Professional Documents
Culture Documents
Die Nikomachische Ethik (Griechisch - Deutsch) ACHTES BUCH
Die Nikomachische Ethik (Griechisch - Deutsch) ACHTES BUCH
zwei miteinander
ben sie vor allem, und die Zwietracht, die eine Feindschaft ist,
vertreiben sie am meisten. Und wo Freunde sind, da bedarf es
keiner Gerechtigkeit, aber die Gerechten brauchen die Freund-
schaft dazu, und unter dem Gerechten ist das Gerechteste das-
jenige unter Freunden. Die Freundschaft ist aber nicht nur
notwendig, sondern auch schön. Wir loben jene, die die Freund-
schaft schätzen, Reichtum an Freunden scheint etwas Schönes
zu sein, und einige meinen, tugendhaft sein und Freund sein sei
dasselbe.
was ihnen im Augenblick angenehm ist. Wenn sie aber in ein an-
deres Alter kommen, wird auch das Angenehme ein anderes.
Darum werden sie rasch Freunde und hören ebenso rasch auf.
Denn mit dem Angenehmen verändert sich auch die Freund-
schaft, und die Veränderung von dergleichen Lust geschieht
schnell. Die jungen Leute sind auch auf Liebe aus. Denn die
Hauptsache in der Liebe beruht auf Leidenschaft und Lust. So
lieben sie rasch und hören rasch auf und wechseln oft an einem
und demselben Tage. Was sie wollen, ist zusammen sein und le-
ben. So entsteht also bei ihnen die Freundschaft.
4. Vollkommen ist die Freundschaft der Tugendhaften und
an Tugend Ahnlichen. Diese wünschen einander gleichmäßig
das Gute, sofern sie gut sind, und sie sind gut an sich selbst. Jene
aber, die den Freunden das Gute wünschen um der Freunde wil-
len, sind im eigentlichen Sinne Freunde (denn sie verhalten sich
an sich so, und nicht zufallig). Ihre Freundschaft dauert, solange
sie tugendhaft sind. Die Tugend ist aber beständig, und jeder
von beiden ist an sich gut und gut für den Freund. Denn die Tu-
gendhaften sind schlechthin gut und einander gegenseitig nütz-
lich, und ebenso auch angenehm. Denn auch schlechthin ange-
nehm sind die Tugendhaften, wie auch füreinander. Denn jedem
machen die ihm eigentümlichen Handlungen Freude und die
damit verwandten; die Handlungen der Guten sind aber diesel-
ben oder doch ähnliche. So ist anzunehmen, daß eine derartige
Freundschaft dauerhaft sei. Sie sammelt in sich alles, was bei
Freunden vorhanden sein muß. Denn jede Freundschaft exi-
stiert wegen des Guten oder wegen der Lust, entweder schlecht-
hin oder für den Liebenden, und beruht auf einer gewissen Ähn-
lichkeit. In dieser Freundschaft nun findet sich alles Genannte
an sich (denn darin sind sie einander ähnlich usw.) und das
schlechthin Gute ist auch schlechthin angenehm. Dies ist auch
das Liebenswerteste, und so findet sich denn bei diesen am mei-
sten Freundsein und Freundschaft, und auf die beste Art. Es ist
freilich anzunehmen, daß solche Freundschaften selten sind.
η
6. "Ωσπερ δ' έπί των αρετών οΐ μέν καθ' έξιν οΐ δέ
κατ' ένέργειαν άγαθοί λέγονται, ούτως και έπί τής
φιλίας- οί μέν γάρ συζώντες χαίρουσιν άλλήλοις και
πορίζουσιν τάγαθά, οί δέ καθεύδοντες ή κεχωρισμέ-
Und indem man den Freund liebt, liebt man, was einem selbst
gut ist. Denn der Tugendhafte, der zum Freund geworden ist,
wird zu einem Gute für den, dessen Freund er geworden ist.
Also liebt jeder von beiden das, was für ihn gut ist, und gibt das
gleiche zurück durch die Gesinnung und indem er dem andern
angenehm ist. Denn Freundschaft gilt als Gleichheit. Dies gilt am
meisten von der Freundschaft der Tugendhaften. Unter Mürri-
schen und alten Leuten gibt es weniger Freundschaft in dem
Maße, als sie schlechterer Laune sind und sich weniger am Um-
gang freuen. Denn dies scheint am meisten zur Freundschaft zu
gehören und sie zu begründen. Darum werden junge Leute rasch
Freunde, alte nicht; denn man befreundet sich nicht mit solchen,
die einem keine Freude machen. Dasselbe gilt von den Rauhen.
