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UNTERRICHTSENTWICKLUNG

Sonderpädagogische Förderung
in den Berliner Schulen
Teil 4:
Förderung im Bereich der
emotionalen und sozialen Entwicklung

Bildungsregion Berlin-Brandenburg
Folgende Handreichungen sind bereits erschienen:

Teil 1: Diagnostik – Überprüfung grundlegender Kompetenzen in


den Bereichen Wahrnehmung und Motorik am Schulbeginn
Teil 2: Förderplanung
Teil 3: Temporäre Lerngruppen in der Schulanfangsphase

Impressum

Herausgeber:
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM)

14974 Ludwigsfelde-Struveshof
Tel.: 03378 209-200
Fax: 03378 209-232
Internet: www.lisum.berlin-brandenburg.de

Autorinnen und Autoren:


Fachmultiplikatorinnen/ Fachmultiplikatoren „Emotional-soziale Entwicklung“ und
koordinierende Ambulanzlehrkräfte (Moderation: Martin Harten)
Redaktion:
Tanja Hülscher, Peter-Jordan-Schule, Charlottenburg-Wilmersdorf
Ansprechpartnerin:
Christiane Winter-Witschurke, Referentin Sonderpädagogische Förderung, LISUM
E-Mail: christiane.winter-witschurke@lisum.berlin-brandenburg.de
Layout:
Christa Penserot
Foto: SenBWF

©
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM); Mai 2008
ISBN 978-3-9810733-6-2
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte ein-
schließlich Übersetzung, Nachdruck und Vervielfältigung des Werkes vorbehalten. Kein Teil
des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des LISUM in irgendeiner Form (Fotokopie,
Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer
Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Eine Vervielfältigung für schulische
Zwecke ist erwünscht. Das LISUM ist eine gemeinsame Einrichtung der Länder Berlin und
Brandenburg im Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des
Landes Brandenburg (MBJS).
Inhaltsverzeichnis

Vorwort ........................................................................................................... 5

Einleitung........................................................................................................ 7

1 Was bedeutet Förderbedarf im Bereich der emotionalen und


sozialen Entwicklung? ............................................................................ 9

2 Welche Bedingungen sind in der Schule förderlich


für den Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen?..................... 11

3 Wie kann man im Schulalltag mit verhaltensschwierigen


Kindern gezielt arbeiten?...................................................................... 14

4 Welche besonderen Entwicklungsverläufe können mit


dem Verhalten des Kindes in Zusammenhang stehen? ....................... 26

5 Wie gestaltet man hilfreiche Beratungsprozesse?................................ 33

6 Wie wird sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich


emotionale und soziale Entwicklung festgestellt?................................. 36

7 Wo finde ich Unterstützung und Ansprechpartner? .............................. 37

3
4
Vorwort

Vermutlich hat noch keine Lehrergeneration so intensiv an dem Verständnis


ihrer Rolle als Lehrkraft gearbeitet wie die heutige.
Das gilt für die Lehrkräfte in allen Schulstufen und Schularten gleichermaßen
und hat mit den grundlegenden Neuerungen, von denen Schule derzeit be-
stimmt wird, zu tun. Die Erwartungen der Gesellschaft haben sich gewandelt,
Kindheit hat sich verändert, unser Verständnis von Lernen ist weiterentwickelt –
um nur drei Aspekte zu nennen.
Das Berliner Schulgesetz des Jahres 2004 greift die Entwicklungen auf, in-
dem es z. B. im § 4 festlegt, dass jede Schule dafür Verantwortung trägt,
„dass die Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihren Lernausgangsla-
gen, an ihrer Schule das Ziel der jeweiligen Schulart oder des jeweiligen Bil-
dungsganges erreichen.“ Dabei wird dem gemeinsamen Unterricht, der
gemeinsamen Erziehung sowie dem gemeinsamen Lernen der Schülerinnen
und Schüler Priorität gegeben. D. h. Schule hat den Auftrag, auftretenden
Lernproblemen aller Kinder und Jugendlichen mit Maßnahmen der Präventi-
on, der rechtzeitigen und zusätzlichen Förderung zu begegnen.
Die vorliegende Handreichung richtet sich an die Kolleginnen und Kollegen,
die – gleich in welcher Einrichtung – Schülerinnen und Schüler unterrichten,
die zusätzliche Unterstützung im Bereich ihrer emotional-sozialen Entwick-
lung benötigen.
Ich bin sicher, (fast) jede Lehrkraft kommt irgendwann einmal im schulischen
Alltag an die Stelle, an der sie sich fragt, wie Kindern oder Jugendlichen zu
begegnen ist, deren Verhalten Besonderheiten oder gar dauerhaft Beson-
derheiten aufweist.
In den letzten Jahren hat die Zahl von Kindern mit sonderpädagogischem
Förderbedarf in der allgemeinen Schule zugenommen; Kinder mit dem För-
derbedarf im Bereich der emotional-sozialen Entwicklung sind durchweg –
sofern kein weiterer Förderbedarf vorliegt – in dieser Schulform.
In keinem Feld erzieherischen und unterrichtenden Handelns gerät das eige-
ne Verhalten der Lehrkraft, die Interaktion zwischen Kind und Lehrkraft so in
den Blick wie im Umgang mit Kindern, die wir uns angewöhnt haben „auffäl-
lig“ zu nennen. Auffällig – wodurch? Für wen? Die Fachwelt ist abgerückt von
personenbezogenen Erklärungsmodellen für menschliches Verhalten, die die
Gründe für ein Verhalten zeigen. Immer stärker haben systemische Sichtwei-
sen sich durchgesetzt, die unser Augenmerk auf den Kontext und das ihm
innewohnende Regelwerk einer Beziehung lenkt.
Es ist viel Spezialwissen aber auch Erfahrung notwendig, um mit der hier
angesprochenen Schülergruppe so umzugehen, dass für sie selbst und die
Klasse, in der sie lernen, positive Entwicklungen entstehen. Immer stehen
dabei das Verhalten, die Kommunikationsregeln, die Fähigkeit zum Dialog
und zu Empathie auch der Lehrerin, des Lehrers auf dem Prüfstand. Es ist
zugleich die Frage nach dem Selbstverständnis der eigenen Profession und
der darin gelebten Rolle als Lehrerin und Lehrer. Dazu gehört, das eigene

5
Handeln in Bezug auf die Kontexte, in dem die Interaktion mit dem Gegen-
über geschieht, reflektieren zu können.
Ich danke den Autorinnen und Autoren für ihr Engagement und ihre Arbeit
und wünsche den Nutzerinnen und Nutzern Erfolg bei der Anpassung der in
der Handreichung gemachten Anregungen auf ihre Praxis.

Mascha Kleinschmidt-Bräutigam
Leiterin der Abteilung Unterrichtsentwicklung

6
Einleitung

Wie ist die Handreichung entstanden?


Die vorliegende Handreichung ist ein Ergebnis des intensiven kollegialen Ver-
ständigungsprozesses im überregionalen Berliner Fachtreffen der Ambulanz-
lehrkräfte für den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Emotionale und
soziale Entwicklung“. Dieses Fachtreffen findet seit 1994 in der Regel monatlich
statt und ist ein Instrument der Qualitätssicherung und -entwicklung der ambu-
lanten Sonderpädagogik. In der Regel nehmen daran ein bis zwei Ambulanz-
lehrkräfte für diesen Förderschwerpunkt aus jeder Berliner Region teil, von
denen darüber hinaus viele – teilweise seit mehreren Jahren – ebenfalls als
Multiplikatorin oder Multiplikator oder in den Regionen tätig sind. Die wesentli-
chen Inhaltsbereiche des Treffens sind: Fachlicher Austausch, gemeinsame
Fortbildung und kollegiale Intervision. Seit Beginn des Schuljahres 2007/2008
findet das Fachtreffen als „LISUM-Fachkonferenz der Ambulanzlehrkräfte und
Multiplikatorinnen bzw. Multiplikatoren (Emotional-soziale Entwicklung)“ statt.

Was kann ich in der Handreichung finden?


Die Handreichung versammelt wesentliche Grundlagen und Erfahrungen der
Sonderpädagogik des Förderschwerpunktes „Emotionale und soziale Entwick-
lung“, sie gibt Hinweise auf erprobte und bewährte Handlungsstrategien im Um-
gang mit „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen. Als praxisorientiertes
Kompendium beansprucht die Handreichung keine Vollständigkeit, sie ist die
Momentaufnahme eines Arbeitsprozesses und wird erst durch die Anpassun-
gen und Veränderungen der Nutzerinnen und Nutzer lebendig. Die Handrei-
chung soll den Zugang zu der umfänglichen Fachliteratur und den vorliegenden
Handbüchern erleichtern, sie ist als Ergänzung/Einstiegshilfe gedacht und kann
ein sonderpädagogisches Studium nicht ersetzen.

An wen richtet sich die Handreichung?


Zielgruppe der vorliegenden Handreichung sind alle Lehrkräfte der allgemeinen
Schulen, die Unterstützung im Umgang mit ‚schwierigen’ Schülerinnen und
Schülern suchen und/oder sonderpädagogische Förderung durchführen, sowie
alle Lehrerinnen und Lehrer der sonderpädagogischen Förderzentren, die in
den allgemeinen Schulen – besonders auch in der Schulanfangsphase – bera-
tend und unterstützend tätig sind.

Was ist der Orientierungsrahmen?


Für den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale
Entwicklung“ sind verschiedene theoretische Orientierungen als erkenntnis- und
handlungsleitend anzutreffen. Innerhalb des Fachtreffens der Berliner Ambu-
lanzlehrkräfte hat sich ein offener, bewusster Umgang mit den unterschiedlichen
theoretischen Schulen und den darauf begründeten Verfahrensweisen als wert-
voll und fruchtbar für die Bestimmung der jeweiligen persönlichen Standpunkte
und Haltungen der Kolleginnen und Kollegen erwiesen. Es bleibt daher den
Nutzerinnen und Nutzern der Handreichung überlassen, das für sie jeweils Pas-
sende und Handhabbare dem Material zu entnehmen, es für ihre Zwecke um-

77
zugestalten und zu ergänzen. Geeignete Foren für diese Arbeit sind die schuli-
schen Teams, die Fach- und Regionalkonferenzen sowie spezielle Veranstal-
tungen der regionalen Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer.

Dank
Der Dank für die geleistete Arbeit gilt den Ambulanzlehrerinnen und Ambu-
lanzlehrern, die in unermüdlicher Kleinarbeit seit 2006 Texte erstellt, disku-
tiert, verändert, verworfen und neu gefasst haben. Der gemeinsame
Verständigungsprozess war als Weg und Ziel gleichermaßen wertvoll und
korrespondiert mit einer grundlegenden Erkenntnis unserer Arbeit: Eine,
wenn nicht die Gelingensbedingung für die Förderung schwieriger Schülerin-
nen und Schüler ist das Erarbeiten eines gemeinsamen Fallverständnisses
der beteiligten Helferinnen und Helfer.

8
1 Was bedeutet Förderbedarf im Bereich der emotionalen
und sozialen Entwicklung?
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt „Emo- KMK-
Empfehlung
tionale und soziale Entwicklung“ in der Beschlussfassung vom 10.03.2000
definiert die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem
Förderbedarf in diesem Bereich als Kinder und Jugendliche „mit Beeinträch-
tigungen der emotionalen und sozialen Entwicklung, des Erlebens und der
Selbststeuerung [...], wenn sie in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungs-
möglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen
Schule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden
können.“
Im Berliner Schulrecht findet diese Definition ihre Konkretisierung in § 13 der Das Berliner
Schulrecht/
Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 19. Januar 2005 die SopädVO
(SopädVO):
„(1) Im sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale
Entwicklung“ werden Schülerinnen und Schüler gefördert, die auf Grund von
erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der emotionalen und sozialen
Entwicklung sowie des Erlebens und des Verhaltens ohne diese Förderung
in der allgemeinen Schule nicht oder nicht hinreichend unterstützt werden
können.
(2) Ziele der Förderung sind der Erwerb und die Festigung emotional-sozialer
Kompetenzen, eine bestmögliche schulische und berufliche Eingliederung sowie
die Befähigung zu einer individuell und sozial befriedigenden Lebensführung.“
Die Kultusministerkonferenz weist in ihrer Empfehlung darauf hin, dass es
sich nicht nur um Schülerinnen und Schüler mit als Auffälligkeiten wahrge-
nommenen Handlungsweisen handelt, wie z. B. „Verstöße gegen die Regeln
im Umgang mit Mitschülerinnen und Mitschülern oder Lehrerinnen und Leh-
rern, gegen Arbeitsanforderungen, gegen Normen der Klasse und der Schule“.
Nicht nur die
„Schülerinnen und Schüler können sich [...] auch ängstlich zurückziehen, sich ‚auffälligen’
abkapseln, in Passivität verharren oder allgemein gehemmt sein. Sie fühlen Kinder können
Förderbedarf
sich hilflos, haben kein Zutrauen zu sich und scheitern fast immer an Ange- haben!
boten des selbstständigen Lernens.“
Da letztgenannte Schülerinnen und Schüler uns Pädagoginnen und Pädagogen
im alltäglichen Unterricht am wenigsten auffallen, sich nicht beklagen und fast
nie Hilfe oder Unterstützung einfordern, sollte auch ihnen unser ganz besonde-
res Augenmerk gelten.
Die Bedingungsfaktoren für das Entstehen eines besonderen Förderbedarfs Vielschichtige
Bedingungs-
im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung sind vielschichtig. faktoren
Wichtig ist jedoch zu verstehen, dass Beeinträchtigungen im Erleben und
sozialen Handeln „[...] nicht auf unveränderliche Eigenschaften der Persön-
lichkeit zurückzuführen, sondern als Folge einer inneren Erlebens- und Er-
fahrungswelt anzusehen [sind], die sich in Interaktionsprozessen im
persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Umfeld heraus-
bildet. Pädagogische Interventionen sind deshalb in erster Linie auf die Be-
reitstellung von Möglichkeiten zur Veränderung innerer Verhaltensmuster
und zur individuellen Anpassung an äußere Rahmenbedingungen sowie auf

