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NIKEPHOROS UND DER BILDERSTREIT

NIKEPHOROS UND DER


BILDERSTREIT
EINE UNTERSUCHUNG üBER DIE STELLUNG DES
KONSTANTINOPELER PATRIARCHEN NIKEPHOROS
INNERHALB DER IKONOKLASTISCHEN WIRREN

PROEFSCHRIFT
TER VERKRIJGING VAN DE GRAAD VAN
DOCTOR IN DE GODGELEERDHEID AAN DE
RIJKSUNIVERSITEIT TE GRONINGEN, OP
GEZAG VAN DE RECTOR-MAGNIFICUS DR.
R. W. ZANDVOORT, HOOGLERAAR IN DE
FACULTEIT DER LETTEREN EN WIJSBE-
GEERTE TEGEN DE BEDENKINGEN VAN DE
F ACULTEIT DER GODGELEERDHEID TE VER-
DEDIGEN OP WOENSDAG 27 FEBRUARI 1952
DES NAMIDDAGS TE 4 UUR

DOOR

ANNE lIPPE VISSER


GEBOREN TE MOLKWERUM

, S-GRA VENHAGE

MARTINUS NIJHOFF
1952
Promotor: Professor DR J. LINDEBOOM

ISBN 978-94-015-1563-4 ISBN 978-94-015-2682-1 (eBook)


DOI 10.1007/978-94-015-2682-1
PIAE MEMORIAE MATRIS
PATRIQUE
NECNON EXCELLENTISSIMAE UXORI
ET FILIIS
OPUS DEDICATUR
VOORBERICHT

Nu ik met de verdediging van dit proefschrift aan het einde


gekomen ben van mijn academische studie wil ik met een kort
woord allen danken die mij hulp en steun geboden hebben.
Dan noem ik U allereerst, hooggeleerde Lindeboom, hoog-
gewaardeerde promotor, voor de wijze waarop U mijn schreden
op het pad der kerkgeschiedschrijving geleid hebt zonder ook
maar in het minst de zelfstandigheid van mijn onderzoek te
schaden. Een uitgebreid werk van Uw hand over de methodiek
der kerkhistorieschrijving bestaat niet doch gij hebt door Uw VOOf-
beeld aan allen die het voorrecht mochten smaken Uw leerlingen te
zijn, de juiste methode getoond. Wanneer dit geschrift een blijk
mocht zijn dat, wat mij betreft, dit zaad niet in geheel onvrucht-
bare aarde gevallen is, zou mij dat een hoge voldoening schenken.
Ook de andere hoogleraren van de Groningse fac. der godge-
leerdheid ben ik grote dank verschuldigd VOOf het degelijke on-
derricht dat ik van hen mocht genieten. Drie van degenen wier
onderwijs ik destijds volgde, Prof. Dr. L. H. K. Bleeker, Prof.
Dr J. Aalders en Prof. Dr G. van der Leeuw, zijn niet meer
in leven; het zij mij vergund hun nagedachtenis met weemoed
te eren door het noemen van hun naam.
Diepe dankbaarheid vervult mij jegens mijn ouders die zieh
grote offers getroost hebben om mijn universitaire studie moge-
lijk te maken. Dat mijn moeder deze dag niet heeft mogen be-
leven is een droevige gedachte.
Mijn dank voor de wijze waarop mijn vrouw mij bij deze arbeid
heeft gesteund en gestimuleerd kan in woorden niet uitgedrukt
worden.
De Heren Kunke en Van Dommelen die hun kennis van
de Duitse taal zo bereidwillig mij ten dienste stelden door
het Duits van mijn HS na te zien en hier en daar te verbeteren,
wil ik hier mijn welgemeende dank betuigen.
Verder spreek ik mijn erkentelijkheid uit jegens allen die door
raad en hulp en belangstelling mij tot steun zijn geweest.
INHALT

EINLEITUNG . . . .
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES . 12
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES . 33
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS . 49
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS. . 86
A. N IKEPHOROS ÜBER DIE KIRCHE. . . . 86
B. DIE CHRISTOLOGIE DES NIKEPHOROS. . 97
C. DER EIKON-BEGRIFF BEI NIKEPHOROS • 109
EPILOG. . . . . . . . . . . . . . . . . 120
EINLEITUNG

Der Kampf um die Bilder und ihre Verehrung, der mit einer
Unterbrechung von nur zwei Dezennien, mehr als ein Jahrhun-
dert in Byzanz getobt hat, zeigt vielerlei Aspekte. Diese Streit-
frage ist, ausser ihrer überragenden Wichtigkeit für die Kirchen-
und Dogmengeschichte, auch in politischer und gleichfalls in
kunst- und kulturhistorischer Hinsicht von grösster Bedeutung.
Die Fülle des Stoffes ist so gross dass wir uns in dieser Abhand-
lung eine gewisse Beschränkung auferlegen müssen um eine Aus-
wahl der geeigneten Gesichtspunkte treffen zu können. Wir wol-
len uns in dieser Dissertation hauptsächlich auf den dogmen-
und kirchenhistorischen Aspekt konzentrieren.
Gerade der Bilderstreit steht am Ende der dogmatischen
Entwicklung der Ostkirche. Diese Kirche betrachtet bekannt-
lich die Reihe der "sieben Synoden" als absolut normativ und
wir können es als mehr als einen biossen Zufall betrachten dass
gerade die 7. oekumenische Kirchenversammlung, die diese
Reihe abschliesst, den Bilderkult sanktioniert hat. Der Streit
um das Filioque z.B. war eigentlich keine interne Angelegenheit
für die Kirche Byzantiums: mit völliger Einmutigkeit und er-
staunlicher Solidarität machte man Front gegen das "ketzeri-
sche" Westen. Bei den Wirren um Photius wie beim Hesychas-
tenstreit waren Fragen wesentlich undogmatischen Charakters
umstritten; über das Dogma als solches waren die Meinungen
nicht verschieden wenn man auch, spitzfindig räsonnierend, dog-
matische Abirrungen der Gegner behauptete.
Dem eben Gesagten könnte man vielleicht entgegenbringen
dass es sich auch beim Bilderstreit nicht ausschliesslich und
sogar nicht in erster Linie um das Dogma handle. Freilich galt
es xoc't" e;ox'Ylv dem Kultus, doch stand das Dogma, namentlich
das christologische, wirklich in engstem Zusammenhang damit
und man brauchte es nicht gewaltsam herbeizuziehen. Gewiss
haben auch in diesem Kampfe beide Parteien sich leider be-
teiligt an jener unangenehmen Art der theologischen Konze-
quenzmacherei, die, indem sie die These des Gegners zu ihren
Nikephoros
2 EINLEITUNG

äussersten Folgerungen treibt, die Gegner selbst zu einer Stelle


auf den schwarzesten Seiten des Ketzerkatalogs zu verhelfen
weiss; es war aber nur selbstverständlich dass die Orthodoxen
bei ihrer Bekämpfung der Ikonoklasten sich auf die Christologie
stützten und einen verhüllten Monophysitismus bei jenen zu
wittern glaubten.
Aufschlussreich sind hier das Wirken und die Schriften des zu
Unrecht fast vergessenen Patriarchen Nikephoros; ihm wurde,
trotz seiner für diese Periode charakteristischen Bedeutung
bisher zu wenig Beachtung geschenkt. So wird in der übrigens
verdienstlichen Abhandlung Schwarzloses 1) die theologische
Wirksamkeit des Nikephoros nur in einer kurzen Bemerkung
erwähnt. Karl Holl schreibt in seinem Aufsatz "Die Schriften des
Epiphanius gegen die Bilderverehrung" : " . . .. Nikephoros
macht hier wieder von der kindlichen Unterstellung Gebrauch
durch die er sich in all seinen Schriften die Widerlegung seiner
Gegner erleichtert. Von den hohen Eigenschaften, die A. Ehr-
hardt, bei Krummbacher, "Gesch. der Byz. Lit.", S. 72, ihn
nachruhmt: "edler Freimut .... , Vielseitigkeit der Gesichts-
punkte, Schärfe der Dialektik", vermag ich bei ihm nichts wahr
zu nehmen. Nikephoros steht an Gaben kaum über den von ihm
bekämpften Epiphanius. Für ihn ist die ganze Frage nach den
Bildern immer durch den Nachweis erledigt dass Christus wahr-
er Mensch geworden sei. Wer die Bilder bestreitet ist Doket" 2).
Nun glaube ich nicht dass man Nikephoros ungerechter beur-
teilen kann als Holl es hier tut; wenn der Patriarch die Ikono-
klasten des Doketismus beschuldigt so tut er dasselbe wie alle
Gegner des Ikonoklasmus; wichtiger aber ist es dass dieser
Standpunkt des Nikephoros keine "kindliche Unterstellung" ist
sondern dass er damit die, meist tief verborgenen, Würzel des
Ikonoklasmus ans Licht bringt. Ich möchte darum dem von
Holl angeführten Worte beipflichten und überdies mit Beifall
zitieren was Tixeront schreibt von den Antirhetici des Nikepho-
ros S): "C' est peut-etre l' oeuvre la plus forte et la plus accessible

1) Karl Schwarzlose, Der Bilderstreit, ein Kampf der griechischen Kirche um ihre
Eigenart und um ihre Freiheit, Gotha 1890.
Die Bemerkung: S.180.
B) Karl Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, 11, der Osten, Tübingen
1928, S. 369.
3) J. Tixeront,Histoire des Dogmes dans I' A ntiquitichretienne, Paris 1912, T. 111, p. 470.
EINLEITUNG 3

aux masses qui ait ete ecrite sur la question des images". Schwarzlo-
se 1) nennt den Standpunkt des Theodorus Studita, der sich bei sei-
ner Verteidigung der Bilder auf das christologische Dogma stützt,
einen grossen Fortschritt gegenüber Johannes Damascenus. Nun
findet man geradeso auch bei Nikephoros diese christologische
Begründung und es ist nichts weniger als sicher ob in dieser
Hinsicht Theodor Anspruch auf eine Priorität machen kann, da
doch die schriftstellerische Wirksamkeit beider ungefähr gleich-
zeitig stattgefunden hat. Zwar hätte Nikephoros wohl kaum den
erstaunlichen (freilich auch ermüdend abstrakten) dialektischen
Scharfsinn aufgebracht, den z.B. der dritte Antirheticus des
Studiten verrät, jedoch übertrifft unser Patriarch Theodor an
Grosszügigkeit der Auffassung. Theodor hetzt die absurde ikono-
klastische Lehre von der OC7t€PLYPCX7t'rOc; O"cxp~ förmlich zu Tode
und vernachlässigt darüber die anderen möglichen Aspekte. Bei
Nikephoros hingegen können noch andere Beweisführungen zu
Worte kommen und er hat in der einen oder anderen Form
eigentlich alle Gedanken, die wir auch bei den sonstigen Gegnern
des Ikonoklasmus finden, während wir überdies noch Ideen des
Nikephoros als sein ausschliessliches Sondergut betrachten müs-
sen. So ist es dann gerechtfertigt bei einer Besprechung der
ikonophilen Theologie aus der zweiten Periode des Bilderstreites
von den Schriften dieses Patriarchen auszugehen. Jedoch ge-
nügt es nicht sich auf Nikephoros selbst zu beschränken und
müssen wir uns mit dem ganzen Gebiet der diesbezüglichen
Literatur beschäftigen, soweit sie uns erhalten ist.
Nun kennen wir die ikonoklastischen Schriften ausschliesslich
aus der Bestreitung seitens ihrer Gegner, denn nach der Verur-
teilung der Ketzerei geschah das in solchem Falle Übliche; man
sorgte dafür dass Bücher und Abhandlungen der Ketzer mög-
lichst gründlich vernichtet wurden. Der dürftige Besitz an iko-
noklastischer Literatur ist schnell aufgezählt. Wir haben nur
Fragmente von zwei Abhandlungen des Konstantin Kopronymos,
des fanatischen Ikonoklastenkaiser, die Nikephoros in den zwei
ersten Antirhetici mitteilt und ausführlich widerlegt 2). Ausser-
dem kennen wir zwei Synodalausprüche bilderfeindlicher Syno-

') Schwarzlose, a. a. 0., S. 190 ff.


2) Die Antirhetici: Migne, Patl'ologia Gl'aeca, T. 100 (weiterhin angeführt MPG.).
4 EINLEITUNG

den. Das 7. oek. Konzil berichtet weitlaüfig über den opo~ des
im Jahre 754 abgehaltenen Konzils 1). In 815 fand wiederum eine
Synode in ikonoklastischem Geiste statt, deren theologische
Kundgebung von Nikephoros widerlegt wurde in einem nur
handschriftlich erhaltenen Werke 2). Ein seltsames Gepräge tra-
gen einige Gedichte ikonoklastischer Poeten, die wir als Produkte
dichterischer Hausarbeit, worin die byzantinische Kunst des
Akrostichs akrobatische Formen annimmt, betrachten können.
Sie sind, das ist bemerkenswert, bezeichnend für eine typische
"Kreuzesdevotion" , die sich (wohl als Bilderersatz) gerade bei
den Ikonoklasten stark entwickelt hat: die Buchstaben bilden
nämlich eine Kreuzfigur. Der Inhalt ist nichtssagend, was man
nicht erstaunlich nennen kann; erstaunlich ist vielmehr dass es
den Dichtern gelang in dergleichen verkünstelten Formen noch
irgendeinen Sinn zu legen. Theodorus Studita, der uns die Verse
überliefert hat, ebenfalls in einer Widerlegungsschrift, gibt auch
selbst Proben einer solchen "gekreuzigten" Poesie, die den
Erzeugnissen seiner Gegner nichts nachgeben 3). Dies ist alles,
was noch von ikonoklastischen Schriften übriggeblieben ist.
Hingegen besitzen wir, wie zu erwarten ist, eine viel umfang-
reichere Literatur, die den Bilderstreit von orthodoxer Seite her
behandelt. Wir nennen zuerst einige Briefe. Der Brief des Papstes
Gregorius 11 an den Patriarchen Germanos von Konstantinopel
wurde auf dem 7. oek. Konzil verlesen und in den Akten desselben
aufgenommen 4). Anschliesslich finden wir Briefe die Germanos
schrieb an Johannes, Bischof von Synnadis, und Thomas,
Bischof von Klaudiopolis. Keiner der drei ist in theologischer oder
historischer Hinsicht besonders wichtig. Auch gibt es angeb-
liche Briefe des genannten Papstes an den Kaiser Leo den
Isaurier. Die Echtheit jener wird ziemlich allgemein bestritten,
teils wegen des besonders frechen und banalen Tones, teils wegen
verschiedener Einzelheiten, die auf einen byzantinischen Ur-
sprung hinweisen. Auch ist die Tatsache. bedenklich dass die
Schriften nicht auf dem 7. oek. Konzil verlesen wurden, und
gleichfalls der grosse Unterschied in Stil mit den sicher echten
1) Die Abhandlung samt Widerlegung: Mansi, Sae10rum eoneüiorum nova et
amplissima eolleetjo, Flor. 1759-88, T. XIII, p. 208-356.
B) Vergl. S. 37.
") MPG 99, c.453, 599.
') Mansi, XIII, p.91 und MPG 98, c. 149.
EINLEITUNG 5

Briefen des Gregorius 1). Nach Erwähnungen in den Chroniken


und im Liber Pontificalis können wir als sicher annehmen dass
es zwischen Papst und Kaiser einen Briefwechsel anlässlieh des
Bilderstreites gab. Möglicherweise haben die echten Briefe als
Vorbild für die Episteln, wie wir sie in ihrer heutigen Form be-
sitzen, gedient, jedoch ist es sehr unwahrscheinlich dass sie in
dieser Form vom Papste selbst abgefasst sein sollten 2). Sie wur-
den erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts vom gelehrten Jesuiten
Fronton entdeckt und gedruckt von Baronius a.A. 726.
Von den drei "Orationes adversus Iconoclastas" des Johannes
Damascenus sind die zwei ersten als echt zu betrachten. Sehr
eigenartig aber ist der Aufbau der dritten Rede. Die erste Hälfte
dieses Stückes besteht aus einem Flickwerk von meist buch-
stäblich übernommenen Fragmenten aus den beiden ersten; die
zweite Hälfte ist eine sehr scholastisch aufgebaute Darlegung
über die Bilderverehrung. (Für eine ausführliche Analyse ver-
weisen wir auf Schwarzlose) 3). Gegen die Echtheit der Rede in
ihrer vorliegenden Form spricht dieTatsachedassderdamaskener
Theologe bei Behandlung derselben Gegenstand sonst niemals
buchstäbliche Wiederholungen verwendet. Dagegen besteht was
die zweite Hälfte betrifft weit eher die Möglichkeit der Authen-
tizität; Die Meisterschaft der haarspaltenden Begriffsunter-
scheidungen erinnert an die dialektische Kunst des Johannes.
Vielleicht könnte man die einfachste Erklärung darin finden
dass ein späterer Bearbeiter aus den zwei ersten Reden des
Damaskeners und aus einem mehr systematisch aufgebauten
Werk desselben Schriftstellers kompilatorisch ein Ganzes schaffen
wollte. In den Codices werden noch drei antiikonoklastische
Abhandlungen dem syrischen Theologen zugeschrieben. An
erster Stelle finden wir die "Oratio adversus Constantinum Cab-
ballinurn" (Kaballinos war ein anderer Schimpfname des Kaisers
Konstantin V). Aus dieser Schrift ersehen wir dass der Verfasser
unter die kirchliche Gerichtsbarkeit des konstantinopeler Pa-
triarchen fiel; weiterhin spricht er über die Synode von 754 und
über den Eid gegen die Bilder, den der Kaiser seinen Untertanen

1) Vergl. Schwarzlose, a.a.O., S. 113 ff.


t) Doch ist ein Ostogorsky für die Echtheit eingetreten in einer Festschrift für
Diehl (Melanges Diehl, p.244, 500).
") Schwarzlose, a.a.O., S. 103 ff.
6 EINLEITUNG

im Jahre 766 auferlegte. Da wir so gut als sicher feststellen


können dass Johannes Damascenus bereits vor 754 starb kann er
nicht als Verfasser der Abhandlung in Betracht kommen, was
übrigens auch aus Stil und Gedankengang ersichtlich wird. Wenn
wir annehmen dass diese Schrift noch zu Lebzeiten des Kaisers
verfasst wurde dann müsste man sie nach 766, jedoch noch vor
dem Todesjahr des Fürsten (775) datieren. Es ist aber nicht
ausgeschlossen dass die Oratio erst nach dem Tode des Konstan-
tin geschrieben wurde, da der sehr freche Ton und einige Rede-
wendungen darauf hinweisen. Mit ziemlicher Sicherheit kann
man jedoch feststellen dass die Schrift der Zeit vor dem Konzil
von 787 entstammt. Ebenfalls wurde dem Damaskener die
"Epistola ad Theophilum Imperatorem" zugeschrieben. Da Theo-
philus erst ungefähr hundert Jahre nach Johannes lebte muss
man dem grossen Theologen wohl merkwürdige okkulten Kräfte
beigelegt haben. In einer dritten unechten Streitschrift findet
man sehr deutliche Angaben dass sie etwa um 771 entstanden
sein muss, also mindestens zwanzig Jahre nach dem Tode des
Johannes. Lequien hat alle diese echten und falschen Damasce-
nica in gründlicher Weise herausgegeben 1).
Einer der überragendsten Bekämpfer des Ikonoklasmus war
Theodor der Studite, dessen drei "Antirhetici" als ein Muster-
beispiel antiikonoklastischer Polemik gelten dürfen. Die ersten
zwei sind in Dialogform gehalten; sie sind weniger abstrakt und
reicher an verschiedenartigen Gesichtspunkte, aber andersseits
weniger streng aufgebaut als der dritte, den man beinahe "more
geometrico" abgefasst nennen kann und der fast ausschliesslich
auf die Achillesferse der ikonoklastischen Theologie, die Lehre des
'IX1tep,ypIX1t't'O~- zustandes des Fleisches Christi, zielt. Bei Erwäh-
nung der ursprünglichen Quellen nennten wir bereits seine "Re-
futatio poematum iconoclastarum". Abstrakt wie der dritte
Antirheticus sind wiederum die bt't'IX xecpIXAIX'IX 1tpO~ txovOxAIXO''t'IX~.
Die 1tpoßA1JILIX't'1X 1tpO~ txovOxAlXO"t'IX~ enthalten eigenartige Ge-
dankengänge: so findet man darin Widerlegungen einiger Ar-
gumente der Bilderstürmer, wie z.B. der Behauptung dass, da
man am Himmel wohl das (Stern) Bild des Kreuzes, nicht aber
das eines Menschen findet, man nur das Kreuz anbeten dürfe.
Von Theodor sind weiter eine grosse Anzahl von Briefen überlie-
1) Paris 1712, II tomi, auch wiederholt MPG 94, 95.
EINLEITUNG 7

fert, deren viele vom Bilderstreite handeln. Die beste Ausgabe


der Werke Theodors ist die von Sirmont, wiederholt bei
MPG 99. Betreffs der Schriften des Nikephoros verweise ich
auf Kap. 4, das dessen Leben und Wirksamkeit behandelt.
Ausser den oben erwähnten, mehr theologischen Quellen sind
die Chroniken von grossem Interesse, von denen die wichtigste
die des Theophanes ist. Sie leidet an denselben Fehlern als die
anderen byzantinischen Mönchschroniken : ungenügende Stoff-
beherrschung, das Mitteilen einer Unmenge unzusammenhängen-
der Tatsachen und ein konzequentes Verschweigen von Quellen-
angaben. Trotzdem ist sie unsere wichtigste Fundgrube für
nähere Einzelheiten aus der ersten Periode des Bilderstreites.
Der Verfasser wurde nach einer kurzen Josephsehe Mönch und
setzte in seinem Asketenleben die Chronik des Georgios Synkel-
los, die mit der Weltschöpfung anfängt und beim Jahre 284 ab-
bricht, fort. Theophanes vervolständigte das Werk bis zum
Jahre 813. Während der zweiten ikonoklastischen Periode unter
Leo V trat er als Verteidiger der Bilder auf und wurde deshalb
vom Kaiser in strenger Kerkerhaft gefangen gehalten und später
verbannen. Infolge der erlittenen Misshandlungen und Entbeh-
rungen starb er in 817. Er hat also vieles was er erzählt als Zeit-
genosse miterlebt. Die sogenannte Bonner Ausgabe seiner Werke
ist von philologischem Standpunkte betrachtet sehr schlecht; eine
ausgezeichnete Ausgabe verdanken wir C. de Boor 1). Zwischen
873 und 875 wurde die Chronik vom päbstlichen Bibliothekar
Anastasius ins Lateinische übersetzt 2). Anastasius konnte nicht
genügend Griechisch, wodurch einige erheiternden Missver-
ständnisse verursacht wurden, von denen De Boor im zweiten
Teile seiner Ausgabe .einige zitiert. Trotzdem verdankt das
Abendland diesem lateinischen Theophanes sehr viele Kennt-
nisse von byzantinischen Verhältnissen und Ereignissen.
Eine wichtige Quelle ist auch das Breviarium des Patriarchen
Nikephoros. In Stil und Stoffbeherrschung übertrifft dieser Theo-
phanes bei weitem, wenn auch sein Werk noch in mancherlei
Hinsicht den Stempel des Chronisten trägt. Krumbacher 3) weist
1) Im sog. Bonner Corpus in zwei Bänden erschienen; der griechische Theoph. in
Band I (ex rec. ]oannis Classeni); Überdruck MPG 108. Carl de Boor, Leipzig
1883-1885.
B) Bonner C. 11, wiederholt MPG 108. De Boor 11.
3) Krumbacher, Geschichte der Byzantinischen Literatur, 2, München 1897, S. 350.
8 EINLEITUNG

auf merkwürdige übereinstimmungen zwischen beiden Schrift-


stellern und gleichzeitig auf Gegensätze in der Chronologie hin. Er
hält es für wahrscheinlich dass beide von gemeinsamen Quellen
ausgegangen sind und nicht dass der eine vom anderen abhängig
gewesen sei. Ausserdem hatte Nikephoros durch seine Stellung
als kaiserlicher Sekretär Zugang zu authentischen Dokumenten.
Leider bricht diese Chronik beim Jahre 769 ab 1). Nikephoros,
der Höfling mit theologisch-asketischen Neigungen spricht von
den ikonoklastischen Kaisern objektiver als Theophanes. Man
kann schwerlich erwarten dass diese Schriftsteller ganz "sine ira
et studio" hätten schreiben können. Doch beruhen die mitge-
teilten Tatsachen im Grossen und Ganzen auf Wahrheit; man
kann sie als zuverlässig betrachten.
Auf Anregen des gelehrten Kaisers Konstantinos Porphyro-
gennetos wurde von anonymen Schriftstellern eine Fortsetzung
der Chronik des Theophanes geschaffen, die meist unter dem
Namen Theophanes Continuatus zitiert wird 2). Trotz der in
diesem Werke vorherrschenden Tendenz um die Vorgänger der
makedonischen Dynastie möglichst minderwertig erscheinen zu
lassen ist Theophanes Continuatus für den Bilderstreit eine
äusserst wichtige Geschichtsquelle. Kostbare Einzelheiten über
den uns beschäftigenden Nikephoros bietet die ebenfalls sich dem
Theophanes anschliessende anonyme Vita Leonis Armenii 3).
Von weniger Interesse sind spätere Chronisten, die sich auf
die Arbeit der obengenannten stützen. Georgios Hamartolos,
auch Georgios Monachos genannt, schrieb eine kurze Chronik'),
die bei Adam anfängt und beim Tode des Theophilos endet. Diese
ist eine Aneinanderreihung von Zitaten und Anekdoten ohne
echt-historisches Interesse. Theophanes und dessen Fortsetzer
stellen für ihn die massgebenden Quellen dar. Für unseren Zweck
fühlen wir uns beim Studium dieses Werkes enttäuscht, da der
Verfasser, ausser dem Schreiber der Vita Leonis, der einzige ist,
der über die Spätzeit des Ikonoklasmus schreibt und die Ereig-
nisse als Zeitgenosse miterlebt hat. Er nennt fast keine

1) Das Brev. in MPG 100. Besser: De Boor, Nicepho1i archiepiscopi constantinopo-


Utani Opuscula Historica, Leipzig 1880.
") Die Ausgabe von Bekker im Bonner Corpus wiederholt bei MPG 109.
") MPG 108.
') Die ungenügende Ausgabe von Muralt, Petrograd 1859 findet sich auch MPG 110.
Vorzüglich: De Boor im BibI. Teubne1iana, Leipzig 1901.
EINLEITUNG 9

Tatsachen und iede Berichtgebung wird in einer Flut von mass-


losem Geschimpfe erstickt. Unter der Regierung des Konstan-
tinus Porphyrogennetos schrieb Genesios, dessen vier Bücher
Kaisergeschichte auf Georgios Monachos und einigen anderen
Quellen beruhen 1). Als Quelle für den Bilderstreit hat er wenig
Bedeutung. Der selbständige, historische Wert der Chroniken von
Leo Grammatikos (Ende 10. Jahrhundert), Johannes Skylitzes
(Ende 11. Jhrh.), Kedrenos (Ende 11. oder 12. Jhrh.), Zonaras
(Mitte 12. Jhrh.) und Michael Glykas bilden mit den vorher-
gehenden eine Reihe stets abnehmender Wichtigkeit 2). Was
das achtste und neunte Jahrhundert betrifft sind sie alle nämlich
vollständig auf Theophanes und Theophanes Cont. angewiesen.
Ausser den Chroniken besitzen wir an Überliefertes aus der
ikonoklastischen Zeit verschiedene Vitae von Märtyrern und
Konfessoren. Alle leiden sie unter den Fehlern der byzantini-
schen Hagiographie überhaupt: Fehlen des historischen Sinnes,
Wundersucht, kritiklose Verwendung oft recht trüber Quellen
und eine bloss erbauliche Absicht. Doch müssen wir bemerken
dass wir diese Heiligenleben zum grössten Teil Verfassern ver-
danken, welche die betreffenden Ereignisse selbst erlebt hatten,
oder wenigstens sich mit Augenzeugen in Verbindung stellen
konnten. Darum darf man diese Art von Quellen nicht voll-
ständig ausschalten, wenn auch noch weniger Grund vorhanden
ist sie allzu hoch einzuschätzen. Diese Vitae Sanctorum können
mehr dazu dienen um den Geist der Bilderstreitigkeiten zu ver-
stehen als um die Erkenntnis von Tatsachen zu vermitteln. Bei
Stellen wo ein Heiligenleben mit Theophanes oder Nikephoros
nicht übereinstimmt wird man klug daran tun sich an den vom
Chronisten überlieferten Tatsachen zu halten.
Das wichtigste Stück dieser hagiographischen Literatur ist das
Leben von St. Stephanus der Jüngere, das von einem Namens-
genossen dieses Märtyrers, einem Diakon der Sophieenkirche,
verfasst wurde 3). Es ist ein ziemlich altes Dokument und nicht
ohne historischen Wert; wir kennen mehrere an den Kämpfen
um die Bilder beteiligten Personen nur aus dieser Vita. Andere

1) Nach der Bonner Ausgabe von C. Lachman wiederholt bei MPG 109.
") Leo Gr. nach der Bonner Ausgabe von Bekker bei PMG 108, Skylitzes MPG 122,
Kedrenus, MPG, 121, Zonaras MPG 134, 135, Michael Glykas MPG 158.
') MPG 100, 1069-1186.
10 EINLEITUNG

Schriftsteller haben diesem Werke vieles entnommen. Doch muss


man es "cum grano salis" nehmen da es nicht wenige offenbaren
historischen Unrichtigkeiten enthält. So steigt der Nestor der
Bilderstürmer, der Bischof Eusebios von Nakoleia, aus seinem
Grabe um etwa 20 Jahre nach seinem Tode mit dem Heiligen
disputieren zu können. So wird auch der Patriarch Konstantinos,
der erst bei der Synode von 754 gewählt wurde, bereits vor
dieser Kirchenversammlung mit der Patriarchenwürde bekleidet.
Eine schwülstige und manierierte Stil macht die Lektüre dieser
Schrift zu einem zweifelhaften Vergnügen.
Die anderen Heiligenleben sind nicht alle in Druck er-
schienen; mehrere findet man in der Riesenarbeit der Bolland-
isten: die Acta Sanctorum, während auch MPG einige bietet.
Die Acta des Georgios Spatharios, der zusammen mit zwölf
Genossen hingerichtet wurde unter Leo IV, bieten wenig
Interessantes und sind nicht älter als ungefähr 870 1). Eben-
sowenig sind die Lebensbeschreibungen von St. Andreas in Crisi
und von St. Paulus Novus von grossem Interesse 2). Wertvoller
ist das Leben des Konfessors Niketas, zwischen 820 und 830 vom
Mönche Theosteriktos geschrieben, das auf einem etwas hö-
heren Niveau steht als diese Art von Hagiographie im Allge-
meinen 3). Von demselben Niketas gibt es noch unedierte Vitae.
Weiter sind bewahrt geblieben einige Vitae des Konfessors und
Chronisten Theophanes. De Boor hat in seiner bereits genann-
ten Ausgabe der Chronographie zwei davon veröffentlicht 4).
Wir besitzen zwei Lebensbeschreibungen des gewaltigen Abtes
von Studion, zitiert unter den Namen Vita A und Vita B. Vita
A ist nicht viel mehr als eine spätere Fassung der Vita B 5).
Ein gewisser Ignatios schrieb nebst wenig erfreulichen Gedichten
zwei wertvolle Biographieen älterer Zeitgenossen, die er persön-
lich gekannt hatte, nämlich der Patriarchen Tarasios und
Nikephoros. über das letztgenannte Werk und über Ignatios
sehe Kap. 4.
Wir nennen hier noch beilaüfig die Vita des Johannes, Bischof

1) Acta 55. Aug., 2, p. 434-447.


2) Vita 5t. Andr., Acta 55. Oct. 8, p. 135-142. Vita Pauli Novi, Acta 55. Juli 2,
p. 635-639.
3) Acta 55. Apr. 1, Appendix XX-XXII.
') De Boor, Chronogr., Theoph. 2, S. 3-27.
5) MPG 99, c. 113-328.
EINLEITUNG 11

von Gothie 1) und die Vita des Konfessors und späteren Patriar-
chen Methodios 2), sowie die Lebensbeschreibung des Bruders
des Studiten, Joseph 3). Sehr wichtige Quellen haben wir noch
nicht genannt; es sind die Synodalakten. Die Acta des 7. Konzils
haben uns ausser den Handlungen der Synode in engerem Sinne,
viele wertvollen Urkunden bewahrt 4). Weit weniger wichtig war
die Synode von 842 5).
Auf die Reaktion des Westens auf den Bilderstreit können wir
nicht weiter eingehen, sodass ein Werk wie die Libri Carolini,
worin die Hoftheologen Karls des Grossen die Beschlüsse von
787 zu widerlegen trachteten ausserhalb des zu behandelnden
Stoffes fällt. Jedoch müssen wir auf die Acta der sogenannten
Synode von Paris hinweisen, da hierin ein wichtiger Brief des
Kaisers Michael Balbus sich findet, der nicht nur für die
Gesinnung der gemässigteren unter den Ikonoklasten charak-
teristisch ist, sondern auch ein wirklichkeitnähes Bild von ver-
schiedenen Entartungen, wozu der Bilderkult. führen konnte,
gibt 6). Die meisten Daten betreffs der auf den Ikonoklasmus sich
beziehenden Konzile und Synoden finden sich in der Sammlung
Mansis. Kaum als eine Quelle zur Geschichte des Bilderstreites zu
betrachten ist die den Bildern gewidmete Abhandlung in den
arabischen Schriften des Abu Qurra. Dieser Theodor Abu Qurra,
auch Abucara genannt, gibt die Lehre des Damaskeners treu und
gewandt wieder; doch ist die Quellenwert seiner interessanten
Schrift für uns gering, da sie verfasst wurde in einer Gegend wo
der byzantinische Bilderstreit kaum Nachhall fand 7).

1) Acta 55. Juni 5, p. 190-194.


") MPG 100, c. 1244-1261.
") Acta 55. Apr. 1, App. XXXIV-XLI. Überdr. MPG 105.
&) Mansi, XII, XIII.
i) Ostrogorsky gab nach dem unedierten Nikephorosmanuskript Coisl. 93 (BibI.
Nat. Paris) die opo~ dieses Konzils heraus, unter Berücksichtigung des Cod. Gr. 1250
der BibI. Nat., nachdem Serruys dasselbe in völlig ungenügender Weise versucht
hatte (M/langes d'ArcMologie et d'Histoire, 1903,345-351) nur auf Grund des letzt-
genannten Handschriftes. Der Aufsatz Ostrogorskys in: 5tudien zur Geschichte des
byzantinischen Bilderstreites, Hist. Untersuchungen, Heft 5, Breslau 1929.
0) Mansi, XIV.
7) Eine ausgezeichnete Übersetzung der arabischen Schriften der Abu Qurra gab
G. Graf (Forschungen :rur ehr. Lit. u. Dogmengeseh. 10, 3-4 Paderbom 1910.)
Die griechischen Schriften MPG. 97.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Vor einer Behandlung des Bilderstreites selbst erscheint es


notwendig einige Bemerkungen über das Entstehen des Bilder-
kultes innerhalb der christlichen Kirche und also über das Ent-
stehen einer christlichen Kunst überhaupt, zu machen 1). Die
frühesten Zeugnisse christlicher Kunsttätigkeit, die Katakom-
benmalereien, datieren, nach der allgemeingültigen Ansicht der
Kunsthistoriker, aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhun-
derts 2). Zwar können wir auch in dieser Kunst verschiedene.
Stilarten unterscheiden, gemeinsam ist bei allen diesen Kunst-
äusserungen der fast rein dekorative Charakter. Zwischen or-
namentalen Liniensystemen (die möglicherweise nicht rein or-
namental sind, sondern rudimentäre Reste eines durch Malerei
Architektur vortäuschenden Illusionismus, wie die Villen von
Pompeji in vollendeter Form zeigen, darstellen) finden wir
Figuren, die eine christliche Symbolik zum Ausdruck bringen.
Die Vorstellungen sind meist neu aber der Stil ist rein spätan-
tik 3). Oft sehen wir die Geschichte Jonas, die Jünglinge im
Feuerofen, die keusche Susanna und andere Bilder, welche die
Errettung aus dem Tode in derselben Weise abbilden. Auch
Wundererzählungen wie die Genesung des Blinden, des Lahmen,
der Haemorhoessa und die Wiedererweckung des Lazarus sind
beliebt, ebenso wie betende Figuren (Oranten), der t):.&uc; und
Darstellungen die man auf die Sakramente beziehen konnte, wie
') Ausführlich hierüber die meisterhafte Arbeit von Dr F. van der Meer: Chri$tus
oudste gewaad, Utrecht·Brussel 1949, und: H. Koch, Die aUchristliche Bilder/rage
nach den literarischen Quellen, Göttingen, 1917.
") Von der sehr reichhaltigen Literatur über die Katakomben nennen wir J. Wi!·
pert, die Malereien der Katakomben Roms, Freiburg 1903, P. Styger, Die altchristliche
G1'abeskunst, München 1927, J. N. Bakhuizen van den Brink, De katakomben, 's-Gra-
venhage 1933, und H. Lietzmann, Geschichte der alten Kirche, II, S. 134 ff. Hinsicht-
lich der Beschreibung der Stil arten hat J. de Wit (Spätrömische Bildnismalerei,
Berlin 1938.) Hervorragendes geleistet.
3) Über das rein Antike der Form sagt Van der Meer ebenso geistreich als wahr
(a.a.O., S. 11): "Op de sarcophagen strekt Juno Pronuba haar handen omhoog en
ze heet Orante; de rhetoren zitten bijeen op hun halfronde exedra en heten apostelen;
de ietwat halfwassen Eros uit de dionysische stoet trekt een nobel gewaad aan eil
heet Christus".
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 13

Mose, der Wasser aus dem Felsen schlägt, die wunderbare


Speisung, der Fischer, der einen Fisch aus dem Wasser zieht
U.S.w. Maria mit dem Kinde kommt nur einmal vor. Eine Kreu-
zigung fehlt vollständig, dagegen sieht man den guten Hirten
um so mehr. Die Katakombenkunst verarbeitet einen teils
symbolischen, teils erzählenden Stoff zu Wandschmuck, freilich
so dass das dekorative Element vorherrschend bleibt. Eine
kultische Aufgabe der Bilder kommt für diese Periode gar nicht
in Betracht. Dasselbe gilt auch von anderen Kunstäusserungen
der christlichen Frühzeit, nämlich von der Sarkophagenskulptur
die aus etwas späterer Zeit datiert.
Das ist die Sprache der Monumente. Was sagen nun die
schriftlichen Quellen aus jener Zeit? Es hat den Anschein dass
diese mit den Ergebnissen der kunsthistorischen Forschung
nicht in Einklang sind; sprechen doch die Kirchenväter der
ersten drei Jahrhunderte fast niemals von einer christlichen
Kunst. Koch 1) zieht deshalb die Datierungen der Kunstge-
schichte stark in Zweifel; er nimmt eine viel spätere Ent-
stehungszeit an. Aus einem Argumentum e silentio, dass in
logischer Hinsicht immer von geringer Bedeutung ist wird
hier von Koch wohl allzuviel geschlossen; doch bleibt das
Schweigen der Schriftsteller der Frühzeit merkwürdig. Bei Ter-
tullian 2) finden wir die Erwähnung einer Darstellung des guten
Hirten auf einem Becher, und Clemens Alexandrinus 3) spricht
beiläufig von christlichen Symbolen in Siegelringen. Alle Patres
verabscheuen natürlich diejenige bildende Kunst, die sich der
heidnische Religion zur Verfügung stellt. über eine bildende
Kunst die frei war von Einflüsse der heidnischen Mythologie
scheinen die Kirchenväter der Frühzeit nicht alle gleich gedacht
zu haben 4). Jedenfalls galt in dieser Zeit der Beruf des Malers
oder Bildhauers als eine den Christen unwürdige Beschäftigung,
ganz wie der eines Zuhälters oder Gladiatoren 3). Nur von ketzer-
ischen Sektierer wissen wir dass sie Christusbilder hatten 6). Die
1) Koch, a.a.O., S. 88.
") Tertullianus, De pudicitia, VII, 10.
B) Clemens Alexandrinus, Paedagogus, III, 11, 17-22 (MPG 8, p.633).
Übersetzung bei Van der Meer, a.a.O. S. 33.
') Reichhaltiges patristisches Material bei Koch, a.a.O., passim.
i) U.m. verboten von Hippolytus in seinen Canones (IX, 5).
") Nämlich die gnostischen Karpokratianer nach Irenaeus, Adversus Haereses, I,
25, 6 und Epiphanius, Haereses, XXVII, 11, 6.
14 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Nichterwähnung aller christlichen Kunst, die mehr wäre als


bIosses Kunstgewerbe, könnte übrigens mitbedingt sein durch
die Tatsache dass man damals den bildenden Künstler und seine
Arbeit sehr niedrig einschätzte, ihn gar nicht als "Musensohn"
betrachtete, sondern zu den Banausen, den verachteten kleinen
Handwerksleuten, zählte.
Ein erster Bericht über Bilder in Kirchengebäuden verdanken
wir dem vielbesprochenen Kanon 36 der spanischen Synode von
Elvira 1) (abgehalten 305 oder 306; die Datierung ist nicht ganz
sicher). Dort heisst es: "Placuit picturas in ecclesias non esse,
ne quod colitur et adoratur in parietibus depingatur". Nun sind
alle Kanones dieser Synode in einem recht barbarischen Latein
abgefasst und bereits aus diesem Grunde stösst ihre Deutung auf
Schwierigkeiten; der oben zitierte hat aber den Auslegern die
meiste Mühe gemacht. Besonders den katholischen Gelehrten be-
reitete diese Aussprache ziemliche Verlegenheit. Erheiternd wirkt
es wenn wir hören dass die Patres natürlich keine prinzipiellen
Gegner der Bilder gewesen sein sollten, dass die spanischen Maler
aber so ungeschickt waren dass man um die heiligen Gegen-
stände vor Profanierung zu schützen lieber ein kategorisches
Verbot ergehen liess; oder wenn wir den sophistischen Schluss
lesen dass, weil nur von "picturas" die Rede ist, Skulpturen
offenbar gestattet sind. Man braucht an solchen "Auslegungen"
kein Wort zu verlieren. Ernster zu nehmen, jedoch ebensowenig
glücklich, sind die Versuche Hefeles um die spanischen Patres
von bilderstürmerischen Neigungen frei zu sprechen 2). Ich
glaube dass man hierin nicht anders tun kann als die Ansicht
Kochs zu teilen dass diese Kirchenversammlung prinzipiell gegen
die Anwendung bildender Kunst in den Kirchengebäuden
überhaupt war 3); andererseits dürfen wir uns der Auffassung
nicht verschliessen dass die Notwendigkeit eines Verbots die Fol-
gerung nahe legt dass in diesen Tagen Malereien in den spanischen
Kirchen tatsächlich vorkamen, was Koch wiederum nicht zu-
geben will"). Jedenfalls wurde dieser Verbot nicht allzulange
eingehalten, denn den Werkendes spanischen Dichters Pruden-

1) Mansi, II, p. 264.


