereinen sich eher flotte, dynamische
Musik mit tragischen Momenten oder ruhigeren
Klängen. Hervorzuheben ist der wunderbare
Cast mit großartigen Gesangsstimmen von
unter anderem Christof Messner, Anaïs Lue-
ken, Riccardo Greco, Carsten Lepper, Myrthes
Monteiro, Gernot Romic und Ariana Schirasi-
Fard. Ihnen hört man bei ihren Geschichten
und emotionalen Momenten gerne zu ebenso
wie dem Kinder- sowie Erwachsenenchor in den
Ensemblenummern.
ORIGINAL CAST
LIVE RECORDING
25 Titel
78 min 13 sec
Jewel-CD-Case mit 36-seitigem
Booklet mit allen Beteiligten,
Handlung mit eingebetteten
Liedtiteln, allen Songtexten
und Produktionsfotos
Bernadette de Lourdes – Le Spectacle
Musical
Cast Album der Uraufführung
Das Album zu »Bernadette de Lourdes« wurde
im April 2019, zwei Monate vor der Premiere
in Lourdes, veröffentlicht. Die Geschichte der
14-jährigen Bernadette Soubirous (Eyma), die
1858 in Lourdes offenbar die Muttergottes in
der Grotte de Massabielle sah, wird in 14 melo-
diösen Liedern erzählt, die von Grégoire, der in
Frankreich auch als Sänger bekannt ist, kom-
poniert wurden. Die 16-jährige Eyma verfügt
über eine wunderbare Gesangsstimme. ›Aquero‹
und ›Madame‹ beschreiben Bernadettes Vision
Mariens. Mit den Liedern ›Pourquoi moi?‹ und
›Quand tu t‘en iras‹ stellt sie sich die Frage, wa-
rum sie erwählt wurde und was sein wird, wenn
ihre Visionen enden. In ›Ma fille‹ fleht Sarah
Caillibot als Louise ihre Tochter an, die Fami-
lie nicht mit Lügen zu zerstören: David Bàn hat
seine großen Momente als Vater Bernadettes
solo mit ›N‘être qu‘un homme‹ und zusammen
mit Caillibot in ›Qui peut parler de nous?‹. Gré-
gory Deck überzeugt als Kommissar Jacomet
mit ›En moi‹ und Christophe Héraut als Abbé
Peyramale mit ›Moi je te crois‹. Ein Lied, das
man nicht so leicht vergisst, ist die Ensemble-
Nummer ›La rumeur‹. ›Le détachement‹ wird
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Einspielungen
von Eyma und dem Ensemble gesungen, ›Allez
dire‹ ist das finale Lied der Show, von der viele
Lieder im Ohr bleiben.
14 Titel
45 min 14 sec
CD-Digi-Pack mit einem
24-seitigen Booklet mit allen
Beteiligten, allen Liedtexten und
zahlreichen Fotos der Darsteller
Rocketman
Music From the Motion Picture
Die filmische Biografie »Rocketman« (vgl. blimu
03/2019) beleuchtet mit Taron Egerton in der
Hauptrolle die wichtigsten Momente aus der
Karriere der britischen Pop-Ikone Elton John.
Der Soundtrack enthält 22 seiner Songs, die
Egerton neu eingesungen hat und mit einer
unglaublichen Stimmfarbe zum Besten gibt.
Während die melancholischen Titel ›The Bitch
Is Back‹ und ›I Want Love‹ von der freudlosen
Kindheit des Künstlers erzählen, markiert das
schmissige ›Saturday Night‘s Alright‹ den Aus-
bruch des jugendlichen Talents, gesungen von
Kit Connor, der im Film den Teenager verkör-
pert. Der ruhige Titel ›Border Song‹ steht für
den Beginn von Elton Johns Karriere, die mit
›Crocodile Rock‹ und dem legendären ›Your
Song‹ zelebriert wird. Von ruhigen Momenten
bis zum euphorischen Ausbruch mit ›Rocket
Man‹ und ›I‘m Still Standing‹ beinhaltet der
Soundtrack zum Film viele bekannte Songs
von Elton John, wirft aber auch einen Blick auf
weniger bekannte Nummern, die seine schwan-
kende Gefühlswelt beleuchten. »Rocketman«
lädt dazu ein, düstere und euphorische Mo-
mente in Elton Johns Leben aus nächster Nähe
und durch die Stimme von Taron Egerton mit-
zuerleben.
22 Titel
72 min 52 sec
Jewel-CD-Case mit 12-seiti-
gem Booklet mit Vorworten
von Elton John und Taron
Egerton, Fotos aus dem Film
Songs For a New World – New York
City Center 2018 Encores!
OFF-Center Cast Recording
Die Neuaufnahme von Jason Robert Browns
Erstlingswerk »Songs For a New World« zeigt,
wie zeitlos der Songzyklus ist. Shoshana Bean,
Solea Pfeiffer, Colin Donnell und Mykal Kilgore
porträtieren in Solos, Duetten und Ensemble-
songs Menschen in ungewöhnlich herausfor-
dernden Situationen. Allen gemeinsam: Die
Entscheidung, ob man in eine neue, unbekann-
te Welt aufbricht oder im jetzigen, unglückli-
chen Zustand verharrt. Zentrale Themen sind
(schwierige) Paar- und Familienbeziehungen,
Reisen, Glaube, Weihnachten und Krieg. Die
komplexen Songs ergänzen sich, lassen Fragen
offen, geben Antworten – deswegen ist die hier
ü 51
Mit Unterstützung von sound of music
vorliegende gute Textverständlichkeit beson-
ders wichtig. So unterschiedlich wie die dar-
gestellten Personen und Situationen sind auch
die musikalischen Stilrichtungen. Die zehn-
köpfige Band unter Leitung von James Samp-
liner gibt den Sängern mit sensibler Begleitung
Raum zur Entfaltung. Highlights sind ›I‘m
Not Afraid of Anything‹, ›Stars and the Moon‹,
›Surabaya Santa‹, ›I‘d Give It All For You‹ oder
›Flying Home‹. ›Hear My Song‹ fasst das Stück
zusammen: Wir alle erleben schwierige Zeiten
und stehen an Scheidewegen des Lebens. Doch
man darf immer Hoffnung haben, dass alles
gut wird.
CD 1: 9 Titel, 40 min 56 sec
CD 2: 10 Titel, 43 min 37 sec
Doppel-Jewel-CD-Case mit
12-seitigem Booklet mit allen
Beteiligten, Produktionsfotos,
»Notes from the New World«
von Jason Robert Brown
I‘m Not Done Yet
Solo-CD von Sabrina Weckerlin mit
Kompositionen von Frank Wildhorn
Das erste Solo-Album von Sabrina Weckerlin
war längst überfällig und kann nun endlich
als Produktion von sound of music records die
Seele füttern. Die englischsprachigen Songs
wurden der Sängerin von Komponist Frank
Wildhorn auf die Stimme geschrieben, wobei
aus 30 Titeln ausgewählt wurde. Diese brin-
gen Weckerlins gesangliche Stärken gut zur
Geltung. Jake Wildhorn schrieb ihr zudem das
Duett ›Lie to Say Goodbye‹, das sie zusammen
einsangen. Sie beweist viel Gefühl in ihrem
Gesang und hat u. a. bei ›Savin‘ Love‹ Unterstüt-
zung durch einen beeindruckenden Chor. An-
spieltipps sind ›Our Story‹, das großartige ›Our
Stars are Crying‹ und das mit Klavier, Violine
und Gitarren spannend arrangierte ›The End of
Days‹. Aber auch Songs wie der Opener ›Free‹
und ›Home again‹ gefallen mit ihren Melodi-
en und der Ausnahmestimme der Künstlerin.
Die Arrangements sind eher poppig oder jazzig,
die Stimme soulig, wozu auch der manchmal
gospelartige Chor passt. Die Lieder lassen einen
träumen und entspannen, ohne einfach dahin
zu plätschern. Wer bei Wildhorn Musicalsongs
erwartet hat, wird vielleicht enttäuscht sein. Die
anderen werden das gelungene Debütalbum der
Sängerin schätzen.
12 Titel
53 min 49 sec
CD-Digi-Pack mit 20-seitigem
Booklet mit Dankesworten von
Sabrina Weckerlin, Frank Wild-
horn und Walter Feucht, allen
Liedtexten und Fotos der Künst-
lerin, auch mit Frank Wildhorn
 Konzerte & Entertainment

Barfuß im Regen
»Musical meets Pop« 2019 in Tecklenburg

Die Freilichtsaison in Tecklenburg startete auf der jährlich stattfindenden

Pfingstgala »Musical meets Pop« mit ›Simply the Best‹ von Tina Turner

Kevin Tarte variierte stimmreich zwischen Dominik Hees interpretierte ›Sunset Milica Jovanović mit Arielles Traum ›Ein
»Let Me Be Your Star« aus »Smash«, Boulevard‹ aus dem gleichnamigen Mensch zu sein‹. Später am Abend berühr-
›Satisfaction‹ der »The Rolling Stones« und Musical und ›Sie sieht mich nicht‹ te sie mit dem Marlene-Dietrich-Chanson
›Kiss‹ von Prince von Xavier Naidoo ›Bitte geh‘ nicht fort‹

Wietske van Tongeren bezaubert mit der Ballade Kristina Love reißt mit ›Proud Mary‹
»Hamilton« goes Tecklenburg – Drew ›A Million Dreams‹ aus »The Greatest Showman« von Tina Turner das Publikum von den
Sarich überzeugt mit ›Wait For It‹ und ›First Time‹ von Robin Beck Bänken

ü 52 blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

 Konzerte & Entertainment

Thomas Borchert bereicherte

den Abend mit ›Der Mann,
Ein alter Konflikt zwischen Patrick Stanke (alias Jean der ich einst war‹ aus »Der
Valjean) und Kevin Tarte (alias Inspektor Javert). Graf von Monte Christo«, ›36
Milica Jovanović und Dominik Hees mit dem ›Der doppelte Schwur‹ aus »Les Miserablés« gipfelte Häuser‹ aus »Don Camillo &
Liebesduett aus »Don Camillo & Peppone«: in ›You‘re Nothing Without Me‹ aus dem Musical Peppone« und seinem eigenen
›Du und ich auf einer Insel‹ »City of Angels« Song ›Sorry‹

Sascha Krebs war auch in diesem

Jahr in seiner Doppelrolle als Gänsehautfeeling mit dem Andrew-Lloyd-Webber-Terzett: ›Love Changes Everything‹ aus
Moderator und Sänger auf der »Aspects of Love« (Milica Jovanović), ›I Don’t Know How to Love Him‹ aus »Jesus Christ
Pfingstgala vertreten Superstar« (Kristina Love), ›Unexpected Song‹ (Wietske van Tongeren)

Mit viel Spaß ernteten Drew Sarich

und Dominik Hees Applaus mit
›Shallow‹ aus dem Film »A Star Is
Born«
Patrick Stanke entführt ins ›Abenteuerland‹ Fotos (14): Sandra Reichel

blickpunkt musical 04/19, Juli – September

ü 2019 53

Ein bunter Musicalabend mit starken Stimmen
Musicalgala »Show Me!« an der Oper Graz
Abb. oben:
Dionne Wudu sang mit ›Ich hab‘
geträumt vor langer Zeit‹ aus »Les
Misérables« eines der Highlights
des Abends
Abb. unten:
Monika Staszak mit ›Feed the Birds‹
aus dem Disney-Klassiker »Mary
Poppins«
Fotos (2): Oliver Wolf
54
Konzerte & Entertainment
Z um Abschluss der Spielzeit 2018/2019 veranstal-
tete die Oper Graz am 22. und 23. Juni 2019
eine Musicalgala unter dem Titel »Show Me!«. Unter
der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich gab es
Highlights aus Erfolgsproduktionen der Oper Graz
wie etwa »Ragtime«, zwei Nummern aus »Guys and
Dolls«, das am 4. Januar 2020 Premiere feiern wird,
und viele weitere Titel aus der Musicalgeschichte zu
hören. Diese wurden von den Publikumslieblingen
Katja Berg (»Kiss Me, Kate«), Bettina Mönch (»Kiss
Me, Kate«, »Evita«), Nikolaj Alexander Brucker
(»Chess«) sowie Alvin Le-Bass, Dionne Wudu und
Monika Staszak, die dem Grazer Publikum aus der
österreichischen Erstaufführung des Ahrens & Fla-
herty Stücks »Ragtime« ein Begriff sein werden, sowie
Frederike Haas, die an der Grazer Oper als Fanny Brice
in »Funny Girl« zu sehen war, präsentiert. Durch den
Abend führte Dionne Wudu.
Den Anfang machte das Orchester der Grazer Phil-
harmoniker mit der Ouvertüre aus dem Irving Berlin
Klassiker »Annie Get Your Gun«. Daraufhin folgte
bereits die erste Solistin, nämlich Dionne Wudu mit
›Daddy‘s Eyes‹ aus dem Stück »Ragtime«. Sie hat es
zwar sehr gefühlsvoll und wunderschön gesungen,
aber an dieser Stelle hätte eine schnellere, größere
Nummer eher gepasst. Es folgte ›Cornet Man‹ aus dem
Musical »Funny Girl«, das von Frederike Haas präzise
dargeboten wurde. Anschließend interpretierte die
stimmgewaltige Katja Berg energiegeladen und mit
Ausdrucksstärke ein Medley, bestehend aus ›Big Spen-
der‹ aus »Sweet Charity« und ›Woman‹ aus »Smokey
Joe‘s Café«. Nikolaj Alexander Brucker gab mit ›Luck
Be a Lady‹ einen Song aus dem Stück »Guys and Dolls«
zum Besten. Er sang diesen Titel fantastisch, allerdings
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
hätte eine Choreographie dieser Nummer sehr gut ge-
tan. Die beliebte Darstellerin Bettina Mönch begeis-
terte als nächstes mit ›Maybe This Time‹ aus »Cabaret«.
Mönch konnte mit dieser Nummer nicht nur ihre ge-
sanglichen, sondern auch ihre darstellerischen Fähig-
keiten unter Beweis stellen. Ab September 2019 wird
sie übrigens die Rolle der Sally Bowles an der Wiener
Volksoper spielen.
Eine eher ungewöhnliche Liederauswahl gab es bei
der nächsten Nummer: Obwohl es eine Bühnenver-
sion des Disney Klassikers »Mary Poppins« gibt, scheint
er nicht die erste Wahl für eine Musicalgala zu sein.
Nichtsdestotrotz brachte Monika Staszak eine berüh-
rende und einfühlsame Interpretation des Titels ›Feed
the Birds‹ zu Gehör. Ebenso ungewöhnlich und leider
etwas schwach war das Duett ›Blue Skies‹ aus dem
Irving-Berlin-Musical »Betsy«. Einerseits war es die fal-
sche Wahl für ein Duett der beiden Solisten Alvin Le-
Bass und Frederike Haas und zweitens funktionierte
die Kombination der beiden stimmlich nicht. Dionne
Wudu hingegen begeisterte mit dem Titel ›Wonderful
Guy‹ aus dem Rodgers & Hammerstein-Musical »South
Pacific«. Für das Duett von Staszak und Haas hatte
man sich für ›Over the Rainbow‹ aus dem Film »Der
Zauberer von Oz« entschieden. Hier wäre ein anderes
Duett sicherlich treffender gewesen, aber die beiden
Darstellerinnen haben es trotzdem schön dargeboten.
Ein sehr gelungenes Duett war dafür ›The Movie in
My Mind‹ aus »Miss Saigon«, wunderbar dargeboten
von Katja Berg und Bettina Mönch. Ein ganz beson-
deres Highlight war der Titelsong aus Andrew Lloyd
Webbers »Das Phantom der Oper«. Er wurde von
Nikolaj Alexander Brucker und Monika Staszak fan-
tastisch gesungen. Hier konnten die beiden Solisten

nicht nur zeigen, dass sie gemeinsam gut harmonieren,
sondern ihr gesamtes gesangliches Potential ausbreiten.
Zum Abschluss des ersten Aktes sang Alvin Le-Bass
eine überdrehte und eher schwache Version von ›I Am,
What I Am‹ aus »La Cage aux Folles«.
Nach der Pause gab es zunächst die zweite musi-
kalische Kostprobe aus der bevorstehenden »Guys
and Dolls«-Neuproduktion, diesmal mit dem ›The
Crapshooters‘ Dance‹ als Ouvertüre des 2. Akts. Es
folgte ›Anthem‹ aus »Chess«, das von Nikolaj Alexan-
der Brucker, der bei der Grazer Produktion von »Chess«
in die Rolle des Anatoly geschlüpft ist, kraftvoll inter-
pretiert wurde. Sehr schade war dagegen, dass hier die
deutsche Übersetzung verwendet wurde. Katja Berg
sorgte für sehr viel Applaus mit dem nächsten Titel:
›Der Sieger hat die Wahl‹ aus dem Musical »Mamma
Mia!«. Auch wenn hier bedauerlicherweise die deut-
sche Übersetzung verwendet wurde, hat Katja Berg das
Lied mit sehr viel Gefühl und wunderbar gesungen.
Mit ›Feeling Good‹ interpretierte der gebürtige Ame-
rikaner Alvin Le-Bass einen weiteren Klassiker, bevor
Frederike Haas mit ›Losing My Mind‹ aus »Follies« für
einen echten Gänsehaut-Moment sorgte und das zum
Glück im englischen Original. Große Gefühle gab es
auch bei Dionne Wudu, die mit ›Ich hab‘ geträumt vor
langer Zeit‹ aus »Les Misérables« ein weiteres Mal ihre
ausdrucksstarke Stimme einsetzen konnte. Ganz ande-
re Klänge gab es mit ›Roxie‹ aus dem Kander & Ebb-
Musical »Chicago«. Hier konnte sich Bettina Mönch
blickpunkt musical
ü 04/19, Juli – September 2019
Konzerte & Entertainment
noch einmal richtig austoben und wieder mit ihrer Abb. unten von oben links:
unglaublichen Bühnenpräsenz punkten. Alvin Le-Bass 1. Alvin Le Bass zeigte sein vielseiti-
vermochte mit ›Puttin‘ on the Ritz‹ aus dem gleichna- ges Talent mit souliger Stimme
2. Bettina Mönch eroberte das
migen Film erstmals, an dem Abend so richtig zu über-
Publikum mit ›Maybe This Time‹ aus
zeugen. Soulige Klänge gab es beim Titel ›Think‹ aus »Cabaret«
dem Film »Blues Brothers«. Hier zeigte Dionne Wudu 3. Nikolaj Alexander Brucker begeis-
sich von ihrer souligen Seite. Es folgte ein atemberau- terte mit ›Anthem‹ aus dem Musical
bendes ›One Night Only‹ aus »Dreamgirls«, das von »Chess«
4. Katja Berg sang kraftvoll ein ›Big
Katja Berg, Dionne Wudu und Bettina Mönch fantas-
Spender / Woman‹-Medley aus
tisch dargeboten wurde. Als großes (offizielles) Finale »Sweet Charity« und »Smokey Joe‘s
folgte ein Pop-Medley, unter anderem mit Titeln wie Café«
›I Love Rock‘n‘Roll‹, ›Maniac‹ und vielen anderen. Als 5. Frederike Haas schlüpfte noch
Abschluss gab es noch ein berührendes ›You‘ll Never einmal in die Welt von Fanny Brice
Walk Alone‹, mit allen Solisten gemeinsam. Das Publi- mit ›Cornet Man‹ aus »Funny Girl«
Fotos (5): Oliver Wolf
kum tobte und es folgte mit ›Thank You For the Music‹
eine letzte Ensemble-Nummer.
Unter der musikalischen Leitung von Tom Bit-
terlich wurde hier ein bunter Abend mit reichlich
Höhen und einigen Tiefen präsentiert. Das Orchester
der Grazer Philharmoniker spielte auf der Bühne der
Oper Graz schwungvoll auf und begleitete die sechs
stimmgewaltigen Solisten fantastisch musikalisch. Das
Programm des Abends wurde unter der künstlerischen
Leitung von Marlene Hahn und Jörg Rieker zusam-
mengestellt. Ihnen ist es gelungen, einen sehr abwechs-
lungsreichen Ablauf zu gestalten, den Dionne Wudu
sympathisch moderierte.
Ludovico Lucchesi Palli
55