9
den Erwerb und die Stärkung emotionaler und sozialer Fähigkeiten gerich-
tet.“ (KMK, 2000)
Ambulanz- „Erziehung im schulischen Rahmen verlangt ein ebenso planmäßiges, sys-
lehrkräfte
für den
tematisches Vorgehen wie Kenntnisvermittlung.“ 1 Schulische Förderung der
Förder- emotional-sozialen Entwicklung sollte also ebenso wie in allen anderen Be-
schwerpunkt
Em-soz.
reichen planvoll, zielgerichtet und frühzeitig stattfinden. Eine gute Unterstüt-
Entwicklung zung bei der Planung geeigneter Fördermaßnahmen können die in jeder
gibt es in
jedem Bezirk
Region tätigen Ambulanzlehrkräfte für den Förderschwerpunkt „Emotional-
soziale Entwicklung“ sein. „Sie befassen sich insbesondere mit der Diagnos-
tik von sonderpädagogischem Förderbedarf, begleiten beratend behinderte
und von Behinderung bedrohte Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehr-
kräfte und Erziehungsberechtigte, informieren über spezielle Fördermaß-
nahmen im Unterricht, unterstützen die wohnortnahe Integration in der
allgemeinen Schule und leisten ambulante behinderungsspezifische Hilfen...“
(§ 4, Abs. 8, SoPädVO). Die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner
kann Ihnen das für Ihren Einzugsbereich zuständige sonderpädagogische
Förderzentrum benennen.

1
Bergsson/Luckfiel: „Umgang mit schwierigen Kindern“, Berlin 1998, S. 28

10
2 Welche Bedingungen sind in der Schule förderlich für
den Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen?
Wir alle wissen, dass der Lernerfolg in Bezug auf den Kompetenzerwerb im
fachlichen Sinne davon abhängig ist, ob dem Kind die dafür notwendigen und
anregenden Lernangebote gemacht werden. Aufgabe der Lehrkräfte ist es,
dem Kind Lernerfolge zu ermöglichen und es an inhaltliche Herausforderun-
gen heranzuführen, das Kind bei der Bewältigung der Aufgaben zu unterstüt-
zen und seine Lernmotivation zu fördern.
Auch der Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen ist ein Lernpro- Angemesse-
zess. 2 Mit Beginn der Schulzeit begegnen Kinder einer Vielzahl neuer Her- nes Verhalten
kann erlernt
ausforderungen im sozialen Umgang, mit Erwachsenen und Gleichaltrigen. werden!
Aus unterschiedlichen Gründen haben manche Kinder bei Schuleintritt die
dafür erforderlichen Kompetenzen noch nicht in altersentsprechendem Maße
erworben. In der Schule gilt es also nun, die Lernumgebung so zu gestalten,
dass das Kind die notwendigen Kompetenzen in diesem Bereich erfolgreich
erlernen kann.
Es ist davon auszugehen, dass Kinder, die noch gravierende Probleme im Um-
gang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen haben, bereits eine Vielzahl von
„Fehlschlägen“ im sozialen Kontext erfahren mussten. Schwierige Situationen
haben sie bisher mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewältigen
versucht, ohne dabei erfolgreich zu sein. Es ist deshalb verständlich, dass es
diesen Kindern an Selbstvertrauen und Selbstbewusstheit fehlt, auch wenn man
häufig durch ihr offensives Auftreten das Gegenteil vermuten könnte.
Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen sozialer und emotionaler Kompe- Wichtig:
Die Lehrer-
tenzen ist gerade deshalb eine Lehrerhaltung, die geprägt ist durch Annah- haltung!
me, Wertschätzung, Transparenz und Zuverlässigkeit. Der Blick der
Pädagoginnen und Pädagogen sollte sich auf positive Ansätze und Erfolge
richten, die es zu verstärken und zu fördern gilt. „Schwierige Kinder“ haben
häufig erlebt, dass mit der Ablehnung bestimmter unangemessener Verhal-
tensweisen eine Abwertung ihrer Person verbunden wurde. Nicht das Kind ist
per se schlecht, sondern bestimmte Verhaltensweisen sind nicht angemes-
sen und müssen verändert werden. Dass sich eine solche Veränderung
lohnt, erleben Kinder dort, wo sie für das richtige Verhalten gelobt oder be-
lohnt werden, wo sie in ihrer gesamten Persönlichkeit angenommen, ernst
genommen und akzeptiert werden.
Für die Lehrkraft bedeutet dies, sich auch über die eigenen Gefühle zum
Kind klar zu sein und die notwendige Distanz zu wahren, um pädagogisch
handlungsfähig zu bleiben. Mit regelverletzendem Verhalten „meint“ das Kind
nicht automatisch die Lehrkraft oder die Mitschülerinnen bzw. Mitschüler. Für
die Lehrkraft kann es dabei hilfreich sein, im Rahmen einer kollegialen Fall-
beratung 3 im Team schwierige Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln
zu betrachten.

2
In den Rahmenlehrplänen der Berliner Schule findet dies im Ziel Kompetenzentwicklung (insbes. personale und
soziale Kompetenz) seine Entsprechung
3
vgl. hierzu Kapitel 5

11
Strukturen Insbesondere am Schulanfang ist es für alle Kinder wichtig, dass es feste,
im Schulall-
tag als wiederkehrende Strukturen im Alltag, in der Schule und im Klassenraum gibt.
Orientie-
rungshilfe! Unvorhersehbarkeit und fehlende Transparenz fördern Ängste und führen zu
Orientierungsschwierigkeiten, die sich nicht selten in Konflikten äußern. Mit Hilfe
klarer äußerer Strukturen gelingt es Kindern besser, innere Strukturen aufzu-
bauen. So kann z. B. das Besprechen und Visualisieren der für den Schulvormit-
tag geplanten Aktivitäten (durch Bildkarten an der Tafel) die zeitliche und eine
klare Aufteilung des Klassenraumes in Funktionsbereiche die räumliche Orien-
tierung erheblich erleichtern. Innerhalb bekannter und vertrauter Strukturen kön-
nen Kinder schneller erfolgreich handeln und sich sicherer fühlen.
Rituale schaf- Rituale (wie z. B. der Erzählkreis am Montag) unterstützen das Gefühl von
fen Sicherheit Sicherheit und Vertrautheit und fördern zudem das Zugehörigkeitsgefühl zur
Gruppe („Das machen wir immer so!“). 4

Regeln: Darüber hinaus ist es notwendig, klare Regeln des Zusammenlebens für
konkret und Kinder verständlich festzulegen und zu begründen, sowie die Konsequenzen
positiv!
von Regelverstößen im Vorfeld zu vereinbaren. Weiß das Kind, dass es sich
bei einer Sanktion um die logische Konsequenz seines Verhaltens handelt,
empfindet es diese weniger als Strafe und kann so lernen, die Verantwortung
für das eigene Handeln zu übernehmen. Hat andererseits die Lehrkraft Klar-
heit darüber, was als Regelverstoß gilt und wie die zuvor vereinbarte Reakti-
on darauf sein soll, wird die Entscheidung von seinen eigenen Gefühlen
losgelöst und es entsteht weniger persönliche Betroffenheit.
Grundsätzlich sollten Regeln positiv formuliert sein und das erwartete Verhal-
ten konkret beschreiben, damit die Kinder Handlungsalternativen entwickeln
können (Was könnte ich stattdessen in der Situation tun, um das Gewünsch-
te zu erreichen und wie mache ich das?). 5
Vereinbarungen innerhalb einer Klasse und Schule im Umgang mit Konflik-
ten, eine von den Kindern als fair und konstruktiv erlebte ‚Streitkultur’ schaf-
fen Verhaltenssicherheit und erleichtern das Regelnlernen. 6
Neben einem entwicklungsfördernden Umfeld ist es wichtig zu hinterfragen,
inwieweit das Verhalten des Kindes mit persönlichen Voraussetzungen im
Zusammenhang stehen könnte, die ein erfolgreiches Lernen sozialer und
emotionaler Fähigkeiten und Fertigkeiten erschweren.
Entwicklungs- Verhaltensauffälligkeiten können in engem Zusammenhang stehen mit Stö-
risiken rungen oder Verzögerungen in der Entwicklung von Wahrnehmung und Mo-
frühzeitig
erkennen und torik. Das Erheben der Lernausgangslage in diesem Bereich ermöglicht es,
ausschließen! entsprechende Entwicklungsrisiken frühzeitig zu erkennen und eine gezielte
Förderung, möglicherweise auch durch außerschulische Maßnahmen, einzu-
leiten. 7
Verhaltensauffälligkeiten können auftreten in Wechselwirkung mit Unter- oder
Überforderung bezogen auf das Lern- und Leistungsvermögen der Kinder.
Es ist verständlich, dass Kinder Strategien entwickeln, Anforderungen zu

4
Eine umfangreiche Sammlung hierzu findet sich in Hüsten, Gisela u. a.: Hilfreiche Rituale im Grundschulalltag“,
München 2000
5
vgl. hierzu: „Regeln über Regeln“ in Bergsson/Luckfiel: „Umgang mit schwierigen Kindern“, Berlin 1998, S.64
6
vgl. dazu in Kapitel 3 die Abschnitte zu Streitschlichter/Konfliktlotsen und TuT WAS
7
vgl. Handreichung „Diagnostik“

12
vermeiden, wenn sie nur Misserfolge erleben. Die Materialien „Lernaus-
gangslage Berlin“ für Schulanfänger (LauBe) bieten hier hilfreiche Informati-
onen darüber, ob das Kind über die notwendigen Voraussetzungen für das
Lernen in den Bereichen Schriftsprache und Mathematik verfügt oder ob eine
frühzeitige individuelle Förderung erforderlich ist. 8
Für die gezielte Förderung und Förderplanung im Bereich emotionaler und Förderung
sozialer Entwicklung ist es notwendig, den momentanen Entwicklungsstand beginnt dort,
wo das Kind
des Kindes möglichst genau zu beschreiben. Erfolgreiches Lernen kann nur steht!
stattfinden, wenn das ausgewählte Förderziel für das Kind nicht zu hoch an-
gesetzt, also erreichbar ist. Diagnostische Hilfestellungen bieten hier z. B.
der „Entwicklungstherapeutische Lernziel- Diagnosebogen“ (ELDIB) 9 , die
„Diagnostischen Einschätzskalen“ 10 oder die Materialien zur psychosozialen
Gesamtsituation aus den IleA- Materialien des LISUM. 11
Da sich möglicherweise bestimmte aus unserer Perspektive manchmal nicht
angemessene Verhaltensweisen eines Kindes in seinem bisherigen Lebens-
umfeld als nützliche Strategien erwiesen haben, ist es hilfreich, sich über die
häuslichen Erziehungsbedingungen zu informieren und die Eltern ebenso wie
das Kind in die Planung und Umsetzung angestrebter Veränderungen mit
einzubeziehen.

Von einer gezielten Förderung der emotionalen sozialen Kompetenzen im Förderziele


Unterricht 12 oder in temporären Lerngruppen 13 profitieren letztlich alle Kin-
der. Ziele einer solchen Förderung sind z. B.:
- die Verbesserung der Selbst- und Fremdwahrnehmung,
- die Verbesserung von Konzentration und Aufmerksamkeit 14 ,
- die Steigerung des Selbstwertes und –vertrauens,
- die Verbesserung der Selbststeuerung im Umgang mit Gefühlen
und Impulsen,
- die Verbesserung kommunikativer Kompetenz,
- die Steigerung der Frustrationstoleranz und
- die Erweiterung der Konfliktlösungsstrategien.

8
vgl. auch Handreichungen „Förderplanung“
9
zum ETEP- Konzept (Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik) siehe auch Kapitel 3
10
Barth, Karlheinz: „Lernschwächen früh erkennen im Vorschul- und Grundschulalter“, Ernst Reinhardt Verlag,
München und Basel 2003
11
Erhältlich unter http://www.bildung-brandenburg.de/ilea.html
12
z. B.
- mit dem Curriculum Faustlos: Manfred Cierpka: „FAUSTLOS - Wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen
lernen“, Herder Verlag, www.faustlos.de (siehe auch Kap. 3)
- durch Spiele: Smith, Charles A.: „Hauen ist doof – 162 Spiele gegen Aggressionen in Kindergruppen“,
Verlag an der Ruhr Portmann, Rosemarie: „Spiele zum Umgang mit Agressionen“, Don Bosco Verlag
- durch Geschichten: Meyer-Glitza, Erika: Therapeutische Geschichten (zu verschiedenen
Schwerpunkten wie Trennung, Umgang mit Wut...) Iskopress Dörner, Karin/ Nebel, Christiane/ Redlich,
Alexander: „Geschichten für gestresste Kinder“, Herder Verlag
13
z. B. Petermann, Franz/Koglin, Ute/Natzke, Heike: „Verhaltenstraining für Schulanfänger. Ein Programm zur
Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen“, Hogrefe-Verlag
Petermann, Franz/ Koglin, Ute/Natzke, Heike: „Auf Schatzsuche - Ein Abenteuer mit Ferdi und seinen Freunden“.
Das Arbeitsheft für Kinder zum „Verhaltenstraining für Schulanfänger“ Hogrefe-Verlag(siehe auch. Kap. 3)
14
Ein spezielles Training der Konzentration und Aufmerksamkeit bietet z.B.: Krowatschek, Dieter: „Marburger
Konzentrationstraining“, Borgmann Verlag/ www.krowatschek.de
Krowatschek/ Krowatschek/ Hengst: „Das ADS-Trainingsbuch Band 1: Methoden, Strategien und Materialien für
den Einsatz in der Schule“, AOL-Verlag

13
3 Wie kann man im Schulalltag mit verhaltensschwierigen
Kindern gezielt arbeiten?