Doch werden derartige einander wohlgesinnt sein (da sie einan-
der das Gute wünschen und in der Not einander beistehen), aber
Freunde sind sie nicht, weil sie nicht zusammenleben und anein-
ander keinen Gefallen haben, was doch am meisten zur Freund-
schaft gehört. Mit vielen befreundet zu sein ist in der Weise der
vollkommenen Freundschaft nicht möglich, wie man auch nicht
viele zugleich lieben kann. Das gleicht nämlich dem Übermaß,
und seiner Natur nach bezieht sich ein solches Verhältnis immer
nur auf einen einzigen. Es ist auch nicht leicht möglich, daß viele
gleichzeitig demselben Menschen gefallen, und wohl auch nicht,
daß viele tugendhaft sind. Außerdem muß man Erfahrung er-
werben und sich aneinander gewöhnen, was außerordentlich
schwierig ist. Auf Grund des Nutzens und der Lust vielen zu ge-
fallen, ist dagegen wohl möglich; denn viele sind von solcher Art,
und solche Dienste sind in kurzer Zeit erwiesen. Von diesen zwei
Arten ist die Beziehung auf Grund der Lust der Freundschaft
ähnlicher, wenn beide dasselbe gewähren und sie sich aneinander
freuen oder an denselben Dingen, wie es bei Freundschaften un-
ter jungen Leuten der Fall ist. Denn in solchen Freundschaften ist
mehr Vornehmheit. Die Freundschaft auf Grund des Nutzens ist
dagegen ordinär. Außerdem bedürfen die Glückseligen in keiner
heit beruht, wie die des Vaters zum Sohne und überhaupt des Äl-
teren zum Jüngeren, des Mannes zur Frau und jedes Regierenden
zum Regierten. Doch unterscheiden sich auch diese untereinan-
der. Denn die Freundschaft der Eltern zu den Kindern und der
Regierenden zu den Regierten ist nicht dieselbe, auch nicht die
des Vaters zum Sohne und die des Sohnes zum Vater oder die des
Mannes zur Frau und die der Frau zum Manne. Denn jeder von
diesen hat seine besondere Tüchtigkeit und Aufgabe, und es sind
andere Dinge, um derentwillen sie lieben. Also werden auch Zu-
neigung und Freundschaft da verschieden sein. Hier leistet nun
der eine dem andern nicht dasselbe, und man darf es auch nicht
erwarten. Wenn aber die Kinder den Eltern gewähren, was
diesen zukommt, und die Eltern den Kindern, was sie ihnen
schuldig sind, so ergibt dies eine dauerhafte und tugendhafte
Freundschaft für sie. In allen auf Überlegenheit beruhenden
Freundschaften muß die Zuneigung eine proportionierte sein, so
daß der Bessere mehr geliebt wird, als er selbst liebt, und ebenso
der Nützlichere usw. Denn wenn die Zuneigung der Würdigkeit
entspricht, so ergibt sich eine gewisse Gleichheit, was eben der
Freundschaft eigentümlich zu sein scheint.
9. Die Gleichheit scheint aber in der Gerechtigkeit und in
der Freundschaft nicht dieselbe zu sein. In der Gerechtigkeit be-
steht die Gleichheit erstens in der Würdigkeit, zweitens in der
Quantität; in der Freundschaft steht das Quantitative voran und
die Würdigkeit kommt in zweiter Linie. Das wird klar, wenn
in Tugend, Schlechtigkeit, Wohlhabenheit usw. eine große Dif-
ferenz besteht. Dann sind sie nicht mehr Freunde und bean-
spruchen dies nicht einmal. Am deutlichsten ist dies den Göt-
tern gegenüber; denn diese sind an allen Gütern am meisten
überlegen. Klar ist es auch bei den Königen. Auch da beanspru-
chen die sehr viel tiefer Stehenden gar nicht, ihre Freunde zu
sein, auch nicht die Beliebigen den Besten oder Weisesten ge-
genüber. Eine genaue Grenze, bis wohin die Freundschaft ge-
hen kann, gibt es in diesen Dingen nicht. Sie kann bestehenblei-
ben, wenn der eine auch viel verliert, wird aber der Abstand
sehr groß, wie bei der Gottheit, so ist sie nicht mehr möglich.