Glamour, Hits und Broadway-Flair
»Broadway Experience« im Theater Euskirchen
Abb. oben:
›Always starting over‹ – Sanne
Mieloo erinnert mit dem Song aus
»If/Then« an die Wichtigkeit, im
Moment zu leben
Abb. unten:
Nicht ohne Grund der bis heute
jüngste Darsteller des Phantom der
Oper: Jakub Wocial faszinierte im
Duett mit Sanne Mieloo in seiner
Paraderolle
Fotos (2): © 4ce Productions
ü 56
Konzerte & Entertainment
B ei der Fülle der »Best of«-Musicalshows, die derzeit
in den Gast- und Sonderspielplänen vieler Städte
und Kommunen auftauchen, ist es für eine Neupro-
duktion oftmals schwer, ganz individuelle, bei den Zu-
schauern im Gedächtnis bleibende Akzente zu setzen
und sich hierdurch von vergleichbarer Konkurrenz ab-
zuheben. »Broadway Experience« der 4ce Productions
unter der Leitung von Martijn und Lucas Theisen ist
eine dieser Shows, die das Potential haben, ganz oben
mitzuhalten. Das Wort »Experience« im Namen darf
man dabei durchaus wörtlich nehmen: allgemein ge-
sehen als besonderes Musical-»Erlebnis«, das Ende
Mai mit einem Feuerwerk musi(c)alischer Highlights
ein Stück Broadway-Flair ins Stadttheater Euskirchen
zauberte. Zum anderen aber auch als Erfahrung, denn
sowohl Musicalneulinge als auch eingefleischte Fans
konnten dank der souverän-charmanten und mit einer
Vielzahl von interessanten Informationen gespickten
Zwischenmoderationen von Martijn Theisen noch al-
lerlei Wissenswertes über New Yorks berühmtesten
Theaterdistrikt und seinen weltbekannten Musicalpro-
duktionen lernen.
Eine ganz besondere Erfahrung – nämlich was es
heißt, ein Stück zu erarbeiten und anschließend auf ei-
ner großen Bühne präsentieren zu dürfen – wurde am
besuchten Abend rund 40 Schülerinnen und Schülern
dreier Euskirchener Schulen zuteil. Zusammen mit
Profisängerin Kirstin Hesse eroberten sie als Vorpro-
gramm in einem rund 15-minütigen Medley aus den
Musicals »Annie« und »Matilda« die Zuschauerherzen
im Sturm und sorgten mit erstaunlich gutem Gesang
und Bewegungstalent für erste Gänsehautmomente.
Viele der Kinder und Jugendlichen sammelten wäh-
rend der Probenwochen – unter Federführung von Lu-
cas und Martin Theisen – sowie beim anschließenden
Auftritt vor Publikum nicht nur erste Bühnenerfah-
rungen, sondern kamen überhaupt erstmalig mit der
Kunstform Musical und Theater in Berührung. Dass
der überwiegende Teil von ihnen in Folgeprojekten
weitermachen möchte, zeigt, mit wie viel Spaß die
Schüler bei der Sache waren. Kein Wunder also, dass
der Funke schnell auf das Publikum übersprang.
Eine entsprechend positive Stimmung erwartete da-
her die international bekannten Musicalgrößen Sanne
Mieloo, Roberta Valentini, Kirstin Hesse, Jakub Wocial
und Maciek Pawlak, als sie anschließend bestens auf-
gelegt die Bühne für den nun folgenden rund zweiein-
halbstündigen Hauptteil der Show eroberten. »Come
with me and you‘ll be in a world of pure imagination«,
lockte Maciek Pawlak im Opener ›Pure Imagination‹
aus dem erst 2017 am Broadway aufgeführten Musical
»Charlie and the Chocolate Factory«: Alle Zuschauer –
nicht nur die aus der ersten Reihe, die eines der durch
Pawlak während des Songs verteilten goldenen Tickets
ergattern konnten – folgten widerstandslos auf eine
kleine (Fantasie-) Zeitreise durch die Geschichte des
New Yorker Broadways. Auf eine zeitliche Chrono-
logie der rund 30 Songs aus bekannten Musicals wie
der bisher erfolgreichsten Longrun-Produktion »Das
Phantom der Oper« oder älterer Klassiker wie »Babes in
Arms«, aber auch aus jüngeren, hierzulande noch unbe-
kannteren Musicalproduktionen wie »If/Then« wurde
hierbei bewusst verzichtet, was der Show durch den da-
bei zwangsläufig entstehenden Mix unterschiedlicher,
häufig auch historisch beeinflusster Musikstile eine
zusätzliche Dynamik verlieh. Entsprechend hoch wa-
ren die Anforderungen an die im Bühnenhintergrund
platzierten Musiker Tobias Keil, Benedikt Hesse, Mo-
ritz von Kleist und Jacek Moczulski, die diese unter der
Leitung von Pianist Jura Wajda bestens meisterten.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

Mit enormer Stimmkraft und großer Bühnenprä-
senz wussten die drei »Leading Ladies« Sanne Mieloo,
Kirstin Hesse und Roberta Valentini zu überzeugen.
So zeigte Sanne Mieloo sowohl in Jazznummern wie
›Mein Herr‹ aus »Cabaret« als auch bei gefühlvollen
Balladen wie ›Always Starting Over‹ aus »If/Then« oder
ganz klassisch beim Duett ›Phantom of the Opera‹
(zusammen mit Jakub Wocial) eine immens hohe
stimmliche Bandbreite. Wen wundert‘s, dass sie bald
in Linz in gleich fünf großen Musicalproduktionen zu
sehen sein wird.
Auch wenn sie sich mit ›What Ever Happened to My
Part‹ aus dem Musical »Monty Python‘s Spamalot« zu
Beginn des zweiten Teils lauthals über mangelnde Auf-
tritte beschwerte, durfte auch die als Musicaldarstelle-
rin, (Fernseh-) Schauspielerin und Synchronsprecherin
bekannte Kirstin Hesse in gleich mehreren Nummern
zeigen, warum sie zweifelsohne auf die Bühne gehört,
sei es (im Duett mit Jakub Wocial) in einem »Tanz der
Vampire«-Medley oder mit ›I Wanna Dance With Some-
body‹ aus »Bodyguard«, welches zugegebenermaßen
zwar nie den Weg an den Broadway fand, sich aber hier-
zulande großer Beliebtheit erfreut. Besonderes High-
light jedoch war ihr Duett ›Take Me or Leave Me‹ aus
»Rent«, zusammen mit Roberta Valentini, in dem sich
die beiden Rockröhren buchstäblich gegenseitig an die
Wand sangen. Valentini wusste jedoch auch, in leisen,
gefühlvollen Tönen zu überzeugen, insbesondere mit
dem einzigen auf Deutsch gesungenen Lied des Abends,
›Du‹ aus »Ghost«, in dem sie bereits in ihrer Paraderolle
Molly im Operettenhaus Hamburg glänzte. Es bleibt
zu hoffen, dass sie diesen Part bald wieder an anderer
Stelle übernehmen darf. In dem als Duett ausgelegten
›Defying Gravity‹ aus dem Musical »Wicked« brach-
ten Roberta Valentini und Sanne Mieloo die Leistun-
gen der drei Sängerinnen in einer kurzen Textpassage
auf den Punkt: »Together we‘re unlimited«.
Ihnen zwar zahlenmäßig unterlegen, aber in ihrem
gesanglichen Können den Ladies in nichts nachste-
blickpunkt musical 04/19, Juli
ü – September 2019
Konzerte & Entertainment
hend, zeigten sich die beiden Herren der »musicali- Abb. unten von oben links:
schen« Schöpfung, Jakub Wocial und Maciek Pawlak. 1. ›Heaven on Their Minds‹ –
Nicht nur im bereits genannten »Phantom«-Duett Maciek Pawlak (vorne) und Tänzer
begeistern mit dem Opener aus
bewies Wocial eindrucksvoll, warum er sich als bis-
»Jesus Christ Superstar«
her jüngster Phantom-Darsteller weltweit an diesen 2. Moderator Martijn Theisen
schwierigen Part heranwagen durfte und im letzten entlockte den Künstlern – hier Jakub
Jahr wiederholt zum beliebtesten Musicaldarsteller Wocial – ihre persönlichen Gründe,
Polens gekürt wurde. Wie Moderator Martijn Theisen warum sie es lieben, auf der Bühne
zu stehen
treffend bemerkte, ist es wohl nur noch eine Frage der
3. Mit dem mehrsprachig gesunge-
Zeit, bis man Wocial auch am Broadway bewundern nen ›Wer viel wagt, der gewinnt‹
darf. Auch Maciek Pawlak demonstrierte gekonnt, dass aus »Aida« entließen die fünf Solis-
es kaum eine Rolle geben dürfte, die der junge Pole ten das Publikum in die Pause
nicht meistern kann. Zuletzt in Warschau als Chris in 4. Die Tänzer um Choreograph
»Miss Saigon« zu sehen, wird er dort in Kürze die Ti- Lucas Theisen zeigten wiederholt
beeindruckende Leistungen – hier
telrolle in »Pippin« übernehmen. Zu seinen Highlights
in einem Pas de Trois zum James
gehörten unter anderem ›Sunset Boulevard‹ aus dem Bond Theme ›Writing‘s on the Wall‹
gleichnamigen Musical sowie ›Finishing the Hat‹ aus Fotos (4): © 4ce Productions
»Sunday in the Park With George«. Bereits neugierig
auf das bald im Musical Dome Köln Einzug haltende
Musical »Book of Mormon« machten beide Sänger mit
ihrem Duett ›You and Me But Mostly Me‹. Acht weite-
re, am Erfolg der Show maßgeblich beteiligte Personen
dürfen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Die
Tänzerinnen und Tänzer Claudia Drobny, Oana Mo-
czulski, Nathalie Gehrman, Josephine Wirtssohn, Ivan
Dubinin, Michael Maciejewski, Yannick Schmied und
allen voran Choreograph Lucas Theisen. Sonst oft nur
schmückendes Beiwerk, sorgten sie hier mit atemberau-
bender Akrobatik, anspruchsvollen Choreographien
und zu Tränen rührenden Contemporary-Darbietungen
für mehrfachen Zwischenapplaus.
»Broadway Experience« bietet in jeglicher Hinsicht
großes Kino und braucht sich nicht hinter der Konkur-
renz zu verstecken. Passend hierzu auch die vom Pub-
likum frenetisch eingeforderte Zugabe aus »The Grea-
test Showman«, wo es stolz erhobenen Hauptes heißt:
»This is me!«
Susanne Baum
57

Ascot, Smaragdstadt, Matterhorn und
Dancefloor »Faces of Musical« 2019 in der Halle Meiersheide in Hennef
Abb. oben:
›Frei und schwerelos‹ – Roberta
Valentini und die Musical Voices
S.I.E.G in Marcus Krömers Lichtde-
sign, das die Smaragdstadt von Oz
auf die Bühne in Hennef zaubert
Abb. unten:
›Weit oben‹ – Unterstützt von den
150 Sängern, erzählt Anton Zetter-
holm die Geschichte von Edward
Whympers Traum aus »Matterhorn«
Fotos (2): Andreas Papke
58
Konzerte & Entertainment
I n diesem Jahr waren es sieben Profimusiker aus dem
Apollo Theater Stuttgart, die unter Leitung von
Bernd Steixner die Halle Meiersheide erbeben ließen
(Sound: Sascha Brandt). Deshalb trug die Live-Band
den Namen »Apollo 7«. Mit Soli an Saxophon und
Trompete setzten die Musiker zusätzliche Akzente.
Doch die Hauptrolle der großen Gala spielten zum
achten Mal die »Musical Voices S.I.E.G.«. Mit Sing-
und Spielfreude rissen die rund 150 Damen und
Herren aus den Chören des FDB Chordirektors
Wolfgang Harth und der Chorleiterin Wilma Harth
das Publikum mit und überzeugten mit ihrer klaren
Artikulation.
Nicht nur Stargäste, sondern wunderbare Gesangs-
partner des Chores waren die gebürtige Italienerin Ro-
berta Valentini, zu deren Paraderolle die grüne Hexe
Elphaba und die Kaiserin Elisabeth von Österreich ge-
hören, sowie die beiden Schweden Anton Zetterholm,
der als Tarzan und Fiyero das deutsche Publikum für
sich gewann und sich außerdem im West End einen
Namen machte, und Jesper Tydén, der Deutschland als
Kronprinz Rudolf, Tony, Jesus und in anderen Rollen
eroberte. Er gehört mit Chorleiterin und Profisänge-
rin Wilma Harth zu den Stammsolisten von »Faces of
Musical« und bemüht sich derzeit vor allem in seiner
Heimat um den musikalischen Nachwuchs. Durch
den Abend führte erneut Moderatorin und Sprecherin
Nicola Reyk (WDR), die nicht nur mit Humor und
Charme die einzelnen Blöcke einleitete, sondern auch
die Gastsolisten vorstellte und aus ihrem Leben plau-
dern ließ.
Das Programm begann mit »My Fair Lady«. Stadt-
theater setzen das Musical von Frederick Loewe und
Alan J. Lerner gerne wegen der zugkräftigen Melodien
auf den Spielplan, aber in dieser Form mit Solisten und
großem Chor war es ein seltenes und besonderes Erleb-
nis, zumal das Können des Chors in der ›Ascot Gavotte‹
besonders deutlich wurde. Wilma Harth schlüpfte in
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
die Rolle der Eliza und wurde zum Projekt des Profes-
sors für Sprachkunst Jesper Tydén alias Henry Higgins.
Nachdem das Aussprechen von Mary Poppins‘ (im ver-
gangenen Jahr bei »Faces of Musical« zu hören) legen-
därem Zauberwort: Supercalifragilisticexpialigetisch
gewirkt hatte, überraschte Eliza den Professor mit
einem fehlerlosen ›Es grünt so grün‹. Vom strengen
Lehrer in den derberen Vater verwandelnd, schlüpfte
Tydén mit berlinerischer Mundart ›Mit ‘nem klee-
nen Stückchen Glück‹ auch in die Figur des Alfred P.
Doolittle – unterstützt von dem spielfreudigen Chor,
dessen Mitglieder, angetan mit eleganten Kleidern und
Hüten, Anzug und Zylinder oder als Zofen, ein wun-
derschönes Bild boten. Mit welcher Liebe die Kostü-
me von den Akteuren jedes Mal eigens zusammenge-
stellt und kreiert werden, zeigte sich auch im nächsten
Musical-Block des Abends: In allen Abstufungen von
Gelbgrün bis Smaragdgrün traten die Bewohner des
Landes Oz auf.
Zahlreiche Monate vor dem Konzert erstellten
Steixner und Harth in akribischer Zusammenarbeit die
Arrangements und Partituren für das Konzert. Denn
nicht von allen großen Songs und Musicalarien gibt es
Chorsätze, diese müssen gefunden und zum Teil ge-
schrieben werden. Eine besondere Herausforderung in
diesem Jahr bildeten die »Wicked«-Songs aus der Feder
von Stephen Schwartz mit ihren Rhythmus- und mu-
sikalischen Stilwechseln. Feuer und Flamme waren die
Chorsänger zunächst, als die Idee, Lieder aus »Wicked«
einzustudieren, auf den Plan kam. Doch fast schien der
Traum zu platzen, weil das Stück, so wie es auf der gro-
ßen Bühne gespielt wird, nicht umzusetzen war – da
brachte ein amerikanischer Highschool-Chorsatz Hilfe.
Doch selbst in dieser Form stellt die Partitur mit ih-
ren schnellen Einsätzen, insbesondere bei ›Keiner weint
um Hexen‹, eine große Herausforderung dar, die der
engagierte Amateurchor mit Bravour meisterte. Doch
bevor Roberta Valentini, die sich die Rolle der Elphaba

von der Pike auf – aus dem Ensemble heraus – bis zur
Erstbesetzung erarbeitet hat und diese insgesamt vier
Jahre gespielt hat, ihre klang- und kraftvolle Stimme
einsetzte, bot sie ihren »Faces Song« dar. Jeder Gast
wird gebeten, ein Lied zu singen, das ihm besonders
am Herzen liegt – bei Roberta Valentini war es ›Halt
mich‹ von Herbert Grönemeyer, das sie bewegend inter-
pretierte. Danach tauchten Valentini und Zetterholm
als Elphaba und Fiyero in die Vergangenheit ein. In
›Solang‘ ich dich hab‹ fasst Elphaba den Mut, Fiyero
zu lieben. Zetterholm ließ den sorglosen Draufgänger
mit ›Tanz durch die Welt‹ lebendig werden und Wilma
Harth als Glinda erklärte Elphaba in einer komödianti-
schen Darbietung, wie man es schafft, ›Heißgeliebt‹ zu
werden, wobei sie ihr vorher eine schwarze Brille auf-
setzen musste, damit sie überhaupt etwas hässlich aus-
sähe. Mit ›Wie ich bin‹ oder ›For Good‹ (so der Origi-
naltitel) gaben Glinda und Elphaba ihrer Freundschaft
Ausdruck, bevor Roberta Valentini als Elphaba die
Halle mit ›Frei und schwerelos‹ erbeben ließ. Für das
smaragdgrüne Licht sorgte mit seinem ausgeklügelten
Lichtdesign Marcus Krömer (Lichtdesigner auch für
die »Everly Brothers«), der immer wieder andere farbi-
ge Welten visualisierte – so auch die kalte Bergwelt des
»Matterhorns«, ein klares Kontrastprogramm zu »Wi-
cked«. Das Musical von Albert Hammond und Michael
Kunze zeigt das Erfolgsstreben des Engländers Edward
Whymper, der als Erster das Matterhorn besteigen will,
um als ungeliebter dritter Sohn die Anerkennung seines
Vaters zu erringen. In dem Titel ›Besser sein‹, den An-
ton Zetterholm bewegend interpretierte, erinnert Ed-
ward Whymper etwas an den jungen Wolfgang Mozart
im gleichnamigen Musical. Doch »Matterhorn« zeigt
nicht nur die Sehnsucht nach dem ›Weit oben‹, die zu
einer Sucht wird, sondern auch die Folgen des Berg-
steigerrausches für eine sich entwickelnde Tourismus-
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Konzerte & Entertainment
industrie. Von ›Mehr Erfolg‹ träumten Jesper Tydén Abb. unten von oben links:
und Wilma Harth. Welche Gefahr mit dem Besteigen 1. ›Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht‹ –
des Berges verbunden sein konnte, erzählte Roberta Va- Wilma Harth als Eliza mit einem
Teil der Chormitglieder, die stilvoll
lentini in ›Olivias Albtraum‹ als Tochter des Seilermeis-
Lord und Lady oder Bedienstete der
ters, die von dem Berggeist Orca vor dem Kommenden British Upperclass mimen
gewarnt wurde. Sie spricht mit Edward ›Und wär‘ mor- 2. Chor und Solisten – (v.l.): Wilma
gen alles zu Ende‹, aber er kann nicht anders, als seinem Harth, Roberta Valentini, Jesper
Traum zu folgen. Tydén, Anton Zetterholm – feiern
ausgelassen den Ausklang des
Vor der Pause stellte der »Faces Chor« seine Stimme
Abends mit dem ›Time Warp‹
noch einem jungen Charity-Projekt zur Verfügung, in- 3. ›Wie ich bin‹ – Roberta Valentini
dem er gemeinsam mit Solist James Williams ›We Are und Wilma Harth mit dem großen
One‹ intonierte, die Hymne der ›Voice Aid Association‹. Freundschaftsduett aus »Wicked«
Letztere engagiert sich auf verschiedenen Gebieten 4. Zu den zünftigen Kostümen des
für Humanität und Umweltschutz und will vor allem, Chors – Dirndl und Krachlederne –
kam noch ein Alphorn, das erst
unter Nutzung der modernen Medien, Menschen und
ertönte, als der kleine Stoffbernhar-
Unternehmen dafür begeistern. diner herausgezogen worden war
Für zwei besondere Höhepunkte sorgten die bei- Fotos (4): Andreas Papke
den »Faces Songs« von Anton Zetterholm und Jesper
Tydén. Zetterholm hatte sich mit ›Bui Doi‹ (»Miss
Saigon«) bewusst einen Chor-Song ausgesucht und
bewies, welche Weiterentwicklung seine Stimme seit
seiner »Tarzan«-Zeit erfahren hat. Mit Volumen und
bis zum baritonalen Timbre erzeugte er einen Gän-
sehaut-Moment. Für ein weiteres Highlight sorgte
Jesper Tydén mit seiner akzentuierten, gesangskräfti-
gen Interpretation von ›She Used to Be Mine‹ aus dem
Musical »Waitress«.
Der Abend klang aus mit der Feier der Dancefloor-
Musicals »Flashdance« und »Footloose« und Stim-
mungszugaben aus »The Rocky Horror Show« und
»Carousel«. Damit waren zwei ausverkaufte Konzert-
tage schon wieder vorbei. Es wäre schön, wenn dieses
aufwendig gestaltete Chor-Konzert mit seinem Broad-
way-würdigen Rahmen auch an anderen Orten eine
Bühne finden könnte.
Barbara Kern
ü 59