Agieren Im Sinne einer Förderung von konstruktiven Verhaltensmustern ist es notwen-


statt
reagieren!
dig, den Fokus unseres pädagogischen Bemühens zu verschieben. Anstatt auf
das unangemessene Verhalten eines Kindes zu re-agieren, sollte die Lehrkraft
üben, in einer Art und Weise zu agieren, die es dem Kind ermöglicht, sich an-
ders (angemessen) zu verhalten15 . In Kapitel 2 wurde bereits darauf hingewie-
sen, wie sich ein hierfür förderliches Lernumfeld schaffen lässt. Darüber hinaus
möchten wir Ihnen nun einige pädagogische Interventionen für den Schulalltag
nahe bringen, die sich als nützlich erwiesen haben und die man durch Übung
leicht in sein pädagogisches Handlungsrepertoire integrieren kann. Wichtig ist
jedoch zu wissen, dass es sich hier nicht um allgemeinwirksame ‚Rezepte’ oder
Lösungen handelt: „Techniken des Lehrerverhaltens allein sind unwirksam! Eine
bestimmte pädagogische Haltung gehört dazu, die die Technik erst wirksam
macht. Erst aus solcher Haltung heraus können Sie kompetent entscheiden,
was sie wann und wie bei welchem Kind einsetzen wollen.“ 16

Die Basis:
Eine wertschätzende und akzeptierende Haltung gegenüber dem Kind! Mit sei-
nem Verhalten richtet sich das Kind nicht gegen mich als Lehrkraft. Vielmehr ist
dieses Verhalten Ausdruck einer subjektiven (erlernten) Bewältigungsstrategie.
Diese Sichtweise ermöglicht es Ihnen, im ‚Ernstfall’ professionelle Distanz und
so Ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren.

Das Handwerkszeug:
Angemessenes Verhalten ist es wert, bemerkt zu werden!

Loben
Aus dem Alltag wissen wir, dass sich immer wiederholende Ermahnungen sel-
ten zu dauerhaftem Erfolg führen. Tatsächlich wissen Kinder auf der Verhal-
tensebene häufig genau, was sie ‚falsch’ gemacht haben, aber nur selten, wenn
sie etwas gut und richtig machen. Wenn wir wollen, dass das richtige Verhalten
sich wiederholt, müssen wir es (glaubwürdig) loben. Achtung: Manche Kinder
können direktes Lob nur schwer annehmen, z. B. weil es ihnen vor dem Hinter-
grund ihres negativen Selbstbildes als unehrlich erscheint. Gewöhnen Sie diese
Kinder langsam daran, indem sie sie indirekt (z. B. im Gespräch mit einem zwei-
ten Erwachsenen) lobend erwähnen, ihnen unauffällig ermutigende Zeichen/
Signale geben oder ihr Verhalten zunächst nur spiegeln.
Ignorieren Nicht jede Unterrichtsstörung verlangt sofort eine Intervention. Bewusstes Igno-
rieren, in der Annahme, dass sich die Störung umso schneller von selbst erle-
digt, je weniger Aufhebens man darum macht, kann verhindern, dass sich kleine
Störungen zu großen Problemen auswachsen.
Achtung: Ignorieren Sie nur die Dinge, von denen Sie wissen, dass es Ihnen
auch dauerhaft gelingt, Sie ‚auszublenden’. Unterrichtsstörungen, die auf das

15
Einen guten Überblick zu der diesem Ansatz zugrunde liegenden pädagogischen Haltung bieten
Bergsson/Luckfiel in ihrem Buch „Umgang mit schwierigen Kindern“, Berlin 1998
16
Bergsson/Luckfiel, S. 50

14
Erlangen Ihrer Aufmerksamkeit abzielen, können eskalieren. Hier sollte man
z. B. mit Spiegeln oder Umlenken agieren.
Geben Sie dem Kind eine beschreibende (neutrale) Rückmeldung über die an- Spiegeln
gemessenen Anteile seines Verhalten oder über seine Leistungen. Ein Spiegel-
Satz enthält kein Lob! Damit signalisieren Sie dem Kind, dass es von Ihnen
wahrgenommen wird. Gleichzeitig machen Sie ihm sein angemessenes Verhal-
ten bewusst und die Schülerin oder der Schüler erlebt sich selbst als erfolg-
reich.17
Anstatt eine Störung überhaupt erst entstehen zu lassen oder direkt auf eine Umlenken
beginnende Störung einzugehen, lenken Sie die Aufmerksamkeit der Schülerin
oder des Schülers gezielt zurück auf die Aufgabe, indem Sie ermutigen, zusätz-
liche Hilfen anbieten oder die Anforderung derart umgestalten, dass sie nun
problemlos mit Erfolg bewältigt werden kann (Umfangminderung, Zeitzuga-
ben...).
Um an Regeln zu erinnern und Grenzen zu setzen, ist es sinnvoll, dem Kind Vereinbarte
Rüchmeldun-
frühzeitig eine Rückmeldung über sein Verhalten zu geben. Je stärker solch gen geben
eine Rückmeldung ritualisiert ist, umso weniger müssen Sie darüber diskutieren.
Zuvor vereinbarte Konsequenzen vermitteln die Sicherheit, dass damit ein Re-
gelverstoß geahndet und nicht die gesamte Person abgelehnt wird. Solche
Rückmeldungen können z. B. entsprechend einer zuvor festgelegten Eskalati-
ons-Leiter gegeben werden: 1. Handzeichen, 2. mündlicher Hinweis, 3. Reflek-
tieren (Was tust du gerade? Wie heißt die Regel? Wofür entscheidest du dich?)
4. Konsequenz.
Eine zeitlich begrenzte Auszeit außerhalb des Klassenraumes18 oder an Time Out

einem speziell dafür vereinbarten Ort innerhalb der Klasse kann das Eskalieren
einer Situation verhindern. Damit es sich jedoch nicht um ein willkürliches Raus-
schmeißen’ handelt, das die Schülerin oder der Schüler als Ablehnung seiner
Person erlebt, sollte das Time-Out ritualisiert sein. Es muss transparent sein,
welchen Zweck das Entfernen aus dem Klassenraum hat (sich beruhigen, Kon-
zentration wiederherstellen). Sinnvoll ist es, ein Time-Out durch vorher verein-
barte ‚Vorwarnungen’ anzukündigen. Dabei sind nichtsprachliche Zeichen (z. B.
gelbe/ rote Karte) zu bevorzugen, da sie am wenigsten Emotionen transportie-
ren und den Unterrichtsablauf kaum stören.
Manche Probleme lassen sich nicht im Unterricht ‚nebenbei’ lösen und es wird Konfliktge-
spräche:
erforderlich sein, ihre Bearbeitung kurzzeitig zu verschieben. Kündigen Sie in Beteiligen Sie
diesem Fall dem Kind konkret an, wann Sie mit ihm über das Problem sprechen das Kind an
der Lösung!
werden.
Nehmen Sie sich Zeit! Helfen Sie dem Kind, selbstverantwortlich Ziele für Ver-
änderungen zu entdecken und bestärken Sie es darin, Handlungsalternativen
zu erproben19 . Geben Sie dem Kind Gelegenheit, Fehler wieder gutzumachen.
Im Folgenden werden nun verschiedene pädagogische Curricula, Programme
sowie in der Berliner Schule verankerte Angebote vorgestellt, die ebenso prä-
ventiv wie auch intervenierend wirken können. Die Mehrheit der hier vorgestell-

17
Übungen zum Spiegeln finden sich u.a. bei Bergsson/Luckfiel, S. 58ff.
18
um die Aufsicht des Schülers zu gewährleisten, sollten einsehbare Orte wie z.B. ein Tisch vor der Schulstation,
vor dem Schulbüro oder gar in der Nachbarklasse dafür zuvor vereinbart werden.
19
Nützliche Hinweise zum Führen lösungsorientierter Gespräche finden sich in: Steiner,Th./Berg,I.K.: „Handbuch
Lösungsorientiertes Arbeiten mit Kindern“, Heidelberg 2005

15
Konzepte ten Ansätze lässt sich in Klassen oder Kleingruppen ohne zusätzliche Mittel
und Pro-
gramme zur verwirklichen, während es bei einzelnen Angeboten erforderlich ist, dass die
schulischen Schule zusätzliche Ressourcen aufwendet (bei ETEP und beim Projekt „Über-
Förderung
gang“ sind dies gebündelte Stunden, die den betroffenen Kindern im Rahmen
sonderpädagogischer Förderung zur Verfügung stehen).
Das Augenmerk soll auch hier auf den Chancen der vorbeugenden Wirkung
liegen, ohne dabei außer Acht zu lassen, wo bereits vermittelnd in einen
Entwicklungsprozess eingetreten werden muss.
Die einzelnen Programme und pädagogischen Einrichtungen werden knapp mit
ihren inhaltlichen Schwerpunkten vorgestellt. Hierbei besteht in der Auflistung
keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Ausschlaggebend für die Auswahl waren
für uns die in der Praxis gemachten Erfahrungen bezüglich der Umsetzbarkeit
und der nachhaltigen Wirkung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die
besondere Unterstützung und Förderung in ihrer emotionalen und sozialen
Entwicklung benötigen.

Schulstationen an Berliner Schulen 20


Schulstationen
Schulstationen haben ihren Ursprung in den Jahren 1992 – 1995, als im Bezirk
Lichtenberg ein Modellversuch zur Förderung verhaltensgestörter Kinder und
Jugendlicher in Kooperation von Schule und Jugendhilfe entstand. Schnell wur-
de deutlich, dass auch andere Kinder die Möglichkeiten eines Rückzugsraumes
wahrnehmen wollten und von dem Angebot profitieren konnten.
Die derzeit existierenden Schulstationen werden in der Regel über das Land
Berlin mit Hilfe Freier Träger finanziert. Sie sind zumeist an Grundschulen an-
geschlossen. Einige Schulen haben mit Unterstützung von Fördervereinen und
anderen Sponsoren eigene, zeitlich befristete Stationen aufgebaut.
Die Betreuung erfolgt in der Regel ganztägig (Mo-Fr), meist in der Kernzeit von
8 bis 16 Uhr. Pro Schulstation arbeiten zwei Fachkräfte, überwiegend Sozialpä-
dagoginnen und Sozialpädagogen, im Team und in enger Kooperation mit den
im Unterricht tätigen Lehrkräften und Erziehenden. Ziel der Arbeit in Schulstati-
onen ist es:
- einen neutralen Ort für Schülerinnen und Schüler zu bieten, Rück-
zugsmöglichkeiten zu gewähren, Hilfe und Zuwendung zu geben in
akuten Problemsituationen oder auch dann, wenn Ruhe und Entspan-
nung gesucht werden,
- emotionale Unterstützung zu geben, Angst sowie Frustration und
Aggression abzubauen und Konfliktlösungsverhalten zu vermitteln,
- wieder neue Motivation zur Teilnahme am Unterricht und zur Teilhabe
am sozialen Leben in der Gruppe zu schaffen,
- zunehmend auch, präventive Angebote (z. B: Entspannung, Sozial-
training, Konfliktbewältigung) zu präsentieren.