") Hefele, Konzüiengesckickte, Arnh.·Freib. 1855, I, S. 170.
a) Koch, a.a.O., S. 31 ff.
') Koch, a.a.O., ebenda.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDER KULTES 15

tius können wir entnehmen dass noch kein Jahrhundert später


Bilderschmuck in den spanischen Kirchen weit verbreitet war 1).
Einige Jahrzehnte nach Elvira schrieb Euseb von Cäsaraea
"zu Ehren Christi und Konstantins des Grossen" ; ausführlich
spricht er auch von der grosszügigen Bautätigkeit seines Kai-
sers. Es findet sich aber in seinen Werken nichts was hindeutet
auf eine Ausschmückung von Kirchengebäuten, die über das
rein ornamentale hinausgeht. Ein einziges Mal vernehmen wir
etwas über vergoldeten Bronzestatuen, Darstellungen des guten
Hirten und des Daniel, jedoch wurden diese in den öffentlichen
Thermen aufgestellt und nicht in einer Kirche. 2) Während des
Bilderstreites beriefen sich Ikonoklasten und Orthodoxe in
gleicher Weise auf Euseb. Die Bilderstürmer zitierten nachdrück-
lich seinen Brief an Kaiserin Konstantia, die ihm um ein Chris-
tusbild ersucht hatte, ein Ansuchen das er entrüstet abwies 3).
Die Verteidiger der Bilder stützten mit seiner Autorität die Ge-
schichte des angeblichen Christusbildes in Paneas 4), das die
Haemorhoessa zu Ehren des Heilands aufgerichtet haben sollte.
Auch führten die Ikonoklasten Aussprüche des eifrigen
Ketzerjägers Epiphanius an, namentlich aus seinem Testament,
aus einer Abhandlung gegen die Bilder, aus einem Brief an den
Kaiser Theodosius und vor allem aus einem Brief an J ohannes
von J erusalem, worin er von einem Vorhang spricht, den er in
einer Dorfskirche zerrissen haben soll weil Christus darauf abge-
bildet war. Diese Schriften wurden von den Orthodoxen als
Fälschungen betrachtet, was auch in der späteren Zeit die all-
gemeine Auffassung blieb. Erst im 17. Jahrhundert haben
protestantische Polemiker die Echtheit dieser Stücke beweisen
wollen. Von wissenschaftlicher Seite verdanken wir K. Holl eine
sehr scharfsinnige Studie, worin er für die Echtheit der Schriften
des Epiphanius gegen die Bilderverehrung eintreten will 5).

') Prudentius, Peristephanon, Hymnus IX und XI (Migne Patr. Lat. 60, c. 433-435
und 530 sqq.).
2) Eusebius, Vita Constantini, III, 49.
3) Ep. ad Constantiam, Mansi, XIII, p.31b sqq; von Nikephoros widerlegt bei
Pitra, Spicilegium Solesmense, I, 383 ff..
C) Eusebius, Hist. Eccl., VII, 18. Über diese und ähnliche Legenden schrieb mit
grösster Ausführlichkeit und Gründlichkeit Von Dobschütz, Christusbilder (Texte und
Untersuchungen, Leipzig 1899).
') K. Holl, Die Schriften des Epiphanius gegen die Bilderverehrung, Ges. Aufs., II,
Tübingen 1929, S.351.
16 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Dagegen widerlegt Ostrogorskyl) die Beweise Holls, die zwar im


ersten Augenblick einen vollkommen genügenden Eindruck
machen doch in Wirklichkeit unzureichend sind. Der russische
Gelehrte beweist in gründlichster Weise dass diese sogenannten
Schriften des Epiphanius auf eine Fälschung beruhen 2). Eine
Ausnahme macht nur das Testament, das auch nach seiner
Meinung sehr wahrscheinlich als echt betrachtet werden muss.
Indessen genügen schon die Zitate aus dem als echt anzusehen-
den Testamente um fest zu stellen dass dieser Bischof ein über-
zeugter Gegner der in seiner Zeit mehr und mehr aufkommenden
Kirchenmalerei war. Es ist also nicht unbegreiflich dass spätere
Fälscher ihre Arbeiten mit dem Namen des Epiphanius decken
wollten.
Die drei grossen Kappadokier, deren Einstellung überhaupt
der griechischen Kultur nicht abhold war, erwähnen hie und da
Gemälde, die Geschichten aus dem alten Testament oder Helden-
taten der Märtyrer darstellten und zwar lobend. Auch Abbil-
dungen von Christus selbst werden von ihnen nicht verurteilt.
Wir können hier nicht auf eine genaue Analyse der Stellen ein-
gehen und nur einfach als Ergebnis einer solchen Nachprüfung
erörtern dass Darstellungen religiöser Themen den drei Kappa-
dokiern nicht mehr bedeuten als Bücher der Laien um auch den
des Lesens nicht kündigen Gläubigen die biblische Geschichte
zugänglich zu machen. In kultischer Hinsicht haben die Bilder
für diese Männer keinerlei Bedeutung 3).
In diesem Zusammenhange ist weiter interessant ein Brief des
heiligen Nilus von Ancyra (Anfang 5. Jahrhundert) an den
Eparchen Olympiodor, der mit dem Bau einer Kirche beschäf-
tigt war. Der brave Beamte wollte darin die üblichen Jagdbilder
anbringen lassen. Nilus ermahnt ihn aber ein Gotteshaus nicht
mit solchen kindischen Sachen, sondern mit Bildern aus der
heiligen Geschichte auszustatten 4). Dies ist wohl ein deutlicher
Beweis dass die Ausschmückung der Kirchen in jener Periode
1) Ostrogorsky, Studien zur Geschichte des byzantinischen Bilderstreites, Breslau 1929.
') Bereits früher hatte Serruys (Comp tes rendus de l'academie des inscriptions et des
belles lettres, Paris 1904, p. 360-363) bewiesen dass der Fragment aus dem Brief an
]ohannes wahrscheinlich nicht echt ist.
8) Eine Aufzählung der für polemische Zwecke meist verwendeten Väterstellen bei
Von Dobschütz, Christusbilder, II, S. 111.
') Nilus, Ep. 61 (MPG 79 c. 577.). Übersetzung des wichtigsten Teiles bei Van der
Meer, a.a.O., S. 19-20.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 17

noch in keinerlei Weise als etwas Sakrales betrachtet wurde.


übrigens, mehr als hundert Jahre später entstand in Konstan-
tinopel die Hagia Sophia, das Wunderwerk womit Justinian
"Salomon übertraf". Bei ihrer Einweihung mag sie in all ihrem
Glanze erschienen sein; religiöse Bilder lieferten auch damals
keinen bedeutenden Beitrag zur Pracht dieser Kirche. Dieses
erschliessen wir nicht nur aus dem "argumentum e silentio"
dass Prokop, der den Bau der Sophienkirche ausführlich be-
schreibt, allen Bildschmuck unerwähnt lässt 1), sondern wir fin-
den auch bei Heisenberg 2) eine positive Angabe in dieser Rich-
tung, nämlich die Feststellung dass die berühmten Mosaikbilder
aus der Hagia Sophia zu gleicher Zeit wie die aus der Apostel-
kirche, also unter Justinian 11, in der Zeit um 656, entstanden sind.
Nun besteht die Schwierigkeit darin dass wir gerade von der
übergangszeit, worin die kultische Bilderverehrung entstand
recht wenig wissen. Fest steht dass, während die kirchliche Kunst
anfangs nur eine dekorative und im besten Falle belehrende
Rolle spielte, Bilder von Christus, von der Mutter Gottes, von den
Heiligen später Gegenstand einer frommen Anbetung geworden
sind. Jedoch tappen wir im Dunklen wenn wir über das "Warum"
und "Wann" dieser veränderten Einstellung genaue Aufschlüsse
verlangen. Nur einige verhältnismässig unzusammenhängenden
Angaben sind uns hierüber erhalten geblieben. Um einige dieser
verfügbaren Daten zu nennen: als erstes Beispiel können wir
die Apologie des Christentums gegen die Juden, die um 600 von
Leontios, Bischof von Neapolis verfasst wurde, anführen. Aus
dieser Schrift wird ersichtlich dass Leontios eine kultische Ver-
ehrung der Bilder nicht nur kennt sondern auch gutheisst 3).
Ein anderes Beispiel entnehmen wir der Vita St. Martini des
Venantius Fortunatus '). In diesem, sicher vor 576 entstande-
nen Werke ist von einem Heiligenbild die Rede, vor dem eine
Lampe brannte. Der Verfasser behauptet dass das Öl dieser
Lampe soviel von der Wunderkraft des heiligen Martinus emp-
fangen hatte dass es ihn von einem Augenleiden heilen konnte.
Hingegen verbot Papst Gregorius der Grosse in einem Schreiben
1) Prokop, De Aedijiciis, I, 1,24, (in der Ausgabe von Loebs Class. Libr., p. 10 ff.).
") A. Heisenberg Die aUen Mosaiken der Apostelkirche und de,. Hagia Sophia,
in EENIA der griechischen nato Universität dargeboten, Athene 1912.
8) Das Zitat in den Akten des 7. oeC. Konzils (Mansi, XIII) und bei Joh. Damasc.
C) Ven. Fortunatus, Vita St. Martini, Buch V, vrS. 690 ff. (MPL 88, C. 426).
Nikephoros 2
18 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

aus dem Jahre 600 die "Adoratio" der Bilder, tadelte jedoch in
derselben Epistola den übermässigen Eifer des Bischofs Seren,
der die Vemichtung der Bilder in seiner Kirche angeordnet hatte.
Gregor beruft sich hierbei auf die Nützlichkeit der Bilder zur
anschaulichen Unterweisung des Volkes 1). Der katholische Dog-
menhistoriker Tixeront trachtet im Interesse des "Quod semper
ubique et ab omnibus" zu beweisen dass der grosse Papst nicht
jeden Kult der Bilder prinzipiell verworfen hat; doch wirkt seine
gekünstelte Darlegung kaum überzeugend 2).
Lehrreicher noch ist eine Erzählung aus dem "Pratum spiri-
tuale" des J ohannes Moschos. Dieses interessante Werk, das
ebenfalls um 600 entstand 3), enthält eine Fülle von Begebenhei-
ten aus dem Mönchsleben und ist sehr aufschlussreich für die
Kenntnis des religiösen und geistlichen Volkslebens jener Tage.
Einer der Geschichten handelt von einem Mönche, der fromm
und treu einem Bilde der Theotokos seine Verehrung darbracht ;
er wurde aber vom Dämon der Unkeuschheit schrecklich geplagt.
Als der arme Mann wieder einmal von diesem Teufel in Ratlo-
sigkeit versetzt wurde, erschien der Höllengeist ihm in leibhafter
Gestalt und bot ihm an dass er ihn weiterhin in Ruhe lassen
wolle wenn der Mönch auch von seiner Verehrung, die er dem
Bilde der heiligen Jungfrau zollte, in Zukunft absehen würde.
Der gequälte Asket stimmte zu aber er hatte später Gewissens-
bisse und erzählte diese Übereinkunft mit dem Teufel in der
Beichte. Sein Beichtvater erklärte ihm dass er besser alle Bor-
delle in der ganzen Stadt hätte besuchen können als von der
Verehrung des Muttergottesbildes abzulassen.
Sollte der Mönchsroman "Barlaäm und J osaphat" wirklich dem
7. Jahrhundert entstammen, wie Zotenberg 4) meint, dann hätten
wir in diesem Werke ein noch treffenderes Beispiel. Wir finden
hier nämlich die Elemente der Bildertheologie aus dem 9. Jahr-
hundert "in nuce". Da die neuere Forschung diese Schrift meist
viel später datiert 5) tun wir besser daran uns nicht auf den
1) Greg. Magn., Ep. XI (MPL 75.).
') Tixeront, Histoire des dogmes, III, p.451.
3) Das Zitat in den Akten des 7. oek. Konzils (Mansi, XIII, p. 590) und bei loh.
Dam .. Näheres über loh. Moschos und sein Werk bei Krumbacher, Byzantinische
Literaturgeschichte, S. 187 ff und Bardenhewer, Geschichte der altchristlichen Literatur,
Freiburg 1932, Bd. V, S. 131 ff.
C) Zotenberg, Notice sur le livre de Barlaäm el Joasaph, Paris 1886.
5) Vergl. der kürze aber sehr orientierende Artikel von H. Bacht im Reallexicoll
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 19

"Barlaäm und Josaphat" als Zeugen zu berufen. Jedoch wird


aus allen Anzeigen wahrscheinlich dass der übergang von Bil-
dern, die nur eine schmuckende oder belehrende Aufgabe hatten
zu einem Bild, das zur Kultgegenstand geworden war, in der
Zeit von etwa 500 bis etwa 600 sich vollzogen hat.
Auch die Heimat der Bilderverehrung ist umstritten. Die
Nestorianer, fanatische Gegner der Bilderverehrung, nennten
Cyri11us, den grossen Bestreiter des Nestorius, den Anstifter des
"neuen Götzendienstes". Wir können es schwerlich entscheiden
ob diese überlieferung auf Wahrheit beruht; die Stellen, die man
in dem Bilderstreite von ihm anführte, beziehen sich ohne Aus-
nahme auf den elxcuv-begriff der Christologie (e:txcuv 'rou E>e:ou).
Wenn auch die Auffassung dass wir in Aegypten der Ursprung
des christlichen Bilderdienstes zu suchen hätten, unbewiesen
bleibt, so ist es andererseits doch bemerkenswert dass die ägyp-
tische Religion sehr stark den Gedanken einer geheimnisvollen
Identität zwischen Gottheit und Götterbild benachdruckte 1),
eine Vorstellung, die wir in verschiedenen der sogenannten
hermetischen Schriften, vor allem in dem lateinischen Aescula-
pius, wiederfinden. Karl Holl verlegt den Ursprung des Bilderkul-
tes nach Syrien 2). Nach seiner Auffassung hätte das in diesem
Lande entstandene Stylitenturn einen bedeutenden Anteil am
Entstehen dieses Brauches. Man glaubte nämlich dass die primi-
tiven Abbildungen (meist kleine Tonplastiken) dieser eigenar-
tigen Säulenheiligen mit ihrer dynamistisch-"mana"haft aufge-
fassten "Gnadenkraft" geladen waren. Die Abhandlung Holls
ist ein Meisterstück und sogar mehr als das, nämlich eine Ent-
deckung. Trotzdem erhält man den Eindruck dass der Verfasser
in begreiflicher Entdeckerfreude den Anteil der Styliten an
dieser Entwicklung überschätzt.
Auffallend ist noch in diesem Zeitabschnitt von 500 bis 600
das Aufkommen von Legenden über &x.e:tp01tOt'YJ't'1X d.h. Chris-
tusbilder, die nicht von Künstlerhand sondern von übernatür-
für Antike und Christentum, S. 1193. Der Roman selbst MPG 96, c. 860-1240. (Auch
erschienen in Loebs Class. Libr. samt englischer Übersetzung).
1) Für die spät-aegyptische Auffassung vom Götterbild vergl. Cumont, Die orien-
talischen Religionen im römischen Heidentum, Leipzig-Berlin 1931, S. 87. Merkwürdige
Stücke aus den hermetischen Schriften: Walter Scott, Hermetica I, Oxford 1926
p. 273 u. 359.
') Karl Holl, Der Anteil der Styliten an das Aufkommen der Bilderverehrung Ges.
Aufs., II, Tübingen 1929, S. 188.
20 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

lichen Kräften aus rohem Stoff geschaffen sein sollten. Das be-
kannteste dieser &x.eLP07tOL'Y)'rOC war das Bild aus Edessa, das mit
der Abgarlegende in Verbindung gebracht wurde; Christus hätte
nicht nur einen Brief sondern auch ein in übernatürlicher Weise
entstandenes Porträt an König Abgar von Edessa geschickt 1).
Im Westen fand die Veronicalegende die weiteste Verbreitung.
Der Gedanke der &x.eLP07tOL'Y)'rOC ist an sich ein Erbteil der Antike.
Bei Griechen und Römer kann man die Vorstellung aus dem
Himmel gefallener Bilder antreffen. Da gibt es das Palladion
von Troja, die "grosse Diana der Epheser" und das Serapisbild
in Alexandrien, um nur drei der allerwichtigsten zu nennen.
Fetischistische Meteorenverehrung mag dabei mit im Spiele ge-
wesen sein. Die &x.eLP07tOL'Y)'rOC der christlichen Legende jedoch
fallen nich aus dem Himmel sondern entstehen auf Erden, sei es
denn in wunderbarer Weise. Von Dobschütz hat in seinem Werke
"Christusbilder" die auf &x.eLP07tOL'Y)'rOC bezüglichen Legenden mit
erstaunlicher Gründlichkeit untersucht.
Wir fragen weiter nach dem Hintergrunde dieser Erscheinun-
gen. Wenn man die geistige Situation untersucht, die das Ein-
dringen der Bilderverehrung in die christlichen Kirche begün-
stigt hat, glaube ich dass man vor allem zwei Elemente hierbei
betrachten muss. Das erste können wir suchen in einem Weiter-
leben primitiver religiösen Ideeen während wir ein zweites und
vielleicht noch wichtigeres Motiv in dem sehr nachhaltigen
Einfluss neuplatonischen Denkens auf das Christentum finden
können. Eine Behandlung des ersten Motives würde ein äusserst
gründliches religionsphänomenologisches Studium voraussetzen
und uns unvermeidlich von unserem eigenen Gebiete abirren
lassen. Es handelt sich ja dabei um den nicht allein und sogar
nicht an erster Stelle in dem Eindringen der Bilder sich kundge-
benden Prozess fortwährend weitergehender Durchdringung des
Christentums mit "Religion zweiter Ordnung". Im Rahmen
unserer Untersuchung können wir nur die Tatsache konstatieren
dass primitive Elemente auch in Kulturen und Religionen, die
man keineswegs primitiv nennen kann, weiterleben und in oft
erschreckender Weise an den Tag treten. (Auch in der Gegen-
wart finden wir davon genug Beispiele. Man denke nur an den
1) Die Abgarlegende ohne den Zug vorn Bilde bereits bei Euseb. Alles nähere von
dieser Erzählung bei Von Dobschütz, Christusbilder, 1., und die Belege in Tl. II.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 21

"modernen" Okkultismus, der alle möglichen animistischen und


dynamistischen Vorstellungen wie die Geisterwelt, den Mana-
begriff u.s.w. praktisch unverändert wieder aufkommen lässt).
In der Frühzeit des Christentums war das Primitive zumindes-
tens ebenso lebendig und in den auf die Frühzeit folgenden
Jahrhunderten konnte es in seiner Durchdringung des Christen-
tums einige Erfolge buchen. Sowohl auf kultischem Gebiete als
im Bereiche der religiösen Idee hat das Christentum primitive
Elemente in sich aufgenommen. Aus der unübersehbaren Reihe
der Resultaten dieser geistigen Osmose können wir das Beispiel
des Reliquienkultes hervorheben, worin wir dynamistische Mana-
verehrung in Verbindung mit Fetischismus sehen und zwar in
einer Weise die an Primitivität nichts zu wünschen übrig lässt.
Auch die Heiligenverehrung nahm nicht nur bald Formen an,
die bedenkliche polytheistischen Tendenzen zeigten, sondern hat
auch in grotesker Weise Reste des alten Heidentums sich einver-
leibt, wovon die Folklore vieler Gegenden ein lebhaftes Zeugnis
ablegt. Die Flut "bekehrter" Heiden, die, gar nicht immer von
religiösen Motiven getrieben, nach dem Siege des Christentums
sich in die christliche Kirche stürzte, hat diesen Prozess sehr
gefördert. Harnack macht dann auch im zweiten Teil seiner
Dogmengeschichte 1) die Bemerkung dass man zwar in den
ersten drei Jahrhunderten noch annehmen kann dass alle Chris-
ten tatsächlich Monotheisten waren, für die Folgezeit aber sogar
dieses nicht einmal stimmt. So finden ebenfalls die Arkandis-
ziplin und andere an die Mysterien erinnernden Züge Eingang.
Als eine der vielen derartigen Erscheinungen kann man auch
das Auftreten des Bilderdienstes betrachten. Die Vorstellung
einer geheimnisvollen Identität zwischen Bild und Abgebildetem
weist immerhin auf eine primitive Einstellung. Recht stark
findet diese sich bei den Götterbildern Aegyptens, die von den
Priestern sogar bekleidet und von Nahrung versehen wurden.
Wenn wir die Vorwürfe der Propheten des alten Testaments
gegen den Götzendienst lesen, so ersehen wir daraus dass die von
ihnen mit so vernichtendem Spotte bekämpften Naturreligiösi-
tät dieselbe Identität annahm. Auch Quellen germanischen
Ursprungs lieferen Material für dieselbe Auffassung 2). In der
1) Harnack, Dogmengesch., 11, S. 7.
") Vergl. Enzyklopädisches Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Stichwör·
ter: "Bild" und "Bildzauber" .
22 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Magie vieler Völker spielt dieser Gedanke eine beträchtliche


Rolle (Tötung "in effigie" u.s.w.). Vielleicht können wir den
Grund dieser Ansichten in der Undifferenziertheit des primitiven
Denkens suchen, das Gleichheit annimmt wo wir nur Ähnlich-
keit sehen, wodurch die Grenzen zwischen den verschiedenen
Objekten, ja sogar die Grenze zwischen Objekt und Subjekt
verwischt werden 1). Wir können also begreifen dass in der pri-
mitiven Denkstruktur das Bild und das Abgebildete einander
gleich sein können. So ist die Annahme berechtigt dass die
Verehrer der Heiligenbilder aus dem 7. Jahrhundert teilweise
die gleiche Identität zwischen dem heiligen Bild und dem abge-
bildeten Heiligen dachten wie sie auch das primitive Denken
kennt. In den vielen überlieferten Legenden von wundertätigen
Bildern, wie wir sie sogar bei einem Manne wie Johannes Damasce-
nus antreffen, begegnet uns eine völlig primitive Grundauffassung
des Bilderkultes. Wenn wir z.B. hören dass man die Farbe von
den Bildern abkratzt und bei der Eucharistie mit dem Weine
vermischt 2), so kann man das nur als Äusserung eines unver-
fälscht dynamistischen Geistes deuten. Theodor der Studite
widmet Worte überschwenglichen Lobes einem Offizier der ein
Bild des heiligen Demetrius bei der Taufe seines Sohnes als Pate
hatte auftreten lassen 3); dagegen widersetzt er sich in einem
Briefe übereifrigen Ikonophilen die den Bildern "Latria"
erwiesen, sie also verehrten in einer Weise alsob sie es mit dem
göttlichen Wesen selbst zu tun hätten 4). Trotzdem wäre es
ungerecht die Bilderverehrung im Allgemeinen nach Auswüchse
wie die obengenannten zu beurteilen. Die offizielle Theologie hat
sich bemüht einen goldnen Mittelweg zu finden zwischen der
völlig primitiven, volkstümlichen Auffassung der Bilder einer-
seits und der Meinung der Ikonoklasten, die jede Beziehung vom
Bilde zum Abgebildeten verneint, andererseits. Wenn man das
Problem streng logisch auffassen wollte so müsste man sagen:
entweder A = B oder A =I- B. Die Theologie der Bilderfreunde
umgeht diese Schwierigkeit. Sie setzt A = ± B. Man kann hier
keine Wesensidentität annehmen; die relative Identität, die
1) Vergl. Van der Leeuw, De pfimitieve mens en de feligie, Groningen 1937, passim.
') So die Mitteilung im Briefe des Kaisers Michael Balbus an Ludwig den From-
men in den Akten der sogenannten pariser Synode, Mansi, XIV, p. 417 sq.
') Theod. Stud., Epist. 17 (MPG 99, c.961).
') Theod. Stud. a.a.O., c. 1029. (Ep. 167).
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 23

hier in Betracht kommt beruht ausschliesslich auf Partizipation.


Als zweiten Faktor nennten wir einen Einfluss platonischer
Gedanken. Da dieser Einfluss sehr bedeutend ist lohnt es sich
wohl hier etwas tiefer darauf einzugehen. Beeinflussung durch
platonisches Gedankengut können wir bereits früh im Theolo-
gisieren der Christen, sobald es etwas mehr reflektiert wird,
beobachten. So stützen sich die Apologeten auf eine ziemlich
dürftige Philosophie, die man am besten als eine platonisierende
Stoa bezeichnen kann. (Bereits 100 v. Chr. war der Einfluss der
platonischen Akademie auf die Stoa begonnen und finden wir
Männer wie z.B. Posidonius) 1). Unter den vielen Einflüssen, die
auf einen so grossen und umfassenden Geist wie Origenes gewirkt
haben nimmt der Platonismus die wichtigste Stelle ein und
dasselbe gilt, obwohl in geringerem Masse, von Clemens Alexan-
drinus. Wir können sogar mit Recht behaupten dass bei den
orthodoxen Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte philosophi-
sche Einflüsse immer auf die Stoa oder auf die Akademie zurück-
zuführen sind. In dieser Periode fand man ein Einfluss aristote-
lischen Denkens beinahe ausschliesslich bei Ketzern; so pflegten
z.B. die Modalisten das Studium der Peripatetiker. Euseb, ein
Mann von grosser Bildung und ein Kenner der heidnischen
Literatur, der es vollkommen verstanden hätte, wenn man sich
auf Platon beriefe, scheint das Zitieren des Aristoteles als ein
Greuel zu betrachten 2). Später bedienten sich wiederum häre-
tische Gruppen wie die Arianer des peripatetischen Begriffs-
apparates, was auch ihre heterodoxen Schlussfolgerungen mit-
bedingt hat. Erst nach jahrhundertelanger übung im Gebrauch
antiker Denkformen war man soweit dass auch Aristoteles von
Männern wie Leontios von Byzanz "getauft" werden konnte 3).
Nicht nur ein gewisser Platonismus im allgemeinsten Sinne,
auch die bestimmte philosophische Schule, die man als Neupla-
tonismus kennt, war für das christliche Denken von grösster
Wichtigkeit. Der Neuplatonismus, der von der ziemlich nebel-
haften Gestalt des Ammonius Sakkas seinen Ausgang nimmt,
der gipfelt in einem Plotin, und von Porphyrios und Jamblich
1) Vergleiche Zeller: Die Philosophie der Griechen, Bnd 111, 2, S. 81 ff., und Über-
weg, Geschickte der Philosophie des Altertums, Berlin 1920, S. 489 ff.
") Harnack, Dogmengesch., I, S. 663. Ebenda das Zitat aus Eusebs Kirchenge-
schichte.
a) Über Leontios: Loofs, Leontius von Byzanz, Leipzig 1887.
24 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

weitergeführt wird, endet als Wissenschaft bei Proklos ; nachher


findet man nur degenerierte Reste womit er endgültig zu Grunde
geht, d.h. zu Grunde geht in seiner Gestalt als heidnische Philo-
sophie. Denn als Justinian im Jahre 529 die Schule von Athen,
wo noch einige drittrangigen Lehrer einen etwas senil geworde-
nen Neuplatonismus dozierten, schloss, sollte der Geist des Neu-
platonismus die Schliessung überleben; der war al1mählig in die
eigene Substanz des christlichen Denkens eingedrungen. Im Ge-
wande der pseudodionysischen Schriften konnte ein Stück Neu-
platonismus, das inhaltlich kaum noch christliche Züge trug,
Anerkennung finden und autorative Geltung in der christlichen
Kirche bekommen. Es empfiehlt sich darum nach Elementen des
platonischen und neuplatonischen Denkens zu suchen, die im
Bilderstreit eine Rolle gespielt haben können. Wie für die ge-
sammte Theologie, so war auch für die Theologie der Bilder die
platonische Zweiweltenlehre, die der Welt der ewigen Ideen die
empirische Welt gegenüberstellt, von grösster Bedeutung. Philo
deutete diesen Gegensatz mit den Wörtern XOO'!L0'; V0"lj1'O'; und
XOO'!L0'; &.~O'&1j1'o,; an, eine Ausdrucksweise die auch in der christ-
lichen Periode allgemein verwendet wurde. Merkwürdig ist dass
gerade die Vorläufer der Neoplatonici und die Neuplatoniker
selbst an diesem Gedanken eine wichtige Änderung vornahmen.
In der ursprünglichen Gestalt des Platonismus war das Element
das Hoffmann 1) das "tmetische" nennt, die scharfe Trennung
der beiden Welten, am meisten betont. Die sichtbare Welt hat
sicherlich einen Anteil an der Idee: das Niedrige wird durch das
Höhere bestimmt, aber die Art dieses Bestimmtseins wird nie
ganz klar. Bei alledem verbleibt das Höhere in unnahbarer Majes-
tät und eine Dynamik der Ideen ist ausgeschlossen. Mit einer
emanatistischen Auffassungsweise im Geiste Plotins hätte sich
Platon nicht vereinigen können. Die späteren Epigonen Platons
wollten den "thronenden" Ideen ihres Meisters eine gewisse
Dynamik geben. Bereits im eklektischen Platonismus aus dem
ersten Jahrhundert vor ehr. sind Spuren dieser Tendenz zu
finden. Doch wird der Unterschied erst bei Philo deutlich und
erreicht seine Vollendung im Neuplatonismus. Philo nennt die
Ideen auch Kräfte. Diese Ideen (Kräfte) bilden in ihrer Ge-

1) E. Hoffmann, Platonismus und Mystik im Altertum, Heidelberg 1935.


DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 25

sammtheit den Logos, der wiederum identisch ist mit dem


XOO'(.LO~ V01J'to~ 1). Dieser merkwürdige Umschwung bei Philo
kann vielleicht zum grössten Teil durch das Streben des jüdischen
Philosophen um auf einer oder anderer Weise mit seinen alttesta-
mentlichen Auffassungen ins Reine zu kommen erklärt werden.
Aber auch bei den Neuplatonikern finden wir eine Dynamisie-
rung der Ideenlehre, jedoch müssen wir hier die Ursache nicht
wie bei Philo in religiösen Motiven suchen sondern ist es viel-
mehr der Einfluss des aristotelischen Entelechiegedankens, der
hier zu dieser Änderung geführt hat. Im Grunde war nämlich
der Neuplatonismus, trotz aller Verehrung für Platon, doch eine
eklektische Philosophie. Nichtplatonische Denker werden nicht
prinzipiell abgewiesen, namentlich nicht die Stoa und die peri-
patetische Schule. Eine Abhandlung wie 1te:PL e:U~IltL(.LOVLIlt~ von
Plotin 2) hatte aus dem Feder eines Stoikers kommen können,
während die Behandlung der Kategorien in dessen zweiter
Enneade sich Aristoteles anschliesst, sei es denn nicht ohne kri-
tischen Bemerkungen. Wir können auch daran erinnern dass die
Scholastiker des Mittelalters den aristotelischen Kategorieenap-
parat aus der Isagoge des Neuplatonikers Porphyrios kennenge-
lernt haben. Derselbe Porphyrios war es auch der in einer Ab-
handlung zeigen wollte dass die platonische und die peripateti-
sche Schule wesentlich auf dasselbe zielen. Es wundert uns daher
nicht dass der Gegensatz ~UVIlt(.LL~ und eV'te:)..e:x.e:LIlt, der für
Aristoteles so wichtig war, auch im Denken des Plotin eine
entscheidende Rolle spielt, eine Rolle die sich keineswegs auf
das rein Formelle beschränkt. Ein charakteristisches Beispiel
hiervon findet sich in seiner ersten Enneade, wo er seine Ästhe-
tik entfaltet. Er beantwortet dabei die Frage nach dem Wesen
des Schönen damit dass etwas schön ist weil es Anteil hat an der
Idee der Schönheit. Diese Formulierung könnte man an sich
"altplatonisch" , ganz im Sinne Platons selbst nennen. Eine
Neuerung jedoch gegenüber Platon finden wir darin dass Plotin
sich die Idee als im Stoffe wirkend vorstellt. Diese Wirksamkeit
der Idee im Stoffe bringt die Mannigfaltigkeit auf eine Einheit
in der Mannigfaltigkeit zurück. Wenn man die Frage nach dem

1) Die Gedankenwelt Philos ist erschöpfend beschrieben von E. Brehier, PhilolJ


d' Alexandrie, Paris 1925.
S) Plotin, Enneades, ed. E. Brehier, in der Bude-ausgabe, Paris 1924, I, p. 4.
26 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Verhältnis der körperlichen Schönheit zu ihrem geistigen Vor-


bilde stellt, so erlaütert Plotin dies mit dem bekannten, schon bei
Philo sich findenden Beispiel vom Architekten, der erst sein
Plan macht, um dann diesen Plan, der an sich geistiger Natur
ist, mit Steinen, Holz U.S.w., eine stofflich-konkrete Form zu
geben. Plotin betrachtet jedoch eine solche stoffgewordene Idee
als weitaus niedriger als eine Idee in ihrer geistigen Reinheit.
"Das sind nur Schattenbilder die nach der Materie entlaufen
sind". Doch fügt er hinzu dass sie die Materie dergestalt bilden
dass uns ein heiliges Schaudern bei der Betrachtung des Geform-
ten überfällt 1).
In anderer Weise wird derselbe Gedanke im 8 Traktat der 5.
Enneade beleuchtet. Diese Enneade behandelt die Metaphysik in
engerem Sinne, nämlich die drei "Urwesenheiten" (das unaus-
sprechliche "Eine", die in Rangordnung darauf folgende vou; und
als dritte die Seele) und weiter die ganze geistige Welt. Am Anfang
der genannten Abhandlung wird die Frage erörtert wie man zum
Schauen der intelligiblen Welt kommen könne. Plotin versucht
dies anschaulich zu erklären durch das Beispiel von den zwei
Steinblöcken, von denen das eine roh und unbearbeitet geblieben
ist, während das andere von Künstlerhand zum Standbild ge-
formt wurde. Nun empfängt die Statue ihre Schönheit nicht von
ihrem "Steinsein" sondern von der Form, welche die Kunst dem
Steine zu geben wusste. Die Form der Statue war im Geiste des
Künstlers bereits vor sie dem Steine Gestaltung geben konnte
und solches war nur möglich weil die Seele des Künstlers an der
geistigen Welt teilhat. Doch ist die höhere Schönheit, die man im
XOO'(.LOC; VO'rJ't'OC; findet nicht ohne weiteres in den Stein überge-
flossen. Aus der absoluten Schönheit die unbeweglich ist und
rein, entsteht eine andere Schönheit, die in der Materie wirksam
sein kann und sogar diese zweite, abgeleitete Schönheit kann
nicht rein erhalten bleiben da sie mit dem Widerstand des
Stoffes zu kämpfen hat 2). Aus der ursprünglichen Auffassung
Platons, dass die sichtbaren Dinge Abbildungen der Ideen sind,
entstehen bei Plotin andere, und hinsichtlich der Wertschätzung
der bildenden Kunst, sogar entgegengesetzte Schlussfolgerungen.
Die These Platons in der Politeia könnte man folgenderweise
') Enn., I, 6, 3. ff.
') Enn., V, 8, I. ff.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 27

kurz zusammenfassen: die sichtbare Welt ist nur ein Abbild der
wahrhaftig seienden Welt der Ideeen und also niederen Grades.
Will man diese in der sichtbaren Welt vorhandene Abbildung
der Ideen wiederum abbilden, dann entfernt man sich in fataler
Weise noch weiter von der wahren Wirklichkeit und gibt Bilder
von Bildern, Bilder aus der dritten Hand sozusagen. Hingegen
hat Plotin in Enn. V, 8 die folgende Beweisführung: die Kunst
ist allerdings nur eine Nachahmung; eine Nachahmung aber
nicht nur der sichtbaren Gegenstände sondern auch der ihnen
zugmndeliegenden Ideen, denn der Künstler tut mehr als b~oss
die Natur kopieren; er steht in unmittelbarer Verbindung mit
der Idee selbst, wovon die Natur ebenfalls eine Nachahmung ist.
Darum braucht die Kunst nicht weiter von der ewigen Wahrheit
der Idee entfernt zu sein als die Natur, ja unter Umständen kann
sie sich dem XOO'!L0~ V0'YJ't'O~ noch mehr nähern.
Dieser Gedankengang fehlt übrigens auch bei Platon selbst nicht
völlig. In dem Jugenddialog des Meisters, Ion, trachtet Sokrates
den beschränkten und eingebildeten Rhapsoden Ion, der jedoch
seine Zuhörer in wunderbarer Weise durch den Vortrag homeri-
scher Verse zu begeistern weiss, mit überlegener Ironie klar zu
machen dass die Begabung des Rhapsoden nur durch eine gewisse
göttliche Inspiration zu erklären sei. Zwar ist der Grundton des Ion
scherzend, ja bürlesk, aber dass ist noch kein Anlass den Haupt-
gedanken nicht ernst zu nehmen, nämlich dass das Schaffen und
im Vortrag Nachschaffen eines Kunstwerkes nur mittels einer
durch Inspiration entstandenen Berührung mit einer höheren
Welt möglich sei. Noch bekannter ist die Stelle aus dem Phai-
dros 1), worin Sokrates den göttlichen Wahnsinn preist, der
auch das Schaffen und Geniessen von Kunstwerken ermöglicht.
Der Künstler, der beim Schaffen überlegt und räsoniert wird
niemals etwas Grosses leisten und seine bedachtsam abgewogenen
Erzeugnisse müssen immer unendlich weit zurückstehen hinter
den Werken, die wir dem göttlichen Wahnsinn verdanken. In
diesen Stellen wird zwar nicht ausdrücklich gesagt dass es hier
ein Teilhaben an der Idee betrifft, jedoch ist eine derartige
Erklärung durchaus im Sinne der platonischen Philosophie.
Leider hat Platon diesen Gedanke nicht weiter entwickelt; die

1) Platon, Phaidl'os, 22.


28 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

immer ablehnendere Haltung, die er in seiner Spätzeit der


Kunst gegenüber annahm hat wahrscheinlich hierzu beigetragen.
übrigens denkt Platon bei den oben zitierten Stellen eigentlich
nur an Dichtkunst und Musik. Der bildende Künstler wurde ja
vielmehr der Klasse der Handwerker eingereiht sodass sogar
grösste persönliche Berühmtheit, wie es z.B. bei Phidias der
Fall war, nicht genügte um den Standesunterschied auszu-
schalten. Nur an einer Stelle spricht Platon über den bildenden
Künstler in weniger geringschätzender Weise, nämlich in der
Politeia 1), wo der Zeichner als Beispiel dafür genannt wird dass
man nicht nur nach dem sichtbaren Vorbild schaffe sondern nach
der unsichtbaren Idee. Hierin greift Platon der späteren ploti-
nischen Auffassung vor. Jedoch steht dieses Beispiel vereinzelt
da und deckt sich nicht mit der Gesammtanschauung des Philo-
sophen. übrigens dient diese Erwähnung des Zeichners nicht der
Erörterung von Fragen, die sich auf die bildende Kunst beziehen,
sondern sie will bloss erläutern dass man beim Entwurf einer
Staatsverfassung nicht nur mit dem "Sein" sondern auch mit
dem "Sollen" zu rechnen habe. Nun ist es merkwürdig dass
Platon gerade diesem von ihm so niedrig eingeschätzten Gebiete
der bildenden Kunst einen seiner wichtigsten Grundbegriffe
entnimmt. Er verwendet nämlich, um das Verhältnis zwischen
sichtbarer und geistiger Welt zu schildern den Ausdruck e:[X(i)v.
Im Timaios z.B. wird die sichtbare Welt durchgängig als e;[X(i)V
des unveränderlichen Paradigmas, der Ideenwelt, betrachtet
und in der Politeia wird ebenfalls derselbe Begriff verwendet 2).
Wenn man die platonische Philosophie in ihrem Gesamteindruck
betrachtet so kann man wohl mit einiger Berechtigung bemer-
ken dass Plotin Platon, wenigstens was die bildenden Künste
betrifft, besser verstanden hat als Platon sich selbst. Man
braucht daher die plotinische Auffassung über die bildende
Kunst nicht notwendig als eine Neuerung innerhalb des Plato-
nismus zu betrachten sondern man kann hierbei an Platon
selbst anknüpfen.
In diesem Zusammenhange müssen wir einen anderen Unter-
schied zwischen Platon und Plotin erwähnen. Bei Platon hatte
die Ideenlehre neben einen metaphysischen einen erkenntnis-
1) Platon, Pol. SOlb und 472d.
") Z.B. Pol. S09d ff.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 29

theoretischen Wert. Die Ideen haben nicht nur ein isoliertes


Dasein, himmelhoch über dem menschlichen Geiste erhaben, sie
sind auch in irgendeiner, nicht eben genau bezeichneten Weise,
regulativ für die menschliche Geistesbetätigung. Bei dem Kenn-
prozess gilt es jedenfalls in Berührung zu kommen mit den
Ideen und so eine Einheit zu sehen in der verwirrenden Vielheit
der Erscheinungswelt. Aus allem wird klar dass, wenn auch in
der Zweiweltenlehre Platons den Dingen in der sichtbaren Welt
die Ideen des XOO'flO<; VO'Y)"t'O<; beantworten, doch stets eine
grosse Anzahl Einzeldinge, zusammengefasst, im noetischen
Bereiche nur einer Idee entspricht. Ganz anders ist hier die
Auffassung Plotins ; der Titel des zweiten Traktats der fünften
Enneade lautet: et "t'wv XIX&' exIXO'''t'ov 'eO'''t'Lv ti3eIXL, ob es Ideen
der Einzeldinge gibt, und diese Frage wird entschieden bejaht.
Bei Plotin bildet tatsächlich die XOO'flO<; VO'Y)"t'O<; eine vollständige
Verdopplung der sichtbaren Welt; jedes Einzelding des XOO'flO<;
IXtO'&'Y)"t'O<; hat sein Gegenstück in der Ideenwelt ; immerhin
unter der Bedingung dass ihm ein wirkliches "Sein" zuerkannt
werden kann. Andererseits schreckt er vor einer kühnen Konze-
quenz dieser Annahme wiederum zurück; er kann nämlich nicht
dazu kommen bei der unendlichen Anzahl der sichtbaren Dinge
auch eine unendliche Anzahl von Ideen anzunehmen. Möglicher-
weise zeigt sich da bei Plotin, obwohl er von aegyptischer Her-
kunft war, die echt griechische Einstellung, die das &:7t'eLpOV, das
Unbegrenztsein, abweist da Schränkenlosigkeit notwendig Form-
losigkeit bedeutet. Jedenfalls kann Plotin unter keinen Umstän-
den eine Unendlichkeit der Ideenwelt annehmen. Die Lösung
des Problems kann in dem Zykluscharakter des Weltgeschehens
gefunden werden. Dieser Gedanke war im Altertum sehr ver-
breitet (Heraklit, die Stoa) und Plotin nimmt ihn auf in der
obengenannten Enneade, besonders im ersten Kapittel. Er äus-
sert da die überzeugung dass der Strom des sichtbaren Gesche-
hens an sich unendlich ist, aber nach dem Verlauf sehr langer
Zeiten sich alles in vollkommen buchstäblicher Weise wiederholt.
So spiegelt sich die materielle Welt in ihrem ewigen Wiederkehr
stets aufs neue in der Ideenwelt. Jeder sichtbare Gegenstand als
solcher ist also ein Teil der unendlichen Kette des Geschehens;
alles war bereits eine unendliche Anzahl Male da und wird noch
unendlich oft wiederkehren. Nur in seinem Ideenwert, also in
30 DIE ENTWICKLUNG DES BILDER KULTES

wieweit dasselbe Einzelding noetisch ist, kann es als "einmalig"


betrachtet werden. In dieser Weise hat Plotin die Idee vor dem
Stürzen in dem Abgrund des Schrankenlosen gerettet.
Eine Stelle gibt es bei Plotin, wo er spricht von der bildenden
Kunst in Verbindung mit der althergebrachten Religion und
Kult 1). Er legt dort eine Lanze ein für die von gar nicht allen
Philosophen gutgeheissenen Götterbilder. Die höheren Kräfte,
sagt er, werden sich vorzugsweise an etwas, das ihnen ähnlich
ist, mitteilen. Nun ist aber das Bild ein matter Abglanz der Idee
einer bestimmten Gottheit, also steht es im gleichen Verhältnis
zu der Gottheit als überhaupt das Sinnliche zu dem Intelligiblen.
Der Gott selbst kommt nicht im Bilde aber die von der Gottheit
in die Welt herabfliessende Kraft findet im Bilde sozusagen den
Punkt, in dem sie sich konzentriert.
Wenn man diese Gedanken des Plotin kennt, erwartet man
vielleicht in Porphyrs Schrift von den Götterbildern 2) die
fruchtbaren Einsichten des grössten aller Neuplatoniker von
seinem genialen Schüler weiterentwickelt zu sehen. Man wird
jedoch enttäuscht wenn man die erhaltenen Fragmente dieser
Schrift liest. Der Anfang des Werkes klingt fast wie eine Myste-
rieninitiation aber was wir weiter zu hören bekommen ist nicht
mehr als, zum Teil recht billige, Allegorese. Das Abbilden der
Götter ist hier nicht ein Formen der Materie nach einem in der
intelligiblen Welt geschauten Urbilde; es ist vielmehr eine Chif-
freschrift wobei man genau und pedantisch den Schlüssel ge-
brauchen muss um den Sinn zu fassen. (So stellen die drei
Köpfe des Cerberus die drei Positionen der Sonne dar und ein
ithyphallischer Hermes deutet auf den das All tragenden Aoyoe;
O'7te:p!J.cxnxoe; hin). Eins darf man freilich nicht vergessen wenn man
die Abhandlung gerecht beurteilen will; dass es nämlich gar nicht
feststeht ob der Verfasser Plotin bereits kannte als er sie schrieb 3).
Der dritte in der Reihe der berühmten Neuplatoniker, Jam-
blich, hat ebenfalls von den Götterbildern geschrieben. Leider
wissen wir von dieser Schrift nicht mehr als das sehr wenige
das uns Photios 4) in einigen Aufzeichnungen mitteilt.
') Enn., IV, 3, 11.
') Die Schrift bei ]. Bidez, Vie de Porphyre, Gent-Leipzig 1913, App. 1 sv.
3) A .a.O., p. 17 sv.
') Photios, Bibliotheca, ed. Bekker, Bonn 1824, cod 215 (137b, 4-32). Angef. bei
Von Dobschütz, Christusbilder, I, S. 85.
DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES 31

Vom letzten der grossen Neuplatoniker, Proklos, ist nicht be-


kannt ob er diesen Gegenstand behandelt hat; er ist aber in an-
derer Hinsicht für uns wichtig. Es ist gewissermassen symbo-
lisch dass eine Abhandlung dieses Philosophen, wenigstens ein
Auszug derselben, vom Pseudoareopagiten in extenso abge-
schrieben wurde. Die Fackel wurde weitergereicht; der Neupla-
tonismus starb als heidnische Philosophie einen ruhmlosen Tod,
im Gewande "christlicher" Theologie aber lebte er entschieden
weiter und könnte noch Jahrhunderte lang das Denken beherr-
schen. Sehr treffend ist die Bemerkung Seebergs 1): "Justinian
hat den Origenismus ausgerottet aber statt seiner stand jetzt
der Areopagite auf dem Plan. Das platonisierende Christentum
glaubte man los zu sein, aber der christianisierte Plotinismus
war an ihrer Stelle getreten". Man kann den Geist des Pseudo-
Dionysius kaum besser wiedergeben als mit einer Variante des
Goethewortes:

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis;


Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche, hier ist's getan;
Das ewig GÖTTLICHE zieht uns hinan.

