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Was Sie über Tierversuche

wissen sollten

Aktuelles und Wissenswertes über


die Forschung mit Tieren

Veterinärmedizinische Universität Wien


Impressum
Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna)

Redaktion: Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation,


Institut für Labortierkunde, Institut für Tierhaltung und Tierschutz,
Messerli Forschungsinstitut (Abteilung für Ethik der Mensch-Tier-Beziehung)

Layout: Birgit Rieger – www.br-design.at

Coverfotos: Maus: Africa Studio/fotolia.com, Schweine: Anri Gor/shutterstock.com,


Huhn: Felizitas Steindl/Vetmeduni Vienna, weiße Mäuse: filo/istockphoto.com

Diese Broschüre entstand mit Unterstützung des


Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW)
im Rahmen des Projektes Kriterienkatalog.

Inhaltliche Ausrichtung: Diese Broschüre richtet sich an alle, die sich


umfassend mit dem Thema Tierversuche auseinandersetzen möchten.
Sie behandelt primär das Thema Tierversuche für die Forschung.

Stand: Juni 2016


Inhalt

05 Einleitung

06 Was ist ein Tierversuch?


06 Rechtliche Rahmenbedingungen
09 Das 3R-Prinzip – Vermeiden, Vermindern, Verbessern
10 Tierversuche in Zahlen
12 Tierversuche im Rückblick

14 Welchen Nutzen haben Tierversuche?


14 Forschung und Gesellschaft
15 Grundlagenforschung und angewandte Forschung
15 Forschungsmethoden
17 Ersatz- und Ergänzungs­methoden zum Tierversuch
18 Prüfung von Medikamenten und Chemikalien: Regulatorische Tierversuche

20 Wie laufen Tierversuche ab?


20 Planung, Durchführung und Auswertung von Tierversuchen
21 Tierarten und Tiermodelle
24 Das richtige Tiermodell
26 Die Labormaus
28 Experimentelle Maßnahmen und Tötungsmethoden

30 Wer darf Tierversuche durchführen?


30 Bedeutung der Sachkunde
30 Personen, die Tierversuche planen und leiten
31 Personen, die Tierversuche durchführen
31 Beantragung und Genehmigung von Tierversuchsprojekten

34 Faktencheck – Zehn Vorurteile über Tierversuche

38 Anhang
4
Foto: © Understanding Animal Research
Einleitung

Seit der Neuregelung der Rechtsvorschriften ForscherInnen, die tierexperimentell arbeiten,


zum Schutz der Versuchstiere stehen Tierver­ tragen Verantwortung für die Qualität ihrer Ar­
suche wieder im Brennpunkt der öffentlichen beit und für die ihnen anvertrauten Tiere. Sie
Diskussion. Das Thema "Tierversuch" polari­ wissen genau, dass Tierschutz nicht nur den
siert, obwohl die von der EU ausgegangene Tieren selbst nützt, sondern auch die Qualität
Reform des Tierversuchsrechts deutliche Ver­ der Versuchsergebnisse verbessert, da uner­
besserungen zum Schutz der zu Versuchs­ wünschte Einflussfaktoren, wie sie zum Bei­
zwecken verwendeten Tiere mit sich bringt spiel durch Stress entstehen, ausgeschaltet
und die meisten Menschen den wissenschaft­ oder zumindest deutlich verringert werden
lichen, insbesondere den medizinischen Fort­ können. Die Labortierkunde, also die Wissen­
schritt nicht missen möchten. Dabei müsste schaft vom richtigen Umgang mit Versuchstie­
Forschung – auch an und mit Tieren – in unse­ ren, kann daher als „Brücke zwischen Biome­
rer Wissensgesellschaft nicht zuletzt deshalb dizin und Tierschutz“ bezeichnet werden. Das
einen hohen Stellenwert einnehmen, weil die Institut für Labortierkunde an der Veterinärme­
meisten Menschen an ihren Ergebnissen parti­ dizinischen Universität Wien forscht und ar­
zipieren. beitet genau an dieser Schnittstelle zwischen
Forschung und Tierschutz.
Die tierexperimentell erzielten Resultate kom­
men jedoch keineswegs ausschließlich dem Die Veterinärmedizinische Universität Wien
Menschen, sondern auch Tieren und der Um­ möchte mit der vorliegenden Broschüre eine
welt, also dem gemeinsamen Lebensraum Orientierungshilfe in der mitunter sehr emotio­
von Mensch und Tier, zugute. Dies gilt insbe­ nal geführten Diskussion über Tierversuche
sondere für die Forschung an der Veterinär­ zur Verfügung stellen. Die Broschüre vermittelt
medizinischen Universität Wien, wo es in ers­ daher einen Einblick in die Zielsetzungen und
ter Linie darum geht, Tierkrankheiten zu Methoden der tierexperimentellen Forschung,
erforschen und neue bzw. bessere Möglich­ in die Grundsätze des Versuchstierschutzes
keiten zur Prophylaxe, Diagnose und Therapie und in das für Tierversuchsprojekte vorgese­
zu entwickeln. Daneben gibt es auch Projekte, hene Genehmigungsverfahren. Diese Informa­
die sich mit der Verbesserung von Haltungs­ tionen sollen eine objektive Meinungsbildung
systemen oder der tierschutzkonformeren ermöglichen und damit zu einer sachlicheren
Durchführung von Eingriffen an Nutztieren be­ Annäherung an das Thema „Tierversuche“
fassen und damit unmittelbar tierschutzrele­ beitragen.
vante Fragestellungen bearbeiten.

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Was ist ein Tierversuch?

Rechtliche Rahmenbedingungen den Schutz der Versuchstiere verbessern und


für höhere Transparenz sorgen.
In der Öffentlichkeit herrschen oft unklare Vor­
Weitere Neuregelungen betreffen zum Beispiel
stellungen darüber, was ein Tierversuch ist. Im
Haltung, Statistik und das Erfordernis der Scha­
österreichischen Tierversuchsgesetz 2012 (TVG
­den-Nutzen-Analyse. So werden die Anforde­
2012) ist das genau definiert. Ein Tierversuch rungen an die Haltung von Versuchstieren in der
im Sinne des Gesetzes liegt dann vor, wenn Tierversuchs-Verordnung 2012 geregelt. Die
einem lebenden Wirbeltier (dazu gehören Säu­ Tier­versuchsstatistik-Verordnung 2013 legt die
getiere, Vögel, Amphibien, Reptilien und Fische) Vorgaben für die Erfassung und Veröffentlichung
oder einem lebenden Kopffüßer (zum Beispiel der Daten über Tierversuche fest. Am 1. Jän­
einem Tintenfisch) zu wissenschaftlichen Zwe­ ner 2016 ist die Tierversuchs-­Kriterien­katalog-
cken Schmerzen, Leiden, Ängste oder dauer­ Verordnung in Kraft getreten, die der Ob­jek­ti­
hafte Schäden zugefügt werden und diese vierung der Schaden-Nutzen-­Analyse dient.
Belastungen ein bestimmtes Mindestausmaß
erreichen bzw. überschreiten. Zulässige Zwecke für Tierversuche
Die Durchführung von Tierversuchen unterliegt Tierversuche dürfen ausschließlich zu be­
genauen rechtlichen Vorschriften, die 2010 auf stimmten Zwecken durchgeführt werden, die
EU-Ebene durch die Richtlinie 2010/63/EU zum im TVG 2012 angeführt sind. Dazu zählen ins­
Schutz der für wissenschaftliche Zwecke ver­ besondere die Grundlagenforschung, die trans­
wendeten Tiere neu geregelt wurden. Seit dem lationale und angewandte Forschung (zum
1. Jänner 2013 gilt in Österreich das Tierver­ Beispiel in den Bereichen der Human- und Ve­
suchsgesetz 2012 (TVG 2012), das die EU-­ terinärmedizin) sowie die Prüfung von Stoffen
Richtlinie umgesetzt und die Vorgängerrege­ und Produkten (zum Beispiel von Arzneimit­
lung aus dem Jahr 1989 abgelöst hat. Es bringt teln oder Chemikalien ( Seite 18 „Prüfung
einige wesentliche Neuerungen mit sich, die von Medikamenten und Chemikalien“). Die

Definition des Begriffs


„Tierversuch“
Das Tierversuchsgesetz 2012 (TVG 2012)
definiert einen Tierversuch als „jede Ver­
wendung von Tieren zu Versuchs-, Aus­
bildungs- oder anderen wissenschaftli­
chen Zwecken […], die bei den Tieren
Schmerzen, Leiden, Ängste oder dauer­
Foto: © Institut für Labortierkunde/Vetmeduni Vienna

hafte Schäden […] verursachen kann“.


Ein Tierversuch liegt bereits dann vor,
wenn die Beeinträchtigungen, die den
Tieren voraussichtlich zugefügt werden,
zumindest jener Belastung entspre­
chen, die durch einen Kanüleneinstich
(Nadeleinstich) verursacht werden.

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Was ist ein Tierversuch?
meisten Tierversuche dienen somit dem Er­ Erfassung der Schweregrade von
kenntnisgewinn und dem Verbraucherschutz. Tierversuchen
Tierversuche zur Testung von Kosmetika sind Durch experimentelle Maßnahmen werden Tie­
in Österreich bereits seit 1999 unzulässig und ren Belastungen zugefügt, die im Hinblick auf
wurden seit 2004 auch durch die EU schritt­ ihre Intensität und Dauer sehr verschieden sein
weise verboten. Seit dem 11. März 2013 dür­ können. Nach dem TVG 2012 liegt eine relevan­te
fen kosmetische Fertigprodukte und Bestand­ Belastung bereits dann vor, wenn sie zumindest
teile solcher Produkte in der EU grundsätzlich jener Intensität an Schmerzen bzw. Leiden
nicht mehr an Tieren getestet und auch nicht entspricht, die mit einem fachgerecht durch­
mehr vermarktet werden. geführten Kanüleneinstich (zum Beispiel bei der
Blutabnahme) verbunden ist. Die Belastung kann
Das Prinzip der 3R: jedoch auch mehr oder weniger weit darüber
Tierversuche, Anzahl der Tiere und hinausgehen. Während manche Versuche das
Belastungen verringern Wohlbefinden der Tiere nur geringfügig und
kurz­fristig beeinträchtigen, haben andere Un­
Der Schutz von Versuchstieren wird durch die
tersuchungen schwere und lang andauernde
sogenannten 3R (Replacement, Reduction und
negative Auswirkungen. Das TVG 2012 unter­
Refinement) charakterisiert. Diese Grundsätze
scheidet daher mehrere Schweregrade. Der
umfassen die Verpflichtung, die Anzahl an Tier­
geringste Belastungsgrad liegt dann vor, wenn
versuchen und Versuchstieren sowie die Be­
die experimentelle Maßnahme zur Gänze in
lastung der Versuchstiere auf das unbedingt
tiefer Narkose durchgeführt wird, aus der das
erforderliche Ausmaß zu verringern ( Seite 9
Tier nicht mehr erwacht.
„Die Leitprinzipien des Versuchstierschutzes“).

SCHWEREGRADE

Bezeichnung Definition

keine Wiederherstellung Maßnahme erfolgt zur Gänze in tiefer Narkose,


der Lebensfunktion aus dem das Tier nicht mehr erwacht ("Terminalversuche")

kurzfristig geringe Schmerzen, Leiden oder Ängste


gering bzw. keine wesentlichen Beeinträchtigung des Wohlergehens
oder des Allgemeinzustands

kurzfristige mittelstarke Schmerzen, Leiden oder Ängste


oder lang anhaltende geringe Schmerzen
mittel
bzw. mittelschwere Beeinträchtigung des Wohlergehens
oder des Allgemeinzustands

kurzfristig starke Schmerzen, Leiden oder Ängste


oder lang anhaltende mittelstarke Schmerzen
schwer
bzw. schwere Beeinträchtigung des Wohlergehens
oder des Allgemeinzustands

schwer
starke Schmerzen, Leiden oder Ängste, die voraussichtlich
mit voraussichtlich länger
lang anhalten und nicht gelindert werden können
dauernden Belastungen

Das TVG 2012 unterscheidet mehrere Schweregrade. In sogenannten Terminalversuchen, bei denen die Tiere aus der Narkose nicht
mehr erwachen, leiden die Tiere am wenigsten. Daher ist das der niedrigste Schweregrad.