Ein Traum wird wahr mit der Musik der »Beatles«
»Yesterday« im Kino
Abb. oben:
Jack Malik (Himesh Patel) lebt
seinen Traum
Foto: © Universal Pictures
Yesterday
Universal Pictures International Germany
UK 2019
Kinostart: 11. Juli 2019
FSK ohne Altersbeschränkung
Filmlänge 117 Minuten
Regie .............................. Danny Boyle
Drehbuch ................. Richard Curtis &
Jack Barth
Kamera .................... Christopher Ross
Filmschnitt .......................... Jon Harris
Score ..................... Daniel Pemberton
Songs ............................ »The Beatles«
Music Supervison ............. Adem Ilhan
Setdesign ................... Cathy Cosgrove
Produktionsdesign .......... Patrick Rolfe
Kostüme ............................ Liza Bracey
Haar & Make-up
Design ........................ Ivana Primorac
Special Effects ................. Luke Corbyn
Sounddesign ..................... Niv Adiri &
Glenn Freemantle
Produzenten .............. Bernard Bellew,
Tim Bevan, Danny Boyle,
Richard Curtis, Eric Fellner,
Matthew James Wilkinson
Jack Malik ...................... Himesh Patel
Ellie Appleton ..................... Lily James
Debra Hammer ........... Kate McKinnon
Ed Sheeran ........................ Ed Sheeran
Rocky ..................................... Joel Fry
Gavin ...................... Alexander Arnold
und viele weitere
ü 60
Film & Fernsehen
D ie Musik von »The Beatles« aus den 1960er Jahren
kennt jeder. Dutzendfach remastered und immer
wieder im Radio gespielt und in Filmen als Hintergrund
verwendet, scheinen die Songs von John Lennon, Paul
McCartney, Ringo Starr und George Harrison unsterb-
lich, auch wenn zwei der Bandmitglieder einen frühen
Tod starben. Danny Boyles Musikkomödie »Yesterday«
zeigt, wie einflussreich die Musik der Beat-Band war
und was der Welt ohne sie entgangen wäre.
Der 27-jährige, erfolglose indisch-britische Singer-
Songwriter Jack Malik (Himesh Patel) träumt von
der großen Karriere. Seine Jugendfreundin Ellie (Lily
James) unterstützt ihn, indem sie ihm Auftritte orga-
nisiert. Doch so sehr sich das Duo auch bemüht, der
Erfolg bleibt aus. Eines Nachts kommt es zu einem
weltweiten Stromausfall. Binnen dieser 12 Sekunden
ändert sich Jacks Leben: Er wird von einem Bus an-
gefahren, kommt aber mit Prellungen und zwei aus-
geschlagenen Zähnen im Krankenhaus wieder zu sich.
Als er einen »The Beatles«-Song vor sich hin singt, ist
Ellie begeistert. Nach seiner Entlassung erkennt Jack,
dass seine Freunde noch nie etwas von »The Beatles«
gehört haben. Seine Recherchen im Internet ergeben,
dass die Band und alle ihre Songs aus der Erinnerung
der Menschen gelöscht wurden und nur er sich an die
zahlreichen Megahits erinnern kann.
Als Jack seinen Freunden ›Yesterday‹ vorspielt, den-
ken sie, er hätte den Song geschrieben. Auch ›Hey
Jude‹ und ›Let It Be‹ sorgen für Begeisterung. Emsig
notiert Jack alle Songs aus seinem Gedächtnis. Die
meisten Texte der »The Beatles«-Songs kann Jack
mühelos aufschreiben, doch bei ›Eleanor Rigby‹ und
›Penny Lane‹ wollen sich die korrekten Wörter ein-
fach nicht in die richtige Reihenfolge bringen lassen,
was Jack zur Verzweiflung bringt. Mit Hilfe von Ellie
und dem Record Manager Gavin (Alexander Arnold)
nimmt er im Tonstudio das Demo ›I Want To Hold
Your Hand‹ auf. Anschließend verteilt er dieses im
Supermarkt und zieht somit das Interesse auf sich.
Durch einen Auftritt mit ›In My Life‹ in der TV-Show
von James Cordon wird Singer-Songwriter Ed Sheeran
auf Jack aufmerksam und bucht ihn als Vorband für
seine Tour. Als Jack Sheeran mit ›Back in the U.S.S.R.‹
die Show stiehlt, zweifelt der Megastar an seinem Ta-
lent, das von dem Nobody überstrahlt wird. Managerin
Debra (Kate McKinnon) nimmt Jack unter Ver-
trag und macht ihn über Nacht zum Superstar. Jack
zieht nach Los Angeles um und lebt in den USA sei-
nen Traum. Mit ›Eleanor Rigby‹, ›Strawberry Fields
Forever‹ und ›Penny Lane‹ wird er zum gefeierten Star.
Doch lange kann er die Lüge, die ihn zusehends ein-
zuholen droht, und die Trennung von seiner großen
Liebe Ellie nicht mehr ertragen: ›Help‹.
In der Zusammenarbeit des Oscar-prämierten Re-
gisseurs Danny Boyle (»Slumdog Millionär«) und des
Oscar-nominierten Drehbuchautors Richard Curtis
(»Notting Hill«) vereinen sich Witz, romantische Mo-
mente und herausragende Konzertauftritte mit der un-
schlagbaren Musik der »The Beatles«. Mit dem Filmtitel
»Yesterday« bezieht sich Boyle auf deren gleichnamigen
»Beatles«-Song, der 1963 zum besten Titel erklärt
und auf der Liste des Musikmagazins »Rolling Stone
«zu den 500 besten Songs aller Zeiten zählt. Für den
Regisseur repräsentiert die Musik der »The Beatles« ei-
nen entscheidenden Augenblick, in dem die Mensch-
heit ein halbes Jahrhundert Krieg und Zerstörung
hinter sich gelassen hat: »Durch diese Musik haben
sich die Menschen neu erfunden und sich instinktiv
für Kunst, Liebe und Poesie entschieden. Pop-Musik
war damals in der Lage, vor allem bei Teenagern eine
ungeheure Kraft in Bewegung zu setzen.«
Die Filmmusik komponierte Daniel Pemberton,
dessen Soundtrack auch Cover-Versionen der »The
Beatles«-Songs enthält. Newcomer Himesh Patel (Se-
rie »EastEnders«) konnte beim Casting mit seiner Per-
formance von ›Back in the U.S.S.R.‹ überzeugen. Er
gab dem gesamten Kreativteam das Gefühl, dass dieser
Song nur für ihn geschrieben wurde, und erweckte
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

damit genau den Moment, den er auch im Film er-
zeugt, wenn er dem unbekannten Song der eigentlich
weltweit bekannten Boygroup neues Leben einhaucht.
Lily James, die zuletzt als junge Donna in »Mamma
Mia: Here We Go Again« mit ihrem Gesangs- und
Tanztalent überzeugte, verkörpert Jacks beste Freun-
din und spätere Liebe Ellie. Gemeinsam mit ihm nahm
sie im Tonstudio einen Song auf, bei dem erneut ihre
glockenartige Stimme zu hören ist. Eine große Über-
raschung ist der Auftritt von Ed Sheeran, der im Film
als er selbst auftritt und sich am Ende vor dem großen
Genie Jack verneigt. Neben diesen drei ambitionierten
Darstellern und Sängern wird die Musik zur personifi-
zierten vierten Hauptfigur des Films. Die Songs – mit
der Genehmigung von Paul McCartney und Ringo
Starr sowie dem Nachlassverwalter von John Lennon
und George Harrison – bleiben textlich und musi-
kalisch dicht am Original, werden jedoch auf eigene
Art (neu) interpretiert, um zur Story zu passen. Durch
die Reihenfolge, in der sie zu hören sind, entsteht ein
erzählerischer Bogen für Jacks Erlebnisse. ›Yesterday‹
ist der erste Song, den Jack nach seinem Unfall spielt.
Die Reaktion seiner Freunde darauf gibt den An-
stoß für seine Karriere, die durch die legendären No-
ten ins Rollen gebracht wird. Danach nimmt er ›She
Loves You‹, ›I Want to Hold Your Hand‹ und ›I Saw
Her Standing There‹ auf, die aus den 1960ern stam-
men und seine Lebensfreude einfangen. Als er für den
lokalen TV-Sender ›In My Life‹ spielt, erregt er das In-
teresse von Ed Sheeran, während Ellie den Schluss des
Liedes als Liebeserklärung interpretiert. Mit ›Back in
the U.S.S.R.‹ eröffnet Jack spontan die Tour von Ed
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Film & Fernsehen
Sheeran in Russland und wird dafür als Held gefeiert. Abb. unten von oben links:
Während der Tour fordert Sheeran Malik zu einem 1. Jack Malik (Himesh Patel) nimmt
Songwriting-Wettstreit heraus, den Jack mit ›The Long mit seiner Managerin und (besten)
Freundin Ellie Appleton (Lily James)
and Winding Road‹ für sich entscheiden kann. ›Here
den Song ›She Loves You‹ auf
Comes the Sun‹, ›While My Guitar Gently Weeps‹ und 2. Jack Malik (Himesh Patel) und Ed
›Hey Jude‹ – die die Vielseitigkeit der »The Beatles« zei- Sheeran werden Freunde
gen – nimmt Malik mit Sheerans Hilfe für sein erstes 3. Jack Malik (Himesh Patel) bei
Album auf. Der Musiker ist davon derart beeindruckt, einem seiner Auftritte
4. Ellie (Lily James) sieht Jack Malik
dass er seine eigene Karriere als unwichtig ansieht,
(Himesh Patel) nur noch aus der
was dem Film einen besonders amüsanten Moment Ferne
verleiht. Vom Dach eines Pubs aus spielt Jack für die Fotos (4): Jonathan Prime
begeisterte Fangemeinde ›Help‹, was als Hilfeschrei © Universal Pictures
interpretiert werden kann. Jack ist in diesem Moment
verunsichert und am Ende seiner Kräfte, was Ellie ver-
steht. Abgerundet wird die Geschichte mit dem Song
›All You Need Is Love‹, der als Botschaft der Handlung
verstanden werden kann. Denn genau in diesem Mo-
ment erkennt auch Jack, dass ihm die ganze Karriere
nichts bedeutet, solange er seinen Erfolg nicht mit Ellie
teilen kann.
Dank des Engagements von Music Supervisor
Adem Ilhan, der sich mit dem Singer-Songwriter iden-
tifizieren kann, entsteht eine authentische Atmosphäre,
in der die Schauspieler musikalisch über sich hinaus-
wachsen. So enthält der Film nicht nur die Musik von
»The Beatles«, sondern auch die von Jack, die aus Pem-
bertons Feder stammt. Somit ist der Film nicht nur ein
Muss für Fans der Musik der legendären Beat-Band,
sondern für all jene, die niemals aufhören, zu träumen
und an ihr eigenes Talent zu glauben.
Sandy Kolbuch
ü 61

Die wahre Erfolgsgeschichte eines Shanty-Chors
»Fisherman‘s Friends« im Kino
Abb. rechts:
Die »Fisherman‘s Friends«
Foto: © Splendid Film GmbH
Fisherman‘s Friends
Splendid Film
UK 2018
Kinostart: 8. August 2019
FSK 6
112 Minuten
Regie .............................. Chris Foggin
Drehbuch .................. Piers Ashworth,
Meg Leonard, Nick Moorcroft
Kamera ......................... Simon Tindall
Filmschnitt .................. Johnny Daukes
Filmmusik ................... Rupert Christie
Music Supervison ............... Ian Brown
Produktionsdesign ....... Hannah Purdy
Foggin
Kostüme ........................ Rebecca Hale
Haar & Make-up
Design .......................... Julie Kendrick
Sound ............................... John Rodda
Produzenten ................. Meg Leonard,
Nick Moorcroft, James Spring
Alwyn ................ Tuppence Middleton
Danny ............................. Daniel Mays
Jim ................................ James Purefoy
Jago ............................ David Hayman
Henry ................ Christian Brassington
Troy ................................. Noel Clarke
Rowan ...................... Sam Swainsbury
Leadville ........................... Dave Johns
Charles Montague . Christopher Villiers
Maggie ........................... Maggie Steed
Leah ................................ Jade Anouka
Driss ................................. Vahid Gold
und viele mehr
62
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Film & Fernsehen
1995 trafen sich die Einheimischen des
Fischerorts Port Isaac an der Küste Corn-
walls, um gemeinsam Seemannslieder zu singen. Jeden
Freitag trat der Shanty-Chor »Fisherman‘s Friends«, der
aus zehn gestandenen Männern bestand, am Hafen auf.
Als 2009 der BBC-Radiomoderator Johnnie Walker
während seines Urlaubs in Cornwall auf den Männer-
chor stieß, machte er seinen Manager Ian Brown auf
die Gruppe aufmerksam. Dieser nahm die »Fisherman‘s
Friends« unter Vertrag. Mit dem Album »Port Isaac‘s
Fisherman‘s Friends«, das mit über 150.000 verkauften
Exemplaren Gold-Status erreichte, stürmte der Männer-
chor 2010 die britischen Top Ten. Nach drei weiteren
Alben erschien im März »Keep Hauling – Music From
the Movie«, der Soundtrack zum Film »Fisherman‘s
Friends«, mit dem Chris Foggin (»Kids in Love«) die un-
gewöhnliche Karrieregeschichte des Shanty-Chors auf
die Kinoleinwand bringt.
Henry (Christian Brassington) verbringt seinen
Junggesellenabschied mit seinen Freunden/Kollegen
Driss (Vahid Gold), Troy (Noel Clarke) und Danny
(Daniel Mays) in dem beschaulichen Fischerort Port
Isaac in Cornwall. Als die vier Londoner in Seenot ge-
raten und von Fischer Jim (James Purefoy) und seinen
Kumpeln gerettet werden müssen, prallen Welten auf-
einander. Als die Freunde kurz darauf Zeuge werden,
wie der Shanty-Chor »Fisherman‘s Friends«, bestehend
aus Jim, Jago (David Hayman), Rowan (Sam Swains-
bury) und ihren Fischerkollegen, am Hafen ›John Ka-
naka‹ performen, kommt Troy eine Idee. Er verlangt
von Musikmanager Danny, dass er die Männer unter
Vertrag nehmen soll. Euphorisch macht sich Danny
ans Werk, um den absurden Auftrag zu erfüllen. Da
die Annäherung mit den Männern am Stammtisch im
Pub scheitert, mietet sich Danny im Bed and Break-
fast von Jims Tochter Alwyn (Tuppence Middleton)
ein. Am nächsten Morgen sticht Danny mit den Män-
nern in See und kann sie bei hohem Wellengang davon
überzeugen, dass sie mit der Musik tatsächlich Geld
verdienen könnten. Danny verliebt sich nicht nur in
Port Isaac, sondern auch in Alwyn, deren Tochter
Tamsin er ebenfalls ins Herz schließt. Mühsam nimmt
er mit den Männern am Hafen (›South Australia‹) und
in der Kirche (›Little Liz I Love You‹) ein Demo auf
und lässt die »Fisherman‘s Friends« sogar auf Henrys
Hochzeitsfeier singen: ›Blow the Man Down‹. Als sein
Chef Danny für verrückt erklärt, kündigt er seinen
Job und macht sich als Manager der singenden Fischer
selbstständig. Danny bietet seine Band feil, aber kein
Label scheint ehrliches Interesse zu haben. Doch als die
Küsten-Kerle live aus Cornwall ihre ganz eigene Ver-
sion der Nationalhymne schmettern (›The ‘Trelawny‘
National Anthem‹) und ihr Auftritt kurz darauf auf
Youtube landet, wächst die Begeisterung der Presse an
dem Shanty-Chor. Island-Record-Label-Chefin Leah
(Jade Anouka) bietet den »Fisherman‘s Friends« einen
spektakulären Plattenvertrag an. Die Freude ist riesig.
Doch als es in Port Isaac zu gleich zwei traurigen Ab-
schieden kommt (›The Leaving Shanty‹), verebbt die
Euphorie schnell. Danny steht vor den Trümmern sei-
nes Traumes und muss sich entscheiden: Kämpfen oder
Aufgeben. Er trifft die richtige Entscheidung und wird
belohnt: ›No Hopers, Jokers & Rogues‹.
Vor der Kulisse der rauen Küste Cornwalls erzählt
der Heimatfilm eine Geschichte über Freundschaft
und Mut, untermalt mit Shanty-Songs, die jeweils für
sich eine eigene Geschichte erzählen. Drehbuchautorin
Meg Leonard, die zufälligerweise im Fernsehen den
ersten öffentlichen Auftritt der »Fisherman‘s Friends«
sah, war von deren Traditionsbewusstsein und Zu-
sammenhalt fasziniert. Gemeinsam mit ihrem Partner
Nick Moorcroft schrieb sie das Drehbuch, basierend
auf Tatsachen, denen sie fiktive Momente hinzufügten.
Gedreht an Originalschauplätzen, mit einem umwer-
fenden Cast sowie den »Fishermans« persönlich und
sämtlichen Bewohnern von Port Isaac als Statisten,
wirkt die Geschichte authentisch. Die Schlüsselmo-
mente des Films werden durch die Shantys untermalt,
die zum Repertoire der Fischer gehören. Die traditions-
reichen Seemannslieder bringen das raue Klima der
See, die zudem in den malerischen Naturaufnahmen
eingefangen wird, direkt auf die Kinoleinwand und
bescheren dem Publikum damit einen Kurzurlaub für
die Seele.
Sandy Kolbuch
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ü

Her name was Lola, she was a showgirl
Schweizer Erstaufführung von »Copacabana« durch die Westside Singers Bern
Abb. rechts:
›El Bravo!‹ – Lola La Mar
(Nora Keller) und Ensemble
Foto: Monika Liechti
Copacabana
Barry Manilow / Bruce Sussman /
Jack Feldman
Songs in englischer Sprache
Deutsche Dialoge von Roman Hinze
Westside Singers Bern
Mattenhofsaal Gümligen
Schweizer Erstaufführung:
16. Mai 2019
Regie & Choreographie .... Ursula Lysser
Musik. Ltg. ...... Abdiel Montes de Oca
Ltg. Bühnenbild ..... Guido Mauerhofer
Ltg. Kostüme .......................... Caterina
Campanile Gschwend
Maske ...................... Anja Wiegemann
Licht & Ton ............................. nuance
Veranstaltungstechnik
Lola La Mar / Samantha .... Nora Keller
Tony Forte / Steven .... Christian Menzi
Rico Castelli ............ Roland Herrmann
Conchita Alvarez ....... Raya Sarontino /
Rebecca Ritz
Gladys Murphy ................ Erna Beutler
Sam Silver ................... Reto Bitschnau
McManus ............... Guido Mauerhofer
Willie ........................... Samuel Menzi
Skip ................... Giuseppe Marchione
Oberkellner ................ Martin Köberle
Mr Brill ............................ Stefan Stuck
Carlos .......................... Noah Gregoris
In weiteren Rollen:
Lotti Aeschlimann, Doris Blaser,
Andreas Bochsler, Vanessa Bolliger,
Vreni Bütikofer, Caterina Campanile,
Petra Capaul, Judith Carnal, Solenne
Decrey, Angelika Fiechter, Rahel
Glauser, Barbara Guggisberg, Rita
Huber, Michel Kaufmann, Fränzi
Köberle, Fabienne Lüthi, Selina Port-
ner, Melanie Rohner, Sandra Rohner,
Reto Rüegg, Erich Ryter, Eva Streit,
Christina Wegmüller, Karin Zürcher
64
Musicals in Europa
W er erinnert sich nicht an die Songs ›Mandy‹,
›Can‘t Smile Without You‹, ›Copacabana‹ von
Barry Manilow? Gemeinsam mit Bruce Sussman und
Jack Feldman (Musik und Liedtexte) verfasste Barry
Manilow (Musik) mit dem Musical »Copacabana« eine
Art Langfassung der Story des gleichnamigen Sommer-
hits von 1978. Das Musical wurde am 21. März 1994
am Theatre Royal in Plymouth (UK) uraufgeführt,
am 23. Juni 1994 feierte das Stück am The Prince of
Wales Theatre in London West-End-Premiere. Später
erarbeitete Roman Hinze eine deutsche Übersetzung
der Dialoge für die deutschsprachige Erstaufführung
durch das Junge Staatsmusical Wiesbaden unter Regie
von Iris Limbarth (Premiere am 7. September 2006).
Die »Westside Singers Bern« präsentierten am
16. Mai 2019 im Mattenhofsaal in Gümligen die
Schweizer Erstaufführung des Barry-Manilow-Musi-
cals »Copacabana«. Für diese Premiere probten die über
vierzig Amateure des 1911 gegründeten Chors »West-
side Singers Bern« unter der Leitung ihres Dirigenten
Abdiel Montes de Oca. Er verantwortet ebenfalls die
musikalische Leitung der hervorragenden zehn Musi-
ker der Copa-Band: Doris Lanz am Bass, Julia Rueffert
an der Posaune, Elori Baume wie auch Julian Eisinger
am Saxophon, Heinz Ochsner sowie Heinz Wolf an der
Trompete, Abdiel Montes de Oca wie auch Kostiantyn
Melnyk am Keyboard, Rasmuss Nissen an der Gitar-
re, Walter Grob an den Perkussions und Jan Klopfstein
an den Drums. Mit zündender Energie treibt diese das
Geschehen auf der Bühne voran. Dabei gestalten unter
der ideenreichen Regie und Choreographie von Ursula
Lysser ausgebildete Musicaldarsteller die Hauptrollen,
Chormitglieder einige Nebenrollen des unterhaltsamen
Musicals. Diese Inszenierung beeindruckt durch die
lebendigen Chorszenen, in denen die Chormitglieder
mal Zugreisende, Gäste sowie Tänzerinnen und Tänzer
des Nachtklubs darstellen. Die glamourösen Kostüme,
den aufwendigen Federkopfschmuck für die bildhaften
Showszenen stellten die Chormitglieder in freiwilliger
Arbeit her. Ebenso bauten die Vereinsmitglieder das
Bühnenbild für die große Bühne im Mattenhofsaal.
Auf dieser Bühne wird der junge Songwriter Steven
ständig von seiner Frau Samantha beim Komponie-
ren gestört. Er soll mit ihr den fünften Hochzeitstag
feiern. Da er sehr in seine Arbeit vertieft ist, ver-
schmelzen in seinen Gedanken Realität und Fikti-
on. Er träumt sich in das Jahr 1947: Soeben ist Lola,
eine junge Frau aus Oklahoma, in New York ange-
kommen, um in dem berühmten Nachtclub »Copa-
cabana« als Showgirl arbeiten zu können. In diesem
Club trifft sie auf den unbekannten Songwriter Tony,
der sich mit einem Job im Nachtclub seinen kargen
Lebensunterhalt verdient. Schnell verlieben sich
Tony und Lola. Nora Keller und Christian Menzi
überzeugen in ihren Doppelrollen als Lola La Mar/
Samantha und Tony Forte/Steven. Eines Abends ent-
deckt der unberechenbare, zielstrebige Rico Castelli
(Roland Herrmann) im »Copacabana« Lola. Sofort
fühlt sich Rico zu der jungen Frau hingezogen, ohne
dabei Rücksicht auf die Gefühle seiner temperament-
vollen, eifersüchtigen Lebensgefährtin Conchita Al-
varez (Raya Sarontino) zu nehmen. Der kriminelle
Rico entführt die naive Lola nach Havanna, wo sie
in seinem Nachtklub »Tropicana« den alternden Star
Conchita Alvarez in der allabendlichen Show ablösen
soll. Mit dieser Entscheidung will Rico die Frauen ge-
geneinander ausspielen. Aber Conchita freundet sich
mit Lola an und hilft der Verzweifelten. Zugleich ist
Tony gemeinsam mit Sam, dem Besitzer des »Copa-
cabana«, nach Havanna gereist, um Lola zu befreien.
Dafür benötigen die Männer die Hilfe von Conchita,
die während der dramatischen Befreiung von Lola
Tony das Leben rettet, indem sie Rico erschießt.
Auf einmal liegt Steven schlafend auf der Bühne.
Samantha weckt ihren Mann, da ihre streitenden El-
tern das junge Paar zum Essen in einem nahegelegenen
Restaurant abholen möchten. In Gedanken beendet
Steven seinen Song ›Copacabana‹, mit dem das Ensem-
ble und der Chor im Schlussfinale der mitreißenden
Inszenierung das Publikum begeistert.
Martina Friedrich
üblickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