Das unsichtbare, unaussprechliche, nur durch möglichst


weitgehende Negation einigermassen zu nahende höchste Sein
wird in niederen Potenzen gespiegelt, die ihererseits wiederum
ihre Reflektion in noch niedereren Seinsstufen finden. Wenn es
schon im Grunde die neuplatonische Emanationslehre ist, so
weiss doch der unbekannte Autor mit verblüffender Virtuosität
diese der überlieferten christlichen Doktrin und Terminologie
anzugleichen. Die ganze kirchliche Hierarchie ist in ihrer abstei-
genden Stufenordnung ein Abbild der himmlischen Hierarchie,
wie auch überhaupt das Sichtbare ein Bild des Unsichtbaren ist.
Die e:lxeuv-vorstellung durchzieht diese Schrifte von Anfang
bis zu Ende. Um so mehr mag es sonderbar erscheinen dass die
Abhandlung von der kirchlichen Hierarchie zwar allen mög-
lichen splittrigen Einzelheiten des Kults einen tiefen, mystischen
Sinn beilegt, inzwischen die bildende Kunst als XeLplXyeuYLIX zur
Schau der höheren Welt mit völligem Stillschweigen übergeht.
1) Seeberg, Dogmengeseh. Leipz. 1920, Ir, S. 315.
32 DIE ENTWICKLUNG DES BILDERKULTES

Die Entstehungszeit macht das vielleicht begreiflich, und mög-


licherweise gab es in den (ganz oder halb?) monophysitischen
Kreisen denen der Verfasser entstammte eine Abneigung gegen
die Bilder. Doch war die Einschaltung der Bilder in der Reihe
der das Heilige vermittlenden Symbole bloss eine Sache der
Konzequenz 1).

1) Die Werke des Pseudoareopagiten nach der Ausgabe von Corderius, 1634
übergedr. MPG 3, 4. Vergl. darüber: J. Stiglmayer, Das Aufkommen der pseudo-
dionysischen Schriften, Feldkirch 1895, und Der Neuplatoniker Proklos als Vorlage
des sog. Dion. Ar., Hist. Jahrb., XVI (1895), S. 253-273, 721-748. In der Biliothek der
Kirchenväter eine Übersetzung, ebenfalls von Stiglmayr, mit vorzüglichen Einlei-
tungen. Weiter: H. Koch, Pseudo-Dionysius, Mainz 1900, und H. F. Müller, Diony-
sios, Proklos, Plotinos, Münst. i. W. 1918.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

In diesem Kapittel werden wir die äusseren Ereignisse des


Bilderstreites in aller Kürze darstellen. Am 25. März des
Jahres 717 wurde in Konstantinopel, nach einer Zeit voller
Bürgerkrieg und Feindesdrohung, Leo, mit Zunamen "den
Isaurier" genannt, vom Patriarch Germanos zum Kaiser gekront.
(Der Zuname ist wohl unrichtig, da es nahezu feststeht dass er
von syrischer Abkunft war 1)). Vor seiner Thronerhebung be-
kleidete er den Rang eines G't'potTIlY0C; (etwa "Feldmarschall") der
im Osten gelagerten Truppenabteilungen. Es gelang ihm der
Anarchie ein Ende zu bereiten und die Armee wie das Reich zu
reorganisieren. Dieser erste der bilderstürmenden Kaiser war
ein verdienter Soldat, der sich von den niedersten Rangen
emporgearbeitet hatte und als Kaiser hat er ohne Zweifel das
oströmische Reich gerettet. Vielleicht nicht nur dieses sondern
die abendländisch-christliche Kultur überhaupt, denn die arabi-
sche Niederlage vor Konstantinopel (718) war eine der "Stern-
stunden der Menschheit". Heillos waren jedoch seine kirch-
lichen Massnahmen; er meinte die Kirche ganz und gar zu einem
Staatsdepartement machen zu können und, noch darüber hinaus,
sie in eine Bahn zu dringen die dem natürlichen Verlauf der
Dinge und der ihr selbst innewohnenden Tendenz völlig zuwider
war. Die byzantinische Kirche hat Cäsaropapismus, Führung
und sogar Oberherrschaft der Kaiser in kirchlichen Sachen zu
aller Zeit gedultet solange ihr geistiges Strombett nicht gewalt-
sam verlegt wurde, doch eine Militärdiktatur in spiritualibus, die
ihr Wesen vergewaltigte, ertrug sie nicht.
Was hat Leo zu seiner Bilderfeindschaft veranlasst? Mehr als
Vermutungen können wir darüber nicht vorbringen. Es gibt zur
') Theophan. (a.a.M. 6209): .... von Germanicia, in Wirklichkeit von Isaurien.
Nach der Chronik von Dionysius von Tell Mahre (zitiert von L. Brehier, Vie et mort
de Byzance, Paris 1947, p.67) war er von syrischer Abstammung. Über die Frage
schrieb Schenk, By:. Zeitschrift, V (1896), S. 296 ff. Nach Theoph. a.a.M. 6621 war
sein Taufname Conon. Jedoch mutet die Erzählung sehr unwahrscheinlich an.
Nikephoros 3
34 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

Erklärung eine fantastische Legende 1). Sie erzählt wie die Juden
am Bildersturm Schuld hatten: zuerst hätten sie den Kalif Jeztd
soweit gebracht dass er die Bilder der in seinem Reiche befind·
lichen christlichen Kirchen zerstören liess und ihm geweissagt, er
werde lange regieren wenn er diese Massnahmen treffe. Als Jezid
jedoch, ziemlich jung noch, verstarb, hätte sein Sohn die Ver-
führer seines Vaters teils umgebracht, teils vertrieben. Die
Flüchtlinge hätten den damals bettelarmen Leo irgendwo bei
einem Brunnen angetroffen. Als sie ihm prophezeiten dass er
Kaiser werden sollte hätte er geschworen, wenn dies wirklich
einträfe, alles zu tun was sie von ihm verlangen würden und so
hätten sie ihn zum Bildersturm gebracht. Natürlich ist diese
Erzählung ganz "Dichtung" ohne "Wahrheit"; sie steht in offen-
barem Widerspruch mit der Chronologie denn der Bildersturm
Jezids fand statt als Leo schon regierte. Jüdischer Einfluss auf
den Massnahmen J ezids ist allerdings nicht vollkommen ausge-
schlossen denn wir wissen dass die Juden dieser Zeit grimmige
Gegner der christlichen Kultbilder waren und sich gelegentlich
der Schändung dieser schuldig machten; es wäre aber heller
Wahnsinn eine jüdische Beeinflüssung Leos anzunehmen: hatte
er doch gar ein Edikt erlassen um die Juden zur Taufe zu zwin-
gen 2). Nicht unmöglich hingegen ist eine Nachwirkung seines
Aufenthaltes (als Befehlshaber der östlichen Truppen) in Phry-
gien. Dies war ganz besonders das Land aller möglichen Ketze-
reien und Sekten. Sogar Montanisten fanden sich hier noch
nachdem schon 500 Jahre vergangen waren seit der Entstehung
des Montanismus im selben Phrygien. Nun wissen wir dass von
den Ketzern namentlich die Montanisten und Paulicianer heftige
Gegner der Bilder waren. Es scheint aber dass der herb-aske-
tische altkirchliche Rigorismus dieser Sekten auch das geistige
Klima der dortigen Grosskirehe mitbestimmt hat. Jedenfalls
ist in diesen Gegenden bereits vor dem eigentlichen Anfang des
byzantinischen Bilderstreites eine theologisch, wenigstens religi-
ös, begründete bilderfeindliche Strömung emporgekommen. Die
Bischöfe Konstantin von Nakoleia und Thomas von Klaudio-
polis waren die Wortführer dieser Partei. Aus den Briefen des

1) Oratio adversus Const. Cabb., e. 19, Theophanes, a.a.M. 6215. Nie., Antirheticus,
II!, MPG 100, e. 528 sq. und weiter alle späteren Chronisten.
') Theoph. a.a.M. 6214.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 3S

Patriarchen Gemanos an Konstantin selbst und an dessen Vor-


gesetzten, den Metropoliten von Synnada, wird ersichtlich dass
Konstantin noch vor Kaiser Leo seine Aktion anfing, in seiner
Diozese gegen die Bilder wütete doch bei den meisten anderen
Bischöfen und bei seinem Metropoliten, dem Erzbischof Johan-
nes von Synnada auf Widerstand stiess. Vielleicht hat diese
Strömung auf Leo gewirkt.
Unsere Quellen sprechen nicht selten von islamitischer Be-
einflüssung und dann wird dabei der Name genannt eines ge-
wissen Besers, der, unter Moslimherrschaft Renegat geworden,
in Christenland zurück den Christennamen wiederum genommen
hatte. Er habe, als Günstling Kaiser Leos, diesen Fürst für
"sarazenische" Gedanken schwärmen gemacht 2). Beser ist
gewiss nicht, wie die orakelnden Söhne Abrahams, ein Erzeugnis
der biossen Fantasie. Es klingt eben recht wahrscheinlich dass
seine Berichte von der streitbaren, nicht verweichlichenden und
keineswegs "hinterweltlerischen" Art des unasketischen und
unkontemplativen Islams beim Soldatenkaiser Leo das Ver-
langen erregt hat die christliche Staatskirche von Byzanz in
diesem Sinne zu reformieren. Restlose Einheit geistlicher und
weltlicher Gewalt, wie der Islam sie, wenigstens in dieser Epoche,
kannte war das Ideal Leos; ßotO'LAeuc; XotL tepeuc; dILL seine
Lösung. Das Wunschbild des Kaisers war wohl: in seiner Staats-
kirche ein christliches Gegenstück zum Islam zu schaffen, die als
ersten Pflicht jedem Bürger lehren sollte in Gottesvertrauen
frisch auf den Feind los zu schlagen. Als lahmend musste er
dabei empfinden die ganze Devotion der Ostkirche, die zu einem
tatlosen Quietismus sich neigende Mystik, die Stimmung dass in
Sakrament und Liturgie der Himmel auf Erden niederkomme,
welche so bezeichnend ist für die griechische Orthodoxie bis
jetzt. Allerdings begann in dem Byzanz dieser Zeit die "der
Welt abhanden gekommene" Religiösität Formen anzunehmen,
die der Tätigkeit der Rhomaioi auf Erden bedrohlich waren; der
Geist der Heiligenleben zeigt dies deutlich. Wahrscheinlich hat
der Kaiser diese Stimmung in der sosehr fantasieerregenden
Bilderverehrung sozusagen kristallisiert gesehen. Aus allem wird
klar dass es Gründe der Staatsräson waren die die ikonoklasti-
'} Der diesbezügliche Briefwechsel bei Mansi, XIII und MPG 97.
2) Theoph. a.a.l\L 6215.
36 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

schen Kaiser zu ihrem Einschreiten veranlassten. Ein wirklich


religiöser Antrieb ist bei ihnen kaum zu finden.
Mit grösster Behutsamkeit ging Leo vor, im Bewusstsein dass
die Bilderverehrung schon tiefe Würzeln in die Volksseele
geschlagen hatte. Es ist denn auch nicht wahrscheinlich dass er
bereits 725 oder 726 ein Verbot des Bilderdienstes erliess. Theo-
phanes behauptet das 1), doch dieser Autor pflegt die Chronolo-
gie durchwegs zu malträtieren. Mehr mit den Tatsachen überein-
stimmend wird wohl die Annahme sein dass der Kaiser ange-
fangen sei mit ikonoklastischer Propaganda erst kleineren, später
grösseren Ausrnasses, bevor er die Bilder auch mit Mitteln der
Gewalt bekämpfte 2). Andere Schriftsteller, u.a. Von Ranke 3),
sind der Meinung, hauptsächlich auf Grund einer Mitteilung in
der Vita St. Steph. Jun., dem eigentlichen Edikt von 727 sei
wirklich ein anderes vorhergegangen, das befohlen habe die
Bilder sehr hoch zu hangen, damit die üblichen Formen der
Proskynese, das Küssen der Bilder u.s.w. unmöglich seien. Wie
dem auch sei, Anlass zu einem kräftigeren Vorgehen bot eine
vulkanische Eruption, die eine gewaltige Erschütterung erregte
nicht nur in der Erdoberflache sondern ebenfalls in den Ge-
mütern. (Der Glaube an Prodigia war damals nicht weniger
stark als im Altertum). Leo verkündete nun aufs nachdrück-
lichste dass dies Wüten der Elemente ein Zeichen des Zornes
Gottes über die neue Abgötterei sei. Massnahmen gegen die Bil-
der blieben jetzt nicht aus. Diese verursachten grosse Unruhen,
besonders die Zerstörung des Christusbildes, das die sogenannte
bronzene Pforte des Kaiserpalastes zierte. Rasende Frauen
(dann werden Weiber zu Hyänen) zerrissen buchstäblich einen
Offizier, der Bilder zu vernichten im Begriffe war. Sie wurden
ihrerseits vom entzürnten Kaiser zu den ewigen Gefilden be-
fördert: die reichlich mänadenhaften "Erstlinge der Ernte" der
Märtyrer im Bilderstreit und deshalb von den orthodoxen
Schriftstellern sehr gepriesen. Die Propaganda und die Mass-

1) A.a.M. 6217.
") 50 L. Brehier, Vie et mort de Byz, p. 79. VergI. Vita St. Stepk. fun., MPG 100,
c. 1084.
3) L. von Ranke, Weltgesch. ur 5.307.
') Theoph. a.a.M. 6218. Nie. de rebus post Mauricium gestis ed. de Boor, p. 57.
5) Theoph. a.a.M. 6215. Vita St. Steph. Jun., MPG 100, p. 1085.
') Theoph., a.a.M. 6215.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 37

nahmen in der Armee versetzten die Truppenabteilungen im


alten Hellas und zumal auf den zykladischen Inseln in Aufstand.
Die Griechen waren der Bilderverehrung, in der nur zu oft ihre
alten vorchristlichen Kulte weiterlebten, besonders gewogen.
Eine Flotte mit einem Gegenkaiser, namens Kosmas, an Bord
richtete die Fahrt nach der Hauptstadt aber wurde von der
übermacht Leos, nicht am wenigsten durch das griechische
Feuer, vernichtet. Dieses Ereignis verbesserte die Aussichte des
Ikonoklasmus unermesslich; doch hatte der Kaiser auch emp-
findlichen Misserfolgen den Stirn zu bieten.
Sein Bestreben die Patriarchen Alt- und Neuroms zu biegen
misslang. Patriarch Germanos von Konstantinopel blieb uner-
schütterlich trotz seiner neunzig Jahre und die Versuche den
Papst Gregor 11 einlenken zu machen versetzten Italien in
Aufruhr 1). Germanos trat als Patriarch zurück, nachdem sein
Protest gegen die kaiserlichen Massnahmen nichts genützt hatte.
Nachfolger wurde sein "Synkellos" Anastasios (der Synkellos
war eine Art Sekretär des Patriarchen der diesem oft nach-
folgte). Anastasios ist ohne Zweifel die widerlichste Figur, die
je den konstantinopeler Patriarchenstuhl innegehabt hat. Er
verbot mittels einer O"uvoaoc; eVal)ILOUO":,( den Bilderdienst und der
Kaiser konnte sich jetzt auf kirchlichen Canones stützen, wenn
es auch nicht Canones eines allgemeinen Konzils waren 2).
Im Jahre 730 folgte ein zweites Edikt gegen die Bilder und
hinfort wurde der Kampf gegen sie systematisch geführt. Viele
Orthodoxen verliessen die Hauptstadt und die Bestürzung teilte
sich sogar jenen Christen mit, die ausserhalb der byzantinischen
Reichsgrenzen unter Araberherrschaft lebten. Johannes Damas-
kenos, auch Mansur genannt, wurde hierdurch zum Schreiben
seiner Orationen gegen die Ikonoklasten (vergl. Kap. I) veran-
lasst. Die Patriarchen des Ostens (d.h. die Bischöfe von Alexan-
drien, Antiochien und Jerusalem) sprachen über Leo das Ana-
them aus, was ihnen nicht viel Risiko brachte, da sie sich auf
arabischem Gebiete befanden. Wohl brachte es dem 731 ge-
weihten neuen Papst Gregor III Risiko dass er ein Konzil ab-
1) Liber Pontificalis ed. Duchesne, p. 404-409. Theoph. a.a.M. 6217.
2) Theoph. a.a.M. 6221. Eine Q'uvoao~ ~Va1)[l.ouQ'oc war die Versammlung jener
Bischöfe, die in der Hauptstadt entweder ihren Sprengel hatten oder dort zufällig
anwesend waren.
3) Theoph., a.a.M. 6221.
38 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

hielt, auf dem die Ikonoklasten verurteilt wurden 1), denn Leo
sandte, als er dies vernahm, eine Flotte nach Italien um den
widerspenstigen Pontifex Maximus zu demütigen in der Weise
wie es sich in den monotheletischen Unruhen mit dem unglück-
seligen Papst Martin zugetragen hatte. Die Armada der Bilder-
stürmer wurde aber von einem gewaltigen Orkan fast völlig ver-
nichtet 2). Der Kaiser konnte seiner machtlosen Wut nur Luft
machen indem er diejenige Okzidentalen, die er noch in der
Gewalt hatte ungeheuere Steuern auferlegte und die in diesen
Gegenden befindlichen Teile des Patrimonium Petri (gerade die
einträglichsten) konfiszierte während die illyrischen Kirchen-
provinzen der Jurisdiktion des konstantinopeler Patriarchen un-
terstellt wurden: Tatsachen, die sehr dazu beitrugen den Kluft
zwischen Ost und West zu verbreitern.
In der Regierungszeit Leos sind schon einige für die Sache der
Bilder Märtyrer geworden (wie Georgios Spatharios samt sei-
nen Genossen), und mehrere erlitten Gefängnis, Verbannung
oder Misshandlung und verdienten so den Ehrennamen Kon-
fessor. Doch blieben die Massnahmen innerhalb gewisser Schran-
ken und kann man bestimmt nicht von Terror, kaum von Ver-
folgung sprechen, um so mehr weil es deutlich ist dass diejenige
die wirklich belästigt wurden, oft sehr provozierend auftraten.
Dieses verhältnismässig gelinde Vorgehen sollte jedoch nicht
lange währen.
Leo III verstarb 741 und wurde von seinem Sohne Konstan-
tin V, der Ikonoklast xoc't" &~OX'fjV, nachgefolgt. Die Mönchschroni-
ken haben ihr Äusserstes geleistet um an diesem Manne kein
gutes Haar zu lassen; Anekdoten wie die von seiner Taufe, die
den Neugeborenen schon buchstäblich und figürlich in schlech-
tem Geruche brachte, da er bei dieser Gelegenheit das Tauf-
wasser verunreinigte (daher der Beiname Kopronymos), sind
bezeichnend für den Hass gegen diesen Fürst. Weiter beschul-
digte man ihn entmenschter Grausamkeit, der Trunksucht, Ge-

') üb. Pont., ed. Duch. I, p.415-416.


') Theoph., a.a.M. 6224.
') Theoph., a.a.M. 6224. Vgl. die Diss. Schwarzloses, Die Patrimonien der röm.
Kirche bis zur Gründung des Kirchenstaates, Ber!in 1887, S. 28. und den Brief des
Papstes Hadrian an Kar! den Gr., bei Mansi, XIII, p. 808 und der von Nikolaus I an
Michael und Irene., Mansi XII, 1055 sqq.
Mansi, XV p. 167.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 39

frässigkeit, weitgehender Barbarei, homo- und heterosexueller


Unzucht in allen erdenklichen Formen u.s.w. Diese Berichte
mögen schwer übertrieben sein, als ganz der Fantasie entsprossen
kann man sie m.E. doch nicht betrachten. Schon die Tatsache
dass unsere Quellen bei allen ungeheuerlichen Schimpfkanonaden
auf die Gottlosigkeit Leos des dritten, diesen Kaiser doch nie der
Konstantin zugeschriebenen Perversitäten beschuldigen, gibt zu
denken. Auch der Englische Deist der Aufklärungszeit, Gibbon,
schreibt in seinem, trotz der veralteten Betrachtungsweise noch
immer klassischen Werk 1), obwohl er grosse Sympathie für den
Ikonoklast Leo III zeigt, dass Kopronymus allerdings ein unap-
petitlicher Mensch gewesen sein muss und bemerkt: "Without
adapting the pernicious maxim that where much is alleged,
something must be true, I can however discern that Constantine
the Fifth was cruel and dissolute. Calumny is more prone to
exaggerate than to invent". Trotz seinen abstössenden Zügen
war dieser Kaiser militärisch wie organisatorisch ausserordent-
lieh begabt. Auch er fing seine Verfolgung in einer ziemlich ge-
mässigter Weise an; freilich machte der Aufstand seines auf die
Bilderverehrer sich stützenden Schwagers Artabasdos ihm an-
fangs genug zu schaffen 2). Erst nach mehr als einem Jahr war
er der Lage wieder Herr. Artabasdos wurde sammt seinen zwei
Söhnen geblendet und der wetterwendische Patriarch, der, als
ihm das vorteilhafter erschien, wiederum auf Seite von Artabas-
dos und der Bilder getreten war, wurde, das hinterste vorn
gesessen auf einem Esel, im Hippodrom dem Spott des Pöbels
preisgegeben und nachher öffentlich gegeisselt 3). Mirabile dictu,
der in so entehrender Weise bestrafte verblieb in seinem Amte!
Der Kaiser wollte anscheinend die kirchliche Hierarchie mög-
lichst in Verachtung bringen.
Allmählich wurde nun die Bekämpfung der Bilder energischer
betrieben; wenigstens in der Hauptstadt wurden fast alle ge-
weihten Bildnisse zerstört und durch profane Vorstellungen er-
setzt. Die Mönche, die grösste Förderer der Bilderverehrung,

1) Gibbon, Decline and Fall 01 the Roman Empire, Chap. 48. (von Bury neuediert
London 1896-1900).
S) Theoph. a.a.M. 6233 sqq.
") Die Hss. des Theoph. sagen dass der Patriarch 't1.lCj)A6).&e:tC;, geblendet wurde.
Ein blinder Patriarch war aber amtsunfähig, darum verbessert De Boor in seiner
Ausgabe -rucp.&e:tc;, gepeitscht.
40 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

flohen in grosser Zahl nach entfernten Gegenden oder nach


Italien.
Konstantin war aber klug genug, einzusehen dass "Hammer
und Tünche" allein nicht genügten die Proskynese der Bilder
auszurotten. Er förderte deshalb die theologische Begründung
des Ikonoklasmus und hoffte dieses Bestreben mit einer feier-
lichen Synode in seinem Sinne zu bekrönen.
Erst im Jahre 754 jedoch glaubte er die bilderfeindliche Partei
genug in den Sattel geholfen zu haben um die Bekräftigung des
Ikonoklasmus durch eine grössere Kirchenversammlung er-
reichen zu können. Am 10. Febr. 754 wurde die Synode im
kaiserlichen Sommerpalast Hieria, jenseits des Bosporus, eröffnet.
Einige späteren Tagungen fanden in der Haupstadt selbst statt,
in der Kirche zu Blachernae. Da der Patriarch Anastasios ge-
rade in dieser Zeit verstarb, führte der Erzbischof Theodosios
von Ephese das Präsidium. Es gab mehr als 300 Mitglieder,
meist Bischöfe. (Ein Teil der höheren Geistlichkeit war dem
Ikonoklasmus nicht abhold; es ist nicht befremdlich dass Leute
für die das sakramental-hierarchische Apparat eins und all war
gegen eine Art Devotion, die nicht so strack an Priestertum und
Liturgie gebunden war, ein gewisses Misstrauen hegten. Zwischen
Asket und Priester gibt es immer eine latente Spannung. Nun
war die Bilderverehrung mit dem Mönchtum aufs engste ver-
bunden, nicht nur weil überhaupt bei den Mönchen die primiti-
veren Formen der Populärdevotion sich fanden sondern auch
weil die meisten Ikonenmaler Mönche waren). Diese Kirchenver-
sammlung nennte sich ökumenisches Konzil obwohl von den
Okzidentalen niemand anwesend und die drei östlichen Patri-
archate ebenfalls nicht vertreten waren. Die orthodoxen Schrift-
steller haben natürlich das "Konziliabulum" sehr gescholten.
Spätere, in einem an sich loblichen Streben nach Objektivität,
sind oft geneigt die Synode zu günstig zu beurteilen und über-
sehen dabei dass diese ein bloss kaiserliches Unternehmen war,
den geistigen Interessen der griechischen Kirche zuwider. Man
führt mitunter an dass unsere Quellen nicht so sehr von einer
gewaltsamen Beeinflussung des Konzils seitens des Kaisers
sprechen. Dies mag stimmen doch die Teilnehmer werden wohl
mit Sorgfalt gewählt gewesen sein. übrigens war der Kaiser in
eigner Person manchmal anwesend; so nennte er einmal in der
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 41

Versammlung als Nachfolger des Anastasios den Bischof von


Syläum, Konstantin; natürlich wurde dieser sofort durch
Akklamation ernannt. Nach 7 Monate, einer ungewöhnlich langen
Zeit, war die Synode fertig 1). Die Kanones sind nicht erhalten;
ihre opoc; jedoch hat uns das 7. ökum. Konzil überliefert im
Rahmen einer ausführlichen Widerlegung. Es ist eine besonnene,
theologisch nicht unverdiente Arbeit. Mit dem heftigsten
Anathem werden alle Besitzer, Erzeuger und Verehrer von
Kultbilder belegt. Unangenehm berührt die masslose Verherr-
lichung des Kaisers, der den Aposteln gleichgestellt wird 2).
Kopronymos hatte jetzt den Weg frei; planmässiger als zuvor
wurden die Bilder zerstört und die Verfolgung gewann stets
schärferen Charakter, obgleich sie noch immer nicht so grauen-
haft war als in der letzten Regierungszeit des Kaisers. Zuerst
versuchte man die hervorragendsten unter den Gegnern durch
überredung und Versprechungen hinter die Bilderstürmerfahne
zu ziehen. Doch mehrten sich in dieser Zeit die Martyrien. Auf-
sehenerregend war vor allem der Tod des Mönches Petrus Kaly-
bites, der im Hippodrom so lange gegeisselt wurde bis er dieser
Misshandlung erlag 3). Alles tat man um den Einsiedler Stephan
vom Berge St. Auxentius (bei Chalcedon), ein Mann gewaltigen
Einflusses, zu gewinnen. Er blieb jedoch standhaft. Auf einer
unsinnigen Anklage wurde er zum Tode verurteilt und hinter
einem von wild-galopierenden Pferden gezogenen Wagen en-
dete er, kläglich zerfleischt, sein Leben 4). Dieses Ereignis des
Jahres 766 ward ein Signal für unerhörte Terror. Alle Unter-
tanen des Kaisers wurden gezwungen einen Eid gegen die Bilder
zu schwören, voran der neue Patriarch. Eine Orgie des Sadismus
brach nun herein; mit raffiniert-teuflischer Henkersfantasie er-
sonnen der Kaiser und seine Helfershelfer immer neue Arten der
Folter und der Hinrichtungen. Nicht nur Vernichtung der Bilder,
Ausrottung des ganzen Mönchsstandes, der jene so hartnäckig
verteidigte, war jetzt die Lösung. Die Provinz verblieb nicht
länger in verhältnismässiger Ruhe; im Gegenteil, kaiserliche
Statthälter, wie der berüchtigte Michael Lachanodrakon wollten
') Theoph., a.a.M. 6245 und Niceph. Brev. a.a. D. 754 (Ausgabe De Boor, S. 67).
') Mansi, XIII, p. 226.
3) Theoph. a.a.M. 6253.
4) In der Vita St. Steph. fun. findet man die sehr ausführliche Beschreibung dieses
Martyriums.
42 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

ihren Meister noch übertreffen und liessen über alle Klöster des
Reiches die Greuel einer entfesselten Soldatesca hergehen. Die
Gebäude wurden geplündert und beschlagnarnt, die Bewohner
grässlich misshandelt oder getötet, wenn sie wenigstens stand-
haft blieben. Die niederträchtigen Verunglimpfungen, denen
man die unglückseligen Mönche (und jetzt sogar Nonnen) unter-
zog dienten oft im Hippodrom zur Unterhaltung einer bestiali-
schen Menge. So liess man mitunter dort männliche und weibliche
Asketen Hand in Hand paradieren und stellte sie vor der Ent-
scheidung entweder sich zu heiraten oder verstümmelt oder ge-
tötet zu werden. Es war nicht bloss Barbarei sondern auch Be-
rechnung die zu Volksbelustigungen dieser Art führten; in dieser
Weise konnte man das Ansehen des Asketenstandes bei der
Masse untergraben.
Natürlich wurden viele ihrer überzeugung untreu. Der Glau-
bensmut der anderen wird noch bewunderenswerter wenn man
bedenkt dass die Abtrünnigen mit Ehren überschüttet wurden.
Der Terror wütete immer schrecklicher; keiner war seines Leben
mehr sicher, wenn es auch etwas übertrieben sein mag was
Theophanes 2) behauptet, dass nämlich treue Erfüllung der re-
ligiösen Pflichte und Enthaltung von Fluchen und Unzucht
schon genügten um einen im Anklagezustand zu versetzen. Sogar
die eigne Kreatur des Kaisers, der Patriarch Konstantin, wurde
der Verschwörung angeklagt, schrecklich gefoltert und hinge-
richtet 3). Nicht nur die Bilderverehrung, auch die Anrufung der
Theotokos und der Heiligen, sowie die Reliquienverehrung wurde
bekämpft 4). Die brutal-frivole Gottlosigkeit des Kaisers ent-
fremdete ihm sogar den willigen Hofklerus und kompromittierte
die ganze Partei. Eine der schlimmen Folgen dieses tollen anti-
religiösen Fanatismus war eine Vertiefung des Gegensatzes zwi-
schen Ost und West. Die 764 vom Papst Stephan abgehaltene
Lateransynode 5) verurteilte den Ikonoklasmus. (Konstantins Be-
ziehungen zum Vorgänger dieses Papstes, Zacharias, waren merk-
würdigerweise ziemlich gut gewesen).
775 verstarb Kopronymos und wurde von seinem Sohne Leo,
1) Theoph., a.a.M. 6257.
2) Theoph., a.a.M. 6258.
3) Theoph., a.a.M. 6259. Nie. Brev. a.a.D. 766 (De Boor S. 74).
") Theoph., a.a.M. 6258.
") Theoph., a.a.M. 2668.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 43

nach seiner Mutter, eine chazarische Prinzessin, "der Chazare"


zugenannt, nachgefolgt. Die fünf Jahre seiner Regierung brachten
keine grundsätzliche Änderung hinsichtlich der Bilder, wohl aber
ein Aufhören des Terrors. Die ikonoklastische Beschlüssen blieben
zwar in Kraft doch keiner wurde seiner bilderfreundlichen Ge-
sinnung wegen verfolgt. Trotzdem musste der neue Patriarch
Paulus, Nachfolger des nach dem grauenhaften Ende des Pa-
triarchen Konstantin zum Patriarchen bestellten, ungebildeten
Eunuchen Niketas, einen Eid gegen die Bilder schwören. In
seiner letzten Regierungszeit wurden einige Personen wegen
Ikonophilie bestraft und die junge Kaiserin Irene fiel dadurch
in Ungnaden 1). Eine unerwartete Wendung brachte der frühe
Tod Leos. Konstantin VI, sein Sohn, hatte sein zehntes Lebens-
jahr noch nicht vollendet aber dessen Mutter Irene behielt
energisch die Macht in ihren Händen. Diese Frau war schlau,
herrschsüchtig und willenskräftig wie wenig Männer und ebenso
fanatisch dem Bilderkult ergeben als Kopronymos diesen ver-
folgt hatte. Ihr Ideal, die vollkommene Restituierung der Bil-
der, wollte sie verwirklichen wieviel es auch kosten möge. Eine
leichte Aufgabe war das allerdings nicht, denn seit mehr als 40
Jahre waren alle wichtigen Stellen, kirchlich wie zivil, von Ikono-
klasten besetzt, um von der Bilderfeindschaft der Kopronymos
vergötternden Armee noch zu schweigen. Irene wusste Uner-
schütterlichkeit aber mit Behutsamkeit zu verbinden. Vier
Jahre dauerte es bis sie Anstalten traf zur Berufung eines Konzils.
Sie schrieb zu diesem Zwecke einen Brief an Papst Hadrian.
Dieser konnte die kirchliche Politik der Irene nicht in jeder
Hinsicht loben. Die von ihm getadelten Tatsachen waren fol-
gende: Patriarch Paulus, der, nach unseren Quellen, seiner
Überzeugung nach ehe an der ikonophilen Seite stand, empfand
Gewissensbisse wegen seinem ikonoklastischen Eid und legte sein
Amt nieder. An seiner Stelle wurde ein Laie ernannt, der kaiser-
liche Geheimsekretär Tarasios. Der Papst erhob Beschwerde
gegen eine solche Wahl (wie die von Theodor von Studion und
seinem Oheim Plato geführte Mönchspartei in der Hauptstadt)
'} Theoph. a.a.M. 6272.
2) Mansi, XII p. 986.
'} So Theoph. a.a.M. 6276. Ob das Abtreten des Patriarchen so ganz freiwillig war
als dieser vorstellt ist natürlich nicht mehr zu entscheiden. Der Briefwechsel Hadrians
an Tarasios und Irene: Mansi XIII.
44 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

obwohl das Vorhaben eine Synode abzuhalten den Beifall des


römischen Stuhles hatte 1).
So kam in 786 ein Konzil in der Apostelkirche zu Byzanz
zusammen: von ikonoklastischen Soldaten verjagt mussten die
Patres sich aber aus dem Staube machen. Gewisse ikonoklas-
tische Bischöfe werden schon mehr davon gewusst haben 2).
Nach diesem Misserfolg gab Irene nicht nach; unter falschem
Vorwande wurden die am meisten bilderfeindlich gesinnten
Truppenabteilungen nach Klein Asien verschifft, dort entwaffnet
und unschädlich gemacht. Die Haupstadt wurde von Militär auf
das Irene vertrauen konnte, besetzt 3).
Am 27. Sept. 787 traf endlich das langgewünschte Konzil
unter Präsidium des Tarasios sich zusammen. Es wurde in
Nicaea abgehalten, mit Ausnahme der letzten Tagung, die am
25. Okt. in der Gegenwart der kaiserlichen Personen in der
Hauptstadt, im Palast Magnaura, stattfand. Es waren etwa 350
Bischöfe, zwei päpstliche Legaten und eine grosse Zahl Äbte
und Mönche anwesend. Der Verlauf war wie es sich denken
lässt; die Synode von 754 wurde verurteilt und deren opoc;; mehr
ausführlich als geschickt, widerlegt. Eine eigene opOC;; unter-
schied scharf zwischen der A~TpeL~, die nur Gott zukommt und
der 7tpocrxuvlJcnc;, die man auch den Bildern beweisen darf und
soll. Die üblichen Anathematismen und die Heilwünsche für
Irene, "die neue Helena", fehlten natürlich nicht, ebensowenig
als eine Reihe Canones, die zum grössten Teil auf andere Gegen-
stande als die Bilder Beziehung haben und von Harnack "die
trefflichsten die je ein oekumenisches Konzil aufgestellt hat",
genannt werden. Das Konzil war ein gewaltiger Triumf für Irene
und für die ikonophile Partei.
Jedoch war nicht alles sofort restlos friedlich. Unter den
Orthodoxen, die gesiegt hatten gab es nämlich zwei Parteien.
Die eine wollte eine orthodoxe, ikonophile Staatskirche; sie war
hauptsächlich aus Klerikern zusammengesetzt, voran Tarasios,
der sehr diplomatische neue Patriarch. Daneben die Mönchs-

') Theoph. a.a.M. 6271.


2) Mansi, XII, p. 989-992 und Theoph. a.a.!\I. 6278.
3) Theoph., a.a.M. 6279.
'l Sehe die Acta bei Mansi, XIII.
5) Z.B. Canon II der sagt dass die :l'Iachthaber keine Bischöfe wahlen dürfen;
:\!ansi, XIII, p.419.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 45

partei, die keine "Staatskirche" doch ein "Kirchenstaat" wollte.


Man hatte diesen Leuten nicht unbeträchtliche Konzessionen
gemacht, wie aus einigen Canones einleuchtet (z.B. Can. II der
den Fürsten jeden Anteil an der Ernennung geistlicher Würden-
träger untersagt). Trotzdem widersetzte diese Partei sich der
milden Versöhnungspolitik die Tarasios nach dem Konzil
betrieb.
Der sogenannte "möchianische Streit" liess die Gegensätze in
noch hellerem Lichte erscheinen. Der von seiner Mutter tyranni-
sierte Konstantin VI wollte sich der "mütterlichen" Erstickung
entreissen und zeigte dies u.a. indem er die ihm von Irene ge-
gebene Frau verstiess und eine andere heiraten wollte. Den
Diakon Joseph fand er bereit dieser neuen Ehe den Segen der
Kirche zu geben und Tarasios, wiewohl von diesen Ereignissen
schmerzlich berührt, traf keine Massnahmen dagegen. Gewaltig
war die Entrüstung der Mönchspartei. Irene scheint ein sehr
zweideutiges Intriguenspiel gespielt zu haben. Anfangs siegte die
staatskirchliche Partei und die Führer der mönchischen Opposi-
tion wurden exkommuniziert und verbannen 2).
Der tragische und furchtbare Konflikt zwischen Irene und ihrem
Sohn, der einen schauderhaften Ausgang fand als Konstantin auf
Befehl seiner unnatürlichen Mutter im selben Saale des Palastes
wo jene ihm das Lebenslicht geschenkt hatte,vonseinemAugenlicht
beraubt wurde, können wir hier nicht verfolgen. Die zweite Al-
leinherrschaft der Irene brachte den Studiten die Freiheit doch
wurde dem Staat katastrophal. Auch durch den Bilderstreit war
das Reich sehr geschwächt. Den Herd der Bilderfeindschaft, die
Truppenabteilungen des Kopronymos, hatte Irene auflösen müs-
sen um ihren Zweck zu erreichen, zu erheblichem Schaden für
die Militärkraft des Staates. Niederlagen auf dem Schlachtfeld
und schrankenlose Verschwendung im Inneren kennzeichneten
ihre Regierung. Zuletzt war einem jeden klar: so geht es nicht
weiter. Ohne einiges Blutvergiessen wurde sie denn auch von
einem Komplott gestürzt und an ihrer Stelle bestieg der mäch-
tige Finanzminister Nikephoros den Thron.