20
Grundlagen und weitere Literaturhinweise: Aufsatz von Norbert Lang, Schulstationen an Berliner Schulen (in:
Zeitschrift Lernwelten 3/2001)

16
Projekt „Übergang“ 21
Theoretischer Ansatz:
Wie kann es den Lehrkräften gelingen, zu Schülerinnen und Schülern, die unter Projekt
„Übergang“
Bindungslosigkeit bei gleichzeitigem Kontakthunger leiden, Beziehungen herzu-
stellen, die das Lernen im Unterricht ermöglichen?
Der Begriff Projekt „Übergang“ geht auf die Publikationen des amerikanischen
Kinderpsychiaters D. W. Winnicott zurück. Er betrachtet den spielerischen Um-
gang und die Entwicklung von sogenannten Übergangsobjekten und Über-
gangsphänomenen als Vorläufer der Aneignung von Kunst, Kultur und
Wissenschaft. Entlang dieser Theorie kann das Spielen als Voraussetzung
schulischen Lernens angesehen werden, das immer eine kulturelle Anpassung
beinhaltet (Becker 2001, 2008). Schülerinnen und Schüler mit dem Förder-
schwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ stehen sich selbst aufgrund
ihres emotionalen Entwicklungsstandes beim Lernen im Wege. Deshalb benöti-
gen sie auch bei Unterrichtsthemen, die sie mit der Lehrkraft gemeinsam aus-
wählen und erarbeiten, eine Pädagogin bzw. einen Pädagogen, der Hilfs-Ich-
Funktionen übernimmt und die Schülerinnen und Schüler in der Organisation
von Lern- und Arbeitsschritten so unterstützt, dass ihnen das Lernen irgend-
wann auch im Unterricht einer Regelklasse gelingt (Becker 2008). Dieses zu
erlernen, ist das Ziel des Unterrichtes in der „Übergangsklasse“.
Das Projekt „Übergang“ wurde zunächst 1998 an der Werbellinsee-
Grundschule in Schöneberg unter der Leitung von Frau U. Becker ins Leben
gerufen. Das Projekt „Übergang“ umfasst fünf Module. Diese sind: 14 tg. El-
ternberatung oder 14 tg. Eltern-Lehrer-Kind-Gespräche, Integration in den
Klassenverband, wöchentliche Beratung mit den Klassenlehrern, Kooperati-
on zwischen Schule und Jugend, die temporäre Lerngruppe „Übergangsklas-
se“. Hier stellen wir nur das Modul „Übergangsklasse“ vor:

Organisation der temporären Lerngruppe „Übergangsklasse“:


In einer „Übergangsklasse“ lernen vier Kinder. Das für die Durchführung des
Projektes benötigte Stundenvolumen beträgt sechs bis acht Stunden für die
temporäre Lerngruppe „Übergangsklasse“, vier Stunden für die Integration,
d. h. die Begleitung eines jeden Kindes für eine Stunde pro Woche in der
Stammklasse sowie vier Stunden für die Beratung der Pädagoginnen und
Pädagogen, der Eltern und die Kooperation zwischen Schule und Jugend.

21
Quellen:
Bannach, M.: Selbstbestimmtes Lernen. Schneider Verlag Hohengehren 2002.
Becker, U.: Trennung und Übergang. Tübingen 1995.
Becker, U.: „Zur Integration und sonderpädagogischen Förderung von Schülern mit dem Förderschwerpunkt emoti-
onale und soziale Entwicklung“, Zeitschrift für Heilpädagogik 1/2001, 13-21.
Becker, U.: Von den Stärken ausgehen. In: Hansen-Schaberg, I./ Schonig, B. Freinet-Pädagogik. Hohengehren
2002.
Becker, U.: ADHS – Wo bleibt das Kind? In: Ahrbeck, B.: Der Fall des schwierigen Kindes. Weinheim Beltz 2006a,
160-180.
Becker, U.: Innovative Organisationsstrukturen für Kinder mit Lernbeeinträchtigungen am Schulanfang. In: BHP,
45.Jg., 2006b, 1, 68-78.
Becker, U.: Erste Evaluation im Projekt „Übergang“, ZFH, 58.Jg., 2007, 12. 497-501.
Becker, U. Lernzugänge – Integrative Pädagogik mit benachteiligten Schülern, Wiesbaden: VS-Verlag 2008.

17
Der Unterricht in der „Übergangsklasse“ unterliegt einem strengen 90- Minu-
ten- Rhythmus:
- 10 Minuten: basale Förderung mathematischer Kompetenzen (ge-
meinsam am Gruppentisch, praktisch handelnd)
- 10 Minuten: Konzentrationstraining/ Wahrnehmung (einzeln am Grup-
pentisch mit z. B. Marburger Konzentrationstraining)
- 30 Minuten: Wochenplan (einzeln im Schülerbüro, Inhalte der Wo-
chenplanarbeit sind an denen der Stammklasse orientiert)
- 30 Minuten: Arbeit an „eigenen Themen“ (Bannach 2002), (einzeln im
Schülerbüro, an der Werkbank, am Computer oder bei der Handbiblio-
thek zu Themen die auf individuellem Interesse beruhen und sich als
Präsentation vor der Stammklasse eignen)
- 10 Minuten: Psychomotorik/ Körperkontaktspiele

Die Einrichtung eines Übergangsklassenraumes:


Die besondere Einrichtung des Übergangsklassenraumes entspricht den spe-
ziellen Bedürfnissen des beschriebenen Unterrichtes. Wesentlich dabei ist,
dass jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen Arbeitsplatz: das Schü-
lerbüro hat. Hier können sie bestimmen, wer dieses Büro betreten darf (Rück-
zugsmöglichkeit).

Schülerbüro
Gruppentisch
Werkbank
Computerarbeitsplatz
Handbibliothek
Schrank/ Regal/Tisch

18
Die Stammklasse hat im Idealfall in der Zeit der Abwesenheit der Schülerinnen
und Schüler Wochenplanarbeit. Die Teilnahme an der „Übergangsklasse“ wird
bei Fortschritten schrittweise reduziert, in der Regel innerhalb des zweiten
Jahres. Dabei werden Versuche der Schülerin oder des Schülers, in die
Stammklasse zurückzukehren, generell bestärkt und unterstützt. Nach Ab-
schluss der Förderung in der „Übergangsklasse“ bleibt der Schülerbüroar-
beitsplatz noch eine Weile erhalten, um die Rückkehr bei Rückfällen zu
ermöglichen. Erst nach vollständiger Ablösung der Schülerin oder des Schü-
lers vom Projekt „Übergang“ erfolgt eine Weitergabe des Arbeitsplatzes an ein
neues Kind.
Kontakt:
U. Becker, K. Witschaß
Werbelinsee-Grundschule, Schöneberg Strittmatter- Schule, Hellersdorf
(Tel: 030 75607153) (Tel. 030 9989232)
E-Mail: ubecker@rz.uni-potsdam.de

ETEP – Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik 22
ETEP
„Das entwicklungspädagogische Curriculum stellt einen Rahmen bereit für die Entwicklungs-
Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und verantwortungsvollen Verhal- therapie/
Entwicklungs-
tens von Kindern und Jugendlichen. Es ordnet dem aktuellen sozialen, emotio- pädagogik
nalen und verhaltensmäßigen Ist-Stand eines Kindes/Jugendlichen bestimmte
Richtziele, Einzel- Lernziele, Strategien zur Verhaltenssteuerung, Materialien,
Unterrichtsaktivitäten und Evaluationsverfahren zu. Darüber hinaus spezifiziert
es jeweils bestimmte Rollenbeschreibungen für den Erwachsenen, wodurch
dieser genauer auf die Entwicklungsbedürfnisse des Schülers eingehen kann.
Die Bandbreite des Curriculums umfasst die soziale, emotionale und verhal-
tensmäßige Entwicklung in Stufen von der Geburt bis zum Alter von 16 Jah-
ren. Das Curriculum enthält vier Bereiche: Verhalten, Kommunikation,
Sozialisation und (Vor-)Schulleistung. Für jeden Bereich gibt es eine Liste
von Einzel- Lernzielen, die der Abfolge von Fähigkeiten in den jeweiligen
Entwicklungssequenzen folgen. Diese Sequenzen lassen sich als fünf von-
einander abgegrenzte Stufen in der sozialen und emotionalen Entwicklung
aller Kinder und Jugendlichen beschreiben. Die fünf Stufen sind identisch mit
den langfristigen Zielen des Förderprogramms für jeden Schüler und jede
Schülerin.
Der Entwicklungstherapeutische/ entwicklungspädagogische Lernziel-
Diagnosebogen (ELDiB) wird eingesetzt, um das Fähigkeitsprofil eines Kin-
des/ Jugendlichen im Verlauf der Entwicklungsstufen zu beschreiben. Dar-
über hinaus definiert er die Ziele für den Individuellen Erziehungsplan (IEP)
und wird verwendet, um den Fortschritt des Kindes/ Jugendlichen zu über-
prüfen. Der Entwicklungstherapeutische/ entwicklungspädagogische Diagno-

22
Literatur:
- Marita Bergsson/Heide Luckfiel: „Umgang mit schwierigen Kindern“, Berlin: Cornelsen Scriptor, 1998
- Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (Hrsg.): „Kinder fordern uns heraus“,
München 2005
- „Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik - Curriculum für pädagogische Fachkräfte“, zu bestellen über
info@etep.org
- ELDiB - Entwicklungstherapeutischer/entwicklungspädagogischer Lernziel-Diagnose-Bogen, Bestelladresse:
Förderverein der Jakob-Muth-Schule e. V. , Am Bögelsknappen 7, 45219 Essen, foerdervereinjm@gmx.de

19
sebogen für Lehrerkompetenzen (EDiLK) liefert ein Einschätzungsverfahren
für die Professionalität des Pädagogen bei der Anwendung der empfohlenen
Verfahren. Zur Beurteilung der Qualität von administrativer Unterstützung,
die zur Sicherung eines entsprechenden Umsetzungsniveaus von Lehrkräf-
ten im Unterricht notwendig ist, existiert eine administrative Checkliste.
Entwicklungstherapeutischer/Entwicklungspädagogischer Unterricht spezifi-
ziert Unterrichtsaktivitäten, Rahmenbedingungen und Interventionsstrategien,
die an der kindlichen/jugendlichen Entwicklung ausgerichtet sind, und zwar
mit den jeweiligen Adaptionen für Kinder im Vorschulalter, im Grundschulal-
ter, in der Orientierungsstufe und der Sek. I. Es werden notwendige Strate-
gien und Rollen beschrieben, die der Pädagoge braucht, um Kinder und
Jugendliche auf verschiedenen Entwicklungsstufen dabei zu unterstützen,
sozial- emotionale Kompetenzen und verantwortliches Verhalten zu erwer-
ben.“ 23

Fortbildungen in Berlin:
- für Grundschulen und Förderzentren „Lernen“, seit 2002
- für Haupt- und Gesamtschulen sowie Förderzentren (zielgleich), seit 2006
- für Förderzentren „Geistige Entwicklung“, seit 2007
Alle ein bis zwei Jahre werden neue Fortbildungsdurchgänge ausgeschrie-
ben; die Fortbildung umfasst neben ca. 60 Fortbildungsstunden einen Stu-
dientag, ein Schulseminar sowie Hospitationen; sie schließt mit einem
Zertifikat ab.

Kontakt:
Ursula Jack
SenBWF I A 1.2., Rothenburg-Grundschule
Beuthstr. 6-8, 10117 Berlin Rothenburgstr. 18, 12165 Berlin
Tel. : 030 9026 – 5329 Tel. : 030 90299 – 2314
Fax : 030 9026 – 6515 Fax: 030 90299 – 2367
E-Mail: ursula.jack@senbwf.berlin.de E-Mail: sekretariat@rothenburg-
grundschule.de

Faustlos

Faustlos Bei FAUSTLOS handelt es sich um ein Curriculum zur Prävention von ag-
gressivem und gewaltbereitem Verhalten bei Kindern der Jahrgangsstufen 1-
3. Es basiert auf dem Programm Second Step, das in Amerika seit vielen
Jahren erfolgreich angewendet wird. FAUSTLOS wird von Lehrkräften im
Rahmen ihres Unterrichts durchgeführt. Empfohlen wird eine Lektion von 45
Minuten pro Woche. Das Curriculum zeichnet sich durch seine gute didakti-
sche Aufbereitung in altersspezifische Lektionen aus. Die drei Einheiten zu
den Themen Empathie, Impulskontrolle und Umgang mit Ärger und Wut
bauen aufeinander auf und müssen in der vorgegebenen Reihenfolge durch-
geführt werden. Die Vermittlung der insgesamt 51 Lektionen erfolgt anhand
von Fotofolien, die Kinder in verschiedenen sozialen Situationen zeigen.
23
zitiert nach: Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik – Allgemeine Information, Institut Entwicklungs-
therapie/ Entwicklungspädagogik e.V. (ETEP Europe), Düsseldorf, 2001

20
FAUSTLOS verstärkt die erzielten Verhaltensänderungen durch seine konti-
nuierliche Anwendung und die Betonung des Transfers in den Alltag. Es be-
zieht die Eltern mit ein, so dass diese die neu gelernten Fähigkeiten auch zu
Hause unterstützen können.
Die für den Unterricht benötigten Materialien umfassen ein Handbuch, ein
Anweisungsheft und 51 Fotofolien. Die Materialien sind allerdings aus-
schließlich in Verbindung mit der Teilnahme an einer Fortbildung des Heidel-
berger Präventionszentrums erhältlich. Das Programm gibt es auch schon für
den Kindergarten. 24 .

Verhaltenstraining für Schulanfänger 25


Auf Schatzsuche – Ein Abenteuer mit Ferdi und seinen Freunden
Das Verhaltenstraining ist ein systematisch aufgebautes Gruppentraining
für Schülerinnen und Schüler am Schulanfang.
In 26 einstündigen Trainingssitzungen werden die Kinder zu einer „Schatzsu- Verhaltens-
training für
che“ angeleitet, in deren Verlauf sie auf spielerische Weise Aufmerksamkeit, Schulanfänger
Problemlösefähigkeit, Konfliktmanagement, Regelverhalten, Erkennen von Peter-
mann u.a.
von Gefühlen, Selbstkontrolle, Bedürfnisaufschub und pro-soziales Ver-
halten lernen. Dabei werden Methoden wie z. B. Rollenspiele, Singen, Entspan-
nungs- und Konzentrationsspiele, Feedback, Lob und Unterstützung eingesetzt.
Die Schülerinnen und Schüler werden auf ihrer gemeinsamen „Schatzsuche“
begleitet und unterstützt von dem Chamäleon „Ferdi“. Bei ihrer abenteuerlichen
Suche nach dem Schatz begegnen die Kinder Phantasiefiguren, wie etwa der
Baumfee, den Gespenstern Balthasar, Mortimer und Caesar und einem Dra-
chen. Zusätzlich werden sie im Rahmen von kurzen Comicszenen mit Gleichalt-
rigen konfrontiert, die soziale Problemsituationen zu bewältigen haben.
Es gibt ein Trainingshandbuch für Lehrerinnen und Lehrer und ein Arbeitsheft
für die Kinder.