Mordkomplott im Luxuszug
»Orient Express – von Paris nach Istanbul« in Buchs in der Schweiz uraufgeführt
D er Orient Express der Compagnie Internati-
onale des Wagons-Lits (CIWL) fuhr ab 1890
von Paris bis Istanbul. Ursprünglich bestand dieser
Luxuszug aus Schlaf- und Speisewagen. Von 1945 bis
1962 führte die Route des »Arlberg-Orient-Express«
über Zürich-Buchs-Feldkirch. In Buchs an der Grenze
zum Fürstentum Liechtenstein befindet sich auf dem
Bahnhofsgelände die alte Lokremise. Hier wurden
die Dampfloks gewartet, die die Decke der Halle mit
ihrem Ruß schwärzten. Davon konnten sich die Be-
sucher der Uraufführung »Orient Express«, die am
18. Mai 2019 in dieser einmaligen Lokation statt-
fand, selbst überzeugen. Ein Team aus den Regionen
Werdenberg (Schweiz) und Liechtenstein sowie eine
internationale Besetzung gestalten die zehnte Urauf-
führung der Music Productions Werdenberg. Mathias
Ospelt schrieb die oft humorvollen, hintersinnigen
Dialoge für das Krimi-Musical, für welches er sich
von dem Thriller »Zwei Fremde im Zug« (OT: »Stran-
gers on a Train«) von Krimiautorin Patricia High-
smith und dessen Verfilmung durch Alfred Hitchcock
unter dem Titel »Der Fremde im Zug« (1951) inspirie-
ren ließ. Mit diesen Texten verbindet Mathias Ospelt
gekonnt die vielen Musiktitel aus den verschiedenen
Sprachregionen, die die Zugreisenden auf der fiktiven
Fahrt von Paris nach Istanbul durchqueren. Dabei
vereint er Songs von Elvis Presley (›Mystery Train‹),
Jethro Tull (›Locomotive Breath‹), Albert Hammond
(›I‘m a Train‹) mit französischen Chansons, schwei-
zerdeutsche (›Ir Ysebahn‘‹ von Mani Matter) und Aus-
tropop-Schlager (›Koa Hiatamadl‹ von »Hubert von
Goisern & die Alpinkatzen«). Diese Songs werden
schwungvoll von den Musikern der Band unter der
Leitung des Pianisten Marco Schädler dargeboten.
Die Band hat ihren Platz vor der Dampflokomotive
auf der linken Seite der ebenerdigen Bühne. An dieser
Lokomotive hängt ein blauer Speisewagen der CIWL,
dessen Vorderfront fehlt. So erhält das Publikum ei-
nen guten Blick in den mit eleganten Möbeln aus-
staffierten Waggon. Das eindrückliche Bühnenbild
schuf der Regisseur des Musicals, Nikolaus Büchel,
blickpunkt musical 04/19,üJuli – September 2019
Musicals in Europa
und Caroline Neven Du Mont entwarf die eleganten
Kostüme. Die mehrtägige Zugreise von Paris nach
Istanbul nutzt die Musical-Truppe unter der Leitung
der strengen Besitzerin des Unternehmens Angelique
Kowalsky (Maryam El-Ghussein) und deren liebens-
würdigem Schwiegersohn Jack Russel (Oliver Polenz)
zum Proben für die Show. Der charmante Schaffner
Anton Lamm (David Schuler) nutzt die Reise, um mit
den sympathischen, lebenslustigen Mitgliedern des
Musical Ensembles, Gianna (Jasmin Reif) und Gina
(Klaudia Dodes), anzubandeln. Zugleich begleitet
der Zugführer (Christoph Wettstein) die Passagiere
souverän durch die vielen Länder, wird gar zum
Lebensretter von A. Kowalsky, die nur knapp einem
Attentat von Bruno entgeht. Der agile, hinterlistige
Bruno (Raphael Köb) reist gemeinsam mit seiner be-
zaubernden Frau Charlotte (Isabella Rapp). Zufällig
kommen Jack und Bruno ins Gespräch, wobei Bruno
Jack vorschlägt, dass er Jacks Schwiegermutter A. Ko-
walsky umbringt. Dafür soll Jack Brunos Frau ermor-
den. Doch Jack warnt Charlotte vor den Mordplänen
ihres Mannes, gemeinsam versuchen sie, Bruno am
Morden zu hindern. Trotzdem plant Bruno weiterhin,
A. Kowalsky zu ermorden. Zugleich steigt in Italien
ein Italiener in den Zug, der sich mit großem Herz-
schmerz von seiner Liebsten verabschieden muss. Diese
witzige Schauspielszene gestalten Lisa Suitner und
Thomas Beck. Zugleich erzählen die eindrücklichen,
oft bildhaften Choreographien von Miguel-Angel
Zermeño und Isabella Rapp den Inhalt der Songs
als kurze Geschichte, wie zum Beispiel ›La mer‹: Ein
Mann sonnt sich am Strand auf der Luftmatratze, ein
verliebtes Paar flaniert dort, jemand badet. Die ideen-
reiche Inszenierung von Nikolaus Büchel nimmt das
Publikum mit auf eine kurzweilige Zugreise, auf der
sich die unterschiedlichsten Menschen begegnen, ver-
lieben, verlassen. Zu Recht honorieren die Zuschauer
am Ende die bemerkenswerte Leistung des Ensembles
sowie der Band-Musiker mit Standing Ovations.
Martina Friedrich
Abb. oben von links:
1. Jack Russel (Oliver Polenz, 2.v.r.)
lernt Charlotte Di Abolo (Isabella
Rapp, l.) und Bruno Di Abolo
(Raphael Köb, r.) kennen
2. ›Tornero / Wart auf mich‹ – (v.l.):
Zugreisender (Thomas Beck), Char-
lotte Di Abolo (Isabella Rapp), Bru-
no Di Abolo (Raphael Köb), Gina
(Klaudia Dodes), Gianna (Jasmin
Reif), Jack Russel (Oliver Polenz),
Back Vocals (Sandra Jann, Natalie
F. Pool, Manuela Glanzmann) und
Touristin (Lisa Suitner)
Fotos (2): Michael Zanghellini
Orient Express – von
Paris nach Istanbul
Diverse / Mathias Ospelt
Music Productions Werdenberg
Lokremise Buchs
Uraufführung: 17. Mai 2019
Regie & Bühnenbild .... Nikolaus Büchel
Musikalische Leitung &
Arrangements ............ Marco Schädler
Choreographie ........... Isabella Rapp &
Miguel-Angel Zermeño
Kostüme ...... Caroline Neven Du Mont
Maske & Frisuren ...... Claudia Rohlfing
Film ..................... Hansjörg Vorburger
​Jack Russel,
Musical Intendant ......... Oliver Polenz
Bruno Di Abolo,
Geschäftsreisender –
Bösewicht ....................... Raphael Köb
Charlotte Di Abolo,
Brunos Frau ................... Isabella Rapp
Gina, Mitglied Musical-
Ensemble ..................... Klaudia Dodes
Gianna, Mitglied Musical
Ensemble ........................... Jasmin Reif
Angelique Kowalsky, Besitzerin
der Musical Company ............ Maryam
El-Ghussein / Annette Lubosch
Teddy »Theo« Theodorou,
Zugführer ............. Christoph Wettstein
Anton Lamm, Schaffner .... David Schuler
In weiteren Rollen:
Thomas Beck, Manuela Glanzmann,
Markus Hareter, Sandra Jann,
Natalie F. Pool, Lisa Suitner
65

Die Visionen der Bernadette Soubirous
Uraufführung des Musicals »Bernadette de Lourdes« in Lourdes
Abb. oben:
Jeanne Abadie (Inès Jeannet), Toine
Soubirous (Morgane Gomes Freitas)
und Bernadette (Eyma) beim Spielen
Foto: Laurent Attias / Huguette & Prosper
Bernadette de Lourdes
Grégoire / Lionel Florence /
Patrice Guirao / Serge Denoncourt
Roberto Ciurleo &
Eléonore de Galard
Espace Robert Hossein Lourdes
Uraufführung: 1. Juli 2019
Regie ..................... Serge Denoncourt
Musik. Leitung ................... Scott Price
Bühnenbild ................... Stéphane Roy
Kostüme ..................... Mérédith Caron
Bernadette Soubirous ................. Eyma
Louise Soubirous ......... Sarah Caillibot
François Soubirous ............. David Bàn
Kommissar Jacomet ...... Grégory Deck
Abbé Peyramale .... Christophe Héraut
Toine Soubirous .................... Morgane
Gomes Freitas
Jeanne Abadie ................. Inès Jeannet
Staatsanwalt Dutour ..... Cédric Pelzman
Fotograf /
Amtsschreiber ......... Guillaume Muller
Bischof /
Arzt Dozous ................Daniel Defilipi
In weiteren Rollen:
Valentin Barzu, Yohann Beaufils,
Mélissa Blanc, Marine Dadure,
Laure Giordano, Magali Goblet,
Joshua de Pinho, Jean-Pierre
Larroutude, Francisco Ochando
Lopez, Prissem Ali Ouaka, Jacques
Perrodeau, Anthony Sanz,
Steven Sequeira
66
Musicals in Europa
B ernadette Soubirous (1844–1879) sah scheinbar
am 11. Februar 1858 in der Grotte von Massabielle
in Lourdes die Muttergottes Maria. Die sie Begleiten-
den – ihre Schwester Antoinette, genannt Toine, und
ihre Freundin Jeanne Abadie – hatten nichts davon
mitbekommen. Im Ganzen sah das 14-jährige Mäd-
chen Maria 18 Mal. In der Folgezeit ereigneten sich
in Lourdes wundersame Heilungen, und die Stadt in
den Pyrenäen wurde zum bedeutendsten Wallfahrts-
ort der Welt. Die Kirche erkennt 70 Wunderheilungen
von Lourdes an und rund 7000 Heilungen werden als
bemerkenswert eingestuft.
Die Produzenten Roberto Ciurleo und Eléonore de
Galard (»Robin des Bois«, »Les Trois Mousquetaires«)
planen seit Jahren, aus Bernadettes Geschichte ein Mu-
sical zu erschaffen. Das Produzententeam konnte das
Musical »Bernadette de Lourdes« nun in Lourdes selbst
uraufführen. Die Musik komponierte der eher in Frank-
reich bekannte Sänger und Komponist Grégoire. Als
Regisseur konnte Serge Denoncourt verpflichtet werden,
der bereits Shows für den Cirque du Soleil inszenierte.
Per Video projizierte Schafe laufen über eine Wiese,
auf der Bernadette (Eyma) steht. Eine Festungsmauer
verdeckt anschließend die Bergwelt von Lourdes, und
Bernadette wird durch den kompromisslosen Kom-
missar Jacomet (Grégory Deck) verhört. Er lässt sie
mehrmals erzählen, was sich in der Grotte abspielte.
Sie behauptet, eine »Aquèro« gesehen zu haben, was in
der okzitanischen Sprache »die da« oder »jene« bedeu-
tet. Die Erscheinung trug ein weißes Kleid und um die
Taille eine blaue Bauchbinde. Jacomet glaubt ihr nicht.
In einem Flashback, bei dem sich der Hintergrund öff-
net und eine Nachbildung der Grotte von Massabielle
zu sehen ist, suchen Toine (Morgane Gomes Freitas),
Jeanne (Inès Jeannet) und Bernadette Holz, als sich
ein Licht in der Grotte spiegelt. Mit dem schönen Lied
›Aquero‹ beschreibt Bernadette ihre Vision im Büro des
Kommissars.
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Der Polizist beordert Bernadettes Eltern Louise
(Sarah Caillibot) und François (David Bàn) ins Kom-
missariat. Er droht ihnen, falls Bernadette nochmals zur
Grotte zurückkehrt, diese einzusperren. In diesem Zu-
sammenhang erinnert er François daran, dass er schon
mal im Gefängnis einsaß, was diesen wütend macht,
da seine Familie ohnehin in ärmlichen Verhältnissen
im »Cachot«, einem ehemaligen Kerker, lebt. Das Mäd-
chen jedenfalls bleibt bei seiner Aussage und erklärt des
Weiteren, dass sie »Aquèro« versprochen hat, während
der folgenden zwei Wochen zurückzukommen.
Die Mutter bittet ihre Tochter in ›Ma fille‹, einsich-
tig zu werden und die Familie nicht zu zerstören. Doch
bei ihrem nächsten Besuch entdeckt Bernadette in der
Grotte eine Quelle. Die darauffolgende Szene ist äu-
ßerst originell inszeniert: Die Festungsmauer wird zur
Kirche mit einer Eingangspforte in der Mitte. Das En-
semble läuft mit Zeitungen in den Händen die Trep-
pen davor auf und ab und singt von ›La rumeur (dt.:
Das Gerücht)‹. Die Presse hat Wind von der Erschei-
nung und der Quelle bekommen. Der Pfarrer Peyra-
male (Christophe Héraut) steht unter den Lesern, die
am Ende des Lieds »einfrieren«. Die Zeitungen glänzen
– in Anspielung auf das Kleid der »Aquèro« – weiß im
Licht der Scheinwerfer.
François redet mit seiner Tochter und erklärt ihr,
dass er ihr glaubt, weil er sie liebt. Zusammen mit sei-
ner Frau beschreibt er ihr armseliges Dasein mit ›Qui
peut parler de nous? (dt.: Wer kann über uns reden?)‹.
Bernadette bleibt bei ihren Aussagen, fragt sich aber:
›Pourquoi moi?‹
Bernadettes Eltern stehen zusammen mit dem En-
semble vor der Grotte und erkennen mit ›Voir‹, dass
es sich bei der Erscheinung nur um die Muttergottes
handeln kann.
Als das Mädchen erneut vom Kommissar befragt
wird, ist bei der Anhörung sogar der Staatsanwalt Du-
tour (Cédric Pelzman) anwesend. Doch die wichtigste

Frage kann es nicht beantworten: »Wie heißt diese Er-
scheinung?« Es folgt das Ensemble-Lied ›Ils veulent un
nom (dt.: Sie wollen einen Namen)‹.
Abbé Peyramale befragt das Mädchen seinerseits.
Bernadette erzählt ihm, dass die Dame stets lächelt,
eine Prozession verlangt und den Bau einer Kapelle.
Er wird ihr ebenfalls nicht glauben, bis sie ihm einen
Namen nennt. Bernadette wiederholt ›Pourquoi moi?‹,
wobei die Textzeile: »ich bin aus Dreck geboren« be-
sonders hervorsticht. Sie geht erneut zur Grotte, wäh-
rend das Ensemble ein ›Ave Maria‹ anstimmt, das in
›Que soy era Immaculada Concepciou‹ übergeht, was
im Okzitanischen »ich bin die unbefleckte Empfäng-
nis« bedeutet. Als das Mädchen dem Pfarrer berichtet,
dass die Dame sich ihr mit diesem Satz erklärt hat, ist
dieser verblüfft und glaubt ihr: ›Moi je te crois (dt.: Ich
glaube dir)‹.
Zu dieser Aussage ist anzumerken, dass die Kirche
seit Jahrhunderten darüber zerstritten war, ob Maria
als Mutter von Jesus mit der Erbsünde belastet war
oder nicht. 1884 verkündete Papst Pius IX. das Dogma
der unbefleckten Empfängnis Mariens.
Nachdem der Arzt Dozous (Daniel Defilipi) Berna-
dette untersucht hat, kommt er zu dem Schluss, dass sie
unter Halluzinationen leidet. Mit ›En moi‹ zweifelt nun
auch der Kommissar an sich, und Toine und Jeanne fra-
gen sich: ›Pourquoi pas nous?‹ (dt.: ›Warum nicht wir?‹).
Bernadette liegt krank im Bett und stellt sich die
Frage, was geschehen wird, wenn die Erscheinung
verschwindet: ›Quand tu t‘en iras (dt.: Wenn du weg-
gehst)‹. Sie nennt hier erstmals ihren Namen: Marie.
Ein Fotograf (Guillaume Muller) muss ein Foto von
ihr machen und Abbé Peyramale ruft mit ›On a un
nom (dt.: Wir haben einen Namen)‹ zur Prozession auf.
Bernadette beschließt, ins Kloster zu gehen (›Ma-
dame‹). Ihr Vater erbittet ihre Verzeihung dafür, dass
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Europa
er ihr nicht immer beistehen konnte, weil er nur ein
Mann ist (›N‘être qu‘un homme (dt.: Nur ein Mann
sein)‹. Die Erscheinungen von Lourdes werden durch
einen Bischof (Daniel Defilipi) für wahr erklärt. Am
Ende zieht Bernadette den Schleier an und küsst zum
Abschied ihre Eltern, ehe sie ins Kloster von Nevers
eintritt. Das ganze Ensemble stimmt den Schlusstitel
›Allez dire‹ an. Bilder von Lourdes werden dazu auf den
Hintergrund projiziert.
Die Geschichte erzählt von Ereignissen, die ein
Mädchen mit einem starken Charakter in den Mittel-
punkt stellen. Lobenswert ist, dass in keinem Moment
die Erscheinungen als Tatsachen dargestellt werden.
Stets sieht man nur das Flackern eines Lichts in der
Grotte. So kann der Zuschauer entscheiden, ob er
glaubt, dass Maria Bernadette erschien oder nicht.
Die 16-jährige Eyma wurde bei der TV-Casting-
Show »The Voice Kids« entdeckt. Sie verfügt über eine
wunderschöne Stimme und reichlich Energie, um als
Bernadette ihren Befragern die Stirn zu bieten. Zudem Abb. oben:
klingen alle Liedtitel äußerst gut und sorgen stets für 1. Bernadette (Eyma) in der Grotte
die passende Stimmung. de Massabielle
David Bàn, Sarah Caillibot, Grégory Deck und
Abb. unten von oben links:
Christophe Héraut sind erfahrene Schauspieler und 1. Bernadette (Eyma), ihr Vater Fran-
Sänger, die ihre Rollen mit Überzeugung spielen und çois (David Bàn) und ihre Mutter
singen. Louise (Sarah Caillibot)
Bemerkenswert sind die beweglichen Bühnenbild- 2. François (David Bàn, 2.v.l.) verliert
elemente von Stéphane Roy, die sich in eine Festungs- bei den Anschuldigungen von Kom-
missar Jacomet (Grégory Deck, 2.v.r.)
mauer oder Kirche verwandeln können. Speziell die
die Nerven. Seine Frau Louise (Sarah
Nachbildung der Grotte ist gelungen. Caillibot, l.) und der Amtsschreiber
»Bernadette de Lourdes« wird somit auch Menschen (Guillaume Muller, r.) schauen zu
gefallen, die keine Bindung an die katholische Kirche 3. Das Ensemble bei ›La Rumeur‹
empfinden. Sie werden von der Intensität der Geschichte 4. Abbé Peyramale (Christophe
und den wunderbaren Songs hingerissen sein. Héraut) hat Probleme, Bernadette
(Eyma) zu glauben
Fotos (5): Laurent Attias /
Christian Spielmann Huguette & Prosper
ü 67
 Musicals in Europa