1) Vita Tarasii, c. VII (MPG 98) Das meiste lehrt uns die Korrespondenz des
Studiten (in MPG 99).
S) Theoph. a.a.M. 6288.
3) Theoph. a.a.M. 6290.
46 DER VERLAUF DES BILDERSTREITES

Einzelheiten über diese Zeit und die folgende findet man in


Kap. 4. Wir glauben hierauf hinweisen zu dürfen und nennen hier
bloss des Zusammenhangs wegen die Tatsachen dass nach der
Regierungszeit von Nikephoros und seines Sohnes Staurakios, so
wie seines Schwiegersohnes Michael Rhangabe, Leo der Arme-
nier den Ikonoklasmus erneute. Dieser wurde ermordet von
einem Komplott, der Michael Balbus auf den Thron brachte,
welcher in der Bilderfrage sich vergebens um einen Kompromiss
bemühte. Unter seinen Sohn Theophilos, der 829 Kaiser wurde
kam wiederum ein ganz unduldsamer Ikonoklasmus auf den
Plan: die Orthodoxie wurde hart mitgenommen. Seinem Umfang
nach freilich war das Vorgehen von Theophilos dem des Kon-
stantin V nicht vergleichbar; die Provinz scheint nicht so
schwer darunter gelitten zu haben, wenn auch in der Haupt-
stadt oft Schreckliches passierte. Es war nicht, wie vor 70 Jahre,
ein totaler Krieg gegen die Bilder, sondern eine grausame und
kleinliche Guerrilla, in Einzelfällen manchmal greulich doch als
Ganzes eine ziemlich lahme Aktion.
Anders als Kopronymos hatte Theophilos grosse Achtung für
Theologie, Wissenschaft und Kunst. Sein Vater, selber nahezu
Analfabete, hatte ihm eine gelehrte Erziehung geben lassen 2).
Johannes Grammatikos, der grosse Förderer des Ikonoklasmus
in dieser Spätzeit der Bewegung, war sein Lehrer gewesen
und dieser ohne Zweifel glänzend begabte Mann bestieg durch
ihn den patriarchalen Thron. Der Fürst selbst dilettierte dann
und wann in Poesie und Musik, zu Schaden der ikonophilen
Brüder Theophanes und Theodoros, denen er, nach einer De-
batte, einige von ihm selbst angefertigten Verszeile in die
Stirne brennen liess (daher wurden sie ypOC7t"t'OL zugenannt). Im
Grossen und Ganzen war er eine Art Aufklärer, ein aufgeklärter
Despot. Recht und Sicherheit wollte er wiederherstellen, aber er
erreichte dieses nur mittels ausser allen Verhältnissen schwerer
Strafen, im echt orientalischen Geiste. Orientalisch war auch
sein Grossenwahn, sein A1lwissendheitsdünkel und weitgehende
Willkür.

1) Theoph. Contin. III, 10. (MPG 109).


2) A.a.O. IV, 6, 7.
3) A.a.O. 111, 12.
') Brehier, Vie et Mort de BYlance, p. 109.
DER VERLAUF DES BILDERSTREITES 47

Auch er scheint anfangs versucht zu haben die Orthodoxen


durch Dispute zu bekehren, auch er hat eine Synode zusammen~
gerufen, welche in 832 in Blachernae tagte und die ikonoklas-
tischen Beschlüsse von 754 erneuerte. Auch er liess in den Kirchen
die geweihten Malereien von profanen Vorstellungen ersetzen.
Wied.erum waren die Gefängnisse überfüllt von widerspenstigen
Bischöfen, ikonophilen Mönchen und Ikonenmalern. So ward der
berühmte Maler Lazaros bestraft durch Abhauen der Rechter-
hand. Sogar die Kaiserin Theodora, die, natürlich im geheimen,
den Bildern Ehre erwies, war nicht sicher vor dem bornierten
Fanatismus ihres Gatten 2). Dieses alles konnte nicht darüber
täuschen dass der Ikonoklasmus eine erledigte Sache war. Unter
Theophilus sah man die letzten Konvulsionen des sterbenden
ikonoklastischen Drachen. Das Schwert des Kaisers und der
Kopf des J ohannes Grammatikos waren die einzigen Mächte auf
denen die Bilderfeindschaft sich noch stützte. Selbst die Armee
scheint in dieser Zeit nicht mehr die heftig bilderfeindliche
Macht gewesen zu sein wie vorher. Nach dem Tode des Theo-
philos war die Wiederherstellung der Bilder bloss das naturge-
mässe. Theodora, die für ihren Sohn Regentin war, wollte nichts
lieber; das einzige Hindernis für sie war der Wunsch das Angeden-
ken ihres Gatten nicht zu besudeln. Die fromme Lüge seiner
Bekehrung auf dem Sterbebette konnte da helfen. So wurde
schon im Jahre 843 3) eine Synode abgehalten, die die Sache der
Bilder endgültig entscheiden sollte. Johannes Grammatikos, der
diese beizuwohnen sich weigerte wurde gezwungen sein Amt
niederzulegen und der Konfessor Methodios erlangte die Patri-
archenwürde.
Dieser hatte unter Michael Balbus und Theophilos für die
Sache der Bilder gelitten '). Später hatte er aber längere Zeit am
Hofe des Theophilos verbracht, weil dieser Fürst seine Gelehr-
samkeit so bewunderte und von seiner geistreichen Konversation
so genoss dass er die ikonophile Gesinnung des Konfessoren mit
in die Kaufe nahm (charakteristisch für die orientalischen Despo-
tengrillen des Mannes 5). Die Synode scheint ziemlich tumultu-
1) Theoph. Contin., III, 13.
2) A.a.O., III, 5, 6.
") Mansi, XIV, p. 787 ff.
') MPG 100, c. 1213 sqq.
i) A.a.O., c. 1251.
48 DER VERLAUF DES BILDERSTRElTES

arisch gewesen zu sein und die Opposition schwieg keineswegs.


Kein Wunder, man hatte nicht, wie damals Kopronymos, die
Zeit genommen die Synode "gleichzuschalten". D~ man. es sich
erlauben konnte einer solchen, nicht gleichgeschalteten Synode die
freie Hand zu lassen und doch eine Bestätigung des 7. Konzils
herauskam beweist wohl mit genügender Deutlichkeit wie der
Ikonoklasmus tot war und begraben. Um Theodora ein Gefallen
zu tun absolvierte die Versammlung nachträglich den Theophilos.
Der genannte Maler Lazaros und mehrere vom Kaiser Ver-
stümmelte waren allerdings damit nicht einverstanden.
Am 11. März 843 wurde der Wiederherstellung der Bilder
feierlich proklamiert durch die Verlesung in der Hagia Sophia
von einem Synodalschreiben das nicht nur den Ikonoklasmus
sondern auch alle früheren Ketzereien verurteilte. Die Resti-
tution der Bilder wurde mit einem Festmahl im Palast gefeiert,
an welchem alle Teilnehmen konnten die um ihre ikonophile
Gesinnung gelitten hatten 1). Die Durchführung der Beschlüsse
gegen den Ikonoklasmus ging weiter ohne Blutvergiessen vor;
nur der ausserordentlich verhasste Johannes Grammatikos
musste als Sündenbock bluten. Er wurde unbarmherzig gegeis-
selt und in einem Kloster interniert. Schon bald darauf wurde
bestimmt dass alljährlich der Sieg der Orthodoxie uber die letzte
der grossen Häresieen festlich begangen werden sollte, u.a.
durch Verlesung des Synodalschreibens von 843. So feiert denn
bis auf diesen Tag die Ostkirche ihre xup~or.x'Yl 't"Y)C; op&oao~~or.c;.

1) Tkeopk. Contin, IV, 6.


LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Da wir nur sehr wenige Quellen besitzen die uns biographi-


sches Material in dem Sinne unserer heutigen Auffassungen
liefern können, stehen wir hier vor keiner leichten Aufgabe. Die
Vita Nicephori des Ignatios, die wichtigste dieser sparsamen
Quellen, die im Gewande einer Lebensbeschreibung erscheint,
entspricht eben nicht den Vorstellungen, die wir uns von einer
Biographie machen; es ist ein typisch byzantinisches Heiligen-
leben. Nun haben fast alle diese Heiligenleben die Eigenschaft
gemeinsam dass sie als historische und zumal psychologische
Dokumente sehr enttäuschen. Wir begegnen hier einem Zug der
auch die byzantinische Kunst charakterisiert: das Auswischen
der Individualität zugunsten einer allgemeinen Idee, die zum
Ausdruck gebracht werden soll. Bei der Darstellung eines Hei-
ligen verblassen die persönlichen Wesenszüge und wir stehen
vor der Darstellung der Heiligkeit schlechthin, die die ursprüng-
liche Persönlichkeit vergessen lässt. So wurde die Heiligkeit
selbst zum Gegenstand des schriftstellerischen Bemühens. Man
kann nun zwar die Heiligkeit in unendlich-verschiedener Form
variieren, aber das Menschliche und Persönliche werden zurück-
gedrängt, wenn auch die individuell ausgeprägte Sonderart der
Heiligkeit betont wird, nicht am wenigsten durch Mitteilungen
rein anekdotischen Charakters. Dazu kam noch dass man in
dieser Zeit ein selbständiges historisches Interesse vermissen
muss; der bloss erbauliche Charakter dieser Schriften ver-
drängt alle anderen Gesichtspunkte. Sogar verschiedene Chro-
nisten (z.B. der etwas berüchtigte Malalas und ein Georgios
Monachos) können wir diesem Vorwurf einer mangelnden his-
torischen Einstellung nicht entziehen, wenn es daneben doch
auch Schriftsteller gegeben hat denen man den Namen eines
Geschichtschreibers nicht absprechen darf, obwohl sie sich mit
den Autoren des klassischen Altertums an historischem Verständ-
nis nicht messen können. Als Vorbild galt hier die Vita St. Antonii
Nikephoros 4
50 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

des grossen Athanasius, das erste Beispiel und zugleich das


Meisterstück dieser Gattung und darum das Muster für die nach-
kommenden Schriftstellern 1). In dem Werk des Athanasius wie
in der späteren Hagiographie ist das otX.O~0!Le:LV der allesbe-
herrschende Zug, wodurch es nicht selten vorkommt dass theo-
logischen Abschweifungen einen verhältnismässig grossen Platz
einnehmen. Bereits die genannte Lebensbeschreibung des hei-
ligen Antonius enthält eine vollständige Predigt. In der Vita
Nicephori finden wir auch eine derartige theologische Auseinan-
dersetzung in der Form einer ausführlichen Disputation zwischen
dem Heiligen und Kaiser Leo dem Armenier 2). Ausser diesen
Absichten die die historische Forschung beeinträchtigen hat
die Vita Nicephori noch die schlechte Eigenschaft dass sich der
Autor in einem unerträglich gekünstelten Stil gefällt. Seine
geschraubte, kothurnenhafte Ausdrucksweise stellt den Leser
immer wieder vor Rätsel, wodurch die Lektüre dieses Werkes
zu einem zweifelhaften Vergnügen wird. Von Ignatios, dem
Autor dieses Werkes erfahren wir aus der Quelle des bekannten
Lexikographen Suidas 3) dass er zu seinen Lebzeiten das Amt
eines Diakons an de Hagia Sophia innehatte. Später war er in
Nicaea "Grammatikos" , ein Rang, der etwa nach unseren Auffas-
sungen einem Professor der Philologie entsprechen würde. Er
scheint wahrend kürzerer Zeit den Ikonoklasten angehört zu
haben, hatte sich aber so vollständig bekehrt dass er sich die
Busse auferlegte um gerade zwei der grössten Gegner des Ikono-
klasmus zu verherrlichen. Im letzten Kapittel der Vita Nicepho-
ri 4) richtet er ein leidenschäftliches Gebet an Nikephoros, den er
anfleht um seine Fürbitte in der Hoffnung dass ihm dadurch die
Strafe für die Ketzerei seiner Jugend erlassen werde. Dies ist
übrigens die einzige Stelle an der ein Stück echter Leidenschaft
das leere, kalt-zerebrale Pathos der Darstellung durchbricht.
Zwar ist das Werk des Ignatios die wichtigste, aber doch nicht
die einzige Quelle. In der Chronik des Theophanes wird Nike-
phoros wiederholt genannt und in der anonymen Fortsetzung

') Vergl. hierfür den Aufsatz Karl Holl's: Die schriftstellerische Form des griechi-
schen Heiligenlebens (1912), Ges. Schriften II (der Osten), Tübingen 1928, S. 91 ff.
') Ignatius, Vita Nicephori, Cap. VII sqq. (MPG 100, c. 91 sqq).
3) Suidas, Lexicon etc. ed. G. Bernhardy, Hall u. Berlin 1834-1853. Stichwort:
Ignatios.
') Ign., Vita Nie., c. 91 (l\IPG 100, c. 155 sqq).
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS SI

dieser Chronik die, nicht ganz mit Recht, als Vita Leonis Armenii
bezeichnet wird, finden wir einen ausführlichen Bericht über das
Verhältnis dieses Kaisers zum Patriarchen 1). Diese Mitteilungen
wurden von späteren Chronisten übernommen. Auch aus anderen
Heiligenleben erfahren wir Verschiedenes über dieselben Ereig-
nissen, unter andere aus den Lebensbeschreibungen des grossen
Studiten Theodor, aus der seines weniger bekannten Klosterge-
nossen Nicolaus Studita und der des Konfessoren Niketas 2).
Vollständigkeitshalber müssen wir noch Nikephoros' eigenen
Brief an Papst Leo III 3) nennen, worin er flüchtig sein früheres
Leben erwähnt; wir können aus dieser Epistola aber nichts lernen
was wir nicht auch schon aus anderen Quellen wissen. Was den
ersten Teil von Nikephoros Leben betrifft, bleibt uns also nichts
anderes übrig als uns an die Anfangskapittel der Vita Nicephori
des Ignatios zu halten da die anderen Quellen uns von diesen
Jahren gar nicht oder doch (wie die Ep. ad Leonem III Papam)
nur sehr beilaüfig sprechen. Die Vita beginnt mit einer Vorrede 4)
die ein Meisterstück der echt byzantinischen Kunst um mit
möglichst vielen Worten so wenig wie möglich zu sagen, ist. Aus
den mit der Kunst maurischer Arabesken ineinandergeschach-
telten Sätzen können wir jedenfalls ableiten dass die Lebens-
beschreibung nicht lange nach dem Tode des Heiligen verfasst ist.
Der grosse Patriarch stammte aus einem angesehenen kon-
stantinopeler Geschlecht. Sein Vater Theophilos war kaiser-
licher Asekretis (Geheimschreiber). Diese Stellung bedeutete ein
wichtiges verwaltungstechnisches Amt das einigermassen mit
dem eines Ministerialrats zu vergleichen ist. Obwohl seine
Amtsperiode grösstenteils, wenn nicht ganz, unter die Regierung
bilderfeindlicher Kaiser fiel, von Leo Irr und Konstantinos
Kopronymos nämlich, war Theophilos selbst kein Ikonoklast.
Möglicherweise war man damals, wie auch jetzt, geneigt bei be-
sonders brauchbaren und "spezialistisch" ausgebildeten Leuten
vieles zu entschuldigen, besonders doktrinäre Abweichungen.
Als jedoch Kopronymos zu schärferen Massnahmen gegen die
Bilder überging fiel auch Nikephoros' Vater dieser aggressiven

1) Vita Leonis Armenii, MPG 108, c. 1028 sqq.


2) Sehe Quellennachweis in der Einleitung.
3) MPG 100 c. 169 sqq.
') Vita Nie., MPG 100 c.41 sqq.
52 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Haltung zum Opfer. Aus der Vita Nicephori 1) vernehmen wir


dass der Kaiser seinem Geheimsekretär erst noch Gelegenheit gab
sich auf glimpflicher Weise aus der Affäre zu ziehen. Er lud ihn an
die kaiserliche Tafel ein und erforschte im Gespräche die Gesin-
nung von Theophilos. Da dieser jedoch standhaft bei seiner
Ansicht blieb war der Kaiser darüber sehr aufgebracht. Er liess
ihn auspeitschen, nahm ihm alle Würden und Ämter ab und
verbannte ihn nach der Festung Pemolissa (wahrscheinlich in
Kappadokien am Flusse Halys). Nach einiger Zeit hoffte man
ihn mürbe gemacht zu haben und bracht ihn zur Residenz
zurück. Als er jedoch unerschütterlich blieb wurde er zum zwei-
ten Mal in die Verbannung geschickt, nämlich nach Nicaea in
Bithynien, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Eudokia,
die Gattin des Theophilos, deren Frömmigkeit gleichfalls sehr
hoch gerühmt wird, folgte ihrem Gatten in die Verbannung.
Nach seinem Tode verbrachte sie ihren letzten Lebensjahren bei
ihrem Sohn. Nikephoros selbst eignete sich eine umfangreiche
Allgemeinbildung an (XUXAOC; TIlC; 7tIXL8eLIXC;) er führte eine
gute Feder und wurde, wie sein Vater, kaiserlicher Sekretär.
Ignatios unterlässt es den Namen des Kaisers zu nennen an
dessen Hof Nikephoros sein Amt innehatte. Vermutlich fiel seine
Amtsperiode unter der Regierung Leos des Chazaren, der zwar
ein überzeugter Ikonoklast war, jedoch nach aussen hin recht
gemässigt auftrat. Noch zu Lebzeiten seiner Mutter erlangte
Nikephoros die Patriarchenwürde in Konstantinopel. Der Bio-
graph rühmt die kindliche Liebe und Ehrfurcht mit der sein
Heiliger die Mutter umgab bis an ihr Lebensende. Theophanes 2)
nennt Leo den Chazaren in seiner Chronik anfangs ein Freund
der Mönche, die dessen Vater so grausam verfolgt hatte. In die-
sem Lichte können wir wohl begreifen dass er nicht ungeneigt
war einem begabten und fähigen Andersdenkenden ein verant-
wortungsvolles Amt zu überlassen. Nikephoros wurde durch
seine grosse Beredsamkeit bald in weiten Kreisen bekannt. Igna-
tios 3) rühmt auch den ausgezeichneten Stil des zukünftigen
Patriarchen, der niemals über der äusseren Form die Klarheit
1) Vita Nie. c. I, 5 MPG 100 c. 47 sqq.
2) Theophanes, Chronographia, ad annum Mundi 626. (MPG 108, c. 905). Derselbe
Schriftsteller weiss aber zu erzählen das später dieser Leo Massnahmen gegen allzu
demonstrativen Bilderverehrer genommen habe (a.a.M. 772, MPG 108 c. 911).
3) Ign. Vita Nie. c. I, 7.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 53

des Inhalts vernachlässigte. (Uns berührt es seltsam so etwas


aus dem Munde eines Ignatios zu hören, bei dem wir doch
gerade gewünscht hätten dass er Anlass gegeben hätte auch
selbst dieses Lob zu verdienen). Wenn wir der überlieferung
Glauben schenken dürfen schrieb Nikephoros, während er noch
sein Hofamt bekleidete, bereits gegen die Bilderstürmer. Mit der
Thronbesteigung der Kaiserin Irene trat ein vollkommener Um-
schwung ein; nicht länger brauchte er Vorsicht zu beachten bei
der Bekämpfung des Ikonoklasmus. Ignatios 1) erzählt dass
Nikephoros, der mit vielen anderen Würdenträger zum zweiten
oek. Konzil von Nicaea geladen war und dort den kaiserlichen
Hof vertrat, durch seine Beredsamkeit Aufsehen erregte so dass
er sich da "eine unvergängliche Krone" erworben haben soll.
Merkwürdig ist dabei jedoch dass die Acta des Konzils, die uns
die Namen von einigen solchen Vertretern der weltlichen Gewalt
überliefert haben, von Nikephoros überhaupt schweigen. Dieser
Bericht des Biographen werden wir also im besten Falle als
übertrieben betrachten müssen und es ist sogar fraglich ob er
wirklich einen Anteil gehabt hat an der Nicaener Synode. Nach
Beendigung dieser Kirchenversammlung soll er eine sehr scharfe
Streitschrift gegen die Bilderstürmer verfasst haben. Da Igna-
tios dieses Werk mit dem Namen (.LEAOC; bezeichnet dürfte es
sich hier um eine polemische Schrift in der Form eines Gedichtes
handeln.
Im zweiten Kapittel vernehmen wir dass Nikephoros von
unstillbarem Verlangen getrieben wurde sich ganz und gar Gott
und den göttlichen Dingen zu weihen. Da man ihn mit aller
Macht am Hofe behalten wollte kostete es ihm die grösste Mühe
um die Durchsetzung seines Wunsches zu erreichen. Es gelang
ihm zuletzt doch sein Abschied zu erhalten; er legte Amt und
Würde nieder, entsagte der Welt und begab sich in die Einsam-
keit auf einen Hügel jenseits des Bosporus. In seinem patheti-
schen Stil schildert der Biograph die Lage des Nikephoros so als
habe er dort nur "den Gefährten des Elias nämlich die Besitz-
losigkeit" als Genossen mitgenommen. Nikephoros, so ver-
nehmen wir weiter, kam in ein dürres Land in dem kaum etwas
wuchs, aber er soll diese trostlose Gegend so verwandelt haben

1) A.a.O., c. I, 10.
54 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

dass sie einem Lustgarten des Alkinoous, des Phäakenkönigs,


oder des Xerxes ähnlich gesehen haben soll 1). Nikephoros soll
hier ein Kloster gegründet und eine prächtige Kirche gebaut
haben die den Märtyrern geweiht war. Von diesem Kloster aus
soll er für die Urbarmachung der Gegend gesorgt haben. Ohne es
zu wissen widerspricht unser Gewährsmann sich selbst. Am
Anfang seiner Erzählung bekommen wir ja den Eindruck dass
Nikephoros, im Sinne des heiligen Franziskus "mit der Armut
vermählt" ein Einsiedlerleben geführt hätte; im Laufe der
Erzählung zeigt sich jedoch dass sich der zukünftige Patriarch
wohl im Kloster aufhielt aber dass er nicht einmal das Mönchs-
gelübde abgelegt hatte. Der Verfasser der Vita versucht es mehr
oder weniger zu verbergen dass sein Heiliger zwar ein Kloster-
stifter doch kein Klosterbruder war und dass diese Askese einen
etwas "dilettantischen" Anstrich hatte. Ausführlich wird daher
erzählt 2) wieviel Arbeit Nikephoros darauf verwandte um das
Leben in dem von ihm gestifteten Kloster in jeder Hinsicht
aufs sorgfältigste einzurichten. Er forderte sehr die Pflege der
Wissenschaft. Neben dem Studium der Heiligen Schrift wurde
die heidnische Literatur nicht vernachlässigt; diese übung in
der überredungskunst sei zur kräftigen Bekämpfung von
Irrlehren unentbehrlich. Nikephoros soll immer auf einen sorg-
fältigen Aufbau seiner Sätze gearbeitet, andererseits aber jede
sophistische Effekthascherei vermieden haben. Ignatios gefällt
sich in einer ausführlichen Darstellung der verschiedenen Wis-
senschaften. So gibt er bei dieser Gelegenheit eine pedantische
Auseinandersetzung über die Einteilung der Mathematik, für die
Nikephoros sich auch sehr interessiert haben soll. Nur von der
Musik, deren Theorie man damals zu den mathematischen Wis-
senschaften zahlte, weiss Ignatios zu berichten dass Nikephoros
sich hierin nicht von Pythagoras und dem "Götzendiener Aristo-
xenos" leiten liess sondern dass er die 150 seitige Harfe Davids
stimmte. Wahrscheinlich bedeutet diese Bemerkung dass er sich auf
die Praxis der Psalmodie beschränkte und sich nicht in die Musik-
theorie vertiefte. Auch mit der philosophischen Terminologie
soll sich Nikephoros befasst haben, ein Umstand der Ignatios
Anlass gibt alle nur erdenklichen Fachausdrücke aufzuzählen
1) A.a.O., c. I1, 13.
') A.a.O., c. 11, 14.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 55

und in dieser Weise seine eigene Gelehrsamkeit zur Schau zu


stellen. Trotzdem können wir aus dieser monotonen Aufzählung
von Fachausdrücken lernen dass man in jenen Tagen unter Philo-
sophie die Aristotelische Logik verstand, was übrigens auch
aus Abhandlungen wie die Dialectica des Johannes Damacenus
und die Opuscula des Theodorus Abucara 1) ersichtlich wird. All
diese Dinge soll der Heilige auf ihre Nützlichkeit geprüft und
dabei ein löbliches Stillschweigen bewahrt haben. "Er betrachtete
eine Demut die bis zum Himmel erhebt", sagt Ignatios, "denn
die vollkommene Wissenschaft eines Menschen besteht darin
dass er die höchste Vollendung des Verstehens einem Höheren
überlässt und anerkennt dass er das Seiende (1'ot oV1'ot) in seinem
Wesen nicht begreifen kann" 2). Wie in keinem Heiligenleben
so fehlen auch hier nicht Berichte über die Tugenden des echten
Asketen, wie strenges Fasten und Keuschheit, Sanftmut und
Selbstlosigkeit. Nachdem er hier längere Zeit als Klosterbruder
ohne Klostergelübde verbracht hatte wurde er auf ausdrück-
lichem kaiserlichem Befehl einem grossen Wohltätigkeitsanstalt
(1t1'cuxeLov) in Konstantinopel vorgestellt.
Im dritten Kapittel der Vita Nicephori hören wir von der
Erhebung unseres Heiligen zum Patriarch von Konstantinope1.
Als man nach dem Tode des Tarasios nach einem würdigen
Nachfolger des grossen Mannes suchte soll Gott selbst dem
Kaiser Nikephoros ein Zeichen gegeben haben den Namen seines
Namensgenossen zu nennen. Der Kaiser zog erst verschiedene
geistlichen und weltlichen Würdenträger zu Rate, die allerlei für
die Patriarchenwürde geeignete Personen nannten. Als der
Kaiser aber auf Nikephoros hinwies und all seine guten Eigen-
schaften aufzählte, da war es als hätte er "wie mit einem Zug-
netze" aller Meinungen gefangen und völlig zwanglos erklärten
alle sich mit diesem Wahle einig. Der Kaiser liess Nikephoros
rufen und bot ihm die Würde an, die unser Heiliger jedoch aus
Demut nicht annehmen wollte und alle möglichen Einwände
vorbrachte. Der Kaiser bestand jedoch auf die Wahl und zwang
seinen Kandidaten förmlich ihm zu willfahren. Auf einen
Wink des Fürsten wurde Nikephoros zum Kleriker geweiht.
Diese Weihe bestand darin dass er die Tonsur erhielt. Als
1) MPG 97, c. 1446.
") Ign., Vita Nie., c. H, 17.
56 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Helfer dabei trat kein geringerer auf als der Sohn des Kaisers,
Staurakios, der damals bereits Mitregente war. Nach der Tonsur
folgten bald die höheren Weihen. Am ersten Ostertage (12 April)
des Jahres 806 waren der Kaiser und die Würdenträger der
Hauptstadt in der Hagia Sophia versammelt zum Feier der
Inthronisation des Nikephoros. Die Feierlichkeit wurde mit der
grössten Pracht begangen. Eine grosse Menge, in weissen Festge-
wändern gekleidet, füllte das Heiligtum. Als der neugewählte
Patriarch zur Weihe schritt trug er die von ihm verfasste Streit-
schrift gegen die Ikonoklasten in der Hand. Er gelobte feierlich
dass er niemals von den Worten dieser Schrift abweichen und
dass er sich stets an diesen Sätzen halten werde, sogar bei der
"herrlichen und schrecklichen Wiederkunft unseres grossen Got-
tes und Heilands Jesus Christus". Nach der Patriarchenweihe
legte er diese Schrift an den Fuss des Altars. Dann rief das Volk
dreimal das gebraüchliche &~LO~ T<p &~L<p und der neue Patri-
arch setzte sich auf seinen hohen Thron "wie Habakuk auf
seinen Wartturm", sprach den Segen über das Volk aus und
übernahm, als die Glaübigen respondiert hatten, die Leitung des
Gottesdienstes.
Wenn die Vita Nicephori unsere einzige Quelle wäre dann
würden wir wohl glauben dass diese Wahl den Beifall aller ge-
habt hätte. Nichts jedoch ist weniger wahr. Im Gegenteil, es gab
heftigen Widerstand. Die Opposition kam von der Seite der
Studitenmönche 1). Der grosse Theodorus Studita und sein
Oheim Platon, der ihm die Leitung übertragen und selber
sich in die Einsamkeit des Anachoretenlebens zurückgezogen
hatte, waren gegen diese Wahl; jedoch wissen wir nicht ob diese
Meinung ausserhalb des Klosters viele Anhänger hätte. Dieser
Widerstand war wesentlich prinzipieller Art und hatte als Kern
die Tendenz alle Versuche der weltlichen Gewalt um die Kirche
restlos zu beherrschen, abzuweisen, wobei ein tiefes Misstrauen
gegen den Staat sich kundgab. In der Erhebung des Nikephoros
zum Patriarchen witterte man den Staatsabsolutismus. Man
führte an dass es den kirchlichen Canones zuwider sei, einen
Mann, der zwar stets sehr viel Interesse für Theologie und
Mönchsleben gezeigt aber vor seiner Wahl immer zum Laien-
') Theophan. a.a.M. 6298 (MPG 108, p. 968) und auch die beiden Vitae des
Theodorus Studita, MPG 99.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 57

stande gehört habe, in dieser übereilten Weise zum Patriarchen


zu machen. Es blieb bei diesen Einwänden die vorlaüfig keine
weiteren aüsseren Folgen hatten und nicht zu einem Schisma
führten. Die Ruhe war aber nur äusserlich und nach nicht all zu
langer Zeit sollte die Opposition sich wieder kräftiger rühren.
Ignatios geht jedoch an all diesen Unannehmlichkeiten wortlos
vorbei. Er rühmt die vortreffliche Weise in der Nikephoros
seines Amtes waltete 1) und erzählt wie er kräftig gegen Juden
und Ketzer auftrat, nicht nur in Schrift und Wort sondern auch
dadurch dass er bei der Obrigkeit auf Massnahmen gegen diese
Feinde des Christentums drang, die sich dann auch nicht mehr
zu rühren wagten. Vollkommen anders sind doch die Berichte
des Theophanes, nämlich dass Manichäer und andere Ketzer in
jener Zeit ungestört leben konnten 2). Dieses Vorgehen des
Patriarchen ist dann auch wohl später zu datieren, in der Regie-
rungszeit des Kaisers Michael Rhangabe, was auch mit anderen
Daten übereinstimmt. Wir können dabei bemerken dass Igna-
tios in seiner Vita eben über eine genaue Zeitbestimmung sich
erhaben fühlt. Weiter hören wir dass auch der innere Zustand
der Kirche sein volles Interesse hatte, besonders die Reforma-
tion der Klöster. Mit grosser Strenge wachte er dafür dass wei-
terhin nicht mehr, wie noch öfters geschah, Männer- und Frauen-
klöster nebeneinander gebaut wurden (eine Gewohnheit die auch
im Westen später nicht unbekannt war und von der heiligen
Brigitta verübt wurde 3). Wie diese Massnahme die Keuschheit
des Klosterlebens verbesserte so trat er auch im weltlichen Leben
als Beschützer der Moral auf. Zum Beispiel wusste er einen lie-
derlichen Statthalter dazu zu bewegen dass er seinen Plan seine
Gattin zu verstossen und eine Dirne zu heiraten nicht aus-
führte. Aus anderen Quellen als die Vita Nicephori 4) erfahren
wir dass er zwei Jahre nach seiner Erhebung zum Patriarchen
sich wiederum in einem heftigen Kampfe mit der extrem-kirch-
lichen, mönchischen Reformpartei der Studiten befand. Wir
wissen nur wenig von den Einzelheiten dieses Streites doch es

1) Ign., Vita Nie., c. IV (MPG, 100, e.69).


") Theoph. a.a.M. 6303 (MPG., 100, c.981).
') Sehe die auf Combefis zurückgehende Bemerkung bei MPG, 100, c. 71, Fuss-
note s.
C) Ausführlich hierüber die Lebensbeschreibungen des Theodorus Studita in MPG,
99 und die Korrespondez desselben Heiligen ebenda.
58 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

scheint dass der Kaiser jene Partei, die immer in der Opposition
verblieb, betrachtete als ein schädliches Geschwülst, das ausge-
brannt werden sollte. Kaiser Nikephoros war ein kynischer,
machiavellistischer Mensch und nichts religiöser als die grossen
bilderstürmenden Kaiser; man verdächtigte ihn geheimer ikono-
klastischen Sympathien. Wie dem auch sei, er hielt es aus mehr
oder weniger opportunistischen Gründen für das Beste die Bil-
derverehrung unbehelligt zu lassen. Was aber das Verhältnis des
Kaisers zur Kirche betrifft so hatte er hierin die selben Neigun-
gen als Leo III und Konstantinos Kopronymos, nämlich die Ten-
denz die Kirche in vollkommenster Abhängigheit von dem
Staat zu bringen. Wir können wohl annehmen dass für einen
Mann wie Nikephoros die Lage reich an inneren Konflikten ge-
wesen sein muss. Einerseits hatte er die Patriarchenwürde der
Gunst seines kaiserlichen Namensgenossen zu verdanken aber
andererseits war er bestimmt kein charakterloser Opportunist,
sondern ein Mensch in dem die griechische Frömmigkeit in
edelster Form verkörpert war und dem die Kirche mehr be-
deutete als der Staat. Darum liegt in dieser Figur auch eine
gewisse Tragik, eine Tragik die sich nicht auf die Figur des
Patriarchen beschränkt sondern die der Struktur der Ostkirche
selbst seit dem ersten Konzil von Nicaea innewohnt.
Als Beispiel dieses inneren Konflikts bei Nikephoros können
wir auch Folgendes anführen: er war geneigt sofort nach seiner
Erhebung, mit Papst Leo III brieflich in Verbindung zu treten,
wie es Brauch war. Der Kaiser jedoch der Karl den Grossen als
seinen Gegner betrachtete und der mit dem Papste u.a. auch
deswegen auf schlechtem Fusse stand weil dieser den Franken-
könig zum Kaiser gekrönt hatte, verbot jeden Kontakt zwischen
Papst und Patriarch aufs strengste 2). Nikephoros selber war
sehr "romfreundlich" , wie aus seinen Antirhetici ersichtlich
wird. Ein anderes Beispiel für dieses eigenartige Missverhältnis
finden wir in dem eben genannten Streit gegen die oppositionelle
Studitenpartei in dem der Patriarch lieber jeden Konflikt ver-
mieden oder gütlich beigelegt hätte aber doch auf kaiserlichem
') Die Vita des Ign. (c. IV, 29) lässt ihn noch zu Lebzeiten des Kaisers Nikephoros
die Epistola Synodica schicken; aus Theoph. (a.a.M. 6304, MPG 108 c. 993) wird aber
ersichtlich dass er erst bei der Regierungsantritt des Michael RhangaM dazu im
Stande war.
2) Theoph., a.a.M. 6288, MPG 108 c. 948, und die obengenannten Quellen.
LEBEN UND. WERKE DES NIKEPHOROS 59

Befehl darin verwickelt wurde. Es war dem Kaiser vollkommen


Ernst mit seinem Vornehmen die mönchische Opposition end-
gültig auszuschalten. Mit der schonungslosen Energie, die seine
Stärke, aber auch mit der Unterschätzung des Gegners, die
seine Schwäche war, wusste er eine Krise zu erzwingen. Den
Anlass gab der beinahe vergessene "moechianische Streit", der
wieder aufgefrischt wurde. Der erste Auftritt dieses Dramas
hatte sich folgenderweise abgespielt: Konstantin VI, der Sohn
Irenes war seiner, ihm aufgezwungenen, Gattin überdrüssig ge-
worden und hatte diese unter einem falschen Vorwand ver-
stossen. Als er sich nun wieder verheiraten wollte hatte er einen
Geistlichen namens J oseph, bereit gefunden diese Ehe einzu-
segnen. Der damalige Patriarch Tarasios war damit nicht einig
doch er wagte es nicht gegen diese Vergewaltigung der kichlichen
Kanones und gegen Joseph aufzutreten. Um so heftiger eiferten
Theodor und sein Oheim Platon gegen den "Ehebrecher" (ILOLX0C;)
und seinen Mitschuldigen (ILOLXLotVOL). Auch der "laxe" Patriarch
wurde mit Vorwürfen überhaüft. Theodor ging sogar soweit dass
er den Kaiser exkommunizierte. Da er kein Bischof war hatte
diese Exkommunikation zwar keine offizielle Geltung aber er
konnte wohl den Seinigen verkünden dass er den Kaiser als
vom Körper Christi abgeschnitten betrachtete und dass man
also mit dem Fürsten keinerlei Gemeinschaft haben dürfe.
Selbstverständlich war diese Tat auch für Tarasios eine schwere
Beleidigung. Der Patriarch hatte ja selbst über den Kaiser keine
Exkommunikation ausgesprochen und die Haltung des Theodor
machte Tarasios wegen seiner Nachlässigkeit zum Mitschul-
digen. Auf Theodor entlud sich der ganze Zorn der kaiserlichen
Partei. Er wurde gepeitscht und verbannen. Als die Kaiserin
Irene ihren Sohn seines Augenlichtes und seiner Regierung be-
raubt hatte sprach Tarasios allerdings über den allzu willigen
Joseph das Anathema aus und die Studiten dürften zurück-
kehren. Damit schien der möchianische Streit eins für allemal
beendet zu sein.
Kaiser Nikephoros jedoch, der mit aller Macht nach Gründen
suchte um gegen die Studiten auftreten zu können begann sich
aufs neue mit diesem Kämpfe zu beschäftigen. An sich ist es
sehr eigenartig dass ein Fürst lange nach dem Tod eines Vor-
gängers für dessen Ehre eintritt wenn dieser Vorgänger einer
60 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

von ihm selbst vom Throne gestossenen Dynastie angehört.


Nikephoros brachte dies trotzdem fertig; er zwang seinen Pa-
triarchen die Exkommunikation ]osephs, die einen Sieg der
Studitenpartei bedeutet hatte, aufzuheben. Dieses sonderbare
Vorgehen hatte nur den Zweck die Mönchspartei aufs äusserste
zu reizen um diese Opposition dann schonungslos ausrotten zu
können; er wollte "einen Hund schlagen und suchte nach einem
Stock". Es wird dem Patriarchen schwer gefallen sein um auch
diesem Wunsche seines Kaisers zu genügen. Die Lebensbeschrei-
bungen die wir von Theodorus Studita besitzen 1) sprechen von
der schwierigen Lage und von einem gewaltigen Druck unter
dem der Patriarch lebte. Diese Biographen wussten nicht gut
welche Haltung sie hierin annehmen sollten, besonders da
Nikephoros seit seinem Auftreten im Bilderstreit als ein Hei-
liger galt. Die Autoren der beiden genannten Vitae, echte Stu-
diten zwar, urteilen dennoch nicht hart über den Patriarchen;
sie nehmen sogar an dass er sich nicht aus Angst dem Kaiser
willfährig zeigte sondern um noch ärgere Schaden für die Kirche
zu vermeiden. Trotz alledem sind sie der Meinung dass die un-
biegsame Haltung des Abtes von Studion sittlich weit höher
steht als die schmiegsame Diplomatie des Nikephoros. Ignatios
bedeckt auch dieses mit dem, bei ihm wohl erstaunlich weiten,
"Mantel der Liebe". Der Streit wurde mit grösster Leidenschaft
und Unnachgiebigkeit gekämpft. Diesmal gab es ein Schisma
und Theodor wurde mit vielen seiner Anhänger zum zweiten
Male verbannt.
Plötzlich trat eine überraschende Wendung ein 2). Kaiser
Nikephoros, der damals gegen die Bulgaren Krieg führte, hatte
anfänglich grosse Erfolge gehabt und war tief in bulgarisches
Gebiet durchgedrungen. Bei einer Wendung des Kriegsglücks
erlitt er aber eine entscheidende Niederlage. Seine Armee wurde
umzingelt und der grösste Teil seiner Streitkräfte vernichtet. Er
selbst fiel in der Schlacht und sein Sohn Staurakios, der noch
entfliehen konnte, war doch so schwer verwundet dass er allem
Anschein nach bald sterben musste; auch ohne Verwundung
wäre dieser liederliche Prinz übrigens schon unfähig genug zum
Regieren gewesen. Da Staurakios bei seiner jungen Frau Theo-
1) MPG 99.
") Diese Ereignisse bei Theoph., a.a.M. 6304 sqq.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 61

phano keine Kinder gehabt hatte wäre bei seinem bald zu er-
wartenden Ende sein Schwager Michael Rhangabe der angewie-
sene Thronerbe gewesen. Staurakios jedoch bestand darauf dass
Michael bei der Thronfolge übergangen werden müsste und
seine Frau Theophano auf den Thron erhoben. Theophano selbst
wollte nach dem Vorbilde der Kaiserin Irene gerne allein ßOCO"LALO"O"OC
sein. Es ist begreiflich dass in dieser Situation verschiedene
Palastintriguen entstanden in denen nicht nur die beiden Frauen,
Th~ophano und die Schwester des Staurakios eine Rolle spielten
sondern auch, ungeachtet seiner geistlichen Würde, der Patri-
arch Nikephoros. Der etwas unklare Bericht des Theophanes
teilt uns einiges mit vom Auftreten des Kirchenfürsten in die-
sem Zeitabschnitt. Theophanes führt die Person des Patriarchen
am Hofe des Staurakios mit der Erzählung ein dass er den
Kaiser auf seinem Krankenbette ermahnte Gottes Gunst da-
durch zu erwerben, dass er Personen von denen sein Vater Geld
erpresst hatte dafür entschädige (Irene hatte damals wirklich
etwas derartiges getan). Der todkranke Kaiser antwortete darauf
dass er nur drei Talente zu diesem Zwecke geben könnte. Weiter
erzählt derselbe Chronist dass, als Nikephoros erfuhr dass der
kranke Kaiser nicht nur Pläne hatte seine Frau zur Thronerbin
zu erheben sondern dass er auch soweit gehen wollte, falls dieses
misslinge, eine Art Demokratie oder vielmehr Ochlokratie zu
gründen, der Patriarch das Ärgste fürchtete. Er beendete seine
Feindschaft mit dem Patrikios Theosteriktos, dem mächtigsten
Mann am Hofe, und nahm ihn zum Bundesgenossen. Obwohl
die Chronik sich hierin nicht deutlich ausdrückt können wir es
als sicher annehmen dass es ein Komplott zugunsten des Michael
Rhangabe betraf. Der Wunsch des Staurakios seinen Schwager
blenden zu lassen brachte sogar Stephanos, der bisher treuest
ergebene Anhänger des jungen Kaisers dazu, sich von ihm ab-
zuwenden; er ging zur Gegenpartei über und warnte Michael
Rhangabe und einige Truppenabteilungen vor diesen nieder-
trächtigen Plänen. Michael wurde im Hippodrom von Soldaten
und Volk zum Kaiser ausgerufen; ein unblutiges Pronunciamento
wie es derer so viele gibt in der byzantinischen Geschichte. Um
sich zu retten nahm Staurakios augenblicklich die Tonsur an
und hüllte sich in einer Mönchskutte. Er flehte den Patriarchen
um Hilfe. Hierauf folgte ein grossartiges Spiel von gegenseitigen
62 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

geheuchelten Freundschaftsbezeugungen. Zusammen mit dem


neuen Kaiser Michael und dessen Gattin begab sich der Kirchen-
fürst nach dem kaiserlichen Palast. Mit Entschiedenheit be-
zeugte Michael Rhangabe dass er nicht aus Feindschaft für
Staurakios sich zum Kaiser hatte ausrufen lassen sondern weil
er dessen Gesundheitszustand doch für hoffnungslos hielt. Dem
Ex-Kaiser Staurakios blieb nichts anderes übrig als gute Miene
zum bösen Spiel zu machen und zu erklären dass niemand ein
grösserer Freund Michaels sein könne als gerade er.
Nun sass auf dem Throne von Byzantium ein Mann von
bigotter Frömmigkeit der deswegen von den Mönchschroniken
himmelhoch gepriesen wurde obwohl seine Regierung für den
Staat eine Katastrophe bedeutete. Er wurde vom Patriarchen
gekront nachdem er eine Erklärung unterschrieben hatte dass er
während seiner ganzen Regierungszeit an den orthodoxen Glau-
ben, wie dieser auf den sieben Synoden festgelegt war, nichts
ändern wolle. Für Michael bedeutete diese Urkunde mehr als
eine blosse Formalität; sein grösstes Interesse galt der Wieder-
herstellung des kirchlichen Friedens. Endlich konnte der Patri-
arch unbehelligt seinen Brief an Papst Leo 111 versenden. Dieses
Stück ist uns erhalten; es ist sehr weitschweifig und der Stil
steht in entschiedenem Gegensatze zur nüchternen und sach-
lichen Ausdrucksweise des historischen Werkes des Nikephoros:
lIde rebus post Mauricium gestis" und der etwas mehr rhetorisch
aufgefassten, doch immer noch ziemlich einfachen Antirhetici.
Nikephoros aber konnte als berufsmässiger "Mann der Feder"
gelegentlich auch andere Register ziehen als die meist von ihm
benützten und war fähig genug wenn er solches für angebracht
hielt, das volle Werk der byzantinischen Schulrhetorik dröhnen
zu lassen. Im Anfang der Schrift 1) spricht er von der Würde des
Hirtenamtes und von seiner eigenen Unwürdigkeit; .die hier
vorkommenden übermässigen Demutsbezeugungen können dem
heutigen Leser leicht ein Lächeln entlocken. War das eine Stil-
figur ohne weiteres oder wird darin ein ehrliches Bedauern aus-
gedrückt und empfand er wirklich Gewissensbisse über seine an
zu servile Haltung dem vorigen Kaiser gegenüber? Auch erzählt
er einiges über sein früheres Leben, erst am Hofe, dann in klös-

1) MPG 100, c. 172.


LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 63

terlicher Einsamkeit. Er sagt "mit dürren Wörtern" dass er nur


unter dem tyrannischem Zwang des Kaisers sein Amt angenom-
men habe, was wohl stimmt mit dem, natürlich verschönernden,
Bericht des Ignatios. Dann fragt der Patriarch den Papst um
Rat und Fürbitte und preist den Stuhl von Rom, sagt jedoch
beilaüfig auch dass Neurom (Byzanz) in keiner Hinsicht Altrom
nachstehe 1). Danach finden wir ein ausführliches Glaubensbe-
kenntniss 2), das zuerst die Lehre vor der Trinität behandelt und
zwar ganz nach dem klassischen Schema der Ostkirche. Das
"filioque" fehlt natürlich vollkommen und sogar das 8L' ULOU, das
wir bei Johannes Damascenus noch wohl antreffen, finden wir
hier nicht. Dann wird in der gebrauchlichen Weise die Christolo-
gie behandelt und Nestorius sowie Eutyches verurteilt. Auch die
Zweinaturenlehre wird erörtert und die zwei Willen und zwei
Energien erwähnt. Endlich kommen die Eschatologie, die Sakra-
mente, die Lehre von den Heiligen, den Reliquien und den Bil-
dern (die letzteren werden auffallend kurz behandelt). Eine Auf-
zählung der sieben Synoden und eine kräftige Verfluchung der
Ketzer schliessen das Symbolum ab. Nach diesem Glaubensbe-
kenntnisse bittet er den Papst ihn mit Rat und Tat beizustehen
damit er um so besser im orthodoxen Glauben verharren und so
am Tage des jüngsten Gerichtes das ewige Leben erwerben könne.
Er entschuldigt sich über sein spätes Schreiben, aber er
könnte nicht anders da er sich dem damaligen Machthaber beu-
gen musste. Nun seien alle Hindernisse aus dem Wege ge-
raümt. Viele Menschen jagen eitlen Ruhm nach; Nikephoros
will jedoch nur Gottes Ehre suchen und für eine lange und
glorreiche Regierung seines tugendhaften und gottesfürchtigen
Kaisers beten. Am Schluss des Schreibens finden wir noch eine
Empfehlung für den überbringer des Briefes, den Metropoliten
Michael von Philadelphia, nochmals eine Frage um Fürbitte,
und einige Worte hinsichtlich eines Geschenks, das der Papst
zugleich empfängt. Ignatios weiss zu erzählen 3) dass der Papst
diesen Brief ausserordentlich bewunderte. Es ist möglich dass er
darin recht hat, wenn wir auch schwerlich annehmen können
dass der Pontifex Maximus den Satz von der Gleichberechtigung

1) A.a.O., c. 181.
") A.a.O., c. 181-195.
3) Ign. Vita Nie., c. IV, 28.
64 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Alt- und Neuroms mit Begeisterung gelesen hat. Jedenfalls


wurde durch diese Epistola das Verhältnis Rom-Byzanz sehr
verbessert.
Auch weiterhin tat der fromme Michael alles um den kirch-
lichen Frieden wiederherzustellen 1). Theodor und die Seinigen
wurden aus ihrer Verbannung zurückberufen und es gelang dem
Kaiser den unerschütterlichen Abt und den Patriarch mitein-
ander zu versöhnen. Als "Bundesopfer" bei diesem Versöhnungs-
feste musste der arme J oseph Dienst tun, der wieder einmal
exkommuniziert wurde.
Der Kaiser umgab sich mit Räten aus dem geistlichen Stand,
wie Nikephoros, Theodor und einige Bischöfe. Übrigens waren
diese Ratgeber sich nicht immer unter einander einig. Der Pa-
triarch drang zum Beispiel auf energische Massnahmen des
Kaisers gegen die Ketzer. Es betraf hierbei Paulicianer,
Manichäer und noch andere Ketzer, die Thracien und Macedo-
nien bewohnten aber die man früher aus Klein Asien dorthin
übersiedelt hatte. Bisher hatte man sie unbehelligt gelassen aber
nun wurde mit grosser Strenge gegen sie aufgetreten und einige
wurden enthauptet. In dieser Frage war der Studit ganz anderer
Meinung als der Patriarch. Theodor wollte religiöse Irrungen
nicht mit aüsserem Zwang unterdrücken. Sein Brief hierüber 2)
ist eines der edelsten Zeugnisse gegen Gewissenszwang und
jegliche Form von Inquisition welcke die Kirchengeschichte
kennt. Theophanes sagt dass einige, womit er Theodor und seine
Gesinnungsgenossen meint aber nicht mit Namen nennt, sich den
Massnahmen gegen die Ketzer widersetzten. Diese "einige"
trachtet der Chronist mit theologischen Gründen zu wider-
legen 3). Trotz derartigen Meinungsverschiedenheiten war das
Verhältnis des Patriarchen zu Theodor recht gut; es schien einen
Augenblick alsob der Traum eines wirklich "christlichen Gemein-
wesens" seine Verwirklichung entgegengehe. Man muss bedau-
ern das die Regierung Michaels für den Staat nicht ebenso heil-
sam war als für die Kirche; in diesem Falle hätte man ihn mit
Recht "den Grossen" nennen können.
Leider war aber in weltlicher Beziehung die Regierungszeit

1) Theoph., a.a.M. 3604.


") Theodorus Studita, Ep., MPG 155, 99, c. 1482.
0) Theoph., a.a.M. 6304.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 65

dieses Fürsten ganz katastrophal. Kaiser Nikephoros hatte das


zerrüttete Finanzwesen mit aller Mühe, wenn auch nicht mit
immer gleich einwandfreien Mitteln, einigermassen in Ordnung
gebracht. Durch die Verschwendungssucht des Michael (die in
den Mönchschroniken natürlich "Freigebigkeit" genannt wird)
wurden die Finanzen jedoch wiederum vollkommen ruiniert.
Ein noch grösseres Gefahr kam von anderer Seite 1). Der Krieg
mit den Bulgaren war nämlich noch stets nicht beendet und
brachte dem Kaiser die eine Niederlage nach der anderen. Der
Bulgarenkönig Krumn, der jedoch die Erfolge des Kaisers Nike-
phoros noch nicht vergessen hatte, war geneigt gegen nicht all
zu ungünstigen Bedingungen Frieden zu schliessen. Ganz nach
seiner Gewohnheit fragte der Kaiser nach der Meinung seiner
geistlichen Ratgeber, um so mehr weil in diesem Falle ein casus
conscientiae vorlag. Eine der Bedingungen des bulgarischen
Recken bestand nämlich darin dass Byzantium die bulgarischen
überlaüfer, die sich der Armee der Christen angeschlossen hatten,
an Krumn ausliefern sollte. An sich war diese Forderung, obwohl
von rein menschlichem Standpunkte peinlich, doch nicht über-
trieben, wenn man bedenkt dass es ein Sieger war, der sie stellte.
Andererseits dürfte man sich keinerlei Illusion über das Schick-
sal dieser Unglücklichen machen wenn man sie Krumn auslie-
ferte. Theodoros Studita meinte darum dass man eine derartige
Bedingung kategorisch abweisen müsse; er berief sich dabei auf
das Schriftwort : wer zu mir kommt werde ich keineswegs aus-
werfen 2). Die absoluten Forderungen des Christentums müssten
nach seiner Auffassung unbeirrt eingehalten werden auch in den
politischen und den internationalen Verhältnissen. Der mehr
diplomatische Patriarch war weit realistischer und schloss sich
deshalb den weltlichen Berätern des Kaisers an, die ihm rieten
diese Bedingungen anzunehmen. Auch sie beriefen sich auf die
Heilige Schrift, nämlich auf das Wort des Paulus 3): wer sein
eignes Haus vernachlässigt ist schlimmer als ein Ungläubiger.
Der weltkluge Rat von Nikephoros wurde verworfen und die
einfältige Rechtschaffenheit des Theodor behielt Recht: viel-
leicht das erste Mal in der Weltgeschichte dass bei einem Kon-

1) A .a.O., a.a.M. 6305.


') Joh. VI, 37.
") I Tim. V, 8.
Nikephoros 5
66 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

flikt zwischen christlicher Moral und Staatsräson nicht die Po-


litik sondern die christliche Gesinnung ausschlaggebend war.
Nach Verwerfung der Friedensbedingungen erneuerte der Bul-
garenfürst mit um so grösserer Hartnäckigkeit seine Angriffe
sodass der Zustand des Reiches stets besorgungserregender wurde.
Zum zweiten Male dachte man daran die Friedensbedingungen
anzunehmen. Aber das Unerwartete geschah: auch zum zweiten
Male wusste der Studite die Annahme der Bedingungen zu ver-
hindern. Die katastrophalen Folgen blieben nicht aus; die voll-
ständige Niederlage bei Adrianopel 1) brachte den absoluten
Zusammenbruch der militärischen Macht von Byzanz. In dieser
Schlacht waren die byzantinischen Truppen von einer derartigen
Panik ergriffen dass sie in hellen Haufen flüchteten noch bevor
der Kampf begonnen war. Eigenartig genug wurde gerade durch
diese kopflose Panik das Schlimmste vermieden. Krumn konnte
nämlich nicht glauben dass eine Armee völlig kampflos das Feld
räumen könnte; er fürchtete in eine Hinterhalt gelockt zu wer-
den, zögerte daher und liess erst die Gegend rekognoszieren bevor
er sich mit seinen Truppen weiter wagte. Durch diesen Umstand
konnte sich ein grosser Teil der byzantinischen Soldaten retten
und so stand die Grösse der Verluste in keinem Verhältnis zur
Grösse der Niederlage.
In dem grossen Gewirr das jetzt entstand rief das Heer einen
der ihrigen, den General Leo den Armenier, der die asiatischen
Truppenabteilungen kommandierte, zum Kaiser aus. Am 10.
Juli 813 konnte der neue Kaiser ohne jeden Widerstand in
Konstantinopel einziehen und wurde dort von dem Senat ge-
huldigt. Michael nahm die Tonsur an. Leo der Armenier 2) hatte
es teilweise durch seine grosse Geschicklichkeit aber auch teil-
weise durch verschiedene glücklichen Zufälle, die er auszubeuten
gewusst hatte, zu seiner hohen Würde gebracht. Er war von
einfacher Abkunft und nahm erst in der Leibwache eines der
Reichsgrossen, Bardanios Turkos, eine untergeordnete Stellung
ein. Als sein Herr sich gegen Kaiser Nikephoros auflehnte verriet
Leo ihn an den Kaiser. Dieser Verrat hatte Nikephoros die Unter-
drückung des Aufstandes sehr erleichtert und Leo erhielt als

1) Theoph., a.a.M. 6305 (MPG, 108, c. 1005 sqq.)


2) Über Leo sehe die anonyme Vita Leonis Armenii, MPG 108, c. \012. Theophanes
Continuatus, I, MPG, 109, c. 20.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 67

Belohnung eine hohe Stelle in der kaiserlichen Armee. Eine mili-


tärische Niederlage, wofür man zu Recht oder zu Unrecht Leo ver-
antwortlich stellte, brachte ihm wiederum Degradation. Michael
Rhangabe rief ihn aber wieder auf eine verantwortungsvolle
Stelle zurück. Auch diesmal war ein Fürst auf dem Thron, der
von den Soldaten zum Kaiser ausgerufen war. Besonders bei den
asiatischen Truppen, die nicht gerade Freunde der Bilder waren,
war Leo der Armenier sehr beliebt. Es ist daher verständlich
dass der Patriarch sich in religiöser Hinsicht die Zukunft mit
Besorgtheit entgegensah. Er verlangte von Leo die übliche
Unterschreibung eines Symbolum Fidei dass die Aussprüche der
sieben Synoden, einschliesslich der zweiten Synode von Nicaea,
bestätigen sollte. Darum liess er einen Kodex, der ein derartiges
Glaubensbekenntnis enthielt, durch eine Abordnung von einigen
Bischöfen dem Kaiser überreichen. Der diplomatisch-schlaue
Fürst, der wegen seines fortwährenden Gesinnungswechsels den
Beinamen "Chameleon" erhalten hatte, tat so alsob er gerne
dazu bereit wäre diese Urkunde zu unterzeichnen aber dass er
dies lieber gleich nach der Krönung tun wolle. So lautet wenig-
stens der Bericht, den wir in Ignatios' Vita Nicephori finden 1).
Andere Quellen weichen davon ab und wissen zu berichten dass
der Kaiser tatsächlich noch vor seiner Krönung das orthodoxe
Glaubensbekenntnis mit seiner Unterschrift bestätigte 2). Es ist
schwer zu entscheiden welche überlieferung richtig ist. Eine all-
gemeine Erwägung könnte vielleicht dazu führen um der über-
lieferung des Ignatios den Vorzug zu geben. Der ganze Ton die-
ser anderen Chronisten ist dazu angetan die moralische Schuld
Leos möglichst gross erscheinen zu lassen. Nun wäre die Schuld
des Kaisers am grössten wenn er erst unterzeichnet und dann
sein Wort gebrochen hätte und es ist wahrscheinlicher dass die
Chronisten die Schuld des ketzerischen Kaisers vergrössert als
dass Ignatios dieselbe verkleinert hätte. Wie dem auch sei, die
Krönung fand statt und zwar in der Hagia Sophia. Der Patri-
arch Nikephoros war es, der sie zu vollziehen hatte. In der Vita
Nicephori 3) finden wir noch die folgende legendenhafte Er-
zählung: Nikephoros hätte im Augenblick der Krönungshand-

') Ign., Vita Nie., c. v.


') Theoph., a.a.M. 6305 (MPG 108, c. 1015) und Vita L. Arm., MPG 108, c. 1015.
3) Ign., Vita Nie., c. V, 31
68 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

lung von Gott Sehergaben erhalten. Als er nämlich beim Aufsetzen


der Krone das Haupt des Kaisers berührte, hätte er die Empfin-
dung gehabt alsob er "in Dornen und Disteln gegriffen hatte" und
eine tiefe Schmerz erfüllte ihn da es ihm plötzlich klar wurde
welchen unermesslichen Schaden dieser Mensch der Kirche zufü-
gen sollte. Ignatios beschreibt weiter dass Nikephoros wiederholt
beim Kaiser auf Unterschreibung des Glaubensbekenntnisses
drangte dass aber der Fürst dieses immer wieder verweigerte.
Dieser Zwischenfall war ein Vorzeichen kommenden Unheils.
Doch sollte das Unheil noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Kaiser Leo hatte vorlaüfig noch genug mit den Bulgaren zu tun.
Ein heimtückischer überfall auf Krumn bei angeblichen Friedens-
unterhandlungen 1) reizte den Fürst aufs äusserste und er
kühlte seinen Wut auf die eroberten Gebieten und brand-
schatzte sie in grausamster Weise. Inzwischen bereitete sich der
Kaiser zu einer Belagerung der Hauptstadt vor, die er zur bes-
seren Verteidigung mit einer zweiten Mauer umgeben liess. Nun
trat ein unerwarteter Glücksfall ein: der Bulgarenfürst starb
plötzlich 2) und nach seinem Tode brachen in Bulgarien innere
Wirren aus. Hierdurch erhielt Leo der Armenier einen gewaltigen
Vorsprung und zwei Jahre später gelang es ihm in der blutigen
Schlacht bei Mesembria die Macht der Bulgaren zu brechen; erst
nach Generationen bildeten sie wiederum ein Gefahr für das
oströmische Reich. Als Leo der Armenier ungefähr ein Jahr an
der Regierung war, war die ärgste Drohung schon gewichen 3).
Die äusseren Erfolge des Kaisers hatten indirekt auch Konse-
quenzen auf religiösem Gebiet. Nikephoros hatte bereits lang
gefürchtet dass der Kaiser einmal seine ikonoklastische Gesinnung
unverhüllt zum Ausdruck bringen und bilderfeindliche Mass-
nahmen treffen würde. Er hatte recht gesehen; sobald sich Leo
in politischer Hinsicht sicherer fühlte liessen ikonoklastische
Schritte tatsächlich nicht lange auf sich warten. Vielleicht war es
mehr Rücksicht auf die fanatisch bilderfeindlich gesinnten Sol-
datenmassen als persönliche Unduldsamkeit die ihn hierzu trieb.
Er hatte nun einmal seine Macht der Armee zu verdanken und
') Theoph., a.a.M. 6305, MPG, 108 c. 1010. Ausführlicher: Vita L. Arm. MPG, 108 c.
1018-1019.
") A.a.O., c. 1023.
8) Näheres über diesen Krieg bei Bury, History 01 the la.ter Roman Empire, London
1923, p. 360-362.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 69

er musste wohl durch seine Haltung im Bilderstreit sich seinen


Soldaten willfährig zeigen. Selbst in den nicht gerade unpar-
teiischen erhaltenen Quellen, worin er selbstverständlich mit
Beschuldigungen überhaüft wird, ist dieser Zug merkbar. Ganz
wie sein Namensgenosse Leo III scheint der Armenier zuerst in
intimerem Kreise für den Ikonoklasmus eingetreten zu sein. Er
berief sich dabei auf die Tatsache dass gerade die Regierungs-
zeit der bilderstürmenden Kaiser lange gedauert habe und
ruhmvoll gewesen sei, während das Auftreten ikonophiler Kaiser
für Volk und Reich verheerende Folgen gehabt hätte. Daraus
folgerte er dass Gottes Zorn offenbar auf die Bilderverehrung
lastete 1). Im Gegensatz zu Leo III wollte er nicht zu öffentlichen
Massnahmen schreiten, bevor er die bilderfeindliche Auffassung
durch theologische Gründe unterstützt hatte. Er versicherte
sich hierbei der Mitwirkung eines jungen ehrgeizigen Gelehrten
namens Johannes, zugenannt Grammatikos oder auch Hylilas
(die Etymologie dieses Namens ist dunkel). Der besass den
kirchlichen Rang eines Lektors und war philologisch und philo-
sophisch hervorragend ausgebildet, eine Tatsache die auch seine
heftigsten Gegner zugeben mussten. Später traten noch zwei
Bischöfe als Helfer hinzu. Der bekannteste dieser Mitarbeiter
des J ohannes war Antonius von Syläum. Von ihm wusste man zu
erzählen, er hätte sich verschiedener Vergehen schuldig gemacht
und dann, um der gerechten Strafe zu entgehen, das Klostergewand
angenommen. Nachher sei er unbegreiflicherweise Bissehof ge-
worden. Es war die Aufgabe des J ohannes und seiner Mitarbeiter
Aussprüche der Kirchenväter zu sammeln, die man zugunsten
des Ikonoklasmus auslegen konnte. Bei den vielen Patres, die
gegen den heidnischen Götzendienst schrieben, war es nicht
schwer Zitate zu finden, die man als gegen die Bilder überhaupt
gerichtet betrachten konnte. Anscheinend ging man hierbei von
den Acta des Konzils von 754 aus. Nach den Berichten der Vita
Leonis Armenii 2) begann Johannes gleich nach Pfingsten 814
mit seiner Arbeit. In Juli 814 wurde Antonius sein Mithelfer.
Vorläufig hielten sie die wahre Absicht ihrer Nachforschungen
in den verschiedenen Bibliotheken geheim; erst am Ende des
Jahres 814 liessen sie die Maske fallen. In Dezember desselben
1) Vita L. Arm., MPG 108, c. 1024 sqq.
") A.a.O., c. 1027.
70 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Jahres ging auch der Kaiser zu ikonoklastischen Massnahmen


über 1). Er sandte dem Patriarchen ein Schreiben, worin er darauf
hinwies dass das Volk an der Bilderverehrung Anstoss nehme
und beklagte sich darüber dass dieser Kult die Ursache der un-
günstigen Lage der Christen den Heiden gegenüber, sei. Nikephoros
antwortete dass die Bilderverehrung auf einer alten Überliefe-
rung der Kirche beruhe und dass man die ungeschriebene Tra-
dition ebenso hoch achten müsse als die geschriebene. Der Kaiser
wollte eine Disputation zwischen dem Patriarchen und seinen,
jetzt genügend der Sache kündigen, Hoftheologen unter ihrem
Anführer J ohannes Grammatikos, organisieren. Der Patriarch
sandte hierauf einige Bischöfe zum Palaste, die in rein thetischer
Weise den orthodoxen Standpunkt erörterten und patristische
Schwierigkeiten behoben, die sich aber hartnäckig weigerten sich
mit den bilderfeindlichen Theologen auf Debatten einzulassen,
da das zweite Nicaenum genüge. Der Kaiser war über diese
schroffe Haltung aufgebracht und erliess die Deputation mit
drohenden Worten.
Der Bericht des Ignatios 2) lässt es so vorkommen alsob bereits
in diesen Tagen Nikephoros unter Bewahrung stand und seine
Amtspflichte nicht mehr frei ausüben konnte. Es ist jedoch
wahrscheinlicher dass diese Massnahmen gegen den Patriarchen
erst später genommen wurden. Auch soll nach der Vita Nicephori
der Kaiser verschiedene Bischöfe zu sich berufen haben und sie
unter Androhung von Strafen "in der Weise des Phalaris oder
Echetos (ßpo't'wv 8w'YjILovoc 1tOCV't'WV; Od. XVIII, 85)" zwingen
wollen sich den Bilderstürmern anzuschliessen. Es ist nicht
sicher ob diese überlieferung auf Wahrheit beruht; fest steht
jedoch dass der Kaiser bereits gegen Ende 814 oder Anfang 815
über eine genügend grosse Anzahl ikonoklasticher Geistlichen
verfügte um eine auvo8oc; Ev8'Yj!LouO'oc abzuhalten. Hierbei dürfen
wir nicht vergessen dass ein Teil des höheren Klerus auch ohne
irgendwe1chen Zwangsmassnahmen dem Ikonoklasmus nicht
ganz abgeneigt war. Nach diesen Unterhandlungen zwischen
Patriarch und Kaiser herrschte eine kurze Zeit Ruhe. Es sollte
sich aber zeigen dass dies eine Stille vor dem Sturm war. Der
Patriarch sah wohl ein dass die Drohung für den orthodoxen
') A.a.O., ebenda.
") Ign., Vita Nie., c. V, 36 (MPG 100, c. 81).
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 71

Glauben blieb und suchte seine Zuflucht im Gebet. Eine ganze


Nacht verbrachte er mit seinen Getreuen in leidenschaftlichem
Flehen 1). Als der Kaiser dies erfuhr sandte er Boten zur Hagia
Sophia, wo Nikephoros und die Seinigen versammelt waren und
beschuldigte den Patriarchen aufrührerischer Umtrieben. Die
Boten überbrachten ihm den Befehl sich zum Kaiser zu begeben.
Dieser Zwischenfall erhöhte noch die Begeisterung seiner from-
men Anhänger. Wir lesen bei Ignatios dass Nikephoros dann
nochmals eine ausführliche Rede an die Seinigen gehalten haben
soll, worin er sie zu unerschütterlichem Ausdauer ermahnte.
Dann bekleidete er sich mit allen Zeichen seiner Würde und
begab sich in Begleitung einer ganzen Schar von Anhängern zum
kaiserlichen Palaste.
Der Kaiser empfing ihn sehr ungnädig und brachte ihm nicht
die gebräuchlichen Ehrerbietungen. Mit wütenden Mienen be-
schuldigte er den Patriarchen revolutionärer Bestrebungen gegen
das Heil des Staates und des Kaisers. Es stehe dem Patriarchen
wohl frei gegen eine Ketzerei zu protestieren falls der Kaiser
eine solche einführen wollte, aber hierbei handle es sich nicht um
eine Ketzerei ohne weiteres, denn grosseTeile des Volkes nahmen
an die Bilderverehrung Anstoss und überdies gäbe es genügend
Zitate aus der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern die gegen
diesen Kult zu sprechen schienen. Der Patriarch verteidigte sich
gegen die Anklage einer aufrührerischen Gesinnung. Er habe nur
mit einer Ketzerei keinerlei Gemeinschaft haben wollen. Ignatios
schildert in einem ausführlichen Dialog 2) das Gespräch zwischen
Kaiser und Patriarch. Selbstverständlich ist dieser Bericht nicht
wortgetreu und wir können nur hoffen das er wenigstens in den
Hauptpunkten mit der wirklichen Unterredung zwischen dem
Fürst und dem Kirchenfürst übereinstimmt. Der Kaiser hätte
sich auf das mosaische Gesetz berufen worauf Nikephoros ent-
gegnet haben soll dass sich dieses Gebot nur gegen die Götzen-
dienst richtete. Hier kann der Autor wieder einige archäologi-
schen Kenntnisse zu Schau stellen und wir hören alles mögliche
von den alten Aegypter und ihrem Anteil an der Idololatrie.
Spätere Argumente sind der Christologie und sogar der Angelo-
logie entnommen. Ignatios berichtet 3) dass der Kaiser völlig
1) A.a.O. c. VI, 37 und Vita L. Arm., MPG, 108, c. 1030.
S) A.a.O., c. VII und VII.
S) A.a.O., c. IX, 54.
72 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

erschöpft war nach diesem Debatt. Wenn Nikephoros sich wirk-


lich der geschraubten und orakelhaft-dunklen Sprache bedient
hätte, die ihm sein Biograph zuschreibt könnte man diese
Ermüdung sehr wohl verstehen. Der Kaiser soll noch mit er-
stickter Stimme gesagt haben dass trotzdem Stellen bei mehre-
ren Kirchenväter doch wirklich bilderfeindlich wären und der
Patriarch diese Schwierigkeiten beheben sollte. Hierauf erklärte
dieser sich bereit alle Unklarheiten und scheinbare Wider-
spruche aufs deutlichste zu lösen aber er weigerte sich nach wie
vor entschieden mit ausgesprochenen Ikonoklasten auf Fuss der
Gleichheit zu disputieren, nicht weil er ihre Argumente fürchtete
sondern weil derartige Leute unter das Anathema der Ortho-
doxie fielen und also eine Diskussion von vornherein ausge-
schlossen war. Wohl wollte er eine Anzahl gleichgesinnter Bi-
schöfen zum Kaiser bringen um ihm zu beweisen dass er mit
seinen Ansichten nicht gerade allein stände. Leo erlaubte dies
und bald darauf erschien Nikephoros wieder im Palast an der
Spitze einer Gesellschaft orthodoxer Kleriker 1). Die Griechi-
schen Menäen (auf dem Tage des heiligen Theophylact: 8 März)
nennen die Namen dieser Vorkämpfer: Aemilianus von Cyprus,
Euthymius von Sardes, Joseph von Thessalonica (ein Bruder
von Theodor der Studite), Michael von Synnada, Eudoxius von
Amorrae und Theophylact. In der Vita Nicetae werden Joseph
und Eudoxius nicht, Petrus von Nicaea und Theodorus Studita
wohl genannt. Auch die Lebensbeschr~ibungen von Theodor nen-
nen den gewaltigen Abt als Teilnehmer an diesen Verhandlungen.
Ignatios beschreibt dass bei dieser Zusammenkunft alles getan
war um die Verteidiger der Orthodoxie einzuschüchtern. Eine
grosse Anzahl schwer bewaffneter Hofleute und Soldaten war im
Saale anwesend. Trotzdem soll Nikephor9s mit seiner kleinen
Schar Getreuen ausserordentlich freimütig aufgetreten sein:
"schnell, wie von göttlicher Eingebung getrieben stellten sie sich
an einen Ort gerade dem Kaiser gegenüber". Der Patriarch soll
den Kaiser sofort durch seine geschickte Logik in der Enge ge-
trieben haben. Als Leo wiederum, wie so oft, auf eine Disputa-
tion mit den Ikonoklasten bestand, verweigerten die Ortho-
doxen dies mit ebenso grosser Entschiedenheit. Verschiedene

') Vergl. die Fussnoten q, r, S, und t bei MPG 100, c. 113.


LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 73

Gesinnungsgenossen des Nikephoros kamen auch ans Wort und


besonders Theodor soll sehr energisch gesprochen haben. Diese
feste Haltung verwirrte den Kaiser, der seine Niederlage hinter
wütenden aber grundlosen Beschuldigungen wie z.B. die der
Majestätsbeleidigung, zu verbergen suchte. Die Unterredung
hatte zu nichts geführt, aber der moralische Sieg hatten Nike-
phoros und die anderen Orthodoxen errungen.
Die folgenden Wochen, die letzten des Jahres 814, vergingen
unter einer starken Spannung zwischen den beiden Parteien, die
jedoch nicht zu einem entschiedenen Ausbruch führte; doch
wurde in dieser Zeit das grosse Christusbild, das seit langen
Jahren die sogenannte "eherne Pforte" des Palastes geschmückt
hatte von einigen übermütigen Soldaten beschädigt und darauf-
hin auf kaiserlichem Befehl entfernt, angeblich um weiteren Be-
schädigungen vorzubeugen 1). So nahte sich das Jahr 815.
Einige Tage vor Weihnachten 814 2) versammelten sich mehrere
Orthodoxen im Patriarchenpalaste und gelobten feierlich, u.a.
durch Unterschreibung eines Schriftstückes, niemals vom rech-
ten Glauben abzuweichen. In dieser Zeit sandte Nikephoros eine
Botschaft zum Kaiser dass, wenn es seine Person sei die Anstoss
gebe, 3) er gerne bereit sei, sein Amt aufzugeben wenn nur die
Orthodoxie weiterhin bewahrt bliebe. Die Antwort des Kaisers
war ausweichend. Er behauptete nichts Böses im Sinne zu haben
und er habe sogar als Beweis seiner Rechtgläubigkeit ein Kruzi-
fix geküsst. Während des Weihnachtfestes heuchlete Leo eine
orthodoxe Gesinnung und erwies zur grossen Freude des Patri-
archen den Bildern die übliche Verehrung 4). Doch sollte diese
Freude grundlos gewesen sein, denn nur kurze Zeit später,
nämlich am Epiphanienfest 815, kam nach allen kleinen Plänke-
leien der vorhergehenden Jahren, die definitive Kriegserklärung
an die Orthodoxie. Während diesem Feste liess der Kaiser plötz-
lich die Maske fallen. Bisher hatte er so getan alsob er nur un-
parteiischer Vermittler zwischen Bilderstürmern und Bilder-
freunden sein wolle. Als er aber an diesem Augenblick verweigerte
den Bildern irgendeine Verehrung zu zollen, war genügend deut-

1) Vita L. Arm., MPG, 108, c. 1030.


2) Ebenda.
3) A.a.O., c. 1031.
') Ebenda.
74 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

lich an welcher Seite er stand. Verschiedene orthodoxen Bi-


schöfe liessen sich von der Haltung des Kaisers einschüchtern
obwohl sie kurz vorher feierlich versprochen hatten die Sache
der Orthodoxie treu zu bleiben. Durch Versprechungen und
Drohungen wurden sie dazu gebracht sich dem Ikonoklasmus
anzuschliessen .
Nun forderte der Kaiser den Patriarchen dass er sich ihm
gleichfalls anschliessen müsse, da er ihn sonst aus seinem Amt
entsetzen lassen werde. Nach dem Bericht der Vita 1) suchte
Nikephoros in dieser Lage die Unterstützung der Kaiserin und
bat sie, ihren Gemahl zu beeinflussen und von seiner Entschei-
dung abzubringen. Hierbei können wir bemerken dass gerade
die Frauen am meisten an der Bilderverehrung hängten; es war
mehr als ein blosser Zufall dass es zwei Kaiserinnen, Irene und
Theodora, waren, die den Bilderkult wiederherstellten. Auch
suchte der Patriarch die Hilfe anderer einflussreicher Personen.
Z.B. schrieb er an den Finanzminister. Ob von dieser Seite noch
etwas zugunsten der ikonophilen Gesinnung unternommen
wurde ist nicht bekannt. Nur eins ist sicher, dass ein günstiger
Gesinnungswechsel beim Kaiser ausblieb; im Gegenteil, er traf
Massnahmen gegen den mutigen Patriarchen und verbot ihm
sein Amt weiterhin auszuüben. Wir hören bei Ignatios 2) dass
Nikephoros in dieser Zeit schwer erkrankte. Nach den Sympto-
men, wie sie der Biograph beschreibt, dürfte es sich um eine
Pleuritis gehandelt haben. Trotz dieser Krankheit bestanden die
ikonoklastischen Hoftheologen auf eine Disputation und der
Kaiser schenkte ihnen Gehör. Er gab seinem Schwager, dem
Spatharios Theophilos, den Auftrag Nikephoros zu befehlen zu
einer Versammlung der Bilderfeinde zu kommen. Dieser schrof-
fen Aufforderung erwiderte der Patriarch das!? er erstens wegen
seiner Krankheit nicht kommen könne; übrigens müsse erst der
Druck aufgehoben werden unter dem die Orthodoxie stehe,
bevor man in Unterhandlungen treten könne. Nicht länger
sollte man den Ikonoklasten in allerlei Weise Vorschub leisten
und es wäre notwendig einmal genau zu kontrollieren ob und wo
viele ikonoklastischen (angeblichen) "Kleriker" ihre Weihen er-
halten hätten. Wenn man diesen Bedingungen genügen könnte,
1) Ign., Vita Nie., c. X, 59.
') A.a.O., c. X, 61 und Vita L. Arm., MPG 108, c. 1031.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 75

wäre er bereit nach Beendigung seiner Krankheit zu disputieren.


Die Versammlung der ikonoklast ischen Geistlichen (es betraf
hier wahrscheinlich eine (1)VOOO~ Evo1)ILoucroc, eine Synode von
Bischöfe, die in der Hauptstadt ihren Sprengel hatten
oder dort zufällig anwesend waren) fühlte sich durch diese
Entgegnung beleidigt und trat nun in noch gehässigerer
Weise gegen Nikephoros auf. Man forderte ihn auf unbedingt zu
kommen ob er krank wäre oder nicht. Dieses wurde dem Patri-
archen in einem offiziellen Schreiben mitgeteilt. Einige Kleriker,
deren kirchlicher Rang und Weihen ziemlich fragwürdig gewesen
sein sollen, wurden mit der überbringung dieses Stückes beauf-
tragt. Eine Menge "marktschreierischer Parteigänger" folgte
ihnen. Als der Patriarch von dieser groben Botschaft gehört
hatte wollte er die Deputation nicht einmal sehen und weigerte
sich entschieden mit ihnen zu sprechen obwohl der mit der Sorge
für seine Sicherheit betraute Patrikios darauf bestand dass er sie
empfangen sollte. Nur diesem Drange nachgebend liess er sie
endlich eintreten. Das Benehmen dieser Deputation war im
höchsten Grade unwürdig und ungezogen. Der Patriarch beant-
wortete ihre frechen Beschuldigungen indem er rundweg leugnete
dass die (1)VOOO~ Evo1)ILoucroc auch nur die geringste Autorität
habe. Er betonte kräftig die Würde der fünf oekumenischen
Patriarchen und wies nach wie sehr die Handlungsweise dieser
Pseudosynode den kirchlichen Kanones zuwider war. Durch
diese energische Sprache schien man wirklich einigermassen ein-
geschüchtert zu sein. Man sah ein das diese Art sich des lästigen
Kirchenfürsten zu entschlagen, ihn nämlich von einer kleinen
lokalen Synode verurteilen zu lassen, etwas allzu töricht sei und
man suchte andere Mittel. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder
müsste man diesen Mensch mit Gewalt dazu bringen dass er sein
Amt entsage oder ihn durch Meuchelmord aus dem Wege schaf-
fen 1). Und dies wäre vielleicht geschehen, wenn nicht ein Kle-
riker, der das Mordkomplott gegen Nikephoros witterte, ihn ge-
warnt hätte. Inzwischen wurde die Hetze gegen den Patriarchen
mit allen Mitteln fortgesetzt. Man bestrafte sogar solche Leute,
die ihm noch öffentlich den Titel "Patriarch" oder "Bischof"
beilegten, obgleich er offiziell dieses Amt noch immer innehatte.

1) A.a.O., c. XI, 66.