24
Handbuch: Manfred Cierpka: „FAUSTLOS - Wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen lernen“, Herder Verlag,
Material: Hofgrefe www.testzentrale.de (Kosten: z. Zt. 498 €),
Informationen des Heidelberger Präventionszentrums: www.faustlos.de
25
Petermann, Franz/ Koglin, Ute/Natzke, Heike: „Verhaltenstraining für Schulanfänger. Ein Programm zur Förde-
rung sozialer und emotionaler Kompetenzen“, Hogrefe-Verlag
Petermann, Franz/ Koglin, Ute/Natzke, Heike: „Auf Schatzsuche - Ein Abenteuer mit Ferdi und seinen Freunden“.
Das Arbeitsheft für Kinder zum »Verhaltenstraining für Schulanfänger« Hogrefe-Verlag

21
Ich schaffs ! 26
15- Schritte-Programm für Eltern, Erziehende und Therapeuten
Ben Furman „Ich schaffs!“ ist ein psychologisches Modell, welches in den 90er Jahren in
„Ich schaffs“
Finnland in einem Team von Sonderschullehrkräften, Psychologen und Psy-
chiatern entwickelt und von Ben Furman veröffentlicht wurde.
Das Programm basiert auf dem lösungsorientierten Ansatz, dass Probleme in
den meisten Fällen als das Fehlen einer Fähigkeit gesehen werden können, die
erlernbar ist oder sich verbessern lässt.
Hinter ‚Ich schaffs!’ steckt ein klares und gut nachvollziehbares Programm
von 15 aufeinander folgenden Schritten. Es hilft Fähigkeiten zu erlernen,
Probleme zu bewältigen und schwieriges Verhalten los zu werden. Ziel für
die Kinder ist es, allein oder in Gruppen mit Hilfe ihrer Betreuerinnen und Be-
treuer neue Fähigkeiten zu erlernen.
Die Eltern werden dazu eingeladen, aktive Teilnehmerinnen und Teilnehmer
dieses Programms und des Lernprozesses zu werden. Sie suchen gemein-
sam mit ihren Kindern die zu erlernende Fähigkeit aus.

TuT WAS! - Schulanfänger lotsen durch Konflikte !

TuT WAS ! Trennen und Trösten


W ahrnehmung, A chtsamkeit, S elbstbewusstsein !

Trennen Erkenntnisse der Neurowissenschaften zum frühkindlichen Lernen legen


und Trösten: nahe, soziale Handlungsmuster vom Schulbeginn an systematisch zu trainie-
TuT WAS!
ren. Das TuT WAS! Konzept fördert eine Kultur des Respekts und der Aner-
kennung. Es dient der Gewaltprävention und der Partizipation.
Ziel ist es, alle Kinder einer Klasse zu sensibler Selbst- und Fremdwahrneh-
mung, zu Empathie und zu eigenverantwortlicher konstruktiver Konfliktlösung
nach einem vereinfachten Konfliktlotsenmodell 27 zu befähigen.
Das Training besteht aus den Modulen:
1. Sensorische Integration
2. Soziales Kompetenztraining zur Prävention
3. Konstruktive Konfliktlösung: Trennen und Trösten

26
Ben Furman: „Ich schaffs!“ Carl-Auer Systeme (z. Zt. 19,80 €), dazu erhältlich das Trainingsbuch für das Kind
und das 15-Schritte-Poster; Weiterführende Informationen zum Ich-schaff’s Konzept im Internet unter:
http://www.kidsskills.org/German/index.htm
27
Ortrud Hagedorn: „ Mediation-durch Konflikte lotsen“, Klett-Schulbuchverlag, Leipzig 2005

22
Sensorische Integration:
Für eine positive körperliche, geistige und emotionale Entwicklung ist die
Voraussetzung eine adäquate Verarbeitung von Sinneseindrücken. Diese
entsteht durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Sinnesqualitäten. Stö-
rungen der sensorischen Integration führen zu Problemen in der Selbst- und
Fremdwahrnehmung. Die psychosoziale Dimension der sensorischen Integ-
ration findet intensive Beachtung, da sie von eminenter Bedeutung für das
konstruktive Gemeinschaftsleben in diesem Alter ist. Versäumnisse in der
sensiblen Periode sind später kaum, bzw. nur mit großem Aufwand zu korri-
gieren. 28 In der Schulanfangsphase ist daher das Training der Wahrnehmung
mit allen Sinnen und die Reflektion in der Kindergruppe über die Eigenwahr-
nehmung, die emotionale Befindlichkeit, ein wesentlicher Bestandteil des
TuT WAS! – Programms. Es folgen Partner- und Gruppenübungen, in denen
Körpererfahrung, Materialerfahrung und Sozialerfahrungen vielfältig erlebt
werden. Im Austausch über die eigene Wahrnehmung und die damit verbun-
denen Emotionen erleben die Kinder ihre Gemeinsamkeiten, ihre Unter-
schiedlichkeit und ihre Einzigartigkeit. Vertrauen und Wertschätzung der
Vielfalt können sich auf dieser Basis entwickeln.

Soziales Kompetenztraining:
Unser Gehirn lernt permanent. Es kann gar nicht anders. Nach Manfred Spit-
zer 29 müssen auch für soziale Handlungsmuster neuronale „Trampelpfade“
im Gehirn gelegt werden. Je öfter wir diese Lernpfade nutzen, desto besser
und dauerhafter wird gelernt. Die sensible Phase für das Lernen sozialer
Muster liegt dabei zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr.
Auf der Basis von Respekt und Anerkennung gibt es verbindliche Regeln und
Rituale. Wesentliche Trainingsinhalte sind daher u. a.: Arbeiten lernen in wech-
selnden Partnerschaften, Zuhören, Ausredenlassen, Spiegeln, Gefühle benen-
nen, Körpersprache lesen, Allparteilichkeit, Affirmationen geben,
Empathiefähigkeit, Höflichkeitsformen, Gewaltfreie Kommunikation nach M. Ro-
senberg.
Für den Gesamtprozess von grundlegender Bedeutung sind die vier Phasen
der Entwicklung einer Gruppe30 . Diese sind: Kennen lernen, Gären und Klären,
produktives Arbeiten und Abschied nehmen.

Konstruktive Konfliktlösung durch Trennen und Trösten = Intervention, Dees-


kalation und Mediation:
In Gesprächen und Rollenspielen wird die personenneutrale Intervention in
Auseinandersetzungen von allen Kindern in Form eines Probehandelns nach
vorgegebenen Regeln trainiert. Beistand und Trost zu geben und zu erbitten
ist ein weiteres Lernziel. Den deeskalierenden Umgang mit heftigen Emotio-
nen bei Gleichaltrigen lernen die Kinder im Spiel. Im Fishbowl (gesprächsak-
tiver Innenkreis und beobachtender Außenkreis) werden reale Konflikte
modellhaft von den Erwachsenen mediiert. Die Kinder lernen, so sie noch
nicht lesen können, an Hand von Piktogrammen den Ablauf eines konstrukti-
28
K. Braun, Vortrag Urania Berlin 2006
29
Manfred Spitzer, „Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens“, Spektrum Akademischer Verlag 2003,
30
B. Langmaack/ M. Braune-Krickau: „Wie die Gruppe laufen lernt“, Beltz 2000

23
ven Konfliktgespräches. Auf der Grundlage dieses Kompetenztrainings sind
alle Kinder in der Lage, „Trenner“ oder „Tröster“ zu sein. Täglich werden zwei
Kinder nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Sie sind an diesem Tage freiwil-
lige zuständig für Kümmernisse, kleine Verletzungen und die altersentspre-
chend häufigen Streitereien. In der ‚Friedenecke’ fragen sie nacheinander
jeden der Streitbeteiligten und wiederholen das Gesagte mit eigenen Worten:
Was ist passiert?
Wie fühlst du dich jetzt?
Was wünscht du dir?
Willst du dich wieder vertragen?
Bei gelungener Befriedung der Streitpartner sprechen sich alle Beteiligten
Dank für die Kooperation aus. Die Praxis zeigt, dass es bei den Kindern zu
einem Zuwachs an Selbstwertgefühl und differenzierter Sprache kommt.
Gleichzeitig wirkt ihr verändertes Verhalten bis in die Familien hinein und
führt bei den Eltern zu positiven Veränderungen. Darüber hinaus werden die
Lehrkräfte von vielen Auseinandersetzungen entlastet.

Ansprechpartnerin:
Dipl. Päd. Hannah Sibylle Wennekers
Schulmediatorin, >pax an!< Gewaltfreie Schulkultur
Schulpsychologisches Beratungszentrum Friedrichshain- Kreuzberg
E-mail: hannah-wennekers@web.de

Konfliktlotsen/ Streitschlichter 31

Konfliktlotsen Bei der Streitschlichtung handelt es sich um ein auf Vertraulichkeit und Neut-
ralität basierendes Vermittlungsgespräch (Mediation), bei dem die Streiten-
den darin unterstützt werden, selbstständig und gemeinsam eine Lösung für
ihren Konflikt zu entwickeln. Mediation kommt als Methode in vielen unter-
schiedlichen Bereichen des öffentlichen Lebens zur Anwendung.
Schülerinnen und Schüler werden befähigt von zusätzlich ausgebildeten
Lehrkräften , den Schulmediatoren, Streit abzubrechen, Hilfe anzubieten und
durch Konflikte zu ‚lotsen’ (systemisches Vorgehen, Jung und Alt gegen Ge-
walt, Coaching, Facilitation, „gemischtes Doppel“). Konfliktlotsen werden ba-
sisdemokratisch aus dem sozialen System Schule ausgewählt, in dem sie
einen positiven Status haben und besonders befähigt wurden auf das soziale
System „Schule“ Einfluss zu nehmen (peer-education).
Intervention, Grenzsetzung, Zivilcourage und friedliche Einmischung gehören
zum Konzept (auch eigene Reflexion der Fälle). Darüber hinaus gehören Me-
thoden der Deeskalation zum Handlungsrepertoire. Wichtig sind begünstigende
Rahmenbedingungen wie ein Konfliktlotsenraum, eine Schulstation oder ein
anderer geschützter Verhandlungsort mit Atmosphäre. In der Mediation arbeiten
die Konfliktlotsen, indem sie alle beteiligten Personen akzeptieren und sie
gleichzeitig mit den Folgen ihrer Handlung konfrontieren (dynamischer Ansatz,
Stärkung der Opfersicht).

31
Informationen unter: www.Konfliktlotsen.de

24
Bei STOPP ist Schluss! 32

Der Untertitel dieses Buches beschreibt in Kurzform die Intention: Es geht um Bei STOPP
ist Schluss!
die Vermittlung von Werten und Regeln. Mit konkreten Hilfen und Methoden
richten sich die Autoren an Lehrkräfte der Jahrgangsstufen 1 – 10.
Im ersten Teil werden die Regeln des Zusammen-Arbeitens in den Mittelpunkt
gerückt. Es geht um die Grundvoraussetzungen wie Pünktlichkeit, vorhandene
Arbeitsmaterialien, vollständige Hausaufgaben und störungsfreien Unterricht.
Außerdem wird beschrieben, wie Regeln in einer Klasse formuliert, eingeführt
und durchgesetzt werden können. Im zweiten Teil des Buches stehen die Re-
geln des Zusammen-Lebens im Vordergrund. Hier werden die schulischen
Möglichkeiten thematisiert, die dabei helfen:
- mit einfachen Regeln Unterrichtszeit zu gewinnen,
- auch schwierige Schülerinnen und Schüler zu erreichen,
- eine Klasse souverän zu führen,
- Werte und soziale Kompetenz zu vermitteln.

32
Thomas Grüner/ Franz Hilt: „Bei STOPP ist Schluss!“, AOL-Verlag

25
4 Welche besonderen Entwicklungsverläufe können mit
dem Verhalten des Kindes in Zusammenhang stehen?