Neues aus Europa

zusammengestellt von Martina Friedrich, Barbara Kern und Christian Spielmann

Schweizer Erstaufführung von »Rock of

Ages« im Le Théâtre Emmen
Für das Jukebox-Musical mit den 25 Songs der
Rock-Formationen der 80er Jahre schrieb Chris
D‘Arienzo das Buch. Das Musical beinhaltet
Songs von »Bon Jovi« (›Wanted Dead or Alive‹),
»Twisted Sister« (›I Wanna Rock‹), »Whitesnake«
(›Here I Go Again‹) und vielen anderen Bands.
Das Musical wurde 2005 in einem Club in Los
Angeles uraufgeführt, erlebte 2011 die Premiere
am Broadway und im Londoner West End. Am
Theater Ulm fand 2018 die deutschsprachige
Erstaufführung des Musicals statt. Zudem wur-
de das Stück 2012 unter der Regie von Adam
Shankman mit Catherine Zeta-Jones, Tom
Cruise und Alec Baldwin in den Hauptrollen
verfilmt.
Das Musical erzählt die Geschichte des Jung-
rockers Drew Boley, der in einem Club in Los
Angeles 1987 als Aushilfe arbeitet. Er verliebt
sich in Sherrie Christian, der er einen Job im
schummrigen Club Bourbon Room besorgt.
Doch dieser Club soll verkauft werden, da Spe-
kulanten das Lokal erwerben wollen. Mit Hil-
fe des exzentrischen Rockstars Stacee Jaxx soll
die Rettung gelingen, indem die Clubleitung
mit dessen Auftritt die Öffentlichkeit auf die
Schließung des Lokals aufmerksam machen Intendant Florian Scholz
Foto: zvg
will. Zugleich will der Clubbetreiber mit diesem
Konzert genügend Geld für die Rettung seines
Lokals verdienen. in Bern tätig sein und ab Saison 2021/2022 wird Ab der Spielzeit 2021/2022 wird Scholz mit dem
Unter der Regie von Silvio Wey, mit Choreogra- er die künstlerische Gesamtverantwortung am neuen Schauspieldirektor Roger Vontobel zusam-
phien von Maria Focaraccio, musikalischer Lei- Konzert Theater Bern übernehmen. Seit sieben menarbeiten. Der gebürtige Züricher studierte
tung von Arno Renggli sind Jessica Lapp (Sher- Jahren leitet der 49-Jährige das Stadttheater Schauspielregie an der Hochschule für Musik und
rie Christian), Robin Reitsma (Drew Bowley) Klagenfurt in Österreich. Der gebürtige Hei- Theater Hamburg, wirkte am Schauspiel Essen,
sowie Antonio Calanna (Stacee Jaxx) zu sehen. delberger studierte an der Hochschule für dem Deutschen Theater Berlin, am Royal Danish
Die weiteren Rollen spielen Nedime Ostheimer Schauspielkunst Ernst Busch Berlin, arbeitete Theatre in Kopenhagen, später als Hausregisseur
(Regina), Irène Straub (Justice Charlier/Mutter anschließend als Schauspieler an verschiedenen am Schauspielhaus Bochum und Düsseldorf.
Christian), Felix Freund (Lonny Barnett), Frank deutschsprachigen Bühnen. Später absolvierte Er wünscht sich ein europäisches Netzwerk in
Bahrenberg (Hertz Kleinmann), Ronald Tetti- er ein Aufbaustudium zum Theaterleiter an der der Theaterlandschaft und plant, ein Team und
nek (Dennis Dupree). Im Ensemble sind Vanes- Universität Zürich, war dann als Direktor für Ensemble zusammenzustellen, das berührendes
sa Rudolf, Maura Oricchio, Jeannette Nickel, Internationale Beziehungen und Sonderprojekte Schauspiel auf höchstem Niveau bietet.
Christine Lecke, Magdalena Bönisch, Daniel an der Bayerischen Staatsoper in München tätig.
Jacks, Francesco Venezia auf der Bühne im Le Andere Stationen seiner beruflichen Tätigkeit »A Tribute to Giorgio« uraufgeführt am
Théâtre zu sehen. Regula Bauriedl, Fabienne waren als Assistent von Gerard Mortier an der Theater Bozen
Bernasconi, Corinne Decurtins, Rahel Häfli- Opéra National de Paris, als Spielstättenleiter Das neue Musical mit den Disco-Hits von
ger, Stefanie Häner, Nadja Schumacher, Reto am Deutschen Nationaltheater in Weimar, als Giorgio Moroder aus den 80er Jahren wird am
Schmidt singen im Chorensemble. Regieassistent bei Thomas Ostermeier an der 21. Mai 2020 am Großen Haus des Theater Bo-
Die Premiere ist am 14. Dezember 2019. In der Schaubühne in Berlin. zen Uraufführung feiern. Jeder einzelne seiner
Inszenierung sind die Songs in englischer Spra- Am Konzert Theater Bern wird Florian Scholz Hits – wie ›What a Feeling‹, ›Take My Breath
che, die Dialoge auf Deutsch zu hören. nicht selbst inszenieren, da er sich bewusst auf Away‹ – erzählt eine Geschichte und mit ihnen
die Gesamtstruktur und die »spartenübergrei- über den Songwriter Giorgio Moroder, der Nina
Neuer Intendant am Konzert Theater Bern fenden Arbeiten« des Hauses konzentrieren so- Hagen, Barbra Streisand, David Bowie, Freddie
In der kommenden Spielzeit 2019/2020 wird wie Koproduktionen mit Kulturinstitutionen in Mercury oder Britney Spears mit Hits versorgte.
Florian Scholz als designierter Intendant seine Europa fördern möchte. Er sieht es als »Aufgabe Das Buch schreibt Susanne Felicitas Wolf (»Der
Arbeit in einer 50 Prozent-Anstellung am Kon- der Kulturstätte, sich für Empathie, Toleranz Engel mit der Posaune«, Theater in der Josef-
zert Theater Bern aufnehmen. Als Intendant und Gerechtigkeit einzusetzen und den Geist stadt Wien oder »Die Schattenkaiserin«, Tiroler
wird er ab der Spielzeit 2020/2021 vollamtlich der Freiheit aufrechtzuerhalten.« Landestheater, Uraufführung am 28. Septem-

68 blickpunkt
ü musical 04/19, Juli – September 2019

ber 2019). Regie führt Andreas Gergen und die
musikalische Leitung hat Stephen Lloyd. Seine
Songs sind Legenden. Es handelt sich um eine
Koproduktion mit der Stiftung Haydn von Bo-
zen und Trient. Gespielt wird bis 31. Mai 2020.
Auditions für »io senza te« bei den Thuner-
seespielen 2020
Aus einer Ausschreibung für 2020 geht hervor,
dass das Musical mit den Songs des Schweizer
Trios »Peter, Sue & Marc« am 15. Juli nächsten
Jahres Freilichtpremiere auf der Seebühne feiern
wird. Domenico Blass und Stefan Huber schrie-
ben das Buch zu dem Musical mit der Musik
und den Liedtexten von Peter Reber und Rolf
Zuckowski.
Regie führt wie bereits bei der Schweizer Urauf-
führung (10. September 2015) Stefan Huber. Es
choreographiert Simon Eichenberger und die
musikalische Leitung hat Kai Tietje. Geprobt
wird ab 26. Mai 2020.
»Kinky Boots« auf Tournee in den Nieder-
landen
Ab 26. Oktober 2019 geht das Musical von Cyndi
Lauper und Harvey Fierstein mit De Graaf &
Cornelissen Entertainment auf Tournee durch
die Niederlande. Start ist im Stadstheater De
Kom in Nieuwegein. Weitere Standorte der über
100 geplanten Vorstellungen sind Amsterdam,
Rotterdam und Maastricht. Die niederländische
Adaption erstellte Juriaan van Dongen. Regie
und Choreographie liegt in den Händen von
Martin Michell. Das Bühnenbild verantwortet
Marjolein Ettema, die Kostüme Arno Bremers.
Es spielen Charlie Price (Jonathan Demoor),
Simon/Lola (Naidjim Severina, alternierend
und Ensemble: Elindo Avastia), Lauren (Vajèn
van den Bosch), Nicola (Linda Verstraten), Har-
ry (Rick Sessink), Mr Preis (Jeroen Phaff), Simon
Sr. (Guillermo Hilversum), Don (Dennis Wille-
kens), George (Paul Donkers), Pat/Dance Cap-
tain (Sarah Cremers), Trish (Martine de Jager),
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Europa
Richard Bailey (Joey van Grumbkow) und Mar-
ge (Gina Bentvelsen). Die Angels sind: Darren
van der Lek, Diego Gonzalez Clark, Michael
Konings, Jeff Aurik, Boudewijn Joannes, Jimi
Hendrikse und Brecht van Arnhem.
»Kinky Boots« Tour durch die Niederlande
Foto: Roy Beusker
Musicals in Paris
Im Théâtre Mogador spielt ab dem 26. Sep-
tember die französische Erstaufführung von
»Ghost le Musical«. Claudia Tagbo wird Oda
Mae Brown spielen. Tagbo wurde an der Elfen-
beinküste geboren und hat sich in Frankreich
einen Namen als Schauspielerin und Humoris-
tin gemacht. Moniek Boersma ist in der Rolle
von Molly zu sehen und Gregory Benchenafi
spielt Sam.
Warum die Franzosen sich nun an die Legende
von Siddhartha Gautama, den Begründer des
Buddhismus, heranwagen, ist nicht unbedingt
nachvollziehbar. Vor vier Jahren war in den
Folies Bergère das italienische Musical »Siddhar-
tha the Musical« kurz zu sehen, ein Werk der
Thomas Lauriot und Ruth Mackenzie
Foto: Helene Pambrun
ü 69
italienischen Sängerin, Komponistin und Re-
gisseurin Isabella Biffi, die unter dem Künst-
lernamen Isabeau bekannt ist. Doch ein Erfolg
war diese Show nicht. David Clément-Bayard
komponierte die Musik zu dem neuen Spektakel
»Siddhartha – L‘Opéra Rock« und schrieb auch
das Buch. Magda Hadnagy wird die Show insze-
nieren, die vom 29. November 2019 bis zum 5.
Januar 2020 im Palais des Sports in Paris zu se-
hen sein wird. Fabien Incardona, alias Inca, spielt
die Titelrolle. In weiteren Rollen sind Benoît Val-
liccioni, Sebastiao Saramago und Kaël zu sehen.
Im Théâtre Marigny in Paris feiert am 7. Novem-
ber das Jule-Styne-Musical »Funny Girl« Pre-
miere, wie gewohnt in englischer Sprache. Ste-
phen Mear inszeniert und choreographiert das
Stück über Fanny Brice, Star der Ziegfeld Fol-
lies in den 1920er Jahren, die zwischen Karriere
und ihrer Liebe zu dem Spieler Nick Arnstein
hin- und hergerissen ist.
Vom 4. bis 20. Oktober gastiert eine britische
Tournee-Produktion von »Mamma Mia!« in La
Seine Musicale in Boulogne-Billancourt.
Am 13. September eröffnet das Théâtre du
Châtelet nach zweieinhalbjähriger Schließung
wieder seine Pforten. Der Zeitplan der um-
fangreichen Umbauten im zwischen 1860
und 1862 erbauten Theater wurde eingehal-
ten. Ruth Mackenzie und Thomas Lauriot,
genannt Prévost, werden zusammen die Ge-
schicke des Theaters leiten. Eröffnet wird das
Theater mit dem fantasievollen Spektakel
»Parade«. Vom 28. November 2019 bis 1. Ja-
nuar 2020 wird das Musical »An American in
Paris« hier erneut zu sehen sein. Christopher
Wheeldon wird die Show mit der Musik von
George Gershwin wieder inszenieren. 2014
feierte das Musical, das auf dem gleichnami-
gen Film von Vincente Minnelli aus dem Jahr
1951 basiert, hier Weltpremiere. Leanne Cope
und Kristen McGarrity spielen alternierend
die Rolle von Lise Dassin, während Ryan Steele
als Jerry Mulligan und Zachary Prince als
Adam Hochberg zu sehen sind.
 Musicals in den USA

Neues aus den USA

zusammengestellt von Richard C. Norton und Barbara Kern

D ie vergangene Broadwaysaison 2018/19 war

rekordverdächtig. Werfen wir nun einen
Blick auf die kommenden Produktionen.

Ausblick
»David Byrne’s American Utopia« mit Previews
ab 4. Oktober und Premiere am 20. Oktober
2019 im Hudson Theatre, ist mehr Rockkonzert
als Musical. Regisseur Alex Timbers, der bereits
2019 das gleichnamige Album verantwortete,
soll als Produktionsberater fungieren, und Annie
B. Parson wird choreographieren.
Die Musicaladaption der bekannten Robin-Wil-
liams-Komödie »Mrs. Doubtfire« wird vom 26.
November bis 29. Dezember 2019 im 5th Ave-
nue Theatre in Seattle ein Tryout starten. Die
Adaption stammt von dem gleichen Team, das
»Something Rotten« schrieb. Das Buch stammt
von John O‘Farrell und Karey Kirkpatrick, Mu-
sik und Liedtexte von Karey und Wayne Kirk-
patrick. Jerry Zaks wird Regie führen und Rob
McClure (»Beetlejuice«) wird die Hauptrolle
spielen. Kate Baldwin und Mario Cantone nah-
men am Entwicklungsworkshop teil.
Erwähnenswert ist die neue musikalische Ad-
aption des Billy-Wilder-Filmklassikers »Some
Like It Hot« (»Manche mögen‘s heiß«) von 1959
mit Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack
Lemmon. Zu Librettist Matthew Lopez (»The
Inheritance«) gesellen sich Marc Shaiman und
Scott Wittman (»Hairspray«), die eine neue Par-
titur für das Stück geschrieben haben. Casey
Nicholaw (»The Book Mormon«, »Aladdin«, »The
Prom«) wird Regie führen. Erinnert sich denn
niemand an das Musical »Sugar« von 1972?
Encores!, New York City Centers ehrwürdiges
Musical-Revival-Theater, feierte gerade seine
26. Saison. Zu den Off-Broadway-Angeboten
dieses Sommers gehören »Working« (26.-29.
Juni), »Promenade« (10.-11. Juli) und »Road
Show« (24.-27. Juli). Im Herbst folgt »Evita«
(13.-24. November) im neuen Look, unter Re-
gie des jungen Regisseurs Sammi Cannold.
Die Winter-/Frühjahrssaison beginnt mit Jerry
Hermans »Mack and Mabel« (19.-23. Februar
2020), Kurt Weills und Alan Jay Lerners »Love
Life« (18.-22. März 2020) – unter Regie von
Victoria Clark – sowie Dick Scanlans und Jeani-
ne Tesoris »Thoroughly Modern Milie« (6.-10.
»David Byrne’s American Utopia«
Foto: Catalina Kulczar
Mai 2020): Der Dramatiker Loren Yee wird mit
den Originalautoren zusammenarbeiten, Lear
DeBessonet wird Regie führen und Ashley Park
(»Mean Girls«, »The King and I«) wird auf der
Bühne die Rolle der Sutton Foster spielen, die
Julie Andrews im Film verkörperte.
Das New York Shakespeare Festival des The
Public Theatre, das unter anderem »Hamilton«,
»A Chorus Line« und »Hair« einführte, wird
»Soft Power« in seiner New Yorker Premiere
präsentieren. Buch und Liedtexte stammen von
David Henry Hwang (»Madame Butterfly«,
Co-Autor von Elton Johns »Aida«), Musik und
zusätzliche Liedtexte schrieb Jeanine Tesori.
Regie führt Leigh Silverman, das Choreogra-
phieren übernimmt Sam Pinkleton. »Soft Power«
beginnt als zeitgenössisches Stück, bevor die
Handlung 100 Jahre in die Zukunft springt und
in einem chinesischen Musical über das heutige
Amerika gipfelt. Als geliebtes Ost-West-Musical
kollidieren Chinas Aufstieg im 21. Jahrhundert
und die Spendenaktion eines Präsidentschafts-
kandidaten, wobei sie Chaos und schöne Musik
produzieren. Diese Show ist inspiriert von den
oft lächerlich unechten Darstellungen Asiens
durch den Westen und Chinas Streben nach
einem weltkulturellen Einfluss, auch bekannt
als Soft Power (Previews ab 24. September bis
3. November 2019).
Die Tony- und Pulitzer-Preis-Gewinner Tom
Kitt und Brian Yorkey (für »next to normal«,
»If/Then«) werden ihr neues Musical »The
Visitor«, das auf dem gleichnamigen Film von
Thomas McCarthy aus dem Jahr 2007 basiert,
am 24. März 2020 der Öffentlichkeit vorstellen.
Die Geschichte eines Witwers, der sich nach dem
11. September mit einem syrischen Einwanderer
in New York anfreundet, wird mit den Tony-
Gewinnern David Hyde Pierce (»Curtains«)
und Ari‘el Stachel (»The Band‘s Visit«) in den
Rollen von Walter und Tarek erzählt werden.
Jacqueline Antaramian wird Mouna und Joa-
quina Kalukango wird Zainab spielen. Kwame
Kwei-Armah ist Co-Autor des Buches, Daniel
Sullivan wird Regie führen und Lorin Latarro
choreographieren.
Sarah Silverman
Foto: Robyn von Swank

70 ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019

 Musicals in den USA

Das Atlantic Theatre Company präsentiert ab

9. Mai 2020 Sarah Silvermans Musical »The
Bedwetter«. Es basiert auf den Kindheitserinne-
rungen der Komikerin, die sie in dem Beststeller
»The Bedwetter: Stories of Courage, Redemp-
tion, and Pee« niederschrieb. Der Dramatiker
Joshua Harmon ist Co-Autor des Buches und
Adam Schlesinger (von der Band »Fountains of
Wayne«) schrieb die Musik und arbeitete an den
Liedtexten mit.

»Hadestown« in London
Foto: Helen Maybanks

gefühlvollem Witz und schwebender Melodien »Tootsie« wurde für »Best Book« und Santino
setzt »Einstein‘s Dreams« den leidenschaftli- Fontana für »Best Performance by an Actor in a
chen Verstand eines der größten Denker des Leading Role« ausgelobt
20. Jahrhunderts in Szene. »The Cher Show« brachte Stephanie J. Block
Das angekündigte musikalische Prequel »Magic den Preis für »Best Performance by an Actress in
Mike« wurde laut Emerson Colonial Theatre in a Leading Role« ein, ebenso wie Bob Mackie für
»Two‘s a Crowd« Boston abgesagt, weil das Musical noch nicht sein »Best Costume Design«
Foto: Carol Rosegg für eine Uraufführung bereit wäre. Hinter den »Best Revival of a Musical« wurde »Rodgers &
Kulissen soll es Differenzen im Kreativteam Hammerstein‘s Oklahoma!« und Ali Stroker
gegeben haben. für »Best Performance by an Actress in a Fea-
Das 59E59 Theaters, einer der produktivsten tured Role« ausgezeichnet
Off-Broadway-Veranstaltungsorte mit 3 Häu- 73. Tony Awards 2019 »Ain’t Too Proud – The Life and Times of the
sern unterschiedlicher Größe, hat für die nächs- Als »Best Musical« wurde »Hadestown« aus- Temptations« erhielt den Preis für »Best Choreo-
te Saison zwei Musicals geplant: vom 13. Juli bis gezeichnet, das auch sonst acht der begehr- graphy« (Sergio Trujillo).
25. August 2019 erscheint die neue Musikkomö- ten Preise gewann – für »Best Original Score Mit dem »Special Tony Award for Lifetime
die »Two‘s a Crowd« über Risiko, Versöhnung (Musik and/or Lyrics) written for the Theatre« Achievement in the Theatre« wurden die bri-
und Zimmerservice, mit Musik von Jason Fed- (Anaïs Mitchell, Musik und Liedtexte), »Best tische Schauspielerin Rosemary Harris (noch
dy, Buch der Komikerin Rita Rudner und unter Direction« (Rachel Chavkin), »Best Orchestra- 90-jährig spielte sie Mrs Higgins in »My Fair
Regie von Martin Bergman. Wer sagt: Gegen- tions« (Michael Chorney & Todd Sickafoose), Lady«), der Dramatiker Terrence McNally (im
sätze ziehen sich an, hat Tom und Wendy nie »Best Costume Design« (Rachel Hauck), »Best Musicalbereich: »Kiss of the Spiderwoman«,
getroffen. Vereint durch einen Computerfehler, Lighting Design« (Bradley King), »Best Sound »Ragtime«, »Anastasia«) und Komponist und
verderben sich Tom und Wendy gegenseitig Design« (Nevin Steinberg & Jessica Paz), André Orchestrator Harold Wheeler (u. a. auch für
die Ferien. Aber die hellen Lichter von Vegas de Shields für »Best Performance by an Actor in Burt Bacharach) geehrt.
könnten sie davon überzeugen, dem Glück a Featured Role«. dt. von Sandy Kolbuch
eine Chance zu geben, nachdem sie beide dies
vor langer Zeit aufgegeben haben. Rita Rudner
selbst spielt zusammen mit Robert Yacko, Brian
Lohmann und Kelly Holden Bashar.
Vom 5. November bis 15. Dezember 2019 prä-
sentiert das 59E59 »Einstein‘s Dreams« mit
Musik und Liedtexten von Joshua Rosenblum,
Buch und Liedtexten von Joanne Sydney Less-
ner, unter Regie von Cara Reichel. Das Stück
spielt im Jahr 1905. Ein junger und unsiche-
rer Einstein wagt es, sich neue Welten jenseits
den Grenzen der klassischen Physik vorzustel-
len. Tief in seine Träume hineingezogen, wird
er von einer mysteriösen Frau gelenkt, wobei
ihre schwer fassbare Identität sein ganzes Ge-
nie offenbart. Basierend auf dem gleichnami-
gen Bestseller-Roman von Alan Lightman,
schlägt die elegante Musik eine imaginäre
und reale Brücke zwischen den Wundern der Revival von »Rodgers & Hammerstein‘s Oklahoma!« am Broadway
menschlichen Vorstellungskraft und der Ro- Foto: Teddy Wolff
mantik des Wissens. Dank der Partitur mit

blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019 ü 71


Das Ganze ist weniger als die Teile
»The Flamingo Kid« an der Hartford Stage
Das Ensemble von »The Flamingo Kid«
Foto: Hartfort Stage
The Flamingo Kid
Scott Frankel / Robert L. Freedman
Hartford Stage Connecticut
Uraufführung: 24. Mai 2019
Direction .................... Darko Tresnjak
Music Direction ......... Thomas Murray
Dance & Vocal
Arrangements ................. Scott Frankel
Orchestrations ........... Bruce Coughlin
Choreography .................. Denis Jones
Fight Choreography ..... Thomas Schall
Scenic Design ......... Alexander Dodge
Costume Design ................. Linda Cho
Make-up Design ....... Joya Giambrone
Hair Design ......... Charles G. LaPointe
Lighting Design ........ Philip Rosenberg
Projection Design .......... Aaron Rhyne
Sound Design .............. Peter Hylenski
Jeffrey Winnick ............. Jimmy Brewer
Arthur Winnick ............... Adam Heller
Ruth Winnick ...................... Liz Larsen
Phil Brody...................... Marc Kudisch
Phyllis Brody .............. Lesli Margherita
Joyce Brody ..... Lindsey Brett Carothers
Karla Samuels ......... Samantha Massell
Steve .......................... Ben Fankhauser
Alejandro ........... Omar Lopez-Cepero
Hawk ................................. Alex Wyse
In weiteren Rollen:
Ben Bogen, Michael Hartung, Jean
Kauffman, Ken Krugman, Anna Noble,
Erin Leigh Peck, Steve Routman,
William Squier, Kathy Voytko, Price
Waldman, Kelli Youngman, Stuart Zagnit
The Hartt School at the University
of Hartford: Taylor Lloyd, Gregory
Rodriguez, Jayke Workman
72
Musicals in den USA
D ie Musicalversion von »The Flamingo Kid« wirft
durch ihre Weltpremiere an der Hartford Stage
die Frage auf, warum die Filmkomödie über das Er-
wachsenwerden von 1984 unbedingt zu einem Musical
werden musste. Trotz eines Tony-Award-prämierten
Regisseurs, Autors und Texters, eines routinierten
Broadway-Komponisten und einer durchweg talentier-
ten Besetzung erreicht »The Flamingo Kid« – nach zwei-
einhalb Stunden und 21 Liedern (plus 4 Reprisen) –
nie eine wirkliche Verbundenheit, Energie oder Begeis-
terung für all die schätzenswerten Anstrengungen.
Es ist der Sommer 1963. Angesichts einer weite-
ren langweiligen und warm-feuchten Saison in einer
Mietwohnung in Brooklyn sehnt sich Jeffrey Win-
nick, Schüler der Oberstufe an der Highschool und
der einzige Sohn von Klempner Arthur und Haus-
frau Ruth, nach einem Abenteuer. Seine Kumpels
schmuggeln ihn in das »El Flamingo«, einen nob-
len, privaten, jüdischen Strandclub auf Long Island.
Bevor er sich versieht, wird er zum Parkplatzwächter,
dann Pool Boy, verliebt sich in die kluge und sexy
Karla aus Kalifornien, die für den Sommer auf Be-
such hier ist, und findet einen Mentor in Phil Brody,
dem großen Autohausbesitzer, der im Club der Geld-
gewinnende König des Gin Rommé ist. Verzaubert
von seinem neuen Leben in der High Society, verach-
tet Jeffrey die bescheidene Lebensweise seiner Eltern,
lehnt die College-Pläne seines Vaters für ihn ab und
verfällt den Versprechungen seines Mentors, ihn zu
einem erstklassigen Autoverkäufer auszubilden. Als
die Verlogenheit und korrupte Natur von Brodys
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Stand enthüllt wird, erkennt Jeffrey die Torheit seines
Weges, kehrt auf den für ihn bestimmten Pfad zurück
und rehabilitiert sich in den Augen seines Vaters.
Das Buch von Robert L. Freedman, welcher die Hart-
ford Stage für den Broadway mit seinem köstlich welt-
gewandten, Tony-Award-prämierten »A Gentleman‘s
Guide to Love and Murder« und »Anastasia«
interessant gemacht hat, scheint eingeengt zu werden
durch das vorhersagbare, nur nach vorne gerichtete
Drehbuch des Films. Tatsächlich gibt es ziemlich we-
nig Buchanteile oder Geschichte in dieser Musicalver-
sion, das Stück bewegt sich von Lied zu Lied mit we-
nigen Dialogen dazwischen. Die (viel zu vielen) Lieder
des talentierten Komponisten Scott Frankel (»Grey
Gardens«, »War Paint«) sind ein Mischmasch verschie-
dener Musikstile. Die effektvollsten erinnern teilweise
an Popsongs der frühen 1960er Jahre. Aufgrund der
Ausstattung der frühen 60er sehnt man sich danach,
mehr in Richtung »Martha & the Vandellas« oder
»The Four Seasons« zu hören.
Es findet sich kein Ohrwurm unter den Songs, den-
noch gibt es einige Highlights: ›Sweet Ginger Brown‹,
das Brody nach seinem Gewinn beim Gin Rommé
singt, ›Cabana Boy‹, mit welchem die älteren Club-
damen ihre sexuellen Fantasien mit dem neuen An-
gestellten in knackig-kurzen Hosen ausdrücken, und
›Rockaway Rhumba‹, eine Ensemble-Tanznummer, die
an Barry Manilows ›Copacabana‹ erinnert. ›Blowin‘
Hot and Cold‹, die beste Ensemble-Nummer im zweiten
Akt, und ›She‘s No Angel‹ klingen mehr nach Pop-
songs der frühen 60er als alles andere. Das restliche