76 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

Unter diesen Umständen schrieb er einen Brief an den Kaiser


und wies darauf hin wie er gestritten und gelitten hatte für die
Sache der Orthodoxie, wie die Lage jetzt so war dass Komplotte
gegen sein Leben geschmiedet wurden und appellierte leiden-
schaftlich an das Gewissen des Fürsten. Der Brief entlockte dem
Kaiser nur ein sardonisches Lächeln, womit er seine innere Er-
bitterung zu verbergen suchte 1). Jetzt folgten gewaltsamere
Massnahmen. Die Vita Leonis Armenii erzählt 2) wie Leo erst
eine Truppe Soldaten schickte mit dem Auftrag beim Patri-
archenpalast einen Krawall zu verursachen. Der Patrikios Tho-
mas, der die Verantwortung trug für die Sicherheit des Patri-
archen, liess sie auseinanderjagen da er nicht wusste was dahin-
ter steckte, und rapportierte dem Kaiser den Zwischenfall. Leo
leugnete etwas hiervon zu wissen doch fügte hinzu, er könne sich
sehr wohl denken dass das Volk überhaupt zu so etwas komme.
Hierauf hätte Thomas insinuiert, es koste doch sehr wenig Mühe
den lästigen Menschen, der durch seine blosse Anwesenheit so-
viel Unruhe verursacht hatte, wegführen zu lassen. Der Kaiser
ging darauf ein und befahl Nikephoros um Mitternacht in einer
Sänfte wegzuführen. Es scheint dem Patriarchen möglich ge-
wesen zu sein zum letzten Male die Sophienkirche zu betreten;
wenigstens sein Biograph schildert in besonders rhetorischer
Manier den herzergreifenden Abschied, den er nahm von seiner
geliebten Kirche S). Auf der ocyopot 't'ou M1jALOU blieben die Träger
einige Zeit stehen: offenbar war es die Absicht auf diesen unge-
wohnten Aufzug die Aufmerksamkeit der an diesem Platze oft
bis tief in der Nacht weilenden Soldaten fallen zu lassen, damit
diese möglicherweise Nikephoros ermorden könnten. Der Kaiser
hätte dann keine direkte Schuld an seinem Tode und könnte es
sogar so vorkommen lassen dass er Massnahmen genommen
hatte den Patriarchen noch effektiver zu schützen. Da der Platz
fast verlassen war gelang der Vorsatz nicht und man trug ihn
weiter nach dem Meeresufer. Von dort wurde er nach dem an-
deren Ufer des Bosporus verschifft, zuerst zu einem von ihm
selbst gestifteten Kloster, vielleicht dasselbe, von dem im An-
fang der Vita Nicephori die Rede ist 4). Die Sorge für weitere
1) A.a.O., c. XI, 69.
') Vita Leonis Arm., l\IPG 108, c. 1033 sqq.
") Ign., Vita Nie., c. XI, 69-71.
') A.a.O., c. XI, 72.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 77

überwachung und Transport des Kirchenmannes wurde einem


Bardas, einem Neffen des Kaisers, zugetraut. Ignatios erzählt
wie grob dieser Mann den Patriarchen behandelte, wie Nikepho-
ros, momentan vom prophetischen Geiste ergriffen, sprach: "Lie-
ber Bardas, lerne aus dem Unglück anderer mit deinem eigenen
ins Reine zu kommen" und wie dieses Unglück sich natürlich
auch ereignete 1). Von diesem Bardas und seiner Krankheit
liest man eine sehr legendenhafte Geschichte in der Vita St.
Theodori 2). Der Patriarch wurde in einem anscheinend auch
von ihm gestifteten Kloster interniert; in Vergleich mit dem
bitteren Lose vieler anderer Konfessoren muss das seinige ver-
hältnismässig leicht gewesen sein 3).
Leo liess auf einem "Silentium" (eine Versammlung geist-
licher und weltlicher Würdenträger) es so vorkommen alsob
Nikephoros aus eigener Bewegung feige den Flucht ergriffen
hätte. Er schlug als Kandidaten für die patriarchale Würde
J ohannes Grammatikos, der ihm solche guten Dienste geleistet
hatte, vor. Dieser aber war den anderen unerwünscht, weil er
noch sehr jung und ausserdem von niederster Abkunft war;
zwei Umstände, die machten dass die ihm unterstellten Bischöfe
ihm vielleicht wenig Achtung entgegenbringen könnten. In der
erledigten Stelle wurde nun ernannt ein gewisser Theodotos,
nach einem Parfüm, in dem er vernarrt war "Kassitera" zuge-
nannt. Er hatte den Rang eines kaiserlichen Adjudanten (Spa-
tharokandidatos) und war auf theologischem und kirchlichem
Gebiete nahezu Analphabete. Hinsichtlich seiner rhetorischen
Veranlagung nennen die, allerdings nicht gerade unparteiischen,
Mönchschroniken ihn 't'cuv t:x..I}ucuv &.cpcuVYJ't'e:pov (er sprach nur
Dialekt.). Er hatte nichts für sich als seine Beliebtheit beim
Volke, die einer gewissen Gutmütigkeit, vielen "Lebemännern"
eigen, entspross 4). Unter dessen Leitung kam, auf kaiserlichem
Befehl, das Konziliabulum von 815 zusammen, das die Beschlüs-
se von 754 erneut bestätigte. Ignatios spricht von dieser Kirchen-
versammlung ziemlich ausführlich 6): leider steht die Klarheit
1) Ebenda.
") MPG 99, c. 203-206.
") Vita L. Arm., MPG 108, c. 1033 lässt es vorkommen alsob er in Chrysopolis
(Scutari) verblieb. Der von uns hier gefolgte Bericht des Ign. (c. XI, 72) ist wohl
wahrscheinlicher.
') Ign., Vita Nie., c. XII, 73 und Vita L. Arm., c. 1036.
i) Vita Nie., c. XII, 74 sqq.
78 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

seiner Darstellung in umgekehrtem Verhältnis zu der Weit-


schweifigkeit. Dem Pseudokonzile fehlte jede Autorität, sagt er.
denn kein legitimer Patriarch war anwesend oder doch nur ver-
treten. Bei der ersten Tagung wurden die Beschlüsse des kopro-
nymischen Konzils bestätigt, während die weiteren Tagungen
dem "Darlegen ihrer eigenen Lügen" dienten. Die "Patres" ver-
suchten einige orthodoxen Bischöfe, nachdem sie diese miss-
handelt und beleidigt hatten, soweit zu bringen dass sie der
Irrlehre beitraten. Nach ihrem mutigen Antwort wurden die
Unglückligen noch schwerer malträtiert, getreten und schliess-
lieh vom Kaiser in Gefangenschaft gehalten. Diesem Greuel
folgte eine von einem wohlberedten Ketzer abgehaltene Lob-
rede auf den Kaiser und die üblichen Anathemas. Man fasste
einen opoc; ab und bat den Kaiser diesen zu unterschreiben.
Jener wollte jedoch, wie sein Namensvetter der " Isaurier" , sich
ßIXOÜ\EUC; XIX~ tEPeuC; zeigen und in eigener Person die Schluss-
sitzung beiwohnen. Die Vita Nicephori lässt es so vorkommen
alsob diese Kundgebung eines in Byzanz nichts weniger als un-
gewöhnlichen Cäsaropapismus stattfand nach der offiziellen
Schliessung des Konziliabulums und man mit der kaiserlichen
Anwesendheit nicht gerechnet hatte; einleuchtend kann man
diese Vorstellung aber schwerlich nennen. Als Sinnbild der
überragenden Autorität des Kaisers, auch in Glaubenssachen,
stand der Thron des Kaisers hoch über den anderen Sesseln
auf einer Art Gerüst. Der opoc; wurde verlesen und von allen,
auch vom Kaiser, unterschrieben. Hierauf wiederum die
üblichen Lobspenden an den Kaiser und die ebenfalls üblichen
Anathemas. Derselbe Kleriker, der bereits früher als Festredner
aufgetreten war, entzündete sein rhetorisches Feuerwerk aufs
neue und so war das Konzil beendet. (Mit diesem Kleriker ge-
schah noch ein Mirakel, weiss Ignatios zu erzählen: die gött-
liche Rache habe ihm nämlich die von ihm so schlimm miss-
brauchte Stimme völlig abgenommen. Nur wenn man ihm ein
Psalmwort vorlegte konnte er das aussprechen; ein Gespräch zu
führen war er nicht imstande).
In dieser Zeit entfaltete Nikephoros grösste Tätigkeit als
Autor antiikonoklastischer Schriften. Die Ermordung Leos des
Armeniers und die Thronbesteigung des Generals Michael Balbus
entfachte wieder die Hoffnung der Orthodoxen, nicht am we-
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 79

nigsten die des Nikephoros. Als der Patriarch jedoch vernahm


dass zwar keiner seiner ikonophilen Gesinnung wegen verfolgt
wurde, der neue Kaiser aber ein überzeugter Ikonoklast, sei es
denn ein besonders toleranter Ikonoklast, war, wendete er sich
brieflich an ihn. Er rief dem Kaiser ins Gedächtnis zurück wie
Gott ihn aus den Ketten zum Throne geführt hatte und wies
auf das grauenhafte Ende des in der von ihm selbst geschän-
deten Kirche abgeschlachteten Armeniers hin. Weiter erörterte
er die orthodoxe Auffassung der Bilder und tat zugleich dar
dass diese keine Neuerung sei. Michael, so ungebildet er war,
sagt Ignatios, musste die zwingende Kraft dieser Beweisführung
wohl bewundern. Doch sagte er in seinem Antwortschreiben dass er
die Entscheidung ob die Ikonoklasten oder ihre Gegner recht hät-
ten dem Urteil Gottes überlassen wolle. Den Status quo zu währen
plane er und er wünsche dass beide Synoden, die von 754 und 787,
gleich gründlich aus der Erinnerung verschwunden wären. Na-
türlich verblieb der ikonoklastische Gegenpatriarch in seinem
Amte. Unter diesen Umständen hatte es wenig Sinn für Nike-
phoros in die Hauptstadt zurückzukehren, obwohl dieses an sich
ihm nicht unmöglich war. So verbrachte er noch einige Jahren
in klösterlicher Ruhe und Absonderung 1).
Acht Jahre und elf Monate nachdem er die patriarchale Wür-
de verloren hatte traf ihm die Krankheit, die ihm den Tod brin-
gen sollte, welchen er übrigens mit Freuden harrte. Die Tage an
denen seine Krankheit ein wenig abnahm fuhr er fort Ratschläge
und anregende Worte denjenigen, die ihm besuchten, mitzu-
geben; ganz besonders warnte er sie vor der Ketzerei. Mit dem
Psalmwort auf den Lippen: "Gesegnet sei der Herr der uns zum
Frass ihrer Zähne nicht übergeben hat doch hat uns befreit und
das Netz zerrissen", verstarb er 2). In welchem Alter ist nicht
genau zu entscheiden da sein Geburtsjahr von keiner der wenigen
Quellen auch nur annähernd genannt wird. Die Chronologie sei-
nes Lebens können wir also nur ungefähr schätzen. Wenn man
bedenkt dass er nicht lange nach 780 das hochwichtige Amt eines
Asekretis bekleidete, das man wohl nicht einem unerfahrenen
Knaben zutrauen würde, dass er in 806 Patriarch wurde und vor
dieser Würde wenn nicht gar ein "patriarchalisches", so doch
'} A.a.O., c. XIII.
'} A.a.O., c. XIV, 89.
80 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

wenigstens ein mittleres Alter einigermassen erförderlich war


(vergl. der Fall Johannes Grammatikos) so neigt man dazu sein
Geburtsjahr nicht viel später als 750 zu stellen.
Nikephoros wurde anfänglich an der Stätte seiner Verbannung
begraben. Später, nach der Wiederherstellung der Bilder wurde
sein Leichnam nach Konstantinopel herübergeschifft und dort
mit grösster Pracht und Ehrerbietung begraben 1).
Nach dieser Beschreibung des Lebens unseres Patriarches
müssen wir zu einer Besprechung seiner schriftstellerischen
Tätigkeit übergehen. Nikephoros hat sehr viel geschrieben;
schon die nach der Erstausgabe Mais in MPG abgedruckten
Werke füllen fast einen ganzen Band dieser Riesensammlung und
doch ist das kaum mehr als die Hälfte der uns überlieferten
Schriften.
In chronologischer Hinsicht können wir es nicht weiter brin-
gen als zu Vermutungen. Die zwei einzigen nichttheologischen
Schriften, nämlich das Breviarium und die Chronographie 2), darf
man wohl in die Epoche, da unser Heiliger noch das Amt eines
Asekretis innehatte, versetzen, denn in der späteren Zeit ist eine
Beschäftigung mit derartigen Sachen recht unwahrscheinlich.
Das Breviarium ist eine typische Chronik in der Weise der
Chronographie des Theophanes und eine der besten Arbeiten
dieser Gattung: die Darstellung ist fliessend und kraftvoll ohne
die Gespreiztheit die uns das Lesen byzantinischer Schrift-
steller so oft verleidet. Die Gräzität steht dem klassischen
Griechischen näher als die der meisten ähnlichen Chroniken, wie
die des in dieser Hinsicht etwas berüchtigten Malalas oder des
ebenfalls von Wörtern aus der Volkssprache überquellenden
Theophanes. Wenn wir denken an die entsetzliche Manieriert-
heit derjenigen byzantinischen Schriftsteller, die sich höhere his-
torischen Ziele setzten und wirklich Geschichtschreiber sein woll-
ten 3), so darf man diese Schmucklosigkeit gewiss als einen Vorzug
betrachten. Die Nachteile der chronistischen Literatur aber fin-
den wir auch bei unserem Autor: die hervorragendsten sowie die
geringfügigsten Ereignisse werden in ganz gleicher Weise er-
zählt und es wird nur zu oft dem Leser überlassen aus dem Be-

1) Oral. de Exsilio SI. Nie. el Translatione reliquiarum, MPG 100, c. 159 sqq.
') MPG 100, c. 875 sqq.
3) Z.B. ein Theophylaktos Simokattes.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 81

richt von den Tatsachen sich eine Vorstellung von ihrer Ver-
knüpfung zu machen. Nach Krumbacher 1) haben Nikephoros
und Theophanes, ohne gegenseitige Abhängigkeit, einer älteren,
uns unbekannten Quelle vieles entnommen. In seiner Schilde-
rung der Bilderstreitigkeiten und seiner Beurteilung der ikono-
klastischen Kaiser ist Nikephoros gemässigter als Theophanes,
was uns leicht befremden kann wenn wir denken an die masslosen
Invektiven die uns in den Streitschriften bis zum überdruss im-
merfort begegnen. So ist es auch merkwürdig dass er in dem
Geschichtswerk den Kaiser Herac1ius, der doch die monothele-
tischen und monergistischen Streitigkeiten entfesselt hat, beson-
ders preist und diese Kämpfe nur beiläufig nennt anlässlich des 6.
oek. Konzils. Das Breviarium scheint inzwischen nicht ausseror-
dentlich beliebt gewesen zu sein. Es ist uns nur in zwei MSS er-
halten und von den späteren ist Georgios Monachos der einzige,
der Kenntnisse des Werkes verrät. Sehr bekannt wurde dagegen
das nur aus chronologischen Tabellen bestehende Werk, das in der
übersetzung des päpstlichen Biliothekars Anastasius auch im
Westen seinen Weg fand 2).
Von dem Schreiben des Patriarchen an Papst Leo III sprachen
wir bereits. Die Datierung von einigen der polemischen Schriften,
denen wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden, ist zwar nicht
genau aber doch annähernd möglich. Zuerst nennen wir der sehr
knappe, inhaltlich ziemlich unbedeutende Apologeticus Minor 3).
Dieser ermöglicht eine nicht allzu ungenaue Zeitberechnung.
Nikephoros sagt nämlich dort dass die Kanones des im Jahre 691
abgehaltenen Trullanums schon mehr als 220 Jahre in Ehre
seien und so leuchtet ein dass die Schrift nicht lange nach 810
verfasst sein kann. Der ziemlich massvolle Ton macht es wahr-
scheinlich dass die Schrift der Anfangszeit der ikonoklastischen
Wirren unter Leo IV entstammt. Die Synode von 81S wird nicht
erwähnt. Als Abfassungszeit können wir also das Jahr 814,
spätestens 81S, annehmen. Der grosse Apologeticus Major 4) ist
später als der Minor geschrieben denn die Synode von 81S wird
hier manchmal genennt. Dass es wirklich um diese sich handelt

1) A.a.O., S. 50.
') De Boor, Niceph., Op. Hist., p. 218 sqq.
3) MPG 100, c. 833-850.
') A.a.O., c. 533-850.
:-Jikephoros 6
82 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

und nicht um irgendeine cruvoaoc; EVa1j(J.OUO'Cl wird ersichtlich aus


Kap. 7, wo auf diesen "Sanhedrin des Kaiphas" das Psalmwort
"die Fürsten der Völker haben sich versammelt gegen den Herrn
und gegen seinen Gesalbten" (Ps. 2) bezogen wird, ein Zitat das
auf eine durchaus wichtige Begebenheit hindeutet. Kap. 25 sagt
dass seit dem 7. oek. Konzil nahezu 30 Jahre verflossen sind.
Dementsprechend können wir diese Schrift als etwa im Jahre
817 geschrieben betrachten. Der Inhalt ist überaus reich und
vielseitig, obwohl die von Tautologien strotzende Breite der
Darstellung ermüdend wirkt. Auch die Einteilung ist im Grossen
und Ganzen nicht ungeschickt, wenn auch die Eigentümlichkeit
unseres Patriarchen den Gang der Beweisführung hin und wieder
zu durchbrechen um die Entrüstung seines Herzens in wahren
Schimpfbombardements Luft zu machen, den gedanklichen Bau
lockerer erscheinen lasst als jener wirklich ist. Eine Besonderheit
dieses Werkes ist die Weise worin der Verfasser hier den Schrift-
beweis betreibt. In seinen sonstigen Abhandlungen sind Schrift-
worte sehr häufig; hier aber wird förmlich die ganze Bibel aus-
geschlachtet.
Die besten und schlagkräftigsten der nikephorischen Streit-
schriften sind die drei Antirhetici 1). Die zwei ersten sind eine
Widerlegung eines von Konstantin Kopronymos (von ihm stets
"Mammon" genannt) abgefassten Traktats und bilden zusam-
men eine Einheit. Der Kaiser, der Christus deshalb undarstellbar
nennt weil der Leib des Heilands o.m:pLypCl7t't'OC; gewesen sei,
wird in zwingender Weise der christologischen Ketzerei über-
führt. Aus dem Anfangssatz des ersten Antirheticus erhellt dass
diese Stücke sich der grossen Apologie anschliessen und wohl
unmittelbar nach jener geschrieben sein werden. Diese zwei
Abhandlungen bezeichnen den Gipfel des polemischen Können
unseres Patriarchen. Sie sind sachlich, scharfsinnig, meist ohne
allzugrosse Spitzfindigkeit, und verhältnismässig frei von leerem
Geschimpfe. Der Satzbau ist klarer, straffer und einfacher als in
den anderen theologischen Werken. Der Inhalt des dritten An-
tirheticus bietet keinerlei Andeutung die uns über die Entste-
hungszeit belehren könnte; der ganze Charakter aber stimmt
mit dem der beiden vorhergehenden Antirhetici überein und so
wird er den beiden anderen zeitlich wohl nahestehen.
') A.a.O., c. 206-533.
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 83

Die Abfassungszeit einer unedierten pariser HS 1) fällt jeden-


falls in der Periode nach 815 und die hochgradige Erbitterung,
die den Patriarchen zu den gehässigsten Ausdrücken treibt, legt
die Vermutung nahe dass die hier so derb gescholtene Kirchen-
versammlung dieses Jahres noch nicht lange Zeit der Vergangen-
heit angehörte. Von der Sachlichkeit die die Widerlegung der
kopronymischen Schrift auszeichnet ist hier nichts zu spüren.
Das erste Teil der Abhandlung bringt eine Widerlegung des von
der Synode aufgestellten opo<;; im zweiten werden die X.PllGEL<;, die
Väterstellen deren die Ikonoklasten sich dort bedient hatten un-
tersucht und widerlegt. Das interessanteste Stück dieser Wider-
legung ist das von den Epiphanius zugeschriebenen Zitaten han-
delnde; nicht ohne Geschick sucht Nikephoros die Unechtheit
dieser Zeugnisse zu erweisen 2). Diesen angeblichen Aussprüche
des Epiphanius hat der Patriarch noch eine Sonderschrift ge-
widmet 3). Beim Schreiben dieser scheint er den Kodex selbst zu
Rate gezogen zu haben. Es ist naturgemäss dass "Adversus
Epiphanidem" nach der grossen Streitschrift geschrieben ist.
Durch den Gebrauch den die Synode von diesen pseudoepipha-
nischen Schriften machte ist Nikephoros wohl veranlasst sich
seinerseits die Sache einmal genauer anzusehen. Theologisch ist
das Stück nicht wichtig.
Ahnlich haben wir uns wohl das Entstehen der Schrift gegen
Euseb zu denken. Die Synode hatte auch den Brief des Eusebi-
os von Cäsaräa an die Kaiserin Konstantia angeführt 4) (Vergl.
S. 15) und dies war für Nikephoros Anlass die Schalen seines
Zornes über das ketzerische Haupt des "Arianers" Euseb aus-
zuschütten. Die Schrift gegen Euseb brachte darauf eine einge-
hendere Widerlegung 5).
Von einigen kleineren und auch wenig wichtigen Arbeiten ist

1) Von dieser "Apologia fidei orthodoxae", wie sie in der pariser Katalog genannt
wird, sind nur zwei MSS bekannt, beide in der BibI. Nat. in Paris. Die älteste und
beste HS (Cod. Coisly 93) entstammt dem XI., die andere (Cod. Par 1250) dem XII.
Jhrh. In beiden fehlen einige Blätter; zusammen aber geben sie das vollständige
Werk. Ich war nicht in der Lage die HSS einzusehen, doch habe ich durch die Freund-
lichkeit der BibI. N at. eine photographische Reproduktion der ganzen Schrift er-
halten.
Ich werde sie weiterhin als "P" zitieren. Die "fol." sind die foI. des Cod. Coisly.
") P., fol. 124 ff.
a) J. B. Pitra, Spieilegium Solesmense, Tom. IV, Paris 1858, p. 292 sqq.
C) P. fol. 134.
5) Pitra, Spie. Sol., T. I, p. 371 sqq.
84 LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS

eine genaue Datierung vollends ausgeschlossen. Als erstes dieser


Werke nennen wir die hübsche kleine Schrift "De Magnete" 1),
die uns einen hohen Gedanken gibt von dem Scharfsinn des
Autors. Ein Ikonoklast hatte dem Patriarchen Auszüge aus
einer Schrift eines gewissen Macarius geschickt, die bilderfeind-
lich sein sollten. Nikephoros staunt darüber dass der Mann ihm
nur Auszüge statt des ganzen Kodex gesandt hat und sucht das
Problem zu klären, was ihm gut gelingt. Es handelt sich um eine
Abhandlung eines gewissen Macarius aus Magnesia (daher den
Namen) die sich gegen einen heidnischen Philosophen wendet
und daher, wenn sie von Bildern spricht, nur die heidnischen Göt-
zen meint. Obwohl theologisch geradezu bedeutungslos ist "De
Magnete" lehrreich für die Art in der die literarische Kontro-
verse damals geführt wurde.
Eine andere kleine Schrift 2) behandelt nach einer weitschwei-
figen und gebauschten Einleitung ein ausführliches Chrysosto-
moszitat das von der Eitelkeit der Kunst spricht. Es wird nach-
gewiesen dass dies nur von der weltlichen Kunst gilt. Weiter
wird noch ein Wort des Methodios widerlegt. Vielleicht stammt
diese Arbeit aus der Zeit da Nikephoros die patriarchale Würde
noch innehatte; wenigstens ein Satz aus dem Proömium deutet
darauf hin 3).
Weiter gibt es noch eine stattliche Anzahl kirchlicher Kano-
nes, die von den MSS Nikephoros zugeschrieben werden, in-
zwischen kaum alle von ihm herrühren 4).
Wenn wir einen Charakteristik von Nikephoros als Schrift-
steller zu geben versuchen wollen, so können wir sagen: es hat
grössere gegeben als er. Seine Fehler sind leicht nachweisbar,
obwohl sie nicht in allen Werken gleich stark hervortreten: die
schwülstige Breite des Stils, die endlosen Wiederholungen des-
selben Gedankens in immer neuen Wörtern und mitunter eine
aufgedonnerte Rhetorik. Und wenn der Schriftsteller Van Deys-
seI, der kunstgerechtes Schimpfen den Gipfel der Literatur

1) A.a.O., p. 302 ff. Über Macarius VOll Magnesia vergl. Koch, a.a.O., 29, wo sich
auch die einschlägige Literatur findet.
") Pitra, Spie. Sol., T. I, p. 233 sqq.
S) A.a.O., p.234, wo der Patriarch von seinem "Wartturm" spricht.
') Pitra, Spie. Sol., T. IV, p.381 sqq. und MPG 100, c. 851.
i) Unter seinen Werken finden sich auch Sammlungen von VätersteIlen (MPG
100, 812 sqq und Pitra, Spie. Sol., T. I, p. 336 sqq.).
LEBEN UND WERKE DES NIKEPHOROS 85

nennt, Recht hätte, so wäre Nikephoros gewiss einer der grössten


Künstler aller Zeiten, denn die Heftigkeit der Polemik war in
der Bilderstreit bei allen zwar gross, doch eine Vehemenz des
Ausdrucks, wie er sie zuweilen aufbringt, steht einzigartig da.
Wir dürfen darüber jedoch die Vorzüge dieser Werke nicht ver-
gessen. In den besten Stücken trefft uns eine haarscharfe Dialek-
tik und eine erstaunliche Vielseitigkeit der Gesichtspunkte.
Unter den Verteidigern der Bilder hat ihn an Schärfe des Den-
kens nur Theodorus Studita übertroffen, an Vielseitigkeit keiner.
Seine Kenntnis der Heiligen Schrift ist wunderbar, wenn sie
auch oft, wie in der grossen Apologie, dem Leser mehr Staunen
als Freude bereiten mag. Ebenso bewandert ist er in den Kirchen-
vätern, die er mit der grössten Leichtigkeit, leider oft recht un-
genau, zitiert. Theologisch war natürlich nicht alles was er
schrieb gleich wichtig, namentlich nicht die breite Besprechung
von allerlei Stellen, die man Patres, denen diese ganze Proble-
matik der Bilder noch fremd war, entlehnt hatte. Wenn wir im
nächsten Kapittel versuchen werden eine Skizze der nikephori-
schen Theologie zu geben, werden wir denn auch hauptsächlich
die vier Hauptschrifte (die Apol. Major und die drei Antirhetici)
berücksichtigen. Doch ist in seinen besten Momenten Nikephoros
einer der vorzüglichsten Theologen der späteren byzantinischen
Zeit. Schliesslich dürfen wir um die uns fremd anmutende Rhe-
torik richtig zu beurteilen nicht vergessen dass dort wo wir nur
leeres Wortgetöse und hohlen Klingklang heraushören, die Zeit-
genossen die Musikalität des äusserst gepflegten Prosarhytmus
genossen haben.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

A. NIKEPHOROS ÜBER DIE KIRCHE

Es ist eine merkwürdige Tatsache dass die griechisch-ortho-


doxe Theologie zu allen Zeiten dem Begriff der Kirche als solcher
wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, merkwürdig zumal weil
die Theologen selbst fast ausnahmslos eminent-kirchliche Män-
ner waren. Das grosse Werk des Johannes Damascenus z.B., das
man die griechisch-orthodoxe "Normaldogmatik" und die
abschliessende Zusammenfassung von nahezu 7 Jahrhunderten
theologischen Denkens nennen kann, hat bei aller Systematik
des Aufbaus keinen "locus de ecclesia" 1). Natürlich könnte man
das pseudodionysische 1ttpL €XxAljO'LIXO''t'LXljt; ttPIXPX,LIXt; 2) eine
ecclesiologische Abhandlung nennen, allein dies ist dann wohl
Ecclesiologie einer ganz eigentümlichen Art. Man möchte sogar
den etwas abenteuerlich klingenden Ausspruch wagen dass es
sich in jener Schrift gar nicht um die irdische Kirche als Ganzes
handle sondern um die einzelnen kirchlichen Handlungen, Äm-
ter und Amtsträger, die alle ihre Bedeutungsfülle nur von ihrem
Symbolsein von und zugleich Hinweisen auf eine Welt höheren
Wesenheiten her bekommen. Alle diese Symbole bilden natür-
lich zusammen auch eine Einheit, aber die Einheit qua talis ist
nicht Gegenstand der Betrachtung. In etwas anderer Weise als
das Sprichwort es meint könnte man hier sagen: durch die
Baüme werde der Wald nicht gesehen. Oder, paradox ausge-
druckt, die Totalität der Baüme ist mit dem Walde nicht iden-
tisch, der Wald ist ein "Etwas" höherer Ordnung. Die Einheit
von allem bei der Hierarchia ecc1esiastica in Betracht kommen-
den beruht auf dem "Abspiegelung sein" des XOO'(.LOt; VOlj't'Ot;,
während jene intelligibeie Welt ihrerseits, mittels Emanation,
letzlieh dem einen, dem über alles, selbst über das "Sein", erho-
benen Urprinzip ihr Sein verdankt.
1) Joh. Dam., De lide orlhodoxa, ed. Lequien, I (MPG 94).
I) MPG 3.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 87

Lehrreich ist in dieser Hinsicht auch die kleine Schrift des


Dionissios 1), eine Arbeit, die, gerade weil der Autor kein origi-
neller Geist oder tiefer Denker ist, vielleicht mehr geeignet sein
kann das wahre Wesen der Ostkirche zu zeigen als Aussprüche
berühmterer Schriftsteller, die persönliche Einsichte darstellen
und bei aller, oft rabiden, Slavophilie doch alle stark vom Wes-
ten her beeinflusst sind. Dieses Büchlein fängt an verhältnis-
mässig breit von den göttlichen Mysterien, d.h. Liturgie und
Sakranlent, zu sprechen und handelt von der Ecclesiologie erst
im vierten Kap., wobei es übrigens mit dieser nicht weit her ist.
Die Kirche ist nach griechischer Auffassung communio sancto-
rum nicht sosehr im Sinne einer communio der sancti, als viel-
mehr einer communio der sancta. Der Ausspruch Harnacks 2)
dass die Kirche im Osten kein dogmatischer Begriff sei, ist sehr
eintreffend.
Kein Wunder dass hauptsächlich in homiletischen und
katechetischen Zusammenhängen von ihr die Rede ist und man
auch dann mehr eine Art platonische Idee der Kirche zu meinen
scheint als ihre sinnenfällige Erscheinungsform. Die für die
Westkirche so quälende Frage nach der Kirche als "corpus
verum" und "corpus permixtum" spielt hier kaum eine Rolle.
Noch begreiflicher wird dieses wenn man bedenkt wie das Wes-
ten u.a. das donatistische und das novatianische Schisma ge-
kannt hat, Spaltungen die alle gewisse Aspekte dieses Problem-
kreises in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit rückten. Es ist
freilich ebenso verführerisch als zwecklos in dieser Hinsicht die
Frage nach der Priorität aufzuwerfen: ob man zur Frage nach
dem wirklich oder scheinbar an Christi Körper teilhaben kam
durch die genannten kirchlichen Wirrungen, oder jene vielmehr
mit dadurch entstanden dass man im Schematismus "wahre
Kirche-Scheinkirche" dachte.
Bei dieser griechisch-platonischen Anschauung von der
Kirche kann man recht wohl Missbraüche auf kirchlichem Ge-
biete sehen und als gefährlich kennzeichnen, doch von Fehlern,
die die Kirche selbst begangen hätte, kann nie die Rede sein.
Wenn es in der Kirche unerwünschte Dinge und Verhältnisse

1) Russisch ch,istentlom, Amsterdam 1937.


') Harnack, Dogmengeseh., 11, S. 111.
88 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

gibt, so ist das die Folge der naturgemäss mangelhaften Weise


in der die wesentlich einer anderen Seinssphäre, dem XOG!Lot:;
vOlJ't'ot:;, angehörige Kirche sich in der niederen empirischen
Wirklichkeit realisiert. Auch die Auffassung des Heiles haupt-
sächlich als Vergöttlichung, die, wenn sie schon nicht so alles-
beherrschend gewesen sein mag als die Darstellung Harnacks
es durchwegs scheinen lässt 1), doch gewiss in der Ostkirche von
höchster Bedeutung war und ist, regt nicht an zum Durchdenken
des Begriffs der Kirche als irdische Realität.
Erwägt man dies alles, so kann es nicht befremden dass der
griechisch-orthodoxe Kirchenbegriff überhaupt nicht dynami-
scher Natur ist; eine Anschauung wie die des augustinischen
"Gottesstaates" könnte in diesem gedanklichen Klima nicht zur
Entfaltung kommen. Auch in der Praxis hat die Ostkirche fast
nie einen militanten Geist gezeigt (ausser wenn es den Ketze-
reien galt). Nicht Weltüberwindung sondern Weltflucht war das
Ideal. So haben wir versucht mit wenigen Linien eine flüchtige
Skizze der "östlichen" Gedanken von der Kirche zu geben.
Wenn wir nun die ecclesiologischen Betrachtungen des Nike-
phoros mit diesem Durchschnitt vergleichen so fällt es sofort in
die Augen dass diese Gedanken bei ihm eine beträchtliche Rolle
spielen, weit mehr als es durchschnittlich in dogmatisch-pole-
mischen Schriften der griechischen Patres der Fall zu sein
pflegt. Auch in den anderen Streitschriften gegen die Ikonoklas-
ten ist von der Kirche weniger die Rede.
Die Betrachtungen unseres Autors bleiben einerseits inner-
halb der charakteristisch-griechischen Linie (die Kirche gesehen
als eine platonische Idee), andererseits bekommt aber die Heils-
geschichte, die Auffassung der Offenbarung als ein Geschehen,
ein Ereignis, das bereits mit der Auserwählung des Volkes Israel
in die geschichtliche Sphäre eintrat, einen grossen Nachdruck.
Ohne die Grundlage der östlichen Orthodoxie zu verlassen
bringt die Ecclesiologie von Nikephoros soviel Dynamik als diese
Grundlage zulässt. Die Umstände begünstigten dieses Verfahren
da der Kampf gegen den Ikonoklasmus besonders geeignet war
den Aspekt: "ecclesia militans" in den Vordergrund zu rücken,
und ausserdem die hervorragende Rolle, welche die kirchliche

1) A.a.O., passim.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 89

überlieferung in der ikonoklastischen Kontroverse spielte, ein


Operieren mit dem Kirchenbegriff nahe legte. Doch ist diese
ecc1esiologische Stellungnahme eine Eigentümlichkeit unseres
Patriarchen; Johannes Damascenus z.B. berührt diese Gedanken
kaum: er spricht zwar von der "alten Schlange, die schrecklich
neidisch wurde als sie die blühende Lage der Kirche Gottes
erblickte" 1), doch ist etwas dergleiches in seiner Gesammtbe-
weisführung kaum mehr als eine rhetorische Wendung. Dasselbe
gilt von Theodorus Studita.
Wir wollen an der Hand der nikephorischen Schriften die von
uns genannten Hauptzüge erlaütern. Die "piece de resistance"
seiner Gedanken über die Kirche ist zu finden in dem grossen
Apologeticus Major, während auch in den drei Antirhetici und
den anderen Werken, sei es denn spärlichere, Aussprüche anzu-
treffen sind. Gleich im zweiten Kapittel dieser grossen Apologie
wird beschrieben wie die Kirche, das "Haus der Weisheit", ge-
baut ist aus heiligen und göttlichen Dogmen wie aus kostbaren
Steinen. Der Herr hat nichts ungetan gelassen was des Menschen
Heil fördern könnte. Zuerst kam das Gesetz als Pädagog und
erzog die kindlichen Gemüter durch "Elementarunterricht";
nachdem aber das Gesetz geschenkt war gaben die "gotter-
füllten Profeten" sehr viele Anweisungen und Mahnungen, je
nachdem der Geist ihnen offenbarte. Als jedoch klar wurde dass
die Menschen das Gesetz nicht halten konnten, kam Christus, der
Inbegriff des Gesetzes und der Propheten und erfüllte sein
Heilswerk. Alles was uns vonnöten sein könnte ist uns nun of-
fenbart, deshalb sind auch alle eitlen Streitfragen überflüssig.
Weiter, im Kap. 7, ist vorübergehend von der kirchlichen
Autorität, namentlich der Beschlüsse des 7. Konzils, die Rede.
Indem die Ketzer, so wird erörtert, den wahren Glauben preis-
gegeben haben, haben sie sich von der wahren Kirche geschieden.
Sie zeigen dieses deutlich durch ihre Verwerfung der Beschlüsse
des gottgeleiteten zweiten Nicaener Konzils. Mit Recht hat
diese Kirchenversammlung die Bilderfeinde der Priesterwürde
verlustig erklärt; ist doch der Sakramentsvollzug von den Iko-
noklasten bloss eine blasphemische Komödie. Der "character in-
delebilis" des Priesteramtes ist also nicht ohne weiteres unbe-
schränkt. Fallen aus der Gemeinschaft des Glaubens heisst fallen
') Joh. Darn., De imaginibus 01'. 111, 1. (MPG 95).
90 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

aus der Gemeinschaft der Kirche und des Heiligen Geistes. Doch
scheint der Sinn nicht sosehr zu sein dass dieses Fallen aus dem
Glauben und aus dem Bekenntnis sozusagen automatisch ein
Zugrundegehen der Priesterwürde zu Folge hat (was leicht
"donatistisch" wäre). Andererseits findet sich in diesem Kapittel
ein Satz wie folgender: ". . .. sie mussten, da sie das Bekenntnis
verworfen hatten auch weiterhin der Salbung des H. Geistes
verlustig werden, denn es ist unmöglich dass solche, die den
Glauben auf den sie mit dem H. Geiste versiegelt sind, verleug-
nen, die aus der Salbung fliessenden Dinge noch wohl aus-
richten sollten". Ein raffinierter Ketzerjäger könnte hier viel-
leicht einen unsauberen Duft des Donatismus spüren. Wie es
hier gefasst steht tun ja die Kanones nichts weiteres als eine
Sachlage öffentlich proklamieren, die auch ohne solche Kund-
gebung schon da war. Doch soll man unserem Patriarchen nicht
um einen einzigen weniger geschickten Satz sofort den Ketzerhut
aufsetzen.
Mehr rhetorisch wirkungsvoll als theologisch aufschlussreich
sind die scharf rhytmierten Sätze, die in Kap. 9 über die Kirche
deklamiert werden. Die Kirche, so wird da gesagt, ist die keusche
Suzanna; die Ketzer die lüsternen babylonischen Alten. Christus
hat sich die Kirche ohne Makel vorgestellt, jene aber schämen
sich nicht sie der Abgötterei zu beschuldigen; allein der Geist
der damals in Daniel haüste wird auch sie niederwerfen.
Weiterhin tritt auch der Gedanke hervor, der es dem Autor
ermöglicht von einer Kirche ohne Makel zu sprechen, während
doch die Sünden der kirchlichen Würdenträger, auch der Ortho-
doxen, nur zu offenkündig sind: der Gedanke nämlich von einer
sehr radikalen Scheidung von Amt und Person. Als Exempel
führt er die Pharisäer und Schriftgelehrte an. Diese waren in
ethischer Hinsicht fast ebenso tief gesunken als die Ikonoklasten
und doch sagt Jesus: "Sie sitzen im Stuhle des Mose". Der
Unterschied ist aber gross, denn wenn sie auch selbst nicht
dementsprechend handelten so war es doch allenfalls das wirk-
liche mosaische Gesetz das sie lehrten. Also: wenn man nur täte
nach ihren Worten und nicht nach ihren Werken, so war es schon
gut: die Ketzer dagegen dienen nicht nur in ihrem Privatleben
die Lüge, sie verkündigen die Lüge und bekämpfen die Wahrheit
mit Wort und Tat.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 91

Wenn Nikephoros weiterhin (Kap. 14) spricht von dem heil-


losen Greuel des Schismas, das den nahtlosen Rock Christi zer-
reisst, sind es wiederum mehr die Entrüstung und das Pathos,
die uns treffen, als die Gedanken. U .m. wird die Spaltung des
israelitischen Reiches herangezogen: die Ikonoklastensynode
hat sich, wie ein anderes Samaria, von Jerusalern, von der
Kirche, geschieden.
Die Schuld der ersten Generation der Bilderstürmer war we-
niger gross als die ihrer Epigonen, hören wir in Kap. 24. Das 2.
Konzil von Nicaea hat die Sache entgültig entschieden. Diese
Kirchenversammlung genügte allen einem legitimen Konzil zu
stellenden Forderungen: es war nicht unter Zwange, orthodox,
oekumenisch, nicht von Schuld beschwert und ausserdem von
Altrom bestätigt. Der Patriarch kennt bei dieser Gelegenheit so
kräftig den Primat des Stuhles Petri an dass man staunt diese
Töne von einem neu-römischen Patriarchen zu vernehmen (man
merkt dass er in die Enge getrieben ist!). Er sagt mit dürren
Wörtern dass keine dogmatische Meinung, wie lange diese in der
Kirche gelebt haben mag, wesentlich dogmatische Rechtsgül-
tigkeit erlangt bevor der römische Stuhl sie ausdrücklich geneh-
migt hat, weil diesem das Prinzipat ("0 E~(XPxe;Lv) zukommt, das
letztlich von den beiden Hauptaposteln Petrus und Paulus
(Sie!) stammt. (Es ist interessant den Brief des Patriarchen an
Papst Leo IH. in den er mit Nachdruck die grundsätzliche
Gleichwertigkeit der bischöflichen Stühle Alt- und Neuroms
darlegt, zu vergleichen 1).
Der Aspekt "ecclesia militans" und zugleich die stark heils-
geschichtliche Auffassung tritt hauptsächlich hervor in dem-
jenigen Teil der grossen Apologie, der mit Kap. 35 anfängt. Die
Bibel, lesen wir dort, zeigt uns Gott als den Ewigen und als
Herrscher über alle Völker. Als diese Völker Ihn aber nicht als
Herr anerkannten hat Er Israel auserkoren. Da kam jedoch in
der Fülle der Zeiten die Kirche, gerufen aus Juden und Heiden.
Diese Kirche hat gesiegt, sagt Nikephoros, und er erläutert wei-
ter, mit einer Unzahl Bibelworte, nicht am wenigsten aus dem
Alten Testament, den Sieg und die Unbesiegbarkeit der Kirche.
In ihr ist die alttestamentliche Heilsprophetie erfüllt, darum

1) MPG 100, c. 181.