Schuldistanzierte Kinder
Schuldistanz Schuldistanz erscheint in mehreren Stufen und beginnt bereits in der Schule.
Die Ursachen dafür sind sehr unterschiedlich. Mit den Handreichungen
„Schuldistanz“ 33 setzt die Senatsverwaltung vor allem auf Prävention. Sie
benennt folgende Abstufungen.
1. Stufe: Entfernen innerhalb der Schule
2. Stufe: Gelegentliches Fernbleiben ohne triftigen Grund
3. Stufe: Regelmäßiges Fernbleiben ohne triftigen Grund
(11 – 20 Fehltage pro Halbjahr)
4. Stufe: Intensives regelmäßiges Fernbleiben ohne triftigen Grund
(21 – 40 Fehltage pro Halbjahr)
5. Stufe: Vollständiges Fernbleiben von der Schule
(mehr als 40 Fehltage pro Halbjahr bis Totalausstieg)
Wird der Rückzug einer Schülerin oder eines Schülers frühzeitig bemerkt,
kann die Zusammenarbeit mit den Eltern, mit der Ambulanzlehrkraft, mit dem
Schulpsychologischen Beratungszentrum und dem zuständigen Jugendamt
(Sozialpädagogischer Dienst) dazu beitragen, weitreichende Folgen für die
Schullaufbahn der betroffenen Schülerinnen und Schüler zu vermeiden. Ge-
meinsam können die Bedingungsfaktoren eingegrenzt und daraus resultie-
rende Interventionskonzepte entwickelt werden.
Im Schul- und Jugend-Rundschreiben Nr. 1/ 2006 über die gegenseitige
Information und Zusammenarbeit von Jugendämtern und Schulen gilt bereits
als Anhaltspunkt, „dass das Wohl des Kindes oder Jugendlichen gefährdet
sein könnte“, wenn Schülerinnen und Schüler häufig zu spät kommen. Die
Schule wird hier zur Kontaktaufnahme mit den Eltern und ggf. mit dem Ju-
gendamt verpflichtet. Das Verfahren zum Umgang mit Schulversäumnis ist
im Schul-Rundschreiben 53/2006 geregelt. Der darin enthaltene Hand-
lungsleitfaden befindet sich im Anhang dieser Handreichung.

Kinder psychisch kranker 34 und suchtkranker 35 Eltern

Psychisch Die psychische Erkrankung eines Elternteils stellt nicht zwingend eine unmit-
kranke/
suchtkranke
telbare Gefahr für Kinder dar. Sie reagieren jedoch auf das veränderte Ver-
Eltern halten der Mutter/ des Vaters oft mit Angst und Beunruhigung. Nicht selten
suchen sie die Schuld bei sich selbst und reden wegen der verständnislosen
Reaktionen der Umwelt nur selten über ihre Probleme. Das Alter des Kindes
und die Schwere der Erkrankung sind entscheidende Faktoren dafür, wie

33
Die Handreichung „Schuldistanz“ der Senatsverwaltung steht zur Verfügung unter: ttp://www.senbjs.berlin.de/
jugend/landeskommission_berlin_gegen_gewalt/veroeffentlichungen/thema_veroeffentlichungen.asp
34
Literatur: z.B. Mattejat F., Lisofsky B.: „. …nicht von schlechten Eltern- Kinder psychisch Kranker“, Psychiatrie-
Verlag 2001/ Remschmidt H., Mattejat F.: „Kinder psychotischer Eltern“, Hogrefe. 2001
35
Literatur: z. B. Zobel M.: „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“, Hogrefe-Velag 2001

26
sehr das Leben des Kindes beeinflusst wird. Folgende Symptome können
Kinder schizophren erkrankter Eltern entwickeln:
- Störungen der Aufmerksamkeit und der Informationsverarbeitung
- Störung des Denkens und des Wortverständnisses/ geringere Abs-
traktionsfähigkeit
- Störungen der Kommunikationsfähigkeit
- emotionale Instabilität/ Stimmungsabhängigkeit
- Stressempfindlichkeit
- Ängstlichkeit
- geringe Frustrationstoleranz
- vermeidendes Bindungsverhalten
Kinder endogen-depressiver Eltern könne Symptome entwickeln wie
- Depressionen
- suizidales Verhalten
- Stimmungsschwankungen
- störendes, anstrengendes, aggressives oder zurückgezogenes
Verhalten
- Aufmerksamkeitsstörungen
- Hyperaktivität
- Trennungsängste
- Entwicklungsverzögerungen
- Schulleistungsstörungen bis Schulversagen
- geringes Selbstwertgefühl
Kinder suchtkranker Eltern versuchen häufig, die häuslichen Probleme nach
außen zu vertuschen; auf Nachfragen, die Familienumstände betreffend,
antworten sie ausweichend. Die betroffenen Familien schotten sich häufig
nach außen ab. Auch kommt es zu einer veränderten Rollenaufteilung: Das
Kind übernimmt Verantwortungen, kommt dem kranken Elternteil entgegen
und vermeidet Konflikte, um die durch den Alkohol gesteigerte Gewalttätig-
keit zu senken.
Betroffene Kinder leiden häufig unter Unzuverlässigkeit, Vernachlässigung,
emotionalen Ausbrüchen, Aggressionen, Gewalttätigkeit, sexuellen Übergrif-
fen und Missbrauch. Finanzielle Schwierigkeiten, der soziale Abstieg und die
Angst vor weiterer Verschlimmerung und Vereinsamung lähmen das Kind.
In der Schule fallen diese Kinder neben Anzeichen von Vernachlässigung
durch aufmerksamkeitserheischendes Verhalten wie „Herumkaspern“ oder
Aggressionen, durch Rückzug, Schüchternheit und Einzelgängertum auf. Die
Kinder sind auf Grund eines geringen Selbstwertgefühls, erheblichen Selbst-
zweifeln und mangelnder Selbstwahrnehmung stets von einer Bestätigung
von außen abhängig. Andere Kinder reagieren fürsorglich, wachsam und auf-
fällig „erwachsen“.
Der Verdacht auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Elternhaus erfordert
ein sensibles Vorgehen.

27
Die bezirkliche Erziehungs- und Familienberatung (EFB) berät auch Pä-
dagoginnen und Pädagogen im Umgang mit Eltern in solchen schwierigen
Situationen. 36

Unruhige und unaufmerksame Schülerinnen und Schüler


ADS/ADHS Im Zusammenhang mit unruhigen und unaufmerksamen Schülerinnen und
Schülern wird häufig von ADS oder ADHS gesprochen. Dabei unterscheidet
man drei Untergruppen:
a. vorwiegend hyperaktiv- impulsiv: der „Zappler“; hyperkinetisches
Syndrom
b. vorwiegend aufmerksamkeitsgestört: der „Träumer“; ADS
c. Misch-Typ: aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv; ADHS 37
Im Unterricht begegnen uns Symptome wie:
- Unkonzentriertheit,
- Ablenkbarkeit,
- kurze Aufmerksamkeitsdauer,
- nicht zuhören,
- viel vergessen,
- unüberlegt handeln,
- nicht abwarten können,
- schnell frustriert sein,
- übermäßig reagieren (im Negativen wie im Positiven),
- häufiger und schneller Stimmungswechsel sowie
- Unfähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen.
Nicht jedes Kind und jeder Jugendlicher mit Konzentrationsschwierigkeiten
hat ADS. Die Diagnose hyperkinetischer Störungen und Aufmerksamkeits-
störungen sowie ihre differenzialdiagnostische Abgrenzung (z. B. gegenüber
affektiven Störungen, Angststörungen, tiefgreifenden Entwicklungsstörungen
usw.) gehört in den Verantwortungsbereich approbierter Kinder- und Ju-
gendpsychiater und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Diese Diagnostik steht in Bezug auf die erforderlichen Fördermaßnahmen für
uns als Pädagoginnen und Pädagogen nicht im Vordergrund. Selbstver-
ständlich benötigt jedes dieser Kinder individuelle und besondere, zum Teil
ähnliche Hilfsangebote. Den unruhigen und unaufmerksamen Kindern und
Jugendlichen steht eine reife symbolgestützte Kommunikation und eine diffe-
renzierte Sprache nicht immer zur Verfügung. Gefühle können nicht ausrei-
chend wahrgenommen, ausgehalten und (sprachlich) vermittelt werden. Zur
Selbstberuhigung greifen sie dann auf Bewegung zurück, was nach außen

36
Neben den zuständigen schulpsychologischen Beratungsstellen, dem Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienst,
den Erziehungs- und Familienberatungsstellen, den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten (KJPD), den
Sozial-psychiatrischen Diensten (SPD) und den Krisendiensten
(www.krisenintervention.de/Adressenkrisenintervention.pdf) können folgende Einrichtungen genutzt werden: Netz
und Boden - Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern (www.Netz-und-Boden.de) - Kinderschutzzentren
(www.Kinderschutzzentren.org) gebührenfreie Beratung für ältere Kinder 0800/1110333, für Eltern 0800/1110550
- Kindernotdienst (www.Kindernotdienst.de) Tel. 030/610061 Telefonseelsorge Deutschland
(www.Telefonseelsorge.de) Tel 0800/ 1110-111 oder –222 - Internet-Notruf Deutschland e.V. (www.Internet-
Notruf.de) speziell auch für Lehrer - Jugendnotmail; Junoma ( www.Jugend-Notmail.de )
37
vgl. auch: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (Hrsg.): ISB Handreichung „Aufmerksam-
keitsgestörte, hyperaktive Kinder und Jugendliche im Unterricht.“ 2003

28
als motorische Unruhe wahrgenommen wird. 38 Die Förderung der sprachli-
chen und kommunikativen Kompetenzen gehört daher besonders in diesem
Zusammenhang zu den wirksamsten pädagogischen Präventions- und Inter-
ventionsmaßnahmen.
Andererseits bedeutet die Diagnose ADS nicht automatisch, dass dieses
Kind im Bereich der emotional-sozialen Entwicklung Entwicklungsverzöge-
rungen und einen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweist. Die Notwen-
digkeit gezielter Förderung besteht immer da, wo die beschriebenen
Symptome so stark ausgeprägt sind, dass sie sich niederschlagen in Folgeer-
scheinungen wie:
- mühsames Schreibenlernen und/ oder Rechenprobleme trotz durch-
schnittlicher Intelligenz,
- Lernhindernisse wie z. B. eine chaotische Hefterführung und ein nicht
sachgemäßer Umgang mit Arbeitsmaterialien,
- Störungen in der sozialen Interaktion durch Probleme in der Steue-
rung der Impulse, durch eine Störung der Tiefensensibilität, durch
Verweigerungen und Grenzüberschreitungen.
Insgesamt können diese Kinder und Jugendliche häufig aber auch besonders
lebendig, vital, spontan, durchsetzungsfähig, phantasievoll, kreativ, einfühl-
sam und hilfsbereit sein. Im Umgang mit ihnen ist es für die Lehrkraft bei aller
Sorge wichtig, diese Stärken nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn es der
Lehrkraft so gelingt, das Kind und den Jugendlichen mit seinen Problemen
anzunehmen, sein Selbstvertrauen durch emotionalen Rückhalt, durch Lob,
Ermutigung und Geduld zu stärken, erhöht er damit die Erfolgschancen einer
gezielten Förderung. Grundsätzlich sollte die Förderplanung mit allen Betei-
ligten (Lehrkräften, Eltern, Horterzieher, außerschulische Hilfen) abgestimmt
werden.
Gezielte Förderung erfahren die betroffenen Schülerinnen und Schüler in
einem stark strukturierten Unterricht, wie er für alle Kinder mit emotional-
sozialen Entwicklungsrückständen förderlich ist (vgl. Kap. 2). Krowatschek
konkretisiert die unterrichtlichen Bedingungen in sogenannten „Goldenen
Regeln:
- Gestalten Sie den Tagesablauf möglich so, dass er immer nach dem
gleichen Schema abläuft.
- Setzen Sie das ADS-Kind zunächst in die Nähe ihres Pultes allein an
einen Tisch.
- Erwünschtes Verhalten loben Sie immer auch zwischendurch.
- Trainieren Sie mit dem Kind immer nur eine einzige Sache.
- Benutzen Sie Verstärkerpläne, um eine Verhaltensweise nachdrück-
lich und schnell zu verbessern.
- Verwenden Sie auch die Ideen des Kindes zur Verbesserung der Si-
tuation.
- Erwünschte Verhaltensweisen können auch im Spiel erlernt werden.
- Üben Sie das Time- Out sofort ein. Loben Sie das Kind, wenn es in
der Klasse bleiben konnte.

38
vgl. H. Hopf: „Die unruhigen Jungen“ in: F. Dammasch: „Jungen in der Krise“, Frankfurt/Main 2008, S. 39 ff.

29
- Strukturieren Sie die Arbeitsanforderungen kleinschrittiger als für an-
dere.
- Bleiben Sie gelassen bei graphomotorischen Schwierigkeiten.
- Geben Sie dem Kind so viel Verantwortung wie möglich und nutzen
Sie die Hilfsbereitschaft des Kindes.
- Soziales Lernen erfolgt zu einem großem Umfang in der Schule, des-
halb schließen Sie die Kinder nicht von Aktivitäten oder Klassenreisen
aus.
- Lassen Sie Ausdrücke aus der Fäkalsprache grundsätzlich nicht zu.
- Haben Sie Geduld und sprechen Sie Ihr Vorgehen mit Kolleginnen
und Kollegen und Eltern ab. 39
Durch ein gezieltes Konzentrationstraining können die Aufmerksamkeit
verbessert und die Frustrationstoleranz erhöht werden. 40
Auf der Verhaltensebene ist es wichtig, Veränderungen in Form von für das
Kind überschaubaren Zielen zu formulieren und einen Rahmen zu schaffen,
in dem das Kind erfolgreich die veränderte Verhaltensweise üben (trainieren)
kann. 41

Kinder mit Lernschwierigkeiten


Lern- Verhaltensauffälligkeiten können auch im Zusammenhang mit primären Stö-
schwierig-
keiten
rungen entstehen, die ggf. nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. So kön-
nen auffällige Verhaltensweisen den Versuch des Kindes dokumentieren,
überfordernden Bedingungen aus dem Weg zu gehen oder ein auf der
Grundlage anhaltender Misserfolgserlebnisse entstandenes negatives
Selbstbild zu kompensieren. In diesem Fall kann eine gezielte Diagnostik und
Förderung für Entlastung sorgen und der Schülerin und dem Schüler neue
Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. Unterstützend kann dabei der für die Be-
ratung an einer Schule zuständige Sonderpädagoge oder Schulpsychologe
sein. Für die Bereiche Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) und Dyskalkulie
gibt es in jeder Grundschule darüber hinaus eine zuständige Lehrkraft, die
über schulische Fördermaßnahmen beraten kann.