Dreiviertel der Lieder besitzt keinen erkennbaren Mu-
sikstil. Den am wenigsten geglückten Song – das Solo
›This Is My House‹ – bekommt Schauspiel-Veteran
Adam Heller als Jeffreys Dad, der allein dafür Respekt
verdient, dass er durch diese entsetzliche Nummer
durchkommt. »The Flamingo Kid« findet einfach nicht
seine musikalische Linie.
Uneinheitlichkeit findet sich auch in Freedmans
Buch. Gegen Ende des Stücks, als Jeffrey seinen wah-
ren Lebensweg findet, proklamiert er – als Appell an
2019 – in einer Anti-Trump-Rede: »Ehrlichkeit und
harte Arbeit müssen noch etwas wert sein. Und ich will
nicht in einem Land leben, wo diese Werte nicht mehr
wichtig sind.« Doch kurz davor nennt Brody den Tanz-
lehrer des Clubs, dem die Aufmerksamkeit seiner Frau
gehört, noch »feigele«, mit dem abfälligen, jüdischen
Wort für »schwul«.
Neuling Jimmy Brewer als Jeffrey Winnick singt
gut und transportiert dadurch das ganze So-ein-netter-
junger-Mann-Paket, ruft aber nie wirkliches Mitgefühl
hervor. Die zwei Darsteller, die die cartoon-artige Na-
tur der Musicalkomödie am besten verkörpern, sind
Nebenrollen. Marc Kudisch zeigt als Phil Brody die
ganze heuchlerische Angeberei eines Autoverkäufers
und spielt ihn als Aufschneider, wie wir ihn aus dem
Fitness Studio kennen. Lesli Margherita spielt die ge-
langweilte, verwöhnte, Cocktail-schluckende Phyllis
blickpunkt musical 04/19, Juli – üSeptember 2019
Musicals in den USA
Brody selbst dann noch unterhaltsam, wenn sie sich zu Abb. unten von oben links:
oft an Elaine Stritchs gekünstelter Art orientiert. 1. Jimmy Brewer als Jeffrey Winnick
Die Choreographie von Denis Jones (»Tootsie«) ist 2. Jeffrey (Jimmy Brewer, r.) im Streit
mit seinem Vater (Adam Heller, l.)
nicht bemerkenswert. Linda Chos Kostüme, über-
und seiner Mutter (Liz Larsen)
wiegend in sommerhaften Pastelltönen, sind ein Mix 3. ›Rockaway Rhumba‹ – Ensemble
aus dem JC-Penney-Katalog der späten 1950er, einem 4. Jeffrey (Jimmy Brewer, l.) duelliert
frühen Ralph-Lauren-Shop, mit einem Hauch von Las sich beim Gin Rommé mit Phil
Vegas Glamour. Alexander Dodge rahmt die Guck- Brody (Marc Kudisch, r. mit
Ensemble)
kastenbühne in geometrische Strukturen im Op-Art- Fotos (4): Hartfort Stage
Stil (optischer Kunststil der 60er Jahre), die an das Set
der 60er-Jahre-TV-Show »Hullabaloo« erinnern.
Regisseur Darko Tresnjak hält »The Flamingo Kid« –
seine letzte Produktion, bevor er die Hartford Stage
verlässt – über Wasser, obwohl sie in einer zum Schei-
tern verurteilten Partyszene in Brodys Haus gefährlich
nahe am Sinken ist. Und seltsamerweise findet Tres-
njak keinerlei Spannung in der kritischsten Szene des
Stücks, als Jeffrey entdeckt, welch ein Betrüger Brody
beim Gin Rommé ist, und ihn zu einem Spiel heraus-
fordert, um das aufzudecken.
»The Flamingo Kid« scheint mehr zusammengesetzt
als gezielt inszeniert, alle Einzelteile sind da, doch das
Ganze ist weniger als die einzelnen Teile.
Dan Dwyer
dt. von Lisa-Maria Mehrkens
73

Bestechende Musical Comedy erfindet die
Geschichte neu
»Tootsie« am Broadway
Dorothy Michaels / Michael Dorset gespielt von Tony-Award-Gewinner Santino Fontana
Foto: Matthew Murphy
Tootsie
David Yazbek / Robert Horn
Scott Sanders, Carol Fineman &
Unibail-Rodamco-Westfield
Marquis Theatre New York
Broadway-Premiere: 23. April 2019
Direction ............................. Scott Ellis
Music Direction, Music Supervision &
Arrangements ............. Andrea Grody
Music Supervision ..... Dean Sharenow
Dance Arrangements ...... David Chase
Orchestrations ................. Simon Hale
Choreography .................. Denis Jones
Scenic Design ............ David Rockwell
Costume Design .... William Ivey Long
Hair & Wig Design ......... Paul Huntley
Make-up Design .... Angelina Avallone
Lighting Design ........... Donald Holder
Sound Design .................. Brian Ronan
Michael Dorsey / Dorothy Michaels ....
Santino Fontana / Jeff Kready
Julie Nichols .................... Lilli Cooper
Sandy Lester ..................... Sarah Stiles
Max Van Horn ............ John Behlmann
Jeff Slater ............. Andy Grotelueschen
Rita Marshall ................... Julie Halston
Stan Fields .............. Michael McGrath
Ron Carlisle ...................... Reg Rogers
In weiteren Rollen:
Sissy Bell, Barry Busby (Dance
Captain), Paula Leggett Chase, Britney
Coleman, Leslie Donna Flesner, Jenifer
Foote, John Arthur Greene, Drew
King, Harris Milgrim, Adam Monley,
Shina Ann Morris, James Moye,
Katerina Papacostas, Nick Spangler,
Diana Vaden, Anthony Wayne
74
Musicals in den USA
Z u dem Zeitpunkt, an dem es ein Überangebot an
Broadway-Musicals gibt, die auf Hollywood-Fil-
men beruhen, kommt »Tootsie« auf die Bühne, welches
auf der gleichnamigen Komödie von 1982 basiert, in
der Dustin Hoffman als arbeitsloser Schauspieler vor-
gibt, eine Frau zu sein, um einen Job zu bekommen.
35 Jahre später wird die Geschichte auf witzige Weise
neu erfunden: Lustiger als der Originalfilm, wird die
weiterentwickelte Vorstellung von Geschlecht und
Sexualität auf intelligente Weise auf die Bühne gebracht.
Das Ergebnis ist ein zweieinhalbstündiges Vergnügen,
dem nicht nur der Transfer vom Film zum Musical ge-
lungen ist, sondern in dem auch das Beste der guten alten
Broadway-Musikkomödientradition zelebriert wird.
Der talentierte, aber komplizierte Schauspieler
Michael Dorsey ist arbeitslos – seine Art, den Regis-
seuren zu erklären, wie sie ihre Arbeit verrichten sollen,
kommt nicht gut an. Während er auf der Suche nach
neuen Engagements und Theaterauftritten ist, gerät
er in Schwierigkeiten. Als er von seiner Schauspiel-
freundin Sandy von der Audition für das Shakespeare-
Nachahmer-Musical »Juliet‘s Cruse« erfährt, benennt
er sich in Dorothy Michaels um und spricht für die
Rolle der Amme vor. Dorothy bekommt die Rolle und
verzaubert im Handumdrehen den Produzenten und
ihre Kollegen. Nur der Regisseur, der (ironischerweise)
der gleiche ist, der Michael entlassen hat, erliegt ihrem
Charme nicht. Mit (Michaels) Talent und (Dorothys)
vorgetäuschter Persönlichkeit, verwandelt Dorothy
die abgedroschene und zum Scheitern verurteilte Pro-
duktion in einen potenziellen Hit. Während der Show
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
verliebt sich Michael in seine Kollegin Julie. Sein Mit-
bewohner Jeff durschaut die Maskerade, dennoch hilft
er Michael, als dieser gezwungen ist, das Netz aus Täu-
schungen zu entwirren.
Autor Robert Horn, der zuvor das Buch für das
Musical »13« schrieb, hat »Tootsie« aus dem Milieu der
Fernsehseifenoper befreit und die Handlung an das
New Yorker Theater verlegt. Der Tanz und die Songs
des Tony-ausgezeichneten Komponisten und Texters
David Yazbek kommen so bestens zur Geltung. Der
zweite große Vorteil des Buches, das Horn nach Jah-
ren des Produzierens und Schreibens von Sitcoms wie
»Designing Women« angepasst hat, präsentiert am
laufenden Band Einzeiler und geistreiche Bemerkun-
gen (Original: zingers) mit Pfiff. Darüber hinaus sind
Horns Charaktere so gezeichnet, dass Aussagen wie
»Man kann keine Lüge leben« und »Frau zu sein ist
kein Job für einen Mann« nicht banal erscheinen.
Hauptdarsteller Santino Fontana (zuletzt am Broad-
way als Prinz in »Rodgers & Hammerstein‘s Cinderella«)
überzeugt sowohl als Michael als auch als Dorothy mit
Stimmumfang in zwei Registern, zwischen denen er
sogar mitten im Lied wechselt. Fontanas Bandbreite
an Komik spannt den Bogen von einem Hanswurst
mit unfehlbarem Timing bis zu einem athletischen
Slapstickauftritt. Keiner der Darsteller verpasst den
Einsatz: Michaels Freundin Sandy (gespielt mit einer
neurotischen Perfektion von Sarah Stiles), Michaels
Mitbewohner Jeff (Andy Grotelueschen), die süße,
aber temperamentvolle Julie (charmant gespielt von
Lilli Cooper, die im letzten Jahr in »SpongeBob« zu

sehen war) und der strohdumme Romeo, Max Van
Horn, (gespielt mit einer Mischung von albernem Ma-
cho und mutwilliger Libido von John Behlmann), der
sich Hals über Kopf in Dorothy verliebt. Die Bühnen-
veteranen – Julie Halston als Alleskönner-Produzent,
Reg Rogers als egoistischer Regisseur und Michael
McGrath als Michaels explosiver, gereizter Agent – bil-
den ein Trio von Theatertypen, wie man sie so erfri-
schend zuvor noch nicht gesehen hat.
Der musikalische Leiter Scott Ellis orchestrierte das
Stück in einem Tempo, das Horns amüsantem Dreh-
buch entspricht. Die von David Yazbek (Tony Award
für »The Band‘s Visit«) komponierte Partitur von 18
Musiktiteln präsentiert eine eingängige Mischung aus
Pop- und Shownummern mit vier direkt »mitsumm-
baren« Melodien. Wie viele seiner Werke sind auch
Yazbeks Texte unvorhersehbar und eigen. Yazbeks
Handschrift von überraschendem Wortschatz und
verbalem Salto kommt am besten in Sandys manischer
Schimpftirade ›What‘s Gonna Happen‹ zum Tragen,
die an Sondheims ›Not Getting Married Today‹ aus
»Company« erinnert. Dieser Song ist so gut und Sarah
Stiles als Sandy Lester liefert ihn so beeindruckend
ab, dass sie Fontana – inklusive zweier Reprisen –
nahezu die Show stiehlt. Auch Andy Grotelueschen als
Jeff Slater stiehlt diesem mit ›Jeff Sums It Up‹ fast die
Show und das im Duett mit Fontana selbst, wenn er
beim Trällern des gemeinsamen Liedchens mit seinem
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in den USA
Transvestit-Freund übertrieben mit dem Tanzschuh Abb. unten von oben links:
aufschlägt. 1. Max Van Horn (John Behlmann)
Fontana lässt schon in den frühen Nummern verliebt sich Hals über Kopf in
Dorothy
›Whaddya Do‹ und ›Talk to Me Dorothy‹ keinen Zwei-
2. Sandy (Sarah Stiles) singt
fel daran aufkommen, wer der Star von »Tootsie« ist, ›What‹s Gonna Happen‹ und
auch wenn er in ›I Won‘t Let You Down‹ am meisten Michaels Mitbewohner Jeff (Andy
strahlt. Der Favorit des Abends ist jedoch das Duett Grotelueschen) schaut zu
›Who Are You‹ von Fontana (Michael) und Lilli Cooper 3. Michael (Santino Fontana) gesteht
seinem Mitbewohner Jeff (Andy
(Julie) mit seiner wehmütigen, fast elegischen Melodie.
Grotelueschen) seine missliche Lage
Das Bühnenbild von Davis Rockwell, der vor ein in ›Jeff Sums It Up‹
paar Jahren »She Loves Me« in Szene setzte, ist nicht 4. Dorothy Michaels alias Michael
neuartig, aber schön. Die Choreographie von Denis Dorsey (Santino Fontana, l.) verliebt
Jones ist ebenso gut wie die Kostüme von William sich in Julie (Lilli Cooper)
Fotos (4): Matthew Murphy
Ivey Long. Der Höhepunkt von Jones‘ und Longs
Anstrengungen läuft in einem atemberaubenden
Moment zusammen, wenn das Ensemble mitten in ei-
ner Tanzsequenz seine Kostüme wechselt, auch wenn
der Rest des Bühnenbildes sowie das Kostümbild an
sich und der Tanz nicht spektakulär sind. Die Story
und die Charaktere machen »Tootsie« zu einem wahren
Gewinner. Horns meisterhaftes und cleveres Buch ist
ein willkommenes Beispiel dafür, wie man Kinofilme
zu einem bestechenden Broadwaymusical adaptieren
kann.
Dan Dwyer
dt. von Sandy Kolbuch
ü 75

Brillantes, wagemutiges neues Musical
»Octet« uraufgeführt am Off-Broadway
Abb. oben:
Velma (Kuhoo Verma, l.) tauscht
sich mit Marvin (J. D. Mollison) aus
Foto: Joan Marcus
Octet
Dave Malloy
Signature Theatre Company
The Pershing Square Signature Center
New York
Signatur Theatre
Uraufführung: 9. Mai 2019
Direction ......................... Annie Tippe
Music Direction &
Music Supervision .............. Or Matias
Scenic Design ................ Amy Rubin &
Brittany Vasta
Costume Design ...................... Brenda
Abbandandolo
Lighting Design ..... Christopher Bowser
Sound Design ........... Hidenori Nakajo
Jessica ........................... Margo Seibert
Jim ............................... Adam Bashian
Karly ................................. Kim Blanck
Peter ............................... Alex Gibson
Toby .................. Justin Gregory Lopez
Marvin ........................... J.D. Mollison
Velma ........................... Kuhoo Verma
Paula ................................. Starr Busby
76
Musicals in den USA
B evor das Stück beginnt, sind im Hintergrund nach-
einander Claude Debussys ›Clair de Lune‹ und das
Spiritual ›Swing Low Sweet Chariot‹ zu hören. Man
fragt sich, weshalb der Mond und der Eintritt in den
Himmel evoziert werden.
Der Spielort des Off-Broadway Signature Theatre,
eine nach drei Seiten offene Bühne, wurde in einen
grenzwertig schäbigen Kirchenkeller verwandelt. Die
Darsteller sitzen wie bei einem Treffen der Anonymen
Alkoholiker zusammen. Schnell stellt sich die Frage,
welche Art von Therapie-Gruppe das wirklich ist.
In Dave Malloys phantasievoll brillantem und
wagemutigem neuen Musical »Octet« betreten wir das
ehemals unbekannte Gebiet der Internetsucht, wie es
acht Betroffene erlebt haben, die sich als Freunde Sauls
hier versammelt haben. Malloy (»Natasha, Pierre and
the Great Comet of 1812«) erzählt ihre Geschichten
in nahezu durchkomponierter Fassung, fast wie ein
Kammer-Chor-Choral. »Natasha ...« erfasst das äußere
Erscheinungsbild einer historischen Epoche auf epi-
sche Weise musikalisch. »Octet«, für das Malloy Mu-
sik, Buch und Liedtexte schrieb und die Gesangsar-
rangements schuf, verleiht der intimsten menschlichen
Erfahrung in einem Internetuniversum mit unendli-
cher Definition Ausdruck.
Die Moderatorin des Treffens, Paula (Starr Busby),
leitet das achtköpfige Eröffnungsgebet (einer kommt zu
spät) ›The Hymn‹, das in einer Welle der Harmonie für
die Gruppe einen Ort des Friedens im Wald beschwört.
Die Struktur der Geschichte, die sich entfaltet, ist –
laut Malloys eigenen Anmerkungen als Autor – zum
Teil durch die episodenhafte Form von »A Chorus
Line« und das musikalische Konzept von »Company«
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
beeinflusst, ohne dass hier Elemente traditioneller Mu-
sical Comedy existieren. Die Freunde von Saul teilen
ihre eigenen Suchterfahrungen miteinander, wie es bei
den Anonymen Alkoholikern geschieht, aber hier sind
keine 12 Schritte notwendig, sondern acht Prinzipi-
en. Die Angst vor anderen Menschen beginnt mit der
Angst vor sich selbst. Doch wie bei den »AA« ist die
Ohnmacht die Wurzel der Sucht. »Wir sind nicht dazu
veranlagt, damit umzugehen«, erklärt Paula feierlich.
Jessica (Margo Seibert) erzählt bzw. singt zuerst von
unheilvoller, ungewollter Berühmtheit im Internet als
»die wütende weiße Frau« in einem Video, das sich wie
ein Virus verbreitete. Mit der Stepp-Nummer ›Candy‹
beklagt der schwule Peter (Alex Gibson), mit verwirr-
ter Selbstkasteiung, die Bonbon-Spiele und -Apps, die
seine Sucht auslösen. Mit Paulas erbärmlichem, elegi-
schem ›Glow‹ wird Malloy noch ergreifender: Sie ist
von ihrer Internetsucht genesend, während ihr Mann
nach wie vor aktiv ist. Zu einer eindrücklichen Me-
lodie beschreibt sie, wie sie neben ihm im Bett liegt,
aber mitten in der Nacht einsam ist, während »das
stählerne, blasse Leuchten, das die Laken erhellt« das
Licht des Mondes ausblendet (Erinnern Sie sich an
die Ouvertüre mit Debussys ›Claire de Lune‹?). In der
umwerfenden Ensemble-Nummer ›The Fugue‹, zum
rhythmischen Schlag des Metronoms, verwandelt sich
eine Gruppen-Meditation in eine nervenaufreibende
Tower-of-Babel-Communio (In der katholischen
Liturgie der Gesang zur Austeilung der Kommunion
beim Abendmahl).
Der zweite Teil des ohne Pause gespielten, 90-minü-
tigen Stücks beginnt mit einer weiteren Hymne. Doch
diese hat nichts mit der erholsamen Wald-Hymne