Darum wird auch die Frage erhoben, ob nicht die Freunde den
Freunden die größten Güter mißgönnen, wie etwa zu den Göt-
tern erhoben zu werden. Denn dann wären sie nicht mehr ihre
Freunde, also auch kein Gut mehr; denn Freunde sind Güter.
Wenn wir allerdings richtig festgestellt haben, daß der Freund
dem Freunde Gutes um des Freundes willen wünscht, so muß
der Freund auf alle Fälle bleiben, was er war. Und man wird ihm
die größten Güter wünschen, die es für einen Menschen gibt;
vielleicht nicht alle, denn jeder wünscht sich selbst am meisten
das Gute.
Die Leute nun wollen, wie es scheint, aus Ehrgeiz eher geliebt
werden als lieben (darum schätzen sie auch die Schmeichelei;
denn der Schmeichler ist ein Freund, dem man überlegen ist,
oder der doch dergleichen tut, als ob man es wäre und als ob er
mehr liebte als geliebt würde). Das Geliebtwerden scheint dem
Geehrtwerden nahezustehen, und dies erstreben die Leute.
Doch scheinen sie die Ehre nicht an sich, sondern zusätzlich zu
begehren. So freuen sie sich, wenn sie von den Mächtigen geehrt
werden, in der Hoffnung, sie würden, wenn sie etwas bedürften,
es von ihnen erlangen. Also freuen sie sich an der Ehre als einem
Zeichen späterer Gunst. Wer aber durch die Tugendhaften und
Weisen geehrt zu werden begehrt, wünscht seine eigene Meinung
von sich auf diese Weise zu bestärken. Sie freuen sich also dar-
über, daß sie tugendhaft sind, und vertrauen auf das Urteil derer,
die das sagen. Am Geliebtwerden freut man sich aber an sich.
Darum scheint es besser zu sein als das Geehrtwerden, und
darum scheint die Freundschaft an sich wünschbar zu sein. Sie
scheint aber mehr im Lieben als im Geliebtwerden zu beruhen.
Ein Beweis sind die Mütter, die sich daran freuen, zu lieben. Ei-
nige geben ihre Kinder anderen zu ernähren und lieben sie be-
wußt, verlangen aber keine Gegenliebe, wenn beides zusammen
nicht sein kann, sondern es scheint ihnen genug zu sein, wenn sie
sehen, daß es ihnen gut geht, und sie lieben sie auch dann, wenn
jene ihnen nichts von dem zuliebe tun, was einer Mutter gebührt,
weil sie sie nicht kennen.
io. Da nun die Freundschaft mehr im Lieben beruht und
man jene lobt, die ihre Freunde lieben, so scheint die Tu-
gend der Freunde eben das Lieben zu sein. So sind jene, bei de-
nen dies der Würdigkeit entsprechend geschieht, dauerhafte
Freunde und ihre Freundschaft desgleichen. So können auch
Ungleiche am ehesten wohl Freunde werden. Denn dies würde
sie gleichmachen. Gleichheit und Ubereinstimmung ist Freund-
schaft und vor allem die Übereinstimmung in der Tugend.
Denn so sind sie in sich selbst beständig und also auch zueinan-
der und bedürfen des Schlechten nicht und helfen auch nicht
dazu, sondern werden es geradezu verhindern. Denn die Tu-
gendhaften verfehlen sich weder selbst, noch gestatten sie es ih-
ren Freunden. Die Schlechten aber haben keine Beständigkeit;
sie sind ja nicht einmal sich selbst gleich und beständig. So wer-
den sie für kurze Zeit miteinander befreundet und freuen sich
gegenseitig an ihrer Schlechtigkeit. Die Nützlichen und Ange-
nehmen beharren mehr, nämlich solange sie einander Lust oder
Nutzen verschaffen. Bei Menschen von entgegengesetzter Stel-
lung scheint am meisten die Freundschaft auf Grund des Nut-
zens zu herrschen, so zwischen Armem und Reichem, Unwis-
sendem und Wissendem. Denn woran einer mangelt, danach
strebt er und gibt etwas anderes zur Vergeltung. Hierher wird
man wohl auch den Liebhaber und den Geliebten ziehen und
den Schönen und den Häßlichen. Darum scheinen die Liebha-
ber zuweilen auch lächerlich, weil sie beanspruchen, in demsel-
ben Maße geliebt zu werden, wie sie lieben. Dies kann man
vielleicht verlangen, wenn man gleich liebenswert ist; ist dies
nicht der Fall, so ist es lächerlich. Vielleicht strebt überhaupt
das Entgegengesetzte nicht an sich nach dem Entgegengesetz-
ten, sondern nur zufällig, und das Streben geht vielmehr auf das
Mittlere. Denn dieses ist das Gute. So ist es für das Trockene
oder weniger gilt. Auch die Länge der Zeit macht einen Unter-
schied. Denn die Eltern lieben die Kinder von ihrer Geburt an,
diese aber erst bei fortschreitender Zeit die Eltern, wenn sie es be-