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In der Vergangenheit wurden keine Angaben kenntnisgewinns als Ziele definiert, besteht ein
darüber erfasst, welchen Belastungen die Tie­ Konflikt zwischen der Durchführung eines Tier­
re während des Versuchs ausgesetzt waren. versuchs einerseits und dem Verzicht auf den
Das TVG 2012 sieht nunmehr vor, dass der möglichen Erkenntnisgewinn andererseits.
voraussichtliche Schwergrad des Versuchs im
Ist die Entscheidung für die Durchführung eines
Antrag anzugeben und der tatsächliche
Tierversuchs gefallen, so stellen die im TVG
Schweregrad nach Abschluss eines Projekts
2012 festgelegten „leitenden Grundsätze“ si­
in der Tierversuchsstatistik auszuweisen ist (
cher, dass das Refinement-Prinzip, das heißt
Seite 10 „Tierversuche in Zahlen“).
der Grundsatz der Belastungsminimierung, im
Versuchsdesign bestmöglich umgesetzt wird.
Tierschutzgremien
Einrichtungen, die Versuchstiere verwenden
(Verwender) oder Tiere zu Versuchszwecken geringstmögliche
Anzahl an
züchten bzw. liefern (Züchter und Lieferanten) Versuchstieren
sind nach dem TVG 2012 verpflichtet, ein Tier­
schutzgremium einzurichten. Dieses hat ins­
besondere die Aufgabe, das in der jeweiligen Vermeidung &

Einrichtung tätige Personal in allen Angele­ maximaler Tier- Verminderung der


experimentellen
Erkenntnisgewinn
genheiten, die den Schutz der verwendeten, versuch Verwendung
lebender Tiere
gezüchteten oder gelieferten Tiere betreffen,
zu beraten. Damit kommt den Tierschutzgre­
mien eine wichtige Funktion im Zusammen­ geringste
hang mit der Umsetzung des 3R-Prinzips zu. Belastung

Qualifiziertes Personal Grafik: © Regina Binder, Thomas Rülicke/Vetmeduni Vienna

Die Wahl der schonendsten Methoden, die fach­ Die verschiedenen Ziele führen zu Konflikten, die im Einzelfall auf
der Grundlage der tierversuchsrechtlichen Vorschriften gelöst
gerechte Durchführung der Versuche und der werden müssen.
tierschutzkonforme Umgang mit den Tieren
hängen maßgeblich von der Qualifikation der
ProjektleiterInnen sowie der wissenschaftlichen Genehmigungspflichten: Projekte,
und nichtwissenschaftlichen MitarbeiterInnen ProjektleiterInnen und Einrichtungen
ab. Nach dem TVG 2012 müssen daher alle am
Die Durchführung von Tierversuchen ist an
Tierversuch beteiligten Personen bestimmte,
strenge formale Voraussetzungen gebunden.
gesetzlich definierte Anforderungen erfüllen (
Zum einen muss jedes einzelne Projekt von
Seite 30 „Wer darf Tierversuche durchführen?“).
der zuständigen Behörde genehmigt werden
( Seite 31 „Beantragung und Genehmigung
Grundsätze für die Planung und von Tierversuchsprojekten“). Zum anderen
Durchführung von Tierversuchen müssen auch die Einrichtung, in welcher das
Im Vorfeld der Planung eines tierexperimentel­ Tierversuchsprojekt durchgeführt werden soll,
len Vorhabens ist abzuklären, ob der zulässige und die Projektleiterin oder der Projektleiter
Versuchszweck nicht auch ohne lebende Tiere über eine Genehmigung verfügen ( Seite 30
erreicht werden kann. Da das TVG 2012 sowohl „Wer darf Tierversuche durchführen?“).
die Vermeidung und Verringerung von Tierver­
suchen als auch die Maximierung des Er­

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Was ist ein Tierversuch?
Das 3R-Prinzip –
Vermeiden, Vermindern, Verbessern
Die zentralen Leitprinzipien zum Schutz von Reduction (Verringerung)
Versuchstieren werden als 3R bezeichnet. 3R
Das Prinzip der Reduction (Verringerung) um­
(bzw. die deutsche Abkürzung 3V) steht für
fasst die Verpflichtung alles zu unternehmen,
Replacement (Vermeidung), Reduction (Ver­
um mit der geringstmöglichen Zahl an Tieren
ringerung) und Refinement (Verbesserung).
Information von bester Qualität zu erhalten.
Die 3R verpflichten die ForscherInnen zur
Dabei kommt dem Versuchsdesign (vor allem
■■ Anwendung von Ersatzmethoden, wann im­ der statistischen Planung und der sorgfältigen
mer dies möglich ist („Replacement“ bzw. Versuchsdurchführung) zentrale Bedeutung
„Vermeidung“), zu, denn nur gut geplante und durchgeführte
■■ Verringerung der Zahl der verwendeten Tie­ Studien können zuverlässige Daten liefern
re auf das unbedingt erforderliche Minimum und damit zum Erkenntnisgewinn beitragen.
(„Reduction“ bzw. „Verminderung“) sowie zur
■■ Minimierung der Belastungen der verwende­ Refinement (Verbesserung)
ten Tiere („Refinement“ bzw. „Verbesserung“). Das Prinzip des Refinements (Verbesserung)
verfolgt das Ziel, sowohl im Zusammenhang mit
der Haltung und der Zucht von Versuchstieren
Replacement (Vermeidung) als auch im Rahmen der Durchführung der
Das weitreichendste Konzept der 3R ist Repla­ Versuche die Belastung der Tiere auf das un­
cement (Vermeidung). Demnach muss die Ver­ bedingt erforderliche Ausmaß zu senken. Zu
wendung lebender Tiere durch geeignete Alter­ diesem Zweck dienen zum Beispiel die Ver­
nativmethoden ersetzt werden. Als Ersatz- und besserung der Haltungsbedingungen der Tiere,
Ergänzungsmethoden kommen sowohl tierver­ die Sachkunde der Personen, die mit den Tie­
brauchsfreie Verfahren (wie bestimmte In-vitro- ren arbeiten, die Wahl der schonendsten Ver­
oder In-­silico-­Untersuchungen) als auch Me­ suchsmethoden, die Verbesserung der gewähl­
thoden in Frage, die die Tötung von Tieren ten experimentel­len Techniken und nicht zu­letzt
voraussetzen (zum Beispiel Ex-vivo-Untersu­ die konsequente Schmerzausschaltung und
chungen an isolierten Zellen, Geweben oder -behandlung.
Organen ( Seite 15 „Forschungsmethoden“).
In der Ausbildung zukünftiger TierärztInnen setzt die Veterinärmedizinische
Universität Wien vielfach Simulatoren ein. An Tierdummys aus Kunststoff üben
Studierende wichtige klinische Fertigkeiten, bevor sie Hand an lebende Tiere legen.

Geschichte
Das Konzept der 3R wurde bereits 1959
von William Russel und Rex Burch, bei­de
selbst forschende Naturwissenschafter,
formuliert, um den Anforderungen an
einen tierschutzkonformen und unter
ethischen Aspekten gerechtfertigten
Foto: © Doris Sallaberger/Vetmeduni Vienna

Ein­satz von Versuchstieren zu entspre­


chen. In den vergangenen 50 Jahren
haben die 3R an Akzeptanz gewonnen
und bilden die Grundlage für alle inter­
nationalen und nationalen Regelungen
zum Schutz von Versuchstieren.

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Tierversuche in Zahlen werden, aus der die Tiere nicht mehr erwa­
chen. Weitere 57 Prozent der Tiere waren ge­
Die Anzahl der zu Versuchszwecken verwen­ ring belastet, etwa 30 Prozent mittel und ca.
deten Tiere muss aufgezeichnet und statis­ 10 Prozent schwer belastet.
tisch erfasst werden. Auf der Grundlage der
gemeldeten Daten veröffentlicht das Bundes­ Anwendungsbereiche
ministerium für Wissenschaft, Forschung und
Wirtschaft einmal jährlich eine Tierversuchs­ Europaweit werden Tierversuche zum Großteil
statistik, in der die Anzahl der Versuchstiere im Rahmen der biologischen Grundlagenfor­
(aufgeschlüsselt u.a. nach Tierart, Versuchs­ schung sowie zur Forschung und Entwicklung
zweck und Schweregrad) ausgewiesen wird. in den Bereichen der Human- und Veterinär­
Im Jahr 2014 wurden in Österreich 209.183 medizin durchgeführt. Ein kleinerer Teil von
Tiere zu wissenschaftlichen Zwecken verwen­ Versuchstieren wird zur Prüfung der Wirksam­
det. 3 Prozent der Versuche entfielen auf sog. keit, Unbedenklichkeit und Qualität verschie­
„Terminalversuche“, das sind Tierversuche, dener Substanzen (zum Beispiel von Arznei­
die zur Gänze in tiefer Narkose durchgeführt mitteln und Chemikalien) eingesetzt.

Tierversuche in der EU nach Versuchszwecken:

Sonstige 9,27 %

Aus- und Fortbildung 1,56 %

Diagnose von Krankheiten 1,61 %

Toxikologische oder sonstige


Unbedenklichkeitsprüfungen 8,75 %

Produktion und Qualitätskontrolle


Biologische
Veterinärmedizin 2,94 %
Grundlagenforschung
46,1 %

Produktion und Qualitätskontrolle


Human- & Zahnmedizin 10,97 %

Forschung und Entwicklung


Human-, Veterinär- & Zahnmedizin 18,8 %

Nutztiere wie Pferde, Schweine, Fleischfresser darunter auch


Schafe und Rinder 1,39 % Hunde und Katzen 0,26 %

Halbaffen, Affen, Menschenaffen 0,08 %


Vögel 6,38 %
Quelle: Bericht der EU-Kommission über die Verwendung von Versuchstieren in den Mitgliedsstaaten im Jahr 2011
Sonstige Säugetiere 0,05 %
Kaltblütler (Reptilien,
Amphibien, Fische) 9,62 %
10
Sonstige Nager 0,60 %
Was ist ein Tierversuch?
Verwendete Tierarten Auch in der österreichischen Tierversuchssta­
tistik stehen Mäuse an erster Stelle: Im Jahr
Die am häufigsten verwendeten Tiere sind
2014 waren rund 83 Prozent der insgesamt
Mäuse und Ratten. Europaweit sind rund 61
verwendeten Tiere Mäuse. Weit dahinter lagen
Prozent der verwendeten Versuchstiere Mäu­
Kaninchen (4 Prozent), Ratten (3 Prozent), Fi­
se, der Anteil der Ratten beträgt ca.14 Prozent
sche
Sonstige (4 Prozent) und Vögel (1,5 Prozent). In
9,27 %
(siehe auch Grafik).
geringem Ausmaß wurden landwirtschaftliche
Aus- und Fortbildung 1,56 %
Nutztiere (Schweine, Rinder, Schafe) sowie
Diagnose von Krankheiten 1,61 % Amphibien zu Versuchszwecken verwendet.
Hunde, Katzen, Pferde und Esel wurden ver­
Toxikologische oder sonstige einzelt in Tierversuchen eingesetzt.
Unbedenklichkeitsprüfungen 8,75 %

Produktion und Qualitätskontrolle


Biologische
Veterinärmedizin 2,94 %
Grundlagenforschung
46,1 %

Produktion und Qualitätskontrolle


Human- & Zahnmedizin 10,97 %

Versuchstiere in und
Forschung derEntwicklung
EU nach Arten bzw. Klassen:
Human-, Veterinär- & Zahnmedizin 18,8 %

Nutztiere wie Pferde, Schweine, Fleischfresser darunter auch


Schafe und Rinder 1,39 % Hunde und Katzen 0,26 %

Halbaffen, Affen, Menschenaffen 0,08 %


Vögel 6,38 %
Sonstige Säugetiere 0,05 %
Kaltblütler (Reptilien,
Amphibien, Fische) 9,62 %

Sonstige Nager 0,60 %

Meerschweinchen 1,84 %

Mäuse 59,30 %
Kaninchen 2,78 %

Ratten 17,70 %

Quelle: Bericht der EU-Kommission über die Verwendung von Versuchstieren in den Mitgliedsstaaten im Jahr 2011, http://ec.europa.eu/environment/chemicals/lab_animals/

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Tierversuche im Rückblick Das moderne Tierversuchsrecht trägt durch
engmaschige Bestimmungen der Erkenntnis
Rechnung, dass der Schutz der Versuchstiere
Entwicklung der Tierversuche nicht nur einen Selbstzweck darstellt, sondern
Tierversuche haben eine lange und wechsel­ gleichzeitig der Verbesserung der Versuchser­
volle Geschichte, die eng mit der Entwicklung gebnisse und damit der Qualitätssicherung
und dem Stellenwert der naturwissenschaftli­ der tierexperimentellen Forschung dient.
chen Forschung verbunden ist. Mit der zuneh­
menden Bedeutung der naturwissenschaftli­ Übertragbarkeit vom Tiermodell auf
chen Forschung kam es im 19. Jahrhundert zu den Menschen
einem enormen Aufschwung der Tierversu­
che. Die stärker werdende Kritik des organi­ Die Entwicklung der tierexperimentellen For­
sierten Tierschutzes und der Umstand, dass schung und die Diskussion über Tierversuche
viele der damals durchgeführten Experimente wird von der Frage begleitet, ob und inwieweit
auch aus der Sicht zeitgenössischer Wissen­ Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Men­
schafterInnen nicht den Anforderungen an schen übertragen werden können. Im Zusam­
wissenschaftliches Arbeiten entsprach, löste menhang mit der Erforschung von genetisch
eine gesellschaftspolitische Diskussion aus, bedingten oder beeinflussten humanen Krank­
die als sogenannte „Vivisektionsstreit“ in die heiten oder Krankheitsprozessen, kommt der
Wissenschaftsgeschichte einging. Diese Aus­ Maus besonders große Bedeutung zu. Obwohl
einandersetzung führte letztlich dazu, dass Maus und Mensch entwicklungsbiologisch recht
Tierversuche in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­ weit auseinanderliegen, ist das Genom der Maus
hunderts erstmals rechtlich geregelt und miss­ jenem des Menschen so ähnlich, dass die Maus
bräuchliche Tierversuche verboten wurden. für viele Fragestellungen sehr gut als Modell­
organismus für den Menschen geeignet ist.