92 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

muss man diese Profetien nicht auf vergangene Ereignisse be-


ziehen und ebensowenig ihre Erfüllung erst in der Zukunft er-
warten. Sie sind hier und jetzt, in der Kirche, präsente Wirk-
lichkeit. So ist denn bei diesem Siegeszug der Kirche auch die
Abgötterei endgültig vernichtet (Kap. 38) und es ist eine gott-
lose Torheit, eine Verkennung der Königsmacht Christi, zu be-
haupten, wie die Ikonoklasten, dass die Kirche in den Götzen-
dienst zurückgefallen sei. Die Fortsetzung dieses Stückes stellt in
immer schärfer ausgeprägter Weise die Aussprüche über die
Kirche ins Licht der Königsherrschaft Christi. Der erhöhte Er-
löser regiert bereits jetzt in seiner Krondomäne, die Kirche. Er
hat die ewige Gottesstadt gebaut und sein Volk gerettet von der
Macht des Satan. In ihm, in ihm allein, ist die alttestamentliche
Heilandserwartung erfüllt. Schon in den ältesten Zeiten war er
die Hoffnung des Gottesvolkes. Das Neue Testament, so führt
Kap. 44 aus, spricht ebenfalls mit grösstem Nachdruck von dem
Königtum des Erlösers, was Nikephoros mit seinem bekannten
ermüdend-überreichlichen Schriftbeweis verdeutlicht. Nun be-
deutet die Voraussetzung der Ikonoklasten, dass die Kirche in die
Abgötterei zurückgefallen sei, eine Verleugnung dieser Herr-
schaft; wer aber diese Machtstellung des Heilands in seiner
Kirche anerkennt wird von ihm mit seinen Gaben belohnt. Er
heiligt seine Kirche und duldet in ihr keine Unreinigkeit, auch
keine Idololatrie; ist doch die Kirche die Braut des himmlischen
Braütigams! Wie könnte es dann sein dass sie, die sie aufs in-
nigste mit ihrem Herrn verbunden ist, sich Abgötterei zuschulden
kommen liesse? Wenn jene Sünde wirklich wieder sich in der
Kirche verbreitet hätte so wäre der Sieg Christi nur scheinbar
gewesen. Wir haben aber so etwas keineswegs zu befürchten:
der Drache aus dem Abgrund ist sehr gewiss gebunden und der
gute Hirte bewahrt seine Schäfe.
Der Gegensatz zwischen dem alten und dem soviel herrlicheren
neuen Bunde wird dann von Nikephoros erörtert. Erst geschieht
dieses an der Hand einer ausführlichen Exegese von Jer. 31-34
(der neue Bund den Gott schliessen wird). Die Tage, von denen
der Prophet dort spricht, sind die Tage der Jetztzeit, die letzten
Tage, und das "Haus Israel" bedeutet in diesem Zusammen-
hange nicht das natürliche sondern das geistliche Israel. Auch
der Hebräerbrief lehrt uns so die Schrift verstehen. Ausführlich
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 93

beschreibt der Patriarch dann die Wohltäte und die Überlegen-


heit des neuen Bundes. Diese Segnungen schenkt der Heiland,
mittels der "Taufe zur Schuldvergebung" . Auf seine Herrschaft
bezieht sich die Prophetie von Ezechiel XXXVII, 21 (die Zurück-
kehr Israels). Ein Wort wie dieses muss man nämlich geistlich
auslegen und nicht auf das fleischliche Israel beziehen. (Man
fragt sich wer solches noch tat, in einer Zeit wo der nüchternen
antiochener Exegetenschule bereits lange das Schweigen aufer-
legt war. Oder hatten die Ikonoklasten durch eine derartige
Auslegung sich der Stringenz des vom Patriarchen Vorgebrachten
zu entziehen versucht?) In einer schattenhaften Weise galten
diese Worte wirklich auch dem fleischlichen Israel, doch die
Wahrheit, die eigentliche Substanz jener, bezog sich auf das
"heilbringende Niedersteigen" Christi. In reichlichem Masse hat
dieser uns seiner qnAotv&pW1tLot Anteil gegeben; nach der Verheis-
sung an Abraham hat er uns versammelt und zu Kindern ge-
macht, uns losgekauft durch sein Kreuz und aus allen Ländern
uns aufziehen lassen zum Lande Israel, d.h. zur Kirche. Dieses
wahre Land Israel ist ringsum gesichert von den "hochragenden
mystischen Bergen, den erhabenen Dogmen der &e:OAOY~ot".
Auch Ez. XXXVII, 22 (einer wird ihr König sein und sie wer-
den nicht länger zwei Völker bilden) meint die Regierung Christi
in der Kirche, sagt Nikephoros weiter. Es ist töricht diese und
dergleiche Prophezeiungen auf Zerubbabel zu beziehen; der war
ja nie offiziell König, bloss Inhaber einer führenden Stelle. Nur
von der Herrschaft Christi kann man mit Recht sagen dass sie
ewig ist und zugleich das Merkmal der Reinigung von Schuld
trägt. Das Neue Testament selbst zieht diese Linie: so sagt der
Engel zu Maria: "Der Herr wird ihm den Tron seines Vaters
David geben". Als der Heiland zu seinem Vater ging hat er
diesen neuen Bund versiegelt. Die Seinigen haben ihn "angetan"
mittels der Gnade, die er im Sakramente spendet. Und wiederum
ertönt der Refrain: wie könnten diejenige Menschen Götzendie-
ner sein, die durch einen so festen Band mit dem Erlöser ver-
bunden sind? Um sein Zeugnis von der Kirche nochmals zu be-
stätigen beruft der Autor sich im 58. Kap. auf den Propheten
Daniel, den er mit einer schmetternden Wortfanfare einführt.
Die einschlägigen Stellen sind Dan. 11, 44 (vom ewigen Reiche)
und natürlich Dan. VII, 13-14 (Vision des Menschensohnes).
94 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

Die Ketzer sollen wohl überlegen dass der Ausdruck "König"


nicht in uneigentlichem Sinne gebraucht werden kann; ein König
ist kein König ohne Untertanen. Zwar ist Gott auch ohne wei-
teres König über alles, aber wir Christen sind das "erworbene
Volk" ()..Qtoc; 1tepLOuaLoc;), ein Volk das "mit dem Wolke der
Zeugen, dem Schar der verstorbenen Heiligen, in einer herrlichen
Harmonie inspirierter Dogmen zusammenstimmt." Die Ketzer
stehen draussen, sie gehören nicht zu diesem Volke. Das übel
aber geht immer von Schlimmem zu Schlimmerem, so auch die
Ketzerei. Die alten Ketzer bekämpften die wahre Kirche nur
mit Worten, die Ikonoklasten hingegen fügen bei ihren Läste-
rungen noch ihre Schandtaten gegen die Bilder.
Wir haben gesehen dass in dem oben besprochenen Kapittel
das "munus regium Christi" sehr betont wird (wenn wir einmal
im typisch westlichen Schematismus des munus triplex reden
dürfen). Man kann das ohne Bedenken eine Eigentümlichkeit
des Patriarchen nennen. Der Gedanke von einem Königtum
Christi war an sich der Ostkirche gar nicht fremd (es stand ja in
der Bibel) doch dass ein Theologe die Vorstellung von der Herr-
schaft des Heilands zur Zentralidee einer ziemlich langen Abhand-
lung macht ist auf dem Boden der östlichen Orthodoxie wohl
einigermassen eine Besonderheit. Diese Religiösität war von
Natur geneigt den Erlöser als den Priester zu sehen, als den
grossen Hierarchen, der seine mysteriumerfüllten Gaben aus-
giesst, mehr denn als den regierenden König.
Weiterhin, in Kap. 6. finden wir das Gegensatzpaar: "al-
ter und neuer Bund" transponiert als den Gegensatz: "Gesetz
und Gnade". Das mosaische Gesetz, auf das die Ikonoklasten
sich vorzugsweise berufen, diente um das Volk Israel von den
anderen Nationen abgesondert zu halten. Dieses Gesetz hat
nichts Vollendetes ausgewirkt (he)..eLcuaev) und nur Zorn er-
weckt über die Zuwiderhandelnden, weniger seiner Schwere we-
gen als weil die jüdische Nation so ausserordentlich boshafter
Natur war (sic!). Wir aber sind nicht unter dem Gesetz sondern
unter der Gnade. Wenn schon das Gesetz, wie der Apostel sagt,
heilig ist, um so mehr doch die Gnade. Und der Schluss liegt
nahe: wie könnte das Höhere wieder zur Abgötterei führen. Wo
das Gesetz eine schattenhafte Opferpraxis kannte hat Christus
durch eine Opfertat alle geheiligt, Christus, der von diesen neuen
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 95

Juden von neuem gekreuzigt wird. Diese Erwägung führt Nike-


phoros zu einer Art Paraphrase des Hebräerbriefes, wobei u.m.
der ganze Inventar der Stiftshütte Revue passiert. Mit der
Auferstehung Christi hat dieser Schattendienst jeden Sinn ver-
loren. Die Herrlichkeit des in Jesus erschienenen Neuen wird
hierauf als Waffe gegen die Bilderfeinde verwendet. Nicht so sehr
ecc1esiologische Züge hat die Peroration womit die Apologie
schliesst.
Der erste und der zweite Antirheticus sprechen sehr wenig
von der Kirche. Zwei Gründe machen dieses verständlich. Erst-
tens sind diese Schriften, laut der Einleitung, als eine Fortsetzung
der grossen Apologie zu betrachten, zweitens dienen sie der
Widerlegung einer Abhandlung des Kaisers Konstantin V und
sind deshalb hinsichtlich des Stoffes an den Auseinandersetzun-
gen dieses Fürsten gebunden. Das erste Zitat des kaiserlichen
Dilettanten spricht freilich gleich von der Kirche. Es lautet:
"Der heiligen Kirche Gottes, der Kirche aller, die Christen sind,
ist überliefert Gottes Sohn, Gottes Wort in dieser Weise zu be-
kennen .... ". Doch streift unser Patriarch anlässlich dieses Zi-
tates nur flüchtig den Kirchenbegriff. Er sagt: Mammon (den
Kopronymos nennt er nie anders) Mammon, spricht von der
Kirche. Aber was meint er damit? Wenn er denkt an seinen
eignen schismatischen Bilderfeindekirche, so besitzt sie nicht
die überlieferung, die er doch nennt, denn diese Afterkirche ist
sein Werk. Meint er die von den Orthodoxen vertretene katho-
lische Kirche, wie kann er diese für abgöttisch halten? Er sagt
dass er der Überlieferung vertraue. Dieses ist entweder Wahn-
sinn oder ein absichtlicher Betrug; er will ja einen von der über-
lieferung von alters her geheiligten Brauch abschaffen. Das wei-
tere des Antirheticus I bietet fast nichts mehr was sich auf die
Kirche bezieht, und der zweite ist für dieses Kapittel sogar völ-
lig unergiebig.
Den dritten hingegen können wir hier nicht ganz vernach-
lässigen, denn der Anfang desselben bietet sehr bezeichnende
Aussagen über die kirchliche überlieferung. In dieser Einleitung
sagt der Patriarch dass die Verteidiger des Unglaubens heuchle-
risch vorgeben dass sie von den Orthodoxen Auskunft verlangen
über Fragen wie: "woher stammen die Bilder und wie ist ihre
Verehrung überliefert", in der Hoffnung, damit die Glaübigen
96 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

in die Enge zu treiben. Fragt man aber die Ketzer dasselbe be-
treffs der Evangeliare und Kreuze, denen sie noch wohl Ehre be-
zeugen wollen, so finden sie eine derartige Frage unpassend.
Bestenfalls nehmen sie ihre Zuflucht zu einem Apell an die über-
lieferung; diese wollen sie nämlich verwenden wenn es ihnen zu
statten kommt und danken sie ab wenn dies nicht der Fall ist.
So kommt unser Patriarch dazu von der Tradition zu reden. Man
soll, nach ihm, zur Bestätigung der überlieferung weder beson-
dere Zeichen noch stringente Beweisgrunde verlangen. Ersteres
ist, wie I Cor. 1,22 besagt, für die Juden, zweites für die Heiden
bezeichnend.
Für alle Orthodoxen ist der Glaube das Fundament des Heiles.
Dieser Glaube macht dass wir alles gelten lassen, was die katho-
lische Kirche überliefert hat; er ist etwas apriorisches und nicht
zu beweisendes. ·Nun ist aber auch das Malen heiliger Gegen-
stände eine überlieferung so alt wie die Evangelien. Alles von der
Tradition in der Kirche Geheiligte soll man verehren. Die unge-
schriebene überlieferung ist noch wertvoller als die geschrie-
bene; auch das Evangelium wurde ja anfangs mündlich über-
liefert. Eine grosse Zahl kirchlicher Bräuche sind nur in der
ungeschriebenen überlieferung begründet. Das geschriebene Ge-
setz ist die Fixierung des ungeschriebenen Brauchs. So denken
ebenfalls die Patres, wie Basilius und Epiphanius. Es ist also
klar dass Nikephoros in seiner Wertschätzung der kirchlichen
überlieferung noch über den Vaticanum hinaus geht; dieselbe
hat bei ihm fast noch mehr Autorität als die heilige Schrift. Das
Weitere des Antirheticus III ist für unseren Zweck völlig uner-
giebig. In den Schriften gegen Euseb und "Epiphanius" und den
anderen von Pitra herausgegebenen Abhandlungen wird der
Kirchenbegriff kaum gestreift; in P wird die Kirche oft genannt,
jedoch geht der Verfasser dort niemals über leere Deklama-
tionen hinaus 1).
Von der Liturgie der Kirche ist auffallend wenig die Rede;
doch gibt es eine sehr bezeichnende Stelle Antirhet. III, 59:
"Auch unsere Priester bilden die Gestaltung der überirdischen
schönen Ordnung ab indem sie diese darstellen in der heiligen
Liturgie und in den anderen göttlichen Lobspenden .... ". Die

') z. B.: P, fol. 29.


DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 97

Sakramente werden ebenfalls nicht oft genannt; jedoch gibt es


Antirh. 11,2 sqq. eine längere Ausführung über die Eucharistie.
Kopronymos nennt diese das einzige legitime Christusbild; da-
gegen will Nikephoros Brot und Wein nur vor der Konsekration
als Bild Christi gelten lassen denn nachher s i n d sie ohne
weiteres Fleisch und Blut Christi. Der Patriarch vertritt also die
extrem realistische Auffassung von der Eucharistie, die wir auch
beim Damaskener finden 1). Doch bleibet im Osten die Art der
Identität zwischen den eucharistischen Elementen und dem
Körper Christi in der Sphäre des unaussprechlichen Mysteriums;
eine ausgeführte Transsubstantiationslehre findet sich nicht.

B. DIE CHRISTOLOGIE DES N IKEPHOROS

Als der Kampf um die Bilder entbrannte war die Christologie


in der Ostkirche schon festgelegt. Die aristotelische Logik hatte
es ermöglicht mit der dyophysitischen Formel von Chalcedon,
welche der stark auf die Vergottungsidee sich konzentrierenden
orientalischen Sonderart der Religiösität nicht gerade entsprach,
eine auch für das östliche Empfinden annehmbare Auslegung zu
verbinden. Eine äusserst subtile, oft bedenklich der Haarklau-
berei ähnelnde Begriffsspaltung war das Mittel um die orienta-
lische Stimmung, die das Göttliche in der Menschlichkeit der
Christuserscheinung zu schauen hauptsächlich neigte, der okzi-
dentalen Fassung der Zweinaturenlehre anzupassen. (Jene west-
liche Christologie kam bekanntlich vom Lehrbriefe Leos des
Grossen her und man war gezwungen sie zu akzeptieren nach-
dem man die auf eignern Boden entstandene, ganz andersartige,
Zweinaturenlehre der Antiochener abgestossen hatte). Dieser
erst recht mit Leontius von Byzanz einsetzende Prozess der
"Aristotelisierung" der Theologie wurde von Johannes Damas-
cenus abgeschlossen 2). Es hat nichts befremdends dass der
Damaskener seinem grossen dogmatischen Werke eine Schrift
voranstellt, die unter den Namen "Dialectica" die philosophi-
sche Terminologie erörtert. Man könnte fast sagen dass die Ter-
minologie in die sakrale Sphäre einrücke, denn jene Begriffsun-
terscheidungen sind es, welche diesen Theologen in die Lage
1) Joh. Dam., De tide Drth., IV, 9.
") Vergl. Loofs, Lecmtfus von Byzanz, Leipzig 1887.
Nikephoros 7
98 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

bringen, einerseits das Mysterium der Fleischwerdung Mysterium


bleiben zu lassen, andererseits zu zeigen dass dieses Mysterium
kein Unsinn, das Unbegreifliche nicht unmöglich, kurz, dass es
eine Paradoxie, keine Paranoia ist. Eine zweckdienliche Inter-
pretation derjenigen Autoren, die als Autorität anzuerkennen
man nicht umhin konnte, wurde von dieser Methode sehr er-
leichtert. Sogar einen so ungeschminkt monophysitisch sich ge-
benden Ausdruck wie die !LLOC CPUO"L<; ..OU AOYOU O"e:O"OCPXW!Le:V1j
Kyrills wusste man, so vorgehend, brav orthodox zu deuten. Es
führte uns zu weit das gewaltige, zum Teil blutige, Ringen von
Monophysitismus und offizieller chalcedonensischer Orthodoxie
eingehender zu besprechen, darum rufen wir bloss in die Erin-
nerung wie mit dem Triumphe des Dyotheletismus auf dem 6.
oek. Konzil alle Möglichkeiten für einen Kryptomonophysitis-
mus abgeschnitten schienen. Mit grösster Energie war selbst in
der "ethischen" Sphäre der Person Christi, in dem Teil der Er-
lösererscheinung das mit der 7tpOOCLpe:O"L<; und mit dem freien
Willen zu tun hat, der Gedanke von den zwei, zwar in einer Unio
vereinten, jedoch für sich zwei bleibenden Naturen, durchge-
führt. Maximus Konfessor war der grosse Theologe, der mit
erstaunlicher Denkkraft hier die letzten Konzequenzen zog 1).
So war der abendländisch beeinflusste chalcedonensische
Dyophisitismus zu einem Punkte gelangt, der dem ursprüng-
lich-orientalischen antiochenischen Dyophysitismus schnur-
stracks entgegenlag ; war doch für Nestorius, Lukian und schon
Paulus von Samosata, wie für alle Antiochener, der eine Willen
das entscheidende, ja gerade dasjenige womit die Einheit Christi
stehe oder fälle. Wenn man die Werke des Damaskeners studiert
so fällt es auf wie der christologische Kampf für ihn nur Sache
der Vergangenheit ist, obwohl die ketzerischen Gruppen noch
weiterbestanden und eine seiner Monographieen sich sogar an
einen häretischen Bischof wendet 2). Er reproduziert alles im
Laufe der Jahrhunderte an orthodoxer Christologie Geleistete;
folgt z.B. Gregorius von Nazianz wenn es sich um das Vater-
Sohn-verhältnis handelt (besonders die Orationen und die
Schrift gegen Eunomius), Leontius für die Lehre der Anhyposta-

') Vergl. H. Staubinger, Die Christologie des HI. Maximus Contessor, 1096, und H.
von Schubert, Geschichte der christi. Kirche im FrühmittelaUer, Tüb. 1921, S. 231 ff.
a) Joh. Dam., Contra ]acobitas, Lequien, I (MPG 95).
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 99

sie, und natürlich Maximus Konfessor wenn die zwei Willen und
die zwei evepyeLocL Christi erörtert werden müssen. Ob Nikephoros
die Werke des Damaskeners gekannt hat ist nicht nachweisbar,
doch mit Rücksicht auf den grossen Ruf des syrischen Theologen
als Bekämpfer des Ikonoklasmus nicht unwahrscheinlich; jeden-
falls fand er denselben Lehrkomplex vor als in der nlj)'ll YV6)O'e6)~
systematisch verarbeitet war. Auch er hat diesem Gebilde keine
wesentlich neuen Gedanken hinzugefügt. Da er kein Systema-
tiker war sind gar nicht alle Aspekte der Christologie bei ihm
anzutreffen, anders als beim Damaskener. Dagegen hat er etwas
getan, was jenem nicht eingefallen war, er hat nämlich die Spitze
dieser Gedanken gegen den Ikonoklasmus gewendet. Freilich
war er nicht der einzige, der solches tat; auch Theodor von
Studion argumentierte so und zwar in sehr exc1usiver Weise.
Fragt man aber weiter ob diese Stellungnahme eine ursprüng-
liche Idee dieser beiden Autoren war, so kann diese Frage nur
verneint werden. Sie waren mit dieser Argumentation sogar in
der Defensive. Der erste, der mit derartigen Gründen in der iko-
noklastischen Frage auftrat, war Konstantin Kopronymos. Er,
oder seine theologischen Berater, hatten als Schibboleth der
Ikonoklasten das OC1tepLypOC1t't'o~-sein von der menschlichen Natur
Christi erfunden. Terminologisch war das eine unerhörte Neue-
rung. Der Ausdruck an sich war alt, findet sich bereits im dritten
Jahrhundert als Prädikat des AOYO~, gelegentlich der ganzen
Gottheit, wird aber nie der Menschheit des Erlösers beigelegt.
Weit geschickter ging die Synode von 754 vor. Sie liess den
Schatten des Nestorius, wie den des Eutyches, aufsteigen und
ihre Beweisführung dabei war die folgende: wenn man ein Bild
von Christus herstellt von Zweien eins:
1) man will die beiden Naturen darstellen oder
2) man will nur die menschliche Natur abbilden.
Im ersten Fall sei man Monophysite weil man voraussetzt
dass ein einziges Bild die zwei Naturen darstellen kann, im zwei-
ten Fall sei man Nestorianer indem man die beiden Naturen
trennt 1). Dass die Synode dass Fleisch Christi OC1tepLypOC1t't'O~ ge-
nannt hat ist aus dem opo~ nicht nachweisbar. Das Wort OC1t&PL-
ypOC1t't'O~ findet sich zwar, wird jedoch auf die Gesamtperson

1) Mansi, XIII, p. 208-356.


100 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

Christi bezogen. Der Versuch die Bilderverehrer als Ketzer in


christologischer Hinsicht zu entlarven schlug fehl und war wie ein
Bumerang, der auf den Werfer zurückschnellt, denn gerade so
konnte man die Ikonoklasten der Heterodoxie betreffs der
Lehre von der Person Christi überführen und ihre verborgenen
monophysitischen Tendenzen aufdecken. Das zähe immer wieder
sich erneuern eines Kryptomonophysitismus hat nichts befrem-
dends. Wenn es einem darum zu tun is, sei es in menschlicher
Hülle, fast ausschliesslich das Göttliche in Christus zu sehen, dann
liegt der Monophysitismus immer vor der Tür. Und gerade das
war bekanntlich das Hauptbestreben der Ostkirche. Die fesseln-
de und glanzvolle Darstellung Harnacks, in seiner Dogmenge-
schichte 1) mag etwas zu weit gehen und die mitanwesende Ge-
genströmung zuviel vernachlässigen zugunsten einer Alleinherr-
schaft der physischen Erlösungsidee, in der Hauptsache hat er
recht gesehen. Schliesslich richtet selbst bei den Antiochenern
die Aufmerksamkeit sich hauptsächlich auf das Handeln des AOYO~
im Menschen Jesu, wenn man gleich von der kyrillischen An-
schauung abweicht hinsichtlich des Mensch- und Gottheit-zu-
sammenhaltenden Bandes. Die östliche Orthodoxie wurde aber,
erstens von biblischen Erwägungen, zweitens von Rücksicht auf
das schon seit Tertullian streng im Schematismus der zwei Na-
turen denkende Westen, bestimmt, die ihr innewohnende Ten-
denz zum Monophysitismus einzulenken.
Nikephoros ist nun ein typischer Vertreter der im 8. Jahrhun-
dert zu ihrer endgültigen Form gelangten griechisch-orthodoxen
Theologie. Er wird, wie der Studite, nicht müde zu wiederholen
dass die Lehre von der chte:PLyprx.7t't'OTI)~ des Fleisches Christi der
chalcedonensischen Orthodoxie zuwider sei und reproduziert mi-
tunter das überlieferte nicht ohne Geschick wenn auch ohne
Originalität.
Wir wollen jetzt die auf die Christologie bezüglichen Stellen
unseres Autors etwas näher betrachten. Zum ersten Male wird
diese genannt in der grossen Apologie (Kap. 10) wo einer haar-
straübenden Schilderung der sittlichen Verdorbenheit der Iko-
noklasten in ziemlich abrüpter Weise sich das Argument an-
schliesst dass diese Leute ausser jenen Greueln noch das blas-

1) Harnack, Dogmetlgesch., T. II, passim.


DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 101

phemische lim:p~ypOt1t't'oc; auf ihrem Schuldkonto haben. Dieser


Gedanke sei eine Mischung arianischer und manichäischer Ket-
zerei. Arius wird in Kap. 12, wie üblich, posthum beschimpft
und ungerechterweise des Doketismus angeklagt, eine Klage,
die mit mehr Recht gegen die, hier ebenfalls heruntergemachten,
Valentinus und Manes erhoben werden kann. Auch Euseb von
Cäsaraea wird übles nachgesagt; seine Anerkennung der nicäner
Synode wäre bloss Heuchelei.
Inhaltlich reichere christologischen Ausführungen bringt die
Stelle Kap. 18 ff. Es ist ein ausführliches Symbolum, ein trini-
tarisches Bekenntnis traditionellen Stiles. Die eigentliche Trini-
tätslehre bewegt sich ganz in den hergebrachten Formeln. Nur
könnte man vielleicht sagen dass die Einheit des göttlichen We-
sens von Nikephoros mehr betont wird als dieses oft bei den
Griechen zu geschehen pflegt. Weiter trefft uns dass nicht nur
das Filioque (natürlich) sondern auch die von der Ostkirche ge-
billigte und beim Damaskener zu findende Formel 8~' \JLOU fehlt.
Die nun folgende Behandlung der Christologie weist eineinteres-
sante Seite auf, indem, mehr als sonst bei den spekulativen
Griechen, dieses Stück in die soteriologische Beleuchtung rückt
und dementsprechend die Logoslehre weniger berücksichtigt
wird. Die Fortsetzung in Kap. 19 benachdruckt stark die Voll-
kommenheit der menschlichen Natur und die Paradoxien, die
das "Vere Deus, vere homo" einschliesst: Unsterblichkeit, Im-
passibilität, "Unumschriebenheit" nach der göttlichen, die ent-
gegengesetzten Eigenschaften nach der menschlichen Natur.
Wenn man diese ins Auge behält kann man die monophysitische
wie die nestorianische Ketzerei vermeiden. Wer in Christus zwei
vollständige Naturen anerkennt kann nicht umhin auch die zwei
Willen und zwei Energien des Erlösers zu glauben.
Erst in Kap. 75 wird, nach langen ecc1esiologischen und son-
stigen Ausführungen, der christologische Faden wieder aufge-
nommen. Der schlimmste Fehler der Ikonoklasten, so heisst es
dort, ist, dass sie den Heiland zu einem biossen Menschen (1jir.AOC;
liv.&pc.l1toc;) machen. Sind doch, wenn man ihnen Glauben schen-
ken darf, die Christen noch immer der Abgötterei unterworfen
und deshalb noch nicht ganz erlöst. Nun gibt es dann drei
Möglichkeiten 3). Christus hat nicht ganz erlösen können, oder
') Diesen Gedanken wird auch gestreift in P, fol. 12.
102 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

auch er hat nicht gewollt oder er hat nichts davon im Voraus ge-
wusst. Alle drei Voraussetzungen sind natürlich Gott unwürdig
und so ist der Heiland, trotz allen Fantasmagorieen von einer
menschlichen Natur die cht€P~YPIX7t't'o~ wäre, nur ein Mensch und
weiter nichts. Im letzten Fall (er hätte nicht gewusst) hätte er
Teil an der Unwissendheit des Durchschnittsmenschen und wären
sogar einige Geschöpfe, wie die Propheten, ihm überlegen. Auf
diesem Wege gelangt man zu der Ketzerei der Agnoeten. Diese
führen den Text Matth. XXIV, 36 an, wo Christus sagt dass
auch der Menschensohn Tag und Stunde nicht weiss; ein Wort
das Nikephoros keine geringen Schwierigkeiten bereitet. Der
Herr wusste es natürlich recht gut, meint er, aber er hatte
wahrscheinlich seine guten Gründe, davon zu schweigen. Das
fast blasphemische dieser Aussage, die den Heiland zu einem
wissentlichen Lügner macht zugunsten der Theorie, scheint ihm
nicht ganz zu entgehen, denn in dem zweiten Antirheticus hat er
denselben Text anders exegetisiert. Zum zweiten Falle ist zu
sagen: wenn er seiner Hände Werk nicht retten wollte so wäre
das ewige Wort Grillen Untertan und viele Kreaturen ständen
in dieser Hinsicht noch über ihn da sie wenigstens das von ihnen
Gemachte durchgehends behalten wollen. Vorsehung, Ordnung,
Gesetz und göttliches Recht wurden da zunichten gemacht.
Doch können wir dieses: Gesetz, Ordnung u.s.w., in der Schöp-
fung beobachten. Man kann ein anderes, von Gott verschiedenes
Prinzip als Ursprung davon betrachten aber dann ist man
Manichäer. Wenn schliesslich Gott der Sohn nicht ganz erretten
könnte so wäre es entweder weil die Kraft von Natur ihm dazu
fehlte, und dann wäre er auch weiterhin machtlos und könnte
"nach aussen nichts bewegen", oder weil ein anderes Prinzip
ihn dazu zwänge und in diesem Fall wäre er nicht allmächtig.
Dagegen ist positiv zu sagen: Christus, Gott selbst und Gottes
Sohn, bequemte sich aus Güte den menschlichen Verhältnissen
doch er blieb die Weisheit selbst und der Geber aller Weisheit.
Er wusste wie er ganz retten musste und wollte und konnte das
auch. Das ist der christologische Ertrag der grossen Apologie.
Ergiebiger ist der erste Antirheticus, der sich einer von Kopro-
nymos oder wenigstens von seinen theologischen Beratern stam-
menden Abhandlung gegen die Bilder anschliesst, die er wider-
legt. Das erste von der Christologie handelnde kopronymische
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 103

Zitat lautet: " .... dass er nicht zusammengesetzter Natur ist


sondern fleischgeworden von der allerheiligsten Mutter Gottes
(&€O't'oxoc;), der ewig jungfräuligen Maria, wobei weder die Gott-
heit ins Fleisch sich wandelt noch das Fleisch der Gottheit etwas
hinzutut, doch die beide zusammengehen in einer ungemischten
Einheit von Gott und Mensch. Infolgedessen ist er ein und der-
selbe im Sinne der hypostatischen Einigung, d.h. zweifach in
einer Person". Nikephoros wendet hiergegen Folgendes ein: Mit
Recht sagt Kopronymos dass die Gottheit sich nicht ändere.
Daneben sollte er aber anerkennen dass auch die Menschheit in
jeder Hinsicht menschlich bleibt. Indem er davon schweigt zeigt
er seinen verhüllten Monophysitismus. Es scheint alsob er der
<xO'Uy:x,u"Coc; EVWO'Lc; von Chalcedon beipflichten will wie in einem
Zitate: "Gott ging so vor bei der Annehmung der Menschheit
dass aus zwei Entgegengesetzten Eins wurde". Inzwischen ist
diese Orthodoxie nur Schein denn er schreibt die Eigenschaften
der einen Natur der anderen zu. Christus ist aber, was Kopro-
nymos verneint, nach der göttlichen Natur nicht, nach der
menschlichen jedoch sehr wohl1te:pLypOC1t"Coc; und also auch dar-
stellbar. Die Herbheit dieser christologischen Gmndparadoxie
wird einigermassen gemildert durch das Beispiel des aus Leib
und Seele bestehenden Menschen, der nach der einen Hälfte sei-
nes Wesens sichtbar und sterblich, nach der anderen unsichtbar
und unsterblich ist.
Weiter sagt der Kaiser in seiner holprichten Sprache: "Da
auch die andere, immaterielle Natur mit dem Fleische verbun-
den und er ja mit seinen zwei Naturen einer, und seine Person
oder Hypostase unteilbar in jeder der zwei Naturen ist, so sind
wir der Meinung dass er nicht abgebildet werden kann, da der
Abgebildete (Christus) eine Person ist und derjenige welcher
abbildet dann auch die göttliche Natur abbilden muss, die ja
nicht abbildbar ist". Dass ist das Hauptargument der Ketzer,
sagt Nikephoros. Ihr erster Fehler dabei ist dass sie die Aus-
drücke ypoctpe:w und 1te:ptypocrpe:w verwirren. Weiter ist hierzu zu
sagen: alles was der Körper leidet wie "schlagen" u.s.w. geht zwar
auf die Person als Ganzheit über (ich werde geschlagen wenn
man meinen Rücken schlägt); 1tE:PLYpOC1t't'Oc; sein ist aber nicht
etwas, das der Körper (passivisch) leidet, sondern eine Wesens-
form und als eine solche unübertragbar. Sagt man dass, wenn die
104 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

Menschheit 1tep~,,(p(X1t't'oc; sei, die Gottheit notwendig auch um-


schrieben sein müsse, so ist man gezwungen aus der Tatsache
dass Christi Fleisch gekreuzigt ist zu folgern die Gottheit sei
mitgekreuzigt. Welch eine Torheit dem Leibe Christi nur die
Eigenschaft 1tep~"(p(Xrp'YJ zu nehmen und es die anderen Eigen-
schaften ~geblich behalten zu lassen! Werden doch alle Merk-
male eines Körpers, wie Dreidimensionalität, Berührbarkeit, or-
ganischer Bau U.S.W., wenn man das &1tep~,,(p(X1t't'oc; einmal setzt,
zugleich gründlich zerstört. So geraten die Bilderfeinde ins Ge-
leise älterer Ketzereien, namentlich der Phantasiasten. Warum
schreiben sie die anderen Vollkommenheiten des Logos nicht
auch dem Fleische zu? Das wäre das einzig Folgerichtige: denke
man sich einmal: das Fleisch Christi o(.LoouO'~oc; 't'~ AO"(CiI und des-
halb o(.LoouO'~oc; mit dem Vater und dem Sohn und dem Geist! So
führt dieser Weg in die Sackgasse der offenbarsten Absurdität 1).
Auch die Trinitätslehre wird weiterhin (Kap. 21) erwähnt.
Bei der Inkarnation bildet die eine Hypostase das Bindeglied
zwischen den zwei Naturen; in der Trinitätslehre umgekehrt die
eine Natur das Band zwischen den drei Personen. Müssen die
Ketzer dann nicht auch in der Dreifaltigkeit, wo die eine Natur
die Einheit sicherstellt, wegen der einen Natur die Eigenschaften
der drei Personen vennischen?
Die kaiserliche Abhandlung geht weiter: "Da nach der Eini-
gung die Aktivität (Tätigkeit, 1tp(X'Y(.LIX't'E~IX) unverteilt ist, wie
wir im Dogma bekennen, und der Künstler ein Bild des Fleisches
erzeugt, teilt er der ganzen (gottmenschlichen) Person die Eigen-
schaften der Gottheit mit. So entsteht ein Monstrum in der Gott-
heit: drei göttlichen Personen und eine menschliche". Dagegen
fragt der Patriarch: wenn man zwei Naturen anerkennt, welche
der zwei tritt dann in die Sichtbarkeit? Antwortet man hierauf:
die göttliche, so legt man dem ewigen Worte Sichtbarkeit bei.
Wenn, um diese Aporie zu venneiden, die Gegner die Sinnen-
fälligkeit nur der menschlichen Natur zuschreiben, so kann man,
ihre eigne sonderbare Argumentation genau für diesen Fall
zurechtschneidend, ebenso ihnen selbst des Fabrizierens einer
Quaternität statt der Trinität, überführen.
Eine scharfsinnige Schlussrede bringt Kap. 24: Entweder ist

') Auch diese Beweisführung kurzgefasst und weniger klar in P, fol. 40.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 105

das abgebildet werden etwas das Christus erleiden kann oder


nicht. Im ersten Fall, wenn es schlechthin unmöglich ist, warum
sich dann darüber zu ereifern? Die Arbeit der Maler berühre den
Gottmensch dann gar nicht, beleidige ihn ebensowenig und sei
höchstens töricht wie alle Versuche Unmögliches zu leisten, nicht
aber frevelhaft. Im zweiten Falle, wenn Christus wirklich dar-
stellbar ist, darf man den Maler ebensowenig tadeln; der Grund
weshalb man ein Bild schafft und betrachtet liegt dann nicht im
schaffenden und betrachtenden Menschen sondern in der Wahr-
heit der Inkarnation. Wenn man ihn in diesem Falle nicht dar-
stellen wollte so beleidigte man die Menschenliebe, die sich in
seiner Selbstentleerung kundgab.
Ein weiteres Argument bietet die Geburt aus der Jungfrau.
Wie könnte Maria einen Mensch gebären, dessen Körper ocm;pL-
ypot7t't'o~ war? Ist auch bei ihr eine Wesensverwandlung eingetre-
ten bevor sie den Erlöser empfing oder war dies nur bei ihren
Genitalien der Fall? (Sic!) Eine unerfreuliche Mischung von
Theologie und Gynaekologie, wie sie z.B. auch bei den Streitig-
keiten lide partu virginis" und dergleichen grassierte, wird vom
Patriarchen hier berührt doch zum Glück nicht allzu weit ge-
trieben. Das Vorhergehende zusammenfassend sagt er dann dass
die Ikonoklasten sich in dieser Weise dem Apthartodoketismus
nähern; man könnte sie Agraptodoketen nennen. Wäre diese
Ansicht wahr so würden wir des Heils verlustig. Der Erlöser hätte
dann unsere Natur nicht angenommen.
Die Ikonoklasten behaupteten: das Malen von Christus bringe
eine Trennung von den beiden geeinten Naturen des Erlösers
herbei. Etwas zu pfiffig sagt Nikephoros: ist es denn einem ge-
wöhnlichen Menschen tödlich wenn man ihn malt? Ist jeder
Mensch doch aus Leib und Seele zusammengesetzt. Wenn die
Malerei eine solche Kraft hat Zusammengesetztes zu scheiden so
muss sie auch Leib und Seele voneinander reissen und Trennung
von Leib und Seele ist ja der Tod. Konstantin, der neue Midas,
sieht aber nur allzu gern sein eignes Bild (auf einer Goldmünze)
und auch andere Darstellungen seiner Person müssen auf Befehl
des kaiserlichen Mammon respektiert werden.
Kap. 35 weist beilaüfig darauf hin dass Kopronymos nur
spricht vom Logos und vom Fleische Christi. Die heilige Seele
des Erlösers wird nicht genannt. Nicht einmal mehr verhüllt ist
106 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

der Monophysitismus wenn Konstantin in seiner barbarischen


Redensart behauptet: "Wenn wir von Fleisch sprechen so mei-
nen wir nicht Fleisch das seine eigne Personalform (7tpocrCU7tov)
hat sondern das 7tpocrCU7tOV Gottes, wir predigen es als Gott in
göttlicher Herrlichkeit". Und später: "Wenn der von der Jung-
frau geborne ein Herr genannt wird und er derselbe ist durch
wen alles geworden ist so ist das eine Natur da eine Person nicht
geteilt werden kann, denn nach dem Fleische gibt es keine Son-
dernatur des Körpers und der Gottheit, sondern wie ein Mensch
eine Natur hat, so auch der, welcher im Gleichnis Mensch war,
Christus". Dieser Monophysitismus ist nicht einmal maskiert;
es ist Chalcedon so stark wie möglich zuwider. Der Fürst ver-
wendet auch die suspekte kryptomonophysitische Formel "aus
(nicht "in") zwei Naturen". Weiter will er von den zwei Ener-
gieen ebensowenig etwas wissen und schreibt der einen H ypos-
tase nur eine Energie zu.
"Wer ein Christusbild anfertigt", lautet ein anderes Mammon-
zitat, "sagt, es sei Christus; nun aber wissen wir dass der Name
Christus nicht nur einen Menschen sondern auch Gott besagt".
Nikephoros erwidert: damit hat er wieder die zwei Naturen
anerkannt. Warum will er denn eine jede Natur die ihr zukom-
menden Eigenschaften nicht beibehalten lassen, was die Perso-
naleinheit nicht gefährdet und sogar eine Art m:pLxcuplJcrLC; nicht
ausschliesst (Der Ausdruck m:pLxcupl)O"LC; ist in der Dogmatik be-
kanntlich sehr verbreitet geworden als Terminus der Trinitäts-
lehre. In der Christologie ist sie weniger üblich obwohl sie sich da
ebenfalls hin und wieder findet 1). Dass die Zweiheit in Christus
die Einheit nicht aufhebt wird erläutert mit dem etwas flachen
Beispiele vom Goldschmied, der zugleich Bildhauer sein kann
ohne damit aufzuhören ein Mensch zu sein.
Abschliessend sagt der Autor in den Kap. 49 und 50: Die
göttliche Wirkung des Christus in Schöpfung und Erhaltung
ist ewig, die menschliche (zwischen Geburt und Himmelfahrt)
zeitlich begrenzt, also zeitlich m;pLYp0C7t't"OC;. Er hatte zwei vonein-
ander verschiedene, aber nie streitigen Willen. Als Gott wusste
er alles, als Mensch wusste er einiges nicht. Anders als in den
entsprechenden Stellen der Apologie schaudert er hier vor der

1) z.B.: Greg. von Naziqnz, Ep. 101, 6.


DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 107

schrecklichen Konzequenz zurück Christus zu einem wissentlichen


Lügner zu machen. Hinsichtlich vieler Eigenschaften sehen wir
in Christus eine Doppeltheit wegen der zwei Naturen (geschaffen
die Menschheit, ungeschaffen die Gottheit u.s.w.). Warum kann
man ihn denn nicht &.1tepL,,(p!X1t't"O~ und 1tepL"(p!Xm;o~ zugleich
nennen? Hiermit endet der erste Antirheticus.
In den ersten 16 Kap. der zweiten finden wir keine neuen Ge-
danken. Kap. 17 aber führt aus wie der Heiland nach seiner
Auferstehung 1tepL,,(p!X1t't"O~ geblieben sei. Dieses wird klar aus
seinem Essen und Trinken in diesem Zeitabschnitt und nicht am
wenigsten aus seiner Himmelfahrt. Als sein verklärter Körper
noch auf Erden war befand derselbe sich nicht zur gleichen Zeit
in Galiläa und in Jerusalem, wenn auch seine Gottheit das ganze
Universum erfüllte 1). Wir können diesen Beweisführungen ent-
nehmen dass das sog. "extra calvinisticum", der bekannte Streit-
punkt zwischen Luthertum und Kalvinismus, in der Zeit der
Reformation, nicht kalvinistisches Sondergut ist sondern allge-
mein altkirchlich genannt werden kann. Die Bilderfeinde ge-
raten so ins Geleise der alten Doketen, sagt unser Schriftsteller
weiter, der Doketen, die mitunter sogar glaubten dass Simon von
Kyrene statt Jesus gekreuzigt sei. Diese alte gnostische Ketzerei
scheint, wenn wir Nikephoros Glauben schenken dürfen, bei radi-
kaleren Anhängern des Monophysitismus Julians wieder auf-
gelebt zu sein. Aus anderen Quellen ist meines Wissens von einer
so extremen Radikalisierung des Monophysitismus nichts be-
kannt und der Bericht des Patriarchen ist ziemlich dunkel.
Allerdings war bei dem wüsten späteren Monophysitismus der
justinianischen und nachjustinianischen Zeit vieles möglich.
Mehr bietet dieser Antirheticus nicht.
Der dritte Antirheticus ist für den eLxwv-begriff hochwichtig
doch die Christologie wird auch hier nur wenig berücksichtet.
Eine bezeichnende Stelle ist jedoch Kap. 38. Die Ikonoklasten
fragen: "Ihr nennt Christus bevor er aufgestanden m:pLyp!X1t"t"O~.
Wie aber nach der Auferstehung?"
Nikephoros antwortet: der Körper wurde verklärt aber die
aus der 1tepLyp!Xep"fl sich ergebenden Eigenschaften blieben.
"Doch", sagen die Ketzer, "wenn der Leib des Heilands zuge-

') Auch dieses in nuce bei P. fol. 41.