greifen oder wahrnehmen. Hieraus ist auch klar, weshalb die
Mütter mehr lieben. Die Eltem lieben also die Kinder wie sich
selbst (denn was von ihnen stammt, ist wie ein anderes sie selbst
durch die Trennung), die Kinder die Eltern, weil sie von ihnen
stammen, und Brüder untereinander, weil sie von denselben El-
tern stammen. Denn die Gleichheit jenen gegenüber macht sie
auch untereinander gleich. Und so spricht man von »demselben
Blut«, »derselben Wurzel« und dergleichen. Sie sind auch gewis-
sermaßen dasselbe, nur in getrennten Wesen. Viel bedeutet für
die Freundschaft auch, daß sie zusammen aufgewachsen und
gleich alt sind. Denn Altersgenossen streben zueinander, und
gleiche Sitten machen zu Kameraden. Und so gleicht die Freund-
schaft unter Brüdern auch derjenigen unter Kameraden. Vettern
und sonstige Verwandte sind von den Brüdern her miteinander
verbunden, nämlich dadurch, daß sie von denselben herstam-
men. Die einen stehen sich näher, die andern ferner, je nachdem
der gemeinsame Stammvater nahe oder fern ist. Das Verhältnis
der Kinder zu den Eltern ist, wie das der Menschen zu den Göt-
tern, als zu etwas Gutem und Uberragendem. Denn sie haben
am meisten Gutes getan: sie sind Ursache des Daseins und der
Ernährung und später der Erziehung. Eine solche Freundschaft
hat auch Angenehmes und Nützliches, mehr als diejenige zu den
Fremden, da auch ihr Leben ein gemeinschaftlicheres ist. Bei der
Freundschaft unter Brüdern findet sich alles, was auch die
Freundschaft unter Kameraden enthält, und in besonderm Maße
unter tugendhaften und überhaupt unter Ahnlichen, sofern sie
einander näherstehen und einander von Geburt an lieben, und
sofern solche, die dieselben Eltem haben, miteinander ernährt
und erzogen worden sind, in ihrem Charakter verwandter wer-
den. Und die Bewährung in der Zeit ist die größte und zuverläs-
sigste. Entsprechend ist die Freundschaft bei den sonstigen Ver-
gen der Tugend lieben, nehmen sich vor, einander Gutes zu tun
(denn dies gehört zur Tugend und zur Freundschaft) und wenn
man darin wetteifert, kann es keine Vorwürfe oder Streit geben
(denn über den Liebenden, der einem Gutes tut, ärgert sich kei-
ner, sondern wenn er gutgesinnt ist, wehrt er sich, indem er sei-
nerseits Gutes tut; wer aber Uberwiegendes leistet und dann er-
hält, was er erstrebt hat, wird dem Freund keinen Vorwurf
machen, denn beide streben ja nach dem Guten). Auch bei je-
nen, wo die Lust der Grund ist, kommt dies kaum vor (denn
beide erreichen, wonach sie streben, und freuen sich, beisam-
men zu sein. Und wer jenem Vorwürfe machen wollte, der ihm
nicht gefällt, wäre lächerlich, da es ihm ja freisteht, sich zu
entfernen). Die Freundschaft auf Grund des Nutzens aber neigt
zu Vorwürfen. Denn da sie wegen des Gewinnes miteinander
umgehen, verlangen sie immer mehr und glauben weniger zu
erhalten, als ihnen zukommt, und schimpfen, daß sie nicht so-
viel erhalten, wie sie sollten und wessen sie wert wären. Wer
umgekehrt Gutes tut, kann niemals so viel leisten, als die Emp-
fänger haben möchten. Es scheint nun, wie es ein doppeltes
Recht gibt, das ungeschriebene und das gesetzliche, so auch bei
der Freundschaft aus Nutzen die eine auf dem Charakter, die an-
dere auf dem Gesetz zu beruhen. Die Vorwürfe entstehen dann
am meisten, wenn sie sich nicht in demselben Sinne auseinan-
dersetzen. Die gesetzliche Freundschaft beruht auf Abmachun-
gen, die ganz ordinäre aus der Hand in die Hand, die etwas
großzügigere auf Sicht und mit einem Vertrag über Leistung und
Gegenleistung (da ist dann die Verpflichtung klar und unbe-
streitbar, und nur der Aufschub enthält ein Element der Freund-
schaft; darum gibt es bei einigen kein Rechtsverfahren in solchen
Dingen, sondern man meint, daß jene sich als Freunde beneh-
men müssen, die etwas auf Treu und Glauben hin abgemacht
haben). Die Freundschaft auf Grund des Charakters beruht
nicht auf Abmachungen, sondern man schenkt oder leistet et-
was auf Grund der Freundschaft. Man erwartet aber gleich viel
und als Maß gilt die Absicht des Gebenden. Denn das Gewicht
der Tugend und des Charakters liegt in der Absicht.