Maus und Mensch sind zwar äußerlich unterschiedlich, aber genetisch ähnlich. Zellen, Gewebe und Organe funktionieren daher grundsätzlich gleich.
Viele Fragen, wie zum Beispiel über physiologische Funktionen und Wechselwirkungen im menschlichen Organismus, können daher am Tiermodell erforscht werden.
© APA-Auftragsgrafik – Auftraggeber, Quelle: Vetmeduni Vienna

Auftraggeber, Quelle: Vetmeduni Vienna APA-AUFTRAGSGRAFIK

12
Was ist ein Tierversuch?
Tierversuche führen allerdings nicht immer
und häufig auch nicht unmittelbar zu neuen
Behandlungsmethoden bzw. zur Entwicklung
von Arzneimitteln. Tiere können auf Krankhei­
ten mitunter anders reagieren als Menschen.
Ein Alzheimer-Mausmodell zeigte zum Beispiel,
dass auch bei Mäusen die für das Krankheits­
bild typischen Ablagerungen im Gehirn auftre­
ten; diese bewirken jedoch nicht den gravie­
renden Gedächtnisverlust, der für menschliche
Alzheimer-PatientInnen charakteristisch ist.
Dennoch können auch Versuche, bei denen
nur partiell Übereinstimmungen zwischen
Tiermodell und Zielspezies festgestellt wer­
den, dazu beitragen, die Ursachen der Entste­
hung von Krankheiten besser zu verstehen.

Klinische Tests für Medikamente

Foto: © lightwavemedia/shutterstock.com
Dem Umstand, dass eine Übertragbarkeit der
Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Men­
schen teilweise nur bedingt möglich ist, wird
heute dadurch Rechnung getragen, dass Me­
dikamente, die in Tierversuchen als geeignet
evaluiert wurden, nicht direkt auf den Markt
gelangen, sondern in klinischen Testphasen Bevor Medikamente, die erfolgreich im Tierversuch getestet
wurden, auf den Markt kommen, müssen sie in klinischen Tests
am Menschen überprüft werden. Auch im am Menschen überprüft werden.
Rahmen dieser Testphasen kann es zu schwe­
ren Zwischenfällen kommen, wie zuletzt An­
fang 2016 in Frankreich, als im Rahmen der
klinischen Testung eines Schmerzmittels
schwere Nebenwirkungen auftraten und einer
der freiwilligen ProbandInnen verstarb. Diese
tragischen Einzelfälle müssen allerdings im
Verhältnis zur Anzahl der erfolgreich verlau­
fenden Tests und in Relation zu den zugelas­
senen Arzneimitteln betrachtet werden. Ohne
die vorangegangenen Tests der Medikamente
an Tieren wäre die Zahl der Zwischenfälle in
dieser Testphase deutlich höher.

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Welchen Nutzen haben
Tierversuche?

Forschung und Gesellschaft Schutz der Bevölkerung, der Tiere und der Um­
welt dient. Obwohl das langfristige Ziel der EU-­
Antworten auf Fragen und Lösungen für Pro­ble­ Richtlinie darin besteht, nur noch unter Anwen­
me zu finden, ist seit jeher ein Motor des wissen­ dung von Ersatzmethoden zu forschen, gibt es
schaftlichen bzw. technischen Fortschritts und für viele wissenschaftliche Fragestellun­ gen
damit auch der gesellschaftlichen Entwicklung. bislang keine Alternativen zum Tierversuch.
Der Tierversuch ist eine etablierte Methode der Die Gesellschaft profitiert von Wissenschaft und
naturwissenschaftlichen Forschung, die vor allem Forschung, weil neue wissenschaftliche Er­
der Gewinnung neuer Erkenntnisse und damit kenntnisse oder medizinische und technische
dem wissenschaftlichen Fortschritt sowie dem Entwicklungen in den Lebensalltag einfließen.

Medizinischer Fortschritt durch Tierversuche

Diabetes
In den 1920er-Jahren wurde an Hunden das Hormon Insulin, das den Blutzuckerspiegel
reguliert, entdeckt. Es folgte die Entwicklung der ersten Methoden zur Behandlung eines
erhöhten Blutzuckerspiegels. 1923 erhielten Frederick Banting und John MacLeod den
Nobelpreis für die Entdeckung des Insulins. Später wurde in der Diabetes-Forschung das
Hundemodell überwiegend durch Kaninchen- und Mausmodelle abgelöst.

Kinderlähmung
Lange Zeit war nicht bekannt, dass Poliomyelitis (Kinderlähmung) eine ansteckende Krank­
heit ist. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts trug der österreichische Nobelpreisträger Karl
Landsteiner dazu bei, die Übertragung des Poliovirus in Versuchen an Affen nachzuweisen.
In den 1940er-Jahren gelang es John Enders und seinem Team, das Poliovirus zu ver­
mehren und damit den Grundstein für die spätere Entwicklung des Impfstoffs gegen die
tödliche Krankheit zu legen. 1954 erhielten sie für ihre Forschungserfolge den Nobelpreis
für Medizin.

Bluthochdruck
Ungewöhnlich verlief die Entwicklung der ersten Medikamente zur Senkung des Blutdrucks.
ForscherInnen entdeckten, dass das Gift einer brasilianischen Schlangenart den Blutdruck
der Gebissenen radikal senkt und dadurch tödlich wirkt. John Vane und sein Forschungs­
team isolierten die aktiven Substanzen des Gifts und testeten ihre Wirkung an Ratten. Mittler­
weile können die noch heute verwendeten ACE-Hemmer synthetisch hergestellt werden.

14
Welchen Nutzen haben Tierversuche?
Grundlagenforschung und Nach dem TVG 2012 dürfen Forschungsprojek­
te in den Bereichen der translationalen und
angewandte Forschung der an­gewandten Forschung nur zu ausdrück­
Forschung wird traditionell in Grundlagenfor­ lich an­geführten Zwecken (zum Beispiel in der
schung und angewandte Forschung eingeteilt. Human- und Veterinärmedizin) durchgeführt
Grundsätzlich unterscheiden sich die beiden werden. Eine besondere Gruppe von Tierver­
Forschungsbereiche vor allem durch ihren An­ suchen mit unmittelbarem Anwendungsbezug
wendungsbezug und die Praxisrelevanz der stellen die sog. regulatorischen Tierversuche
erwarteten Ergebnisse. dar ( Seite 18 „Prü­fung von Medikamenten
und Chemikalien“).
Grundlagenforschung
Reine Grundlagenforschung zielt darauf ab, den Forschungsmethoden
Stand des Wissens zu vermehren, ohne auf
ein spezifisches praktisches Ziel ausgerichtet In der biomedizinischen Forschung gibt es ver­
zu sein. Sie geht fundamentalen Fragen und schiedene Möglichkeiten, eine Fragestellung
Problemstellungen einer wissenschaftlichen zu beantworten, und zwar durch In-silico-,
Disziplin nach und ist zumeist langfristig aus­ In-vitro- oder In-vivo-Versuche.
gerichtet. Risiko und Ungewissheit im Hinblick
auf die Verwertbarkeit der Ergebnisse sind da­ Forschung am Computer:
her größer als in der angewandten Forschung. In-silico-Methoden
Als Maßstab zur Beurteilung der Qualität von
In-silico-Methoden (in silico – „in Silicium“)
naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung
stellen ein relativ junges Forschungsgebiet dar.
werden insbesondere die Weiterverwendung
Sie umfassen Experimente, die am Computer
und die Publizierbarkeit der Forschungsergeb­
ablaufen und völlig ohne Tiere auskommen.
nisse in renommierten internationalen Fach­
In-silico-Forschung ermöglicht zum Beispiel das
zeitschriften herangezogen. Die Grundlagen­
Modellieren verschiedener Proteine am Com­
forschung bildet die Basis, auf der wesentliche
puter. Form, Größe und Zusammensetzung eines
Teile der angewandten Forschung aufbauen.
Proteins können am Bildschirm in 3D betrach­
tet werden. So ist es etwa möglich, am Com­
Translationale Forschung puter Moleküle zu entwerfen, die exakt an ein
Der Begriff translationale Forschung bezeich­ Zielprotein andocken und es dadurch aktivie­ren
net weiterführende Grundlagenforschung. Sie oder hemmen können. Je nach Fragestellung
ist an der Schnittstelle zur angewandten For­ kann es gelingen, Medikamente zu entwickeln
schung angesiedelt. Daher sind Anwendungs­ oder grundlegende Mechanismen bio­che­mi­
bezug und erhoffte Praxisrelevanz im Bereich scher Prozesse darzustellen, zu beobachten
translationaler Forschungsprojekte höher als und aufzuklären. In der Vergangenheit konnten
in der reinen Grundlagenforschung. mit dieser Methode einige Wirkmechanis­men
von Medi­kamenten entschlüsselt wer­den.
Angewandte Forschung
Unter angewandter Forschung sind Forschungs­
vorhaben zu verstehen, die eine konkrete An­
wendung der angestrebten Ergebnisse erkennen
lassen bzw. dazu dienen, ein bestimmtes prak­
tisches oder technisches Problem zu lösen.

15
Forschung im Reagenzglas: Forschung am lebenden Tier:
In-vitro-Methoden In-vivo-Methoden
Um grundlegende Fragen zu klären, wählen In-vivo-Versuche (in vivo – „im Lebendigen“)
ForscherInnen häufig In-vitro-Versuche (in vi- sind Untersuchungen, die an lebenden Orga­
tro – „im Reagenzglas“). Dabei handelt es sich nismen durchgeführt werden. Trotz intensiver
um Experimente, die nicht am lebenden Tier, Forschung nach Alternativen zum Tierversuch
sondern außerhalb eines Organismus durch­ müssen bestimmte Fragen nach wie vor am
geführt werden. In Petrischalen oder Zellkul­ intakten Organismus untersucht werden, da
turgefäßen können Teile komplexer biologi­ es bislang nicht möglich ist, komplexe physio­
scher Vorgänge untersucht werden. In einem logische Prozesse im Reagenzglas oder am
geeigneten Nährmedium und unter idealen Computer zu simulieren. So kann zum Bei­
Umgebungsbedingungen können Zelllinien spiel ein Medikament in der Leber eines Tieres
am Leben gehalten und kultiviert werden. chemisch verändert werden, bevor es das ge­
wünschte Zielorgan erreicht und daher ganz
In-vitro-Versuche sind im Vergleich zum Tier­
anders wirken als erwartet wurde. Aber auch
versuch mit einem verhältnismäßig geringen
für solche Fragen werden bereits Ersatzme­
Aufwand verbunden. Sie sind relativ kosten­
thoden entwickelt.
günstig, benötigen wenig Platz und liefern
auch rascher Ergebnisse. Schon aus diesen
Gründen sind ForscherInnen daran interes­
siert, möglichst viele wissenschaftliche Frage­
stellungen mithilfe von In-vitro-Experimenten
zu beantworten. Nur wenn es die Komplexität
des intakten Organismus braucht, kommt der
Tierversuch zum Einsatz.