von Teil 1 gemein, sondern besingt die schmerzhafte
Anerkennung von ›Monster‹, der geistig erosiven,
alles verzehrenden Besessenheit vom Internet. Der
Kirchenkeller verwandelt sich in einen undefinierten
Innenraum. Christopher Bowsers ausgefallenes Licht-
design besitzt hier eine erstaunlich große Wirkung.
Malloys Buch und Partitur werden noch dunkler.
Karly (Kim Blanck) und Jim (Adam Bashian) artiku-
lieren in dem ironischen Duett mit dem Titel ›Solo‹
die emotionale Leere und die subversiven Gefahren
von zwanghaftem Sexting und Online-One-Night-
Stands. Toby (Justin Gregory Lopez) taucht tiefer ein
mit seinem Solo ›Actually‹: Seine Paranoia wird ge-
speist von politischer Verschwörungstheorie und »Al-
ternativen Fakten«. Der Neurochemiker Marvin (J.D.
Mollison) stürzt noch tiefer in das Kaninchenloch. In
›Little God‹, einem verrückten Kopfkino, das seine
wissenschaftliche Disziplin und eine transzendentale
Philosophie zusammenführt, glaubt er, einen unwi-
derlegbaren Beweis für die Existenz Gottes gefunden
zu haben. Marvin führt uns an eine geistige, himm-
lische Grenze (Erinnern Sie sich an »gekommen,
um mich nach Hause zu tragen« aus dem eingangs
zu hörenden ›Swing Low Sweet Chariot‹?). Danach
bringt die Ensemble-Nummer ›Tower Tea Ceremony‹
die Gruppe zurück auf den Boden der Tatsachen: der
gemeinschaftliche Tee-Genuss hat einen bewusst-
seinserweiternden Effekt. Die Nachzüglerin Velma
(Kuhoo Verma), die zu spät kam, ist eigenbrötlerisch
und besessen vom Tarot und jeder von Malloys Songs
entspricht einem Großen Arkana (Trumpfkarten im
Tarot, die auch als 22 Bewusstseinsstufen verstanden
werden). Velma findet in einer Frau aus Europa eine
Internet-Seelenverwandte, was sie in der zauberhaften
Ballade ›Beautiful‹ feiert.
blickpunkt musical 04/19, Juli
ü – September 2019
Musicals in den USA
Sauls Freunde haben eine kultische Identität. Abb. unten von oben links:
Unsichtbar über ihrem Treffen schwebt der rätselhafte 1. ›Hymn: The Forrest‹ Akt 1 –
Leiter Saul, dessen Gegenwart die Gruppe an dem Fla- (v.l.): stehend: Karly (Kim Blanck),
Paula (Starr Busby), Jessica (Margo
ckern des Neonlichtes an der Decke wahrnimmt. Der
Siebert), Velma (Kuhoo Verma), sit-
Cast ist ohne Unterschied grandios im Gesang und in zend: Toby (Justin Gregory Lopez),
der Darstellung der jeweiligen Rolle. Regisseurin Annie Marvin (J. D. Mollison), Ed (Adam
Tippie lässt Malloys Songs – die Stimmen der Süchti- Bashian), Peter (Alex Gibson)
gen – für sich selbst sprechen. Ihre Inszenierung folgt im 2. Der Cast von »Octet« mit Aus-
nahme von Marvin beobachtet, wie
Tempo perfekt dem narrativen Bogen von Malloys Buch.
er alles über ›Little God‹ erzählt
Malloy verknüpft seine Partitur mit raffinierten 3. Marvin (J. D. Mollison, Mitte) und
Melodien, die sogar raffinierter als die des späten Sond- der Rest des Cast
heims sind: Innerliche, tiefsinnige Motive kontrastie- 4. ›Actually‹ – Toby (Justin Gregory
ren mit Stakkato-Rhythmen, die an elektronische Lopez) und Chor
Fotos (4): Joan Marcus
Pieptöne und Warnsignale von digitalen Geräten erin-
nern. Die Lieder beginnen zuweilen mit einer Stimm-
pfeife oder werden mit Haushaltsgegenständen als
Percussioninstrumente akzentuiert. In seinen Anmer-
kungen erklärt der Autor, für seine Geschichte hätte er
sich von Arbeiten von Philip K. Dick (US-amerikani-
scher Science-Fiction-Autor) bis C.S. Lewis (christlich
geprägter britischer Schriftsteller, u. a. »Die Chroniken
von Narnia«, aber auch Bücher wie »Pardon, ich bin ein
Christ«) inspirieren lassen. Musikalische Berührungs-
punkte gibt es mit der Musik von Philip Glass (Ver-
treter der Minimal-Musik) bis hin zu Toby Twining
(Experimentelle Musik zwischen Country, Gospel und
Jazz), aber in seinem wundervollen Stück schuf Malloy
weder Duplikate, noch wandelte er Kompositionen ab.
Malloys »Octet« ist ein atemberaubendes neues
Stück, ein wundervolles Musical, das mutig die zeitlose
Geschichte von menschlichem Schmerz und Erlösung
in einem neuen, unerforschten Universum auslotet.
Dan Dwyer
dt. von Barbara Kern
77

Die abenteuerlichen Schultage des Adrian Mole
»The Secret Diary of Adrian Mole, aged 13 ¾« feiert West-End-Premiere
Abb. oben:
›Take a Stand‹ – Pandora (Rebecca
Nardin), Nigel (Jeremiah Waysome)
und Adrian (Rufus Kampa), mit
Megaphon, führen die Revolution an
Foto: Pamela Raith
The Secret Diary of
Adrian Mole, aged 13 ¾
Pippa Cleary / Jake Brunger
Ambassadors Theatre London
West-End-Premiere: 3. Juli 2019
Direction ..................... Luke Sheppard
Musical Direction ........... Mark Collins
Choreography ........... Rebecca Howell
Design ............................. Tom Rogers
Lighting Design ......... Howard Hudson
Sound Design .................. Greg Clarke
Adrian Mole ................. Rufus Kampa /
Aaron Gelkoff / Michael Hawkins /
Nicholas Antoniou-Tibbitts
Pandora ...... Rebecca Nardin / Matilda
Hopkins / Molly-May Gibson /
Riya Vyas
Nigel ........ Jeremiah Waysome / Regan
Garcia / Albert Green / Cuba Kamanu
Barry.............. Jack Gale / Aaron Shaw /
Kobi Watson / Charlie Stripp
Pauline Mole .... Amy Ellen Richardson
George Mole ........... Andrew Langtree
Mr Lucas / Mr Scruton .... John Hopkins
Grandma .................... Rosemary Ashe
Bert Baxtor.......................... Ian Talbot
Miss Elf / Doreen Slater .... Lara Denning
In weiteren Rollen:
Holly Ashton & Mathew Craig
78
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Großbritannien
T he Secret Diary of Adrian Mole, aged 13 ¾« ist ein
Klassiker der englischen Jugendliteratur und wurde
1982 von Sue Townsend geschrieben. Pippa Cleary
(Musik) und Jake Brunger (Buch) haben es für die
Musicalbühne adaptiert, wobei sie auch gemeinsam die
Liedtexte schrieben. Luke Sheppard hat es inszeniert
und die Produktion ist ein Knaller!
Es geht um den jungen Adrian Mole (Rufus Kam-
pa), der sich als Intellektueller sieht. Seine Ambition
besteht darin, seine modernen Gedichte bei der BBC
zu Gehör zu bringen. Mit seinen Eltern tut er sich
schwer: Sie stammen aus der Arbeiterklasse – nichts
Ungewöhnliches in Leicester. Er versteht ihr Verhalten
auch oftmals nicht, weil Erwachsene eben so ihre Art
haben.
Die Geschichte beginnt an Neujahr. Adrian hat ein
Tagebuch bekommen, in das er nun hineinschreibt,
was ihn beschäftigt. In dem rockigen ›Another Year‹
äußert er seinen Frust über seine Eltern, die sich je-
des Jahr betrinken, sich wie Idioten benehmen, es am
nächsten Tag bereuen und im Jahr darauf aber genau
das Gleiche tun. Entsprechend heißt es: »My new year‘s
resolution is to help the poor and ignorant; starting of
course with my parents (dt.: Mein Vorsatz für das neue
Jahr: den Armen und Unwissenden zu helfen, begin-
nend mit meinen Eltern).« Zudem sei es auch an der
Zeit, dass er eine Freundin findet.
Als Pandora (Rebecca Nardin) in seine Schulklasse
kommt, weiß er: Die will er haben. Sie war vorher auf
einer Privatschule und ist daher gebildet, klug und
selbstbewusst. Aber Adrian ist nicht der Einzige, der
es auf sie abgesehen hat. Sein bester Freund Nigel
(Jeremiah Waysome) will sie auch. ›Look at That Girl‹
ist eine hervorragende Nummer, die mit viel Humor
zeigt, wie das glamouröse Mädchen den beiden den
Kopf verdreht.
Nigel ist dabei der Coole. Sein Outfit zur Schul-
disco erinnert an Michael Jackson und sagt viel aus.
Adrian hingegen hat sich ganz in Schale geworfen und
trägt einen Smoking. Pandora trägt ein poppig-pinkes
Kleid. Was für Chancen kann Adrian wohl haben?
Mit Pickeln und dem Rüpel der Klasse, Barry (Jack
Gale), der ihm immer sein Essensgeld abknöpft …
Auf der Party trickst Nigel Adrian auch noch aus. Er
schiebt ihm ein Erotikheft unter, was Pandora natür-
lich empört. So zieht sie mit Nigel ab. Adrian ist mit
seinem Liebeskummer nicht allein. Sein Vater George
Mole (Andrew Langtree) leidet auch, denn Adrians
Mutter Pauline (Amy Ellen Richardson) hat ihn ver-
lassen: ›My Lost Love‹. Das Paar kommt seit langem
nicht mehr miteinander klar, denn er erwartet von
ihr eine Hausfrau, die das Essen kocht, während sie
arbeiten möchte, insbesondere weil er kein Geld nach
Hause bringt. Hinzu kommt der »creepy« (unheimli-
che) Mr Lukas (John Hopkins), der vor Testosteron
nur so strotzt und schamlos nach Pauline lüstet: Der
überschwängliche Tango ›Begging You For More‹ ist
ein pures Vergnügen. Ungeliebt, wie Pauline sich fühlt,
gibt sie ihm nach und zieht nach Sheffield. Es spielt
sich also so einiges an Drama bei Adrian zu Hause ab.

In der einfühlsamen Ballade ›Perfect Mother‹ versucht
Pauline, ihrem Sohn die Realität nahezubringen: dass
eben nicht alles perfekt ist. Aber da Erwachsene so oft
um den heißen Brei herumreden, versteht er nicht, wo-
rum es geht. Er kommentiert nur nüchtern, dass sie an
einigen Tagen im Monat immer etwas komisch ist …
Zu Hause läuft es ohne Mutter nicht so gut, die
Oma sieht nach dem Rechten und gibt Adrian den
Tipp, er solle sich nicht von Typen wie Barry unterkrie-
gen lassen. Er fasst Mut und zettelt mit roten Socken,
die in der Schule verboten sind, eine Revolution an:
Der Marsch ›Take a Stand‹ zeigt, was in ihm steckt –
»Les Misérables« lässt grüßen – mit Erfolg. Adrian
wird als Anführer gefeiert und da Nigel Pandora nur
noch anhimmelt, sucht sie jemanden ihresgleichen:
Adrian. ›Now That I‘m With You‹ bringt wundervoll
ihrer beider Traum, gemeinsam die Welt zu verbessern,
zum Ausdruck und zeigt, dass die beiden wie fürein-
ander geschaffen sind. Bereits vorher erklärte Adrian:
»I‘ve been reading ›War and Peace‹ (dt.: Ich habe »Krieg
und Frieden« gelesen)«, worauf sie antwortet: »I read
that by the pool in Greece (dt.: Ich habe es am Pool in
Griechenland gelesen).«
Es schwingt im Stück auch augenzwinkernd ein
Zeitkolorit mit, zum Beispiel, als die Hochzeit von
Prince Charles und Lady Diana gefeiert wird.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Großbritannien
Ein Höhepunkt ist auch Adrians Avantgardefas- Abb. unten von oben links:
sung der Weihnachtsgeschichte für das Schultheater. 1. Pauline (Amy Ellen Richardson)
›The Nativity‹ bedient sich der fröhlich-energiegelade- hat in ihrer kleinen Wohnung in
Sheffield Adrian zu Gast
nen Gospelmusik und ist zum Schreien komisch. »Tou-
2. Pandora (Rebecca Nardin, r.)
ched by the Hand of God« lautet der Titel innerhalb setzt sich stolz für Adrians (Rufus
der Nummer und im Text heißt es, man möge doch Kampa, l.) initiierte Revolution ein,
mit dieser Begegnung Gottes nicht prahlen, um nicht die auch Nigel (Jeremiah Waysome,
die Eifersucht der Nachbarn zu provozieren. Zudem Mitte) schmachtend unterstützt
3. Adrian (Rufus Kampa) mit seinem
ist die Rede von einer »Family Planning Clinic« und
Tagebuch zu Neujahr, umgeben von
Maria wird von zwei Inspektoren gebeten, doch zu er- Familie und Freunden (Ensemble)
klären, wie sich diese unbefleckte Empfängnis ereignet Fotos (3): Pamela Raith
hat. Die Nummer ist sicherlich das Originellste, was
zur Zeit auf einer Londoner Bühne zu sehen ist.
Die gesamte Produktion, die 2017 an der Menier
Chocolate Factory in London erstmals zu sehen war,
ist ein grandioses Vergnügen. Sie gleicht einer Achter-
bahnfahrt mit einer Abfolge kreativer Nummern. Das
Stück besteht aus peppig rockigen Titeln, die abwechs-
lungs- und geistreich sind. Sie bleiben in Erinnerung,
man kann sie mehrmals hören und dabei Feinheiten
entdecken. Dazu gehören die cleveren Liedtexte und
Dialoge, beispielsweise wenn Adrian in ›Intellectual
Boy‹ beklagt: »It‘s so hard being deep, I am forever
losing sleep thinking grand and amazing things. (dt.:
»Es ist so hart, tiefsinnig zu sein, weil es mir immer
den Schlaf raubt, an große und erstaunliche Dinge zu
ü 79

Abb. unten von oben links:
1. Pandoras (Rebecca Nardin, r.)
erster Tag in der neuen Klasse. Alle
sind schwer beeindruckt, inkl. der
Lehrerin (Lara Denning, l.)
2. Nigel (Jeremiah Waysome mit
Ensemble) tanzt auf der Schuldisco
3. Das Ensemble vereint in ›Take a
Stand‹
4. Adrians Vater George (Andrew
Langtree), nachdem seine Frau ihn
verlassen hat
Fotos (4): Pamela Raith
80
Musicals in Großbritannien
denken).« Pandora sieht in ›Look at That Girl‹ ihre Kar-
riere als moderne Frau in der Politik vor sich und singt:
»Inequality ends from today, if I had my way, and we
get equal pay (dt.: Wenn es nach mir ginge, endete die
Ungleichheit mit dem heutigen Tag und wir erhielten
gleichen Lohn).«
Es sind nicht nur brillante Liedtexte, die die kom-
plexen und liebenswürdigen Figuren skizzieren, son-
dern auch treffsicher geschriebene Szenen. Manchmal
sind diese vielleicht etwas kurz, aber die Schauspieler
bringen sie allesamt so zum Leben, dass man mit ihnen
fühlt. Das macht auch den Reiz der Show aus. Selbst
wenn das Teenager-Schulleben im Zentrum steht, wird
auch gezeigt, wie schwer Erwachsene es haben, durch
das Leben zu navigieren, und wie knallhart Auseinan-
dersetzungen sein können wie in dem Duell zwischen
Pauline und ihrer Schwiegermutter (Rosemary Ashe),
die ihr ihren Weggang vorwirft.
Hinzu kommt, dass die Inszenierung von reich-
lich Humor und Spaß geprägt ist: zum Beispiel, wenn
nicht nur Kinder die Schüler spielen, sondern auch die
erwachsenen Darsteller in Schuluniformen schlüpfen
und entsprechendes Benehmen an den Tag legen.
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Das ganze Ensemble ist großartig. Dennoch müssen
Rufus Kampa als Adrian Mole und Rebecca Nardin als
Pandora hervorgehoben werden. Mit ihrer Energie und
Spannung verkörpern sie ihre Figuren perfekt.
Auch Rebecca Howells Choreographien, die teil-
weise auf klassische Musical-Tanzkombinationen zu-
rückgreifen, lassen es nicht langweilig werden. Es wird
auch nur getanzt, wo es angemessen ist, so etwa zur
Disconummer ›Misunderstood‹ auf der Schulparty.
Den visuellen Rahmen bilden Tom Rogers‘ Bühne
und Kostüme. Das Proszenium besteht aus einem rie-
sigen Lineal. Ansonsten befinden wir uns in Adrians
Kinderzimmer, der Wohnküche, der Schule und an
diversen anderen Orten. Seine Kostüme reflektieren
auch die 80er Jahre, wobei dies nicht aufdringlich,
sondern eher hinweisend geschieht.
Wer in London ist, sollte sich diese Produktion auf
keinen Fall entgehen lassen. Bereits die Cast Aufnahme
vermittelt den mitreißenden Sound des Musicals und
seine cleveren Texte.
Sabine Schereck

Frühlingserwachen in Florenz
»The Light in the Piazza« als britische Erstaufführung am Southbank Centre in London
S onne, Wärme, antike Statuen: die Leichtigkeit
eines Sommerurlaubs durchströmt die Bühne.
Ein Platz, links umgeben von Häusern, rechts der
Aufgang zu einer halbrunden Treppe, bietet viele
Spielmöglichkeiten. Robert Jones‘ Bühne erweckt ein
Bilderbuch-Italien.
Florenz in den 1950er Jahren. Die Amerikanerin
Mrs Johnson (Renée Fleming) schwelgt in Erinne-
rungen, als sie ihrer Tochter Clara (Dove Cameron)
die Stadt zeigt. Clara ist bildhübsch und wohlbehü-
tet aufgewachsen, sodass die nackten Statuen für sie
Unbekanntes preisgeben. Das melodische ›Statues and
Stories‹ führt wunderbar in die Geschichte ein, die ins
Rollen kommt, als ein Windstoß Claras Hut in die Luft
wirbelt. Der Hut wird vom jungen Italiener Fabrizio
(Rob Houchen) aufgefangen, der ihn gentlemanlike
zurückgibt. Beide sind sofort voneinander angetan.
Das Musical »The Light in the Piazza« basiert auf
der gleichnamigen Kurzgeschichte von Elizabeth
Spencer, die 1962 auch verfilmt wurde. 2003 haben
sich Adam Guettel (Musik und Liedtexte) und Craig
Lucas (Buch) daran gesetzt, daraus ein Musical zu ma-
chen, das 2005 am Broadway gezeigt wurde.
An der Oberfläche ist es eine einfache, ganz der
Romantik verpflichtete Boy-Meets-Girl-Story, aber auf
Seiten Claras kommt eine dunkle Wahrheit zu Tage,
die die Mutter bisher von ihr fern gehalten hat.
Bezeichnend ist auch Guettels Musik, die sich an
Zeit und Ort orientiert und keinen Popsound nutzt.
In den 50er Jahren ertönten in Musicals noch sympho-
nisch-opernorientierte Melodien. Und da das Stück in
Italien, der Wiege der Oper, spielt, dominiert auch die-
ser Klang. Fabrizio drückt seine Liebe für Clara ganz
in Italienisch aus: ›Il Mondo Era Vuoto‹. Selbst wenn
man die Worte nicht versteht, die Leidenschaft, mit
der er singt, ist unmissverständlich. Rob Houchen ern-
tet dafür kräftigen Beifall. Mit dem Opernstar Renée
Fleming als Mrs Johnson wird schon ein Zeichen ge-
setzt. Die jungen Talente wie Dove Cameron und Rob
Houchen meistern die Musik hervorragend. Ein Zuge-
ständnis an diejenigen, die Swing zugänglicher finden,
ist ›American Dancing‹: eine großartige Nummer, bei
der Fabrizios älterer Bruder Guiseppe (Liam Tamne)
blickpunkt musical 04/19,
ü Juli – September 2019
Musicals in Großbritannien
ihm beibringen möchte, wie man amerikanisch tanzt,
um ihn für Clara attraktiver zu machen.
Es wird nicht nur Italienisch gesungen, sondern
auch gesprochen. Das gilt für Fabrizios gesamte Fami-
lie: Vater (Alex Jennings), Mutter (Marie McLaugh-
lin), Bruder, Schwägerin (Celinde Schoenmaker). Um
in den vollen Genuss zu kommen, hilft es also, der
Sprache mächtig zu sein, denn Übertitel gibt es nicht.
Claras Mutter könnte dankbar dafür sein, dass ein
junger Mann aus gutem Hause ihrer Tochter den Hof
macht. Stattdessen versucht sie, die Gefühle der beiden
herunterzuspielen. Sie möchte alle Beteiligten vor der
schmerzlichen Wahrheit bewahren, dass Clara nicht
das ist, was sie scheint: ein normaler Teenager. Ein
Unfall in ihrer Kindheit führte zur Diagnose, dass sie
sich mental nicht weiterentwickeln würde. Aber nun
steht sie als Mutter zwischen der Pflicht, ihr Kind und
andere vor Enttäuschungen zu schützen und ihrem
Kind die Liebe zu gewähren, nach der es sich sehnt. Es
ist ein Zwiespalt, in dem sich Eltern auch heute noch
befinden. Claras Mutter gibt stillschweigend nach. Als
das Geheimnis doch ans Licht kommt, ist Fabrizios
Familie drauf und dran, die bevorstehende Heirat ab-
zusagen. Auch Clara zweifelt an sich, als sie von ihrer
»Behinderung« erfährt.
Es dreht sich aber nicht alles um Clara. In der
Johnson-Ehe kriselt es – und Fabrizios Vater ist Claras
Mutter sehr gewogen ...
Regisseur Daniel Evans hat eine erstklassige und
stilvolle Produktion geschaffen, bei der alle Darsteller
Großartiges leisten. Auch der Flair der Zeit (Kostüme:
Brigitte Reiffenstuel) wird spürbar. Die imposante und
komplexe Musik verdeckt leider die Zwischentöne im
Text, die interessantere Aspekte ansprechen als die
idealisierte Liebe. Bei Letzterer bleibt unklar, was das
Paar aneinander bindet. Elterliche Konflikte und das
Verlangen nach Selbstständigkeit, die dem Stoff noch
Aktualität verleihen würden, brächten Spannung in
die Inszenierung.
Das Musical glänzt wie das Licht in der Piazza,
richtet sich allerdings an ein spezielles Publikum.
Sabine Schereck
Abb. oben von links:
1. Clara (Dove Cameron, 3.v.l.)
und Fabrizio (Rob Houchen, 2.v.l.)
proben die Hochzeit mit dem
Priester (Matthew Woodyatt, l.).
Dabei anwesend die Familie (v.l.):
Guiseppe (Liam Tamne), Franca
(Celinde Schoenmaker), Fabrizios
Mutter (Marie McLaughlin) und
Vater (Alex Jennings) sowie Claras
Mutter (Renée Fleming)
2. Margaret Johnson (Renée Fleming)
Fotos (2): Dewynters London
The Light in the Piazza
Adam Guettel / Craig Lucas
Southbank Centre London
Royal Festival Hall
Britische Erstaufführung:
18. Juni 2019
Direction ........................ Daniel Evans
Associate Musical
Direction .............. Catriona Beveridge
Conducting .............. Kimberly Grigsby
Movement Direction ........... Lucy Hind
Design ............................ Robert Jones
Costume Design .... Brigitte Reiffenstuel
Lighting Design ........ Mark Henderson
Sound Design ................... Mick Potter
Margaret Johnson ......... Renée Fleming
Clara Johnson.............. Dove Cameron
Roy Johnson ............. Malcolm Sinclair
Signor Naccarelli ........... Alex Jennings
Signora Naccarelli .... Marie McLaughlin
Fabrizio Naccarelli ........ Rob Houchen
Guiseppe Naccarelli ........ Liam Tamne
Franca Naccarelli .................... Celinde
Schoenmaker
The Priest ............. Matthew Woodyatt
In weiteren Rollen:
Simbi Akande, Danny Becker,
Jordan Castle, Nicholas Duncan,
Chlöe Hart, Rhona McGregor, Molly
Lynch, Tom Partridge, Monica Swayne
81