16. Auch in den Freundschaften auf Grund der Überlegenheit
gibt es Meinungsverschiedenheiten. Denn jeder beansprucht,
mehr zu bekommen, und wenn er das erhält, löst sich die
Freundschaft auf. Der Bessere meint, ihm komme es zu, mehr zu
erhalten (denn dem Guten werde mehr zugeteilt); dasselbe meint
der Nützlichere. Wer nichts nütze, so sagt man, dürfe auch nicht
Gleiches erhalten; es sei eine EhrenJeistung und keine Freund-
schaft, wenn die Taten der Freundschaft sich nicht nach dem
Wert der Leistungen richten. Man meint, es sei wie bei einer Ge-
schäftsgemeinschaft, wo der, der mehr beigetragen hat, auch
mehr gewinnt. Der Bedürftige und der Geringere argumentiert
umgekehrt: es sei die Aufgabe eines guten Freundes, den Bedürf-
tigen zu helfen. Denn, sagen sie, was nützt es, mit einem Tu-
gendhaften oder einem Herrscher befreundet zu sein, wenn man
keinen Gewinn davon hat? Jeder scheint recht zu haben, und je-
dem muß man auf Grund der Freundschaft mehr geben, aber
nicht von demselben, sondern dem Überlegenen an Ehre, dem
Bedürftigen an Gewinn. Denn der Lohn der Tugend und der
Wohltat ist die Ehre, die Hilfe bei Bedürftigkeit ist der Gewinn.
So scheint es auch in der Politik zu gehen. Denn wer dem Ge-
meinsamen kein Gut beisteuert, erhält keine Ehre. Denn die Ge-
meinschaft gibt dem, der der Gemeinschaft Gutes getan hat, und
was sie gibt, ist die Ehre. So kann man auch nicht gleichzeitig von
der Gemeinschaft profitieren und Ehre bekommen. Keiner hält
es anderseits aus, in allem zu kurz zu kommen. Wer im Vermö-
gen zu kurz kommt, erhält die Ehre, und wer Geschenke an-
nimmt, erhält Geld. Denn die Würdigkeit gleicht aus und erhält
die Freundschaft, wie wir schon gesagt haben. So muß man auch
mit Ungleichen umgehen, und wer an Vermögen oder an Tu-
gend einen Nutzen erfährt, muß es mit Ehre vergelten, und zwar
soviel er kann. Denn die Freundschaft sucht das Mögliche und
nicht das der Würde Entsprechende. Dies wäre auch nicht in al-
len Fällen möglich, wie etwa in den Ehren, die man den Göttern
gibt oder den Eltern. Denn keiner kann da nach Würdigkeit ver-
gelten, wenn er es aber nach seinen Kräften tut, so wird man ihn
für anständig halten. Darum scheint es auch nicht richtig zu sein,
daß ein Sohn sich von seinem Vater lossagt, wohl aber umge-
kehrt. Denn wer schuldet, muß zurückgeben, kein Sohn aber
hat mit dem, was er tut, die Wohltaten vergolten, so daß er also
immer schulden wird. Wer aber Gläubiger ist, darf entlassen, und
so auch der Vater. Außerdem wird sich wohl keiner von seinem
Sohn trennen, wenn dieser nicht über alles Maß hinaus schlecht
ist (denn abgesehen von der natürlichen Liebe ist es menschlich,
eine Hilfe nicht von sich zu stoßen). Wenn der Sohn aber
schlecht ist, wird er dieses Helfen meiden oder sich doch nicht
dafür anstrengen. Denn die Leute wollen gern Gutes erfahren,
aber Gutes zu tun meiden sie, weil es keinen Gewinn bringt.