Tierversuche werden nur dann eingesetzt, wenn Forschungsfragen in silico, also zum Beispiel durch das Modellieren von Proteinen am Computer
oder in vitro, also durch Experimente in Zellkulturen, nicht vollständig beantwortet werden können.
Foto links: © Richard Wheeler (Zephyris) / Foto rechts: © Michael Bernkopf/Vetmeduni Vienna

16
Welchen Nutzen haben Tierversuche?
Ersatz- und Ergänzungs­ Erfolgreiche Alternativen zu Tierver-
methoden zum Tierversuch suchen
Vor allem in der Entwicklung von Zell- und Ge­
Die EU und die Mitgliedstaaten unterstützen
webekulturen sind in der jüngeren Vergangen­
bereits seit 1990 Forschungsprojekte zur Ent­
heit Fortschritte zu verzeichnen. In den ver­
wicklung von Methoden, die Tierversuche zur
gangenen 20 Jahren wurden in der EU mehr
Gänze oder teilweise ersetzen und damit zu
als 10 Ersatzmethoden zu Tierversuchen be­
ihrer Verringerung beitragen. Auch das Bun­
hördlich anerkannt.
desministerium für Wissenschaft, Forschung
und Wirtschaft fördert Projekte zur Entwick­ Zellkulturen mit künstlich erzeugter, rekonst­
lung oder Validierung von Ersatzmethoden ruierter menschlicher Haut oder Hornhautzel­
zum Tierversuch. Da der Anwendung von Al­ len des Auges werden erfolgreich zur Prüfung
ternativmethoden der Vorrang vor der Durch­ von Chemikalien eingesetzt, welche die Haut
führung von Tierversuchen zukommt, sind reizen oder schädigen können. Blut von
ForscherInnen nach dem Tierversuchsgesetz menschlichen SpenderInnen wird verwendet,
2012 verpflichtet, im Rahmen der Planung ei­ um die Fieber erzeugende Wirkung von Arz­
nes Tierversuchs zu prüfen, ob das Versuchs­ neimitteln zu prüfen.
ziel zur Gänze oder teilweise auch ohne Ver­ Alternative Testmethoden stehen derzeit zum
wendung lebender Tiere erreicht werden kann. Beispiel für folgende Prüfungen zur Verfügung:
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens
muss überprüft werden, ob dieser Verpflich­ ■■ akute Toxizität (Giftigkeit oder Schädlichkeit
tung entsprochen wird. von Stoffen innerhalb eines bestimmten
Zeitraums)
Die Entwicklung und Anerkennung einer Er­
■■ Kanzerogenität (Krebs erregende Wirkung)
satzmethode durchläuft verschiedene Pha­
von Stoffen
sen, ist kostspielig und dauert in der Regel
mehrere Jahre. Auf EU-Ebene ist dafür das ■■ Genotoxizität (Erbgut schädigende oder
Europäische Zentrum zur Validierung alterna­ verändernde Wirkung) von Stoffen
tiver Methoden (European Union Reference ■■ Fototoxizität (Stärke der toxischen Wirkung
Laboratory for alternatives to animal testing, eines Stoffes auf der Hautoberfläche unter
EURL-ECVAM) mit Sitz in Ispra (Italien) zu­ der Einwirkung von Sonnenlicht)
ständig. ECVAM arbeitet in Kooperation mit ■■ Pyrogenität (Fieber auslösende Wirkung)
lizensierten nationalen Forschungslabors. von Stoffen
■■ Prüfung von Stoffen, die Augenreizungen
hervorrufen

17
Prüfung von Medikamenten und Chemikalien:
Regulatorische Tierversuche
Die Verwendung von Arzneimitteln zählt für bei bestimmungsgemäßer Verwendung nicht
viele Menschen ebenso zum Alltag wie der di­ schädlich sind. Tierversuche, die zu diesem
rekte oder indirekte Kontakt mit einer Vielzahl Zweck durchgeführt werden, nennt man auch
chemischer Stoffe. Die Kontrolle der Wirksam­ rechtlich angeordnete oder regulatorische
keit, Unbedenklichkeit und Qualität von Arz­ Tierversuche. Es handelt sich dabei in erster
nei­mitteln und anderen Medizinprodukten un­ Linie um Tests, die der Sicherheit von Verbrau­
terliegt den strengen Anforderungen des cherInnen und der Umwelt dienen. Solche
Arznei­mittelrechts. Auch im Hinblick auf ande­ Prüfungen sind vor allem nach dem Chemika­
re Stoffe und Produkte verpflichtet der Ge­ lien-, dem Pflanzenschutzmittel- und dem
setzgeber die Hersteller und Importeure, Da­ Biozidprodukterecht erforderlich. Regulatori­
ten über deren Sicherheit vorzulegen, um so sche Tierversuche werden nach standardisier­
weit wie möglich zu gewährleisten, dass sie ten Vorgaben durchgeführt.

Was wird in regulatorischen Tierversuchen getestet?

Arzneimittel
Das Arzneimittelrecht ist auf EU-Ebene geregelt und betrifft die Entwicklung der Arznei­
mittel auf der Grundlage von Tierversuchen und klinischen Studien, die Zulassung der
Arzneimittel sowie ihre Überwachung nach der Zulassung. Das Ziel des Arzneimittel­
rechts besteht darin, Risiken von Medikamenten vor, bei und nach der Zulassung zu
erkennen und abzuwenden. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens werden Wirksamkeit,
Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels geprüft sowie das Verhältnis von Nutzen
und Risiko seiner Anwendung beurteilt.

Chemikalien
Auf EU-Ebene legt die 2007 in Kraft getretene Chemikalien-Verordnung (Registration,
Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals, REACH) fest, welche Produkte
registriert und im Hinblick auf ihre Sicherheit bewertet werden müssen. Die erforderlichen
Daten hängen von der jährlichen Produktionsmenge des Stoffs ab. Da die Methode zur
Gewinnung der Daten nicht vorgegeben wird, ist es unter dem Aspekt des Replacement-­
Prinzips (Vermeidung von Tierversuchen) geboten, auf geeignete Alternativmethoden zu­
rückzugreifen. Dabei ist es allerdings erforderlich, dass die Ersatzmethoden validiert und
rechtlich anerkannt sind.

Biozide
Auch Biozidprodukte (zum Beispiel Desinfektions-, Holzschutz- und Schädlingsbekämp­
fungsmittel) unterliegen EU-weit einer Zulassungs- und Registrierungspflicht. Die Daten,
die zu diesem Zweck vorgelegt werden müssen, sind in der EU-Biozidverordnung geregelt.

18
Welchen Nutzen haben Tierversuche?
Das 3R-Prinzip bei regulatorischen arbeit der Hersteller und Importeure von
Tierversuchen Chemikalien ebenfalls eine Verringerung regu­
latorischer Tierversuche: So können zum Bei­
Die Umsetzung des 3R-Prinzips ( Seite 9
spiel Produzenten über die Plattform Subs­
"Das 3R-Prinzip") hat vor allem im Bereich der
tance Information Exchange Forum (SIEF) auf
gesetzlich angeordneten Tierversuche noch
bereits vorliegende Daten über die Unbedenk­
großes Potenzial. Einerseits kann die Anzahl
lichkeit eines Stoffes zugreifen und müssen
an Tierversuchen durch die forcierte Entwick­
diese nicht mehr durch eigene Tests belegen.
lung und Anwendung von Ersatzmethoden
weiter reduziert werden ( Seite 17 „Erfolgrei­
che Alternativen zum Tierversuch"). Anderer­
seits ermöglicht eine intensivere Zusammen­

Zum Schutz der VerbraucherInnen und der Umwelt ist es gesetzlich vorgeschrieben, Daten über die Sicherheit etwa von Arzneimitteln,
Chemikalien und Bioziden vorzulegen. Um diese Daten zu gewinnen, müssen auch Tierversuche durchgeführt werden.

Foto: © Sergey Lavrentev/fotolia.com

19
Wie laufen Tierversuche ab?

Planung, Durchführung und Unerlässlichkeit des Tierversuchs


Auswertung von Tierversuchen Im nächsten Schritt muss geprüft werden, ob die
Durchführung des Versuchs unerlässlich ist.
Wissenschaftliche Fragestellung Dabei gilt es abzuklären, ob die Fragestellung
bereits bearbeitet und beantwortet wurde und
Der erste Schritt der Versuchsplanung besteht ob Ersatzmethoden angewandt werden können,
darin, eine möglichst präzise Fragestellung zu um den geplanten Tierversuch zum Teil oder
formulieren. Anschließend muss eine Ver­ vollständig zu ersetzen. Zu diesem Zweck ist
suchshypothese aufgestellt werden, das heißt, der aktuelle Wissensstand zu berücksichtig­
eine Vermutung über das erwartete Versuch­ ten und eine sorgfältige Recherche durchzu­
sergebnis. Die Formulierung der Hypothese ist führen. Ist eine geeignete Alternativmethode
u.a. für die statistische Planung des Versuchs vorhanden, so muss der geplante Tierversuch
und für die Auswertung der Ergebnisse von durch diese ersetzt werden (Replacement).
großer Bedeutung.

Damit das Ausmaß an Schmerzen für die Tiere während des Versuchs und danach so gering wie möglich ist, erhalten diese Betäubungs- und Schmerzmittel.
Dafür wird die Maus zum Beispiel in einem Restrainer (wie im Bild) fixiert und die Substanz in die Schwanzvene appliziert.

Foto: © anyaivanova/shutterstock.com

20
Wie laufen Tierversuche ab?
Im Rahmen der Versuchsplanung ist eine Güter­ Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der
abwägung (Schaden-Nutzen-Analyse) vorzuneh­ Verbreitung von Forschungsergebnissen, die
men: Dabei wird die Bedeutung des erwarteten durch Tierversuche gewonnen wurden, leisten
Erkenntnisgewinns zur voraus­sichtlichen Belas­ die ARRIVE (Animal Research: Reporting of In
tung der Tiere in Relation gesetzt. Ein geplanter Vivo Experiments) Guidelines des National
Tierversuch gilt nur dann als ethisch gerecht­ Centre for the Replacement & Reduction of
fertigt, wenn der erwartete Erkenntnisgewinn in Animals in Research (NC3Rs), indem sie For­
einem mindestens gleichwertigen Verhältnis zur scherInnen eine Hilfestellung zur Angabe aller
voraussichtlichen Belastung der Tiere steht. relevanten Informationen in ihren Publikatio­
nen an die Hand geben.
Versuchsdesign
Bei der Erarbeitung des Versuchsdesigns sind
Tierarten und Tiermodelle
die leitenden Grundsätze des TVG 2012 zu be­
achten. Die gewählten Verfahren müssen sinn­ Obwohl der Organismus von Menschen und
voll sein und dem anerkannten Stand der Wis­ Tieren zum Teil große Unterschiede aufweist,
sen­schaften entsprechen. Durch eine fundierte wenn man ihn in seiner Gesamtheit betrach­
statistische Planung ist sicherzustellen, dass nur tet, sind die biologischen Systeme (zum Bei­
jene Tierzahl verwendet wird, die unbedingt er­ spiel Zellen, Gewebe und Organe) von Mensch
forderlich ist, um ein zuverlässiges Ergebnis zu und Tier einander sehr ähnlich. Viele (patho-)
erlangen (Reduction). Schließlich sind Tierver­ physiologische Funktionen und Wechselwir­
suche (zum Beispiel durch die Anwendung von kungen im menschlichen Organismus können
Betäubungs- und Schmerzmittel) so zu gestal­ten, daher an Tiermodellen erforscht werden.
dass den Tieren nur jenes Ausmaß an Schmer­
Welche Tierarten zu welchen Tierversuchen he­
zen, Leiden, Ängsten oder dauerhaften Schäden
­rangezogen werden, hat sich im Laufe der Zeit
zugefügt wird, das zur Erreichung des Versuchs­
verändert. Das liegt nicht nur daran, dass im­
ziels unbedingt erforderlich ist (Refinement).
mer neue Forschungsfragen tierexperimentell
bearbeitet werden, sondern ist auch auf einen
Auswertung gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen.
Valide Versuchsergebnisse setzen voraus, dass Früher wurden Affen häufig in Versuchen ein­
die erhobenen Daten zuverlässig und reprodu­ gesetzt. Die große Ähnlichkeit dieser Tiere zum
zierbar sind. Daher kommt der genauen Be­ Menschen legt zwar nahe, dass Versuchsergeb­
schreibung des Versuchsdesigns und der Da­ nisse besonders gut auf den Menschen über­
tenerhebung in einem Studienprotokoll zen­trale tragen werden können. Gerade die enge evo­
Bedeutung zu. Nach dem Abschluss der sta­ lu­
tionsbiologische Verwandtschaft zwischen
tis­tischen Auswertung sollten die Ergebnisse nicht­menschlichen Primaten und dem Menschen
schrift­lich zusammengefasst und veröffentlicht führt jedoch auch dazu, dass diese Tiergruppe
werden. Dies gilt auch dann, wenn die ursprüng­ als besonders schützenswert gilt. In Österreich
liche Versuchshypothese nicht bestätigt wurde sind Tierversuche an Menschenaffen (Gorillas,
oder ein Versuch nicht das erwartete Ergebnis Orang Utans, Schimpansen, Bonobos und Gib­
geliefert hat, da dadurch vermieden werden bons) daher seit 1.1.2006 ohne Ausnahme ver­
kann, dass analoge Versuchsansätze in anderen boten. Andere Affen (zum Beispiel Rhesusaffen
Forschungseinrichtungen wiederholt werden. oder Makaken) dürfen – ebenso wie generell

21
unter Artenschutz stehende Tierarten – nur un­ biologische Prozesse zu gewinnen. Eine Tier­
ter besonders restriktiven Voraussetzun­gen zu art ist nur dann als Modellorganismus geeignet,
bestimmten Ver­suchszwecken herangezogen wenn sie der Zielspezies (zum Beispiel dem
werden ( Seite 24 "Das richtige Tiermodell"). Menschen) in Bezug auf die für die Fragestel­
lung relevanten Aspekte hinreichend ähnlich ist.
Tiere werden zu Versuchszwecken
Tiere, die systematisch derselben Gruppe (dem­
gezüchtet selben Taxon) zugeordnet werden, besitzen sehr
Nach dem Tierversuchsgesetz 2012 dürfen ähnliche biologische Grundstrukturen und sind
grundsätzlich nur solche Tiere zu Versuchen in der Regel gut miteinander vergleichbar. Die
verwendet werden, die zu diesem Zweck ge­ Gruppe der höheren Säugetiere, zu der auch
züchtet wurden und damit von genehmigten der Mensch gehört, bildet ein solches biologi­
und registrierten Züchtern bzw. Lieferanten sches Taxon.
stammen. Versuchstiere werden daher in der
Mäuse und Menschen sehen äußerlich (phäno­
Regel bereits ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt
­typisch) zwar sehr unterschiedlich aus, sind
unter wissenschaftlich definierten Bedingun­
einander jedoch genetisch (genotypisch) be­
gen gehalten und betreut.
trachtet überraschend ähnlich. Diese große
Übereinstimmung in ihren Erbanlagen setzt sich
Das Tier als Modell
in der Homologie vieler Merkmale des Körper­
Ein Tiermodell wird stellvertretend für den Men­ baus sowie von Organen und Organ­sys­temen
schen oder eine andere Tierart (Zielspezies) fort und ist in der gemeinsamen stammesge­
eingesetzt, um Erkenntnisse über bestimmte schichtlichen Entwicklung begründet.