Kinder mit besonderen Begabungen


Besondere Als Hochbegabung bezeichnet man einen intellektuellen Entwicklungs-
Begabungen vorsprung, der sich durch außergewöhnliche und schnelle Denk- und Prob-
lemlösefähigkeiten in abstrakter Form auszeichnet und ab einem Intelligenz-
quotienten von 130 festgestellt wird. Man geht davon aus, dass etwa 2% der

39
sinngemäß zitiert nach: Krowatschek, D.I. Krowatschek, G./Hengst, U.: „Das ADS-Trainingsbuch. Bd.1. Metho-
den, Strategien und Materialien für den Einsatz in der Schule“ AOL-Verlag, Lichtenau
40
Krowatschek, Dieter: „Marburger Konzentrationstraining“, Verlag modernes Lernen, Dortmund 2000
Krowatschek, D.I. Krowatschek, G./Hengst, U.: „Das ADS-Trainingsbuch. Bd.1. Methoden, Strategien und Mate-
rialien für den Einsatz in der Schule“ AOL-Verlag, Lichtenau
41
gezielte Hilfen zum strukturierten Fördern von Verhaltensweisen bietet z.B. das „Ich schaff’s“-Programm von
Ben Furman oder der Ansatz des Entwicklungspädagogischen Unterrichts (EPU/ETEP), vgl. dazu Kapitel 3

30
Bevölkerung hochbegabt sind. 42 Das Berliner Schulgesetz sieht einen An-
spruch auf Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler vor. 43
Die Mehrzahl der hochbegabten Schülerinnen und Schüler durchläuft die
Schule in der Regel erfolgreich und ohne nennenswerte Probleme. Ein ge-
ringer Teil jedoch bedarf einer besonderen und gezielten Förderung. Im Zu-
sammenhang mit ungünstigen Umfeldfaktoren können sich Schwierigkeiten
im Bereich der Wahrnehmung/ Motorik, im emotional- sozialen Bereich und/
oder in der Entwicklung der Lern- und Arbeitshaltung ergeben. Das potentiel-
le Leistungsvermögen entspricht dann nicht den tatsächlichen Schulleistun-
gen, in Einzelfällen kommt es sogar zu teilweisem oder umfassendem
Leistungsversagen (underarchievement). Ausführliche Hinweise und Förder-
vorschläge für den Unterrichtsalltag finden sich in der Handreichung „Erken-
nen und Fördern von Kindern mit hohen kognitiven Fähigkeiten“ der
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin und des
Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM).

Vernachlässigte Kinder
Mit dem Schul- und Jugend Rundschreiben 1/2006 ‚über die gegenseitige Vernach-
lässigung/
Information und Zusammenarbeit von Jugendämtern und Schulen’ 44 wird die Gefährdung
verpflichtende Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendamt im Falle des Kindes-
wohles
einer Kindswohlgefährdung geregelt:
„Sofern sich gewichtige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Wohl eines
Kindes oder Jugendlichen gefährdet sein könnte, ist unverzüglich Kontakt mit
den Eltern oder sonstigen Personensorgeberechtigten aufzunehmen. [...] Bei
akuten Gefährdungen hat die Schule das Jugendamt unverzüglich zu infor-
mieren und das weitere Vorgehen miteinander abzustimmen.“
Beim Verdacht auf häusliche Gewalt, Verwahrlosung oder Missbrauch kann
man sich auch an die bezirkliche Erziehungs- und Familienberatungsstelle
wenden. Auch die berlinweit geschalteten Notrufnummern bieten Rat und
Hilfe für pädagogisch Tätige an. Die Notdienste sind rund um die Uhr telefo-
nisch zu erreichen:
- Kindernotdienst (bis 14 Jahre) Telefon 030/ 61 00 61
- Jugendnotdienst (ab 14 Jahre) Telefon 030/ 61 00 62
- Mädchennotdienst Telefon 030/ 61 00 63
- Hotline-Kinderschutz Telefon 030/ 61 00 66
Informationen und Hinweise zum Thema bietet auch das „Handbuch „Kindes-
wohlgefährdung“, herausgegeben vom Deutschen Jugendinstitut, gefördert
vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 45

42
vgl. Konzept zur Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler in Berlin, herausgegeben von SenBJS
2004, im Internet verfügbar unter www.hochbegabte-nordberlin.de/foerderkonzept_hochbegabung.pdf
43
Konkretisiert wird dieser Anspruch im Schreiben „Rechtsanspruch auf besondere Förderung“ vom Dez. 2004, im
Internet verfügbar unter http://www.bjsinfo.verwalt-berlin.de/index.aspx
44
verfügbar unter http://www.bjsinfo.verwalt-berlin.de/index.aspx
45
online verfügbar unter http://213.133.108.158/asd/ASD_Inhalt.htm

31
Kinder, die nicht sprechen (Mutismus)
Die Bezeichnung ‘elektiver‘ (oder selektiver) Mutismus beschreibt das Ver- Mutismus
halten eines Kindes‚ das fähig ist zu sprechen, aber bestimmten Personen-
gruppen gegenüber oder in spezifischen Situationen stumm bleibt. Beim
totalen Mutismus, der häufig im Zusammenhang mit Traumata entsteht, wird
in jedem Umfeld geschwiegen.
Grundsätzlich begegnen uns häufiger Mädchen mit elektivem Mutismus. Bei
einigen Kindern „wächst“ sich der Mutismus quasi aus. Sie sprechen dann
plötzlich wieder ganz normal.
Wenn die Krankheit bestehen bleibt, ist ein planvolles Vorgehen sehr wichtig.
In jedem Fall ist es absolut kontraproduktiv, ein Kind zum Sprechen zwingen
zu wollen, es verstärkt den Mutismus eher noch. Je früher man mit einer Be-
handlung beginnt, desto günstiger ist die Prognose im Hinblick auf eine Ab-
schwächung oder Beseitigung des entwicklungshemmenden Verhaltens.
In der Schule kommt das mutistische Kind jeden Tag unvermeidlich mit vie-
len schwierigen Alttagssituationen oder ihm unbekannten Erwachsenen in
Berührung. Deshalb ist es wichtig‚ dass die Schule dem Kind hilft, damit fertig
zu werden:
- Stellen Sie sicher, dass alle Erwachsenen, die mit dem Kind Umgang
haben (Lehrkräfte, Hausmeister etc.), über die Schwierigkeiten des
Kindes Bescheid wissen.
- Niemand sollte das Kind zum Sprechen zwingen, sondern es loben
und belohnen, wenn man es‚ in welcher Situation auch immer, spre-
chen hört.
- Geben Sie dem Kind auch Gelegenheit auf andere Art zu kommunizie-
ren (Symbole, Karten, Gesten). Erlauben Sie dem Kind, wenn vorhan-
den, den Computer zu benutzen, um sich mitzuteilen.
- Setzen Sie es in der Klasse zu den Kindern, mit denen es auch
außerhalb der Schule öfter zusammen ist und belassen Sie das Kind
immer in der gleichen Arbeitsgruppe im Unterricht.
- Planen Sie ein Verhaltensprogramm und machen Sie lieber viele klei-
ne statt einen großen Schritt.

Das Behandlungsprogramm muss individuell auf jedes einzelne Kind zuge-


schnitten sein, dabei sollte eine Schulpsychologin bzw. ein Schulpsychologe
hinzugezogen werden. Obwohl Mutismus ein eher psychogenes Problem
darstellt, ist die Behandlung im Bereich der Sprachheilpädagogik angesie-
delt.

32
5 Wie gestaltet man hilfreiche Beratungsprozesse ?
Das übergreifende Ziel der sonderpädagogischen Beratung in unserem För- Verständnis
derschwerpunkt ist es – im Sinne der „Kooperativen Beratung“ von W. Mut- von Beratung

zeck 46 -, die Ressourcen der Ratsuchenden (wieder) aufzuschließen, um ihre


Handlungsmöglichkeiten auf diesem Weg zu erweitern.
Beratungskompetenz ist Handlungskompetenz. Sie setzt sich zusammen aus
Sachkompetenz in Hinblick auf Theorien der Beratungsarbeit, Methodenkompe-
tenz als Sicherheit in einschlägigen Beratungsverfahren, Selbstkompetenz als
entwickelter Verbindung von Erfahrung und Selbsterfahrung sowie Sozialkom-
petenz in Form von Teamfähigkeit und Teamentwicklungsfähigkeit.
In der Lehrerbildung (erste und zweite Phase) allgemein und auch in den Bil-
dungsgängen zum Sonderpädagogen/ zur Sonderpädagogin ist der Einstieg in
den Erwerb von Beratungskompetenz bisher kaum vorgesehen. Die dritte Pha-
se der Lehrerbildung (Fortbildung) bietet Veranstaltungen zum Erwerb von Be-
ratungskompetenz: regionale Fortbildungen, z. B. Kollegiale Fallberatung (KFB),
von den Teilnehmernden selbst organisierte Fortbildungen. Diese Fortbildungen
enthalten neben der Vorstellung von Beratungstheorien und -konzepten einen
überwiegenden Anteil von Trainingseinheiten und Selbsterfahrungssequenzen.

Günstige Bedingungen für eine Beratung Günstige


Bedingungen
Situative Bedingungen für eine
Beratung
Räumliche Bedingungen (störungsfreier Raum)
- keine störenden visuellen/akustischen Reize – Ruhe!
- keine Telefonate
- keine Anwesenheit von Nichtbeteiligten
- gut erreichbarer Raum, der sich leicht finden lässt
- angenehme Arbeitsatmosphäre (Kaffee, Möbel, Farben,...)
- Sitzprivilegien abbauen („Schutztische“ o.ä.)
Zeitliche Bedingungen
- klare Absprache über die Dauer
- ausreichend Zeit
- pünktlich anfangen und enden
- eindeutige Planung der Gesamtberatung (wie viele Treffen?)

Allgemeines Verhalten der Beraterin und des Beraters


Sprache
- verständliche und angemessene Wortwahl
- Ich-Botschaften
- aktives Zuhören
Nonverbal
- Interesse zeigen
- Ruhe ausstrahlen
- Zeit haben
- Kongruente Mimik, Gestik, Sprache

46
Mutzeck, Wolfgang: „Kooperative Beratung“, Weinheim und Basel 2005, 5. Auflage,

33
Emotionalität
- Echtheit (Kongruenz) / Wärme (Empathie) / Akzeptanz
- beteiligt sein, ohne Handlungskompetenz zu verlieren
Moderation (s. auch unten)
- Ablauf strukturieren und gut vorbereiten
- Erwartungen klären

Sonstige Bedingungen
- Freiwilligkeit
- Ängste abbauen („Türöffner“ überlegen)

Strukturierung Vorschlag zur Strukturierung eines Beratungsgesprächs


eines
Beratungs- Kontaktphase 47 (Gesprächseröffnung):
gesprächs
- Begrüßen, namentliche Vorstellung, Hinweis auf Vertraulichkeit/
Benennen der Schweigepflicht
- Raum überprüfen (gute Atmosphäre? – evtl. Raumwechsel)
- Absprache des zeitlichen Rahmens
- Klären der Rollen und Funktionen
- Klären der Erwartungshaltungen/ Ziel der Beratung
Problemphase (Analyse des Problems):
- Erfassen des Problemstandes (Situationsanalyse, Systemanalyse),
- Strukturieren der Probleme und Teilprobleme, die bearbeitet werden
sollen (aktuelle Situation, bisherige Entwicklung, Chancen für Verän-
derung..)
- Resümee zum Stand der Aufarbeitung und Abschluss der Analyse
Strukturphase (Lösungssuche):
- Entwicklung und Planung von Maßnahmen (Ideensammlung ohne
jegliche Bewertung)
- Gewichtung der Ideen, Festlegungen und Absprachen (so präzise wie
möglich: Zuständigkeit, Zeitrahmen...)
Kontraktphase (Beendigung des Gesprächs):
- Zusammenfassung der Ergebnisse
- Vereinbarung eventueller Folgetreffen

Beratung unter Pädagoginnen und Pädagogen


Kollegiale Ein bewährtes Verfahren des Sich- Beratens im pädagogischen Kontext ist die
Fallberatung
Kollegiale Fallberatung (KFB). Training in Kollegialer Fallberatung kann über die
regionalen Ambulanzlehrkräfte angefragt und als regionale Fortbildung organi-
siert werden.