Sich im Walzertakt drehende Sehnsucht
»Amour« als britische Erstaufführung im Charing Cross Theatre London
Abb. oben:
Straßenszene im Paris der 50er Jahre
Foto: Scott Rylander
Amour
Michel Legrand / Didier van Cauwelaert /
Jeremy Sams
Charing Cross Theatre London
UK-Premiere: 8. Mai 2019
Direction .................. Hannah Chissick
Musical Direction ....... Jordan Li-Smith
Choreography ..................... Matt Cole
Production Design ............ Adrian Gee
Lighting Design .............. Rob Halliday
Sound Design ........... Andrew Johnson
Dusoleil ......................... Gary Tushaw
Isabelle ........................ Anna O‘Byrne
Prosecutor ................. Alasdair Harvey
Madeleine / Nun ......... Elissa Churchill
Claire/ Whore ............... Claire Machin
Bertrand / Guard / Painter/
Communist .................... Keith Ramsay
Boss / Gendarme 2 ......... Steven Serlin
Charles / Guard /
News Vendor / Lawyer ....... Alistair So
Doctor / Gendarme 1 /
President......................... Jack Reitman
In weiteren Rollen:
Laura Barnard
82
Musicals in Großbritannien
M ichel Legrands Melodien von »The Umbrellas of
Cherbourg« zogen einen in den Bann und die
Londoner Produktion von 2011 hatte etwas Magi-
sches. Es spielte im Frankreich der 1950er Jahre.
Legrands »Amour« ist ebenfalls im Frankreich der
50er Jahre angesiedelt – in Paris, das ein speziell roman-
tisches Flair ausstrahlt. Das Musical arbeitet diesmal
direkt mit magischen bzw. fantastischen Elementen. Es
basiert auf der 1941 geschriebenen Kurzgeschichte »Le
Passe-muraille« von Marcel Aymé, die auch mehrfach
für Film und Fernsehen adaptiert wurde. Die Musical-
Uraufführung fand 1997 in Paris statt. Im Stück geht
es um einen Mann, der plötzlich durch Wände gehen
kann. 2002 folgte die Broadway-Premiere, der – trotz
zahlreicher Tony- und Drama-Desk-Award-Nominie-
rungen – jedoch keine lange Laufzeit beschert war.
Dusoleils (Gary Tushaw) Alltag im Paris der Nach-
kriegszeit ist grau. Er arbeitet fleißig und gewissenhaft
im Büro, während seine Kollegen nur auf den Feier-
abend warten. ›Office Life‹ mit dem militärischen
Rhythmus des Tippens auf der Schreibmaschine fängt
die Arbeitswelt gut ein. Als guter Sohn schreibt Duso-
leil regelmäßig seiner Mutter, was an sich schon Bände
spricht. Sein Porträt wird mit dem melancholischen
›Going Home Alone‹ abgerundet, wobei er sich nach
jemandem sehnt. Eine unscheinbare Figur wie vie-
le andere, dennoch lassen seine Zeilen sein Bedauern
mitfühlen: »No one there to complain, it‘s not that
I‘ve nothing to do, read a book or two« (dt. »Es gibt
niemanden, der sich beschwert, es ist ja nicht so, dass
ich nichts zu tun hätte, könnte ein oder zwei Bücher
lesen …«) In den Zeilen erfährt man auch von seiner
Kollegin Isabelle (Anna O‘Byrne), die er aus der Ferne
bewundert. Auch sie ist unglücklich – zwangsverheira-
tet – und sehnt sich nach Liebe und nicht jemandem,
der sie einsperrt aus Furcht, sie könnte entkommen, der
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
selbst aber keine Skrupel hat, die Dienste anderer Da-
men in Anspruch zu nehmen.
Der ›Street Vendors‘ Waltz‹ illustriert routiniert
fröhlich das Straßenleben in Paris, genauer gesagt
auf dem Montmartre, mit seinen Malern, Zeitungs-
verkäufern, Prostituierten und Gendarmen. Dann
kommt die Geschichte ins Rollen: Nach einem beson-
ders schlechten Tag steht Dusoleil im Regen vor seiner
Haustür und sucht verzweifelt nach seinem Schlüssel.
Plötzlich findet er sich im Haus wieder. Wie ist das
geschehen? Er ist unbemerkt einfach durch die Wand
gegangen ...
Seine folgende Ballade ›An Ordinary Guy‹ gehört
zu den Höhepunkten des Stücks: Sie beweist Jeremy
Sams‘ Übersetzungskünste, bei der die Liedtexte doch
mehr sagen als die einzelnen Worte: »A normal, or-
dinary Joe / A soul who‘d never dream of walking /
Through a wall at all / It‘s all beyond comprehension /
Why me, a slave to convention« (dt. »Ein ganz nor-
maler Kerl / keine Seele, die je davon geträumt hätte,
durch Wände zu gehen / Das alles ist jenseits des Be-
greiflichen / Warum ich, ein Sklave der Konvention?«)
In Tushaws wunderbarer Interpretation macht der
Song aber auch eine emotionale Wende deutlich. Diese
unerwarteten Kräfte verleihen der bescheidenen Figur
allmählich den Mut und den Glauben daran, Dinge zu
erreichen, die zuvor nie möglich schienen – auch über
sich hinauswachsen zu können.
Er setzt seine Kräfte für gute Zwecke ein, wirkt als
eine Art Robin Hood, der sich um die Benachteiligten
kümmert. In der Öffentlichkeit gilt er als der myste-
riöse, unbekannte ›Monsieur Passepartout‹. In dem
Song beschreibt das Ensemble heiter und bewundernd
all seine Heldentaten und Errungenschaften. Es geht
natürlich nicht immer gut … zudem er auch sein Lang-
zeitziel Isabelle nicht aus den Augen verloren hat.

Der Kern der Story, der in der zentralen Figur eine
Wandlung auslöst, vermag auch, einem heutigen Pub-
likum etwas zu geben. Die Liebesgeschichte, in der ein
unscheinbarer Mann zum Helden wird und dann seine
Herzensdame gewinnt, nachdem beide sich unbekann-
terweise endlos nacheinander verzehren, ist da etwas
kritischer. Zumal Isabelle auch nicht viel zu bieten hat,
außer ihrer Schönheit und Tugend. Man möchte fast
sagen, das gilt für Hannah Chissicks gesamte Inszenie-
rung: Sie ist stets hübsch anzusehen, brilliert mit ein
paar originellen Einfällen, aber man wird kaum von ihr
eingenommen. Zu den Einfällen gehören beispielsweise
Regenschirme, die clever von innen beleuchtet werden,
oder Stühle, die klug und effektiv eingesetzt werden,
sodass sie unter anderem eine Speisetafel bilden.
Gary Tushaw gibt dankenswerterweise einen über-
zeugenden Dusoleil, aber zwischen ihm und Anna
O‘Byrne als Isabelle fehlt die Chemie. Dass die Melo-
dien in dem Stück – so nett sie auch sein mögen – eher
standardisiert als inspiriert daherkommen, hilft leider
auch nicht. Kleinode sind zum Glück Jeremy Sams‘
Übersetzungen der Liedtexte von Didier van Cauwe-
laert. Im Original waren sie im Operettenstil, Sams
hat sie eher dem Broadway angepasst und mit Legrand
noch Lieder hinzugefügt. Man hört ihnen mit Freude
zu, weil es auch zwischen den Zeilen etwas zu entde-
cken gibt, wie bereits anhand von ›An Ordinary Guy‹
beschrieben. Hinzu kommen auch Wortspiele wie in
der Szene mit dem neuen Chef, der singt »I‘m a dick …
I‘m a dick … I‘m addicted to perfection!«, wobei »dick«
hier umgangssprachlich mit »Arschloch« im Sinne ei-
nes gemeinen, blöden Kerls gemeint ist.
blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
Musicals in Großbritannien
Bewundernswert ist Adrian Gees elegant-schlichte Abb. unten von oben links:
Bühne, die quasi nur aus einer Laterne besteht. Durch 1. Im Büro werden potentielle Kün-
Rob Hallidays gekonntes Lichtdesign wird die Szene- digungen verteilt – (v.l.) : Dusoleil
(Gary Tushaw), Madeleine (Elissa
rie in eine zauberhafte Atmosphäre getaucht. Adrian
Churchill), Charles (Alistair So),
Gee entwarf auch die Kostüme, die in Schwarz, Weiß Claire (Claire Machin) und Bertrand
und Grau gehalten sind. Entsprechend kommt vieles (Keith Ramsay)
etwas düster daher, was mit dem Saccharin-süßen In- 2. Madeleine (Elissa Churchill) hört
halt kontrastiert. Vielleicht soll auch die Welt eines von einem Passepartout, der durch
Wände gehen kann
Schwarz-Weiß-Films der 50er Jahre evoziert werden.
3. Begegnung von Isabelle (Anna
Dem Publikum wird auch Humor geboten, vor- O‘Byrne) und Dusoleil (Gary Tushaw),
nehmlich in den Figuren der beiden Gendarme (Jack der Isabelle anbetet
Reitman und Steven Serlin), die es mit der Arbeit auch 4. Die Pariser freuen sich über
nicht so genau nehmen. Ihre Tanzeinlagen in Matt Dusoleils Befreiung – (v.l.): Prosecutor
Coles Choreographie sind amüsant und man sieht ih- (Alasdair Harvey), Gendarme 1
(Jack Reitman), Hure (Claire
nen gerne zu. Insgesamt bietet das Pariser Völkchen,
Machin), Painter (Keith Ramsay),
das das Liebespaar umgibt, viel Unterhaltung. Dazu News Vendor (Alistair So) und
gehört auch Claire Machins Straßenmädchen, das ent- Madeleine (Elissa Churchill)
deckt, dass sie über Nacht von einem Unbekannten mit Fotos (4): Scott Rylander
kostbarem Schmuck beglückt wurde.
Es ist eine solide Produktion. Dennoch wird deut-
lich, dass versucht wurde, das Beste aus dem Stoff
herauszuholen, d. h. mit theatralischen Mitteln wie
Design, Choreographie und Inszenierung. Doch sie
können die schwache Geschichte, der hier die Span-
nung fehlt, und die Musik, die man glaubt, woanders
schon mal gehört zu haben, nicht überdecken.
Insgesamt geht es der Produktion wie dem Liebes-
paar: Am Ende ist ihnen nicht mal ein Happy End ver-
gönnt und die Sehnsucht bleibt unerfüllt.
Sabine Schereck
ü 83

Neues aus Großbritannien
zusammengestellt von der Redaktion
Audrey Brisson als Amélie
Foto: Pamela Raith Photography
»Amélie«-Transfer ins West End
Die britische Erstaufführung von »Amélie – The
Musical« vom Watermill Theatre in Newbury
zieht vom 29. November 2019 bis 1. Februar
2020 ins The Other Place in London um. Die
Produktion des kleinen Regionaltheaters mit
nur 220 Plätzen ist derzeit noch bis Oktober mit
Selladoor Productions auf Tournee durch Groß-
britannien und Irland und wird unter anderem
noch in Manchester, Wokin, Southampton und
Liverpool zu sehen sein. Die Besetzung aus
Newbury soll auch für London übernommen
werden, die Titelrolle spielt die französisch-
kanadische Filmschauspielerin Audrey Brisson.
Das Musical »Amélie« von Craig Lucas, Nathan
Tysen und Daniel Messé nach dem gleichnami-
gen Film wurde zunächst mit mäßigem Erfolg in
New York gespielt und für Produktionen in Eu-
ropa umfangreich überarbeitet. Derzeit läuft die
deutschsprachige Erstaufführung durch Stage
Entertainment im Werk7 in München.
Die britische Erstaufführung wurde inszeniert
von Michael Fentiman, die musikalische Lei-
tung liegt bei George Francis, Bühnen- und
Kostümbild stammen von Madeleine Girling.
Neuer Name fürs Queen‘s Theatre
Wenn »Les Misérables« am 18. Dezember nach
umfangreichen Renovierungen an seinen lang-
jährigen Spielort im Londoner Queen‘s Theatre
zurückkehrt, wird dieses den neuen Namen
»Sondheim Theatre« tragen. Sondheim ist da-
mit der einzige lebende Autor, nach dem sowohl
am Broadway als auch im West End ein Theater
benannt ist.
Theaterbesitzer und »Les Misérables«-Produzent
Cameron Mackintosh hatte im vergangenen
Jahr angekündigt, sein Ambassador Theatre
84
Musicals in Großbritannien
nach Sondheim zu benennen, dieses jedoch
dann an die Ambassador Theatre Group ver-
kauft, die ihren Namen ursprünglich von eben-
jenem Theater herleitet.
Sondheim, der im kommenden März 90 Jahre
alt wird, gilt als bedeutendster lebender Kom-
ponist des amerikanischen Musicals. Zu seinen
Werken gehören »Sweeny Todd«, »Sunday in
the Park With George«, »Into the Woods« und
»Passion«. Als Liedtexter war er unter anderem
an »West Side Story« und »Gypsy« beteiligt. Mit
Produzent Cameron Mackintosh verbindet den
8-fachen Tony-Award-Gewinner eine langjäh-
rige Freundschaft, die bis zu einer Produktion
von »Side by Side by Sondheim« im Jahr 1976
zurückreicht.
Die Originalproduktion von »Les Misérables« im
Queen‘s Theatre schloss am 13. Juli und wird tem-
porär durch eine konzertante Fassung im Giel-
gud Theatre abgelöst. Bei der Wiedereröffnung
im Dezember wird nicht mehr die Original-
inszenierung, sondern die neuere Tourfassung
gespielt werden.
Verfilmung von »Everybody‘s Talking
About Jamie«
Das auf der BBC-Dokumentation »Jamie: Drag
Queen at 16« basierende Musical »Everybody‘s
Talking About Jamie« wird mit dem Kreativ-
team der Bühnenproduktion verfilmt.
Inspiriert durch die wahre Geschichte von Jamie
Campbell, begleitet »Everybody‘s Talking About
Jamie« den 16-jährigen Jamie New aus Sheffield.
Jamie ist ein Außenseiter und hat Angst vor der
Zukunft, doch er wird eine Sensation werden.
Mit der Unterstützung durch seine liebevolle
Mutter und umgeben von Freunden, überwin-
det Jamie Vorurteile, schlägt seine Drangsalierer
ü blickpunkt musical 04/19, Juli – September 2019
und tritt aus der Dunkelheit ins Scheinwerfer-
licht.
Das Musical wurde im Februar 2017 in Sheffield
uraufgeführt und läuft seit November 2017 im
Londoner Apollo Theater. Im Juli 2018 wurde
die Vorstellung live in Kinos in Großbritannien
übertragen.
Regisseur Jonathan Butterell, Autor Tom Mac-
Rae, Komponist Dan Gillespie Sells und Cho-
reographin Kate Prince arbeiten gemeinsam an
der Kinoadaption. Die Dreharbeiten haben im
Juni in Sheffield und Umgebung begonnen.
Newcomer Max Harwood spielt Jamie, an seiner
Seite steht der kürzlich für den Oscar nominierte
Richard E. Grant als Jamies Mentor Hugo.
Der Film soll voraussichtlich 2020 als Produk-
tion von Twentieth Century Fox in die Kinos
kommen.
Whoopi Goldberg und Brenda Edwards
Foto: Matthew Murphy
Neue Produktion von »Sister Act« in
London und auf Tour
Die Produzenten Jamie Wilson und Whoopi
Goldberg kündigen für 2020 eine überarbeitete
Fassung von »Sister Act« an, in der die Rolle der
Deloris grundlegend geändert werden soll.
»Bisher war Deloris in allen Versionen 23 Jahre
alt – aber du bist in einer ganz anderen Position,
wenn du älter wirst. Du kannst viel respektloser
sein als mit 20 oder 30. Zeit macht dich lusti-
ger!«, sagte Goldberg, die als Filmschauspielerin
im Alter von 36 Jahren die Rolle der im Kloster
versteckten Nachtclubsängerin kreierte.
Die vor allem durch ihren Auftritt bei »X-Factor«
bekannte Sängerin und Schauspielerin Brenda
Edwards wird in der überarbeiteten Produktion
die neue Deloris spielen. Sie stand bereits in
Hauptrollen in »We Will Rock You«, »Chicago«,
»Carousel« und »Moby Dick« auf der Bühne.
Die neue Produktion von »Sister Act« feiert im
April 2020 in Leicester Curve Premiere, geht
anschließend auf Tour und soll danach einen
neuen Standort im Londoner West End finden.
 Neu auf unitedmusicals.de
»Artus – Excalibur« – Zwingenberg
Foto: Birgit Bernds Interview mit Regisseur Sascha Oliver Bauer
Am 31. Juli 2019 feiert das Musical von Frank Wildhorn (Musik), Robin
Lerner (Liedtexte) und Ivan Menchell (Buch) in der deutschen Fas-
sung von Nina Schneider Premiere bei den Schlossfestspielen Zwin-
genberg. Erfahren Sie von Regisseur Sascha Oliver Bauer, der ganz in
der Nähe von Zwingenberg, in Heidelberg, geboren wurde, wie er das
Musical über Artus, der die zerstrittenen Einzelprovinzen der grünen
Insel einte, im Graben der Burg Zwingenberg zum Leben erweckt.

»Wallace« – Duisburg
Interviews und O-Töne von der Castvorstellung im Theater am
Marientor
Am 14. November 2019 wird im Theater am Marientor in Duisburg das
Musical »Wallace« von Todd Schroeder (Musik und Buch), Wolfgang
DeMarco (Buch und Liedtexte) und Katja Thost-Hauser (Buch) Urauf-
führung feiern. Der Produzent und künstlerische Leiter Wolfgang De-
Foto: Birgit Bernds

Marco stellte am 4. Juni 2019 das Kreativteam und einen Großteil des
Cast von »Wallace« vor. Wir führten Kurzinterviews mit Regisseurin
Katja Thost-Hauser, die auch am Buch des Musicals mitwirkte, sowie
mit Wolfgang DeMarco (Buchautor, Liedtexter).

»Pretty Woman« – Hamburg

Bericht vom Kick-off im Kehrwieder Theater
Am 19. Juni 2019 hat Stage Entertainment, passend zum Thema
»Pretty Woman«, ins schön rot-samt-plüschige Kehrwieder Theater
Hamburg eingeladen, um erste Szenen und Auszüge aus dem
Broadway-Erfolg zu präsentieren. Am 29. September 2019 ist es
auch in Europa soweit. Die beiden Hauptdarsteller Patricia Meeden
(Vivian Ward) und Mark Seibert (Edward Lewis) stehen sehr stattlich
und äußerst attraktiv gekleidet auf der Bühne des Kehrwieder und
präsentieren erste Töne der Komposition.
Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen

Die nächste Ausgabe der blickpunkt musical erscheint im September 2019 mit den Sommerproduktionen Teil 2:
In den Uraufführungen geht es um süße Macht, die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, einen Soundtrack für
Toleranz und die Abgründe eines Klosters. Open-Air-Premiere feiert eine freche, tanzbegeisterte Göre, die zum
Ziegfeld-Star wird. Eine engagierte Freilichtbühne bringt einen sagenhaften Entwicklungsroman zur Aufführung.
Das Schicksal eines jungen Marseillers feiert österreichische Uraufführung und ein Stück über Manipulation
kommt endlich wieder auf die Bühne. Eine Schweizer Seebühne ließ das Traumschiff nach New York in See
stechen. Außerdem gibt es ein paar Nachträge, die es nicht mehr in die vergangene Ausgabe geschafft haben.

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