Die Haltung von und der Umgang mit Versuchstieren müssen der jeweiligen Tierart entsprechen.
Kaninchen etwa sind ruhiger, wenn sie eingewickelt werden.

Foto: © Institut für Labortierkunde/Vetmeduni Vienna

22
Wie laufen Tierversuche ab?
Genetisch veränderte Tiermodelle
Genetisch veränderte Tiermodelle dienen dem
Studium von Krankheiten, aber auch der Un­
tersuchung von grundlegenden physischen
Funktionen auf der Grundlage des Erbmateri­
als. Mäuse und Ratten können heute relativ
einfach genetisch verändert werden. Gene

Foto: © Felizitas Steindl/Vetmeduni Vienna


können in das Erbgut der Tiere eingebracht,
daraus entfernt oder an- und ausgeschaltet
werden. Teilweise prägen sich bereits minima­
le genetische Veränderung phänotypisch aus.
Durch das gezielte Ausschalten von Genen
können somit Rückschlüsse auf ihre Funktion
gezogen werden.

Häufig verwendete Begriffe

Transgene Tiere
Transgene Tiere sind Tiere, deren Genom gezielt verändert wurde und die diese Verän­
derung (Mutation) stabil an ihre Nachkommen weitervererben. Eine häufig angewandte
Methode zur Herbeiführung einer Mutation besteht darin, Gene gezielt in ein Tier einzu­
bringen. Die eingebrachten Transgene können entweder von einem artverwandten Tier
oder von einem artfremden Organismus stammen.

Knockout-Maus
Eine Knockout-Maus (knock-out – außer Gefecht setzen) ist eine Maus, bei der ein oder
mehrere Gene gezielt deaktiviert wurde(n).

Mausstämme und Mauslinien


Über Stämme und Linien lassen sich Mäuse in genetisch definierte Verwandtschaftsgrup­
pen einteilen. Innerhalb der Unterart Hausmaus gibt es verschiedene Mausstämme, die
ihrerseits in verschiedene Linien eingeteilt werden können.
Eine Linie unterscheidet sich genetisch meist nur geringfügig von einer anderen Linie
desselben Stammes. Individuen solcher nahe verwandten Linien sind äußerlich oft völlig
identisch, können hinsichtlich anderer Parameter (zum Beispiel Physiologie und/oder Ver­
halten) aber große Unterschiede aufweisen.
Der Vergleich von nahe verwandten Mausstämmen oder -linien ist in der Forschung eine
weit verbreitete Methode, um Erkenntnisse über die Funktion der Gene zu gewinnen.

23
Das richtige Tiermodell

Das gewählte Tiermodell muss geeignet sein, für operative Eingriffe als Mäuse. Ratten wer­
die Forschungsfrage in bestmöglicher Weise den u.a. zur Erforschung von Herz-­Kreislauf-
zu beantworten. Im Folgenden werden einige Erkrankungen und neurologischen Krankhei­
Versuchstierarten kurz beschrieben. ten sowie in der Krebsforschung verwendet.

Mäuse Kaninchen
Das am häufigsten verwendete Tiermodell ist Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) werden
die Maus (Mus musculus). Die Maus ist das häufig zur Untersuchung von Atemwegser­
erste Säugetier, dessen Genom 2002, unmit­ krankungen verwendet. Auch zur Entwicklung
telbar nach dem des Menschen (2001), voll­ von Impfstoffen und zur Überprüfung der
ständig entschlüsselt wurde. Sie ist dem Men­ Wirksamkeit von Arzneimitteln werden Kanin­
schen aus biologischer und vor allem gene- chen eingesetzt.
­tischer Sicht sehr ähnlich und wird daher in
vielen Bereichen der humanmedizinischen Schweine
Forschung (zum Beispiel in der Genom- und
Schweine werden vor allem in der Transplan­
Krebsforschung), aber auch in der Arzneimit­
tationsmedizin, der Diabetesforschung und zur
telprüfung eingesetzt.
Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
verwendet. Lange Zeit wurde Schweine-Insu­
Ratten lin an DiabetikerInnen verabreicht. Herzklappen
Das in Europa am zweithäufigsten verwendete von Schweinen werden als biologischer Herz­
Tiermodell ist die Ratte (Rattus norvegicus), de­ klappenersatz beim Menschen verwendet.
ren Genom 2004 vollständig entschlüsselt wur­ Schließlich werden Schweine auch zum Zweck
de. Auch sie spielt in der humanmedizinischen der veterinärmedizinischen Forschung heran­
Forschung eine wichtige Rolle. Durch ihre gezogen.
Größe eignen sich Ratten in der Regel besser

Die Veterinärmedizinische Universität Wien erforscht, wie sich bestimmte Faktoren


(zum Beispiel Haltungsbedingungen oder Fütterung) auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Tieren auswirken.
Foto rechts: © Michael Bernkopf/Vetmeduni Vienna
Foto links: © Understanding Animal Research

24
Wie laufen Tierversuche ab?
Hunde und Katzen Vögel
Hunde (Canis familiaris) und Katzen (Felis ca- Vögel (Aves) machen EU-weit rund 7 Prozent
tus) spielen heute als Versuchstiere nur noch der Versuchstiere aus, wobei Hühner und die
eine untergeordnete Rolle. In Österreich wer­ japanische Wachtel am häufigsten eingesetzt
den Hunde vor allem im Rahmen der Ausbil­ werden.
dung von VeterinärmedizinerInnen eingesetzt,
zum Beispiel zum Abhören des Herzens oder Fische
der Lunge. Weiters werden Hunde, ebenso wie
An Fischen (Pisces) wird u.a. die Toxizität che­
Katzen, zur Erforschung von Erkrankungen der
mischer Stoffe, die in den Wasserkreislauf ge­
eigenen Spezies verwendet.
langen können, untersucht. Die Larven des
Zebrafisches (Danio rerio) eignen sich beson­
Affen ders gut als Modellorganismus in der Entwick­
Nichtmenschliche Primaten (also alle Primaten lungsbiologie.
mit Ausnahme des Menschen) spielen in der
tierexperimentellen Forschung nur noch eine
untergeordnete Rolle, da die ethischen Vorbe­
halte gegen die Verwendung dieser Tiere hoch
sind und ihre Haltung sehr kostenintensiv ist
( Seite 21 „Tierarten und Tiermodelle“). 2011
betrug der Anteil der Affen an den Versuchs­
tieren EU-weit noch 0,05 Prozent, d.h. rund
6.000 Tiere. Die Verwendung von Menschen­
affen (Gorillas, Schimpansen etc.) ist auf
EU-Ebene zwar nicht absolut verboten, doch
wurden seit 1999 keine Tierversuche an die­
sen Tieren gemeldet. In Österreich ist die Ver­
wendung von Menschenaffen seit 1.1.2006
ohne Ausnahme verboten. Seit 2008 werden
in Österreich auch an anderen Affen (wie Rhe­
susaffen oder Makaken) keine Tierversuche
mehr durchgeführt.

25
Wie?
Die Labormaus
Die Maus ist sowohl auf EU-Ebene als auch in
Österreich das am häufigsten eingesetzte Ver­
suchstier. 2014 wurden nach der österreichi­
schen Tierversuchsstatistik 174.934 Mäuse zu
Forschungszwecken verwendet, was einem
Anteil von über 83 Prozent an der Gesamtan­

Foto: © Institut für Labortierkunde/Vetmeduni Vienna


zahl der Versuchstiere entspricht.

Warum die Maus?


Der Maus sind zahlreiche Errungenschaften der
biomedizinischen Forschung zu verdanken.
Viele Medikamente und Therapien wären ohne
Forschung an Mäusen nicht möglich gewesen.
Die Maus ist äußerst gut erforscht. Für etwa
80 Prozent aller humanen Gene wurde eine
abstammungsgleiche Erbanlage in der Maus
nachgewiesen, für die auch gemeinsam beibe­
haltene Funktionen vermutet werden. Dies macht
die Labormaus derzeit zum wichtigsten Säu­
getiermodell für das Studium genetischer und
multifaktorieller Erkrankungen des Menschen.

EMMA
Das EMMA-Netzwerk (European Mouse Mutant Archive) sammelt, archiviert und verteilt
Mausstämme, die für die biomedizinische Forschung relevant sind. Die Mausstämme wer­
den in Form von Eizellen, Spermien oder Embryonen in flüssigem Stickstoff bei -196°C
eingefroren und gelagert (Kryokonser­vierung). Forschende kön­nen ihre Maus­modelle in
ausgewiesenen EMMA-Labors archivieren sowie registrieren lassen und damit gleichzeitig
der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung stellen.
Die Arbeit von EMMA trägt dazu bei, das enorme Potenzial der gegenwärtigen Erforschung
der Säugetiergenetik für die menschliche Gesundheit optimal zu nutzen. Da Forschende
weltweit die Möglichkeit haben, auf bereits vorhandene Mausmodelle zurückzugreifen,
können Duplikationen vermieden werden, was der Reduktion der Versuchstierzahlen zu­
gutekommt.

26
Wie laufen Tierversuche ab?
Wie lebt die Labormaus?
Die Anforderungen an die Haltung von Labor­
mäusen sind im Tierversuchsrecht geregelt

Foto: © Institut für Labortierkunde/Vetmeduni Vienna


und gelten sowohl für Einrichtungen, in denen
die Tierversuche durchgeführt werden (Ver­
wender), als auch für Züchter und Lieferanten.
Das Ziel dieser Vorschriften besteht darin, das
Wohlbefinden der Versuchstiere so weit wie
möglich zu gewährleisten. Dies liegt nicht nur
im Interesse des Tierschutzes, sondern erhöht
gleichzeitig die Qualität der Versuchsergeb­
nisse.
Material zum Benagen und für den Nestbau im Käfig sind für La-
Für eine tierschutzkonforme Haltung von La­ bormäuse wichtig. So können sie angeborene Verhaltensweisen,
bormäusen sind neben einem ausreichenden wie Beschäftigung und Erkundung der Umwelt ausleben und sich
auch zurückziehen.
Platzangebot vor allem die Ausstattung der
Käfige, das Raumklima, die Versorgung mit
Futter und Wasser, Sozialkontakt zu Artgenos­
sen sowie Hygiene und ein fachgerechtes
Handling von Bedeutung.

Geeignete Käfige und Tierräume


Der Lebensraum von Labormäusen muss so
gestaltet sein, dass die Tiere ihrem angebore­
nen Erkundungs- und Rückzugsverhalten im
Wesentlichen nachkommen können. Zur An­
Foto: © Felizitas Steindl/Vetmeduni Vienna

reicherung (zum sog. Enrichment) des Käfigs


eignen sich etwa Häuschen und Röhren aus
Plastik, Holz oder Karton, die es den Tieren
ermöglichen, ihren Lebensraum dreidimensio­
nal zu nutzen. Nistmaterial (zum Beispiel Zell­
stoff oder Heu) bietet ihnen die Möglichkeit,
sich zu beschäftigen und unterstützt zudem
die Wärmeregulation. Andere manipulierbare
Gegenstände (zum Beispiel Nagehölzer) sti­
mulieren das Ausüben arttypischer Verhal­
Foto: © Institut für Labortierkunde/Vetmeduni Vienna

tensweisen und vermeiden Langeweile. Da


Mäuse sozial lebende Tiere sind, müssen sie,
sofern nicht konkrete Gründe (wie zum Bei­
spiel Unverträglichkeit) dagegen sprechen, in
Gruppen gehalten werden.