47
Einteilung nach Bachmair, Faber, Hennig, Kolb, Willig: „Beraten will gelernt sein – Ein Praktisches Lehrbuch für
Anfänger und Fortgeschrittene“, Weinheim und Basel 1989

34
Die Kollegiale Fallberatung ist ein Verfahren, bei dem sich eine Gruppe von
Lehrerinnen und Lehrern in festgelegten Arbeitsschritten mit einem Problem
befasst. Am Ende einer etwa zweistündigen Beratung steht ein Förder- oder
Erziehungsplan. Sein Erfolg wird in der Regel zu Beginn des folgenden Tref-
fens, also nach ca. sechs Wochen, evaluiert.
Angeleitet werden kann die Kollegiale Fallberatung von einer mit dem Ver-
fahren vertrauten Person 48 . Nach wenigen Sitzungen ist die Gruppe aller-
dings meistens selbstständig in der Lage, das Verfahren mit wechselnder
Leitung zu übernehmen. Wünschenswert wäre es, wenn die Kollegiale Fall-
beratung dann zu einem institutionalisierten Teil des Schullebens wird.
Durch die Arbeit mit der Kollegialen Fallberatung erhöht sich erfahrungsge-
mäß die pädagogische Professionalität im Umgang mit schwierigen Schüle-
rinnen und Schülern. Die Pädagoginnen und Pädagogen schärfen ihren Blick
für adäquate Verhaltensweisen, die Sichtweise auf mögliche Ziele eines Ver-
haltens und den situativen Kontext (systemische Sichtweise) wird eröffnet.
Übersicht über die Schritte der Kollegialen Fallberatung nach Bergsson/
Benckmann:
Arbeitsschritte Hinweise für Moderatoren
1. Klärung
Zeit – Gesprächsleitung – Fall Vereinbarungen notieren!
2. Bericht
konkrete, aktuelle Situation mit der Unterbrechungen und Zwischenfragen nicht
Schülerin/ dem Schülerin zulassen!
3. Blitzlicht
Welche Gedanken/ Gefühle hat der Keine Bewertungen oder Lösungsvorschläge
Bericht bei mir ausgelöst? zulassen!
4. Erweiterung des Berichts
- z. B. Verhalten in versch. Fächern/
Phasen/ Situationen Möglichst viele wesentliche Informationen
- Bedingungen, unter denen die Schü- sammeln!
lerin/ der Schüler nicht auffällig ist Darauf achten, dass nicht unterbrochen wird!
- Stellung in der Klasse
- bisherige Maßnahmen
- Umfeld des Schülers
5. Nachfragen und Ergänzen Wortmeldungen steuern u. zusammenfassen!
- Vertiefung einzelner Aspekte Darauf achten, dass vorhandene Ressourcen
- Ergänzungen durch Fachlehrer angesprochen werden!
6. Ich-als-Runde Aussagen im Indikativ, nicht im Konjunktiv!
- Lehrerin/ Lehrer Bewertung/Lösungen nicht zulassen!
- Schülerin/ Schüler
- evtl. weitere Person
7. Lösungen Brain-writing: Alle Vorschläge sind erlaubt!
- Bearbeitung des Rasters (Gleichberechtigung päd. Konzepte)
- Maßnahmenplanung
8. Vereinbarungen Absprachen knapp und sachlich formulieren
Wer tut was wann?/ Wer informiert und notieren!
wen?

48
Häufig sind dies die für den Förderschwerpunkt „Emot.-soz. Ent.“ zuständigen Ambulanzlehrkräfte im Bezirk.

35
6 Wie wird sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich
emotionale und soziale Entwicklung festgestellt?

Bevor ein Antrag auf Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs im


Förderschwerpunkt „Emotional-soziale Entwicklung“ gestellt wird, sind fol-
gende Schritte zu beachten:

Allgemeine individuelle Förderung in der Klasse 49 : Im Rahmen einer


Teambesprechung oder ggf. mit Hilfe der Kollegialen Fallberatung 50 werden
individuelle Förderziele im Verhalten festgelegt, dokumentiert und bearbei-
tet. 51

Förderbedarf hält an

Hinzuziehung weiterer schulischer Ressourcen: Beratungs-/Ambulanz-


lehrkräfte der Schule, Ambulanzlehrkräfte mit dem Förderschwerpunkt „Emo-
tional-soziale Entwicklung“ im Bezirk, Schulpsychologischer Dienst. 52

Förderbedarf hält an

Einberufen einer Schulhilfekonferenz (SoPädVO § 31,4/ GsVO § 15,3):


(Teilnehmende: Lehrkräfte der Klasse, die Erziehungsberechtigten, ggf. Sonderpädagoge/ Ambu-
lanzlehrer, Vertreter des schulpsychologischen Dienstes, des Kinder- und Jugendgesundheits-
dienstes, des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes und des Jugendamtes. Das
Hinzuziehen des Jugendamtes ist verpflichtend, wenn sich bei einer Schülerin oder bei einem
Schüler Hinweise auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Hilfen nach §§ 27 ff. oder von
Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a des Achten Buches Sozialgesetzbuch ergeben
haben (vgl. GsVO) oder wenn Hinweise auf eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegen (vgl.
Kap. 4 zum Thema „Vernachlässigte Kinder“).

Klärung:
• Welche pädagogischen Maßnahmen wurden bisher getroffen?
• Welche Beratungsdienste und andere außerschulischen Institutionen wa-
ren bisher diagnostisch oder helfend tätig (ggf. Hilfen einleiten)?
• Wie schwerwiegend ist die Auffälligkeit? Wie häufig tritt sie auf?
• Kann eine akute Krise als Ursache ausgeschlossen werden? (Chronizität)
• Bestehen noch weitere konkrete Fördermöglichkeiten im Unterricht?
• Bietet das vorhandene Stundenpotential der Schule weitere Ressourcen
für die Realisierung eines zukünftigen Förderplans?

Die der Schule zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erweisen sich als er-
schöpft und der erhöhte Förderbedarf erscheint gravierend und langandauernd.

Antrag auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im


Bereich emotionale und soziale Entwicklung (SoPädVO §§ 31 ff.).

49
zu förderlichen Bedingungen und gezielten Fördermöglichkeiten siehe Kapitel 2 und 3
50
siehe auch Kapitel 5
51
Erstellung eines individuellen Förderplans (ggfs. mit Hilfe der Ambulanzlehrkraft des Förderschwerpunktes).
Partizipation des Schülers / der Schülerin entwicklungsangemessen sicherstellen. Siehe hierzu auch
Handreichung zur sonderpädagogischen Förderung „Förderplanung“
52
Ansprechpartner im Bezirk siehe Kapitel 7

36
7 Wo finde ich Unterstützung und Ansprechpartner?

Je umfassender alle am Leben des Kindes beteiligten Personen in die Förde-


rung einbezogen werden, umso größer ist die Chance auf Erfolg!
Neben der Zusammenarbeit mit den Eltern der betroffenen Schülerinnen und
Schüler gibt es weitere Unterstützungsmöglichkeiten innerhalb und außer-
halb des Systems Schule (vgl. Übersicht auf der nächsten Seite). Um die
Zusammenarbeit im Bezirk zu erleichtern, sind die bezirklichen Multiplikato-
rinnen gebeten, die nachfolgende Tabelle durch Ansprechpartner vor Ort zu
ergänzen:

Name der Stelle/ Ein- zuständig für Adresse/ ggf.


richtung Tel.- Nummer Ansprechpartner
zuständiges Förder- Beratung und Ambu-
zentrum lanz
Schulpsychologisches Einzelfall- / system-
Beratungszentrum bezogene Beratung
bei schulrelevanten
Fragen und Problem-
feldern/ Gewaltprä-
vention/
Begabungsförderung
Bezirkliche Erzie- Beratung der Eltern
hungs- und Familien- und Lehrkräfte
beratungsstelle

Kinder- und Jugend- u. a. Zuweisung § 35a


psychiatrischer Dienst
Regionaler sozialpä- Hilfen zu Erziehung,
dagogischer Dienst im u. a. Bewilligung inte-
Jugendamt grativer Lerntherapien
Kinder- und Jugend- schulärztliche Unter-
gesundheitsdienst suchung, Beratung/
Frühförderung
Kinder- und Jugend- Diagnostik/Therapie
ambulanz/ Sozialpädi- Koordinationsstelle
atrische Zentren für alle Bezirke:
Tel.: 030 823 80 63
Kinder- und Jugend- Diagnostik/ Therapie
psychiatrische bei vermuteten psy-
Ambulanz der chiatrischen Erkran-
Kliniken kungen

37
außerunterrichtliche Eltern: z. B.
Übersicht über schulische und außerschulische
Angebote: z. B. regelmäßige Bera-
Unterstützungs- und Förderangebote
Schulstation tungszeiten
im Bereich emotionalen und sozialen Lernens Erziehungsverträge
Pausenaktivitäten
Psychomotorik AG Müttercafé
Konfliktlotsen Schulkonzept zum sozialen Lernen und zur Elternarbeit Elternnachmittage
Schulsozialarbeit Sprachkurse
Schulklima
Schulregeln

Zur Unterstützung bei Erziehungs- Bei der Vermutung gravierender


fragen und Erziehungsproblemen in mentaler Entwicklungsrückstände
der Familie: z. B. Schülerinnen und Schüler / diagnostische Abklärung:
Erziehungs- und Familienbera- Klasse: über Kinderarzt Zentrum für
tungsstelle individuelle Förderung Kindesentwicklung, SPZ
Jugendamt – Hilfen zur Erzie- klare Strukturen KJPD
hung (z. B. soz. Gruppenarbeit) Kinder- und Jugendpsych.
Rituale, Regeln
Arbeitskreis Neue Erziehung Kliniken
wertschätzende Beziehun-
Fachärzte
gen

Zusammenarbeit mit außer-


Klassen-/ Stufen- Team mit Lehrkräften/ Erziehenden Schulhilfe- / Hilfe- / schulischen Kooperations-
temporäre Lerngruppe Fallkonferenzen partnern: z. B.
Beratung durch: Sozialraum-AG
multiprofessionelle
Sonderpädagogische Lehrkräfte in der Schulanfangsphase AG Gewaltprävention
Problemanalyse und
Sonderpädagogische Lehrkräfte an der Schule Hausaufgabenhilfe
Hilfeplanung
Ambulanzlehrkräfte „Emotional-soziale Entwicklung“ Rucksack-Projekt
Schulpsychologie (z. B. Einrichtung einer Gruppe Kollegiale Polizei
Fallberatung) Stadtteilmütter
Schulpsychologie Bereich Gewaltprävention und Krisenin-
tervention

00
Anlage: Handlungsleitfaden zur Schuldistanz/ Auszug aus dem Schulrundschreiben
53/ 2006 ‚Einheitliches Verfahren zur Überwachung der Schulpflicht’ vom 15.09.2006

Schulversäumnis Maßnahme Verantwortlich Bemerkungen

Unentschul- → Mitteilung an Eltern Klassenlehrkraft


digtes Fehlen
→ Persönliche Kontaktaufnahme
länger als drei
Tage → ggf. Hausbesuch

→ Persönliche Kontaktaufnahme
Unentschul- → ggf. Kontakt mit dem Sozialpäda- Schule Der Vordruck Schul II 141
digtes Fehlen gogischen Dienst, Jugendamt, - Schulversäumnisanzeige –
länger als zehn dem Schulpsychologischen Bera-
Tage wurde überarbeitet
tungszentrum und/oder der Clea-
ring-Stelle (siehe Anlage)
→ Kontakt mit Schulaufsicht
→ Stellungnahme der Schule,
Sachverhaltsprüfung, keine Ent-
scheidung über evtl. Bußgeld
Individuelles gestaffeltes Verfahren in
anschließend Abwägung des Einzelfalles: Schulamt Als problematisch wird einge-
(sofern → Abfrage beim LABO zu Prüfung schätzt:
der Meldedaten - Ungenügender Zugriff auf
keine
→ zur Klärung der Adresse wird ggf. den Datenbestand der
Klärung) der bezirkliche Prüfdienst (soweit LABO
vorhanden), das Ordnungsamt - Abschaffung der Abmelde-
oder der Polizeiabschnitt einge- pflicht bei Wegzug, auch
schaltet keine Abmeldung bei
→ Schriftliche Verwarnung, ggf. Zwangsabschiebung von
unter Androhung eines Bußgel- Ausländern
des. Die Eltern sollen sich inner- - Kein möglicher Abgleich der
halb von zwei Wochen äußern Melderegister der Bundes-
(Anhörung) länder
→ Einschalten des Sozialpädagogi- - Aufgrund der datenschutz-
schen Dienstes, Jugendamt rechtlichen Bestimmungen
→ Einschalten des Schulpsycholo- ist kein automatischer Ab-
gischen Beratungszentrums gleich mit anderen Behör-
→ ggf. Bußgeldverfahren den möglich (Agentur für
Arbeit, Kindergeldstelle, So-
→ ggf. zwangsweise Zuführung mit zialämter, etc.)
Hilfe der Polizei
→ Prüfung eines möglichen Schul-
wechsels gemeinsam mit der
Schulaufsicht (auch Projekte für
Schuldistanz etc.)
→ Prüfung der Einschränkung oder
des Entzugs des elterlichen Sor-
gerechts gemeinsam mit dem Ju-
gendamt
Wenn Schulen Kenntnis davon erlan- Schule Eine juristische Prüfung bei
gen, dass Kinder in Berlin gemeldet Schulamt SenBJS ist erfolgt.
sind, tatsächlich aber ihren gewöhnli- Eine direkte Mitteilung beispiels-
chen Aufenthaltsort im Ausland ha- weise an die Familienkasse oder
ben, können sie die Berliner regelmäßige Datenübermittlun-
Meldebehörden entsprechend unter- gen sind nicht zulässig.
richten. Entsprechendes gilt, wenn
Kinder innerhalb Deutschlands oder
auch nur des Landes Berlin umzie-
hen, aber nicht ordnungsgemäß (an-)
gemeldet sind.

00
www.lisum.berlin-brandenburg.de

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