108 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

standenermassen von verweslich unverweslich u.s.w. geworden


ist, warum dann nicht auch von 'Tt'e:PLYpIX'Tt''t'O'; OC'Tt'e:PLYPIX'Tt"t'O';? (Bei
aller Verschiedenheit wird man hier an der lutherischen Ubiqui-
tätslehre erinnert). Dagegen kann man wiederum anführen, sagt
der Patriarch, dass das Verderben nicht natürlich ist. Vorzüge
wie Unvergänglichkeit, Unsterblichkeit u.s.w. hätte der Mensch
besitzen können wenn er seinen freien Willen nicht dazu miss-
braucht hätte das schlechteste Teil zu wählen. Der Körper Christi
kennte kein Verderbnis durch die Kraft des mit ihm vereinten
Logos. Wiesehr der Leib Christi nach seiner Neubelebung ein
göttliches Ansehen hatte, es blieb ein Körper und ist nicht in die
göttliche Substanz übergegangen. Wenn Paulus von "Christus
nach dem Fleische" spricht zielt das auf die Gebrechlichkeit des
Körpers. Manichäisch soll man dies nicht auslegen. Das Sitzen
zur Rechten Gottes beeinträchtigt nicht die Vollständigkeit der
menschlichen Natur. Auch jetzt ist der Körper lokal beschränkt.
(Merkwürdig wie alle Argumente der Kalvinisten gegen die
Ubiquitätslehre Luthers sich hier finden). Das Weitere des dritten
Antirheticus bringt keine neuen christologischen Ideen.
Auch die anderen Schriften können am Gesamtbilde der
nikephorischen Christologie, wie wir es hier zu skizzieren ver-
sucht haben, keine wesentlichen Züge hinzutun. Der Aufbau die-
ser Abhandlungen macht das begreiflich; geben sie sich doch
alle (mit Ausnahme der ersten Hälfte von P) als Auslegungen
oder Widerlegungen von Stellen älterer kirchlicher Schriftsteller,
die keineswegs die Bilder als Kultgegenstände meinen. Auch P
aber ist für unseren Zweck unergiebig. Die Fo!. 10-14 streifen
die Christologie, jedoch in oberflächlichster Weise. Besser sind
die Ausführungen Fo!. 41 ff aber auch dort treffen wir keine Ge-
danken die nicht in den "Hauptschriften" viel deutlicher zu
finden wären. Dasselbe gilt von der Schrift gegen Epiphanius
und sogar von "adversus Eusebium", obwohl jene Bestreitung
des Briefes Eusebs hauptsächlich mit christologischen Beweis-
gründen arbeitet. Terminologische Dummheiten des grossen
Kirchenhistorikers werden dort an den Pranger gestellt, was
keinem verwundern darf, der bedenkt dass am Anfang des 4.
Jahrhunderts die christologische Terminologie noch gar nicht
geprägt war.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 109

C. DER EIK!lN-BEGRIFF BEI NIKEPHOROS

Wir haben im Vorhergehenden gesehen dass die christologi-


sche Begründung des ikonophilen Standpunktes eine Eigentüm-
lichkeit erst der orthodoxen Vorkämpfer der zweiten Periode
des Bilderstreites war und dass sie allem Anschein nach letzten
Endes von den theologischen Kapriolen des Kopronymos her
den Anstoss bekommen hat. Alter ist eine andere Beweisführung,
die in besonderem Masse das geistige Eigentum des Johannes
Damascenus zu sein scheint. Während ältere Verteidigungs-
schriften für die Bilder (wie die erhaltenen Fragmente des Leon-
tios von Neapolis und die Korrespondenz des Patriarchen Ger-
manos 1) wesentlich nur mit der kirchlichen Tradition, mit
einigen biblischen Grunden, und schliesslich mit dem pädago-
gischen Werte der Bilder operieren, hat der Damaskener den
Verdienst die Kontroverse zuerst im Zusammenhange mit den
tiefsten und fundamentalsten Sätzen der Theologie gesehen zu
haben. Besonders stark spürt man dabei den Einfluss des Areo-
pagiten, der den etxwv-begriff im Sinne Platons und Plotins in-
nerhalb des christlichen Denkens zur höchster Geltung ge-
bracht hat 2). Wie der syrische Theologe sieht er überall, wo ir-
gen deine Vermittlung zwischen Sinnlichem und übersinnlichem
stattfindet, den Bildbegriff auf den Plan treten. In wieferne an-
dere ihm dabei vorangegangen sind ist schwer zu entscheiden.
Wenn die These Zotenbergs richtig wäre dass nämlich der
Mönchsroman "Barlaäm und J osaphat" noch dem 7. J ahrhun-
dert entstammt, so könnte man diese Schrift einen genialen
Vorstoss in dieser Richtung nennen 3). Dass die Datierung Zoten-
bergs aber nicht gerade gesichert ist hat Kap. 2 bereits gezeigt.
Wie dem auch sei, mit oder ohne Ausnahme von "Barlaäm und
J osaphat", sind die Schriften des Damaskeners die einzigen seiner
Epoche, in denen die vom Pseudoareopagiten zuerst gezogene
Linie bis auf die kultischen Bilder in der christlichen Kirche
weitergeführt wird. Könnte man doch das ganze emanatistische
System des Pseudodionysios deuten als eine monumentale Ent-
wicklung des Bildgedankens : jede niedrige Potenz ist das Bild

1) Vergl. s. 14.
') Vergl. S. 31.
') Vergl. S. 18.
110 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

des vollkommeneren und zugleich Vorbild für die unter sie


stehenden, wiederum niedrigeren, Potenzen. Nur das absolut
höchste Sein ist bloss Vorbild, nicht Nachbild. Auf die merk-
würdige Inkonzequenz dass das vom Künstler geschaffene Bild,
das Bild in allerbuchstäblichstem Sinne, in der Reihe der das
Göttliche vermittelnden "Bilder" sich nicht findet, wiesen wir
in Kap. 2 schon hin. ]ohannes Damascenus zieht hier die Linie
folgerichtig weiter; er sucht, wie der Pseudoareopagite den
Bildbegriff überall; er aber rechtfertigt damit die Verwendung
von Bildern in eigentlichem Sinne, was schliesslich nur das Na-
turgemässe ist. Systematiker wie er nun einmal ist, stellt er sei-
nen diesbezüglichen Ausführungen eine Definition des Begriffes
"Bild" voran 1): "Ein Bild ist ein Gleichnis (O(lOL<U(lot), der das
Prototyp zum Ausdruck bringt doch so, dass ein Unterschied
zwischen den beiden bleibt". Weiter kann man unterscheiden
zwischen dem natürlichen und dem kunstgewirkten Bild. Der
Sohn ist in der Dreifaltigkeit das natürliche Bild des Vaters.
Es gibt einen Unterschied zwischen Vater und Sohn weil der
Vater zum Sohne in einem Kausalverhältnis steht; dagegen liegt
ein Unterschied der Naturen nicht vor; dieser ist aber gerade
für das kunstgewirkte Bild konstitutiv. Sodann fällt der Gedanke
auf 2), der auch im Mittelalter, im extremen Realismus zumal,
eine so hervorragende Rolle gespielt hat; nämlich die ewige
Ideenwelt, im Sinne Plotins als eine entmaterialisierte Verdopp-
lung der Erscheinungswelt gedacht, doch, anders als bei Plotin,
versetzt in das Wesen des dreieinigen Gottes. (Bei Plotin gehört
die Ideenwelt im Bereiche des vou<;). In Gott sind die Urbilder
alles Geschaffenen von Ewigkeit, sagt ]ohannes 3), dabei an-
knüpfend an Dion. de div. nom., cap. 5.
Auch diejenige sichtbaren Dinge, durch die Unsichtbares,
Göttliches repräsentiert wird, die also dem kirchlichen Symbolen-
apparat angehören, kann man Bilder nennen. Weiter sind die
Schöpfung und besonders das höchste Geschöpf, der Mensch, das
Bild Gottes und sogar die Dreifaltigkeit findet man bildhaft in
allerlei Kreatürlichem angedeutet, was mit einigen "vestigia
trinitatis" erlaütert wird. Das typologisch Aufeinander-bezogen-

') De imaginibus, Or. I, 9; ausführlicher derselbe Gedanke III, 18.


0) A.a.O., I, 10.
3) A.a.O., I, 11; ur, 19.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 111

sein der beiden Testamente ist ebenfalls bildhafter Art; die Ge-
schichte, sowie die Monumente von Vergangenem sind wiederum
Bilder, Bilder der Vergangenheit 1). Wenn man dies alles beobach-
tet kann man wohl nicht verneinen dass es einen erlaubten Ge-
brauch der Bilder gibt. Das schliesst noch nicht die Legitimität
des ihnen dargebrachten Kultes ein. Dazu sagt der Damaskener:
dieser Kult bezieht sich nicht auf das Bild als solches sondern
auf das Urbild. übrigens bringt man den Bildern nicht die nur
dem göttlichen Wesen zukommende Aoc:rpe:Loc dar sondern die
1tpOOitUVYjGL<; die man vielen Dingen und Personen, in denen eine
besondere Würde sich findet, darbieten kann 2). Verschiedene
Arten der Proskynese werden in echt damaskenisch-scholasti-
scher Weise unterschieden 3). Latria den Bildern zu erweisen
wäre Gotteslästerung '). Vollends falsch ist das Argument dass
man die Bilder nicht verehren könne weil sie materieller Art
sind: sind doch die eucharistischen Elemente, das Kreuz und die
Kultgeräte nicht weniger so beschaffen während die Ikonoklas-
ten diesen dennoch die Ehrerbietung nicht verweigern. Die
Anschauung dass die Materie an sich etwas Minderwertiges sei
ist Manichäismus 5), denn die Materie ist Gottes Schöpfung und
das Wort selbst ist Fleisch geworden.
Diese Gedanken finden wir bei Nikephoros wieder, weniger
systematisch doch polemisch gewandter. Der Unterschied zwi-
schen Latria und Proskynese wird von unserem Patriarchen nur
flüchtig gestreift und die "manichäischen" Züge des Ikonoklas-
mus kaum eingehender betrachtet; dagegen hat er den e:1xwv-be-
griff allseitig beleuchtet. Wir wenden uns jetzt der Betrachtung
der diesbezüglichen Stellen aus dem Apologeticus Major und den
drei Antirhetici des Nikephoros zu.
Die erste Stelle, die hier zu nennen ist, findet sich Apol. Kap.
21 und schliesst sich der christologischen Lehre an. Durch die
eben beschriebenen Inkarnation, wird dort ausgeführt, sind wir
erlöst, und alle Kennmittel (yvwPLG!LOC't'oc), die das Erlösungswerk
erzählen, darstellen und in die Erinnerung rufen, ehren wir, der
überlieferung gemäss, auch die Bilder. Wir schenken diesen
1) A.a.O., I, 13; III, 23.
") A.a.O., I, 8; I, 14.
3) A.a.O., III, 40.
f) A.a.O., I, 16.
5) A.a.O., I, 6; II, 13 II, 14.
112 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

jedoch nicht die Gott allein zukommende Latria. Alle, die "von
Gott gelehrt" sind wissen dass man zwar Christus alle Ehre zu
geben hat, aber seinen Bildern deshalb die Ehre nicht verweigern
soll, da die den Bildern bezeugte Ehre auf ihren Archetypos
übergeht. Dasselbe gilt von den Bildern derjenigen Geschöpfen,
die wir um Beistand anflehen, Maria z.B. und die Heiligen-
Solches ist reines Christentum; Abgötterei betreibt, man nur
dann wenn man Mächte, die von Natur kein Gott sind, dient.
Merkwürdig genug ist diese recht magere Stelle das einzige
was die ganze grosse Apologie zum e:1x<uv-begriff zu sagen hat.
Mehr bietet der zweite Antirheticus, da auch der Kaiser, des-
sen Abhandlung wir hier widerlegt finden, in seiner grobschläch-
tigen Art sich an die mit dem dx<uv-vorstellung verbundenen
Problemen heranmacht. Kopronymos legt dar dass wenn es gut
wäre, das Bild von derselben Substanz (OUGLIX) als das Abgebil-
dete sein müsse. Wegen der unvermeidlichen Verschiedenheit
der Substanz bei dem (göttlichen) Erlöser und dem (geschöpf-
lichen) Bilde sei ein Bild von Christus unmöglich. Dieses Argu-
ment treibt erst recht den Unsinn auf die Spitze, meint Nike-
phoros. Das O(LO~1JGL'J<; gilt ja nur von der zweiten Person der
Dreifaltigkeit, vom Sohne als Bild des Vaters. Im göttlichen
Vater-Sohnverhaltnis wird jedoch der e:tx<uv-begriff in einer sehr
besonderen und schlechthin einzigartigen Weise verwendet.
Töricht ist es dasselbe von einer kunstgewirkten Abbildung zu
fordern. Diese Irrung ist hierin begründet dass man das sub-
stantielle Bild und das von der Kunst geschaffene nicht unter-
scheidet. Gott schuf aus nichts, die Kunst hat in der Natur ihr
Vorbild. Sie ist nicht selbst die Natur sondern nimmt die in der
Natur wirkende gestaltende Form, die Idee (d8o<;), als Para-
digma und schafft dementsprechend etwas Ähnliches (O(LOLOV).
(Der platonische Einfluss ist hier besonders deutlich spürbar).
Nach dem tollen kopronymischen Grundsatz müsste das Bild
eines Menschen, eines beseelten Wesens also, auch beseelt sein.
"Die Ganzheit muss bewahrt bleiben sonst ist es kein Bild",
lautet ein folgendes Zitat. Mit mehr Recht könnte man sagen:
es ist kein Bild wenn es in allen Hinsichten dem Vorbilde gleich-
kommt. Der Kaiser hat scheinbar nicht nur kein Spur von Re-
ligion sondern auch kein Fünkchen Logik.
In Kap. 28 bietet der Verfasser uns zwei Definitionen des Be-
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 113

griffes dxc.uv. Sie bestimmen beide nur das von der Kunst geschaf-
fene Bild, das auch Nikephoros, wie Johannes Damascenus,
streng vom natürlichen, substanziellen, unterscheidet: die
Definition des Damaskeners jedoch umfasst die beiden Arten.
1) Ein Bild ist ein Gleichnis (oILOtc.uILot) eines Urbildes (&PX'YJ't'U1tOc;),
das mittels EILqle:Pe:tot (man möchte diesen Ausdruck hier mit
"entsprechenden Zügen" übersetzen) die Gestalt des Darge-
stellten ausdruckt doch davon nur substantiell verschieden ist
wegen der Materie.
2) Eine Nachahmung und Darstellung des Urbildes, die durch
ihre Wesenheit (ouO'tot) und Substrat (01toxe:tILEVOV; das Wort
hat hier nicht wie so oft, besonders bei Plotin, nahezu die Bedeu-
tungsgehalt von was wir "Subjekt" nennen) davon verschieden
ist.
Wenn es kein Unterschied gäbe, wie könnte man da Arche-
typos und Nachbildung unterscheiden? Dagegen ist ein Idol eine
Abbildung von Nichtbestehendem 1). Das Abbilden an sich ist
"ambivalent": man kann Gutes und Böses abbilden. Das Bild
von etwas Gutem soll man hochschätzen, das Bild des Schlech-
ten verabscheuen.
Archetypos und Bild stehen zueinander im Verhältnis von
Ursache und Folge, welches der Kategorie der Relation unter-
steht 2). Diese schliesst ein dass es mindestens zwei aufeinander
Bezogenen geben muss. So kann man genau genommen nie von
einem Bilde in absolutem Sinne sprechen, es ist immer ein Bild
"von etwas". Auch wenn das Urbild aus dem Blickfeld verschwin-
det, bleibet die Relation. Das Bild ist mit der Gestalt (e:t8oc;)
vereinigt, obwohl es der' Natur nach sich davon unterscheidet.
Es ist ein Fall von &AAo Xott &AAo nicht von &AAoc; Xott &Ai..oc; 3). (In
der Trinitäts-lehre, hier merkwürdigerweise nicht genannt,
pflegte man dies gerade umgekehrt zu sagen). Im Bilde sieht
man das Dargestellte selbst. Es herrscht eine "Gleichheit der
Benennungen" vor; auch das Bild eines Königs wird "der König"
genannt. Zwischen Archetypos und Abbildung besteht denn
auch keine schlechthinnige Identität und ebensowenig eine ab-
solute Heterogenität. Sie besitzen eine Gleichheit des e:t8oc; doch

1) Kap. 29.
") Diese Beweisführung weniger klar auch bei P, fol. 6, und fol. 51.
') Ebenda.
Nikephoros 8*
114 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

Verschiedenheit der Substanz. Das reziproke Verhältnis schliesst


ein dass die dem Bilde dargebrachte Ehre dem Dargestellten
selbst bewiesen wird. Die Abbildung hat nichts zu schaffen mit
der Wesensbestimmung der Substanz (optaILoC; 't'YJC; oöatexc;), sie
betrifft die Kundgebung nach aussen ; wie könnte sie je von
Natur (cpuatxwc;) Vereintes auseinander zu ziehen vermögen, wie
der Kaiser meint dass dies der Fall sei?
Etxwv ist abgeleitet von dxw, nachstehen, nach der etwas
abenteuerlichen Etymologie unseres Autors, und so besagt be-
reits das Wort wie dumm es ist von einem Bilde absolute Iden-
tität mit dem Dargestellten zu verlangen. Der Kaiser spricht
immer von einem Geschiedenwerden der beiden Naturen durch
das Abgebildetetwerden, sagt aber nicht wie er sich das Ge-
schiedenwerden denkt. Wenn es nur eine (Unter) Scheidung
(8textpeatc;), E1ttVot~, eine Unterscheidung in der Erkenntnis-
sphäre, bleibt, so kann die Orthodoxie nichts dagegen haben.
(Eine 8textpeatc; E1ttVOt~ war u.a. vom 5. Konzil! ausdrücklich
gestattet). KonstantinsAuffassung ist jedoch dass eine Trennung
Evepyet~ xext exta&rjaet, eine (im aristotelischem Sinne) aktuelle
und wahrnehmbare Trennung des unscheidbar Vereinten bei dem
Vorgang des MaIens eines Christusbildes stattfindet. Woher be-
kommt der Maler diese übernatürliche Kraft, fragt Nikephoros
ironisch. Von zweien eins: es war in der Natur des Gottlogos
miteingeschlossen dass er das Abgeschnittenwerden von seiner
menschlichen Person erleiden konnte oder nicht. Im ersten
Falle besässe er keine Impassibilität, im zweiten Falle kann ja
doch kein Ding diesen unaussprechlich Geeinten in seiner Ein-
heit schädigen. Die Macht, die jene Bilderfeinde so dem Künstler
beilegen ist grösser als die Macht des Todes .Was der Tod bei der
Kreuzigung nicht konnte (sogar bei der "descensus ad inferos"
fand ja keine Trennung von Christus und dem Logos statt) das
sollte einem Maler laut dieser absurden Theorie gelingen. Noch
weitere Beispiele zeigen das ungereimte der kopronymischen Ar-
gumente: wenn man die Sonne malt, reisst man damit die Sonne
ab vom (nicht zu malenden) Lichte? 2). Oder wenn man ein
glühendes Eisen in Wasser legt, wird das Eisen dann mitver-
nichtet durch das Zugrundegehen des vorher mit dem Eisen ver-
') Z.B. Anathematismus 8, angeführt bei Harnack, Dogmengesch .. , II, S. 396.
") Dasselbe Bild in sehr gewandter Form bei P, fol. 37.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 115

bundenen Feuers? (Das Feuer war bekanntlich ein Element nach


der damaligen Physik). Kopronymos sagt 1): "Das ist kein Bild
das die Beschaffenheit der Gestalt der dargestellten Person nicht
ausdruckt". Nikephoros wiederum: Wenn die Ikonoklasten hier-
mit zugeben dass Christus eine Gestalt hat so ist dieselbe auch
abbildbar. Ist der Heiland dagegen nicht abbildbar so hat er
auch keine Gestalt und deshalb auch keine Hypostase, kein in-
dividuiertes Sein. Wenn Christus wirklich keine Gestalt hätte so
könnte man mit einigem Recht das Malen des Erlösers dem
Schaffen eines Idols gleichsetzen denn ein Idol ist ja eine Abbil-
dung von Nichtseiendem. Die Heilige Schrift schreibt jedoch
dem Erlöser sehr bestimmt Gestalt zu und so fällt das törichte
Dogma des Kopronymos in Trümmern, sagt der Patriarch. Der
Kaiser kann sich für seine Meinungen auf keinen der ortho-
doxen Patres berufen, höchstens mag er Euseb zitieren, der be-
hauptet in seinem andersweitig von Nikephoros widerlegten
Brief dass das Fleisch Christi sich immerfort von Aussehen
geändert habe (Ausser bei den "echten" Doketen sind solche
abenteuerlichen Gedanken bei einem grosskirchlichen Manne
wie Clemens von Alexandrien und in den zwar häretischen doch
auch in grosskirchlichen Kreisen ziemlich verbreiteten Johannes-
akten anzutreffen).
Nicht direkt auf den dxtuv-begriff bezogen aber sehr lehr-
reich in diesem Zusammenhange sind die Erörterungen im 12.
Kap. des zweiten Antirheticus. Dort werden die grossartigen ter-
minologischen Dummheiten des kaiserlichen Skribenten an den
Pranger gestellt und zumal diese: er beachtet nicht den Unter-
schied zwischen yprtcpeLV und nepLypotcpeLV. Der erste Ausdruck
bedeutet zuerst einfach "schreiben" und kann zweitens bezeich-
nen: "diejenige Kunst die mit Ähnlichkeiten arbeitet, diese ge-
staltet und ausdrückt mittels einer auf ein Vorbild bezogenen
Nachahmung". Um diese letzte Bedeutung handelt es sich hier;
nepLypotcpeLV aber ist etwas Grundverschiedenes. Was nepLyprtn-
't'oc; genannt wird ist begrenzt, umschrieben, sei es zeitlich oder
raümlich oder gar durch Xrt't'rtA1j~LC; (durch die Tatsache dass es
diskursiv wahrnimmt). Ein Körper hat diese Eigenschaft im
lokalen Sinne; die Engel und die Seelen, indem sie zwar kein Ende
doch gewiss einen Anfang haben. Vom Maler ist zu sagen dass er
1) Kap. 38.
Nikephoros 8
116 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

einen "YPcx({leL", nicht ,,7tepLypCX({leL". Bezeichnend für die ypCX({l1)


ist das Bezogensein auf einen Archetypos. Gelöst von dieser Be-
zogenheit hat sie keinen Bestand. Die 7tepLypCX({l1) weiss davon
nichts; sie kennt nicht das "Einem gleich sein" und ebensowenig
das Gegenteil; sie ist ein Wesenszug. Der Begriff 7tepLypcx({l1)
schliesst mehr in sich als bloss ypCX({l·~; darum kann es hier keine
Reziprozität geben denn was ypCX7t't"O<; ist muss notwendig auch
7tepLypCX7t't'OC; sein, das Umgekehrte ist aber nicht der Fall. So ist
z.B. eine Krankheit oder das menschliche Leben sehr bestimmt
7tepLypCX7t't"O<; dennoch kann man diese nicht malen. Abstrakta
können zwar mitunter als Allegorien gezeichnet werden doch das
ist dann eine Abbildung die nicht unmittelbar sondern mittels
eines gedanklichen Umwegs zustande gekommen ist 1).
Eine mehr erkenntnistheoretische Erwägung hinsichtlich des
dxwv-begriffes weist der Anfang des dritten Antirheticus auf 2).
Der Autor bestreitet dort die Meinung dass überhaupt das Bild
soviel niedriger stehe als das Wort. Auch die Wörter, sagt er, sind
Bilder von den Sachen; zwischen Sache und Wort besteht ein
kausales Verhältnis, das der Relation zwischen Vorbild und
Nachbild ähnlich sieht. Zuerst kommt ein Sinneneindruck des
Klanges, sodann der Begriff der Sache, wenn wir ein Wort hören.
Die Malerei ist direkter, führt uns unmittelbar zu den Sachen
selbst. Die Sprache der Bilder ist deshalb keineswegs gering-
wertiger, oft geradezu überlegen. Wir gelangen zur Erkenntnis
des Urbildes mittels der Abbildung und die dem einen bezeugte
Ehre wird auf den anderen übertragen. Letzterer Ausdruck ist
der locus classicus der Ikonophilen, die 1001 mal zitierte Stelle
des Basilius 3). Diesmal wird jene aber in extenso angeführt 4).
Um sich diesen lästigen Zeugen vom Halse zu schaffen bemerken
die Gegner, übrigens nicht ganz mit Unrecht, dass sie nur von
der Trinität und der Christologie rede; in diesem Zusammen-
hange sei auch nichts gegen sie einzuwenden, doch habe sie mit
den Bildern, von denen hier gesprochen wird, nichts zu schaffen.
Nikephoros sagt: wenn die Christusbilder gar nichts mit der
Inkarnation zu tun haben, warum zerstören die Ikonoklasten sie

') Diese ganze Beweisführung kürzer bei P, fol. 40.


2) Kap. 5 sqq, MPG 100, c. 381.
3) Basilius de Spiritlt Salle/a, cap. 18.
') Alltirh., III, 18.
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 117

denn? Die Ehre, die die Orthodoxen den Bildern bezeugen ist
nicht eine Folge der materiellen Existenz jener Kunstwerke
(ihre Existenz als Holz, Farben u.s.w.) sondern der Tatsache
dass es ein Bild von Christus ist. Bei den Ketzern kann man das
Gleiche beobachten, nur gerade umgekehrt; das Bild eines Men-
schen als solches lässt sie kalt, aber sobald man sagt, es sei ein
Bild von Christus, so toben sie wie Rasende und pflichten so
nolens volens die von ihnen sonst verpönte Ansicht, dass eine
gewisse nähere Verbindung zwischen Christus und sein Bild be-
steht, bei. Die Ikonoklasten, sagt der Patriarch weiter, zu seiner
Väterstelle zurückkehrend, schicken sich an den ganzen ebuuv-
begriff möglichst radikal aus der Welt zu schaffen; damm sagen
sie dass die Stelle nur von der Trinität spreche. In Wirklichkeit
verdeutlicht sie nicht nur innertrinitarische Verhältnisse son-
dern wirft daneben einen Lichtstreifen auf die Beziehung
&p:x.ll't'U1t'O~-elxwv überhaupt. Es braucht keine Schwierigkeiten
zu machen wenn man eine Analogie sucht zwischen dem Vater-
Sohn-verhältnis und der Art worauf das Christusbild auf Chris-
tus selbst bezogen ist, wenn man nur den Unterschied aufrecht
erhält dass der Heiland mit seinem Bilde nicht Ö(LOOUO'LO~ ist.
Ziemlich eingehend wird der elxwv-begriff betrachtet in Kap.
21. Man soll der Verschiedenheit der Bedeutungen des Wortes
elxwv Rechnung tragen,heisst es dort, und so gibt es einen Unter-
schied zwischen dem natürlichen und dem kunstgewirkten Bild.
Gründe diese zweite Bedeutung vollends zu ignorieren liegen
nicht vor. Ein natürliches Bild ist etwas, das einem anderen
recht ähnlich sieht, ohne Verschiedenheit der Substanz (wie ein
Sohn schon im menschlichen Bereiche das Bild seines Vaters sein
kann). Das kunstgewirkte Bild dagegen ist etwas, das nicht nur
eine ähnliche sondern genau dieselbe Form hat, wobei aber ein
Unterschied der Substanz daliegt. Was Basilius sagt von der auf
den Prototypos übergehenden Ehre ist in erster Linie wahr von
dem artifiziellen Bilde und wird nachher auf das göttliche Vater-
Sohnverhältnis übertragen, das heisst auf das natürliche Bild
Xot't" e~o:x.llv bei dem selbstverständlich dies alles noch mehr
zutrifft.
Ist die Bilderkult legitim, so lässt der Verfasser einen Gegner
einwenden 1), wamm hat man denn damals die Götzen der Hei-
l) A.a.O., 29.
118 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

den so derb heruntergemacht? Nicht aus Hass gegen die Bilder


weil sie Bilder waren, wird erwidert, sondern aus Hass gegen die
von ihnen dargestellten falschen Götter.
Wenn, lesen wir in Kap. 29, die Relation des Bildes zum Dar-
gestellten dazu dienen kann das Verhältnis zwischen erster und
zweiter Person der Dreifaltigkeit einigermassen klar zu machen,
warum könnte dieselbe Beziehung nicht dienlich sein die Fleisch-
werdung des Erlösers uns Menschen, die wir wegen unserer
Erdgebundenheit einer x.e:~pocyCJ)ytj bedürfen, näher zu bringen
(dies alles klingt recht areopagitisch I). Wäre die "Handleitung"
durch das gemalte Bild von übel so hätten die alten Patres es ge-
wiss beanstandet; nun haben sie im Gegenteil alle dazu ermutigt
(Nach unsere Darlegungen in Kap. 2 brauchen wir nicht weiter
zu beweisen wiesehr dieses Argument historisch unzulänglich ist).
Kap. 33 ff wird die bildliche Darstellung des Erlösers mit
dem auch von den Ikonoklasten, und von ihnen sogar mit be-
sonderer Inbrunst (als Ersatz?) verehrten Symbol des Kreuzes
verglichen. Nikephoros fängt an mit einem christologischen
Seitenhiebe: Diese Leute geben vor das Kreuz zu ehren; sie
machen jedoch die Tatsache der Kreuzigung mit ihren doketi-
sehen Auffassungen faktisch zunichten. Nach dem Grund ihrer
Kreuzesdevotion gefragt behaupten sie das Kreuz zu ehren um
dessen Wille, der am Kreuz gehangen hat, doch ihrer Meinungen
zufolge hat er eigentlich ja gar nicht daran gehangen. Der Pa-
triarch will aber eingehend untersuchen welches die Priorität
hat: das Kreuzeszeichen oder das Bild des Gekreuzigten. So ge-
langt er zu zehn Schlussreden :
1) Das Bild hat Ähnlichkeit mit Christus selbst und ist ihm
also näher.
2) Das Bild erzeugt in uns einen unmittelbaren Eindruck von
dem Heiland, das Kreuzeszeichen erst über den Umweg des
Gedankens an seinen Leiden.
3) Das Kreuz ist von Christus geheiligt, dasjenige aber was
heiligt ist natürlich immer besser als dasjenige was gehei-
ligt wird.
4) Wir müssen die Wiedergabe des Ausgebreitetsein der Hände
Jesu ehren; diese Haltung jedoch steht zu dem Gesamt-
körper in der Beziehung eines Akzidenz zu seiner Substanz.
5) Das Bild ist überhaupt unmittelbarer. Um zu verstehen was
DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS 119

das Kreuzessymbol sagen will muss man bereits einiges vom


Christentum wissen.
6) Das Kreuz zeigt uns die Beschaffenheit und Art des Leidens,
das Bild zugleich die Person die gelitten hat.
7) Das Christusbild kann man ötJ.0vutJ.(o)~ auch Christus nennen,
das Kreuz nicht.
8) Die causa efficiens ist "würdiger" als das Kausierte ; causa
efficiens des Kreuzes aber ist das Leiden Christi.
9) Wenn etwas um eines anderen Willen hergestellt wird ist
es diesem anderen inferiör. Nun aber ist das Kreuz herge-
stellt um den Willen des Leibes Christi.
10) Beim Bild, anders als beim Kreuzeszeichen, sehen wir "wie
es sich zugetragen hat".
Aus diesem allen erhellt wiesehr das Bild die Priorität hat
über das Kreuzessymbol.
Das Bildbegriff ist nach Kap. 58 älter als die Schöpfung denn
Gott schuf den Menschen in seinem Bilde. Sogar in den Tiefen
des göttlichen Wesens ist dieser Begriff zu Hause da die zweite
Person der Trinität das Bild der ersten ist. In etwas weniger er-
habenem Sinne ist der Engel ein Bild Gottes 1) und ebenso natür-
lich der Mensch der ja im Bilde Gottes geschaffen ist. Die irdi-
sche Hierarchie ist ein Abbild der himmlischen. Alles was in der
Kirche ist und geschieht ist eine Nachahmung himmlischer
Wirklichkeit, wie das sehr notorisch bei der Stiftshütte der Fall

') Von den Engeln schreibt Nikephoros ziemlich ausführlich Anttrh. 11, 7 sqq:
Kopronymos nennt die Engel Cbte:PLYPIX7tTOL. Das ist falsch, sagt der Patriarch, denn
sie haben einen Anfang in der Zeit gekannt und sind also wenigstens zeitlich 'lt"EpLyplX'It"TOL.
Weiter schreibt man ihnen eine intuitive KIXTIXA7jIjlLc;;(Wahrnehmung) zu und KIXTIXA7jIjlLC;;
als diskursiver Prozess schliesst eine gewisse m:pLypIXCP7j ein. Leiblich und räumlich sind
sie allerdings 1X7te:pLYPIX7tTOL; doch können sie trotzdem gemalt werden weil sie auf
Gottes Befehl oft Menschengestalt angenommen haben. Die Philoxenie des Abraham
kann hier u.a. genannt werden, obwobl sie mehr war als eine blosse Engelerscheinung.
(VergI. H. L. Grondijs, De ikonographie van schepping en Godsverschijningen, Amster-
dam, o.J.). Eine andere bezeichnende Stelle Ap. major, 70 sq, wo die Cherubim auf
der Bundeslade Anlass zu einem Exkurs über die Engel sind: die Bilder der Cherubim
hatten mit den bimmlischen Geistern den Namen gemeinsam, nicht die Gaben; ihrer-
seits sind die Engel gleichsam Bilder des göttlichen Urgrundes, des unsichtbaren,
durch sie jedoch sich offenbarenden Lichtes, dem sich möglichst gleich zu gestalten
sie bestrebt sind. Sie besitzen durch Teilhaben (fLe:.&e:~La) was Gott seinem Wesen
nach (KIXT' ouaLlXv) hat. Sie kennen nicht nur die intelligible Welt sondern auch die
sinnenfällige, wenn auch in nicht sinnenfälliger Weise. Nun gibt Gott selbst diesen
Bildern den gleichen Namen als jenen Himmelswesen. So werden solche Menschen,
die nicht unmittelbar zur Schau des Intelligiblen gelangen können, mittels Symbolen
hinangeführt. Das Ganze klingt überaus "areopagitisch".
120 DIE THEOLOGIE DES NIKEPHOROS

war. Auch Bücher sind sozusagen Bilder des Mannes der sie
verfasste.
Weiteres über den dxwv-gedanken bieten die vier Haupt-
schriften nicht. Auf eine eingehendere Besprechung der weiteren
Schriften können wir verzichten, da sich dort keine neuen origi-
nellen Gedanken über diesen Begriff finden. .
Aus dem Vorhergehenden ist hoffentlich schon klar geworden
wie sehr Nikephoros auch für das Vermächtnis Platons ge-
kämpft hat, ohne dessen Namen zu nennen. Es gibt eine gerade
Linie von Platon bis auf Plotin, von Plotin über Proklos auf
Pseudo-Dionysios und vom Areopagiten auf Johannes Damas-
cenus und Nikephoros.

EPILOG

Wir haben das Ende unserer Untersuchungen erreicht. Die


ikonophile Theologie als solche in ihrem ganzen Umfang darzu-
stellen war uns nicht möglich, haben wir uns auch nicht als Ziel
gesetzt. Doch hegen wir eine kleine Hoffnung dass es der Skizze
von Theologie und Leben des Patriarchen Nikephoros wenigstens
nicht allzusehr an Vollständigkeit fehlt.
An diesem Punkte gelangt könnte man leicht der Versuchung
erliegen, auf einer Vergleichung mit westlichen dogmatischen
überzeugungen einzugehen, besonders indem man dem am Worte,
am Gehör, möchte man sagen, orientierten westlichen Protestan-
tismus in der Ostkirche ein am Schauen, am Auge orientiertes
Gegenstück gegenüber zu stellen sich bemüht. Wir werden je-
doch diesen Lockungen kein Gehör schenken weil ein solches
Verfahren uns ausserhalb der Schranken unserer Disziplin, der
Kirchen- und Dogmengeschichte, brachte. Noch innerhalb jener
Schranken bliebe eine Vergleichung der nikephorischen Gedan-
ken mit der späteren, hauptsächlich russischen, Ikonentheo-
sophie der Ostkirche. Diese Aufgabe ist überaus reizvoll doch
leider, wenn russische Sprachkenntnisse fehlen, unmöglich und
selbst wenn das Russisch genügend beherrscht wird, von ausser-
ordentlichen Schwierigkeiten begleitet wegen der Knappheit der
diesbezüglichen russischen Literatur im Westen. Darum werden
wir auch diese Linie nicht weiter ziehen und nur die Behauptung
wagen, trotz unserer notwendig mangelhaften Kenntnis der
EPILOG 121

späteren Theorien, dass fast alle Elemente derselben schon bei


Nikephoros und Theodorus Studita sich finden doch erst später
zur vollen Entfaltung gekommen sind. (Merkwürdig dass die
Weihe der neugemalten Ikonen, die in der heutigen orthodoxen
Praxis eine wichtige Rolle spielt, von unseren Autoren gar nicht
erwähnt wird, und eine Stelle des Nikephoros sogar zu ver-
neinen scheint dass es eine solche gebe). So möchten wir hier
mit einigen kurzen Bemerkungen schliessen.
Nikephoros war der Mann der kirchlichen Mitte, das hat sei-
nem Leben einen Anstrich von Tragik gegeben, wie sie fast allen
Männem der Mitte eigen ist: die schlimme Lage in einem Kriegs-
getümmel von beiden Seiten her die Hiebe einkassieren zu müs-
sen. Die heiss ikonophilen Asketen haben ihn gescholten und
verdächtigt weil sie bei ihrem auf byzantinischem Boden neuar-
tigen Bestreben die Kirche von der staatlichen Bevormundung
zu lösen, den sehr "staatlichen" oft allzu servilen Patriarchen
als Obstakel sahen. Die Ikonoklasten haben ihn verfolgt, als alle
Versuche ihn in prinzipiellen Sachen zu beugen, misslungen. Die
nikephorische Tragik der via media heisst aber noch nicht die
Tragik eines Einsamen. Im Gegenteil, viele dachten wohl wie er.
Der Cäsaropapismus war der Ostkirche in Fleisch und Blut
übergangen und diejenige, die, wie Theodor, es so öffentlich ver-
kündeten dass der Kaiser die kirchlichen Sachen den kirchlichen
Sachverständigen überlassen sollte waren "Neutöner" in Byzanz.
In vielen Darstellungen (Hamack, Schwarzlose u.a.) wird der
Bilderstreit geschildert als ein Kampf zwischen dem Staat und
der Kirche ohne weiteres, und Theodor der Studite wird dann
der Exponente )tCXT' e~ox'tlv der Kirche, wie die Ikonoklasten
der Staatsrnacht. Diese Vorstellung ist nicht richtig wie wir be-
reits früher zeigten. Die Anhänger der Studiten bildeten eine
für die damaligen Verhältnisse ziemlich extreme Sonderpartei.
Eine Verwandschaft mit der hildebrandischen Partei im Okzi-
dente des 11. Jahrhundert und der Folgezeit ist nicht zu ver-
kennen; doch muss man sich,hier vor übertreibung hüten, denn
auch die Unterschiede sind sehr erheblich. Das der westlichen
Bewegung Eigentümliche: die Weltentsagung, die mit einem
Schlage in Streben nach Weltherrschaft umschlägt, findet sich
bei den Studiten und ihren Geistverwandten nicht. Die Askese
blieb bei den letzteren rein jenseitig gerichtet und die Ideale dem
122 EPILOG

individuellen Heilsbedürfnis entsprechend gestaltet. Dass dem


Morgenlande der überragende Einfluss Augustins fehlte hat die-
sen Sachverhalt wohl mitbestimmt: hinter den Idealen eines
Gregor VII steht doch immer die Riesenkonzeption der civitas
Dei. Wenn es auch während kürzerer Zeit, als der mönchische
Michael Rhangabe das Regiment führte, eine gewisse Bevor-
mundung des Staates von Seiten der Kirche gab (mit allen Nach-
teilen, die in dem Äon bevor dem regnum gloriae eine Theokra-
tie nun einmal hat), so war das doch mehr inzidentell als prin-
zipiell. Dass ein "Canossa" in Byzanz nicht möglich war ist na-
türlich mitbestimmt durch die Tatsache dass der Patriarch von
Neurom, residierend in derselben Stadt als der Kaiser, weit mehr
vom Hof abhängig war als der verhältnismässig selbständige
Papst, und das Patriarchat also nicht bald Einfallspforte für
eine so weitgehende theokratische Gesinnung als die Papstge-
schichte von Hildebrand bis auf Bonifaz VIII aufzuweisen hat,
sein könnte; doch ist jener Faktor nicht der einzige. Nicht nur
die Möglichkeit solches zu verwirklichen, auch die Einstellung
darauf fehlte den "Hochkirchlichen" in Byzanz. Diese sagten
zwar, wie die Hildebrandisten und weitere "Guelfen", dass kirch-
liche Gesetzgebung wie Dogmatik nicht Sache der Fürsten sei,
doch ihnen fiel es nicht ein, darüber hinaus zu behaupten, das
Absetzen eines weltlichen Machthabers könne eine Sache für die
geistliche Gewalt sein. Die Theorie von den beiden Schwertern
in einer, geistlichen, Hand wie sie die bekannte Bulle des Bonifaz
VIII entwickelt, hätten sie nie fertig gebracht, wenn schon die
späteren Streitigkeiten zwischen 1tOAL'rLXOL und ~1JAotV're:C; eine
Verschärfung des Gegensatzes hervorriefen. Bezeichnend für den
oben genannten Unterschied ist die Haltung des Theodorus
Studita dem Ketzertöten gegenuber. Während Michael Rhan-
gabe Ketzer zur Kapitalstrafe verurteilte auf Gutheissen, sogar
Anstiften, unseres Patriarchen Nikephoros, haben die Studiten
sich diesem Verfahren heftig widersetzt (vergl. S. 64). Wir
nennten bereits den hiervon handelnden Brief Theodors. Man
denke sich derartige Äusserungen im Munde von Innozenz III!
So kann man die ganz anderen Züge, die der Imperialismus der
Kirche in Byzanz trägt, teilweise aus den grundverschiedenen
Umständen erklären, doch soll man darüber den anderen, tiefer-
liegenden, jedoch um so kräftigeren Unterschied nicht verges-
EPILOG 123

sen, den Unterschied zwischen der nur mystisch-quietistisch ge-


richteten östlichen Askese und der westlichen, die daneben auch
aktivistischere Komponenten besitzt. Für den Kampf, die kai-
serlicher Gewalt und Papsttum führten und verwandten Er-
scheinungen des westlichen Mittelalters mag die Bezeichnung
"Kampf zwischen Kirche und Staat" zutreffend sein; nicht aber
ist dies der Fall bei der ikonoklastischen Kontroverse. Wir haben
dabei nicht zwei sondern drei Parteien unterscheiden können:
die ikonophile staatskirchliche Partei, die freikirchlichen Stu-
diten sammt ihrem Anhang, und endlich die von beiden be-
kämpften Ikonoklasten. Von der erstgenannten Partei ist der
Patriarch Nikephoros der denkbarst typische Vertreter. Die End-
entscheidung, die, wie die vorlaüfige Entscheidung auf dem 7.
oek. Konzil, nur in noch stärkerem Masse, dem Ikonoklasmus
zwar die Niederlage brachte, daneben jedoch allen "Freikirch-
lichen" Enttaüschung bereitete, war gänzlich in seinem Geiste.
Nicht die Ikonoklasten, nicht die Studiten sondern die Partei
der wie Nikephoros Denkenden siegte und so erwies sich der Pa-
triarch, der den endgültigen Sieg nicht erleben dürfte, nicht nur
als der Mann der Mitte sondern auch als der Mann der Zukunft.
Es hat etwas Bestechendes wenn Autoren wie Schwarzlose (in
den Fusssporen Harnacks) den Bilderstreit schildern als einen
Kampf der griechischen Kirche um ihren Freiheit und Eigenart,
wobei die Kirche ihre Eigenart behalten aber ihre Freiheit ver-
loren hätte; inzwischen ist diese Vorstellung einseitig und zwingt
die Tatsachen zuviel in einen uns gelaüfigen Schematismus. Der
Bilderstreit war in der Tat ein Kampf um die Eigenart der Ost-
kirche; hier jedoch zu sprechen von einem Kampf um ihre Frei-
heit würde zu weit gehen. Nicht die Kirche kämpfte mit dem
Staat; die Orthodoxie bestritt eine heterodoxe Staatsrnacht,
keineswegs weil dieselbe Staatsrnacht sondern weil sie heterodox
war.
Die Haltung des Nikephoros: grösste, nach unseren Auffas-
sungen allzugrosse, Nachgiebigkeit dem Staat gegenüber wenn es
sich um Sachen handelt, die nicht unmittelbar auf Dogma und
Liturgie bezogen sind, verbunden mit Unerschütterlichkeit in
Fragen von wesentlich dogmatischem und liturgischem Charak-
ter, ist bis auf den heutigen Tag ein Merkmal der Ostkirche.
Wir haben den Patriarchen gesehen als Vorfechter der über-
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lieferung, in der er auch den Bilderdienst begründete. Dass er,


historisch betrachtet, ganz Unrecht hatte damit, ist kein Grund
die persönliche Aufrichtigkeit des Mannes zu bezweifeln. In der
Frühzeit der literarischen Fehde über die Bilder wurde haupt-
sächlich aus der Tradition heraus argumentiert in einer Weise,
die dem tertullianischen Präskriptionsbeweise ähnelt. Die Erör-
terungen über den dXC1>v-begriff, in denen er sich als ein treuer
Diszipel des Areopagiten erweist, zeigten welch ein gewaltiges
Vermächtnis der Antike bei den Verteidigern der Bilder sich
findet, wie diese Schriftsteller hinsichtlich der Bilder die einzig
mögliche Folgerung aus der pseudodionysischen Grundan-
schauung gezogen haben und so, ohne es vielleicht zu wissen, für
Platon kämpften. Innerhalb des christologischen Gedanken-
kreises hat der Patriarch ebenso unermüdlich die Wahrheit der
menschlichen Natur Christi gegen den halben Monophysitismus
der Ikonoklasten verteidigt als der Studite. Am meisten origi-
nell ist er in seiner Ecc1esiologie; dort hat er gelegentlich Ak-
zente die nicht nur seinen Waffenbrüdern in der ikonoklastischen
Kontroverse, sondern der Ostkirche überhaupt, fast ganz fehlen.
Abschliessend können wir sagen: grössere Gestalten, tiefere
Denker und kraftvollere Persönlichkeiten hat es in der Kirchen-
geschichte des Ostens mehrere gegeben; kaum einer von ihnen
aber war, in Vorzügen wie in Nachteilen, sosehr als er gleichsam
ein Symbol der von ihm vertretenen Kirche.

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