27
Tierhaltung beeinflusst Forschungs- nicht möglich, durch die Untersuchung sol­
ergebnisse cher Tiere zuverlässige Daten zu gewinnen.
Haltungsbedingungen, die den Ansprüchen
Werden die natürlichen Bedürfnisse der Ver­
der Tiere weitgehend entspre­chen, kommen
suchstiere nicht ausreichend berücksichtigt, so
damit nicht nur den Versuchs­ tieren zugute,
besteht nachweislich die Gefahr, dass die an
sondern sind auch für die Forschungsqualität
ihnen durchgeführten Versuche Forschungs­
von grundlegender Bedeutung.
ergebnisse liefern, die nicht valide sind.
Eines der bekanntesten haltungsbedingten Pro­­
bleme bei Tieren sind Stereotypien. Tiere, die an
Experimentelle Maßnahmen
einer solchen Verhaltensstörung leiden, wie­der­ und Tötungsmethoden
holen monoton dieselben Bewegungsabläufe,
Nach dem Prinzip des Refinements (Verbes­
ohne dass ein sinnvoller Bezug zur Umwelt
serung) und unter dem Aspekt der Qualitätssi­
besteht. Mäuse mit Stereotypien benagen zum
cherung muss bei allen Maßnahmen darauf
Beispiel unablässig das Gitter am Käfigdeckel
geachtet werden, dass diese so schonend wie
oder laufen ständig dieselbe Strecke im Käfig
möglich sind. Sie dürfen daher nur von ge­
ab. Stereotypien entstehen vor allem dadurch,
schultem Personal durchgeführt werden (
dass Tiere dauerhaft unter Haltungsbedingun­
Seite 30 "Wer darf Tierversuche durchführen?").
gen leben, die ihren Bedürfnissen nicht ge­
recht werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, Im Rahmen von Tierversuchen werden an Tie­
wenn sie in zu kleinen Käfigen untergebracht ren verschiedenste experimentelle Maßnahmen
sind, ihnen wichtige Ressourcen wie Rück­ durchgeführt. Diese reichen vom Handling und
zugs- und Beschäftigungsmöglichkeiten oder Fixieren der Tiere über die Verabreichung von
Sozialkontakt fehlen. Da Verhaltensstörungen Substanzen (Applikationen) und die Entnahme
in der Regel mit physiologischen und neurolo­ von Gewebeproben (Biopsien) bis hin zu kom­
gischen Verände­ rungen einhergehen, ist es plizierten operativen Eingriffen.

Zahlreiche Parameter der Haltung und des Versuchs-


designs beeinflussen das Wohlbefinden der
Labortiere. Nur wenn die Haltungsbedin-
gungen den Ansprüchen der Tiere weit-
gehend gerecht werden, lassen sich Raumklima
aus einem Tierversuch zuverlässi-
ge Daten gewinnen. Personal
EXPERIMENT
Umgang

Käfig
Größe
Räumlich-
Material
keiten
Struktur
„Wohl-
...
befinden“

Stamm Futter
Genotyp & Wasser

Gesundheit Soziale
Hygiene Struktur

Grafik: © Auke Boersma/Vetmeduni Vienna

28
Wie laufen Tierversuche ab?
Handling und Fixieren Die Substanzen können zum Beispiel oral
(über den Mund), subkutan (unter die Haut),
Das Angreifen und Festhalten von Tieren spielt
intramuskulär (in einen Muskel) oder intravenös
bei der Betreuung der Tiere und bei der Ver­
(in eine Vene) verabreicht werden. Wird eine
suchsdurchführung eine zentrale Rolle (zum
Substanz injiziert, so müssen die Einstichstel­
Beispiel beim Umsetzen von Tieren im Zuge
le und die Nadelstärke sowie die spezifischen
der Käfigreinigung oder beim Fixieren zum
Eigenschaften und das Volumen der applizier­
Zweck einer Blutentnahme). Unnötiger Stress
ten Substanz adäquat berücksichtigt werden.
und damit eine unbeabsichtigte Verzerrung
der Versuchsergebnisse können zum Beispiel
vermieden werden, indem die Tiere langsam Blutentnahmen
an das Handling gewöhnt werden. Für größere Blutentnahmen werden in Tierversuchen eben­
und länger im Versuch stehende Tiere, wie so häufig durchgeführt wie Applikationen. Die
Hunde, Katzen und landwirtschaftliche Nutz­ geeignete Methode hängt von der benötigten
tiere, sind nach den tierversuchsrechtlichen Menge und der Qualität des Blutes (venös, ar­
Bestimmungen Trainingsprogramme vorzuse­ teriell) ab. Bei Blutentnahmen ist auch darauf
hen, die einen wertvollen Beitrag zur Stressre­ zu achten, dass der Blutverlust für das Tier
duktion im Versuch leisten können. nicht zu einer unangemessenen Belastung
führt. Dabei spielen auch die Häufigkeit der
Kennzeichnung Blutentnahmen sowie die Intervalle zwischen
wiederholten Blutentnahmen eine Rolle.
Bereits im Vorfeld der Versuchsdurchführung ist
es zumeist erforderlich, die Tiere individuell zu
kennzeichnen. Es gibt dauerhafte Kennzeich­ Operationen
nungsmethoden (zum Beispiel Ohrmarken, Ohr­ Operative Eingriffe im Rahmen von Tierversu­
kerbung, Mikrochiptransponder, Tätowierung) chen sind vielfältig und reichen von kleinen
und vorübergehenden Identifizierungsmetho­ Eingriffen, bei denen nur ein winziger Haut­
den (zum Beispiel Fellfärbung und Fellschnitt). schnitt notwendig ist, bis hin zu komplizierten
Eine invasive Methode darf nur dann ange­ Operationen wie zum Beispiel Organtrans­
wandt werden, wenn es zwingend erforderlich plantationen. Schmerzen und Leiden müssen
ist, die Tiere individuell und dauerhaft zu kenn­ sowohl während des operativen Eingriffs als
zeichnen. auch prä- und postoperativ ausgeschaltet
bzw. minimiert werden. Bei der Vornahme
Bestimmung des Genotyps schmerzhafter Eingriffe müssen die Tiere da­
her grundsätzlich betäubt (anästhesiert) wer­
Bei transgenen Tieren muss vor der Verwen­
den und eine Schmerzbehandlung erhalten.
dung im Versuch festgestellt werden, ob die
Tiere den geeigneten Genotyp aufweisen. Dies
geschieht durch die sog. Genotypisierung, d.h. Tötungsmethoden
durch die Entnahme von Gewebe zur DNA-Ge­ Die meisten Tiere werden nach Abschluss des
winnung, mit deren Hilfe der „genetische Fin­ Tierversuchs getötet. Auch die Tötung muss
gerabdruck“ des Individuums bestimmt wird. möglichst schmerz- und stressfrei erfolgen und
darf daher nur von sachkundigen Personen
Applikationen durchgeführt werden. Zur Tötung dürfen grund­
sätzlich nur jene Methoden angewandt wer­
Applikationen, also die Verabreichung von Sub­
den, die in der Tierversuchs-Verordnung 2012
stanzen, zählen zu den am häufigsten durch­
für die einzelnen Tierarten aufgelistet sind.
geführten tierexperimentellen Maßnahmen.

29
Wer darf Tierversuche
durchführen?

Bedeutung der Sachkunde Personen, die Tierversuche


Die Sachkunde der in der tierexperimentellen planen und leiten
Forschung tätigen Personen ist für die Quali­ LeiterInnen von Projekten, in deren Rahmen
tät der wissenschaftlichen Arbeit und für den operative Eingriffe durchgeführt werden, müs­
Schutz der Versuchstiere von zentraler Be­ sen das Studium der Human- oder der Veteri­
deutung. Die optimale Versuchsplanung setzt närmedizin, der Biologie oder der Pharmazie
voraus, dass die damit befassten Personen abgeschlossen haben bzw. über einen gleich­
über das erforderliche Fachwissen (zum Bei­ wertigen Studienabschluss verfügen. Beinhal­
spiel im Hinblick auf das geeignete Tiermodell, tet ein Projekt keine operativen Eingriffe, so
die statistischen Methoden, die schonendsten können auch Personen, die ein anderes natur­
Verfahren sowie Ersatzmethoden) verfügen. wissenschaftliches Studium absolviert haben,
Für die Durchführung der experimentellen eine Genehmigung als ProjektleiterInnen er­
Maßnahmen, den tierschutzkonformen Um­ halten.
gang und die fachgerechte Betreuung der Ver­
suchstiere, sind sowohl theoretisches Wissen Zusätzlich zu ihrer Grundausbildung müssen
als auch praktische Fertigkeiten unabdingbar. alle ProjektleiterInnen über einschlägige Spe­
zialkenntnisse (zum Beispiel über die jeweilige
Die Planung und Durchführung von Tierversu­ Versuchstierart und die zur Anwendung gelan­
chen ist daher Personen vorbehalten, die über genden Methoden) verfügen. Die Qualifikation
eine entsprechende Qualifikation verfügen. des Leitungspersonals wird im Rahmen des
Dabei unterscheidet das TVG 2012 zwischen Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung
ProjektleiterInnen, welche die Hauptverantwor­ als ProjektleiterIn beurteilt.
tung für die Durchführung der Tierversuche
tragen, und wissenschaftlichen sowie nicht­
wissenschaftlichen Mitar­
beiterInnen, die praktische
Arbeiten im Laboralltag ver­
richten (zum Beispiel Tier­
pflegerInnen).
Foto: © Thomas Rülicke/Vetmeduni Vienna

Nur Personen, die über ausreichende Sachkunde verfügen,


dürfen experimentelle Maßnahmen an Versuchstieren durch-
führen. Schulungen finden auch an Tierdummies statt, wie zum
Beispiel an diesem Kaninchenohr aus Silikon. Daran können
sowohl Injektionen als auch die Blutentnahme geübt werden.

30
Wer darf Tierversuche durchführen?
Wer darf Tierversuche durchführen?
Personen, die Tierversuche Beantragung und Genehmigung
durchführen von Tierversuchsprojekten
Das wissenschaftliche und nichtwissenschaft­ Tierversuche dürfen nur nach Genehmigung
liche Personal muss ausreichend qualifiziert durch die zuständige Behörde durchgeführt
sein, um bestimmte Tätigkeiten ausüben zu werden. Nach dem TVG 2012 können mehrere
dürfen. Bis zum Nachweis der Sachkunde Tierversuche zu einem sog. Projekt zusammen­
dürfen diese Personen nur unter der Aufsicht gefasst werden, wenn sie der Beantwortung
von entsprechend qualifizierten MitarbeiterIn­ einer gemeinsamen Fragestellung dienen.
nen tätig sein. Die erforderlichen Qualifikatio­
Für die Genehmigung von Tierversuchsprojek­
nen orientieren sich an den Ausbildungsstan­
ten, die im Bereich des Hochschulwesens durch­
dards der FELASA (Federation of European
geführt werden, ist das Bundesministerium für
Laboratory Animal Science Associations) bzw.
Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu­
der GV-SOLAS (Gesellschaft für Versuchstier­
ständig. Anträge aus dem nichtuniversitären
kunde/Society of Laboratory Animals).
Bereich (zum Beispiel aus der Industrie) fallen
Die Qualität der Betreuung der Tiere hängt in die Kompetenz der Landesbehörden.
nicht nur vom Wissen und von den Fertigkei­
ten der in der jeweiligen Einrichtung tätigen Projektanträge
MitarbeiterInnen, sondern auch von ihrer An­
Anträge auf Genehmigung eines Projekts wer­
zahl ab. Daher sieht das TVG 2012 vor, dass in
den von der Projektleiterin oder vom Projekt­
jeder Einrichtung eine ausreichende Anzahl
leiter eingebracht. Im TVG 2012 und in der
qualifizierter Personen tätig sein muss. So
Tierversuchs-Verordnung 2012 wird genau
muss u.a. sichergestellt sein, dass die Tiere
festgelegt, welche Angaben ein Projektantrag
und ihre Haltungsbedingungen (zum Beispiel
enthalten muss. Im Antrag muss u.a. darge­
Futter, Wasser, Raumklima) mindestens ein­
legt werden, dass das Vorhaben unerlässlich
mal täglich kontrolliert und auftretende Män­
ist und dass das Projektziel ohne Verwendung
gel so rasch wie möglich behoben werden.
lebender Tiere nicht erreicht werden kann. Ne­
Nach dem TVG 2012 muss bei allen Verwen­ ben formalen Angaben über Projektleitung
dern, Züchtern und Lieferanten die tierärztli­ und Einrichtung sind Informationen über das
che Betreuung der Versuchstiere gewährleis­ Projektziel, die wissenschaftliche Fragestel­
tet sein. Eine weitere rechtliche Neuerung lung, die Art und Anzahl der verwendeten Tie­
besteht darin, dass in jeder Einrichtung min­ re und die statistische Planung anzuführen.
destens eine Person vorhanden sein muss, Die geplanten experimentellen Maßnahmen
die vor Ort für das Wohlergehen der Versuch­ und die Haltungsbedingungen müssen eben­
stiere verantwortlich ist. Überschreitet die Ein­ so angeführt werden wie die vorgesehenen
richtung eine bestimmte Größe, so muss auch Refinement-Strategien. Schließlich sind die
ein sog. Tierschutzgremium eingerichtet wer­ AntragstellerInnen verpflichtet, den voraus­
den, das sich aus entsprechend qualifizierten sichtlichen Schweregrad des Projekts nach
Personen zusammensetzt. der im TVG 2012 festgelegten Skala zu klassi­
Sowohl die Qualifikation und Anzahl des Per­ fizieren und im Antrag anzugeben ( Seite 7
sonals als auch das Vorhandensein der ver­ „Schweregrade von Tierversuchen“). Ab dem
antwortlichen Personen und des Tierschutz­ 1. Juli 2016 muss den Anträgen auch der aus­
gremiums werden im Rahmen des Verfahrens gefüllte Kriterienkatalog beigelegt werden, um
zur Erteilung der Genehmigung als Verwender die Schaden-Nutzen-Analyse zu vereinheitli­
(Tierversuchseinrichtung) oder Züchter bzw. chen.
Lieferant geprüft.

31
Wie?
Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten

Weiterbildung/Kurs Ziel/Qualifikation Personen

Fort- und Weiterbildungs- ■■ Berufs- und praxisorientierte ■■ Die Möglichkeit einer Mitglied-
maßnahmen der Interessen- Weiterbildung schaft steht allen TierpflegerInnen
gemeinschaft der Tier­pfle­ ■■ Aufklärung über Arbeitsbereiche und technischen MitarbeiterInnen
ger­Innen und des techni- in der tierexperimentellen offen
schen Personals (IGTP) Forschung und Tierhaltung
■■ Mitglieder der IGTP sind in zahl­-
reichen Ausschüssen und Arbeits­
gruppen der GV-SOLAS vertreten

FachwissenschafterInnen ■■ Weiterbildung für Wissenschafter­ ■■ Forschende, ausgebildete


für Versuchstierkunde Innen, um nach den Grundsätzen NaturwissenschafterInnen
(GV-SOLAS) der GV-SOLAS als Sachverstän-
dige im versuchstierkundlichen
Bereich anerkannt zu werden

FachtierärztInnen für ■■ Betreuung von Tieren, die für Tier- ■■ TierärztInnen


Versuchs­tierkunde versuche vorgesehenen sind bzw.
in Tierversuchen verwendet werden
■■ Durchführung von Tierversuchen
Dauer: 4 Jahre

FELASA-Kurs an der ■■ Vermittlung von theoretischen ■■ Ausbildung für Personen, die


Veterinärmedizinischen Fachkenntnissen und prakti- Tierversuche durchführen
Universität Wien schen Fertigkeiten, die für einen ■■ Voraussetzung: Vorweisen von
(anerkannt/zertifiziert von tierschutzkonformen Umgang mit Interesse, Beteiligung an einem
der GV-SOLAS) Versuchstieren notwendig sind Tierversuch oder nachweisliche
Beteiligung an einem bevorste-
henden Versuch

Einführungskurs in die ■■ Vermittlung von Kenntnissen, ■■ Ausgebildete Naturwissen-


Labortierkunde (LTK-Modul 1, die für eine fachgerechte und schafterInnen und angehende
Universität Zürich, Institut methodisch korrekte Planung VersuchsleiterInnen
für Labortierkunde) und Leitung von Tierversuchen
notwendig sind (ProjektleiterIn)
Das ist Blindtext
Kryokonservierung und ■■ Vermittlung von theoretischen ■■ Forschende, ausgebildete Natur-
Embryotransfer Kurs Kenntnissen und praktischen wissenschafterInnen
(Institut für Labortierkunde, Fertigkeiten im Bereich der
Veterinärmedizinische Kryokonservierung und
Universität Wien) Reproduktions­biotechnologie

Vertiefungsmodul Labor- ■■ Vertiefende Ausbildung in den ■■ Studierende des Diplomstudiums


tiermedizin (Diplomstudium Bereichen der Zucht, Haltung der Veterinärmedizin an der
Veterinärmedizin, Veterinär- und experimentellen Nutzung von Veterinärmedizinischen Univer­
medizinische Universität Labortieren sität Wien
Wien) ■■ Erwerb theoretischer Kenntnisse
und praktischer Grundlagen

Skills Lab VetSim – simula- ■■ Das Skills Lab „VetSim“ der ■■ Angehende TierärztInnen
ting vet's life: Üben für die Veterinärmedizinischen Univer-
Praxis sität Wien beherbergt speziell
ausgestattete Praxisräume
■■ Selbstständiger Erwerb klinischer
Fähigkeiten, bevor diese am Tier-
patienten angewandt werden

32
Wer darf Tierversuche durchführen?
Projektzusammenfassung für Laien einer positiven Beurteilung durch die ETK wird
der Antrag dem gesetzlich vorgesehenen Ge­
Im Sinne der größtmöglichen Transparenz muss
nehmigungsverfahren zugeleitet.
den Anträgen in der Regel eine nichttechnische
Projektzusammenfassung beigelegt wer­ den.
Darin ist das Vorhaben in einer für Laien ver­ Beurteilung und Genehmigung von
ständlichen Weise zu beschreiben, ohne den Projektanträgen
Schutz personenbezogener Daten bzw. Ge­ Die Behörden haben die Möglichkeit, zur Be­
heimhaltungspflichten (zum Beispiel Betriebs­ urteilung der Projektanträge Kommissionen
geheimnisse) zu verletzen. Die nichttechnischen einzurichten und externe Sachverständige
Projektzusammenfassungen dienen der In­for­ beizuziehen. Sie müssen einen Antrag in der
ma­tion der Öffentlichkeit und werden auf der Regel innerhalb einer Frist von sechs Wochen
Homepage des Bundesministeriums für Wis­ beurteilen; in Einzelfällen kann diese Frist ver­
senschaft, Forschung und Wirtschaft (siehe: längert werden.
www.bmwfw.gv.at/tierversuche) veröffentlicht.
Die Genehmigung zur Durchführung eines
Projekts wird mit Bescheid erteilt. Die Reali­
Interne Vorbegutachtung sierung des tierexperimentellen Vorhabens
An allen Universitäten und vielfach auch in muss in Übereinstimmung mit dem genehmig­
nichtuniversitären Forschungseinrichtungen ten Antrag erfolgen. Zeigt sich während der
werden die Projektanträge von einer internen Durchführung eines Projekts, dass Abwei­
Ethikkommission vorbegutachtet. An der Ve­ chungen vom genehmigten Konzept erforder­
terinärmedizinischen Universität Wien wurde lich sind, so ist ein Änderungsantrag zu stel­
zu diesem Zweck bereits 2005 die Ethik- und len. Wenn die Abweichungen die Belastung
Tierschutzkommission (ETK) eingerichtet, die der Tiere erhöhen können, muss ein neuer
sich aus ExpertInnen aus verschiedenen Dis­ Projektantrag gestellt und das Verhältnis zwi­
ziplinen (u.a. klinische Veterinärmedizin, Chir­ schen dem erwarteten Nutzen des Projekts
urgie, Anästhesie, Labortiermedizin, Statistik, und dem voraussichtlichen Schaden für die
Recht und Ethik) zusammensetzt. Erst nach Versuchstiere neu beurteilt werden.

Der Weg zur Projektgenehmigung: Vorbegutachtung und gesetzliches Genehmigungsverfahren

ProjektleiterIn

Interne Vorbegutachtung Gesetzliches Genehmigungsverfahren


Ethik- und Tierschutzkommission (ETK)
der Veterinärmedizinischen Universität Wien Wissenschaftsministerium (BMWFW)

Projektanträge von Universitätsangehörigen der Veterinärmedizinischen Universität Wien werden zuerst von der internen Ethik- und
Tierschutzkommission gemäß der Richtlinien der Good Scientific Practice (Regeln zu Ethik in der Forschung) geprüft. Erst nachdem sie
intern positiv beurteilt wurden, werden sie dem Wissenschaftsministerium (BMWFW) vorgelegt. Dieses führt das gesetzlich angeordnete
Genehmigungsverfahren durch. Die Projektgenehmigung wird erteilt, wenn alle rechtlichen Anforderungen erfüllt sind.

33
Faktencheck
Zehn Vorurteile über Tierversuche

„Tierversuche sind qualvoll!“ Tierversuche mit einer solchen geringen und


30 Prozent mit einer mittelgradigen Belastung
Häufig werden mit dem Begriff „Tierversuch“ verbunden.
Bilder von Affen assoziiert, die mit aufgebohr­
Das Tierversuchsrecht verpflichtet die For­
ter Schädeldecke und implantierten Elektro­
scherInnen, Tierversuche so schonend wie
den in einem sog. "Primatenstuhl" fixiert sind.
möglich zu gestalten (Prinzip des Refine­
Nach dem Tierversuchsgesetz 2012 liegt ein
ments). Zudem ist es seit langem allgemein
Tierversuch bereits dann vor, wenn einem Tier
anerkannt, dass der Schutz von Versuchstie­
zu einem wissenschaftlichen Zweck eine In­
ren nicht nur Selbstzweck ist, sondern die
jektion verabreicht oder Blut entnommen wird.
Qualität der Versuchsergebnisse verbessert
Auch Verhaltensbeobachtungen stellen einen
und somit nicht zuletzt auch im Eigeninteresse
Tierversuch dar, wenn den Tieren dadurch
der Forschenden liegt.
Stress oder Angst zugefügt werden kann.
Ebenso ist ein Tierversuch gegeben, wenn
zum Beispiel Studierende der Veterinärmedi­
zin, also angehende TierärztInnen, im Rahmen
„Tierversuche sind überflüssig
ihrer Ausbildung das Abhören von Herz- oder und sinnlos, vor allem in der
Lungengeräuschen, an Tieren üben. Nach der Grundlagenforschung!“
Tierversuchsstatistik waren im Jahr 2014 rund
60 Prozent der in Österreich durchgeführten Tierversuche haben in den vergangenen 100
Jahren zu bedeutenden Fortschritten in der
Erforschung und Behandlung von Erkrankun­
gen bei Mensch und Tier beigetragen. In der
veterinärmedizinischen Forschung wird ge­
zielt an der Entwicklung neuer Möglichkeiten
zur Behandlung von Heim-, Begleit- und Nutz­
tieren gearbeitet. Zahlreiche tierexperimentell
gewonnene Ergebnisse kommen somit kran­
ken Tieren und ihren HalterInnen bzw. – sofern
es um Lebensmittel liefernde Tiere geht – auch
der Gesundheit der KonsumentInnen zugute.
Dem Schutz der VerbraucherInnen dienen
auch Tierversuche, die zur Testung verschie­
dener Stoffe durchgeführt werden.
In der Grundlagenforschung kann ein solcher
Foto: © Michael Bernkopf/Vetmeduni Vienna

praktischer Nutzen zwar nicht von vornherein


definiert werden, doch baut die angewandte
(zum Beispiel medizinische Forschung) viel­
fach auf den Ergebnissen der Grundlagenfor­
schung auf. So setzt zum Beispiel die gezielte

34
Faktencheck – Zehn Vorurteile über Tierversuche
Behandlung von viralen Infektionen hinrei­ „Tierversuche könnten zur
chende Informationen über die Eigenschaften
der Viren und ihre Interaktion mit Wirtszellen
Gänze durch Alternativmetho-
voraus. Ebenso stellen die Erkenntnisse über den ersetzt werden!“
die Funktion und das Zusammenwirken von
Ein Tierversuch darf nur dann durchgeführt
Genen (Genomforschung) die Grundlage für
werden, wenn keine geeignete Ersatz- oder
die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten
Ergänzungsmethode zur Verfügung steht
dar. Vor allem das Zusammenwirken verschie­
(Prinzip des Replacements). Da Alternativme­
dener Zelltypen, etwa in einem Tumormodell,
thoden kostengünstiger sind als die Haltung
kann nur in einem Gesamtorganismus erforscht
und Betreuung von Versuchstieren, besteht
werden. Das Verständnis dieser Wechselwir­
zudem ein ökonomischer Anreiz, auf Tierver­
kungen ist daher Voraussetzung für die Ent­
suche zu verzichten, wann immer dies mög­
wicklung von Krebstherapien.
lich ist. Der Ablauf isolierter biologischer Pro­
zesse kann gut mit Hilfe von Ersatz- und
Ergänzungsmethoden (zum Beispiel Zellkultu­
„Ergebnisse aus Tierversuchen ren oder Computersimulationen) dargestellt und
sind nicht auf den Menschen untersucht werden. In den vergangenen Jahr­
übertragbar!“ zehnten konnten große Fortschritte in der Ent­
wicklung von Alternativmethoden erzielt wer­
Die tierexperimentelle Forschung betrachtet den. Durch die neue Tierversuchs-Richtlinie der
den Menschen keineswegs als 70 kg schwere EU wird die Entwicklung und Validierung von
Ratte. Die evolutionsbiologische Verwandt­ Ersatz- und Ergänzungsmethoden weiter for­
schaft zwischen Menschen und Tieren ermög­ ciert, sodass mittelfristig insbesondere im Be­
licht es jedoch, Teile der komplexen Prozesse reich der Stoffprüfung mit einer Verringerung
in verschiedenen Organismen zum Beispiel der Tierversuche gerechnet werden kann.
auf (molekular-)genetischer, zellbiologischer
und organischer Ebene zu vergleichen. Wählt Vor allem im Bereich der Biomedizin setzt die
man zur Erforschung einer Fragestellung die Erforschung vieler Fragestellungen jedoch vo­
am besten geeignete Tierart, so ist die Ähn­ raus, dass der komplexe Gesamtorganismus
lichkeit zwischen dem Tiermodell und der Ziel­ betrachtet wird. In solchen Fällen ist es nach
spezies auf dieser Ebene so groß, dass der wie vor unverzichtbar, auf lebende Tiere zu­
Tierversuch Erkenntnisse liefert, die auf den rückzugreifen.
Menschen übertragen werden können.
Umgekehrt eignen sich zum Beispiel viele Arz­ „Die Anzahl der Versuchstiere
neimittel, die für den Menschen entwickelt wur­ ist zu hoch und steigt weiter an!“
den, auch zur Behandlung von Tieren. Auch
diagnostische Verfahren (zum Beispiel die In Österreich werden jährlich ca. 200.000 Tiere
Computertomographie) und minimalinvasive (zumeist Mäuse und Ratten) zu Tierversuchen
Operationstechniken (wie die Laparoskopie) verwendet. Im Vergleich dazu werden rund 80
wurde an Tiermodellen entwickelt; sie werden Millionen Tiere zur Fleischgewinnung ge­
heute sowohl in der Human- als auch in der schlachtet. Während ein Tierversuch nur durch­
Veterinärmedizin höchst erfolgreich eingesetzt geführt werden darf, wenn er unerlässlich ist,
und ermöglichen es, zum Beispiel Tumorerkran­ bleibt ein Einsparungspotenzial im Hinblick
kungen bei Menschen und Heimtieren frühzei­ auf die Fleischproduktion unhinterfragt.
tig zu erkennen bzw. bestimmte Erkrankungen Da Forschung ein dynamischer Prozess ist,
möglichst schonend zu behandeln. kann auch bei forciertem Einsatz von Alternativ­

35
methoden nicht zwangsläufig eine lineare Ver­ müs­sen mindestens einmal pro Jahr ohne vo­
ringerung der Tierversuchs- bzw. Versuchs­tier­ rangehende Anmeldung von der Behörde im
zahl erwartet werden. Ist ein Forschungs­zweig Hinblick auf die Einhaltung der tierversuchs­
sehr erfolgreich, so steigt die Anzahl der Tier­ rechtlichen Anforderungen kontrolliert werden.
versuche auch dann, wenn die Zahl der Ver­
suchstiere für die einzelnen Projekte auf das
unbedingt erforderliche Minimum reduziert wird.
„Versuchstiere sind
Auch neue Forschungsgebiete, wie zum Bei­ unzureichend geschützt!“
spiel Gentherapie und Stammzellenforschung,
Die sog. 3R (Replacement, Reduction, Refine­
können kurz- bzw. mittelfristig zu einem An­
ment) bzw. 3V (Vermeidung, Verringerung, Ver­
stieg der Anzahl der Tierversuche führen.
besserung) sind die leitenden Prinzipien des
Zudem muss beachtet werden, dass die in den Versuchstierschutzes. Nach dem Grundsatz des
Tierversuchsstatistiken veröffentlichten Tierzah­ Replacements darf ein Tierversuch nur dann
len nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Nach durchführt werden, wenn zur Erreichung des
dem TVG 2012 gilt zum Beispiel auch die Zucht zulässigen Projektzieles keine geeignete Alter­
transgener Tiere unter bestimmten Vorausset­ nativmethode (zum Beispiel Zellkulturen) an­
zungen als Tierversuch, sodass nun auch Tie­ gewandt werden kann. Ist die Durchführung
re gezählt werden müssen, die nach der alten des Tierversuchs unerlässlich, so gebieten es
Rechtslage statistisch nicht erfasst wurden. die Prinzipien der Reduction und des Refine­
ments, die Zahl der Versuchstiere und den
Grad ihrer Belastung auf jenes Minimum zu
„Die Forschung ist ein freies reduzieren, das zur Beantwortung der Frage­
Experimentierfeld!“ stellung unbedingt erforderlich ist. So müssen
Versuchstiere bei der Vornahme schmerzhaf­
Vielfach herrscht die Vorstellung, dass Tierver­ ter Eingriffe grundsätzlich betäubt und mit
suche unter dem Deckmantel der Wissen­ Schmerzmitteln versorgt werden. Die tier­
schaftsfreiheit in einem mehr oder weniger schutzrechtlichen Bestimmungen lassen hin­
rechtsfreien Raum durchgeführt werden. Tat­ gegen zu, dass erheblich schmerzhafte Ein­
sächlich gibt es jedoch kaum ein anderes griffe an landwirtschaftlichen Nutztieren (zum
Rechtsgebiet, das so engmaschig reguliert ist Beispiel die Kastration männlicher Ferkel und
wie das Tierversuchsrecht. Es legt zum Bei­ das Enthornen von Kälbern) bis zu einer be­
spiel genau fest, durch welche Maßnahmen stimmten Altersgrenze der Tiere ohne Betäu­
der Schutz der Versuchstiere in der Planungs­ bung und Schmerzbehandlung durchgeführt
phase und im Rahmen der Durchführung des werden dürfen.
Tierversuchs zu gewährleisten ist.
Die Einhaltung der tierversuchsrechtlichen An­ „Eine Maus und eine Pipette
forderungen wird in einem behördlichen Geneh­
migungsverfahren geprüft. Eine Genehmigung
reichen aus, um einen Tierver-
ist aber nicht nur für die einzelnen Tier­ ver­ such durchzuführen!“
suchsprojekte, sondern auch für die Projekt­
Das Tierversuchsrecht legt genaue Anforderun­
leiterInnen sowie für die Einrichtungen, die
gen an die Infrastruktur und das Personal der
Versuchstiere verwenden, züchten oder lie­
Einrichtungen fest, in denen Tierversuche durch­
fern, erforderlich.
geführt werden. Diese Einrichtungen, die sog.
Verwender, Züchter und Lieferanten unterlie­ Verwender, müssen über die erforderlichen
gen der behördlichen Überwachung. Verwender Anlagen zur ordnungsgemäßen Haltung der

36
Faktencheck – Zehn Vorurteile über Tierversuche
Versuchstiere und über die notwendige medi­ werden kann. Ein Verzicht auf den Tierversuch
zinisch-technische Ausstattung zur Durchfüh­ würde folglich einen Verzicht auf den möglichen
rung der Versuche verfügen. Zudem muss Erkenntnisgewinn und den damit verbundenen
eine ausreichende Anzahl an entsprechend Fortschritt bedeuten. Zahlreiche Beispiele zei­
ausgebildeten Personen (zum Beispiel Tier­ gen, dass der gegenwärtige Kenntnisstand in
pflegerInnen) und ein Tierarzt bzw. eine Tier­ den Lebenswissenschaften, insbesondere in
ärztin in der Einrichtung tätig sein. Diese An­ der Medizin, ohne Durchführung von Tierver­
forderungen werden im Verfahren zur Erteilung suchen nicht vorstellbar wäre. Die mit Hilfe
einer Genehmigung als Verwender überprüft. von Tierversuchen erzielten Ergebnisse kom­
men in vielerlei Hinsicht dem Menschen, Tie­
Gut ausgebildetes Personal ist nicht nur für den
ren und der Umwelt zugute. An erster Stelle
Schutz der Versuchstiere, sondern auch für
sind hier die Erforschung von Erkrankungen
optimale Versuchsergebnisse Voraussetzung.
bei Mensch und Tier sowie die Entwicklung
An der Veterinärmedizinischen Universität Wien
neuer Methoden zur Prophylaxe, Diagnose
werden laufend Kurse zur Schulung im tier­
und Therapie in der Human- und Veterinärme­
schutzkonformen Umgang mit Versuchstieren
dizin zu nennen. Durch die Sicherheitsprüfung
angeboten.
von Arzneimitteln und anderen Medizinpro­
dukten kann das Risiko neuer Wirkstoffe für
„Alle Tierversuchsanträge wer- den Menschen erheblich gesenkt werden.
den genehmigt!“ Verbesserte und neue Möglichkeiten zur Er­
Da Anträge auf Genehmigung von Tierversuchs­ kennung und Behandlung von Tierkrankheiten
projekten in der Regel einem mehrstufigen Prüf­ sind von unmittelbarem Nutzen für die betrof­
verfahren unterzogen werden, ist die Anzahl der fenen Heim- bzw. Nutztiere und kommen mittel­
abgewiesenen Anträge gering. An den meisten bar auch ihren HalterInnen zugute. Im Fall von
Forschungseinrichtungen werden Projektanträ­ Zoonosen, das heißt von Krankheiten, die auf
­ge zunächst von internen ExpertInnenkommi­s­ den Menschen übertragen werden können, pro­
­sionen geprüft. An der Veterinärmedizinischen fitiert der Mensch unmittelbar von der veteri­
Universität Wien wurde zu diesem Zweck be­ närmedizinischen Forschung. Veterinärmedi­
reits 2005 die Ethik- und Tierschutzkommissi­ zinische Forschungsprojekte befassen sich
on (ETK) eingerichtet. aber zum Beispiel auch mit der Verbesserung
von Haltungssystemen für landwirtschaftliche
Nur Projektanträge, die diese interne Vorbe­ Nutz­ tiere und mit der tierschutzkonformen
gutachtung bestanden haben, werden bei der Durchführung von Eingriffen, die in der Nutz­
Behörde eingereicht. Nun beginnt das gesetz­ tierhaltung routinemäßig vorgenommen wer­
lich vorgesehene Genehmigungsverfahren. den; sie bearbeiten damit Fragen, die von un­
Werden nicht alle Voraussetzungen für die Er­ mittelbarer Bedeutung für den Tierschutz sind.
teilung der Genehmigung erfüllt (zum Beispiel
weil ein unzulässiger Versuchszweck verfolgt Das Tierversuchsrecht verpflichtet die For­
wird), muss der Antrag abgewiesen werden. scherInnen zu einem verantwortungsvollen Um­
gang mit den Tieren. Dieser ist konsequent ein­
zufordern und liegt auch im Eigeninteresse
„Forschung an Tieren ist der Forschenden, da der Schutz der Versuchs­
verantwortungslos!“ tiere ein Instrument für die Qualitätssicherung
der tierexperimentellen Forschung darstellt.
Ein Tierversuch darf nur dann durchgeführt wer­
den, wenn der angestrebte Erkenntnisgewinn
ohne Verwendung lebender Tiere nicht erreicht

37
Anhang

Rechtsgrundlagen
Zum Download auch zu finden unter: www.vetmeduni.ac.at/tierschutzrecht
Bundesgesetz über Versuche an lebenden Tieren (Tierversuchsgesetz 2012 – TVG 2012),
BGBl. I Nr. 114/2012, Art. 1, v. 28.12.2012.
Verordnung zur Durchführung des Tierversuchsgesetzes 2012 (Tierversuchs-Verordnung 2012
– TVV 2012), BGBl. II Nr. 522/2012.
Verordnung über die statistische Erfassung von Tierversuchen (Tierversuchsstatistik-Verordnung
2013 – TVSV 2013), BGBl. II Nr. 501/2013 v. 23.12.2013.
Verordnung zur Festlegung eines Kriterienkataloges zur Objektivierung der Schaden-Nutzen-­
Analyse von Tierversuchen (Tierversuchs-Kriterienkatalog-Verordnung – TVKKV), BGBl. II Nr.
460/2015.
Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010
zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, ABl. L 2010/276, 33.

Internetressourcen
Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft
http://wissenschaft.bmwfw.gv.at/bmwfw/forschung/national/forschungsrecht/tierversuche/
Europäische Kommission
http://ec.europa.eu/environment/chemicals/lab_animals/home_en.htm

Literaturtipp
Wissenschaftliche Verantwortung im Tierversuch. Ein Handbuch für die Praxis.
Herausgegeben von R. Binder, N. Alzmann, und H. Grimm. Baden-Baden: Nomos Verlag 2013.

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